ra-2H. PeschR. LiefmannH. AlbertW. HasbachG. Cohn    
 
EDUARD HEIMANN
Methodologisches zum Problem des Wertes
und des wirtschaftlichen Prinzips

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"In der Welt um uns weist jedes Ding eine komplexe Vielheit von Eigenschaften auf, während unser Verstand, sofern er eine Mehrzahl von Erscheinungen erfassen will - und eben dies ist ja das Wesen der theoretischen Wissenschaft zum Unterschied von der historischen -, stets nur in einer Richtung vorzugehen vermag, stets nur einheitliche, d. h. unter einem logischen Gesichtspunkt homogene Erscheinungen zu begreifen imstande ist. Daher faßt unser Verstand an jenem noch ganz rohen Erfahrungsobjekt in durchaus willkürlicher, dann aber planmäßig festgehaltener Weise gewisse, unter einem einheitlichen Gesichtspunkt interessante Seiten ins Auge und läßt prinzipiell alle anderen Seiten unberücksichtigt. Das so durch Abstraktion aus dem Erfahrungsgebiet gewonnene Erkenntnisobjekt ist natürlich ein rein gedankliches Gebilde, prinzipiell unwirklich, weil für unser beschränktes Begriffsvermögen sozusagen präpariert."

"Was heißt den objektiv gegeben? Offenbar: ohne Zutun des Subjekts, unabhängig von seinem Willen vorhanden, dem Objekt anhaftend und darum gleichmäßig für alle Subjekte gültig. Eine Eisenbahnfahrt kostet 20 Mark; dann hat jeder, der dieses Gut erwerben will, diese gleichen Kosten zu erlegen, sie sind objektiv gegeben. Hat wirklich jeder, der Reiche und der Arme, die gleichen Kosten zu tragen? Oder ist es vielleicht etwas ganz anderes, wenn ein stellungsloser Proletarier 20 Mark zahlen soll, als wenn das einem Finanzkönig begegnet?"


I. Individual- oder Sozialmethode
für die Wertlehre

Eine alte Streitfrage hat die theoretische Nationalökonomie in zwei feindliche Heerlager geteilt: Ist die den nationalökonomischen Problemen angemessene Methode die soziale oder die individualistische?

Die Entscheidung hierüber kann natürlich nicht aus allgemeinen Erörterungen über das Wesen der Phänomene gewonnen werden, die unserer wissenschaftlichen Betrachtung unterworfen sind: etwa so, daß man sagt, die Nationalökonomie als eine Gesellschaftswissenschaft müsse sich der sozialen Methode bedienen. Sondern nur aus der Prüfung der Art, wie die Wissenschaft an ihren Problemen arbeitet, aus der Prüfung dieser Probleme - und dies ist etwas ganz anderes als die Prüfung der zu den Problemen Anlaß gebenden Phänomene - kann die Lösung der Frage erwachsen. Sonderbarerweise hat man noch nie versucht, den alten Streit mit prinzipiell methodologischen Waffen auszutragen; jeder Theoretiker arbeitete einfach mit der ihm zusagenden Methode, ohne sie vor sich selbst und seinen Lesern zu rechtfertigen. Bezeichnend genug lesen wir bei demjenigen Theoretiker, dessen Werk wie kein zweites von methodologischen Erwägungen durchsetzt und geleitet ist: "Wir meinen ..., daß innerhalb der reinen Theorie uns eine soziale Betrachtungsweise keine wesentlichen Vorteile gewährt und mithin überflüssig ist." (1) Kein weiteres Wort zur Begründung einer These, die doch nun einmal nicht nach allgemeinen Eindrücken, sondern nach logischen Gesichtspunkten entschieden werden muß, wie ja SCHUMPETER wohl zu allererst einräumen würde! Zur Lösung dieses Problems, das gemeinhin übersehen oder aber in der soeben gekennzeichneten axiomatischen Weise erledigt wurde, sollen hier einige Beiträge folgen.

Wir sind in der sehr glücklichen Lage, über ein Buch zu verfügen, das uns der unsere Kräfte sicher weit übersteigenden Aufgabe enthebt, die Grundsätze darzulegen, nach denen jegliche formale Untersuchung eines bestehenden wissenschaftlichen Aussagekomplexes vorzugehen hat (2), und der Führung dieses Werkes wollen wir uns unverzüglich anvertrauen, wobei auch Sinn und Bedeutung unseres Problems erst in das rechte Licht treten werden.

AMONNs Gedankengang ist in Kürze dieser: Ausgehend von der Scheidung zwischen theoretischer und historischer Wissenschaft, wie sie KARL MENGER zuerst aufgestellt hat, WINDELBAND und RICKERT dann für das gesamte Gebiet der Methodenlehre eingeführt haben, weist er zunächst darauf hin, daß jede theoretische Wissenschaft sich mit einer mehr oder weniger scharf umgrenzten Gruppe von Erscheinungen beschäftigt, die er als das "Erfahrungsobjekt" dieser Wissenschaft bezeichnet. Dieses ist jedoch weit davon entfernt, selbst schon theoretisch erfaßbar zu sein; denn in der Welt um uns weist jedes Ding eine komplexe Vielheit von Eigenschaften auf, während unser Verstand, sofern er eine Mehrzahl von Erscheinungen erfassen will - und eben dies ist ja das Wesen der theoretischen Wissenschaft zum Unterschied von der historischen -, stets nur in einer Richtung vorzugehen vermag, stets nur einheitliche, d. h. unter einem logischen Gesichtspunkt homogene Erscheinungen zu begreifen imstande ist. Daher faßt unser Verstand an jenem noch ganz rohen Erfahrungsobjekt in durchaus willkürlicher, dann aber planmäßig festgehaltener Weise gewisse, unter einem einheitlichen Gesichtspunkt interessante "Seiten" ins Auge und läßt prinzipiell alle anderen Seiten unberücksichtigt. Das so durch Abstraktion aus dem Erfahrungsgebiet gewonnene "Erkenntnisobjekt" ist natürlich ein rein gedankliches Gebilde, prinzipiell unwirklich, weil für unser beschränktes Begriffsvermögen sozusagen präpariert (3).

Nun kommt es aber in unserem Fall nicht darauf an, unter Ignorierung des doch nun einmal bestehenden Inhalts der theoretischen Nationalökonomie nach irgendwelchen willkürlichen Grundsätzen ein neues Erkenntnisobjekt für unsere Wissenschaft zu finden. Denn die dieses neue Erkenntnisobjekt bearbeitende Wissenschaft würde eben nicht mehr die alte Nationalökonomie sein, so logisch einwandfrei ihr Objekt auch definiert wäre. Vielmehr gelte es, die Form einer längst bestehenden Wissenschaft festzustellen; die allgemeinsten Bedingungen zu finden, unter denen Tatsachen stehen müssen, um einer nationalökonomischen Behandlung im überlieferten Sinn zugänglich zu sein; den logische Gesichtspunkt aufzuzeigen, unter dem man die Erscheinungswelt oder doch den so roh und unbestimmt ausgegrenzten Teil, der das Erfahrungsobjekt bildet, betrachten müsse, damit die  in concreto  so verschiedenen Tatsachen alle homolog würden, und zwar in einem nationalökonomischen Sinn, so daß also aus ihnen die Probleme entstehen, die wir als den Inhalt der Nationalökonomie kennen. Mit anderen Worten: Die Formbestimmung kann nicht spekulativ vor sich gehen, sie muß sozusagen empirisch erfolgen; aus dem als Inhalt der Nationalökonomie anerkannten Problemstock sind die formalen Bedingungen abzulesen, denen jene Probleme ihre logische Einheitlichkeit verdanken (4). Die formale Objektbestimmung hat somit zwei Anforderungen zu genügen: sie muß im Einklang mit dem historisch gewordenen Inhalt der Nationalökonomie stehen, also aus ihm empirisch gewonnen werden, und sie muß - selbstredend (5) - formal korrekt sein.

Nun sind manche Autoren der Meinung - und wer möchte ihnen nicht auf den ersten Blick zustimmen - die Nationalökonomie sei eine Sozialwissenschaft, und zwar als Spezies innerhalb dieser Gattung die wirtschaftliche Sozialwissenschaft. Auch dies ist logisch unzulässig. Der Begriff "Wirtschaft", wie man ihn auch definiert, steht in keinerlei logischer Beziehung zum Begriff "Gesellschaft", seine Merkmale sind nicht notwendig in denen des Begriffs  Gesellschaft  enthalten. Und doch muß das Artmerkmal zum Gattungsmerkmal in einem analytischen Verhältnis stehen. Dieses Verhältnis findet also zwischen den Begriffen sozial und ökonomisch nicht statt, es gibt unzählige soziale Beziehungen außerhalb des Kreises der Wirtschaft und wirtschaftliche Tatsachen außerhalb des Kreises des Sozialen. Jene Forscher hätten daher, wenn sie vorausschickten, daß die Nationalökonomie eine Sozialwissenschaft sei, das soziale Kriterium nicht durch das völlig heterologe ökonomische Kriterium determinieren dürfen, sondern sie hätten die spezifische Gestalz zeigen müssen, die die sozialen Beziehungen annehmen müssen, damit aus ihnen die nationalökonomischen Probleme entstehen: sie hätten, um mit AMONN zu reden, feststellen müssen, "welche Art sozialer Bedingtheit es ist, die die Grundprobleme der Nationalökonomie in ihrer spezifischen sozialwissenschaftlichen Eigenart konstituiert". (Seite 165)

Dies ist der Weg, den AMONN gegangen ist. Sein Ausgangspunkt ist der übliche, wonach die Nationalökonomie eine Sozialwissenschaft ist (Seite 151). Nunmehr aber gilt es, sich vor jeder falschen Artbestimmung zu hüten und die spezifischen Merkmale jener besonderen Art sozialer Beziehungen festzustellen, die das formale Objekt der Nationalökonomie ausmachen. Soziale Beziehungen würden zu nationalökonomischen Problemen, wenn und soweit sie unter den folgenden vier Bedingungen als den allgemeinsten und notwendigen Voraussetzungen ihrer Existenz ständen:
    "Erstens: Die Anerkennung einer in gewisser Hinsicht ausschließlichen ... individuellen Verfügungsmacht über äußere ... Objekte ... Zweitens: Die Anerkennung eines freien ... Wechsels dieser Verfügungsmacht ... Drittens: Freiheit (d. h. lediglich vom individuellen Willen der Tauschenden abhängige Möglichkeit) der Bestimmung des quantitativen Verhältnisses der auszutauschenden Verkehrsobjekte ... Viertens: Die Anerkennung eines allgemeinen sozialen Wertmaßes und Tauschmittels ..." (Seite 181)
Diese vierfach bestimmte Organisation des sozialen Verkehrs begreift AMONN dann kürzer unter dem Namen der individualistischen Verkehrswirtschaft.

Gegen diesen Gedankengang hat nun OPPENHEIMER in einer ausführlichen Besprechung (6) neben einigen sekundären Ausstellungen zwei prinzipielle logische Einwände erhoben. Erstens umfaßt AMONNs Objektbegriff "auch solche Handlungen, die von aller Wissenschaft und Praxis bisher nicht als wirtschaftliche, sondern im Gegenteil als unwirtschaftliche angesehen werden". "Wenn ein spleeniger Millionär ..., lediglich um mit seinem Reichtum zu protzen, für einen Gegenstand von geringem Wert eine Million Dollar zahlt", so steht dieser Fall offenbar innerhalb des von AMONN festgestellten formalen Rahmens, und doch sei er eben unwirtschaftlicher Natur.

Uns will scheinen, daß AMONN keine große Mühe hätte, diesem Angriff auszuweichen. Abgesehen davon, daß es erst einer besonderen Untersuchung bedürfte, um zu erkennen, ob nicht am Ende selbst OPPENHEIMERs Charakteristik der wirtschaftlichen Handlung auf jenen "unwirtschaftlichen" Vorgang paßt (7), und sogar zugegeben, daß jenes Beispiel unwirtschaftlichen Charakters ist, so wäre damit noch gar nichts bewiesen. OPPENHEIMERs Einwand beruth auf demselben Argument, das AMONN durch sein ganzes Buch als mißverständlich zu erweisen sich bemüht: als ob nämlich jeder wirtschaftliche Vorgang und nur ein solcher  eo ipso  [schlechthin - wp] einer nationalökonomischen Betrachtung unterliegt. Das trifft zwar von OPPENHEIMERs Standpunkt aus zu, weil OPPENHEIMER nämlich  expressis verbis  die von ihm genau definierten wirtschaftlichen Vorgänge als Objekt der Ökonomik proklamiert. Wenn man aber mit AMONN davon ausgeht, daß die Nationalökonomie von bestimmt gearteten sozialen Beziehungen handelt, so muß man ihm auch darin beistimmen, daß dann empirische Tatsachen weder durch ihre wirtschaftliche Natur zu nationalökonomischen Problemen werden, noch durch ihre unwirtschaftliche Natur aus dem Kreis dieser Probleme ausscheiden. Wenn mit dem Beispiel vom protzenden Millionär etwas ausgerichtet werden soll, so wäre zu beweisen, nicht daß der Vorgang, der in AMONNs formalen Rahmen paßt, unwirtschaftlich ist - dennoch könnte er nationalökonomisch, will sagen sozialwissenschaftlich, erfaßbar sein -, sondern daß er eben einer nationalökonomischen Betrachtung im überlieferten Sinn nicht unterliegen kann.

Das scheint dann auch OPPENHEIMER empfunden zu haben; er zielt vor allem nach einer anderen Richtung: er stellt den von AMONN verworfenen bisherigen Definitionen der Wirtschaft seine eigene entgegen und fährt dann fort:
    "Es wird also alles darauf ankommen, ob der Begriff der Wirtschaft, wie er oben definiert ist, geeignet ist, als Erkennungsobjekt einer eigenen Wissenschaft zu dienen ... muß er  (Amonn)  die Definition zugeben, so wird er auch zugeben müssen, daß das ganze Gebäude seiner Konklusionen damit in sich zusammenfällt."
Keineswegs! Vielmehr würde AMONN, solange sein sozialwissenschaftlicher Standpunkt nicht erschüttert ist, sich darauf berufen, daß eine Sozialwissenschaft nur durch soziale Kriterien bestimmt werden darf, daß ein noch so scharfsinnig definiert Begriff der Wirtschaft vollständig aus ihrem Gesichtskreis herausfällt. Er sagt wörtlich:
    "Es besteht immer und notwendig eine Diskrepanz zwischen jedem Begriff der Wirtschaft oder des Wirtschaftlichen und dem tatsächlichen Erkenntnisobjekt der Nationalökonomie." (Seite 146),
weil nämlich der Begriff "wirtschaftlich" nur von einem individualistischen Gesichtspunkt aus gebildet werden kann.
    "Der Versuch einer methodologischen Verknüpfung zweier so völlig disparater Begriffe (nämlich "wirtschaftlich" und "sozial") müßte auch dann scheitern, wenn der Begriff der Wirtschaft wirklich eindeutig bestimmt wäre." (Seite 156)
Diesen Standpunkt halten wir für durchaus konsequent.

Wie bei jedem geschlossenen Gedankengang, so kann es auch hier nur einen Angriffspunkt geben, und das ist der Anfang der eigentlichen Untersuchung, der Punkt, wo sie in den allgemeinen methodologischen Grundsätzen verankert ist. OPPENHEIMERs Einwände konnten wir zurückweisen, indem wir uns einfach auf AMONNs Ausgangspunkt stellten; sobald man diesen anerkennt, so muß man auch alle Schlüsse anerkennen. Aber diesen Ausgangspunkt selbst kann man in Frage stellen: ist die Nationalökonomie wirklich eine Sozialwissenschaft in dem von AMONN gewollten streng methodologischen Sinn?

Offenbar unterlegt AMONN dem alten Terminus  Sozialwissenschaft  eine neue Bedeutung, ein Vorgang, dessen Tragweite wir uns an einem analogen Vorgang aus der allgemeinen Methodenlehre klarmachen können. RICKERT machte den Namen  Naturwissenschaft  aus einem vagen empirischen Kollektivbegriff zu einem methodologischen Instrument, indem er das, was MENGER theoretische Betrachtung, WINDELBAND nomothetische Betrachtung genannt hatten, als naturwissenschaftliche Betrachtung bezeichnete. Ähnlich ergeht es dem alten Sammelnamen  Sozialwissenschaft  durch AMONN. Bisher eine unverbindliche Bezeichnung für eine ganz heterologe Gruppen von Wissenschaften, deren einzige Verwandtschaft in ihrer Beziehung auf die Verhältnisse der Individuen untereinander bestand, soll er nun ein methodologisches Instrument sein; die Nationalökonomie soll nichts mehr mit Ökonomik, und vermutlich doch analog die Sozialpsychologie nichts mit Psychologie, die Sozialethik nichts mit Ethik zu tun haben usw. Aus dieser Betrachtung ergibt sich zunächst, daß es sich hier keineswegs um eine interne Angelegenheit unserer Wissenschaft handelt, daß die Psychologie, die Ethik usw. und besonders natürlich die Logik allen Anlaß haben, sich mit AMONNs tiefgründigem Werk eingehend auseinanderzusetzen. Ferner aber: wenn wir im folgenden nachzuweisen versuchen, daß das neue methodologische Instrument der alten Nationalökonomie nicht adäquat ist, leugnen wir darum den Charakter der Nationalökonomie als einer Sozialwissenschaft? Es steht sicherlich nichts im Weg, daß wir am alten Aussdruck "Sozialwissenschaft" festhalten, selbst wenn sich herausstellen sollte, daß auch der neue Begriff methodologisch berechtigt ist, obwohl jedenfalls nicht für die Nationalökonomie (8).

Nachdem nun also der Sinn der Frage: ist die Nationalökonomie eine Sozialwissenschaft? unzweideutig festgestellt ist, ist unsere Aufgabe die Verifikation der formal unangreifbaren AMONNschen Objektdefinition am gegebenen Inhalt unserer Wissenschaft. AMONN selbst erleichtert uns diese Aufgabe ungemein, indem er mit der ihn auszeichnenden Gewissenhaftigkeit sozusagen die Probe auf seine Rechnung unternimmt. Wenn nämlich jene vier Bedingungen die logische Form der nationalökonomischen Probleme ausmachen, so müssen diese Probleme sich augenscheinlich mit den in jenem formalen Objekt enthaltenen Begriffen darstellen und lösen lassen (9; da jene allgemeinen und notwendigen Voraussetzungen aus der Anschauung des nationalökonomischen Problemstocks heraus bestimmt wurden, so muß man aus ihnen auf analytischem Weg die Begriffe gewinnen können, die wieder zu jenen inhaltlichen Problemen zurückleiten, ihrer Darstellung dienen. Diese "Grundbegriffe", deren spezifische Funktion demnach die Verknüpfung von Form und Inhalt der Wissenschaft bildet, müssen in AMONNs Fall, wie sich ohne Schwierigkeit ergibt, folgende sein:
    1. Subjekt und

    2. Objekt der sozialen Beziehung (diese folgend aus der 1. und 2. Bedingung),

    3. die quantitative Objektivation jener Beziehung (aus der 3. Bedingung) und

    4. ein sozial anerkanntes Wertmaß (aus der 4. Bedingung). (Seite 208)
Über die ersten beiden Punkte ist nicht viel zu sagen, wenn man sich einmal auf den Boden der AMONNschen Grundanschauung stellt. Wohl aber ist man gespannt, wie AMONN im Zusammenhang mit dem dritten Punkt die Werttheorie methodologisch beurteilen wird. Nun, wie zu erwarten, stellt er fest, daß von allen Wertbegriffen allein der objektive Tauschwert ein ursprüngliches Heimatsrecht in der Nationalökonomie hat; denn der subjektive Wert ist offenbar ein individualistischer Begriff. Das logisch Primäre in der Nationalökonomie ist zweifellos der objektive Tauschwert, der mit dem Preis identisch ist, und nur von einem Erklärungsbedürfnis für diese allein soziale Erscheinung hängt es ab, wie weit man den subjektiven Wert, diese rein individualistische, psychologische Kategorie, als sekundären Begriff, als Hilfsbegriff zu Rate zieht.
    "Erst wenn die Objektivation, die im Preis zum Ausdruck kommt, in ihrer Entstehung genetisch bis zu den einfachsten realen Elementen zurückverfolgt, d. h. kausal zu erklären sucht, dann stößt man auf ... die ursprüngliche subjektive Wertschätzung, die im subjektiven Wertbegriff zum Ausdruck gebracht ist." (Seite 366)

    "Hier geht die Nationalökonomie zum Zweck der vollständigen Auflösung eines ihr eigentümlichen Probles über ihre methodologischen Grenzen hinaus ... Hier liegt für die Nationalökonomie ein Grenzgebiet, in dem sie ihre letzten Grundlagen verankert und an das sie sich dann als eigene selbständige Wissenschaft mit neuen Voraussetzungen und Erkenntnisbedingungen anschließt." (Seite 367)
Dieser Vorgang sei in dem wohlbekannten Prinzip der Einheit allen Wissens begründet, das seinerseits aus dem Allzusammenhang des realen Seins notwendig folgt.

Mit Verlaub: Wie vermag die Nationalökonomie eine "eigene selbständige Wissenschaft" zu bleiben, da doch "ein ihr eigentümliches Problem" jenseits ihrer methodologischen Grenzen, d. h. von einer anderen Wissenschaft, "vollständig aufgelöst" wird? Wenn sie für ihren inneren Betrieb eine Antwort auf jenes Problem benötigt, ist dann ihr Geschick nicht auf Gnade und Ungnade an das jener anderen Disziplin gekettet? Wird nicht jede Umgestaltung jener andere Wissenschaft auch ihre Grundvesten mit Einsturz bedrohen? Wo bleibt da die "Selbständigkeit", wo die "neuen Erkenntnisbedingungen"? Oder aber, sie benötigt keine Antwort auf jene Frage: hat es dann einen Zweck, sie an jene unzuverlässige Nachbarin zu verweisen? Beruth nicht die Größe der Mechanik auf der  splendid isolation,  die es verschmäht, nach einer Erklärung des seinem Inhalt nach gewiß problematishn Energiebegriffs zu suchen, da ein solcher Erklärungsversuch notwendig die Selbständigkeit der Wissenschaft gefährden müßte? (10) Wenn er wirklich rein psychologisch ist, so darf der subjektive Wert zunächst einmal überhaupt nicht herangezogen werden, soll die Nationalökonomie autonom bleiben. Autonomie oder Bankrott - ein drittes gibt es hier nicht, und auch die Berufung auf die Einheit aller Wissenschaften nützt da gar nichts, gerade wenn man sich auf den Boden der AMONNschen Scheidung von Erkenntnisobjekt und Erfahrungsobjekt stellt. Einheitlich sind allerhöchstens die Erfahrungsobjekte der verschiedenen Wissenschaften, und Aufgabe eines modernen Methodologen kann es füglich nicht sein, diese platte Wahrheit zu betonen, die ja logisch ganz uninteressant ist. Daß man vielmehr vermöge der verschiedenen Gesichtspunkte, unter denen man AMONNs Erfahrungsobjekte - wir sprächen in der Tat lieber von einem "einheitlichen" Erfahrungsobjekt - betrachtet, grundverschiedene Erkenntnisobjekte für die verschiedenen Wissenschaften erhält, das ist es, worauf es ankommt (11).

Wer aber von der Einheit aller Wissenschaften dennoch nicht lassen will und demnach recht wohl Gedankengänge aus anderen Disziplinen zur Erklärung nationalökonomischer Probleme heranziehen möchte, der soll hören, wie wir noch mehr dagegen schwören. Noch anstößiger als ansich das Heranziehen einer fremden Wissenschaft ist die Tatsache, daß es zum Zweck der Erklärung eines Grundbegriffs geschieht. Grundbegriffe einer Wissenschaft sind, da aus dem formalen Objekt analytisch gewonnen, selbst rein formaler Natur in Bezug auf diese Wissenschaft, was natürlich nicht ausschließt, daß ihr Inhalt für andere Disziplinen problematisch ist. In der Wissenschaft, die sich ihrer für die Problemstellung bedient, müssen sie - auch und gerade in AMONNs Sinn - eben vor allen Problemen stehen, sie sind vorhanden, ohne daß ihre Herkunft uns etwas anginge, sie sind Daten des Systems, die wir kraft methodologischer Willkür an die Spitze des Gedankengangs stellen (12) - daß uns dabei empirische Beobachtungen, vielleicht gar sorgfältige Induktionen zur Wahl gerade dieser Annahme veranlassen, während wir doch rein formal genommen jeden beliebigen Satz hypostasieren [einem Gedanken gegenständliche Realität unterstellen - wp] können, ist für die Systematik der Wissenschaft, also methodologisch, ganz belanglos.
    "Erst bestimmte wechselnde Beziehungen der Grundbegriffe zueinander konstituieren dann die verschiedenen sachlichen Probleme" (Seite 204),
bemerkt AMONN bei der prinzipiellen Erörterung über die methodologische Bedeutung von Grundbegriffen. Für die mit seiner Hilfe darzustellende Wissenschaft darf der Grundbegriff unmöglich etwas Problematisches enthalten, die Begriffe  Grundbegriff  und  Problem  schließen sich geradezu aus, genau wie die ihnen zukommenden Attribute  formal  und  inhaltlich.  Daher geht es nicht an, die Differenz zwischen AMONNs und unserer Auffassung dadurch auszugleichen, daß man im Interesse der Autonomie der Nationalökonomie einfach auf die "vollständige Auflösung" des Grundbegriffs  objektiver Tauschwert  verzichtet, da diese in die Psychologie führen würde; sondern die Differenz spitzt sich nunmehr zu der ganz konkreten Frage zu: Besteht innerhalb der Nationalökonomie ein Erklärungsbedürfnis für den objektiven Tauschwert oder nicht? Wäre dies nämlich der Fall, so könnte der objektive Tauschwert kein formaler Begriff sein, da wir uns mit seinem Inhalt befassen müßten; er könnte kein Grundbegriff sein, da er ein Problem wäre; der Objektbegriff, dem er entstammt, würden den Problemen, die den Inhalt der Wissenschaft ausmachen, nicht entsprechen und wäre demnach abzulehnen.

Die Antwort auf jene Frage ist leicht zu geben. Nicht nur besteht in der Nationalökonomie ein Bedürfnis nach einer Erklärung des objektiven Tauschwerts. Sondern zufolge der übereinstimmenden Ansicht aller Theoretiker mit Einschluß AMONNs ist der Preis - der ja mit dem objektiven Tauschwert identisch ist - geradezu das Problem der Nationalökonomie. Man stelle sich doch einen Augenblick vor wie die Nationalökonomie aussähe, wenn AMONN Recht hätte. Sie hätte auszugehen von einer Reihe gegebener Subjekte der Verkehrsbeziehungen, diese tauschten eine Reihe von gegebenen Objekten untereinander aus, und zwar in gegebenen Tauschrelationen unter der Zugrundlegung eines gegebenen Maßstabes für diese Relationen. Man beachte, daß wir nicht übertreiben, sondern lediglich AMONNs Gedanken zu Ende denken. Gerade wie SCHUMPETER, der den subjektiven Wert zum Ausgangspunkt nimmt, auf dessen psychologische Wurzeln nicht eingeht, sondern sich begnügt, seine Größe bei den gegebenen Subjekten für die gegebenen Güter als gegeben anzunehmen, da eben an diesem "Grundbegriff" nichts zu erklären ist - gerade wie AMONN selbst, wenn man ihn um eine "vollständige Auflösung" seines Grundbegriffs  Verkehrssubjekt  angehen würde, nur antworten könnte, daß es die Nationalökonomie nicht kümmert, welche Personen Verkehrssubjekt sind und aus welchem Grund - gerade so hätte die von ihm definierte Wissenschaft auf jede Ableitung der Preise für Waren, für Arbeitsleistungen, für Bodennutzungen, für Gelddarlehen zu verzichten, hätte diese Preise einfach zur Kenntnis zu nehmen.

Die Probe auf AMONNs Rechnung stimmt also nicht, entgegen dem Eindruck, den er mit seiner - freilich im Mund eines so scharfsinnigen Methodologen von vornherein verdächtigen - Einführung der "Hilfswissenschaft" und des Prinzips der Einheit aller Wissenschaften zu erwecken bestrebt ist. Die Nationalökonomie ist keine Sozialwissenschaft im methodologischen Sinn, denn sonst setzt sie die Lösung ihres Problems voraus - wenigstens wenn man mit AMONN der Meinung ist, daß
    1. der "Grundbegriff" objektiver Tauschwert auf dem Preisphänomen beruth, das doch nun einmal das nationalökonomische Problem bildet, und daß

    2. die Analyse dieses objektiven Tauschwertes zu einem psychologischen subjektiven Wertbegriff führt.
Nun kann man bekanntlich auch anderer Ansicht sein, wie heute nolch das Beispiel der Marxisten zeigt. Nach der MARXschen Lehre setzt sich der Wert einer Ware ganz unabhängig von irgendwelchen subjektiven Schätzungen "hinter dem Rücken der Produzenten" fest und zwar nach einem individuell gar nicht erkennbaren Maßstab, der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit; dieser objektive Tauschwert ist also ganz und gar frei von subjektiven Elementen. Und ferner ist hier der Preis nicht mit dem objektiven Tauschwert identisch, sondern beruth auf einer Kombination von Elementen dieses Wertes und anderen gesellschaftlichen Elementen (13). Hier also hätte es einen Sinn, den Preis als das Problem der Nationalökonomie zu bezeichnen, und dennoch den Tauschwert - besser natürlich die gesellschaftliche Arbeit - als Grundbegriff anzusprechen. AMONNs ganzer Gedankengang scheint diesem Ziel zuzustreben, und es ist äußerst enttäuschend, ihn im entscheidenden Moment von dem klar vorgezeichneten Weg abbiegen zu sehen. Wäre AMONN objektiver Werttheoretiker, seine Lehre wäre von vollkommener Konsequenz, und es ist durchaus anzunehmen, daß sie - natürlich mit Ausnahme jener Schwenkung ins Lager der subjektiven Wertlehre - bei den Objektivisten eine rückhaltlose Zustimmung findet. Dahingegen ist sie für alle subjektivistischen Richtungen gänzlich unannehmbar (14). Für diese ist die theoretische Nationalökonomie keine Sozialwissenschaft in einem methodologischen Sinn, denn sie benötigt, trotz AMONN, die individualen Begriffe für ihren eigentlichsten Betrieb.

Ist es nötig, die Ausführlichkeit und Weitschweifigkeit unserer Ausführungen gegen AMONN zu rechtfertigen? Wir hoffen, daß der Leser diese Rechtfertigung schon in den Ausführungen selbst gefunden hat. Wollten wir doch nicht lediglich ein Buch kritisieren, sondern kam es uns doch darauf an, durch eine fortwährende Kontrastierung mit AMONNs sozialem Standpunkt unsere individualistische Auffassung genau zu präzisieren und sie durch die umfassende Auseinandersetzung mit dem fortgeschrittensten Methodologen kritisch zu sichern.

Zu sichern freilich nur gegen einen Vertreter der subjektiven Wertlehre, dem wir nachzuweisen uns bemühten, daß diese seine materiale Auffassung und jene seine formale Lehre - wir möchten sie aus Symmetriegrunden den methodologischen Sozialismus nennen - miteinander unvereinbar sind. Damit ist immerhin etwas erreicht, nämlich die Feststellung, daß die subjektive Wertlehre notwendig auf einer individualistischen Methode ruhen muß - es klingt beinahe zu banal, um es auszusprechen (15). Es ist aber ersichtlich, daß wir, solange der Kampf zwischen der objektiven und der subjektiven Wertlehre nicht endgültig entschieden ist, d. h. solange nicht eine von beiden verschwindet, am wenigsten in einer methodologischen Untersuchung die eine oder die andere als berechtigt annehmen dürfen. Auch nach unserer Auseinandersetzung mit AMONN ist die Frage offen, ob denn, wie die subjektive Wertlehre an die individualistische Methode, so auch die objektive Wertlehre prinzipiell an die sozialistische Methode gebunden ist, da OPPENHEIMERs so überaus eingehend motiviert und kunstvoll konstruierte Wertlehre dem widerstreitet. Und dann bleibt, angesichts dieser engen Verknüpfung zwischen dem Wertproblem und der Methodik, noch die weit wichtigere Frage zu erörtern, ob nicht am Ende der methodologische Gesichtspunkt einen ganz wesentlichen Beitrag zur Wertdiskussion selbst zu liefern vermag - eine Erörterung, die ganz ungezwungen aus der Diskussion der OPPENHEIMERschen Wertlehre hevorwachsen wird. Uns erscheint der Wert, wenn wir dies vorweg und ohne Begründung (16) aussprechen dürfen, überhaupt ansich als ein rein formales Problem, das also nur unter einem methodologischen Gesichtspunkt lösbar ist.

Wenn wir uns nun also zu OPPENHEIMERs Wertlehre wenden, so ist die Richtung unseres Vorgehens von vornherein insofern bestimmt, als wir die methodologische Grundlage dieser Theorie prüfen müssen. Der Grundbegriff dieser Theorie ist ein eigentümlich erdachter Kostenbegriff. Als kostend wird jede Energieausgabe empfunden, soweit sie nicht im Dienst des Entspannungstriebes (Sexualtrieb, Spieltrieb usw.) vor sich geht; zunächst also kostet ein Mittel der Bedürfnisbefriedigung, wenn und soweit seine Beschaffung eine Verausgabung von Energie erfordert. Dann aber übrträgt sich diese Kennzeichnung auch auf solche Güter, die ihrerseits durch eine Hingabe von kostenden, also unter Energieverlust beschafften Gütern erworben werden (17).

Nur der Vollständigkeit halber will ich feststellen, daß OPPENHEIMERs Kostenbegriff, den wir als entscheidend für seine Wertlehre - wie auch später für seine Objektdefinition (18) - ansehen dürfen, überhaupt kein ökonomischer Begriff ist. Nun wissen wir wohl, daß OPPENHEIMER selbst dies nicht nur nicht bestreiten, sondern vermutlich als einen Vorteil ansehen würde, zumindest zeigt er, der ja von der Naturwissenschaft herübergekommen ist, allerorten das Bestreben, "die Pfeiler der Untersuchung auf den Felsboden der Biologie zu gründen", wie er es einmal nennt. Demgegenüber müssen wir betonen, daß die Biologie für uns alles anderes als einen Felsboden darstellt; wir brauchen das nach unserem Hinweis auf SCHUMPETER wohl kaum zu begründen. Und wie nun, wenn die Biologie, wie uns von naturwissenschaftlicher Seite versichert wurde, die Scheidung von Energieausgabe, die als Last empfunden wird und demnach die Quelle der Kosten ist, und einer solchen Energieausgabe, die im Dienst des Entspannungstriebes erfolgt und demnach Lustempfindungen weckt, nicht anerkennt? Hier ist deutlich, daß die Heranziehung fremder Hilfswissenschaften nicht zu rechtfertigen ist; auch OPPENHEIMER wird die Biologen nicht gern zu Richtern über sein System setzen.

Dies ist nun sicherlich ein schwerwiegender Einwand, aber ebenso sicher keine Widerlegung. Denn hier handelt es sich um etwas ganz anderes als vorhin bei AMONN in dem scheinbar analogen Fall des subjektiven Werts. Dort würde das nationalökonomische Problem selbst durch die Psychologie gelöst werden, wenn AMONNs Auffassung richtig wäre, und dies war uns der Grund zur Ablehnung dieser Auffassung. Hier aber handelt es sich um einen echten Grundbegriff - AMONN hielt ja den objektiven Tauschwert nur fälschlich für einen Grundbegriff - und dieser, der natürlich an den Grenzmarken unserer Disziplin steht, wird in einer anderen Disziplin definiert. Daher werden wir zwar konstatieren, daß die Definition dieses Grundbegriffs formal höchst anfechtbar ist - gerade wie es in der älteren Grenznutzenlehre die Definition des Wertes war, die auch möglichst tief in die Psychologie hinabzusteigen versuchte. Aber wir werden uns gleichzeitig erinnern, daß der ökonomische Inhalt des ursprünglich so inkorrekt formulierten Wertbegriffs sich sehr brauchbar gezeigt hat; so kann auch die ökonomische Bedeutung des biologisch fundierten Kostenbegriffs bei OPPENHEIMER ein wirksames Instrument zur Darstellung und Behandlung der nationalökonomischen Probleme sein; und diesen ökonomischen Inhalt herauszuschälen ist nun also unsere Aufgabe. Zweifellos gibt es nämlich im Wirtschaftsleben ein Phänomen, das Anlaß zu OPPENHEIMERs Kostenvorstellung gibt, eben das, was wir populär als Kosten bezeichnen und was vermutlich irgendeinen Zusammenhang mit dem populären Wertphänomen hat. Bei OPPENHEIMER - und in jeder Arbeits- und Kostenwerttheorie - ist der Zusammenhang der, daß der Wert auf den Kosten beruth. Gerade die originelle Verarbeitung dieses alten Motivs bei OPPENHEIMER zwingt uns zu einer eigenen Betrachtung seiner Wertlehre, in der, wie gesagt, sein Kostenbegriff sich sozusagen ökonomisch auslebt.

OPPENHEIMER unterscheidet zwei verschiedene, in ganz bestimmter Weise zu kombinierende Arten des Wertes, den subjektiven Verwendungswert und den objektiven Beschaffungswert. Ersterer, der sich durchaus mit dem Wert der Grenznutzenschule deckt, gilt zunächst nur für die Wertung eines bereits vorhandenen, der Verwendung harrenden Gütervorrats, er versagt aber, wo, wie das heutzutage stets der Fall ist, das Individuum einem Markt Güter entnehmen muß; denn hier hat man es nicht nur mit der Brauchbarkeit des Gutes für die Bedürfnisbefriedigung, mit dem subjektiven Verwendungswert, zu tun, sondern hier hängt der Wert von den Beschaffungskosten ab; diese aber sind eine vom Standpunkt des Individuums gesehen, eine objektiv gegebene Tatsache, und somit unerklärlich für die subjektive Wertlehre (19). Dem subjektiven Verwendungswert, dessen Quelle die Nützlichkeit des Gutes für das Subjekt ist, müsse man daher einen objektiven Beschaffungswert gegenüberstellen, dessen Quelle die objektiv gegebenen Beschaffungskosten darstellen.
    "Jedes beschaffte Gut kostet den Wirtschaftsmenschen einen bestimmten Güteraufwand an Körperenergie. Daher trägt jedes Gut, nur für ihn, aber für ihn deutlich erkennbar, die Preisauszeichnung seines inneren geheimen Kalkulationsbüros an sich", seinen Beschaffungswert (Seite 335)
Wird das Gut nicht im Konsum, sondern zu weiterer Beschaffung verwendet, so überträgt sich sein Wert auf das neu beschaffte Gut.
    "Die subjektive Kostenempfindung und die Wertempfindung sind schlechthin identisch, der Wert ist nichts anderes als die Objektivierung der subjektiven Kostenempfindung nach außen, ihre Projektion auf ein Objekt der Außenwelt." (Seite 335)
Selbstredend müssen wir zunächst darauf hinweisen, daß jener Wertdualismus auf Merkmalen biologischer Art beruth - Nützlichkeit und Kosten. Der Unterscheidung liegen also jedenfalls Tatsachen außerökonomischer Art zugrunde, prinzipiell nicht anders, als sich etwa Automobile und Stahlfedern in mancherlei außerökonomischer Beziehung unterscheiden, was sie aber nicht verhindert, sich ökonomisch durchaus gleichmäßig zu verhalten. Auch wenn daher die Unterscheidung zwischen Nutzen und Kosten zu Recht besteht, so wäre damit noch nicht bewiesen, daß sich der auf dem Nutzen beruhende Wert von dem auf den Kosten beruhenden Wert auch ökonomisch unterscheidet; wenn man dann nämlich sagt, der letztere sei im Unterschied von ersterem objektiv gegeben und müsse daher eine besondere Kategorie bilden, so ist das wieder kein Beweis, sondern eben die zu beweisende Behauptung.

Was heißt den objektiv gegeben? Offenbar: ohne Zutun des Subjekts, unabhängig von seinem Willen vorhanden, dem Objekt anhaftend und darum gleichmäßig für alle Subjekte gültig. Eine Eisenbahnfahrt kostet 20 Mark; dann hat jeder, der dieses Gut erwerben will, diese gleichen Kosten zu erlegen, sie sind objektiv gegeben. Hat wirklich jeder, der Reiche und der Arme, die gleichen Kosten zu tragen? Oder ist es vielleicht etwas ganz anderes, wenn ein stellungsloser Proletarier 20 Mark zahlen soll, als wenn das einem Finanzkönig begegnet? Als subjektiver Verwendungswert und objektiver Beschaffungswert aufgrund von physiologischen Merkmalen unterschieden wurden, da mußten wir darauf hinweisen, daß sie dennoch ökonomisch durchaus gleichartig sein können. Umgekehrt hier: Physisch genommen gleicht ein 20-Mark-Stück dem andern, aber ökonomisch ist es ein anderes in der Hand des Arbeitslosen, ein anderes in der Hand des Großfinanziers. Jenem leistet die Gelddecke kümmerlich die Notdurft, diesem reicht sie bis tief in die Regionen des geringsten Wertes hinab. So gewiß die Kosten demnach objektiv gegeben erscheinen, so gewiß können sie durch eine einfache Analyse auf den subjektiven Wert zurückgeführt werden. Wir brauchen dazu nur durch den Geldschleier hindurchzublicken und den Grenzwert des 20-Mark-Stücks festzustellen, der offenbar in den beiden Fällen so verschieden hoch ist, daß man von gleichen Kosten schlechthin nicht mehr sprechen kann.

Aber besteht den nicht noch ein Unterschied? Die Kosten sind doch in dem Sinne objektiv, daß das Subjekt sie bei gegebener Marktlage nicht zu ändern vermag. Das trifft sicherlich zu; nur wäre es ein Irrtum zu glauben, daß etwa die Höhe des subjektiven Verwendungswertes von der Willkür des Subjekts abhängt. Dem Menschen steht in jedem Augenblick seine physische und psychische Anlage durchaus objektiv gegenüber. Diese Anlage, und nicht seine Willkür, bestimmt, daß, wenn er wenig Geld hat, der Grenznutzen des Geldes für ihn hoch ist; er kann seine Wertfunktionen für die einzelnen Güterarten in keiner Weise beeinflussen; sie sind ihm in dem hier besprochenen Sinn objektiv gegeben. Gewiß zwingt ihm der objektive Beschaffungswert der begehrten Güter ein ganz bestimmtes wirtschaftliches Verhalten auf; aber das gilt nicht minder für ihren subjektiven Verwendungswert; denn er würde ja nicht nur unwirtschaftlich, sondern geradezu verrückt (20) handeln, wenn er sich nicht nach dem subjektiven Wert der Güter einrichten würde, und ändern kann er ihn auch nicht. Es besteht also nach keiner Richtung ein ökonomischer Unterschied zwischen dem subjektiven Verwendungswert und dem objektiven Beschaffungswert: vielmehr sind objektiv, d. h. physisch, gleiche Beschaffungskosten von verschiedenem subjektiven Wert und andererseits ist der subjektive Verwendungswert dem Subjekt genau so objektiv, d. h. selbständig, gegeben wie die Beschaffungskosten.

Soll nun damit gesagt werden, daß OPPENHEIMERs Lehre "falsch" ist? Gewiß nicht; sie ist sogar unbestreitbar richtig, wie ja schon daraus hervorgeht, daß sie in wichtigen Resultaten mit der eigentlichen Werttheorie zusammentrifft (21). Aber sie braucht, wie jede Kostentheorie, zwei Hypothesen, Nützlichkeit und Kosten, wo die Wertlehre mit einer einzigen auskommt, nämlich der Wertfunktion. Wenn es nun gelingt zu zeigen, daß die beiden Hypothesen jener Arbeitstheorie, weiter zurückverfolgt, auf eine hinauslaufen, und zwar auf die der Werttheorie, so ist damit diese Kostentheorie überhaupt auf die Werttheorie zurückgeführt. Diesen Nachweis haben wir eben zu erbringen versucht, und daß er wirklich gar keine Schwierigkeiten bietet, sei an einem Beispiel dargelegt, mit dem OPPENHEIMER die Unzulänglichkeit der Werttheorie nachweisen will (Seite 333). Ein reicher Mann steht vor der Wahl, ob er ein Landschloß oder eine seegängige Dampfjacht kaufen soll, und entscheidet sich für das Landschloß, findet aber, wie es wörtlich weiter heißt,
    "daß nunmehr seine Decke für die Beschaffung und Verwaltung der Dampfjacht zu kurz geworden ist. Er hat subjektiv nach dem Grenzwert für das Landschloß entschieden; aber nun zwingt sich ihm objektiv nach dem Beschaffungswewrt eine bestimmte Gliederung seines Gesamtbedarfs auf, der die Jacht ausschließt. Wir sehen, die beiden Werte, der subjektive und der objektive, wirken beide gemeinschaftlich als Maßstab der Personalwirtschaft."
Darauf wäre in psychologischer Sprache folgendes zu erwidern: das nachgefragte Landschloß bietet offenbar einen höheren Wert als die Jacht; sonst würde es nicht gekauft werden. Einen geringeren Wert als beide hat das angebotene Geld; ein armer Mann, für den das Geld einen hohen Grenzwert hat, kommt nicht darauf, sich eine Jacht oder ein Schloß zu kaufen. Es wird also das höherwertige Schloß gegen das geringerwertige Geld eingetauscht; dadurch aber steigt der Grenznutzen des Geldes, von dem ja jetzt viel weniger vorhanden ist; und wenn er sich nicht außerdem noch die Jacht kauft, so offenbar deshalb, weil der durch den Schloßkauf emporgeschnellte Grenznutzen der in Rede stehenden Geldsumme jetzt über demjenigen der nachgefragten Jacht steht. Der ganze Unterschied ist der, daß wir nicht, wie OPPENHEIMER, von einem Aufwand, von den Kosten schlechthin sprechen, sondern von deren Wert. Denn die Kosten eines Gutes sind nichts weiter als der Wert der dafür hinzugebenden Güter. Wer die Grundlagen der Werttheorie kennt, der weiß, daß der Wert des Kaufgutes aus seiner Nachfragefunktion abgelesen wird, die mit der allgemeinen Wertkurve übereinstimmt, der Wert des Kostengutes aus seiner Angebotsfunktion; weil ein Ding Wert hat, darum wird es, angeboten, zu Kosten. Der Kostenbegriff ist nicht ein gegebener, unabhängiger, sondern nur eine Anwendung des Wertbegriffs. Umgekehrt ist die Sache bei OPPENHEIMER. Hier hat ein Ding Wert, weil es - aus einem biologischen Grund - kostet. Und neben diesem Kostenwert steht dann doch wieder der ökonomische Wert im Sinne der Grenznutzenschule: der subjektive Verwendungswert. Ist dieser Dualismus ansich schon bedenklich, so schlagen meines Erachtens die Bedenken durch, wenn der ökonomische Inhalt jenes physiologischen Kostenbegriffs sich als eine Ableitung aus dem ökonomischen Wertbegriff herausstellt. Und das hat erin der Tat getan: die Angebotsfunktion, die ja nur eine besondere Wertkurve ist, leistet, wie wir am Beispiel vom Landschloß und der Jacht sahen, alles, was ein eigener Kostenbegriff zu leisten vermag, und weit mehr als dieser. Die Harmonie der OPPENHEIMERschen Wertlehre mit der Grenznutzenlehre kann man kurz so ausdrücken: der subjektive Verwendungswert eines Gutes folgt aus seiner Nachfragefunktion, sein objektiver Beschaffungswert aus der Angebotskurve seiner Beschaffungsgüter.

Wie aber ist es zu erklären, daß sich diese Kostenlehre so mühelos in die eigentliche Werttheorie auflösen läßt, da dieser Vorgang doch bei RICARDO und MARX prinzipiell unmöglich ist? Die Antwort auf diese Frage ist leicht gefunden, wenn wir die Gegensätzlichkeit der Ausgangspunkte bei MARX als dem konsequentesten Verfechter des objektiven Wertes einerseits, bei OPPENHEIMER andererseits ins Auge fassen. Bei MARX entsteht der Wert nicht nur ohne Zutun des einzelnen Wirtschaftssubjekts, sondern auch ohne sein Wissen; denn die Größe der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit kann der einzelne weder beeinflussen (22), noch auch nur feststellen. Die Bezeichung "objektiv" ist für diese Werttheorie sehr wenig charakteristisch; mit dem Objekt hat dieser Wert gar nichts zu tun, da er durch einen gesellschaftlichen Vorgang festgesetzt wird; die Bezeichnung "sozial" wäre ungleich zutreffender. Und wäre dieser Name im Gebrauch, so würde OPPENHEIMER ohne weiteres zugeben müssen, daß es ein Irrtum ist, wenn er prinzipiell auf dem gleichen Boden zu stehen glaubt wie MARX; denn es ist klar, daß ein Wert, den das "innere geheime Kalkulationsbüro" jedes Wirtschaftsmenschen genau anzeigt, weil er auf dem Müheaufwand dieses Menschen beruth, kein sozialer Wert ist. Das einzige, was diese beiden heterogenen Wertlehren gemeinsam haben, ist, daß in beiden dasselbe Objekt für verschiedene Subjekte den gleichen Wert hat - darum hält OPPENHEIMER seine Theorie für eine objektivistische. OPPENHEIMERs Wert ist vielmehr, genau wie derjenige der eigentlichen Wertlehre, ein rein individualer, und der ganze Unterschied ist der, daß OPPENHEIMER gleiche Werte zu sehen glaubt, wo die Kosten äußerlich gleich sind, während die Wertlehre, in einer konsequenteren Verfolgung ihres methodologischen Individualismus, auch diese gleichen Kosten in ungleiche Werte auflöst. Wir sagen: dies ist konsequenter; denn wenn man, wie OPPENHEIMER, von einem "inneren geheimen Kalkulationsbüro" des einzelnen Individuums ausgeht, so darf man nicht davor zurückschrecken, zwei äußerlich gleichen 20-Mark-Stücken die ihnen in zwei verschiedenen Kalkulationsbüros zukommenden verschiedenen Wertbezeichnungen auch wirklich aufnotieren zu lassen. OPPENHEIMERs Wert- und Kostenbegriff läßt die wahrhaft überwältigende Größe der MARXschen Wertidee vermissen; er ist offensichtlich von dem Bestreben eingegeben, die metaphysischen Gefahren dieses rein sozialen Werts zu vermeiden und den Boden reiner Empirie nicht zu verlassen. Was Wunder, daß diese angebliche Kostenlehre nichts anderes ist als eine verkappte Werttheorie! Ein objektivistisches System auf individualistischer Basis ist eine methodologische Unmöglichkeit (23).

Ist es nicht schon von vornherein verdächtig, daß OPPENHEIMER, dieser vermeintliche Objektivist, sich in einen so schroffen Gegensatz zu AMONNs Versuch stellt, die Nationalökonomie auf sozialistischer Basis zu gründen? Sahen wir nicht, daß den eigentlichen Objektivisten jener Versuch als die Verwirklichung ihrer methodologischen Forderung erscheinen müßte? Daran halten wir auch jetzt fest und wiederholen die schon oben gemachte Bemerkung, daß in unserer Wissenschaft also für die verschiedenen sachlichen Problemlösungen verschiedene logische Voraussetzungen notwendig sind - ein Vorgang, der sich nicht leicht in einer anderen Disziplin wiederholen wird und der der Nationalökonomie keineswegs zum Ruhm gereicht. Nichts ist ja klarer, als daß es eine sachliche Diskussion gar nicht geben kann, wenn die beiden Richtungen, die jede die Nationalökonomie zu verkörpern beanspruchen, sich nicht einmal über die Prinzipien der Untersuchung einig sind; daß die Gegner notwendig aneinander vorbeifechten, wenn sie nicht auf demselben Kampfboden stehen (24). So erklärt sich die nicht genug zu beklagende Tatsache, daß man so oft von einer gesonderten marxistischen Wissenschaft sprechen hört; es ist in der Tat eine ganz andersartige, durchaus heteronome Disziplin, verglichen mit dem auf einem individualen Wertbegriff fundierten System. Eine Verständigung kann es natürlich da gar nicht geben; die Einheit unserer Wissenschaft wird nicht eher hergestellt sein, als bis die eine oder die andere der beiden Richtungen kapituliert hat. Dennoch geht es nicht an, diese Tatsachen nur zur Kenntnis zu nehmen und so die Existenz zweier formal und inhaltlich heterogener Nationalökonomien mit heterologen Erkenntnisbedingungen und - deren Folge - grundverschiedenen Problemlösungen anzuerkennen. Vielmehr muß, wem die formale Einheit unserer Wissenschaft am Herzen liegt, zweifellos versuchen, die eine oder andere der widerstreitenden Richtungen als ausschließlich berechtigt zu erweisen. Daher sind wir nun zum dritten Mal genötigt, uns, zur Klärung des formalen Problems, mit dem vornehmsten sachlichen Problem unserer Wissenschaft zu befassen (25).

Das Hauptproblem der MARXschen Werttheorie ist ihre Beziehung zur Preistheorie. Zwar ist auch formal gegen ihre Ableitung mancherlei einzuwenden und tatsächlich eingewendet worden, doch ist offenbar wenig gewonnen, wenn man, wie es oft geschehen ist, den Beweis zu erbringen versucht, daß in diesem oder jenem Detail ein Fehler stecken muß (26); denn damit ist allerhöchstens die Notwendigkeit einer Korrektur aufgezeigt, die Theorie als ganzes aber nach wie vor aufrecht; diese widerlegt man nur, wenn man ihre Grundprinzipien als unhaltbar dartun kann. Diese Grundlage nun weicht, wie wir schon mehrfach hervorhoben, zweifellos von der heute in unserer Wissenschaft üblichen weit ab. Man hat ihr oft vorgeworfen, sie sei reine Metaphysik, und man wird in dieser Auffassung nicht gerade erschüttert, wenn man etwa bei HILFERDING (a. a. O., Seite 21) liest, die Gesellschaft allein sei der große Rechenmeister, der die Preise auszurechnen fähig ist. Denn unwillkürlich vervollständigt man diesen Gedanken dahein, daß die simplen Sterblichen also von den Wertungsvorgängen keine Ahnung haben können und nur die Marxisten begnadet sind, das Gesetz zu erkennen, nach dem diese Normierung vor sich geht. Aber glücklicherweise hat man hüben und drüben noch die Möglichkeit, andere als solche nicht gerade sehr überzeugende Argumente zutage zu fördern. Denn wenn die Wertlehre empirisch zu halten ist, so kann sie auch ihre Berechtigung  in concreto  erweisen: es muß sich auf ihr die Preislehre aufbauen lassen, und eben das ist es, was die Marxistenz behaupten, die Gegner bestreiten. In dem prächtigen Duell BÖHM-HILFERDING hat der Marxismus jedenfalls mit Bezug auf diesen Punkt recht gut abgeschnitten; denn so überaus schwer es sein mag, in den hundert Einzelheiten dieser oft Haare spaltenden Diskussion Recht und Unrecht zu erkennen, so ist doch mindestens klar, daß HILFERDING durch die Anbringung einer notwendigen Korrektur an BÖHMs Tabellen seinem Gegner die wuchtigste Waffe aus der Hand geschlagen hat (Seite 46). Und beide Gegner kommen darin überein, daß der Gesamtwert der Waren den Gesamtmehrwert, dieser die gesamte Profitmasse, diese den Durchschnittsprofit und schließlich dieser in Verbindung mit dem Wert der Ware ihren endgültigen Preis bestimmt; freilich will BÖHM-BAWERK überall außer dem Einfluß des Wertes auch noch einen solchen der Löhne feststellen, womit er eben nicht viel Glück zu haben scheint. Für uns ist aber entscheidend, daß man kaum behaupten kann, der Streit umd die Durchschnittsprofitrate sei nun in dem einen oder anderen Sinn erledigt, wenn er auch in letzter Zeit geruht zu haben scheint; eher könnte man sagen, daß alles beim Alten geblieben ist, da jeder auf seinem Scheint steht, ohne den anderen von seinem Recht zu überzeugen. Wir werden also die ganze bisherige Diskussion beiseite lassen (27) und auf einem eigenen Weg die Lösung der Frage suchen.

Die Schwierigkeit in der Lehre von der Durchschnittsprofitrate liegt bekanntlich in der Frage nach dem Mechanismus, der den Ausgleich der verschieden hohen Mehrwertraten zu einer allgemein herrschenden Profitrate bewirkt. Strömt vom überdurchschnittlichen Mehrwert, der in einer Sphäre mit unterdurchschnittlicher Zusammensetzung des Kapitals produziert wurde, ein Teil aus der Tasche des Unternehmers dieser Sphäre, dem er doch zunächst zufällt, fort und fließt er einem Unternehmer einer höher zusammengesetzten, daher ansich geringeren Mehrwert produzierenden Sphäre zu? (28) Und wie könnte das geschehen? Oder ist der Ausgleichsprozeß anders zu verstehen?

Zur Beantwortung dieser Fragen halten auch wir uns, wie dies alle unsere Vorgänger taten, an die berühmten Sätze:
    "Werden die Waren ... zu ihren Werten verkauft, so entstehen ... sehr verschiedene Profitraten in den verschiedenen Produktionssphären ... Das Kapital entzieht sich aber einer Sphäre mit niedriger Profitrate und wirft sich auf die andere, die höheren Profit abwirft. Durch diese beständige Ein- und Auswanderung, mit einem Wort, durch seine Verteilung zwischen den verschiedenen Sphären, je nachdem dort die Profitrate sinkt, hier steigt, bewirkt es ein solches Verhältnis der Zufuhr zur Nachfrage, daß der Durchschnittsprofit in den verschiedenen Produktionssphären derselbe wird und die Werte sich in Produktionspreise verwandeln." (29)
Aufgrund dieser Sätze kann man den Ausgleich der Mehrwertraten wohl folgendermaßen darstellen: damit, daß ein Mehrwert produziert wird, ist noch keineswegs gesagt, daß er auch realisiert, d. h. vom Kapitalisten eingenommen wird. Eine Ware kann ja auf kapitalistische Weise erzeugt sein, mit nicht mehr Arbeit, als gesellschaftlich nötig; dann hat sie sicher - vermöge der ihr inkorporierten Arbeit - Wert, und ebenso sicher - vermöge der kapitalistischen Ausbeutung - Mehrwert; stockt aber der Absatz, z. B. wegen einer Überfüllung des Marktes, so muß sie weit unter ihrem Wert verkauft werden, vielleicht soweit, daß der Mehrwert ganz entfällt und noch ein Teil des vorgeschossenen Kapitals unreproduziert bleibt. Der momentane Preis einer Ware bildet sich eben ganz ohne Rücksicht auf den Wert der Ware; jener bestimmt sich lediglich nach einem ganz heterogenen Grund, der Arbeit. Genauso bewirkt das Eingreifen der von MARX allerdings ziemlich stiefmütterlich behandelten Konkurrenz eine solche Preisgestaltung, daß die mit überdurchschnittlichem Mehrwert produzierte Ware dauernd unter ihrem Wert, die mit unterdurchschnittlichem Mehrwert produzierte Ware dauernd über ihrem Wert verkauft wird. Sei z. B. in der Sphäre I der in den Warenwert eingehende konstante Kapitalwert  4,  der variable  6,  die Ausbeutung 100 Prozent und daher der Mehrwert  6  und der Warenwert  16;  in Sphäre II bei gleicher Ausbeutung der konstante Kapitalwert  6,  der variable  4,  daher der Mehrwert ebenfalls  4  und der Warenwert  14,  so ist hiermit über die Preise der Waren noch gar nichts gesagt, weil diese nicht vom Wert, sondern von der Marktgestaltung abhängen. Nehmen wir aber mit MARX an, die Waren verkaufen sich zunächst zu ihren Werten, die Preise seien also  16  bzw.  14.  Dann hat Unternehmer I einen Profit von 60%, Unternehmer II einen solchen von 40% - ein Zustand, der auf die Dauer nicht bestehen kann (30). Denn alles neugebildete Kapital strömt nun in die lukrativere Sphäre I und drückt dort den Preis, der sich ja bei gleichem Bedarf umgekehrt bewegt wie die Zufuhr, auf  15  herab. Ähnlich strömt - theoretisch ist dies ja möglich - aus der Sphäre II Kapital fort, der Preis steigt auf  15.  Beide Preise werden auf  15  bleiben, da nun für neues Kapital kein Grund besteht, die eine oder die andere Sphäre zu bevorzugen. Die Mehrwertraten 40% und 60% haben sich zu Profitraten von 50% "ausgeglichen".

Man sieht, daß in dieser Erklärung kein Raum bleibt für die Auffassung, daß die überdurchschnittlichen Teile der in den tieferen Sphären produzierten Mehrwerte aus diesen Sphären in die höher zusammengesetzten Sphären hinüberströmen, um dort den Profit auf eine durchschnittliche Höhe zu heben - eine Auffassung, die bei wörtlicher Auslegung des MARXschen Ausdrucks "Ausgleich" wohl nahe genug läge. Dieser Ausdruck dürfte - wie so oft bei MARX - eher bildlich zu verstehen sein. Mehrwert kann gar nicht strömen, denn er wird, so wie der Wert überhaupt, nicht sichtbar; er ist der Ware untrennbar einverleibt und kann keine Teil an eine andere Sphäre abgeben; er ist eine Rechengröße, keine Geldsumme. Der Ausgleich der Profite vollzieht sich vielmehr dadurch, daß die Konkurrenz, durch geeignete Beeinflussung des Angebots, in den niedrigeren Sphären dauernd den Preis der Ware unter ihrem Wert hält, in den höheren Sphären dauernd über den Wert hebt. Man darf sich also durch den Ausdruck "Ausgleich" nicht zu dem Glauben verleiten lassen, der jener von uns aufgelösten Frage zugrunde lag: daß nämlich das Plus des Profits II gegenüber dem Mehrwert II identisch ist mit dem Minus des Profits I gegenüber dem Mehrwert I; was dort dem Wert zugeschlagen wird, ist zwar gerade gleich groß mit dem Abzug vom Wert hier, aber es ist nicht die identische, sondern eben nur eine gleich große Menge an Wert. Es kann keine Rede davon sein, daß ein in Sphäre I produziertes Wertquantum in Sphäre II realisiert wird; sondern es fällt ganz einfach, infolge der Marktgestaltung, ein Quantum des in I produzierten Wertes unter den Tisch, kann dauernd nicht realisiert werden; und ebenso hebt die Verbesserung der Marktlage den Preis II so sehr, daß über den hier produzierten Wert inklusive Mehrwert hinaus dauernd ein Plus gewonnen wird, dessen Existenz eben durch die Marktlage erklärt ist.

Folgende Stelle aus MARX (Seite 17) wird diese Auffassung bestätigen:
    "Es bedarf ... keiner Erörterung, daß, wenn eine Ware über oder unter ihrem Wert verkauft wird, nur eine andere Verteilung des Mehrwertes stattfindet, und daß diese verschiedene Verteilung, das veränderte Verhältnis, worin verschiedene Personen sich in den Mehrwert teilen, weder an der Größe noch an der Natur des Mehrwertes irgendetwas ändert."
Diese höchst merkwürdige Stelle zeigt jedenfalls, daß der Abzug I vom Wert  16  der Ware I, die ja nur den Preis  15  erzielt, nicht in irgendeine andere Sphäre strömt, um dort den Profit zu vergrößern, sondern daß er dem Käufer zufließt. Dies ist auch ohne weiteres klar: denn wenn ich eine Ware, die objektiv  16  wert ist, für  15  kaufe, so gewinne ich eben  1.  Und diesen Gewinn kann ich offenbar nur machen, weil mir die Marktlage - steigende Zufuhr bei gleichem Bedarf - die Macht gibt, ihn dem Produzenten abzutrotzen; ähnlich wie etwa ein Händler dem Produzenten einen Teil seines Erlöses abnimmt (31). Man könnte vielleicht sagen: in der tieferen Sphäre, wo ja die Käufer in den gekauften Waren die ganze produzierte Wertsumme in Händen haben, während sie eine geringere Wertsumme zahlen, machen sie eine Art von Monopolgewinn, eine Konsumentenrente; in den höheren Sphären zahlen sie entsprechend eine Art von Monopoltribut.

Damit aber ist eine Kritik der MARXschen Wertlehre ausgesprochen, die weit über alles hinausgeht, was der radikalste Kritiker, BÖHM-BAWERK, jemals behauptet hat. Denn BÖHM gab doch immer noch zu (32), daß der gesellschaftlich bestimmte Wert einen und sogar einen sehr starken Bestimmungsgrund des Preises bei MARX darstellte, und wollte nur noch andere Faktoren an dieser Bestimmung teilnehmen lassen (33). Wir aber behaupten nichts Geringeres, als daß der durch den Aufwand an abstrakt menschlicher Arbeit bestimmte Wert überhaupt nichts mit dem durch die Marktlage bestimmten Preis zu tun hat, und wir entnehmen den Beweis unserer eingehenden Analyse des Ausgleichsprozesses (34). Ganz schematisch ergibt sich aus unseren Ausführungen, die, wie wir durch das Zitat aus MARX belegten, den Ausgleichsprozeß im Sinn von MARX darstellen, folgendes: der Wert der Ware beruth auf der zu ihrer Produktion nötigen Menge gesellschaftlicher Arbeit; der Preis beruth auf dem Verhältnis von Zufuhr und Bedarf auf dem Markt (35), oder aber, wenn man dies nicht zugibt, verfällt man in die von uns unter Berufung auf MARX zurückgewiesene Fiktion vom Strömen des Mehrwerts aus einer Sphäre in die andere. In der tieferen Sphäre gestattet die Marktlage keine volle Realisierung des Mehrwertes, mit anderen Worten keine volle Verwandlung von Mehrwert in Profit; in den höheren Sphären gestattet die Marktlagen einen Preis, der einen Überschuß über den Mehrwert enthält; einen Überschuß, der nicht etwa in der tieferen Sphäre produziert wurde, sondern der gar nicht produziert wurde, der vielmehr der Zirkulation entstammt; gerade wie z. B. ein Monopolgewinn nicht produziert wird, sondern der Marktlage seine Entstehung verdankt. Die Analogie ist durchaus keine oberflächliche, denn in der höheren Sphäre wird ja, weil der Profit sonst zu tief stände, die Zufuhr eingeschränkt. Und wenn der Preis also durch die Marktlage erklärt wird, so wird er nicht durch den Wert erklärt, was wir ja behaupten.

Nun können wir uns auf einen gewiß kompetenten Zeugen berufen, auf HILFERDING. Auf die Frage: was ist der normale Preis? antwortet er (a. a. O., Seite 59):
    "Auf Basis der kapitalistischen Produktion ist der Verwertungsprozeß des Kapitals Bedingung der Produktion. Damit der Kapitalist weiter produzieren soll, muß er die Ware zu einem Preis verkaufen können, der gleich ist seinem Kostenpreis + dem Durchschnittsprofit. Kann er diesen Preis - den normalen Preis der kapitalistisch produzierten Ware - nicht realisieren, so stockt der Reproduktionsprozeß, die Zufuhr vermindert sich bis zu einem Punkt, wo das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr erlaubt, diesen Preis zu realisieren. Das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr hört damit auf, ein rein zufälliges zu sein, es erscheint als beherrscht durch den Produktionspreis, der das Zentrum bildet, um das in stetig entgegengesetzten und sich daher auf die Dauer kompensierenden Abweichungen die Marktpreise schwanken. Der Produktionspreis ist so Bedingung der Zufuhr, der Reproduktion der Waren. Und nicht nur der Reproduktion der Waren. Die Erzielung eines solchen Verhältnisses von Nachfrage und Zufuhr, daß der normale Preis der Reproduktionspreis realisiert werden kann, ist notwendig, damit der Gang der kapitalistischen Produktion ungestört erhalten werden kann, damit die gesellschaftlichen Bedingungen einer Produktionsweise, deren treibendes Motiv das Verwertungsbedürfnis des Kapitals ist (36), selbst durch den Ablauf des Zirkulationsprozesses ständig reproduziert werden. Auf die Dauer muß das Verhältnis von Angebot und Zufuhr daher ein solches sein, daß der unabhängig von diesem Verhältnis bestimmte (37) Produktionspreis erzielt wird, der dem Kapitalisten den Kostpreis mitsamt seinem Profit, um dessentwillen er die Produktion unternommen hat, einbringt."
Das alles ist gänzlich unanfechtbar und so sonnenklar, daß es jeder Vulgärökonom unterschreiben muß. Hat doch schon ADAM SMITH ganz genau das Gleiche ausgedrückt - freilich mit weniger Apparat, wenn er als den natürlichen Preis denjenigen bezeichnet, bei dem der Kapitalist einen angemessenen Profit macht. Nur hat das alles mit spezifisch marxistischen Gedankengängen gar nichts zu tun. Denn es ist ja eben Gemeingut, solange es eine nationalökonomische Theorie gibt; und wer subjektivistisch denkt, wird sich nicht enthalten können zu bemerken, daß die moderne Theorie die rohe Formel von Zufuhr und Nachfrage wesentlich verfeinert hat. Jedenfalls nehmen wir zur Kenntnis, daß unsere aus der Analyse des Ausgleichsprozesses geschöpfte Auffassung, wonach die Marktlage die Preishöhe verursacht, von HILFERDING bestätigt wird. SOMBART, der selber die Wertlehre durch eine Umdeutung zu retten versucht, womit er natürlich weder bei den Marxisten noch bei BÖHM Zustimmung findet (38) - SOMBART meint, es müsse ein allgemeines Kopfschütteln hervorrufen, "wenn nun plötzlich aus der Versenkung eine ganz gewöhnliche Produktionskostentheorie auftaucht". Gewöhnlicher kann sie allerdings nicht sein als in der angeführten Darstellung HILFERDINGs. (39)
LITERATUR Eduard Heimann, Methodologisches zu den Problemen des Wertes und des wirtschaftlichen Prinzips, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 37, Tübingen 1913
    Anmerkungen
    1) JOSEPH SCHUMPETER, Wesen und Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, 1908, Seite 95.
    2) ALFRED AMONN, Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie (Wiener Staatswissenschaftliche Studien, Bd. X, Heft 1) 1911
    3) Der sich hier aufdrängenden Frage nach dem Erkenntniswert der Theorie ist AMONN nicht nachgegangen. MAX WEBER gelangt in seinem Aufsatz "Die Objektivität der sozialwissenschaftlichen und sozialpolitischen Erkenntnis" zu einem für die Theorie sehr ungünstigen Urteil (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. XIX). Milder urteilt SCHMOLLER (Artikel "Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und -methode" im Handbuch der Staatswissenschaften, dritte Auflage, Bd. VIII.
    4) Seite 12 und an vielen anderen Stellen, namentlich in der Polemik gegen SPANN, Wirtschaft und Gesellschaft (Seite 112f).
    5) Dies ist aber im Grunde auch nicht selbstverständlicher als das erste Erfordernis. Und wenn man AMONNs kritische Übersicht der bisherigen Objektbestimmungen studiert, so überzeugt man sich, daß weder das eine noch das andere Erfordernis "verständlich" gewesen zu sein scheint, geschweige denn "von selbst".
    6) FRANZ OPPENHEIMER, Rezension Amonn, im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 33, Seite 194
    7) siehe dazu weiter unten
    8) Nur im Vorbeigehen sei bemerkt, daß wir das für sehr unwahrscheinlich halten; die von der Psychologie losgelöste Sozialpsychologie, die von der Ethik unabhängige Sozialethik dürften gerade so in der Luft schweben wie - nach unserer nunmehr zu begründenden Auffassung - die rein sozialwissenschaftliche Nationalökonomie.
    9) AMONN, a, a, O., IV. Abschnitt, I. Kapitel
    10) Der kundige Leser hat längst erkannt, daß diese ganze Argumentation nichts anderes ist als eine Nutzanwendung der Gedanken, die sich wie ein Leitmotiv durch SCHUMPETERs "Wesen und Hauptinhalt" ziehen. Es ist nicht genug zu bedauern, daß AMONN über der herben Kritik, die er - von seinem Standpunkt aus mit vollem Recht - an SCHUMPETERs individualistischer Auffassung übt, die absolut unanfechtbaren Ausführungen SCHUMPETERs zur allgemeinen Methodologie ganz unberücksichtigt läßt.
    11) Daran können auch die schwungvollen Ausführungen OPPENHEIMERs über das Thema der Einheitswissenschaft (zu Anfang seiner "Theorie der reinen und politischen Ökonomie") nichts ändern. Immerhin kann man einem "Lehr- und Lesebuch" am Ende einiges konzedieren, was man in einer methodologischen Grundlegung unter allen Umständen verwerfen muß.
    12) vgl. SCHUMPETER, a. a. O., Seite 46
    13) Wenigstens behauptet das die MARXsche Lehre; die Richtigkeit dieser Behauptung wird im Folgenden eingehend zu prüfen sein.
    14) Daß somit die verschiedenen sachlichen Problemlösungen in der Nationalökonomie auch methodologisch verschieden aufgefaßt werden müssen, ist abermals eine Tatsache von höchstem methodologischen Interesse. Wir kommen weiter unten darauf zurück.
    15) Und doch ist das, wie man sieht, nötig, da ein ebenso sorgfältiges als geistvolles Werk auf der Verkennung dieses Satzes beruth. Noch mehrfach werden wir im Folgenden in der unangenehmen Lage sein, solche Gemeinplätze als Ergebnis einer komplizierten Untersuchung zu proklamieren, und wir möchten gleich bemerken, daß wir das tun, nicht weil wir diese Sätze für tiefgründige Weisheiten halten, sondern lediglich, weil selbst die besten Köpfe unserer Wissenschaft gegen sie - trotz aller Banalität - verstoßen haben. Wir dürfen wohl beanspruchen, daß uns darum niemand eines Mangels an Ehrfurcht vor jenen Meistern beschuldigt. In der Tat liegen die Dinge so, daß nicht etwa ein von allen als richtig anerkannter Satz mißachtet würde, vielmehr wurde früher die Methodologie als Ganzes außer acht gelassen - man weiß ja, seit wie kurzer Zeit sie uns bei uns bewußt verwendet wird! Nun sind wir der Ansicht - und die vorliegende Arbeit wird, so hoffen wir, nicht gar zu sehr gegen sie sprechen - daß der methodologische Gesichtspunkt sich als überaus fruchtbar zur Aufhellung einiger Streitfragen erweist, die man gemeinhin als inhaltliche Probleme ansieht. Wenn wir daher der Lehre eines Großen einen dieser methodologischen Gemeinplätze entgegenstellen, so ist das keine Überhebung, sondern einfacht die Wirkung des in solchen Diskussionen bisher nicht verwendeten Instruments.
    16) Auch wenn wir diese Ansicht gar nicht  expressis verbis  [ausgesprochen - wp] begründen, sondern glauben, daß unsere Art, das Problem zu behandeln, diese Begrüngund implizit enthält. Übrigens ist SCHUMPETER meines Wissens bisher der einzige Vertreter der im Text ausgesprochenen Auffassung. Selbst stark methodologisch interessierte Gelehrte halten an der gegenteiligen Auffassung fest; so spricht MAX WEBER (a. a. O., Seite 83) vom Wert als dem "Schmerzenskind" unserer Disziplin, "welchem eben nur idealtypisch irgendein eindeutiger Sinne gegeben werden kann", von den älteren Grenznutzentheoretikern oder den Marxisten ganz zu schweigen.
    17) Theorie der reinen und politischen Ökonomie, 1911, Seite 22f
    18) siehe weiter unten
    19) Nach Abschluß dieser Arbeit erschien in "Conrads Jahrbüchern", Bd. 44, Seite 411 eine ganz kurze Abhandlung von G. ALBRECHT: "Hat Oppenheimer die Grenznutzentheorie widerlegt?", worin nachgewiesen wird, daß OPPENHEIMERs Argumente die Grenznutzentheorie überhaupt nicht treffen.
    20) Streng genommen richtet sich selbst der Verrückte nach seinen Wertschätzungen; die Anomalie liegt vielmehr in der Art und Größe dieser - in normalerweise verwirklichten - Wertschätzungen selbst (vgl. weiter unten). Die Nichtbefolgung der subjektiven Wertschätzung ist demnach nicht verrückt, sondern schlechtweg undenkbar.
    21) Zum Beispiel im Satz von den Grenzkosten.
    22) Ganz richtig wäre dies freilich nicht, falls HILFERDING mit der folgenden Interpretation dieser schwierigen Dinge Recht hat ("Böhm-Bawerks Marxkritik" in den Marxstudien, Bd. I, Wien 1904, Seite 10): "Das Resultat des ... gesellschaftlich bestimmten Produktionsprozesses ist quantitativ bestimmt durch die Gesamtmasse der aufgewendeten gesellschaftlichen Arbeit. Als aliquoter Teil des gesellschaftlichen Arbeitsprodukts - und nur als solcher fungiert sie im Tauschverkehr - ist die Einzelware quantitativ bestimmt durch die in ihr enthaltene Quote der Gesamtarbeitszeit". Danach hätte man also die Summe aller tatsächlich geleisteten Arbeit durch die Anzahl der produzierten Waren zu dividieren; der Quotient wäre die gesellschaftlich notwendige Arbeit pro Einheit. Wäre also z. B. in einer Sphäre eine Hälfte der Warenmasse mit sehr viel geringerer Arbeit hergestellt als die andere, so würde der Wert offenbar in der Mitte zwischen beiden liegen. Diese Darstellung widerspricht der, soweit wir wissen, gewöhnlicheren Auffassung, wonach der jeweilige Stand der Technik die gesellschaftlich notwendige Arbeit bestimmt, so daß also in obigem Beispiel alle Waren den Wert der mit geringerer Arbeit hergestellten Einheiten hätten. Für diese Auffassung bleibt die Arbeit, die der einzelne Produzent aufwendet, ganz ohne Einfluß auf den Wert; für HILFERDING ist sie einer der zahllosen Summanden, aus denen sich die Gesamtsumme der gesellschaftlich aufgewendeten Arbeit zusammensetzt, beeinflußt daher diese Summe um ein geringes, und auch den Wert pro Einheit noch um ein minimales. Ob MARX sich selbst übrigens über den Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeit ganz klar war, da er ihn doch sonst vielleicht erklärt hätte? Und obwohl HILFERDING Recht hat, da seine Deutung die gesellschaftlich "notwendige" Arbeit doch durch eine gesellschaftlich "aufgewendete" Arbeit ersetzt? Doch sind diese Fragen wohl nur für die eigentliche Marxphilologie von Interesse; der materielle Unterschied zwischen HILFERDINGs und meiner Auffassung ist zu gering, als daß er am Satz des Textes etwas wesentliches ändern könnte.
    23) Abermals einer von den oben (Anmerkung 15) gekennzeichneten und entschuldigten Gemeinplätzen! Einige weitere Bemerkungen zu OPPENHEIMERs Wertlehre siehe unten Anmerkung 42.
    24) Auf das Schlagendste findet man diese Anschauung durch HILFERDING belegt (a. a. O. und namentlich Seite 51f), der einwandfrei beweist, daß BÖHMs so überaus minutiöse und scharfsinnige Kritik der Marxschen Wertlehre größtenteils vorbeizielt, weil sie unbewußt vom Marxschen Wertbegriff die Leistungen verlangt, die sie von einem ganz anders konstruierten individualen Wertbegriff her gewöhnt ist.
    25) Sofern man eben die Wertlehre als ein sachliches Problem auffassen will.
    26) So könnten wir BÖHMs Polemik gegen die Reduktion von qualifizierter Arbeit auf Durchschnittsarbeit aufnehmen, da in diesem Punkt HILFERDINGs Replik zu versagen scheint. HILFERDING ersinnt eine sehr geistreiche Konstruktion, um diese Reduktion theoretisch zu ermöglichen (a. a. O., Seite 20f): "Um komplizierte Arbeitskraft herzustellen, war eine Reihe einfacher Arbeiten notwendig. Diese sind in der Person des qualifizierten Arbeiters aufgespeichert; erst wenn dieser zu arbeiten anfängt, werden diese Ausbildungsarbeiten für die Gesellschaft flüssig." Bei der Verausgabung der komplizierten Arbeitskraft "wird also eine Summe von einfachen Arbeiten verausgabe und damit eine Summe von Wert und Mehrwert geschaffen, die der Wertsumme entspricht, die die Verausgabung aller einfachen Arbeiten erzeugt hätte, die notwendig waren, um die komplizierte Arbeitskraft und ihre Funktion, die komplizierte Arbeit, zu erzeugen." Aber ein angehender Feinmechaniker kann 20 Jahre lang von gewöhnlichen Metallarbeitern unterrichtet werden und wird dennoch nur ein gewöhnlicher Metallarbeiter bleiben. Vielmehr entsteht qualifizierte Arbeit nur durch die Aufwendung von gleichfalls qualifizierter Arbeit: der Feinmechaniker erhält eine Fachausbildung! Sonst käme man zu dem netten Paradoxon, daß z. B. das ursprüngliche künstlerische Genie Arbeit im Wert derjenigen Arbeit leistet, die entstanden wäre, wenn irgendein Durchschnittsmensch das von dem Genie während seine Jugend gegessene Brot verzehrt hätte und die so entstandene Durchschnittsarbeitskraft nun verausgaben würde. Diese Rechnung stimmt schwerlich. Vielmehr leitet qualifizierte Arbeit entweder - der Fall besonderer Begabung - auf eine Naturanlage oder auf einen Aufwand von anderer qualifizierter Arbeit zurück; natürlich auch auf eine Kombination beider Gründe. Die Reduktion bleibt auch nach HILFERDINGs Erklärungsversuch problematisch. Aber damit ist natürlich MARX nicht "widerlegt".
    27) Der weitaus hervorragendste Kritiker der MARXschen Wertlehre ist nach allgemeiner Ansicht von BÖHM-BAWERK ("Zum Abschluß des Marxschen Systems" in den Festgaben für Karl Knies, und "Geschichte und Kritik der Kapitalzinstheorien"), ihr bester Verteidiger HILFERDING (a. a. O.). Sehr scharfsinnige Argumente gegen MARX neuerdings bei OPPENHEIMER, "Die soziale Frage und der Sozialismus"; doch geht diese Kritik nicht an die Wurzel der Marxschen Lehre, da auch sie prinzipiell auf objektivistischem Boden steht. Auf BÖHM fußend, gibt DIEHL, "Über das Verhältnis von Wert und Preis im ökonomischen System von Karl Marx", eine erschöpfende Darstellung der "Modifikationen", die das Wertgesetz in der kapitalistischen Wirtschaft erleidet, zuerst durch den Ausgleich der Werte in jeder einzelnen Sphäre, danach durch den Ausgleich der Mehrwerte verschiedener Sphären zur Durchschnittsprofitrate usw. Im Mittelpunkt der Diskussion steht nach all dem die Frage, wieweit ein "Prinzip" "modifiziert" werden darf, um nicht den Anspruch auf Geltung zu verlieren. Denn die Marxisten berufen sich stets darauf, daß alle von MARX zugegebenen Abweichungen vom ursprünglichen Wertgesetz eben doch nur "Modifikationen" sind, eine etwas andere Gestaltung des allbeherrschenden "Prinzips", während die Gegner behaupten, ein bis zur Unkenntlichkeit modifiziertes Prinzip sei einfach nicht mehr in Geltung. Man sieht, daß die Diskussion damit auf einem toten Punkt angelangt ist: man kann genausogut den einen wie den anderen Standpunkt vertreten, da es zwingende Gründe der Logik für keinen von beiden gibt; denn wer wollte das erlaubte Maß der Modifikation und den Maßstab festsetzen? Somit wäre das kritische Problem der Marxschen Profitrate unlösbar, wenn nicht die gemeinsam Grundauffassung beider Parteien, als stelle das Preisgesetz überhaupt eine mehr oder weniger weitgehende Modifikation des Wertgesetzes dar, auf einem Irrtum beruth. Dies hoffe ich zumindest zeigen zu können.
    28) In dieser krassen Zuspitzung findet sich die Frage meines Wissens in der Literatur nicht, wiewohl wir guten Grund zu der Behauptung haben, daß die durch sie vertretene Auffassung keineswegs eine bloß Fiktion unsererseits ist. Aber nehme man selbst letzteres an: diese fingierte Marxauslegung soll uns in der Tat nur den einen Dienst leisten, unsere eigene, schnurstracks entgegengesetzte Auffassung deutlicher hervortreten zu lassen.
    29) MARX, Kapital, Bd. III. Seite 175-76
    30) An dieser Auffassung muß man auch nach LEDERERs Darlegung der gegenteiligen Ansicht ("Wiener Zeitschrift, Bd. XV, Seite 307) festhalten. Wohl gibt es in Wirklichkeit keine einheitliche Profitrate, weil diese nur bei vollkommener Beweglichkeit des Kapitals zu erreichen wäre, während doch ein ungeheurer Teil des Kapitals eben "fix" ist. Aber eine Tendenz zum Ausgleich ist aus bekannten Gründen jederzeit vorhanden, und auch LEDERER wird nicht bestreiten, daß sie sich mindestens in Bezug auf das neu anzulegende Kapital recht scharf durchsetzt. Da sich nun diese Tendenz den Grundhypothesen der Nationalökonomie ohne weiteres einordnen läßt, überhaupt nur einen Spezialfall der zu diesen Annahmen Anlaß gebenden allgemeinen Tatsachen darstellt, so ist ihre Verwertung in einem nationalökonomischen System unerläßlich. Alles, was sich nach LEDERERs Ansicht jener Tendenz entgegenstemmt, ist bestenfalls ein Friktionswiderstand [Reibungswiderstand - wp]; und wie die Theorie des Preises z. B. von den die Tendenzen der Konkurrenz hier hemmenden Momenten - Unübersichtlichkeit des Marktes uw. - abstrahiert, so muß auch die Tendenz zum Profitausgleich ganz ohne Rücksicht auf alle Hemmungen systematisch eingegliedert werden. Sehr interessant sind die anderen Einwände LEDERERs, namentlich sein Hinweis auf jene Stelle, wo MARX seine bekannte Wertlehre so radikal umbiegt. daß sie in die allernächste Nähe der - Grenznutzenlehre gerät! Man darf aber nicht vergessen, daß der III. Band des Kapitals kein abgeschlossenes und durchgearbeitetes Buch ist, und ich kann mir recht gut vorstellen, daß MARX in seinem Manuskript mancherlei Gedanken notierte, die ihm gerade durch den Kopf schossen und die vielleicht ausgemerzt oder doch verarbeitet worden wären, wenn er selbst sein Werk redigiert hätte. So könnte es auch mit der in Rede stehenden Darlegung sein, da sie nicht im Zusammenhang der Wertlehre gegeben wird, sondern an anderer Stelle ziemlich unvermittelt eingestreut ist. Schwerlich dürfte man daher berechtigt sein, solche Aphorismen gegen den systematischen Gedankengang auszuspielen. Immerhin ist es hochinteressant zu sehen, daß Gedanken, die die Jünger als vernunftwidrig ansehen, dem Meister gar nicht so fern lagen.
    31) Freilich kommt man auch mit dieser MARXschen Auslegung bald in die Brüche; denn wie kann man von einer "anderen Verteilung des Mehrwerts" sprechen, wenn Ware II mit dem Wert  14  zu  15  verkauft wird? Man hätte etwa zu sagen, daß, genau wie Käufer I durch die Konkurrenz der Kapitale dauern Gelegenheit hat, dem Produzenten I  1  abzunehmen, Käufer II dauernd gezwungen ist, I aus Eigenem zuzuzahlen, um die Konkurrenz der anderen Käufer auszuschließen; und das ist in der Tat wieder nur die im Text gegebene Analyse. Aber es ist klar, daß dieser Zuschlag nicht durch eine "andere Verteilung des Mehrwerts" zu erklären ist; denn der Mehrwert ist ja nur  4,  der Profit  5,  der Mehrwert fließt unverteilt in die Tasche des Kapitalisten, und eben dahin fließt  1  aus der Tasche des Käufers! Sonderbar, daß diese so handgreiflich unvollkommene Stelle bisher unbeachtet geblieben zu sein scheint. (vgl. aber oben Anm. 30)
    32) BÖHM-BAWERK, "Zum Abschluß des Marxschen Systems" in den Festgaben für Karl Knies, Seite 138f.
    33) siehe Anm. 25
    34) Ich muß den Leser bitten, noch weiterhin mit abstrakten Ausführungen vorlieb zu nehmen. Denn ich will unbedingt eine Polemik vermeiden, die an Einzelheiten eines konkreten Beispiels anknüpfen könnte, als wenn dieses nämlich nicht adäquat konstruiert sei - ein Mangel, der die Stoßkraft von BÖHMs Kritik so ungemein schwächt, weil HILFERDING ihm mehrfach eine zweckwidrige Konstruktioin der Beispiele nachzuweisen vermag.
    35) Also zweifellos auf individuellen Antrieben, wie BÖHM (a. a. O. Seite 175f) - trotz HILFERDING (a. a. O., Seite 57f) - nachweist.
    36) Dies ist natürlich nur eine objektivistische Einkleidung für "Bedürfnis des Kapitalisten, sein Kapital zu verwerten", führt also ohne Umweg zu BÖHMs Einwand gegen die Einschmuggelung individualer Antriebe in die objektivistische Lehre.
    37) Diese letzten Worte sollen wohl den marxistischen Einschlag der Ausführungen noch einmal besonders betonen und dies bedeuten: wenn ihr schon Angebot und Zufuhr als individuale Kategorien anseht, so müßt ihr doch zugeben, daß beide an einen festen Punkt gebunden sind, und gerade dieser entscheidende Punkt ist gesellschaftlich, d. h. also durch den Wert, bestimmt. Daß der Produktionspreis nicht durch den Wert bestimmt ist, ist die These meiner Ausführungen und wird im folgenden, wie ich hoffe, noch viel klarer werden. Daß aber das Spiel von Angebot und Nachfrage gar nicht absolut frei ist, ist wahrlich nichts spezifisch Marxistisches (siehe die Bemerkungen im Text). In dem ganzen Zitat darf man sich nicht durch den marxistischen Dialekt blenden lassen; das alles läßt sich auch in einer anderen Sprache mühelos aussprechen.
    38) WERNER SOMBART im Archiv für soziale Gesetzgebung, Bd. VII, Heft 4, Seite 571.
    39) Was aber natürlich kein Vorwurf gegen HILFERDING sein soll, der ganz einfach nicht mehr herausholen konnte, als drin ist.