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MORITZ STECKELMACHER
Die formale Logik Kants in
ihren Beziehungen zur transzendentalen

[2/4]

"Ist somit auch der dunkle, noch nicht vollkommene Begriff als etwas bewußt allgemein Gedachtes, weil auf Verschiedenes Bezogenes, der Ausdruck einer analytischen Einheit, so setzt auch er schon eine gewisse absichtliche analytische Denktätigkeit voraus, welcher nachzuforschen der formalen Logik, als welche die Aufgabe hat, alles Analytische in unserer Verstandestätigkeit zu zerlegen, nicht erspart werden kann."

"Welches ist nun aber die Denktätigkeit, wodurch ein Begriff seiner Form nach entsteht? Wie er seinem Inhalt nach entspringt, danach frägt die formale Logik nicht; wonach sie fragt und zu fragen berechtigt ist, ist: wodurch diejenige analytische Einheit zustande kommt, nach welcher ein und dasselbe Bewußtsein als in mehreren Vorstellungen angetroffen, durch einen Gedanken zugleich mehrere von verschiedenen Objekte gedacht werden können?"


V o n  d e n  B e g r i f f e n
I. Logischer Charakter der Begriffsform

    "Die allgemeine Logik", sagt Kant, "abstrahiert von allem Inhalt der Erkenntnis und erwartet, daß ihr anderwärts, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht." (1)
Der analytische und der logische Charakter der Urteile und Schlüsse fällt bald in die Augen; durch jene werden Begriffe, durch diese Urteile analysiert. Dagegen gewahren wir am Begriff zunächst nur Zusammensetzung, nicht Auseinanderlegung, Synthesis, nicht Analysis. Es ist hier nicht die Rede von deutlichen und vollständigen Begriffen, wie sie in ausgebildeten Wissenschaften als die Resultate von vorangegangenen Urteilen, Schlüssen und Definitionen erscheinen (2); denn, tragen zwar auch diese nicht ausdrücklich das Gepräge einer analytischen Verstandeshandlung an sich, so erkennen wir sie doch deutlich als die Ergebnisse einer solchen, und KANT selbst bezeichnet es (3) als einen wesentlichen Fehler der bisherigen Logiker, von solchen Begriffen vor den Urteilen und Schlüssen zu handeln. Die Begriffe, von denen an dieser Stelle allein die Rede sein kann, werden demnach nur solche Vorstellungen sein, in welchen ich eine Verbindung von mehreren Dingen gemeinsamen Merkmalen, wenn auch ohne Klarheit und Bestimmtheit denke, und welche ihrer Bedeutung, nicht ihrer Entstehung nach, etwa mit dem prolepseis [aus der Wahrnehmung entwickelter Allgemeinbegriff - wp] oder koinai ennoiai [häufige Vorstellungen, die Menschen von Dingen haben - wp] der Stoiker (im Gegensatz zu den ennoiai) (4) oder mit den Allgemeinvorstellungen (5) der neueren Logiker einerlei Bedeutung haben.

Sind aber die Formen solcher ursprünglicher, noch unvollkommener Begriffe, dergleichen sich offenbar im Vorstellungsinhalt eines jeden Menschen finden, als Ausdrucksformen analytischer Einheit zu betrachten, und weisen sie als solche auf besondere sie hervorbringende analytische Tätigkeit des Verstandes hin, welche ihrerseits wiederum auf dem Urteilsvermögen des letzteren beruhen? Beides muß nach KANT bejahend beantwortet werden.

Was zunächst die analytische Einheit betrifft, so hängt dieselbe als Identität des Bewußtseins im Mannigfaltigen gegebener Vorstellungen allen gemeinsamen Begriffen als solchen an. Die analytische Einheit macht die Vorstellung zu einem conceptus communis [Allgemeinbegriff - wp] (6). Darin liegt eben der spezifische Unterschied der Begriffe von den Anschauungen, mit denen sie unter dem gemeinsamen Gattungsbegriff der Vorstellungen überhaupt stehen (7), daß durch jene ebendasselbe Bewußtsein als in vielen Vorstellungen enthalten, d. h. vermöge einer analytischen Einheit gedacht wird, während bei Anschauungen viele Vorstellungen als in einer und in deren Bewußtsein enthalten, folglich als zusammengesetzt vermöge der synthetischen Einheit angetroffen werden (8). KANT sagt (Kr. d. r. V. Seite 41): "Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann, ist Anschauung." Soll nun eine Vorstellung als ein Begriff bezeichnet werden können, und zwar als ein diskursiver, logischer, d. h. nicht solche, die etwa nur durch Einschränkungen einer ansich einigen Vorstellung entstehen, sodaß sie im Grunde doch nur auf einen einzigen Gegenstand geht, sondern sie muß sich auf eine wirkliche Mehrheit von Objektsvorstellungen beziehen, die an ihr vermöge gemeinsamer Merkmale partizipieren, aber nicht in ihr aufgehen, d. h. unter ihr, aber nicht in ihr enthalten sind; zweitens müssen diese Teilvorstellungen ihr vorhergehen, gleichsam als ihre Bestandteile, daraus ihre Zusammensetzung möglich ist.
    "Wovon die Teile selbst und jede Größe eines Gegenstandes nur durch Einschränkung bestimmt vorgestellt werden können, da muß die ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben sein, denn da gehen die Teilvorstellungen vorher." (ebd. Seite 41; vgl. auch Seite 36).
Wenn nun KANT (was ÜBERWEG auffällig findet) dennoch zuweilen Raum und Zeit als Begriffe bezeichnet, so geschieht dies wohl darum, weil bei diesen Anschauungen wenigstens jene "Einschränkungen" möglich sind, wodurch doch irgendwie eine Mehrheit von Räumen und Zeiten vorstellig gemacht werden kann, was bei jeder Einzelvorstellung nicht der Fall ist. Ich kann z. B. die Anschauung eines Baumes weder als zusammengesetzt aus vorangegangenen Vorstellungen von Bäumen ansehen, noch in ihm eine Mehrheit von Bäumen - auch nicht durch "Einschränkung" - vorstellen. Der Verstandesbegriff oder die Kategorie aber wird demnach auch nicht als ein streng diskursiver Begriff betrachtet werden können, da er zwar auf eine unendliche Anzahl von Objektvorstellungen sich bezieht, die alle unter ihm stehen und nicht in ihm aufgehen (wie dies KANT in der "Kritik der Urteilskraft" öfter wiederholt), aber sie gehen ihm nicht vorher, da er ursprünglich im Verstand alle Begriffe von Gegenständen allererst ermöglicht.

Dieser spezifische Unterschied zwischen Begriffen und Anschauungen rührt von der Verschiedenheit der Stämme her, aus denen sie entspringen, des Verstandes und der Sinnlichkeit, die vielleicht, wie KANT gesteht, ihrerseits aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel stammen. (9) Die Sinnlichkeit ist rezeptiver, passiver Natur, der Verstand spontaner, aktiver. Anschauungen beruhen auf Affektionen, auf sinnlichen Eindrücken, die unmittelbar wirken; sie beziehen sich daher nur auf Einzelnes und die durch sie bewirkte Erkenntnis ist eine unmittelbar, intuitive. Begriffe dagegen beruhen auf dem spontantätigen Vermögen des Verstandes, auf Funktionen, worunter KANT die Einheit der Handlung versteht, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen. Sie gehen also auf mehrere Vorstellungen zugleich, aber nur mittelbar durch Merkmale, d. h. durch einen Inbegriff von Vorstellungen,, welche wir vom Gemeinsamen mehrerer Gegenstände haben. Das Vorstellen durch Begriffe heißt Denken, das Vermögen zu denken ist der Verstand; die Erkenntnis durch Begriffe ist die diskursive (10).

Die synthetische Einheit der Apperzeption geht auf die Anschauungen und bewirkt zunächst eine Verbindung des Mannigfaltigen derselben, d. h. der "gegebenen Vorstellungen" in einem Bewußtsein; daß ich mir aber die Identität dieses Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst (mittels des logischen Gesetzes der Identität) (11) vorstelle, oder mit anderen Worten: daß ich jene durch synthetisches Denken bewerkstelligte Verbindung durch diskursives Denken einheitlich auflöse und infolge davon eine Vorstellung als verschiedenen gemein denke, wie ich dies in jedem Begriff - er mag noch so dunkel und unvollkommen sein - tue, dies geschieht lediglich durch die analytische oder logische Einheit, welche somit die synthetische notwendig voraussetzt (denn ohne vorangegangene Synthesis keine Analysis, und hierauf beruth im Grund die ganze Ableitung der Kategorien aus den logischen Urteilsformen) aber nicht mit ihr zusammenfällt (12) Ich komme später auf diese notwendige Voraussetzung der von der analytischen Einheit handelnden formalen Logik eingehender zurück.

Hier kommt es mir zur Beantwortung der oben gestellten Frage, ob die unvollständigen Begriffe einen analytischen Charakter haben, vornehmlich auf das Merkmal der analytischen Einheit an. Und da haben wir dann gesehen, daß dieses in der Beziehung einer Vorstellung auf mehrere, als einer ihnen gemeinsamen und nicht etwa in der Deutlichkeit und Klarheit ihrer einzelnen Teile besteht: folglich werden wir auch die dunklen und unvollständigen Begriffe, da sie als solche jedenfalls Allgemeines enthalten und auf verschiedene Gegenstände oder Vorstellungen sich beziehen, als Ausdrucksformen logischer, analytischer Einheit zu betrachten haben und nicht mit den lediglich synthetische Einheit enthaltenden Anschauungen vermengen dürfen (13). Ist aber somit auch der dunkle, noch nicht vollkommene Begriff als etwas bewußt allgemein Gedachtes, weil auf Verschiedenes Bezogenes, der Ausdruck einer analytischen Einheit, so setzt auch er schon eine gewisse absichtliche (14) analytische Denktätigkeit voraus, welcher nachzuforschen der formalen Logik, als welche die Aufgabe hat, alles Analytische in unserer Verstandestätigkeit zu zerlegen, nicht erspart werden kann.

Welches ist nun aber die Denktätigkeit, wodurch ein Begriff seiner Form nach entsteht? Wie er seinem Inhalt nach entspringt, danach frägt die formale Logik nicht; wonach sie fragt und zu fragen berechtigt ist, ist: wodurch diejenige analytische Einheit zustande kommt, nach welcher ein und dasselbe Bewußtsein als in mehreren Vorstellungen angetroffen, durch einen Gedanken zugleich mehrere von verschiedenen Objekte gedacht werden können? Darüber soll das Folgende Aufschluß geben.

Fassen wir jedoch, bevor wir weitergehen, die Bedeutung des Begriffs im kantischen Sinn noch einmal ins Auge, außer den bereits angeführten auch die anderen Äußerungen berücksichtigend, die KANT über diesen Punkt getan hat. Er ist nach dem Obigen Ausdruck der Identität des Bewußtseins im Mannigfaltigen gegebener Vorstellungen, d. h. eine Vorstellung, mit der, als einer mehreren Vorstellungen gemeinsamen, diese mehreren mitgedacht werden. Der Begriff wird von hier aus sodann ferner bestimmt als eine Regel der mannigfachen Erscheinungen zwecks ihrer Erkenntnis (Kr. d. r. V. Seite 98). Er wird aber eine solche Regel nur dadurch,
    "daß er bei gegebenen Erscheinungen die notwendige Reproduktion des Mannigfaltigen derselben, folglich die synthetische Einheit in ihrem Bewußtsein vorstellt."
So macht der Begriff des Körpers bei der Wahrnehmung von Etwas außerhalb von uns die Vorstellung der Ausdehnung und mit ihr die der Undurchdringlichkeit, die Gestalt etc. notwendig (ebd.), und dasselbe ist auch bei jedem anderen empirischen Begriff der Fall (ebd. Seite 125), dieser mag noch so dunkel und unvollkommen sein, "da er seiner Form nach jederzeit etwas Allgemeines ist und was zur Regel dient". Die logische Form des Begriffs ist demnach ein Medium oder eine Ausdrucksform für die Erkenntnis eines Gegenstandes, insofern "dieser nichts anderes ist, als das Etwas, davon der Begriff eine solche Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt", ebenso wie sich uns im weiteren die logische Urteilsform als eine Ausdrucksform der objektiven Einheit der Vorstellung darstellen wird. In diesem Sinn sagt KANT: "Alle Erkenntnis erfordert einen Begriff." (ebd. Seite 98) und (in der "Logik" von JÄSCHE § 1): "Alle Erkenntnisse, d. h. alle mit Bewußtsein auf ein Objekt bezogenen Vorstellungen sind entweder Anschauungen oder Begriffe." Gleichwohl kann und muß die formale Logik es nur auf sich nehmen, das rein Formale und Diskursive an der Begriffsform, soweit es angeht, zu erklären, fragt man sie aber, wie ihre Form zu der Dignität gelangt, eine Ausdrucksform eines objektiven Tatbestandes zu sein und die "notwendige Reproduktion" des Mannigfaltigen der Erscheinungen vorzustellen, so weist sie bescheiden auf die transzendentale Logik hin, welche die Antwort gibt:
    "Aller Notwendigkeit liegt jederzeit eine transzendentale Bedingung zugrunde. Also muß ein transzendentaler Grund der Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen, folglich auch der Begriffe der Objekte überhaupt ... angetroffen werden, ohne welchen es unmöglich wäre, zu unseren Anschauungen irgendeinen Gegenstand zu denken ... Und diese ursprüngliche und transzendentale Bedingung ist keine andere als die transzendentale Apperzeption." (vgl. Kr. d. r. V., Seite 99)
Diese Abhängigkeit der formalen Logik von der transzendentalen bezüglich des völligen Verständnisses der Bedeutung ihrer Formen, wird wie ich bereits bemerkt habe, im weiteren Verlauf meiner Untersuchung noch deutlicher und unzweideutiger sich zeigen.


II. Logischer Ursprung der Begriffe.

Wie bereits oben bemerkt, setzt die formale Logik gegebene Vorstellungen voraus. Als die ersten logischen Verstandeshandlungen nun, durch welche diese Vorstellungen im Denken zu Begriffen werden, werden in der Logik von JÄSCHE § 6 die Komparation, Reflexion und Abstraktion genannt.
    "Die Komparation, das ist die Vergleichung der Vorstellungen untereinander im Verhältnis zur Einheit des Bewußtseins; die Reflexion, das ist die Überlegung, wie verschiedene Vorstellungen in einem Bewußtsein begriffen sein können; und endlich die Abstraktion oder die Absonderung alles Übrigen, worin die gegebenen Vorstellungen sich unterscheiden."
Es ist jedoch leicht einzusehen, daß die ersten zwei Aktus im Grunde nur einerlei besagen und nur eine Operation ausmachen. In der Vergleichung der Vorstellungen miteinander im Verhältnis der Einheit des Bewußtseins, das ist, ob sie identisch sind oder nicht, liegt ja ben schon die Überlegung, wie sie in einem Bewußtsein begriffen sein können, da dieses eben ja nur davon abhängt, ob die Vorstellungen miteinander identisch sind oder nicht, und so ist auch umgekehrt die Reflexion im angegeben Sinn nicht verschieden von der Komparation. Und so finden wir dann in der Tat in der Kritik die logische Reflexion (15) geradezu als bloße Komparation bezeichnet, während sich andererseits in der Abhandlung "Über Philosophie überhaupt" (Werke I, Seite 589) die Erklärung findet:
    "Reflektieren (Überlegen) ist: gegebene Vorstellungen entweder mit anderen oder mit seinem Erkenntnisvermögen in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff zu vergleichen und zusammenzuhalten."
Was ferner die Abstraktion betrifft, so wird dieselbe abweichend von der bis auf KANT üblichen Konstruktion: "die gemeinsamen Merkmale abstrahieren", als Absonderung der nicht gemeinsamen Merkmale, also als abstractio ab aliquo [von etwas abstrahieren - wp] gefaßt und diese Fassung am angeführten Ort der Logik von JÄSCHE (Anm. 2) logisch gerechtfertigt. Doch wird es angesichts der immerhin auffälligen Abweichung - da sich daran, ÜBERWEG (System der Logik, dritte Auflage, Seite 106) richtig bemerkt, teils der grammatische Übelstand mit dem Partizip "abstrakt", teils der sachliche knüpft, daß diese Konstruktion die Aufmerksamkeit auf einen bloßen Nebenvorgang vorzugsweise lenkt, - nicht überflüssig sein daran zu erinnern, daß dieselbe ursprünglich aus einer metaphysischen Erwägung entstanden ist, wie folgende Stelle aus der Dissertation aus dem Jahr 1770, Sect. II, § 6 zeigt:
    "Ich muß jedoch hier die große Zweideutigkeit des Wortes abstrakt" hervorheben und sie vorher beseitigen, damit sie nicht meine Erörterung der Verstandesbegriffe verdirbt. Eigentlich müßte es nämlich heißen: Von etwas abtrennen (abstrahieren), nicht etwas abtrennen. Ersteres bezeichnet, daß man bei einem Begriff auf anderes mit ihm gleichsam Verbundenes nicht acht gibt; letzteres, daß etwas nur im Einzelnen und so gegeben ist, daß es von dem mit ihm Verbundenen abgetrennt wird. Deshalb sieht der Verstandesbegriff von allem Sinnlichen ab (abstrahiert), aber wird nicht vom Sinnlichen abgetrennt (abstrahiert), und er könnte vielleicht richtiger ein abziehender als ein abgezogener genannt werden."
Bei der Wichtigkeit, die diese Unterscheidung für das Apriori immer mehr gewonnen hat, ist es erklärbar, daß KANT sie auch logisch zu rechtfertigen suchte, so daß sie dann selbstverständlich auch in die allgemeine Logik bei der Begriffsbildung von ihm eingeführt wurde, ohne speziell für diese von besonderem Wert zu sein (16).

Doch das bisher über die zur Bildung des Begriffs nötigen Denkoperationen Gesagte bezog sich nur auf das Äußere derselben. Es fragt sich nun, welches die innere logische Bedeutung dieser Operationen ist und wie sich KANT ihre Anwendung auf die gegebenen Vorstellungen gedacht hat. Aus der "Logik" von JÄSCHE ergibt sich auf diese wichtigen Fragen keine, oder zumindest keine genügende Antwort (17); es ist daher meine Aufgabe, auf dieselben näher einzugehen.

Wir können diese Operationen zunächst nicht als Anwendungen der eigentlichen Urteilsformen, als wirkliche Urteile ansehen, weil, wie schon bemerkt, die hier in Rede stehenden Begriffe keine volle urteilende Verstandestätigkeit voraussetzen. (18) Wenn wir jedoch andererseits erfahren, daß das Reflektieren zum Zweck eines dadurch möglichen Begriffs der Urteilskraft bedarf (19); wenn wir ferner erfahren, daß durch die Abstraktion der Begriff vollendet und in seine bestimmten Grenzen eingeschlossen wird (20), daß die Abstraktion nicht etwa eine bloße Unterlassung und Verabsäumung der Aufmerksamkeit, sondern ein wirklicher Akt des Erkenntnisvermögens ist, eine Vorstellung, deren ich mir bewußt bin, von der Vorstellung mit anderen in einem Bewußtsein abzuhalten (21); wenn ferner KANT die Urteile als Funktionen (22) der Einheit unter unseren Vorstellungen bezeichnet, auf eben diesen Funktionen aber, wie schon oben bemerkt wurde, die Begriffe beruhen läßt (23); wenn endlich KANT den Unterschied der Deutlichkeit eines Begriffs, den ein Mensch und ein Tier von einem Ding hat, darin findet, daß jener diesen Begriff (vermöge des Satzes vom Widerspruch) von einem anderen bewußt unterscheidet, dieses aber nur zu einer gewisse Handlung sich angetrieben fühlt, die verschieden ist von der anderen, andererseits aber jenes Bewußtsein von einem Unterschied der Begriffe nur durch das Vermögen zu urteilen bedingt sein läßt (24): so werden wir nicht umhin können, auch in den genannten Operation ein wenn auch nur unvollkommenes, im Stillen sich vollziehendes Urteilen zu erblicken, das eben in dieser Unvollkommenheit der ersten Bildung der Begriffe eigentümlich ist und deshalb auch vor der Betrachtung der wirklichen, vollen Urteilsformen erwogen werden kann.

Damit stimmt auch die Grundansicht KANTs überein, die namentlich für die Kategorienlehre so wichtig geworden ist, daß im Grunde sämtliche Verstandeshandlungen sich zurückführen lassen auf Urteile (Kr. d. r. V. Seite 70), daß der Verstand sein Vermögen lediglich im Urteilen zeigt (Prolegomena § 39, Fortschritt der Metaphysik, Werke I, Seite 503), eine Ansicht, die er auch schon in der vorkritischen Schrift "Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren" (Werke I, Seite 73) am allerentschiedensten ausspricht, wenn er sagt:
    "Dieses Vermögen (das Urteilen nämlich) ist nicht aus einem anderen abzuleiten, es ist ein Grundvermögen im eigentlichen Verstand und kann, wie ich dafür halte, bloß vernünftigen Wesen eigen sein. Auf demselben aber beruth die ganze Erkenntniskraft."
In der Tat ist nach KANT die ursprünglichste Handlung des Verstandes in seiner analytischen Verarbeitung des dargebotenen Stoffes schon ein Urteilen. Wenn er vom analytischen Urteil sagt, daß das Prädikat schon im Subjektbegriff gedacht, nicht nur enthalten war, obgleich nicht ausdrücklich gesagt (Prolegomena § 17), so kann unter diesem Gedachtsein nur ein stillschweigendes Urteilen verstanden werden, wie dann KANT auch sonst das Urteilen mit Denken identifiziert (ebd. 66). Wenn er ferner, wie bereits oben ausgeführt wurde, die allen gemeinsamen Begriffen anhaftende analytische Einheit im Beziehen einer Vorstellung auf Mehreres findet, so kann doch auch dieses Beziehen nur als stillschweigendes Urteilen erklärt werden. Daß nun dennoch die Lehre von den Begriffen der Lehre von den Urteilen vorangeht, bildet jedoch, wie gesagt, weiter keine Schwierigkeit; denn es handelt sich in beiden tatsächlich nur um die verschiedenen Entwicklungsstufen ein und desselben Vermögens, nämlich des Urteilsvermögens, welches auf seiner ersten Stufe die Form eines Begriffs, in seiner vollen Entfaltung aber die verschiedenen Urteilsformen erzeugt. (25)

Die Schwierigkeit besteht aber in Folgendem: Wir können uns kein Urteilen, und mag es auch nur ein gedachtes, stillschweigend sich vollziehendes sein, denken, das nicht von Begriffen oder wenigstens von einem schon vorhandenen Begriff ausgeht. Suchen wir das Urteil in seiner primitivsten Gestalt zu erfassen, so kommen wir aus dem Allgemeinen doch nie heraus. Denn sobald wir denken und nicht bloß anschauen, verhalten wir uns schon diskursiv, allgemein, das Allgemeine aber ist Begriff (26). Ein Begriff aber weist nun wieder auf ein vorangegangenes Urteilen hin, wodurch er zustande gekommen ist, dieses wiederum auf einen vorangegangenen Begriff und so ad infinitum [endlos weiter - wp] - welches ist der feste Punkt, auf dem der unsicher schweifende Blick endlich ausruhen könnte? - Würde Wahrnehmen und Denken, Anschauung und Begriff nicht so sehr voneinander getrennt, wie es durch KANT geschieht, wüchse also gleichsam die Logik aus dem Boden der Erfahrung, der Anschauung und Wahrnehmung nach und nach her, so könnte diese Frage leicht beantwortet werden und die Schwierigkeit fiele dann von selber weg (27). Dieser feste Punkt wäre dann die Erfahrung, das wirkliche Sein.

Allein nach KANT ist es schlechthin nicht zu begreifen, wie der verallgemeinernde Begriff mit der individuellen Anschauung, das Urteilen mit dem Wahrnehmen in Beziehung tritt. Wie hat sich KANT die Anknüpfung der Analysis an die "gegebenen Vorstellungen" gedacht? Es gähnt uns hier eine mächtige Kluft zwischen Anschauung und Begriff entgegen, die wir, wenn wir näher zusehen, bei KANT allerdings vermittelt, aber doch nur durch einen Sprung vermittelt finden. Ich habe bereits oben die vermittelnde Stellung angedeutet, welche die synthetische Einheit der Apperzeption zwischen Anschauung und Begriff einnimmt; sie erscheint hier als einzige Retterin in der Not. Das urteilende (analytische) Vermögen trifft nämlich in jenen "gegebenen Vorstellungen" nicht bloß individuelle Anschauungen, sondern bereits fertige, durch gewisse allgemeinste, dem Verstand ursprünglich eigentümliche (nicht wieder erst durch Urteile erzeugte) Begriffe (Kategorien) verbundenen Vorstellungskomplexe an, die dieses ihres Ursprungs wegen ansich schon eine gewisse, wenn auch allerdings noch nicht bewußte Allgemeinheit besitzen - denn die Kategorien wirken als aktive Tätigkeiten im Produktionsakt unbewußt selbsttätig (28) - und dadurch eben der Analyse eine Handhabe bieten zur Bildung von logischen, bewußten allgemeinen Begriffen.

Es ist also die durch die Verstandesbegriffe wirkende synthetische Einheit der Apperzeption der Punkt, an welchem wir eine Vermittlung zwischen Anschauung und Begriff gewahren, an welchen auch die Logik anknüpfen muß (29). Könnten wir jene synthetisch wirkende Funktion unseres Verstandes mit klarem Blick bis in ihre geheime Werkstatt hinein verfolgen, könnten wir nicht nur in der Wirkung, sondern schon im "Aktus" selbst, unmittelbar mit der Erzeugung der Vorstellung, ein Bewußtsein vom Mannigfaltigen derselben haben, so bedürften wir auch weiter keiner besonderen analytischen Tätigkeit unseres Verstandes; denn die Allgemeinheit, das ist die Beziehung auf Mehreres, ist ja eigentlich shcon durch die Synthese selbst gegeben, nur dunkel und verworren (vgl. Kr. d. r. V. Seite77 und 97).

So aber bildet jenes bei allen erzeugten Vorstellungen schon vorhandene synthetisch Allgemeine nur den Punkt, an welchen die Analysis an das Schöpfungswerk der Synthesis anknüpft, um gleichsam den ihr dargebotenen, schon genügend präparierten Rohstoff für ein helleres Bewußtsein logisch zu verarbeiten (30). Sie beginnt ihr Werk als Urteilsvermögen damit, daß sie aus den gegebenen Vorstellungen zuerst mittels der allgemeinsten urteilenden Operationen, der Komparation, Reflexion und Abstraktion, Begriffe bildet, diese alsdann durch eine immer mehr sich entfaltende analytische Tätigkeit mittels der eigentlichen Urteilsformen und weiter auch durch die Schlußformen immer klarer und deutlicher macht und so durch fortlaufende zergliedernde Wirksamkeit in unseren ganzen Vorstellungsinhalt immer größere Klarheit und Helligkeit bringt.

In dieser Weise mochte sich KANT, soviel sich aus den spärlichen Andeutungen hierüber entnehmen läßt, das Problem über die erste Entstehung des logischen Begriffs zurecht gelegt haben. Freilich wäre unterdessen die formale Logik unvermerkt in die transzendentale hineingeraten; es ist ihr zwar gelungen, die Scylla der Erfahrung, aber nicht die Charybdis des Transzendentalen zu umschiffen; die analytische Einheit in der Tätigkeit des Verstandes berührt sich hier unsichtbar mit der synthetischen, unsicher laufen ihre Grenzen ineinander, und KANT hat uns ihre Linien nicht genau zu zeigen vermocht.

Über das Transzendentale als einer notwendigen Voraussetzung der formalen Logik spricht sich jedoch KANT noch viel deutlicher aus. Die formale Logik muß, wenn sie sich nur irgendwie begreifen will, in der Begriffsbildung nicht allein die synthetische Einheit der Apperzeption und die in ihr wirkenden Stammformen, sondern sogar noch ein besonderes transzendentales Prinzip voraussetzen. Hören wir ihn selber:
    "Das Reflektieren", sagt er (31), "(welches selbst bei Tieren, obgleich nur instinktmäßig, nämlich in Bezug auf einen dadurch zu erlangenden Begriff, sondern etwa eine dadurch zu bestimmende Neigung vorgeht) bedarf für uns ebensowohl eines Prinzips, als das Bestimmen etc. ... Das Prinzip der Reflexion über gegebene Gegenstände der Natur ist, daß sich zu allen Naturdingen empirisch bestimmte Begriffe finden lassen, welches ebensoviel sagen will, als daß man allemal an ihren Produkten eine Form voraussetzen kann, die nach allgemeinen, für uns erkennbaren Gesetzen möglich ist."

    "Dieses Prinzip", fügt Kant in einer Anmerkung hinzu, "hat beim ersten Anblick gar nicht das Ansehen eines synthetischen und transzendentalen Satzes, sondern scheint vielmehr tautologisch zu sein und zur bloßen Logik zu gehören. Denn diese lehrt, wie man eine gegebene Vorstellung mit anderen vergleichen und dadurch, daß man dasjenige, was sie mit verschiedenen gemein hat, als ein Merkmal zu allgemeinem Gebrauch herauszieht, sich einen Begriff machen kann. Allein ob die Natur zu jedem Objekt noch viele andere als Gegenstände der Vergleichung, die mit ihm in der Form vieles gemein haben, aufzuzeigen hat, darüber lehrt sie nichts; vielmehr ist die Bedingung der Möglichkeit der Anwendung der Logik auf die Natur ein Prinzip der Vorstellung der Natur als eines Systems für unsere Urteilskraft, in welchem das Mannigfaltige in Gattungen und Arten eingeteilt, es möglich macht, alle vorkommenden Naturformen durch Vergleichung auf Begriffe von größerer oder kleinerer Allgemeinheit zu bringen. Nun lehrt zwar schon etc. ..."
Dies heißt mit anderen Worten nichts anderes als: indem die formale Logik bei der Bildung eines Begriffs von einer Mehrheit vergleichbarer Vorstellungen redet, muß sie, so sie sich selbst verstehen will, mittels eines transzendentalen, obgleich nur subjektiven Prinzips eine Mehrheit von vergleichbaren Objekten der Natur voraussetzen, die durch das Denken unter einen Begriff sich bringen lassen. Denn wäre dies nicht der Fall, wie könnte sie sonst auf den Gedanken kommen, eine Mehrheit vergleichbarer Vorstellungen überhaupt anzunehmen? Zwar scheint dies nur die Anwendung der Logik auf die Natur zu betreffen und nicht sie selbst. Allein, da die formale Logik nicht bloß deskriptiv zu verfahren, d. h. lediglich die Art, wie der Mensch denkt, zu beschreiben vorgibt, sondern auch den Anspruch, eine Wissenschaft a priori zu sein, erhebt, welche lehrt, wie man denken soll (Logik von JÄSCHE, Werke III, Seite 173, 175), so wird sie schon deshalb auf jenes Prinzip, welches ihre Anwendung begründet und erklärt, nicht ganz Verzicht leisten dürfen (32). Die formale Logik braucht den Hinweis auf das Transzendentale, nicht um verständlich zu machen, wie ein Gegenstand als solcher durch ihre Formen bestimmt wird - denn das ist lediglich Aufgabe der transzendentalen Logik - sondern um auch nur ihre eigenen Formen zu begreifen.
    "Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft", sagt Kant (33), "dadurch die Natur als System nach empirischen Gesetzen gedacht wird, ist aber bloß ein Prinzip für den logischen Gebrauch der Urteilskraft, zwar ein transzendentales Prinzip seinem Ursprung nach, aber nur, um die Natur a priori als qualifiziert zu einem logischen System ihrer Mannigfaltigkeit unter empirischen Gesetzen anzusehen."
Hier sehen wir also deutlich, wie KANT trotz des formalen Charakters, den er fortwährend seiner reinen allgemeinen Logik vindiziert, zu ihrem Verständnis das Transzendentale nicht entbehren mag (34). Die formale Logik welche lehrt, wie man denken soll, weist notwendig auf ein transzendentales Prinzip hin, welches erst den logischen Gebrauch verständlich macht, den jene empfiehlt (35). Das Transzendentale ist also eine notwendige Voraussetzung des Logischen und ragt in dasselbe hinein, wenngleich wir nicht unterscheiden können, wo das Eine aufhört und das Andere anfängt.

Dasselbe tritt noch deutlicher bei den Gattungs- und Artbegriffen hervor, die ich nunmehr näher betrachten will.


III. Bildung der Gattungs-
und Artbegriffe.

Durch Reflexion, wurde oben gesagt, auf das, was mehreren Vorstellungen gemein ist und ein durch die Zusammenfassung dieses Gemeinsamen entsteht der Begriff. Dieses Gemeinsame nun bildet den Inhalt des Begriffs, und die einzelnen Stücke, welche das Gemeinsame ausmachen, heißen in Bezug auf dasselbe Teilbegriffe. Diejenigen Vorstellungen aber, von denen jenes Gemeinsame herausgehoben wurde und welche durch dasselbe notwendig mitgedacht werden, bilden Umfang des Begriffs und die Teilbegriffe heißen in Bezug auf diesen Umfang Merkmale. Der Begriff erhält durch dieselben die Bedeutung eines Erkenntnisgrundes. Ich kann nun in meiner Reflexion auf verschiedene Vorstellungen mehr oder weniger Gemeinsames herausheben. Je mehr ich heraushebe, desto größer wird der Inhalt meines Begriffs sein, aber desto kleiner sein Umfang, denn es können durch ihn nur diejenigen Vorstellungen mitgedacht werden, in welchen alle Stücke jenes Gemeinsamen mitenthalten sind, nicht aber auch diejenigen, welche nur einen Teil jenes Gemeinsamen enthalten. Dagegen würden auch diese durch meinen Begriff mitgedacht werden, wenn meine Reflexion sich nur auf das auch in ihnen enthaltene Gemeinsame beschränken würde. Inhalt und Umfang des Begriffs stehen also in einem umgekehrten Verhältnis zu einander. Daraus ergeben sich nun die neuen Verhältnisse, in welchen die Begriffe zueinander stehen, als höhere und niedere, als Gattungs- und Artbegriffe. Ein Begriff, der zwar weniger Merkmale enthält, aber mehrere Vorstellungen umfaßt als ein anderer, der seinerseits wiederum mehr Merkmale enthält, aber eben deshalb nur auf einen Teil jener selben Vorstellungen gehen kann, heißt in Bezug auf letzteren der höhere und dieser in Bezug auf jenen der niedere. Ein höherer Begriff heißt in Bezug auf die ihm subordinierten und untereinander koordinierten Begriffe der Gattungsbegriff und jene in Bezug auf diesen Artbegriffe (36). Die Tendenz der formalen Logik, mittels der Bildung von Begriffen aus zerstreuten, dunklen Vorstellungen in unsere Erkenntnis eine analytische Einheit zu bringen, steigert sie durch die Forderung, auch die mannigfachen, schon fertigen Begriffe wiederum unter sich durch die Bildung von Gattungs- und Artbegriffen miteinander in Verbindung zu bringen und dadurch unserer Erkenntnis die größtmögliche Einheit bei der größtmöglichen Ausdehnung zu verschaffen.

Was zunächst die Gattungsbegriffe betrifft, so sagt KANT (37):
    "Daß alle Mannigfaltigkeiten einzelner Dinge die Identität der Art nicht ausschließen, daß die mancherlei Arten nur als verschiedentliche Bestimmungen von wenigen Gattungen, diese aber von noch höheren Geschlechtern etc. behandelt werden müssen, . . . ist eine Schulregel oder logisches Prinzip, ohne welches kein Gebrauch der Vernunft stattfände, weil wir nur insofern vom Allgemeinen aufs Besondere schließen können, als allgemeine Eigenschaften der Dinge zugrunde liegen, unter denen die besonderen stehen."
Dieses logische Prinzip der Gattungen aber setzt ein transzendentales voraus, das Prinzip der Homogenität nämlich, nach welchem im Mannigfaltigen einer möglichen Erfahrung notwendig Gleichartigkeit vorausgesetzt wird. (38)
    "Wäre", sagt Kant (39), "unter den Erscheinungen, die sich uns darbieten, eine so große Verschiedenheit, ich will nicht sagen, der Form (denn darin mögen sie einander ähnlich sein) sondern dem Inhalt, das ist der Mannigfaltigkeit existierender Wesen nach, daß auch der allerschärfste menschliche Verstand durch Vergleichung der einen mit der anderen nicht die mindeste Ähnlichkeit ausfindig machen könnte (ein Fall, der sich wohl denken läßt), so würde das logische Gesetz der Gattung ganz und gar nicht stattfinden, und es würde selbst kein Begriff von Gattung, oder irgendein allgemeiner Begriff, ja sogar kein Verstand stattfinden, als der es lediglich mit solchen zu tun hat."
Schärfer, als es KANT selber hier tut, könnte wohl auch nicht ein erklärter Gegner der formalen Logik die Unmöglichkeit betonen, daß diese ganz aus sich selbst begriffen und ohne metaphysische oder transzendentale Voraussetzungen auch nur gedacht werden könnte.

Wenn die Bildung der Gattungsbegriffe dem System unserer Erkenntnis Einfalt verschaffen sollen, so haben die Artbegriffe, da ich, von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das darunter enthalten sein mag, herabsteigt, den Zweck, unserer Erkenntnis Ausbreitung und systematische Vollständigkeit zu verschaffen (40). Das logische Prinzip der Gattungen hatte die Identität aller Erkenntnis postuliert, das der Arten sucht die Mannigfaltigkeit und die Verschiedenheiten der Dinge auf, ungeachtet ihrer Übereinstimmung unter derselben Gattung, und macht es dem Verstand zur Vorschrift, auf diese nicht weniger als auf jene aufmerksam zu sein. Der Bildung der Gattungsbegriffe liegt das Interesse den Umfang, der der Artbegriff das Interesse, den Inhalt zu bestimmen, zugrunde (41). Da der Verstand immer nur durch Begriffe zu denken vermag (42), so wird er vermöge des Prinzips der Gattungen wohl eine höchste Gattung anzunehmen berechtigt sein, nie aber eine unterste Art, weil doch diese, als gedacht, immer nur ein Begriff sein könnte, als solcher aber enthält sie nur das, was verschiedenen Dingen gemein ist, in sich, diese Dinge selbst aber nicht in sich - denn das könnte sie nur als durchgängig bestimmter Begriff, der, da in ihm Inhalt und Umfang zusammenfallen, in Wirklichkeit auf ein Individuum geht und eben deshalb nicht mehr Gegenstand des diskursiven Denkens, sondern des Anschauens ist - sondern unter sich als niedere Begriffe, das ist als ihre Unterarten (43).

Auch von diesem "logischen Gesetz" sagt KANT ausdrücklich (44),
    "daß es ohne Sinn und Anwendung sein würde, läge ihm nicht das transzendente Gesetz der Spezifikation zugrunde, welches dem Verstand auferlegt, unter jeder Art, die uns vorkommt, Unterarten und zu jeder Verschiedenheit kleinere Verschiedenheiten zu suchen. Denn würde es keine niederen Begriffe geben, so gäbe es auch keine höheren."
Endlich gibt es neben den beiden "logischen Gesetzen der Gattungen und Arten" noch ein drittes jene vermittelndes der Kontinuität, welches einen ununterbrochenen Übergang von einer jeden Art von Begriffen zu jeder anderen durch stufenweises Wachstum der Verschiedenheit der Begriffe fordert, und, indem es durch eben diesen Übergang bei der höchsten Mannigfaltigkeit dennoch Gleichartigkeit erstrebt, eine gewisse Verwandtschaft sämtlicher Zweige der Erkenntnis durch Begriffe begründet und sie als aus einem Stamm entsprossen darstellt (45). Auch von diesem logischen Gesetz - so nennt es nämlich KANT - sagt er, daß es auf einem entsprechenden transzendentalen beruht, der lex continui in natura [transzendentales Prinzip der Einheit bezüglich der Dinge - wp], ohne welche dasselbe unverständlich bleiben muß (46).

Aus all diesem ergibt sich aber als feste Tatsache, daß KANT selbst unmöglich der Meinung sein konnte, die formale Logik könne aus sich selbst ohne jedwede Rücksicht auf einen Inhalt, ohne alle metaphysische Voraussetzung begriffen werden. Ja noch mehr, auch die sinnliche Veranschaulichung mag er zum Zweck des Verständnisses der formalen Regeln nicht missen. Wenn wir sehen, wie er die systematische Einheit unter jenen drei logischen Prinzipien dadurch "sinnlich zu machen" sucht (47), daß er einen jeden Begriff als einen Punkt ansieht, der als der Standpunkt eines Zuschauers seinen Horizont hat, das ist eine Menge von Dingen, die aus demselben können vorgestellt und gleichsam überschaut werden; und innerhalb dieses Horizonts müsse eine Menge von Punkten ins Unendliche angegeben werden können, deren jeder wieder seinen eigenen Gesichtskreis hat, das ist jede Art enthält Unterarten usw. ...; scheint uns da nicht KANT geradezu zu dem gegen ihn von TRENDELENBURG (48) erhobenen Einwurf herauszufordern, daß, mag auch der Inhalt als Inbegriff von Merkmalen für sich deutlich sein, der Umfang läßt sich durch die bloße Form des Denkens kaum verstehen, daß daher diese äußere Beziehung nur durch die zu Hilfe kommende Anschauung begreiflich wird, welche dem Begriff die Erscheinungen zuführt und den Umfang als einen Kreis darstellt, in welchem der Begriff zur Erscheinung kommt?

Es ist unmöglich, daß KANT in einen so schreienden Widerspruch sich selbst hat verwickeln können. Es besteht aber nur dann dieser Widerspruch, wenn KANT in der Tat die Behauptung aufgestellt hat, daß die formale Logik als solche ganz aus sich selbst begreiflich ist und daß dies zum Wesen der formalen Logik gehört. Dies hat aber KANT, wie ich glaube, nicht behaupten wollen. Was er behaupten wollte, beschränkt sich auf folgende gegen den die Logik mißbrauchenden Dogmatismus, der die objektive Realität eines Begriffs auf dessen logische Widerspruchslosigkeit allein begründen wollte, gerichtete Sätze: Es gibt apriorische Gesetze des Denkens, ohne die gar kein Denken stattfinden kann, die aber allein nur die formale Richtigkeit und nicht auch die reale Wahrheit des Gedachten verbürgen. Der Inbegriff dieser nur eine formale Wahrheit begründenden Gesetze ist eben die formale Logik. (49) Da es nun unzweifelhaft einen solchen Inbegriff von lediglich formalen Bedingungen der Erkenntnis gibt, so muß er sich auch offenbar in abstracto denken lassen; denn wie kämen wir sonst dazu, in unserer Erkenntnis das Formale vom Materialen in Bezug auf ihre Wahrheit zu unterscheiden, wenn wir nicht das Formale für sich zumindest in abstracto denken könnten? So weit geht KANTs Behauptung. Daß wir aber jene formalen Regeln, deren wir uns doch immer nur in ihrer Anwendung auf die Materie, auf einen Inhalt, bewußt werden, von diesem Inhalt so vollständig werden abzulösen imstande sein, daß wir sie in ihrer puren Formalität auch werden darstellen, erkennen (50) können ohne sinnliche Veranschaulichung, daß wir sie nicht nur werden denken, sondern auch überall begreifen können aus sich selbst, das konte KANT konsequenterweise nicht behaupten (51). Im Gegenteil! Wenn wir ihn in der ganzen Kritik immerfort an der formalen Logik herummäkeln sehen und bestrebt, ihre Leerheit und Armut in ihrer ganzen Nacktheit hinzustellen, wie sie in Wahrheit ohne hinzutretende Erfahrung durchaus nichts Positives in der Berichtigung unserer Erkenntnisse zu leisten vermag (52), so muß uns vielmehr die Einsicht kommen, daß es ihm geradezu darum zu tun war, durch den Nachweis der Unbegreiflichkeit der formalen Logik aus sich selbst die Einsicht in die Notwendigkeit einer Logik zu begründen, welche nicht allein auf jenen allgemeinen Prinzipien und Formen, ohne die ein Denken überhaupt nicht möglich ist, sondern auch auf festen, unumstößlichen Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung sich aufbauend, erst die volle Wahrheit unserer Erkenntnis verbürgt und eine verläßliche Richtschnur für ihre Bestrebungen bildet. Doch hiervor ein Mehreres bei der Betrachtung der Urteilsformen. Bevor wir jedoch zu dieser übergehen, haben wir noch etwas über die logischen Anforderungen zu sprechen, welche die formale Logik an den Begriff stellt.


IV. Die Anforderungen der formalen
Logik an den Begriff.

Die erste Anforderung besteht darin, daß der Begriff sich nicht widerspricht. Seine Widerspruchslosigkeit ist das logische Merkmal seiner Möglichkeit (53), sowie andererseits das logische Merkmal der Unmöglichkeit eines Begriffs darin besteht,
    "daß unter desselben Voraussetzung zwei sich widersprechende Urteile zugleich falsch sein würden, folglich, weil kein Drittes zwischen ihnen gedacht werden kann, durch jenen Begriff gar nichts gedacht wird." (54)
Dieser wesentlich negativen Anforderung schließen sich noch drei positive an, welchen jeder Begriff unterworfen ist und welchen schon die alten Scholastiker in dem Satz: quodlibet ens est unum, verum, bonum [Was auch immer wirklich ist, ist einheitlich, wahr und gut. - wp] Ausdruck gegeben haben, nur daß sie dieselben irrigerweise für transzendentale, objektive Prädikate der Dinge gehalten haben, während sie in Wahrheit nur logische Erfordernisse oder Kriterien der Begriffe von Dingen sind (55). Die Logik zeigt hier ein ähnliches Bestreben wie bei der Bildung von Gattungs- und Artbegriffen, nur daß sie sich dort, vermöge ihrer Forderung, in sämtliche mögliche Begriffe mittels Über- und Unterordnung eine gewisse durchgängige Einheit zu bringen, auf die Bildung von Begriffen im Allgemeinen bezieht, hier aber zu einem ähnlichen Zweck jeden einzelnen Begriff im Auge hat. - Als Erstes nun fordert die Logik von jedem Begriff eine qualitative (56) analytische Einheit, worunter die einheitliche Zusammenfassung des Mannigfaltigen der Erkenntnis zu verstehen ist, wie etwa die Einheit eines Themas in einem Schauspiel, einer Rede etc. KANT scheint damit die Zusammenfassung der wesentlichen, konstitutiven (57) Merkmale zu meinen, wie wenn z. B. der Geizige das Thema zu einem Schauspiel bildet, die Schilderung all der Merkmale, welche einem Geizigen wesentlich eigen sind und bei ihm notwendig angetroffen werden, erfordert wird. Ferner fordert die Logik Wahrheit oder qualitative Vielheit der Merkmale, damit umso mehr Folgen aus einem Begriff als aus ihrem Grund stammend sich erweisen lassen, welche dann eben so viele Kennzeichen für die objektive Realität des Begriffs sind. Dieser Punkt betrifft offenbar die attributiven Merkmale (consectaria, rationata [Konsequenzen, begründet - wp]), welche aus den konstitutiven folgen und mit ihnen das logische Wesen des Begriffs ausmachen (58). Endlich fordert die Logik die Vollkommenheit des Begriffs, die darin besteht, daß, sowie von einem Begriff all jene Folgen abgeleitet werden konnten, umgekehrt alle wiederum auf den einen Begriff zurückgeführt werden können. Das Kriterium der Möglichkeit eines Begriffs (in einem positiven Sinn) ist also, sagt KANT, die Definition, in der die Einheit des Begriffs, die Wahrheit all dessen, was zunächst aus ihm abgeleitet werden mag, endlich die Vollständigkeit dessen, was aus ihm gezogen wurde, zur Herstellung des ganzen Begriffs das Erforderliche desselben ausmacht (59). Die Definition also ist es, in welcher die Bildung des Begriffs seine höchste Vollendung erreicht. Aber dies ragt schon weit hinein in die Lehre von den Urteilen, durch die erst eine Definition vollzogen werden kann, und in deren Betrachtung ich nunmehr treten will.
LITERATUR: Moritz Steckelmacher, Die formale Logik Kants in ihren Beziehungen zur transzendentalen [von der philosophischen Fakultät der Universität Breslau gekrönte Preisschrift] Breslau 1879
    Anmerkungen
    1) Kr. d. r. V. Seite 76.
    2) Vgl. I. Falsche Spitzfindigkeit, Seite 71 und Supplement XII § 12.
    3) Falsche Spitzfindigkeit ebd.
    4) Vgl. Überweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. 1, fünfte Auflage, Seite 230.
    5) Überweg, System der Logik, § 66, dritte Auflage. In der Logik von Jäsche (§ 1, Anm. 1) wird übrigens auch die Bezeichnung "allgemeine Vorstellung" für den Begriff im Gegensatz zur Anschauung gebraucht.
    6) Vgl. Kr. d. r. V. Seite 733 und Anm. In der "Logik" von Jäsche (§ 1, Anm. 2) wird der hier gebrauchte Ausdruck "gemeinsame Begriffe" als tautologische verworfen. Vgl. jedoch Kr. d. r. V. Seite 229, wo die Unterscheidung von allgemeinen und besonderen Begriffen beibehalten zu sein scheint. Ebenso Werke I (Rosenkranz) Seite 439, Anm., wo nur "allgemeine Dinge" verworfen wird.
    7) Kr. d. r. V. Seite 358.
    8) ebd. Seite 97, 712, 735.
    9) Einleitung zur Kr. d. r. V., Seite 28.
    10) Vgl. zu Allem Kr. d. r. V. Seite 41 ad 4 und 5. Ferner Seite 69, Werke I, Seite 495f und 568. "Verstand" hat bei Kant verschiedene Bedeutungen. Im engsten Sinn bedeutet er das Vermögen der Begriffe und zwar in einem logischen, analytischen Sinn, in welchem er auch die Erklärung Eberhards desselben als ein Vermögen deutlicher Erkenntnis mag gelten lassen (Werke I, Seite 439). Im weitesten Sinne bedeutet er das Vermögen der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption (Suppl. 733) und in Verbindung hiermit das Vermögen der Erkenntnisse. Dazwischen liegen die Bedeutungen als das Vermögen der Begriffe oder Regeln in transzendentaler Beziehung (Kategorien), als Spontaneität der Erkenntnis gegenüber der Rezeptivität der Sinnlichkeit (wie hier), ferner als das Vermögen der Urteile und sogar auch der Vernunftschlüsse (vgl. Werke I, Seite 439, 503. Kr. d. r. V. Seite 113, 140. Prolegomena § 39 und öfter.
    11) Prolegomena § 23.
    12) Kant erläutert dies in der bereits zitierten Stelle (Kr. d. r. V., Seite 733, Anm.) durch folgendes Beispiel: die Vorstellung "Rot" entsteht in meinem Geist nur so, daß ich mir diese Farbe als woran, z. B. an einer Erde, an Etwas, womit man färben kann, oder an etwas, was schon rot gefärbt ist, vorstelle, d. h. durch Synthesis; daß ich mir nun aber auch vorstelle, daß dieses Rot an mehreren Gegenständen zu finden ist, oder als Verschiedenen gemein gedacht wird, dies geschieht allein durch die analytische Einheit der Apperzeption. Vgl. auch die treffliche Beleuchtung dieser etwas dunklen Unterscheidung in Mellins, "Wörterbuch der kritischen Philosophie", Artikel Einheit.
    13) Kr. d. r. V. Seite 98. "Alle Erkenntnis erfordert einen Begriff, dieser mag nun so dunkel oder unvollkommen sein wie er wolle. Dieser aber ist seiner Form nach jederzeit etwas Allgemeines und was zur Regel dient." Ähnlich behauptet Kant gegen Leibniz und Wolff (Kr. d. r. V. Seite 50 und öfter), daß diejenigen Begriffe, deren Merkmale und Teilvorstellungen wir uns nicht klar bewußt sein, nicht etwa deshalb für sinnliche Vorstellungen zu halten sind; sie gehören ebensogut wie die deutlichen dem Verstand an und ihr Unterschied ist ein rein logischer.
    14) Also nicht wie bei den koinai ennoiai der Stoiker, welche von selbst (anepitechnetos [unerwartet - wp]) zustande kommen (Überweg, Grundriß etc. Bd. 1, fünfte Auflage, Seite 230). Doch wird sich schließlich zeigen, daß auch für Kant die Annahme eines solchen unbewußten, die Begriffsbildung vorbereitenden Vorgangs unvermeidlich ist und somit die Unmöglichkeit einer konsequent durchgeführten Trennung des Analytischen vom Synthetischen oder des rein Formalen vom Inhaltlichen.
    15) Kr. d. r. V. Seite 216. Kant unterscheidet dabei eine transzendentale und eine logische Reflexion. Beide haben den Zweck, die Vorstellungen miteinander zu vergleichen in Bezug auf ihre Einerleiheit oder Verschiedenheit, auf ihre Einstimmigkeit oder ihren Widerstreit, um sie danach entweder zu verbinden oder zu trennen. Kommt es nur auf die logische Form dieser Vorstellungen an und nicht auf ihren Inhalt, so genügt die bloße Vergleichung der Vorstellungen miteinander, um auszumachen, ob sie zueinander gehören oder nicht, und insofern ist die logische Reflexion in der Tat nichts Anderes als eine bloße Komparation. Kommt es dagegen darauf an, ob die Begriffe ihrem Inhalt nach, d. h. die Dinge, einerlei oder verschieden sind, so wird die Einstimmigkeit oder Verschiedenheit nicht sofort aus den Begriffen, d. h. aus ihrer bloßen Vergleichung, erkannt werden können, sondern erst nach einer vorangegangenen Überlegung, zu welcher Erkenntniskraft sie gehören, ob zum Verstand oder zur Sinnlichkeit, und diese Überlegung heißt transzendentale Reflexion.
    16) Auffällig ist, daß Kant in "Anthropologischen Didaktik" (Werke VII, Seite 25) von einem "Absonderungsvermögen dessen, was mehreren gemein ist (abstractio) um einen Begriff hervorzubringen" redet, während er kurz vorher (§ 3, Seite 17) die spätere Fassung ausdrücklich angibt; ferner, daß er an derselben Stelle (Seite 25) die Abstraktion allein hervorhebt, als das Vermögen, einen Begriff hervorzubringen, der Reflexion aber die Erkenntnis eines Gegenstandes zuschreibt (wobei offenbar die transzendentale gemeint ist), während in der Logik von Jäsche a. a. O. die Abstraktion neben der Komparation und Reflexion nur als negative Bedingung der Begriffsbildung hingestellt wird.
    17) Vgl. Jäsche, Werke III, Seite 198. "Freilich geht etwas vorher, ehe eine Vorstellung Begriff wird. Das werden wir an seinem Ort auch anzeigen." Es findet sich jedoch außer dem in § 6 Gesagten nichts darüber.
    18) Vgl. auch Überweg, System der Logik, § 66, dritte Auflage.
    19) Kant, Werke I, Über Philosophie überhaupt, Seite 589.
    20) Logik von Jäsche, § 6.
    21) Anthropologische Didaktik, § 3. Werke VII, Seite 16.
    22) Kr. d. r. V., Seite 70.
    23) ebd. Seite 69, wo er auch unmittelbar hinzufügt, daß er unter Funktion die Einheit der Handlung versteht, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen, dagegen ebd. Seite 717, Suppl. XI. bemerkt, daß dasjenige, was als Vorstellung vor aller Handlung irgendetwas zu denken vorhergehen kann, die Anschauung ist. Also liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Anschauung und Begriff auch darin, daß diesem eine Handlung des Verstandes vorangehen muß, was bei jener nicht der Fall ist: alle Verstandeshandlung geht aber nicht Kant auf ein Urteilen zurück, wie im Folgenden näher ausgeführt wird.
    24) Werke I, Seite 72 und 90. Daß Kant diese Ansicht auch in der Periode des Kritizismus nicht fallen gelassen hat, beweisen die vorher zitierten Stellen. Es sei mir nur noch zu bemerken gestattet, daß zur Deutlichkeit in der späteren Periode mehr erfordert wird und daß, was hier Deutlichkeit heißt, später Klarheit genannt wird. So Suppl. XXVII, Seite 793, Anm.: "Eine Vorstellung ist klar, in der das Bewußtsein zum Bewußtsein des Unterschiedes derselben von anderen zureicht. Reicht dieses zwar zur Unterscheidung, aber nicht zum Bewußtsein des Unterschiedes zu (also wie beim Tier), so müßte die Vorstellung noch dunkel genannt werden." Das bloße Bewußtsein einer Vorstellung ist noch nicht Klarheit, wie einige Logiker wollen. Wir haben es hier offenbar mit derselben Problematik zu tun, wie in der Abhandlung über die falsche Spitzfindigkeit (Werke I, Seite 72) gegen einen berühmten Gelehrten, der den Tieren deutliche Begriffe zuschreibt, obgleich sie nicht logisch, das ist mit Bewußtsein, unterscheiden; nur daß hier eine mit Bewußtsein unterschiedene Vorstellung noch eine deutliche heißt, während sie später nur als klare bezeichnet wird. Auffallenderweise findet sich die in der Kr. d. r. V. a. a. O. verworfene Bezeichnung der Klarheit in der Logik von Jäsche (Werke III, Seite 197) vielleicht eine Folge der Abhängigkeit von Meier, der das Bewußtsein von einer Sache dem Denken, dieses aber der klaren Erkenntnis gleichsetzt (Vernunftlehre § 154, 155). Unter Deutlichkeit versteht Kant später (Anthropologische Didaktik, Seite 24) dasjenige, wodurch auch die Zusammensetzung der Vorstellungen klar wird. Er sagt (ebd. Seite 25): "In der vielhaltigen Vorstellung, dergleichen eine jede Erkenntnis ist (weil dazu immer Anschauung und Begriff erfordert wird), beruth die Deutlichkeit auf der Ordnung, nach der die Teilvorstellungen zusammengesetzt werden, die dann entweder (die bloße Form betreffend) eine bloß logische Einteilung in obere und untergeordnete (perceptio primaria et secundaria) oder eine reale Einteilung in Haupt- und Nebenvorstellungen veranlassen." Auch mit dieser Erklärung der Deutlichkeit fällt die in der Logik von Jäsche gegebene nicht ganz zusammen, da in dieser (Werke III, Seite 198) zu derselben nur das Bewußtsein des Mannigfaltigen in der Vorstellung, nicht aber auch die Ordnung in der Zusammensetzung desselben gefordert wird. Letzteres setzt sogar schon Definition voraus (vgl. Kr. d. r. V., Seite 725). Jäsche kommt allerdings (Werke III, Seite 234-235) auch auf diese "komplette Deutlichkeit" zu sprechen und schließt daran die Frage, wie solche deutliche Begriffe zustande kommen. Es ist aber klar, daß die von mir angeregte Frage, wie Begriffe überhaupt ihrer Form nach entspringen, eine ganz andere ist; sie bezieht sich nicht auf einen deutlichen Begriff in letzterem Sinne, sondern im Sinne der Abhandlung über die Spitzfindigkeit. Wie kommt ein Begriff zustande, durch den ich mit Bewußtsein ein Ding von einem anderen unterscheide? Und die Antwort wird lauten: Nicht ohne ein vorangegangenes Urteilen.
    25) Aus demselben Grund erscheint mir auch der Vorwurf von Rosenkranz (Geschichte der kantischen Philosophie, Seite 160) gegen die Behauptung, daß alles Erkennen ein Urteilen ist, da es nicht weniger ein Bilden von Begriffen und Schlüssen ist, zumindest in Bezug auf Ersteres ungerechtfertigt. Vgl. weiter.
    26) Vgl. die bereits zitierte Stelle in der Kr. d. r. V. Seite 98. "Alle Erkenntnis erfordert einen Begriff etc." fern ebd. Seite 510. "Der Verstand erkennt Alles nur durch Begriffe, folglich, soweit er in der Einteilung reicht, niemals durch bloße Anschauung etc." Aus einem ähnlichen Grund rechtfertigt Lotze (Logik, 1874, Seite 23-24) die Behandlung der Begriffe vor den Urteilen.
    27) Vgl. Überweg, System der Logik, § 66, dritte Auflage. Lotze, Logik, 1874, Seite 29-30. Trendelenburg, Logische Untersuchungen, dritte Auflage, II. Abschnitt XIV. "Begriff und Urteil". Nach ihm ist das Sein mit dem Denken nicht so heterogen, da die Bewegung als Prinzip der Betrachtung beiden zugrunde liegt (Seite 229). Die Bewegung des Denkens hat den Charakter der Allgemeinheit, während die des Seins gebunden und dadurch vereinzelt ist. Das Einzelne wird, wenn es gedacht ist, ein Allgemeines, und den Begriff des Einzelnen selbst fassen wir durch das Allgemeine, indem wir es mit jener allgemeinen Tätigkeit erzeugen und begrenzen (ebd.) Ist nun auch das Einzelne ansich das dem Denken Inkommensurable, so ist doch die Wahrnehmung der Sinne oder die Schöpfung der Phantasie, durch welche wir es vorstellen, allein durch die erste dem Denken und dem Sein gemeinsame Tat möglich (ebd. Seite 230). Die Formen des Seins sind Tätigkeit und Substanz (231), und ihnen korrespondiert ganz konform Urteil und Begriff (238). Im Sein entwickelt sich die Substanz aus einer ursprünglichen gestaltenden Tätigkeit, ganz so entsteht auch der Begriff aus dem ersten Urteil als einer bloßen Tätigkeit, d. h. dem subjektlosen Urteil. Ein solches subjektloses Urteil ist z. B. "es blitzt"; daraus fixiert sich der Begriff "Blitz" (234), woran sich dann ein vollständiges Urteil knüpft usw. (238). Es ist klar, daß durch die Annahme eines solchen subjektlosen Urteilens für Kant nichts gewonnen wäre. Denn die in dem erwähnten unvollständigen Urteil enthaltene allgemeine Vorstellung des Blitzens (die allerdings nach Trendelenburg, a. a. O., Seite 233, noch nicht als ein "freier" Begriff angesehen werden darf, da sie noch nicht die Form der Substanz angenommen hat) ist nach Kant als solche bereits Begriff und nicht mehr Anschauung, die sich lediglich auf Einzelnes bezieht, während jene schon auf Mehreres geht. Außerdem ist mir schwierig geblieben, daß das "Es" bei Trendelenburg so wenig beachtet ist, das mir jedenfalls die Dignität eines wenn auch nur ganz unbestimmten Subjekts zu haben scheint (vgl. Lotze, Logik, a. a. O., Seite 70-71), von dem eben das Blitzen als Prädikat ausgesagt wird. Ein Prädikat setzt doch immer etwas voraus, von dem es prädiziert wird. Wäre im genannten Urteil wirklich gar kein Subjekt, von dem etwas ausgesagt werden könnte, so könnte es in demselben auch kein Prädikat geben, das Urteil wäre also nicht nur subjekts- sondern auch prädikatlos, das aber ist gar kein Urteil. Schleiermacher behandelt in seiner Dialektik dasselbe Problem. Auch er behauptet § 140: "Das Urteil setzt seinem Wesen nach den Begriff voraus" und § 142: "Der Begriff setzt überall das Urteil voraus"; aus dem Kreis, in welchem wir so befangen sind (§ 144), kommen wir nur die Annahme einer Indifferenz von beiden, welche dem Sein entsprechend das transzendentale wäre und in Begriffen und Urteilen sich entwickelnd das formale. Nach Drobisch (Neue Darstellung der Logik, § 49, dritte Auflage) ist der Begriff in seiner ersten Entstehung eine noch unbenannte Wahrnehmung; sie wird vermittelt durch ein Urteil mit einem unbenannten, gleichwohl aber der Vorstellung nach völlig bestimmten Subjekt.
    28) Kr. d. r. V. Seite 77 und 97. Vgl. auch Wolff, Spekulation und Philosophie, Bd. 1, Seite 118.
    29) Suppl. XIV, § 16.
    30) Abweichend von Kant, weil nicht an seiner völligen Trennung der Sinnlichkeit vom Verstand festhaltend, erklärt Lotze (Logik, a. a. O., Seite 29f) jenes erste Allgemeine, welches schon der primitivsten Begriffsbildung voraufgeht und "eine unentbehrliche Voraussetzung jenes anderen Allgemeinen ist, dem wir in der Bildung des Begriffs begegnen", als den Ausdruck einer inneren Erfahrung, die vom Denken nur anerkannt wird; es ist kein Erzeugnis des Denkens, sondern nur ein von ihm vorgefundener und von ihm anerkannter Inhalt. Dagegen ist nach Kant wohl auch schon jenes erste Allgemeine ein Erzeugnis des Denkens, aber nicht in seiner analytischen, sondern in seiner synthetischen Tätigkeit. Wie aber das synthetische Denken, obgleich allein dem Verstand zugehörig, schließlich doch mit der von ihm völlig verschiedenen Sinnlichkeit in Berührung tritt, das sucht die Kritik durch den Schematismus zu erklären und gehört selbstverständlich nicht mehr in die formale Logik.
    31) Über Philosophie überhaupt, Werke I, Seite 589f.
    32) Die allgemeine Logik steht der angewandten nur in dem Sinne gegenüber, daß diese vom Verstandesgebrauch handelt unter den zufälligen Bedingungen des Subjekts, wie Aufmerksamkeit, deren Hindernis und Folgen, Ursprung des Irrtums, Zustand des Zweifels etc., jene dagegen den Verstand betrachtet, wie er, unabhängig von diesen zufälligen Bedingungen, im Denken von Gegenständen nach notwendigen Gesetzen verfährt. Die allgemeine Logik ignoriert also nicht jede Anwendung überhaupt, sondern nur die Anwendung mit zufälligem Charakter. (Vgl. Kr. d. r. V. Seite 58)
    33) Über Philosophie überhaupt, Werke I, Seite 592.
    34) Kr. d. r. V. Seite 198 sagt Kant: "Zu jedem Begriff wird erstens die logische Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt, und dann zweitens auch die Möglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen letzteren hat er (als bloße logische Begriffsform nämlich) keinen Sinn . . . obgleich er noch immer die logische Funktion enthalten mag, etwaigen Datis einen Begriff zu machen." Also die ansich zwar feststehende logische Form erhält allererst einen Sinn, d. h. wird verständlich durch die Bezugnahme auf einen Inhalt.
    35) Vgl. auch Maimon, Versuch einer neuen Logik, Vorrede, Seite XXf.
    36) Vorstehendes nach der Logik von Jäsche, Einleitung VIII und §§ 7-11.
    37) Kr. d. r. V. Seite 506.
    38) ebd. Seite 508
    39) ebd. Seite 507
    40) ebd. Seite 509.
    41) ebd. Seite 508.
    42) ebd. Seite 69.
    43) vgl. ebd. Seite 508f und Suppl. VIII.
    44) ebd. Seite 509.
    45) Kr. d. r. V. Seite 512
    46) ebd.
    47) ebd. Seite 511.
    48) Trendelenburg, Logische Untersuchungen, Bd. 1, dritte Auflage, Seite 19.
    49) Vgl. Stadler, Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie, Seite 63.
    50) Im kantischen Sinn des Wortes.
    51) Vgl. Lotze, Logik, § 336 [3BL334], Seite 540. Vgl. auch die bereits zitierte Stelle, Werke I, Seite 373.
    52) vgl. namentlich Kr. d. r. V. Seite 200-203.
    53) Kr. d. r. V., Seite 465 und "Fortschritte der Metaphysik", Werke I, Seite 569.
    54) Prolegomena, Seite 111f. Man kann aus dieser Fassung ersehen, daß Kant, wie die neueren Logiker (vgl. Trendelenburg, Logische Untersuchungen Bd. II, dritte Auflage, Seite 282; Drobisch, Neue Darstellung dder Logik, § 59, dritte Auflage), nicht eigentlich Begriffe, sondern nur die aus ihnen hervorgehenden Urteile in einem möglichen Widerspruch zueinander stehen läßt. Vgl. auch Kr. d. r. V. Seite 397f, 572, 610f.
    55) Kr. d. r. V. Seite 725f.
    56) Im Gegensatz sowohl zur quantitativen Einheit oder der Kategorie, welche nur auf Verknüpfung des Gleichartigen geht, als auch der qualitativen synthetischen Einheit. Siehe Mellin, Artikel "Kategorie".
    57) Vgl. Werke I, Seite 455; Werke XI, Brief an Reinhold, Seite 95f.
    58) Werke I, Seite 455 und Logik (Jäsche) Seite 231.
    59) Kr. d. r. V. Seite 726.