tb-1cr-2ra-2Leonard NelsonFranz BrentanoHeinrich Rickert    
 
FRIEDRICH ALBERT LANGE
Formale Logik und Erkenntnislehre

"Es zeigt sich leicht, daß eben in jener Identifizierung des Grammatischen und Logischen eine Hauptquelle alles Streitigen und also trotz aller versuchten  Beweise nicht wahrhaft Apodiktischen liegt, und da andererseits die schon von Trendelenburg mit Recht hervorgehobene Stammverwandtschaft der Grammatik und Logik in ihrem historischen Auftreten über jeden Zweifel erhaben ist, so wird man leicht zu dem Gedanken geleitet, daß schon in den  allersten Anfängen der Logik, gerade durch ihre Verwandtschaft mit der Theorie der menschlichen  Sprache, eine starke Beimischung eines Faktors enthalten ist, welcher seiner Natur nach keiner apodiktischen Behandlung fähig ist, und welcher daher auch eine reine und allenthalben zweifelsfreie Durchführung des Logischen nach Art des Mathematischen von vornherein unmöglich macht. Damit aber werden wir veranlaßt, das Messer der Kritik weit tiefer anzusetzen, als es Kant und seine Nachfolger getan haben."

"Der Gattungsbegriff wird bei Aristoteles zur Qualität."

"Der menschliche Geist nimmt die größten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegenteil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden Behauptungen muß weichen."

Man wird mit der Frage der Berechtigung einer streng formalen Logik gegenüber der Logik als Erkenntnistheorie (1) nie ins Reine kommen, solange man beide einander schlechthin gegenüberstellt und ihren Wert für die Gesamtaufgabe der Philosophie vergleicht, als hätte man lediglich zwischen beiden zu wählen. Vielmehr handelt es sich darum, beide Aufgaben in ihrer Eigentümlichkeit zu erfassen und dabei wird die Frage in den Vordergrund treten: Hat die Wissenschaft vom Versuch einer abgesonderten Behandlung der rein formalen Elemente der Logik eine wesentliche Förderung zu erwarten oder nicht? Fällt die Antwort auf diese Frage bejahend aus, so ist damit über die Zweckmäßigkeit einer anderen Behandlung der Logik noch nichts entschieden, sowie andererseits der Nachweis der Zweckmäßigkeit einer Logik als Erkenntnistheorie auf die hier gestellte Frage keinen Einfluß ausüben kann, solange man rein auf dem Boden der theoretischen Forschung bleibt und didaktische Rücksichten beiseite läßt.

Allerdings ist die Aufgabe einer streng formalen Logik unzertrennlich von einer  Kritik der überlieferten Logik,  in welcher seit ARISTOTELES die rein logischen Elemente mit Grammatischem und Metaphysischem so eng verbunden sind, daß sich auch die bisherigen Versuche einer rein formalen Logik von dieser Verbindung nicht haben befreien können. Eine Zersetzung der überlieferten Logik würde also die unmittelbare Folge und zum Teil auch die Vorbedingung der Aufstellung einer rein formalen Logik sein; denn die Wirklichkeit einer solchen vorausgesetzt, müßte ihre erste Aufgabe darin bestehen, das Nichtlogische im überlieferten Stoff der Logik nachzuweisen, damit es auf seine wahren Quellen zurückgeführt und in seiner eigentümlichen Natur erkannt werden könne. Eine solche Zersetzung wäre aber keineswegs einer definitiven Sonderung gleich zu achten, denn abgesehen davon, daß auch auf dem neuen Boden eine parallele Behandlung des Logischen, Grammatischen und Metaphysischen in der Erkenntnislehre fruchtbar sein könnte, läßt sich nicht bestreiten, daß eine besonnene und umsichtige Behandlung der Logik als Erkenntnislehre auch ihrerseits für die Erkenntnis des rein Logischen und seiner Beziehungen zur Grammatik und Metaphysik förderlich sein und den Prozeß einer prinzipiellen Sonderung des Verschiedenartigen durch die Beobachtung seiner Wechselbeziehungen und seines Ineinandergreifens wesentlich erleichtern kann.

In dieser Beziehung dürfte z. B. ÜBERWEGs Behandlung der Logik dem Problem einer rein formalen Logik förderlicher sein, als die Bemühungen der Kantischen Schule, eine rein formale Logikformale Logik aufzustellen, ohne die aristotelische Überlieferung einer gründlichen Kritik zu unterwerfen; denn während wir bei ÜBERWEG einerseits die rein formalen Bestandteile der Logik mit ungewöhnlichem Scharfsinn und formaler als bei den meisten Formalisten behandelt finden, ehen wir unmittelbar daneben eine so weit gehende Identifizierung des Grammatischen und des Logischen und einen so gewagten Übergang in das Metaphysische durch eine sinnreiche aber lückenhafte und undurchführbare Entsprechungstheorie, daß man unwillkürlich zu tief gehenden Vergleichungen zwischen den apodiktischen [unzweifelhaft sicheren - wp] und den problematischen Elementen eines solche Systems geführt wird. Zugleich zeigt sich leicht, daß eben in jener Identifizierung des Grammatischen und Logischen eine Hauptquelle alles Streitigen und also trotz aller versuchten "Beweise" nicht wahrhaft Apodiktischen liegt, und da andererseits die schon von TRENDELENBURG mit Recht hervorgehobene Stammverwandtschaft der Grammatik und Logik in ihrem historischen Auftreten über jeden Zweifel erhaben ist, so wird man leicht zu dem Gedanken geleitet, daß schon in den  allersten Anfängen der Logik,  gerade durch ihre Verwandtschaft mit der Theorie der menschlichen  Sprache eine starke Beimischung eines Faktors enthalten ist, welcher seiner Natur nach keiner apodiktischen Behandlung fähig ist, und welcher daher auch eine reine und allenthalben zweifelsfreie Durchführung des Logischen nach Art des Mathematischen von vornherein unmöglich macht. Damit aber werden wir veranlaßt, das Messer der Kritik weit tiefer anzusetzen, als es KANT und seine Nachfolger, die HERBARTsche Schule bei allen ihren Verdiensten nicht ausgenommen, getan haben. - Ganz gleich verhält es sich mit den  metaphysischen  Bestandteilen der Logik, doch werden wir später sehen, wie beide Beimischungen der gleichen Quelle entstammen: der naiven Verwechslung von  Wort, Begriff  und  Sache,  von welcher sich ARISTOTELES bei allen Anstrengungen seiner großen Geisteskraft nicht völlig loszuringen vermochte.

Ob die Aufgabe der Herstellung einer streng formalen Logik zusammenfällt mit der Ausscheidung des wahrhaft Apodiktischen aus dem überlieferten Stoff der Logik, wird von manchen Seiten bezweifelt werden, allein nicht jeder hierauf bezügliche Zweifel darf auf Widerlegung Anspruch machen, und andere Einwendungen wieder gibt es, die deshalb auf sich beruhen mögen, weil es im Grunde gleichgültig ist, ob das Ergebnis einer übrigens richtig geführten Untersuchung der ursprünglichen Vermutung entspricht, oder nicht.

Vor allen Dingen mag bemerkt werden, daß wir als das wahrhaft Apodiktische in einer Wissenschaft nicht alles gelten lassen, was sich auf angebliche "Beweise" stützt, sondern nur dasjenige, welche jedermann, der den Sinn der betreffenden Behauptungen verstanden hat, auch wirklich zugeben muß und zugibt; das also,  worüber kein Streit sein kann.  Hiermuß nun ein für allemal der Anspruch der Metaphysiker, ohne jeden Unterschied der Richtung und Schule definitiv abgewiesen werden, daß es sich mit ihren Deduktionen ebenso verhalte, daß der Widerspruch anderer Schulen nur auf Mangel an Verständnis, wo nicht gar auf Mangel an gutem Willen beruhe, daß nur die Schwierigkeit und Tiefsinnigkeit der Sache die sofortig allgemeine Zustimmung unmöglich mache, oder gar, daß man sich erst in sechs dicken Bänden niedergelegtes System ganz und gar müsse zu eigen gemacht haben, um alsdann, vom Ganzen zum Einzelnen zurückkehrend, die Bündigkeit jedes Schlusses bewundernd anerkennen zu können. Solche Ansprüche verkennen die Natur des Apodiktischen ganz und gar. Auch in der Mathematik gibt es Gebiete, über welche niemand mitreden kann, der sich nicht durch jahrelanges Studium darauf vorbereitet hat, aber es redet auch  wirklich  kein Unberufener darüber mit; noch viel weniger fällt es jemandem ein, das mühsame Studium durch Schöpfung einer eigenen Mathematik nach ganz anderen Grundsätzen sich zu ersparen. Der Grund ist, wie auf der Hand liegt, der Einblick in die Unmöglichkeit einer anderen Mathematik, welchen jeder schon bei der Behandlung der ersten Elemente gewinnt, und das Zutrauen in die Konsequenz ihrer Methode und die Sicherheit ihres Fortgangs vom Einfachen zum Zusammengesetzten. Dergleichen vermag keine Metaphysik zu bieten, die Kantische Vernunftkritik nicht ausgenommen, wiewohl diese unter billiger Verurteilung aller bisherigen Metaphysik einen vermeintlich ebenso sicheren wie auch neuen Weg zur Entdeckung allgemeiner Vernunftwahrheiten einschlägt. Es fehlt hier überall schon den ersten Sätzen, von denen aus weiter geschlossen wird, jene Evidenz, welche dem wahrhaft Apodiktischen eigen ist, und der kritische Widerspruch des einen Metaphysikers gegen den anderen ist vollkommend genügend, um uns zu zeigen, daß bei keinem von beiden sich wahrhaft notwendige Annahmen und zwingende Schlußfolgerungen finden.

Wir stellen hiermit so wenig den Wert, der Metaphysik überhaupt, als den einer speziellen Kritik der metaphysischen Systeme in Abrede, aber wir behaupten, daß der etwaig Wert eines metaphysischen Systems nicht in seiner vermeintlich zwingenden Deduktion liegt, und daß die philosophische Kritik ihre wahre Aufgabe nicht darin hat, zu zeigen,  daß  sämtliche dieser Systeme unhaltbar sind, sondern  wie  sie zu ihren Irrtümern kommen und  wo  die schwächsten Punkte liegen. Dabei wird die positive Kritik, gleich der Geschichte der Philosophie, zugleich die Aufgabe haben, die wahre Bedeutung eines Systems für den Kulturfortschritt nachzuweisen. Diese Bedeutung hat noch nie ein besonnener Kritiker in der  unwiderleglichen Richtigkeit  eines Systems gefunden, so unermüdlich auch die Metaphysiker wieder einer nach dem andern den Anspruch auf eine solche Unwiderleglichkeit erheben.

Wie sehr die Metaphysiker selbst ein Gefühl davon haben, daß die wahre Bedeutung ihrer Produkte nicht in der apodiktischen Gültigkeit der Lehrsätze liegt, zeigt der eigentümliche Umstand, daß die Anhänger geschlossener System, ungeachtet des schroffsten Widerspruchs ihrer Lehren, doch mehr miteinander sympathisieren, als mit den Indifferenten und Skeptikern. Die gleiche Erscheinung, wie bei den orthodoxen Anhängern eines Religionsbekenntnisses. Hier spricht sich deutlich aus, daß die geschlossene Form der Weltanschauung ansich das Geschätzte und die Sicherheit der Deduktion nur Außenwerk ist; mit einem Wort, daß man sich nicht auf  theoretischem Boden  befindet, wie sehr auch der Schein hierfür sprechen möchte. Wir haben es hier nicht damit zu tun, das Streben nach einer geschlossenen Weltanschauung überhaupt zu würdigen; es handelt sich nur darum, zu zeigen, daß es in der Metaphysik das herrschende ist, und daß ihm gegenüber die Sicherheit der Ableitung der Lehren nur eine sekundäre, wenn auch wichtig erachtete Rolle spielt.

Nun aber ist gerade durch ARISTOTELES der Anspruch aufgekommen und bis heute unter den Metaphysikern noch keineswegs erloschen, daß nur das aus Prinzipien abgeleitete "apodiktische" Wissen ein wahres Wissen sei, und unter dem apodiktischen Wissen versteht man in diesem Fall keineswegs nur jenes Wissen, welches so bewiesen ist, daß kein gesund organisiertes menschliches Hirn daran zweifeln kann, sondern, nur kurz gesagt, das Wissen  vom philosophischen System aus.  "Wissenschaft" ist nach dem Sprachgebrauch dieser Kreise nur die Umfassung des Erkannten mittels der Deduktion aus Prinzipien; der Empiriker hat kein wirkliches Wissen; er liefert nur den Stoff dazu; erst wenn dieser Stoff nach den Grundsätzen des Systems geordnet und gegliedert ist, entsteht wirkliches Wissen und Wissenschaft.

Während dieser Anspruch bei ARISTOTELES nach naiv erscheinen konnte und auf einer offenbaren Verwechslung des metaphysischen Beweises mit dem wirklich zwingenden Beweis beruthe, geht die neuere deutsche Philosophie noch einen kühnen Schritt weiter. Würde nämlich die Identität der philosophischen Deduktion mit dem zwingenden Beweisverfahren, wie wir es in der Mathematik am reinsten vor uns haben, wirklich festgehalten, so könnte jeder Philosoph offenbar nur sich selbst und seinen unbedingt gläubigen Schülern wirkliches Wissen und Wissenschaft zuschreiben; denn einem anderen System, dessen Schlußfolgerungen er als unrichtig ansieht, vermöchte er doch nimmermehr apodiktische Erkenntnis zuschreiben, da ja das falsch Bewiesene gar nicht bewiesen ist. Diese Konsequenz aber  wird nicht gezogen  und darin zeigt sich eine Umgestaltung der Begriffe von Wissen, Wissenschaft, Beweis und Deduktion, deren Tragweite eine sehr ernste ist. Der Hegelianer schreibt zwar dem Herbartianer ein unvollkommeneres Wissen zu als sich selbst, und umgekehrt, aber keiner nimmt Anstand, das Wissen des andern gegenüber dem des Empirikers als ein höheres und wenigstens als eine Annäherung an das allein wahre Wissen anzuerkennen. Es zeigt sich also, daß hier von der Bündigkeit des Beweises ganz abgesehen und schon die bloße Darstellung in Form der Deduktion aus dem Ganzen eines Systems heraus als "apodiktisches" Wissen anerkannt wird.

Was wir hier hervorgehoben haben, darf keineswegs mit dem ferneren Anspruch einzelner Systeme, selbst das Positive und Tatsäcliche aus der bloßen Formel hervorgehen zu lassen, verwechselt werden. Wir bleiben bei dem ungleich besonneren Standpunkt des ARISTOTELES stehn, der nicht nur die Prinzipien selbst, aus denen wir schließen müssen, aus der Induktion hervorgehen läßt, sondern auch allenthalben die ausgedehnteste empirische Kenntnis des Tatsächlichen als Voraussetzung des philosophischen Erkenntnisprozesses fordert. Auch von diesem Standpunkt aus ist der Anspruch, daß erst der philosophische Erkenntnisprozeß das "Wissen" nach gewöhnlichem Sprachgebrauch zu wahrem Wissen mache, ein kolossaler: zumal, wenn eben der bloße Versuch einer apodiktischen Darstellung, wie wir gesehen haben, anstelle des wirklichen Beweises anerkannt wird. Nach dieser Forderung der Metaphysiker hat FARADAY kein Wissen über den Magnetismus, MEYNERT kein Wissen von Bau des Gehirns; HELMHOLTZ' Lehre von den Tonempfindungen oder seine physiologische Optik sind nicht Wissenschaft, weil nicht aus dem  physei proteron  [die individuelle Natur - wp] deduziert, sondern aus Experimenten aufgebaut; höchsten diejenigen Teile, welche sich schon ganz und vollständig aus mathematischen Prinzipien deduzieren lassen, könnten vielleicht "Wissenschaft" heißen; allein die hier vorliegende  wirkliche  Deduktion ist eben doch noch keine Deduktion aus den höchsten (metaphysischen) Prinzipien. Von  historischer  Wissenschaft, von  Philologie  als Wissenschaft kann vollends gar keine Rede sein; wenn aber dann ein Professor der Philosophie kommt und die dürftigen Bruchstücke, welche er bei den Forschern gelernt hat, an den Faden eines Systems reiht und scheinbar apodiktisch aus metaphysischen Prinzipien ableitet, dann ist das "Wissenschaft" und "wissenschaftliche Behandlung", und zwar eingestandener Maßen ohne allen Anspruch auf eine unbedingte Beweiskraft der Schlüsse. In dieser Beziehung hackt eine Krähe der andern die Augen nicht aus. Ein solches "Wissen" gilt als "apodiktisch" aus dem einfachen Grund, weil es Teil einer geschlossenen Weltanschauung ist, die sich auf metaphysische Prinziien gründet und in ihrem Entwicklungsgang unter mehr oder weniger Willkürlichkeiten und Beweisfehlern die äußere Form der Deduktion beobachtet.

Wir haben an anderer Stelle zu zeigen versucht, daß die Philosophie diesen Anspruch auf apodiktische Geltung ihrer Konstruktionen aufgeben kann, ohne irgendetwas von ihrem wahren Wert zu verlieren; ebenso wie die Religion ihren Anspruch an äußere Wahrheit aufgeben sollte, um ihren idealen Inhalt in freier und wandelbarer Form zu behaupten. Hier haben wir mit diesen Fragen nichts zu schaffen, und selbst die Bemerkung über die Verwirrung, welche man mit jenen Ansprüchen im Begriff der Wissenschaft und des wissenschaftlichen Verfahrens angerichtet hat, berührt uns nur insofern, als es gut sein mag, schon hier darauf hinzuweisen, daß auch dasjenige, was die  Forscher  und  Entdecker  wissenschaftliches Verfahren nennen, Anspruch auf eingehendste Berücksichtigung in der Erkenntnistheorie erheben darf. Unser eigentlicher Zweck ist hier nur, jedem anderweitigen Sprachgebrauch gegenüber mit voller Schärfe dasjenige hinzustellen, was wir  das Apodiktische in der Logik  nennen. Wir verstehn darunter diejenigen Lehren, welche sich, gleich den Lehrsätzen der Mathematik, in absolut zwingender Weise entwickeln lassen, und welche durch den Beweis ihrer Wahrheit auch  wirklich bewiesen  und also ein für allemal dem Streit der Schulen und dem individuellen Belieben entrückt sind.

Daß die aristotelische Logik solche Lehren enthält, wird wohl niemand bestreiten; aber auch die Tatsache, daß  vorzugsweise  diese den Stoff der "formalen Logik" bilden, dürfte schwerlich stark angefochten werden. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß die formale Logik das Problem gelöst habe, das Apodiktische in der überlieferten Logik  rein auszuscheiden  und damit zugleich den Grund seiner Denknotwendigkeit bloßzulegen. Dieses Problem darf nur ausgesprochen werden, um die Berechtigung eines Lösungsversuchs ganz unabhängig vom bisherigen Streit zwischen formaler Logik und Erkenntnistheorie klar zu machen. Die bloße Tatsache des  Vorhandenseins zwingender Wahrheiten  ist eine so wichtige, daß jede Spur derselben sorgfältig verfolgt werden muß. Eine Unterlassung dieser Untersuchung wegen des geringen Wertes der formalen Logik oder wegen ihrer Unzulänglichkeit als Theorie des menschlichen Denkens müßte von diesem Standpunkt aus zunächst schon als Verwechslung theoretischer und praktischer Zwecke zurückgewiesen werden. Ein solcher Einwand wäre etwa so anzusehen, wie wenn ein Chemiker sich weigern wollte, einen zusammengesetzten Körper zu analysieren, weil derselbe in seinem zusammengesetzten Bestand höchst wertvoll sei, während die einzelnen Bestandteile voraussichtlich gar keinen Wert hätten.

Denken wir uns demnach alle auch diesem Boden erwachsenen Einwände gegen unser Unternehmen beseitigt, so bleiben nur noch zwei einigermaßen beachtenswerte Bedenken von sehr verschiedenem Charakter übrig. Man kann nämlich vom Standpunkt der unbedingten Aristoteliker aus behaupten, daß in der Analytik des ARISTOTELES, von kleineren Verstößen abgesehen, Alles apodiktische Geltung habe; ja, daß sogar das metaphysisch-logische Prinzip des ARISTOTELES, suche man es nun in der Entwicklungslehre von der  dynamis  und der  energeia  oder in der Lehre vom "schöpferischen Begriff", auch den wahren Grund der Apodikzität der einzelnen Lehren enthalte. Diesem Einwand ist nun aber teils schon in demjenigen begegnet, was wir oben über apodiktische Metaphysik überhaupt bemerkt haben, teils werden wir später reichliche Gelegenheit haben, die totale Unhaltbarkeit solcher Ansprüche im Einzelnen kennen zu lernen. Der andere Einwand könnte nun umgekehrt im Namen des Urhebers der "formalen Logik" im modernen Sinne erhoben werden. Man könnte sagen, die Lösung des von uns aufgestellten Problems sei sehr einfach; sie liege in der von KANT aufgestellten Behauptung, daß die Lehrsätze der Logik sämtlich  analytischer  Art seien und auf dem  Satz des Widerspruchs  beruhen. Diese Behauptung verdient eine eingehende Prüfung.

Bekanntlich erkärte KANT die  mathematischen  Urteile für insgesamt synthetisch, wie ihm auch die Mathematik als Hauptbeweis dafür galt, daß es Urteile gebe, welche synthetisch aber gleichwohl mit dem Bewußtsein der  Notwendigkeit  verbunden und also, wie KANT folgert, nicht empirisch seien. Diese Behauptung war neu; denn bis dahin herrschte die Ansicht vor, daß auch die mathematischen Urteile analytisch seien und auf dem Satz des Widerspruchs beruhen. Diese Ansicht findet bis auf den heutigen Tag energische Verteidiger, denen KANT selbst im Grunde durch seine Behauptung von der rein analytischen Natur der formalen Logik die Waffen in die Hand gegeben hat. Es läßt sich in der Tat zeigen, daß  die Natur aller mit Notwendigkeit geltender Urteile im Wesentlichen ein und dieselbe  ist und daraus folgt, daß sie entweder alle analytisch, oder alle synthetisch sind, oder daß diese Einteilung im Kantischen Sinne der Ausschließlichkeit überhaupt nicht richtig ist.

In der Tat ist das letztere der Fall, und der Grundfehler scheint in der unberechtigten scharfen Trennung von Sinnlichkeit und Verstand zu beruhen, mit welcher KANT ja auch schon in der Lehre von der Synthesis und ihren verschiedenen Arten in's Gedränge kommt, da sich zeigt, daß die "Anschauung" irgendeines Gegenstandes überhaupt schon nicht ohne Mitwirkung der Spontaneität zustande kommen kann. Umgekehrt gibt es auch in den abstraktesten Gegenständen kein Denken ohne Anschauung.

Die  mathematischen  Sätze sollen durch Synthesis a priori mittels der  Anschauung des Raumes  zustande kommen. Wir wollen zu zeigen versuchen, daß dies auch bei den  logischen  Lehrsätzen der Fall ist, und daß im nämlichen Anschauungsbild, mit welchem wir dieselben begleiten, für uns das eigentlich Überzeugende liegt.

Wählen wir zunächst einen Fall, bei welchem die Ableitung aus dem bloßen Satz des Widerspruch recht evident scheint: die Umkehrung des allgemein verneinenden Urteils! ARISTOTELES sagt: (Erste Analytik I, 2) "Wenn  A  in keinem  B  enthalten ist, so wird auch  B  in keinem  A  enthalten sein. Denn wenn  B  in einigen von  A,  z. B. in  C  enthalten wäre, so wäre es nicht wahr, daß  A  in keinem  B  enthalten sei, den  C  ist einiges von  B."  Hier haben wir also den reinen Beweis durch den Satz des Widerspruchs. Gleichwohl haben wir auch den Hilfsbegriff  C,  welcher in dem zu beweisenden Satz nicht vorhanden war. Die Einführung desselben kann keinen anderen Zweck haben, als den der  Veranschaulichung  irgendeiner beliebigen Teiles von  B.  Diese Veranschaulichung vollziehen wir in der Vorstellung an einem räumlichen Bild, und wir werden später hinlänglich sehen, daß die den Raumvorstellungen eigene unendliche Variabiliät der eigentliche Grund dafür ist, daß wir hier, ganz wie in den Figuren der Geometrie, das Einzelne sofort als ein Allgemeines gelten lassen.

Wir wollen an dieses Beispiel zunächst noch einige nützliche Bemerkungen anknüpfen, bevor wir tiefer in die Untersuchung eintreten. Zunächst sehen wir, daß ARISTOTELES, dessen Logik doch sonst in so eminentem Sinn gegenüber der modern-nominalistischen, besonders in England heimischen Logik des  Umfangs  als eine Logik des  Inhalts  bezeichnet werden kann, beim eigentlichen Beweis seiner Sätze es doch nicht verschmäht, sich auf den  Umfang  der Begriffe zu stützen. Die ganze Art, wie das  C  eingeführt und nachher in Erinnerung gebracht wird, daß es zu den  B  gehöre, scheint sogar darauf hinzudeuten, daß im mündlichen Lehrvortrag schon damals sinnliche Veranschaulichungsmittel nicht verschmäht wurden; worunter natürlich nicht gerade die angeblich vom Rektor WEISE (1708) erfundenen Kreise als Symbole der Begriffssphäre verstanden sein müssen. LUDWIG VIVES wendet in seiner Schrift  de censure veri  Dreiecke an, um das Schema das Subsumtion durch einen Mittelbegriff zu veranschaulichen. Im Druck erscheinen statt der im Text genannten Dreiecke nur Winkel; die dritte Seite fehlt. Wiewohl dies wahrscheinlich nur die typographische Bequemlichkeit mit sich gebracht hat, so sieht man doch, daß auch diese Darstellungsweise dem Bedürfnis der Veranschaulichung schon genügt. (2) Wenn wir diese Unterstützung der Phantasie zu Anfang des 16. Jahrhunderts finden und die schlichte Art ihrer Einführung bemerken, so werden wir sie kaum für eine Erfindung des scharfsinnigen Spaniers halten, sondern eher für eine Schultradition. Was ARISTOTELES betrifft, so kann man die Reduktionsweise der zweiten und dritten Figur nicht als Beweis dafür gelten lassen, daß man zu seiner Zeit diese so nahe liegende Veranschaulichung nicht gekannt habe. Diese Reduktionsweise hatte für die Auffassung des ARISTOTELES prinzipielle Bedeutung, da nach ihm nur die erste Figur vollkommene Schlüsse lieferte. Es ist daher keineswegs anzunehmen, daß ARISTOTELES, wenn er die schematische Darstellung gekannt hätte, sich derselben bedient haben würde, um die Schlüsse der zweiten und dritten Figur direkt zu begründen. Jedenfalls war ARISTOTELES weit davon entfernt davon in der Anwendung einer solchen Veranschaulichung die Beweiskraft seiner Sätze zu finden; was natürlich nicht hindert, daß eben doch auch bei ihm und seinen Schülern die Anwendung des räumlichen Bildes, sei es in der bloßen Phantasie, sei es mit sinnlicher Unterstützung, die eigentliche Quelle des Bewußtseins der Allgemeinheit und Notwendigkeit der aufgestellten Sätze war.

Hieran mag sich nun ferner die Bemerkung schließen, daß das Verhältnis der  Inhärenz,  welches die ganze aristotelische Analytik beherrscht, in den  Beweisen  der logischen Lehren durchaus keine Rolle spielt. Zwar geht ARISTOTELES in seiner Syllogistik, entgegen dem modernen Gebrauch, stets vom Prädikatbegriff aus und stellt die Frage nicht in Bezug auf das Enthaltenseins der Gegenstände des Subjektbegriffs in der Sphäre des Prädikatbegriffs, sondern in Bezug auf die Gültigkeit der Anwendung des Prädikatbegriffs als Prädikat für das Subjekt. Während wir uns im versinnlichenden Bild beim Normalschluß der Subsumtion gleichsam die Privatsphäre  ruhend  denken und in der Phantasie die Sphäre des Mittelbegriffs und des Subjektbegriffs an diese heranbringen, um so das Verhältnis des Schlußurteils zu finden, scheint im aristotelischen  to a kategoreitai kath' tou B  eher das Bild der umgekehrten Bewegung zu liegen. Sieht man aber genauer zu, so liegt das eigentlich beweisende Moment bei ARISTOTELES ganz wie in der neueren Logik in den Umfangsverhältnissen der Begriffssphären, denke man sich nun diese an jene herangebracht, oder umgekehrt. In dem ebenfalls aristotelischen Ausdruck "to a hyparchei panti to B" kann man sich die Bewegung der Sphären umgekehrt denken und dies entspricht im Grunde der metaphysischen Anschauung des ARISTOTELES noch besser, da er ja die Gattung im Verhältnis zu Art und Individuum als das Stoffliche auffaßt, welches durch die Differenz erst zur Aktualität des wirklichen Dinges erhoben wird. Jedes wahre Prädikat aber ist ihm Gattung gegenüber dem Subjekt, wie die Reflexionen über das  Sein  im Subjekt und das  Ausgesagtwerden  vom Subjekt (Kategorien, Kap. 5) beweisen, wo das Urteil "der Körper ist weiß" nur dem Namen nach als kategorisch anerkannt wird; dem Begriff nach könne "weiß" niemals vom Körper als Prädikat ausgesagt werden, weil nämlich der Körper nicht Farbe, sondern eine Substanz ist. Man darf diese Unterscheidung wohl trotz der bekannten Zweifel an der Echtheit der "Kategorien" für echt aristotelisch halten; denn wenn in der Zweiten Analytik I, 22 das Urteil, "das Holz ist weiß" gerade umgekehrt als Beispiel eines wirklich kategorischen genannt wird, so ist dies aus dem dort in Rede stehenden Gegensatz zu erklären gegen das Urteil: dieses Weiße ist Holz, welches ARISTOTELES begreiflicherweise noch weit weniger als Ausdruck eines wahren Prädikatsverhältnisses gelten lassen kann, da das Holz keine Kategorie ist, unter die man das Weiße bringen kann. Aus dem gleichen Grund wird (Kategorien, Kap. 5) gelehrt, daß die Einzelsubstanzen niemals wahrhaft als Prädikat ausgesagt werden können.

Freilich steht dieser Auffassung des ARISTOTELES, wonach jedes wahre Prädikat dem Subjekt gegenüber relativ Gattung sein müsse, auch die andere ergänzend zur Seite, daß jedes Prädikat eine  dem Subjekt inhärierende Qualität  bezeichne. Der Gattungsbegriff selbst wird bei ARISTOTELES zur Qualität; denn wiewohl er lehrt, daß im Menschen nicht ein Tier, im Baum nicht eine Pflanze sei, so faßt er doch ausdrücklich (Kategorien Kap. 2 b), 16 und 17) die Aussage der Art von der Substanz und der Gattung von der Art als Aussage einer Eigenschaft, so daß in dieser Hinsicht der Unterschied zwischen einem Merkmalsbegriff als Prädikat und einem prädikativen Namen bloß darin besteht, daß das erstere eine Qualität schlechtin, das letztere aber eine qualitative Substanz oder eine die Substanz bestreffende Qualität bezeichnet. Diese das Inhärenzverhältnis hervorkehrende Anschauung widerspricht der obigen nicht; vielmehr bilden beide zusammen erst den vollständigen Ausdruck der Art, wie sich ARISTOTELES das Verhältnis von Prädikat und Subjekt im Urteil dachte. Das Prädikat ist relativ Gattung (d. h. bezeichnete  Art  gegenüber dem  Individuum),  gerade als Gattung aber spricht es das Haften einer Eigenschaft im Subjekt aus.

Von allen diesen Spekulationen über das Inhärenzverhältnis geht nun aber in die  Demonstration  der  apodiktisch  geltende Lehrsätze  rein gar nicht  über. Zwar werden mitunter auch in rein technischen Abschnitten  Ausdrücke  gebraucht, welche aus der metaphysischen Anschauung des ARISTOTELES fließen, allein man kann sich leicht davon überzeugen, daß dieselben mit dem "nervus probandi" [wichtigster Beweisgrund - wp]  nicht das mindeste zu tun haben.  Umgekehrt ist es ohne Zweifel die  Demonstration  gewesen, welche ARISTOTELES veranlaßt hat, gleich im Eingang der Analytik die  topoi  nach der  Größe  zu unterscheiden und Ausdrücke zu gebrauchen, welche das Bild der einander umfassenden Sphären ganz deutlich vor die Augen rufen, wie in der Ersten Analytik I, 4 [...] (Worin ÜBERWEG, Logik, 3. Auflage, Seite III den Anlaß für die Darstellung der Vorstellungsverhältnisse durch Kreise findet; eine Darstellung, die in der Tat, von der Kreisform des Raumbildes natürlich abgesehen, in der gesamten Technik der aristotelischen Logik ihre Begründung hat). [...]

So vollständig tritt in der Technik der Syllogistik die Spekulation über das innere Verhältnis von Subjekt und Prädikat zurück, daß ARISTOTELES jene Bedenken, ob ein Merkmalsbegriff Subjekt, ob er wahres und eigentliches Prädikat sein könne, ob ein Individualbegriff Prädikat sein könne, usw. vollständig beiseite setzt. Die Entwicklung der Regel erfolgt in durchaus formaler Weise an bloßen Buchstaben; nachher werden dem Leser drei Begriffe hingeworfen, an denen er die Sache probieren mag. Unter diesen Begriffen finden sich substantivische und adjektivische ohne Unterschied, so daß man bei der Ausführung sehr häufig auf Sätze gerät, wie "Einiges Weiße ist Tier", "Kein Unbeseeltes ist Pferd" usw., die ARISTOTELES von seinem erkenntnistheoretischen Standpunkt aus hätte fern halten müssen. Ebenso findet sich in der Lehre von der  Umkehrung  der Urteile nirgends eine Einschränkung oder Ausnahme vorgesehen hinsichtlich solcher Urteile, deren Subjektbegriff seiner inneren Natur nach nicht wahrhaft Prädikat sein kann oder umgekehrt. Die Regeln werden überall, und ohne Zweifel mit Recht, da die beweisende Veranschaulichung auf keinerlei Ausnahmen führt, in voller Allgemeinheit ausgesprochen. Eben deshalb aber vermag ARISTOTELES in den spekulativen Betrachtungen der Analytik seine Ansichten nicht schroff durchzuführen, weil sonst zahlreich Widersprüche zwischen der logischen Technik und der logisch-metaphysischen Erkenntnistheorie entstehen würden. Er hilft sich daher in solchen Fällen überall mit ziemlich dürftigem Flickwerk: eigentliche und uneigentliche Redeweise, Sprachgebrauch, der dem inneren Verhältnis nicht ganz entspricht, dem Wort nach, aber nicht dem Begriff nach und dergleichen Auskunftsmittel müssen die Kluft zwischen Technik und Erkenntnistheorie verdecken; die Technik selbst aber gilt überall, soweit es sich um das Verhältnis von Subjekt oder Prädikat handelt, ohne Unterschied für die eigentliche oder uneigentliche, begriffsmäßige oder bloß übliche Redeweise.

Daß ARISTOTELES sich hier durch die Natur seiner eigenen Technik  gezwungen  fühlte, liegt klar auf der Hand; denn die Scheidung zwischen Technik und metaphysischer Betrachtungsweise liegt durchaus nicht in seiner Absicht. Das sehen wir namentlich aus seiner Lehre von der Wahrheit oder Unwahrheit der Urteile über  Zukünftiges  und aus seiner Theorie der  Möglichkeit.  Hier, wo der logische Zwang nicht so evident war, scheut er sich keineswegs, die metaphysischen Betrachtungen, und zwar in sehr verderblicher Weise, in die Technik hineinwirken zu lassen.

Es ist übrigens auch leicht zu zeigen, daß die Bedenken der aristotelischen Erkenntnistheorie gegenüber den Sätzen mit Merkmalbegriffen oder mit Eigennamen durchweg auf Täuschung beruhen.

Was die Sätze betrifft, wie "Jenes Weiße ist Sokrates", "Das Herankommende ist Kallias", so hat schon WILHELM SCHUPPE (Die aristotelischen Kategorien, Berlin 1871, Seite 12) mit Recht bemerkt, daß sich ARISTOTELES hier durch die  Sprache  habe täuschen lassen. Zwar kann die Stelle der Zweiten Analytik I, 22, wo von dem Satz "Jenes Weiße ist Holz" die Rede ist, zeigen, daß ARISTOTELES wohl einsah, daß hier eigentlich nicht das  Weiße,  sondern das  Etwas,  welches weiß ist, Subjekt sei; allein auch an jener Stelle beruth das weiter folgende Bedenken, hier ein wahrhaft kategorisches Verhältnis anzunehmen, lediglich auf der Unfähigkeit, diese ungewohnte Auffassungsweise scharf festzuhalten, und auf der unüberwindlichen Neigung, auch das unbekannte Etwas, weil es einmal Subjekt im Satz ist, auch als ein bleibendes Substrat mit wechselnden Eigenschaften aufzufassen. Daher redet ARISTOTELES hier von einem Etwas, welches zufällig weiß ist und läßt diesem zufällig weißen Etwas den ferneren Zufall zustoßen, Holz zu sein; eine Auffassung, in welcher also der ganz unbestimmte Ausdruck für einen jetzt eben wahrgenommenen Gegenstand als beharrliches Ding betrachtet wird.

In dem Satz "Jenes Weiße ist Sokrates" liegt dasselbe Verhältnis vor; nur daß noch die Schwierigkeit hinzukommt, einen Eigennamen, und zwar bezogen auf eine bestimmte Person, als Prädikat gesetzt zu sehen. Diese Schwierigkeit mußte vom aristotelischen Standpunkt aus betrachtet als sehr bedeutend erscheinen; eine "erste Substanz", ein wirkliches, konkretes Ding, wie dieser Mensch da, kann ja nicht Gattung, geschweige Eigenschaft eines anderen Gegenstandes sein! Betrachtet man die Sache ohne das aristotelische Vorurteil, so ist sie freilich sehr einfach. Der Begriff des Individuums ist allerdings der Oberbegriff für alle wechselnden Erscheinungen dieses Individuums, also auch gegenüber den einzelnen Momenten seines Daseins und seiner Erscheingung relativ immer noch ein Gattungsbegriff, ein Begriff, welcher noch eine unendliche Fülle von einzelnen Gegenständen unter sich begreift, die gar wohl auch noch der Gruppierung nach untergeordneten Klassen fähig sind. Das Subjekt, nichts weniger als ein beharrliches Ding, sondern lediglich der Ausdruck eine momentan wahrgenommenen Gegenstandes, ist trotz der Umbestimmtheit dieses Gegenstandes weit individueller als der Begriff des Individuums. Ein solcher Satz hat so wenig Abnormes an sich, daß er vielmehr die ursprünglichste Form aller und jeder Synthesis von Subjekt und Prädikat darstellt, die man freilich nicht in metaphysischen Systemen, sondern in den Kinderstuben suchen muß, wo man die Erkenntnis in ihrer Entwicklung und die Sprache in ihrem Werden belauschen kann. Die frühesten Sätze, welche das Kind spricht, sind solche, wie "Da - Mama!" "Da - Tiktak" usw., wobei das Subjekt stets einen Gegenstand der augenblicklichen Wahrnehmung überhaupt bezeichnet und das Prädikat die nähere Bestimmung dazu in einer substantivischen Form gibt, welche die noch ungeschiedene Einheit von Eigennamen und Gattungsnamen enthält.

Was den Übergang von Merkmalsbegriffen in das Subjekt betrifft, so läßt sich hier eine sehr einfache aber folgenreiche Bemerkung an die Bedenken des ARISTOTELES anknüpfen. Welches Recht hatte ARISTOTELES überhaupt, den Satz "Das Holz ist weiß" umzukehren in "Einiges Weiße ist Holz"? Wenn das Merkmal weiß zwar "im Holze ist" aber nicht von demselben "ausgesagt wird", d. h. nicht etwas bezeichnet, das sich zu Holz als relative Gattung verhält, so hätte gar keine Umkehrung möglich sein sollen. Rein im Sinne der Inhärenz gefaßt, hätte dieselbe lauten müssen: Weiße Farbe ist bisweilen Holz, d. h. findet sich bisweilen am Holz. Indem nun aber ARISTOTELES stattdessen die Sätze mit adjektivischem Prädikat, ohne alle Rücksicht auf seine eigene Theorie, in der Umkehrung ganz wie die wirklich kategorischen, d. h. den Gattungsbegriff prädizierenden Sätze behandelte, anerkannte er im Grunde im technischen Teil seiner Logik, was er in der logisch-metaphysischen Theorie verwarf, daß nämlich die adjektivischen Prädikate rein logisch genommen  auch Gattungen bedeuten,  oder vorsichtiger ausgedrückt, daß sie,  um einer streng logischen Behandlung fähig zu werden, so aufgefaßt werden müssen,  als bedeuteten sie Gattungen, d. h. "weiß" - "weiße Gegenstände"; "das Holz ist weiß" = "das Holz ist ein weißer Gegenstand". Nun erst heißt die Umkehrung mit Recht "Einiges Weiße ist Holz", und natürlich nicht in dem Sinne "Einiges (als beharrende Substanz gedacht) welches (gerade in diesem Fall) weiß ist, ist Holz", sondern in dem sehr natürlichen, der Analogie durchaus sich fügenden Sinn: "Ein Teil der weißen Gegenstände ist Holz."

Bekanntlich streitet man bis auf den heutigen Tag noch darüber, ob die adjektivischen Prädikate in der Logik als Bezeichnung der entsprechenden Gegenstände, als substantivisch, aufzufassen seien, oder nicht. Dieser Streit wird in der Hauptsache richtig gelöst durch die Bemerkung ÜBERWEGs (Logik, 3. Auflage, Seite 229, § 84), daß die Substantivierung der Prädikatbegriffs die "stillschweigende Voraussetzung" der aristotelischen Lehre von der Umkehrung der Urteile bildet. Nur ist hinzuzufügen, daß sie zugleich die Voraussetzung der  gesamten logischen Technik  des ARISTOTELES bildet, und wenn ferner bemerkt wird, ARISTOTELES habe die "innere Berechtigung" dieses Verfahrens nicht erörtert, so beruth diese Bemerkung dann freilich auf einem Irrtum. Für ARISTOTELES  bestand  diese "innere Berechtigung"  gar nicht.  Seine logisch-metaphysische Theorie steht in diesem Punkt mit der Technik, wie wir eben gezeigt haben, im Widerspruch; dieser Widerspruch aber ist ARISTOTELES ebensowenig klar zu Bewußtsein gekommen, wie der Begriff der von ihm selbst doch vorgenommenen "Substantivierung" des Prädikats. Er sah sich zur letzteren einfach durch die treibende Konsequenz seiner Technik fortgerissen.

Es ist daher auch durchaus nicht etwa eine Ergänzung des ARISTOTELES, sondern ein dem aristotelischen Standpunkt durchaus fremdartiger Gedanke, wenn ÜBERWEG (§ 84) den fehlenden Nachweis der "inneren Berechtigung" der Konversion mit der Bemerkung nachzuholen versucht, daß diese innere Berechtigung  nur dann  vorhanden sei, wenn der Prädikatsbegriff "sich zur Substantivierung  eignet",  d. h. wenn "nicht nur die Tätigkeiten oder Eigenschaften, welche der Prädikatsbegriff bezeichnet, untereinander wesentlich verwandt sein, sondern auch die Gesamtheit der Gegenstände oder Substanzen, welchen dieselben zukommen, wesentlich gleichartig ist, oder eine Klasse oder Gattung" (ÜBERWEG verweist hier auf § 58 seines Werkes) "bildet".

Mit diesem Maßstab gemessen wären die meisten hierher gehörigen Beispiele, welche ARISTOTELES selbst gibt, falsch und die Lehre von der Umkehrung der Urteile würde nicht mehr mit Allgemeinheit und Notwendigkeit gelten, sondern den erheblichsten Ausnahmen unterliegen. Die Regel als solche bestünde gar nicht mehr; der  formal  und  rein logische  Grund für die Gültigkeit des umgekehrten Urteils fiele gänzlich weg und die Richtung des neuen Urteils würde lediglich auf sachlichen Betrachtungen beruhen, welche mit der Logik im überlieferten Sinn so wenig zu schaffen haben, wie mit jener echt aristotelischen Analytik, auf welche die Schule der Erkenntnistheoretiker so gern gegenüber der modernen formalen Logik zu verweisen pflegt. Was ARISTOTELES nur auf wenigen, freilich äußerst wichtigen Punkten wagt: die streng formale Konsequenz seiner analytischen Technik durch metaphysische Betrachtungen zu durchbrechen, das treibt die pseudo-aristotelische Erkenntnistheorie der Gegenwart so weit, daß alles Apodiktische in der Logik darunter verflüchtigt wird. Auf diese Weise ist dann freilich Einheit in die Logik gebracht. Bei ARISTOTELES ist allerdings Technisches und Metaphysisches in der Entwicklung und Darstellung allenthalben miteinander vermengt und verflochten, dagegen im Prinzip so streng geschieden, daß man der bloßen Absicht nach schwerlich einen radikaleren Formalisten finden könnte, als ARISTOTELES in seiner analytischen Technik. Diese Konsequenz allein hat seinen Lehren einen für alle Zeiten bleibenden und vom Urteil über die aristotelische Metaphysik unabhängigen Wert gegeben. Daß die modernen Freunde der aristotelischen Metaphysik, zumal wenn sie in dieser den "bleibenden Grund" aller Philosophie entdeckt zu haben glauben und diese Metaphysik selbst für "apodiktisches Wissen" halten, für den hier nachgewiesenen Unterschied zwischen der wahrhaft apodiktischen Technik und der auf beständiger Verwechslung von Wort, Begriff und Sache ruhenden Metaphysik keinen Sinn haben, ist sehr natürlich; umso nachdrücklicher muß zur Wahrung der historischen Tatsache wie des unverfälschten Wesens der Logik bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen werden.

Wie nahe übrigens ÜBERWERG infolge seines ungemeinen Scharfsinns, seinem eigenen erkenntnistheoretischen Vorurteil zum Trotz, an die richtige Auffassung der logischen Technik streifte, zeigt eine zu gleichen Paragraphen (§ 84) gehörige Anmerkung, welche speziell gegen die geringschätzige Art gerichtet ist, in der HOPPE (Logik, Paderborn 1868) von einem "Denken nach dem Schema" redet im Gegensatz zu einem angeblichen Denken nach dem Begriff. Hier sagt ÜBERWEG wörtlich: "Mit gleichem Recht könnte man die mathematisch-mechanische Betrachtung als einseitig und willkürlich schelten, wenn sie untersucht, was aus gewissen einfachen Voraussetzungen folge und dabei von anderen Datis absieht, von denen jene in der Wirklichkeit nicht abgesondert vorzukommen pflegen, wenn sie z. B. die Bahn und die Stelle des Falls eines irgendwie geworfenen Körpers nur aufgrund der Gravitation und der Beharrung berechnet, ohne den Miteinfluß des Luftwiderstandes zu erwägen, so daß anscheinend die konkrete Anschauung das Resultat genauer zu bestimmen und über die Rechnung zu triumphieren vermag; wollte aber die mathematische Mechanik jenes abstraktive Verfahren nicht üben, so würde sie die Bewegungs gesetze  überhaupt nicht zu erkennen vermögen und die Wissenschaft würde aufgehoben sein." Es folgt die in der Tat schlagende Anwendung auf die Logik. Wer in ähnlicher Weise das abstrakte Verfahren der Logik von der Realität aus korrigieren will, "hebt durch dieses Verfahren nicht eine falsche Logik zugunsten einer besseren, sondern die Möglichkeit einer methodisch fortschreitenden logischen Erkenntnis der Denkgesetze selbst auf."

Man kann sich schwerlich richtiger ausdrücken, aber die Schneide der gleichen Logik trifft auch ÜBERWEGs Unterscheidung zwischen "geeigneten" und "ungeeigneten" Fällen der Substantivierung; denn das Kriterium des Passenden wird hier nicht aus dem "abstraktiven" Verfahren der logischen Technik, sondern aus der Betrachtung der Objekte genommen. Die logische Technik gilt aber für geeignete und ungeeignete Fälle, wie ein Satz der Stereometrie oder der analytischen Geometrie gilt, einerlei ob entsprechende Körper und Flächen oder Linien in der Natur vorkommen oder nicht. So gilt auch die logische Regel unfehlbar für eine substantivische Bezeichnung von Gegenständen, welche mit Rücksicht auf ihre Verwandtschaft oder Ähnlichkeit in der Natur der Dinge oder wegen einer gemeinsamen Substanzialität nie jemand so zusammenfassen würde. Die weiteren Erwägungen gehören also erst in die angewandte Logik, und so wird es mit der ganzen Rücksicht auf die Objekte sein, in welcher ÜBERWEGs erkenntnistheoretischer Standpunkt den Fortschritt sucht, während doch damit die eigentliche Basis aller Logik aufgehoben wird. - Was insbesondere noch die Substantivierung der Prädikate betrifft, so läßt sich leicht zeigen, daß es zwischen "geeigneten" und "ungeeigenten" Fällen nirgendwo eine scharfe Grenze gibt. Nach ÜBERWEGs Kriterium, welches in der Verweisung auf den von der  Gattung, Art, Klasse  usw. handelnden Paragraphen enthalten ist, wären die von ARISTOTELES selbst herrührenden Beispiele fast alle falsch, denn niemand wird z. B. behaupten, daß "weiße Gegenstände" in den "wesentlichen Eigenschaften" übereinstimmen und daher (nach ÜBERWEG, 3. Auflage, Seite 126, § 58) eine "Gattung" bilden. Der logischen Technik genügt es zur Substantivierung vollkommen, daß sie in  einer einzigen  Eigenschaft, auf die es gerade ankommt, übereinstimmen und damit sind die Lehrsätze  apodiktisch gültig.  Wir richtig die Logik darin verfährt, mag übrigens auch noch der Umstand zeigen, daß es im wissenschaftlichen Gebrauch, hinsichtlich der "weißen Gegenstände" z. B., wenn es sich um optische Fragen handelt, stets sachlich begründete Einteilungen geben kann, welche mit der gewöhnlichen und natürlichen, auf die  gesamte  Erscheinungsform gebauten Einteilung gar nichts zu tun haben, und wo etwa eine Grenze so einer speziell motivierten Zusammenfassung liegt, vermögen wir a priori gar nicht zu bestimmen. Und es will scheinen, als ob alles, was überhaupt Prädikat sein kann, in irgendeinem Zusammenhang einmal trotz der größten Ungleichheit der Gegenstände, zu denen es gehört, auch mit sachlichem Sinn substantiviert werden könne; jedenfalls ist aber von dieser Betrachtung die Richtigkeit des aristotelischen Verfahrens unabhängig, indem sie sich trotz des aristotelischen "Objektivismus" eben nicht auf eine Erwägung der Natur der Dinge stützt, sondern auf die Anschauung des Verhältnisses von Begriffen überhaupt.

Wir haben also gesehen, daß der  technische  Teil der aristotelischen Logik  unabhängig  dasteht von den erkenntnistheoretischen Spekulationen; ja, daß er mit diesen auf mehreren Punkten in einen dürftig verhüllten Widerspruch tritt, wobei jedoch die Lehrsätze der Technik ihr Recht mit zwingender Notwendigkeit behaupten. Wir haben ferner vorläufig wahrscheinlich gemacht, was weiterhin streng bewiesen werden soll, daß eben diese zwingende Notwendigkeit, mit welcher die technischen Lehrsätze der Logik (d. h. die  rein  technischen, von den mit Spekulation gemischten wird sattsam die Rede sein) ihr Recht behaupten, keineswegs eine Folge der bloß analytischen Natur dieser Sätze, sondern vielmehr eine Folge der mit der Demonstration verbundenen  Anschauung,  also eines synthetischen Elementes ist. Die "Veranschaulichung", das so geringschätzig betrachtete bloß didaktische Hilfsmittel, soll sich also als bloße Leitung und bestimmtere Ausführung der  Anschauung  herausstellen, wobei letztere der wahre Quell der Apodiktizität wäre.

Wir sind oben von einem Beispiel (Umkehrung des allgemein verneinenden Urteils) ausgegangen, indem wir zeigten, daß der betreffende Lehrsatz zwar durch den Satz des Widerspruchs bewiesen wird, daß aber der Beweis nicht ohne Hilfe der Anschauung zustande kommt. Wir wollen diesem Beispiel zunächst zwei andere zur Seite setzen, um die Rolle, welche einerseits der Satz des Widerspruchs, andererseits die Anschauung spielt, nach verschiedenen Seiten klar zu machen.

Bekanntlich beweist ARISTOTELES die Modi Baroco und Bocardo, nach seinem System der Zurückführung auf die erste Figur,  apagogisch  [indirekt, negativ - wp] während man ihre Bündigkeit mittels der Anschauung auch direkt erweisen kann. Der Satz des Widerspruchs tritt hier in der aristotelischen Deduktion ganz rein auf: Wenn  μ  allem  ν  zukommt, einigem  ξ  aber nicht zukommt, so muß notwendig auch  ν  einigem  ξ  nicht zukommen; denn käme es allem  ξ  zu, so müßte, da auch  μ  allem  ν  zukommt, notwendig (nach dem Modus Barbara) auch  μ  allem  ξ  zukommen, was dem gegebenen Untersatz widerspricht. Also muß die Voraussetzung "Alle  ξ  sind  ν"  falsch und das kontradiktorische Gegenteil "Mindestens einige  ξ  nicht nicht  ν"  richtig sein. - Wie man sieht, beruth der Schluß auf der Lehre vom kontradiktorischen Gegensatz der Urteile und auf der Gültigkeit des ersten Modus der ersten Figur. Von diesen Voraussetzungen aus wird der Beweis lediglich nach dem Satz des Widerspruchs bewerkstelligt, und es scheint, daß eine Veranschaulichung durch Raumbilder der Begriffssphären hier überhaupt nicht nötig ist, um den Beweis als zwingend erscheinen zu lassen. Es genügt die bloße Vorstellung der Buchstaben mit dem nicht einmal in aktuellen Vorstellungen entwickelten, sondern summarischen Bewußtsein dessen, was sie bedeuten, nebst der Erinnerung an das, was bereits bewiesen ist. Der Schluß ist, wenn man so verfährt, gleichsam ein blinder, wie der Schluß einer Rechenmaschine, die aus gegebenen Bedingungen das Fazit gibt, oder auch, wie die Erzielung eines Resultates durch menschliches Rechnung, wenn dasselbe aufgrund der Einübung bekannter Methoden rein mechanisch vorgenommen wird. Es ist zwar richtig, daß unser Geist sich bei  neuen  Lehrsätzen, welche einer ausgedehnten Anwendung fähig sind, nicht leicht mit diesem blinden Verfahren begnügt, daß trotz des Zwingenden in solchen Schlüssen ein Mißbehagen, wo nicht gar Mißtrauen übrig bleibt, solange wir nicht doch auch hier die Anschauung zu Hilfe nehmen; allein diese psychologische Erscheinung ändert nichts an der Tatsache, daß ein zwingender Schluß in diesem Fall wenigstens ohne  direkte  Mitwirkung der Anschauung zustande kommt. Von der indirekten Mitwirkung der Anschauung zu solchen Schlüssen wird gleich die Rede sein.

Nun lassen sich aber auch Folgerungen aufweisen, bei denen umgekehrt, der Satz des Widerspruchs zwar zur ferneren Erläuterung und vollständigeren Überzeugung zu Hilfe genommen werden kann, bei denen aber offenbar die ganze Beweiskraft in der Anschauung allein beruth und die Erörterung nach dem Satz des Widerspruchs überflüssig ist. Von dieser Art ist der Beweis für den ersten Modus der ersten Figur. Hier gibt ARISTOTELES nur die Tatsache und die als Beispiel dienenden Begriffe, aber keinen eigentlichen Beweis. Gerade dieses abgekürzte Verfahren, welches ARISTOTELES in den meisten Fällen einschlägt, darf als Zeugnis dafür angesehen werden, daß im Lehrvortrag der aristotelischen Logik auf die Kraft der Anschauung, wenn auch ohne eine bewußte Theorie ihrer Beweiskraft, tatsächlich abgestellt wurde. Der Geist sieht hier unmittelbar, wie die weitere aber minder bestimmte Sphäre  α  dem Mittelbegriff  β  zugrunde liegt. Wenn nun dieser wieder dem ganzen  γ  zugrunde liegt, dergestalt, daß  γ  nur zur Wesensbestimmtheit von  β  noch eine neue unterscheidende Bestimmtheit mit hinzubringt, so  sieht  man, wenn man das erstere Bild im Geist festgehalten hat, unmittelbar, wie auf  γ  ganz auf der durch die Sphäre  α  dargestellten allgemeinsten Wesensbestimmtheit ruhen muß. Daß es  notwendig  und in  allen Fällen  so sei, wird wieder durch die Anschauung der  Variabilität  des Raumbildes zum Bewußtsein gebracht. Man sieht, daß die Figur, die man sich im Geiste macht, innerhalb der Schranken der Voraussetzung unendlich vieler Variationen fähig ist, in welchen stets unverändert ein entsprechendes Bild der Voraussetzung ist und ebenso unverändert den Schluß darstellt. Wie von dieser in der Anschauung doch immer nur  annähernd  gegebenen Unendlichkeit und Allseitigkeit der Darstellung der Sprung auf das Bewußtsein  absoluter  Notwendigkeit erfolgt, brauchen wir hier nicht zu erörtern. Es genügt, wenn gezeigt wird, daß der Vorgang vollständig derselbe ist, wie wenn in der Geometrie ein Satz an einer konkreten Figur bewiesen wird und wir gleichwohl die Überzeugung gewinnen, daß der Satz  allgemein,  d. h. für jede beliebige den Bedingungen entsprechende Figur, gültig ist. - Der Satz des  Widerspruchs  wird in diesem Fall nur noch zugezogen, um uns  die Grenzen,  innerhalb welcher wir die Figur variabel zu denken haben, durch hypothetische Annahme ihrer  Überschreitung  deutlicher zum Bewußtsein zu bringen; allein auch hierbei muß die Anschauung mitwirken.

Bei diesem Anlaß können wir doch eine Bemerkung über die aristotelischen  Beispiele  nicht unterdrücken. Daß diese ohne alle Rücksicht auf den Sinn der Schlüsse, ohne alle Beziehung zur Erkenntnistheorie aufgerafften Termini, wie Mensch, Tier, Pferd, weiß, schwarz, Schnee, Rabe, Schwan, Stein usw. in rein formalistischem Sinn verwendet werden und sonach einen neuen Beleg geben für die formale Tendenz des eigentlichen technischen Teils der aristotelischen Logik, bedarf keines Nachweises; wohl aber ist es an der Zeit, darauf hinzuweisen, daß die Wahl solcher nichtssagenden Beispiele vom Standpunkt der Technik einen  Vorzug  hat, der umso wichtiger ist, je weniger noch der Beweis mittels der Anschauung an Sphärenbildern entwickelt ist.

Unsere Logiker suchen gegenwärtig etwas darin, ihre Lehrbücher mit möglichst sinnreichen Beispielen für die Technik der logischen Regeln auszustatten. Dadurch wird nicht nur die Regel mit Beispielen belegt, sondern gleichzeitig auch für den Nutzen der Logik argumentiert, der bekanntlich, was die überlieferten Kunstregeln der Deduktion betrifft, stark angefochten wird. Dieses Verfahren ist nicht nur zu billigen, sondern man sollte eher noch einen Schritt weiter gehen und ausdrücklich nur solche Beispiele wählen, welche in der Geschichte der Wissenschaften eine Rolle gespielt und also ihren Nutzen unmittelbar bewährt haben. Man beachte aber wohl, daß die Beispiele, je mehr sie in diesem Sinne gewählt sind, desto weniger geschickt sind,  den Beweis zu ersetzen,  indem man im Einzelnen sofort das Allgemeine erkennt. Das alte triviale Beispiel "Alle Menschen sind sterblich; Cajus ist ein Mensch: also ist Cajus sterblich" hat in der Geschichte der Wissenschaften keine Rolle gespielt, wenn nicht eben die Rolle des abgehetzten Schulbeispiels für einen Subsumtionsschluß. Beispiele dieser Art sind sehr leicht dem Vorwurf ausgesetzt, den man oft unbillig verallgemeinert hat, daß man mittels des Syllogismus nichts finde, was man nicht vorher gewußt. Dafür haben sie aber auf der anderen Seite in rein formaler Hinsicht gerade durch ihre Leere den Vorteil völliger Durchsichtigkeit. Man sieht hier gleich, daß man im Grunde nichts in Händen hat, als den gleichsam schwach kolorierten Umriß von  Begriffen überhaupt Während bei den inhaltreichen Beispielen das Bewußtsein zu stark von der Sache ergriffen wird, um mitten in der Überzeugung noch den formalen Grund der Überzeugung rein zu erfassen, läßt das nichtssagende Schulbeispiel unmittelbar das  Schema der Subsumtion  erkennen und bewirkt daher weit leichter und schlagender die Überzeugung, daß es sich nicht nur in diesem Fall so verhalte, sondern daß es mit Begriffen überhaupt, wähle man, welche man wolle, ebenso sein werde, sobald sie sich hinsichtlich ihrer Über- und Unterordnung ebenso verhalten. Mit einem Wort: das nichtssagende Schulbeispiel erfüllt annähernd dieselbe Aufgabe, wie die geometrische Figur und die Sphärenzeichnung in der Technik der Logiker. Es wird gebraucht mit dem Zweck,  am Einzelnen  das  Allgemeine  zu zeigen, und dieser Zweck wird offenbar dadurch erreicht, daß man sich, von keinen Betrachtungen über den speziellen Sinn des Beispiels gestört, irgendein, wenn auch noch so unvollkommenes Bild von der Summe der Gegenstände entwirft, welche mit dem Begriff bezeichnet sind. Die abstrakteste Form solcher Bilder ist das Sphärenbild selbst. Man denke sich nun im mündlichen Lehrvortrag diese zweckmäßig inhaltsleeren Beispiele mit einigen flüchtigen Strichen im Sand des Bodens oder auch nur mit einer veranschaulichenden Handbewegung begleitet und man hat im Beispiel selbst das Prinzip unserer Sphärenvergleichung. Sonach dient das moderne Beispiel einem ganz anderen Zweck als das antike, und mit Recht, denn eben weil wir die Sphärenvergleichung konsequent anwenden, bedürfen wir der nichtssagenden Beispiele nicht mehr und können in der Sammlung gewählter Beispiele eine höhere Aufgabe zu lösen suchen.

Man vergleich hierzug die Bemerkung ÜBERWEGs (Logik, 3. Auflage, Seite 297, § 107), daß ARISTOTELES einen gewissen Beweis "nur im Einzelnen an Beispielen" geführt habe, den erst neuere Logiker "in allgemeinerer Weise auf die Sphärenverhältnisse" gegründet hätten. Man wird sehen, daß der Unterschied des Verfahrens nicht so groß ist, wie es scheinen könnte. In beiden Fällen wird der Beweis eben auf  Anschauung  gegründet, indem das konkrete Anschauungsbild, an welchem man demonstriert, mit dem Bewußtsein Variabilität die Überzeugung von der Allgemeingültigkeit des Behaupteten hervorbringt. - Diese Bemerkung dürfte geeignet sein, auf den Gebrauch von Beispielen in der Wissenschaft überhaupt einiges Licht zu werfen, doch dürfen wir diesen Faden hier nicht weiter verfolgen.

Vergleichen wir nunmehr die oben aufgestellten Beispiele, so finden wir leicht, daß da, wo die Anschauung das wahrhaft Maßgebende ist, wie beim Beweis des ersten Modus der ersten Figur, ein wirklich neuer Begriff der Synthesis des Syllogismus zugrunde liegt, der Begriff der Subsumtion eines Falles unter die Regel, einer Art unter die Gattung. Diese Vermittlung des  α  und  γ  durch das eingeschaltete  β  stellt in der Tat einen Grundsatz dar, der nachher seine mannigfaltigste Anwendung findet, der aber selbst nicht aus anderen Sätzen abgeleitet werden kann; denn daß  α  von  β  ausgesagt wird und  β  von  γ  enthält noch nichts von eienr Beziehung zwischen  α  und  γ,  solange ich nicht durch die Anschauung die Regel dieser Vermittlung erkenne.

Diese Anschauung schien im apagogischen Beweis des Modus Baroco überflüssig. Hier wird nur eine Anwendung von schon feststehenden Regeln gemacht, und wenn dieselben nur, an irgendein Zeichen für die Termini angeknüpft, im Gedächtnis haften, so bedarf es keines Zurückschreitens auf räumliche Bilder der Begriffssphären. Da nun aber doch das Erschlossene selbst wieder Regel ist, und zwar eine im Modus Barbara keineswegs schon offen vorliegende Regel, so hätten wir also hier wenigstens den von KANT vorgesehenen Fall einer Erweiterung der Logik auf rein analytischem Weg durch den Satz des Widerspruchs. Freilich nur eine Erwweiterung! Bevor wir weitergehn, mag also immerhin darauf verwiesen werden, daß Erweiterungen ganz analoger Art sich auch in der  Mathematik  in großer Anzahl vorfinden. Sollen gleichwohl die eigentlich mathematischen Sätze ingesamt synthetisch sein, so könnte man ganz in gleicher Weise einen solchen Kern synthetischer Sätze auch in der  Logik  ausscheiden; auf alle Fälle wäre zwischen der formalen Logik und der Mathematik nicht jene ungeheure Kluft, welche KANT zwischen ihnen gesetzt hat, sondern vielmehr die auffallendste Übereinstimmung.

Wir gehen aber weiter und wollen zunächst noch einen Blick auf das zuerst gegebene Beispiel werfen, in welchem Anschauung und Demonstration aus dem Satz des Widerspruchs anscheinend gleichberechtigt Hand in Hand gehen: beim Beweis für die Umkehrbarkeit des allgemein verneinenden Urteils. Zunächst ist hier zu bemerken, daß sich hier, wenn man die aristotelische Beweisführung ganz beiseite läßt, wie übrigens auch beim Beweis für Baroco und Bocardo, mittels der Sphärenbilder das zu Erweisende ohne Bezug auf den Satz des Widerspruchs mit größter Evidenz dartun läßt. Das Bild zweier völlig getrennter Sphären zeigt so klar, daß hier im Verhalten der einen zur andern kein Unterschied ist, daß man die allgemeine Umkehrbarkeit eines solchen Urteils mit Überzeugung vor Augen hat, sobald überhaupt nur erklärt ist, was die Sphären bedeuten sollen. (3) Umgekehrt aber kann man hier keineswegs den Satz des Widerspruchs, wie beim Beweis für Bocardo, gleichsam rein mechanisch wirken lassen. Den aristotelischen Hilfsbegriff für irgendeinen Teil von  β  das  α  zukäme, so muß schon ein solcher Teil vorgestellt werden, der bisher als solcher nicht gegeben war. Ich muß  den Versuch  machen, ob irgendeinem solchen Teil das  α  zukommen könne, und diesen Versuch kann ich nur in der Phantasie anstellen. Wir können hieraus entnehmen, daß die Anschauung in der Tat nicht nur in diesem Fall die wesentliche Grundlage des Beweises ist, sondern daß sie überhaupt stets unentbehrlich sein wird, wenn mit den Begriffen, um bündig schließen zu können, noch irgendeine, den Hilfskonstruktionen der Geometrie vergleichbare, Operation, wie Teilung, Deckung usw. vorgenommen werden muß.

Solche Operationen an der Sphäre der einzelnen Begriffe finden sich nun aber im apagogischen Beweis für den Modus Baroco nicht. Sobald die Annahme des kontradiktorischen Gegenteils im Schlußsatz gemacht ist, wird mit den fertigen Urteilen nach einem bereits bewiesenen Schema operiert und es ergibt sich aus der Kombination von Obersatz und Schlußsatz eine Folgerung, die man rein dem Gedächtnis entnehmen kann und von der man ebenso durch bloße Anwendung von bereits Erwiesenem sieht, daß sie mit der zweiten Prämisse im Widerspruch steht und also nicht statthaft ist. Weil die einzelnen Begriffe in bestimmter Synthesis bleiben und nicht mit ihnen, sondern nur mit dem ganzen Urteil operiert wird, so bedarf man auch nicht der Phantasiebilder von der Sphäre dieser Begriffe. In  dieser  Hinsicht konnten wir also oben bemerken, daß hier der Schluß gleichsam ein blinder sei, wie bei der Rechenmaschine.  Ganz  blind, d. h. anschauungslos ist eine Operation des Denkens wohl niemals, denn die Erinnerung an das bereits gelernte und eingeübte Verfahren knüpft sich doch immer an die sinnliche Vorstellung der Zeichen, mit denen die Begriffe (beim Rechnen die Größen) und die Operationen symbolisiert werden, und beim ganz mechanischen Verfahren, wie es namentlich beim Rechnen sehr häufig vorkommt, ist wohl im Grunde das Bewußtsein lediglich von der Anschauung dieser Zeichen erfüllt, während die sogenannte Verstandesfunktion des Kombinierens und Schließens durch einen erworbenen Mechanismus vor sich geht, wie die Kombination der Muskelbewegungen beim Gehen, Tanzen, usw. - Dazu kommt, daß auch bei der  Auffindung des apagogischen Weges  jedenfalls Denken und Anschauung Hand in Hand gehen; es gehört ein "Blick" dazu, wie beim Auffinden der geometrischen Hilfskonstruktion, um die Möglichkeit des Beweises auf diesem Umweg zu entdecken; jedoch wird, wie bemerkt, das Sphärenbild als solches hier nicht zu Hilfe genommen und somit scheint die Notwendigkeit einer Anschauung desselben sich auf diejenigen Sätzen zu beschränken, in welchen auf den Umfang (wenn auch der Ausdrucksweise nach auf den Inhalt) der einzelnen Begriffe zurückgegangen werden muß, um den Beweis zu führen. Dies wird aber bei  allen fundamentalen  Operationen des Schließens der Fall sein; denn in der Tat ist keine Art und Weise abzusehen, wie aus gegebenen Urteilen ein neues, von diesen verschiedenes gewonnen werden soll, als entweder durch Reflexion über das Verhältnis der gegebenen Begriffe - und dabei wird allemal die Anschauung der Begriffssphäre zu Hilfe genommen - oder durch Anwendung bereits vorher bewiesener Regeln.

Beruth nicht aber schließlich auch der  Satz des Widerspruchs selbst auf räumlicher Anschauung?  - Wir müssen hier wohl zusehen, in welchem Sinn wir diese Frage bejahen oder verneinen. Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die  Naturgesetze  des Denkens mit den  Normalgesetzen  berühren. Jene psychologischen Bedingungen unserer Vorstellungsbildung, welche durch ihre unabänderliche Tätigkeit im natürlichen, von keiner Regel geleiteten Denken sowohl Wahrheit als auch Irrtum in ewig sprudelndern Fülle hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu einem bestimmten Ziel geleitet durch die Tatsache, daß wir Entgegengesetztes in unserem Denken nicht vereinigen können, sobald es gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt die größten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegenteil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden Behauptungen muß weichen. Psychologisch kann freilich diese Vernichtung des Widersprechenden vorübergehend sein, insofern die unmittelbare Deckung der Widersprüche vorübergehend ist. Was in verschiedenen Denkgebieten tief eingewurzelt ist, kann nicht so ohne weiteres zerstört werden, wenn man durch bloße Folgerungen zeigt, daß es widersprechend ist. Auf dem Punkt freilich, wo man die Konsequenzen des einen und des anderen Satzes unmittelbar zur Deckung bringt, bleibt die Wirkung nicht aus, allein sie schlägt nicht immer durch die ganze Reihe der Folgerungen hindurch bis in den Sitz der ursprünglichen Widersprüche. Zweifel an der Bündigkeit der Schlußreihe, an der Identität des Gegenstandes der Folgerung schützen den Irrtum häufig; aber auch wenn er für den Augenblick zerstört wird, bildet er sich aus dem gewohnten Kreis der Vorstellungsverbindungen wieder neu und behauptet sich, wenn er nicht endlich durch wiederholte Schläge zum Weichen gebracht wird.

Trotz dieser Zähigkeit des Irrtums muß gleichwohl das psychologische Gesetz der Unvereinbarkeit unmittelbarer Widersprüche im Denken mit der Zeit eine große Wirkung ausüben. es ist die scharfe Schneide, mittels welcher im Fortgang der Erfahrung allmählich die unhaltbaren Vorstellungsverbindungen vernichtet werden, während die besser haltbaren fortdauern. Es ist das vernichtende Prinzip im natürlichen Fortschritt des menschlichen Denkens, welches, gleich dem Fortschritt der Organismen, darauf beruth, daß immer neue Verbindungen von Vorstellungen erzeugt werden, von denen beständig die große Masse wieder vernichtet wird, während die besseren überleben und weiter wirken.

Dieses  physiologische  Gesetz des Widerspruchs bedarf natürlich zu seinem Bestand und zu seiner Wirksamkeit keiner Anschauung. Es ist unmittelbar durch unsere Organisation gegeben und wirkt vor jeder Erfahrung. Seine Wirksamkeit ist eine objektive und es braucht nicht erst zu Bewußtsein gebracht zu werden, um tätig zu sein.

Sollen wir nun aber dasselbe Gesetz als Grundlage der  Logik  auffassen, sollen wir es als  Normalgesetz  allen Denkens anerkennen, wie es als  Naturgesetz  auch ohne unsere Anerkennung wirksam ist; dann allerdings bedürfen wir hier so gut, wie bei allen anderen Axiomen der typischen Anschauung, um uns zu überzeugen. Daß das Ganze größer ist als der Teil, daß Gleiches zu Gleichem hinzugefügt Gleiches gibt,  sehen  wir und deshalb glauben wir es. Jedes beliebige Beispiel schließt die Allgemeinheit in sich, weil wir es sofort beweglich sehen und die Überzeugung gewinnen, daß es sich in jeder denkbaren Veränderung von Form und Größe des Angeschauten gleich verhalten werde. Ebenso aber sehen wir an einem Raumbild irgendwelcher Art, sei es in einem konkreten Fall, sei es in einem bloßen Linienschema, daß ich nicht dasselbe von demselben Gegenstand bejahen und verneinen kann. Das einzelne Bild wird sofort typisch, allein ohne Bild überhaupt bleibt mir die Formel leer und ich gewinne weder die Überzeugung von ihrer unbedingten Gültigkeit, noch auch nur wirkliche Einsicht in ihren Sinn.
LITERATUR Friedrich Albert Lange, Logische Studien, Kap. I [ein Beitrag zur Neubegründung der formalen Logik und der Erkenntnistheorie] Iserlohn 1877
    Anmerkungen
    1) Wir nehmen hier mit Rücksicht auf TRENDELENBURG UND ÜBERWEG den Ausdruck "Erkenntnistheorie" im Sinne einer Lehre von der menschlichen Erkenntnis, welche sich auf Logik, Metaphysik und Psychologie stützt, und also kein streng einheitliches Prinzip hat. Es wird sich später zeigen, daß diese Wissenschaft aufzulösen ist in die (Kantische) rein apriori verfahrende Aufsuchung der  Postulate,  welche das Erkennen voraussetzt, und in die  psychologische  Lehre vom Erkennen, welche empirischer Natur ist. Beide Zweige der Wissenschaft setzen eine genaue Untersuchung der logischen Formen voraus.
    2) LUDWIG VIVES, De censura veri, 1. II. - Vivis opera ed. Valent. t. III, Seite 171
    3) Im folgenden Kapitel wird gezeigt werden, daß der Satz des Widerspruchs gleichwohl auch hier, wie überall, mitwirkt, wenn die  Notwendigkeit,  d. h. die unbedingt  ausnahmslose  Allgemeinheit der gewonnenen Regel zu Bewußtsein gebracht werden soll. Da aber der Satz des Widerspruchs, wie gleich unten gezeigt wird, als logisches Normalgesetz selbst wieder auf Anschauung ruht, während er als psychologisches Naturgesetz das Wesen unserer Anschauung bestimmt, so kann überhaupt das Entweder - Oder in Bezug auf die Wirkung der Anschauung und des Gesetzes des Widerspruchs stets nur einen relativen Sinn haben.