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CHRISTIAN HERMANN WEISSE
(1801-1866)
Über die philosophische Bedeutung
des logischen Grundsatzes der Identität


"Anaxagoras  und  Demokrit führen auf eine Leugnung des Prinzips der Identität hin. Wenn, wie der Erstere sagt, alles in allem gemischt, oder, wie der Letztere, Leeres und Erfülltes, d. h. Nichtseiendes und Seiendes überall zugleich vorhanden sind: so ist eben nichts sich selbst gleich, sondern alles und jedes ebensosehr das Gegenteil seiner selbst. Daher auch der Ausspruch des  Demokrit: es gibt entweder keine Wahrheit oder wenn es eine gibt, so ist sie für uns unerkennbar."

"Der Grundsatz der Identität erweist sich als erfunden in der Absicht, den Gegensatz der Vernunfterkenntnis zur bloß sinnlichen, des  Denkens zum  Vorstellen auszudrücken. In diesem Zusammenhang aufgestellt, gewinnt er eine reale, inhaltsvolle Bedeutung, während er in der gemeinen, den kantischen Standpunkt festhaltenden Logik nicht minder, wie ehemals in der  Wolffschen Ontologie, als ein langweiliger Überfluß erscheint."

"Die Sprache, welche den Menschen vom Tier unterscheidet, ist durchaus auf das logische Denkgesetz der Identität gebaut. Der  Name wird nämlich dem Ding nicht insofern gegeben, als es das Objekt einer einmaligen Empfindung, einer fließenden Vorstellung oder einer sich zufällig wiederholenden Wahrnehmung ist, sondern insofern das in verschiedenartigen und wechselnden Empfindungen, Vorstellungen und Wahrnehmungen Vorkommende als ein mit sich Identisches und eben durch seine Identität mit sich selbst von allem, womit es in jenen sinnlichen Tätigkeiten etwa vermischt vorkommt, sich Unterscheidendes festgehalten werden soll."

"Ich halte die allgemeinen logischen Denkgesetze und an ihrer Spitze der Satz der Identität nämlich für bestimmt, das Vernunftbewußtsein aus seiner Selbstentäußerung zum sinnlichen Erkennen zu sich selbst zurückzuführen, indem sie zeigen, wie die sinnliche Gegenständlichkeit nicht  als Erkenntnisinhalt gegeben, sondern durch das Vernunftwissen, sofern es sich als ein auf jene Gegenständlichkeit bezügliches weiß, erst  zum Erkenntnisinhalt zu  verarbeiten ist."

Was hier mitgeteilt werden soll, schließt sich an meine Abhandlung über den wissenschaftlichen Anfang der Philosophie und über das Problem des Erkennens im zweiten Heft des zweiten Bandes dieser Zeitschrift. Es bildet, wie diese, ein Bruchstück aus der künftig von mir zu bearbeitenden "spekulativen Logik" und ich finde mich zur einstweiligen Mitteilung desselben umso mehr veranlaßt, je mehr ich jetzt aufs Neue wieder von dieser Arbeit nach anderen Richtungen mich abgezogen sehe und zu einer baldigen Fortsetzung und Vollendung derselben zur Zeit noch keine Aussicht habe. Ich gebe jedoch, was ich in Bezug auf den in der Überschrift angekündigten Gegenstand zu sagen habe, hier nicht genau in der Form, die es im dortigen Zusammenhang wird erhalten müssen, sondern gehe von einer selbständigen Betrachtung des in diesem Gegenstand vorliegenden Problems aus.

Zuvörderst bemerke ich, daß ich unter dem "Grundsatz der Identität" denselben und keinen anderen verstehe, den die Logiker gemeinhin als "Satz des Widerspruchs" zu bezeichnen pflegen. Die Einerleiheit beider Sätze hat mit Recht KANT in seiner Logik ausdrücklich ausgesprochen, nachdem er zuvor in der "Kritik der reinen Vernunft" sich zwar nur des negativen Ausdrucks bedient, aber, indem er ihn als "obersten Grundsatz aller analytischen Urteile" bezeichnete, deutlich zu verstehen gegeben hatte, wie er sich nicht einfallen ließ, daß es neben dem "Satz des Widerspruchs" noch einen davon verschiedenen "Satz der Identität" geben kann. Die Trennung beider angeblichen Sätze, die ich freilich auch jetzt noch durch die im alten Stil bearbeiteten Logiken fortschleppt, ist ursprünglich nichts, als ein schlechter Einfall BAUMGARTENs, welcher in der hölzernen Manier der WOLFFschen Schule die Verschiedenheit des Ausdrucks für eine Verschiedenheit des Sinnes nahm. Weil die Alten sich aus Gründen, die sich uns bald von selbst ergeben werden, vorzugsweise des negativen Ausdrucks zu bedienen pflegten, meinte man, sie hätten den positiven gar nicht gekannt, und freute sich desselben als einer neuen Entdeckung. Es ist aber nicht schwer, zu bemerken, wie die Neueren, wenn sie dennoch die Verschiedenheit beider Sätze festhalten und beschönigen wollen, sich genötigt finden, in den Satz der Identität Bestimmungen hineinzulegen, welche ihm ursprünglich fremd sind und seiner Bedeutung als oberstem Grundsatz der logischen Wissenschaft Eintrag tun [beeinträchtigen - wp]. So, um von FICHTE, SCHELLING und HEGEL samt all diesen nachfolgenden Philosophen nicht zu reden, bei denen dieser Satz eine konkrete metaphysische Bedeutung erhalten hat, welche den logischen Satz des Widerspruchs selbst verschlingt und aufzehrt, - KRUG, wenn er den Satz auf das Verhältnis des Begriffs zu seinen Merkmalen bezieht, welches Verhältnis doch, der ursprünglichen Stellung der logischen Prinzipien zufolge, vielmehr ein von ihm abzuleitendes sein soll. So nicht weniger FRIES, wenn er ihn auf das Verhältnis des Subjekts im Urteil zum Prädikat bezieht, welches gleichfalls jenem Grundsatz, sofern er anders nicht seine Bedeutung ganz verlieren und als eine willkürliche Zugabe zu einer einzelnen logischen Lehre erscheinen soll, nun und nimmermehr vorausgesetzt werden kann.

Wie das Verdienst, jene Einerleiheit eingesehen zu haben, so hat KANT auch noch das zweite Verdienst um unseren Satz, daß er ihn aus der Metaphysik oder Ontologie, wo ihn die WOLFFsche Schule abzuhandeln pflegt, in die Logik herübernahm. Dem scharfsinnigen Denker entging es nicht, daß derselbe, bei seiner Inhaltslosigkeit, eine metaphysische Bedeutung durchaus nicht haben kann, daß er vielmehr, wie er sich ausdrückt,
    "von Erkenntnissen bloß als Erkenntnissen überhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt, und sagt: daß der Widerspruch sie gänzlich vernichtet und aufhebt". (1)
Diese Stellung in der Logik, und zwar meist an der Spitze dieser Wissenschaft, ist nun zwar von den meisten neueren Bearbeitern derselben seit KANT beibehalten worden, sofern man nämlich nicht ein ganz neues Erkenntnisprinzip, welches in seiner ersten noch wenig durchgebildeten Gestalt unseren Satz, wie vorhin bemerkt, gänzlich zu absorbieren schien, auch in die Logik als solche einzuführen suchte. Dagegen ist von diesen Logikern nichts geschehen, um den Satz in einem vollständigeren Sinn, als wir es bei KANT allerdings noch geschehen finden, der Logik auch wirklich einzuverleiben. So nämlich, wie er dort gemeinhin, ohne weitere wissenschaftliche Begründung oder Motivierung dogmatisch hingestellt wird, kann man sich nicht verbergen, daß sein Verhältnis zu den Denkoperationen, deren Entwicklung die eigentliche Hauptaufgabe der Logik ausmacht, ein äußerliches bleibt. Nicht der Begriff des Denkens als solcher wird aus ihm abgeleitet, wie man es von einem Satz, der für das Prinzip dieser Wissenschaft gegeben wird, erwarten sollte, sondern das Denken wird als ein jenem Prinzip ansich fremder Akt aus der Erfahrung hinzugenommen, und aus der Anwendung des Prinzips samt den übrigen ihm beigesellten logischen Prinzipien auf den Denkbegriff sollen sich nur die Regeln des  richtig  Denkens ergeben. Der Satz des Widerspruchs ist also in demselben und in keinem andren Sinn Prinzip der Logik, wie er auch Prinzip der Mathematik ist; wie dort die Zahl und die abstrakten Raumbestimmungen (ta geometrika), so werden hier die abstrakten Denkoperationen, Begreifen, Urteilen und Schließen, nur äußerlich mit ihm kombiniert, und nicht die Begriffe dieser Operationen selbst, sondern nur die Art und Weise ihrer Vollziehung bilden das Objekt, worauf es in dieser Wissenschaft abgesehen ist. Hiervon ist dann die natürliche Folge, daß derselbe Tadel pedantischer Langweiligkeit und nichtssagender Trockenheit und Trivialität, welcher ehemals die metaphysische Behandlung unseres Satzes in der WOLFFschen Schule traf, nunmehr die logische trifft. Was würde man zu einem Mathematiker sagen, der unseren Satz mit derselben Umständlichkeit abhandeln wollte, wie unsere Logiker es tun? Und doch gehört er, so verstanden, wie Letztere ihn verstehen, nicht mehr und nicht weniger der Mathematik, wie der Logik an. - Indessen sieht man leicht, daß dieser Vorwurf weiter greift, und nicht die Behandlung unseres Prinzips für sich allein, sondern die gesamte wissenschaftliche Behandlung der Logik in derjenigen Schule trifft, welche auch das Prinzip in der von uns bezeichneten Gestalt aufzustellen fortfährt. Nur von einer Reform der Logik überhaupt läßt sich eine gründlicheres Verständigung über den Grundsatz der Identität erwarten, und so bekennen wir, bei der Ansicht, welche wir hier über die Bedeutung desselben aufzustellen gedenken, durchaus denjenigen Zusammenhang dieser Wissenschaft vor Augen zu haben, in welchem allein derselbe seine rechte Stelle finden kann. Indessen gibt uns auch die historische Gestalt, in welcher die Geschichte der Philosophie uns jenen Satz vorführt, Anknüpfungspunkte, durch deren glückliche Benutzung es vielfach gelingen kann, auch aus ihm selbst heraus in vereinzelter Betrachtung das Verständnis seiner wahren Bedeutung, welche zugleich die geschichtlich ursprüngliche ist, zu gewinnen, und den solchergestalt umgestalteten und wissenschaftlich neu gewonnenen seinerseits als Hebel zu weiteren Entdeckungen auf dem Gebiet spekulativer Logik zu gebrauchen.

Wenn die Logiker im Abschnitt von den sogenannten logischen Prinzipien oder Denkgesetzen an eine Erzählung der Geschichte dieser Prinzipien gehen, so pflegen sie gemeinhin anzuführen, daß der Satz des Widerspruchs sich zuerst bei PLATON deutlich ausgesprochen vorfindet. Man hebt in dieser Beziehung, als enthaltend das ausdrückliche Vorkommen dieses Satzes, die Worte des SOKRATES im  Phaedon (Seite 103) hervor, wo er, das Ergebnis einer vorangehenden Betrachtung, in welcher die Prinzipien der Ideenlehre kurz dargelegt worden waren, resümiert. - So merkwürdig nun aber auch, wie wir bald sehen werden, für die Bedeutung unseres Prinzips gerade der Zusammenhang ist, in welchem diese Worte ausgesprochen sind: so wäre es doch falsch, wenn man die Ehre seiner Entdeckung in dem Sinne, in welchem allein mit Wahrheit von einer solchen die Rede sein kann, dem PLATON zuerkennen wollte. Diese gebührt vielmehr erst dem ARISTOTELES. Denn wie niemand leugnen wird, daß ohne eine unbewußte Kenntnis der Wahrheit, die im Satz der Identität enthalten ist, gar kein Denken möglich wäre, so kann es auch ansich noch nicht für ein besonders merkwürdiges Ergebnis einer ausdrücklichen spekulativen Erhebung gelten, wenn ein Philosoph in irgendeinem, übrigens nicht ausdrücklich auf die Erforschung  dieser  Wahrheit gerichteten Zusammanhang, dieselbe beiläufig auszusprechen Veranlassung nimmt. Wissenschaftlichen Wert kann ein solcher Ausspruch nur dann gewinnen, wenn der Satz ausdrücklich mit dem Bewußtsein seiner Bedeutung als wissenschaftliches Erkenntnisprinzip aufgestellt wird; und das ist, wie gesagt, nicht durch PLATON, sondern durch ARISTOTELES geschehen. Den ARISTOTELES haben wir daher zunächst ins Auge zu fassen, wenn wir uns über den Zusammenhang belehren wollen, in welchem die wissenschaftliche Entdeckung des Satzes der Identität, d. h. seine Erhebung zum Prinzip des analytischen Erkennens, erfolgt ist. Bei ARISTOTELES selbst kommt nun zwar dieser Satz mehrfach ausgesprochen vor, auch in der ausdrücklichen Bedeutung als Erkenntnisprinzip; aber die ausführlichste und in jeder Beziehung lehrreichste Behandlung desselben ist unstrittig diejenige, welche das dritte (oder nach anderer Rechnung, welche das sogenannte  alpha elatton  mitzählt, vierte) Buch der  Metaphysik  enthält. Diese ist es, welche wir hauptsächlich darauf anzusehen haben, inwiefern wir in ihr etwa den Sinn entdecken können, welcher unserem Satz die spekulative Bedeutung und Weihe gibt, die wir in der gewöhnlichen Darstellung, wo er nur traditionellerweise aufgenommen und neben anderem oft sehr unnützen Ballast fortgeschleppt wird, so sehr vermissen. - Wir tun dies, ohne uns zuvor ängstlich auf die Erörterung der Frage über die bekanntlich sehr bestrittene Echtheit der unter dem Namen der aristotelischen Metaphysik bekannten Bücher einzulassen. Die Entscheidung dieser Frage ist für die Beurteilung einer einzelnen bestimmten Lehre, wie die gegenwärtige, von weit geringerer Wichtigkeit, als man meinen sollte; wie man nämlich auch über den Ursprung jener Aufzeichnungen denkt, auf keine Weise kann geleugnet werden, daß sie aus den Vorträgen, aus der mündlichen und schriftlichen Lehre des Aristoteles entnommen sind. Die Echtheit des sachlichen Inhalts ist, wie gesagt, eine unter keiner Voraussetzung zu bestreitende; im gegenwärtigen Fall jedoch halte ich mich aus Gründen, deren Entwicklung nicht hierher gehört, überzeugt, auch unmittelbar die eigenen Worte des ARISTOTELES vor mir zu haben, von welchem ich  dieses  Buch, zugleich mit einigen anderen, jedoch nicht eben zahl- oder umfangreichen Partien der Metaphysik, gleich den im engsten Wortsinne echten unter seinen übrigen Werken, selbst schriftlich abgefaßt und aufgezeichnet glaube.

Bei der Betrachtung nun dieser aristotelischen Deduktion fällt sogleich auf, wie dieser Philosoph dieselbe nicht unmotiviert aus dem Stegreif unternimmt, sondern durch ein bestimmtes Interesse zu ihr hingeführt wird. Er fand nämlich Gegner, welche in der Tat den scheinbar unbestreitbaren Satz bestritten - bestritten, ehe er noch ausdrücklich aufgestellt war, so daß eben diese Bestreitung das Motiv wurde, ihne aufzustellen, d. h. ihn als Erkenntnisprinzip zu Bewußtsein zu bringen. Diese Gegner sind keine anderen, als jene sophistischen Anhänger der ionischen oder physikalischen Schule, welche wir auf den PLATON in seinem  Theaetet, Sophista  und anderwärts bekämpfen sehen. Gleich zuerst, so wie ARISTOTELES das Axiom ausgesprochen hat: "daß nicht dasselbe in derselben Beziehung zukommen oder nicht zukommen kann" (a. a. O., Kapitel 3), setzt er hinzu: "es sei undenkbar, daß jemand wirklich annimmt, daß ein und dasselbe zugleich ist und nicht ist, wenn er es auch  sagt,  wie Einige von  Heraklit  in der Meinung stehen, daß er es sagt." So richtet er dann im Folgenden (Kapitel 4) seine apagogische (elektikos) Deduktion, denn einen eigentlichen Beweis (apodeixis) hier zu verlangen, erklärt er für einen "Mangel an Bildung" (apaideusia), - gegen jene Leugner des Prinzips, "unter denen sich auch viele Naturphilosophen (polloi kai ton peri tes physeos) befinden." Nach Vollführung derselben kommt er (im fünften Kapitel) nochmals auf die Ansicht der Gegner zurück, und läßt sich auf eine umständlichere Untersuchung ihrer Gründe und Motive ein. Er erinnert zunächst an die Lehre des PROTAGORAS als eine solche, welche eben darauf hinausläuft. Denn wenn, nach der bekannten Behauptung dieses Sophisten, der sinnliche Schein die Wahrheit ausmachen soll, so gibt es dann, bei der Unsicherheit und den unaufhörlichen Widersprüchen dieses Scheins, keinen Unterschied mehr zwischen Wahr und Falsch. Auch der Lehrsätze des ANAXAGORAS und DEMOKRIT gedenkt er als solcher, welche auf eine Leugnung des Prinzips der Identität hinführen. Wenn, wie der Erstere sagt, alles in allem gemischt, oder, wie der Letztere, Leeres und Erfülltes, d. h. Nichtseiendes und Seiendes überall zugleich vorhanden sind: so ist eben Nichts sich selbst gleich, sondern Alles und Jedes ebensosehr das Gegenteil seiner selbst. Daher auch der Ausspruch des DEMOKRIT: es gibt entweder keine Wahrheit oder wenn es eine gibt, so ist sie für uns unerkennbar. All dies aber, meint ARISTOTELES, beruth auf der Grundvoraussetzung, daß das Denken einerlei mit der Empfindung oder der sinnlichen Wahrnehmung ist; das sinnlich Erscheinende also die Wahrheit. Er führt in diesem Sinne, um zu zeigen, wie tief diese irrige Voraussetzung wurzelt, und wie weit sie sich verbreitet, so daß, sozusagen Jeder auf seine Art sich schuldig macht, auch diejenigen nicht ausgenommen, - was die Anfänger der Philosophie zur Verzweiflung bringen kann, - welche noch so sehr die Möglichkeit einer wahren Erkenntnis eingesehen, sie begehrt und angestrebt haben; - er führt, sagen wir, Aussprüche des EMPEDOKLES, PARMENIDES, ANAXAGORAS an, welche in verschiedenen Wendungen das Denken mit der Empfindung, die Empfindung mit der Wahrheit des objektiven Seins verwechseln. Solchergestalt werde die Natur des Unbestimmten oder Unbegrenzten und des unablässig sich Verändernden an die Stelle der Wahrheit, die durch das Denken erkannt werden soll, eingeschwärzt. Ihre höchste Spitze erreicht diese Lehre in der Behauptung einiger angeblicher Anhänger des HERAKLIT, welche, wie KRATYLOS, ihren Meister tadeln, daß er gesagt habe, nicht zweimal könnem an dieselbe Stelle des Flußes beschreiten; man könne es nämlich in der Tat auch nicht einmal. - In der Widerlegung, die ARISTOTELES hierauf von diesen Behauptungen gibt, ist besonders merkwürdig die Dialektik, die er als in ihnen selbst enthalten aufzeigt, so daß sie daran zugrunde gehen. Wer da sagt, daß Alles unablässig sich bewegt und darum zugleich ist und nicht ist: dem begegnet es, vielmehr auszusagen, daß alles ruht; denn er hebe durch seinen Satz eine notwendige Bedingung aller Bewegung oder Veränderung, nämlich das Wohin derselben, auf. So wird er überführt, daß er etwas Unveränderliches und hiermit ein vom Inhalt der Empfindung unterschiedenes Objekt des Denkens allerdings gibt. Ebenso (Kapitel 8), wer Allem die gleiche Wahrheit zuschreibt, der schreibt auch dem dieser Behauptung entgegengesetzten Satz Wahrheit zu, und wer alles für falsch erklärt, der erklärt damit auch diese Erklärung selbst für falsch.

Man sieht hieraus, daß ARISTOTELES ganz auf demselben Weg zu einer wissenschaftlichen Aufstellung seines Erkenntnisprinzips gekommen ist, wie PLATON zu seiner Ideenlehre. Die Dialektik, mit welcher ARISTOTELES seine Gegner bekämpft, ist ihrem wesentlichen Sinn nach ganz dieselbe, wie die des PLATON in den vorhin namhaft gemachten Dialogen, und wir sehen, wie bei PLATON selbst der zufällige Ausspruch dieses Prinzips sich ihm beiläufig in einem Zusammenhang ergab, wo an jenen Hauptgrundsatz der Ideenlehre, die begriffliche Festigkeit und Beständigkeit der qualitativen Unterschiede und ihre Unabhängigkeit vom Wechsel und Fluß des Sinnlichen erinnert worden war. Auch bezieht sich die Darstellung des ARISTOTELES an mehreren Stellen auf jene platonischen Lehren zurück. Unter anderen gehört dahin eine Äußerung im fünften Kapitel, die Jedem, der diese Beziehung nicht beachtet, unverständlich bleiben muß. ARISTOTELES unterscheidet nämlich dort zwischen der Betrachtung der Dinge nach ihrer Quantität und ihrer Qualität. In Bezug auf die Quantität gibt er es zu, daß man feste, mit sich selbst identische Bestimmungen für unmöglich erklären mag; dagegen baer sie das Qualitative allerdings solchen Bestimmungen unterworfen. Schon der Ausdruck  kata to eidos  [dem Typ, der Idee nach - wp] zeigt hier die Rücksichtnahme auf PLATON. Es war dem ARISTOTELES nicht entgangen, daß im platonischen Begriff der  eide  die Identität der qualitativen Bestimmung mit sich selbst enthalten war, auf die es ihm selbst im gegenwärtigen Zusammenhang ankommt, und daß eben dies das Moment des Gegensatzes der Ideenlehre zu den von beiden Philosophen auf gleiche Weise bekämpften Philosophemen ist. Eben aber PLATON hatte doch zugleich die von ihm bekämpfte Lehre in seine eigene aufgenommen; und zwar nicht etwa bloß, insofern er dem Moment des Andersseins (thateron), des Gegensatzes und der Bewegung der Ideenlehre selbst, unbeschadet der Sichselbstgleichheit und Unveränderlichkeit der Ideen und nur im Gegensatz gegen die eleatische Alleinheit, einen Platz einräumte, sondern mehr noch, indem er in einem äußeren sinnlichen Dasein als solchem eine von den Ideen abgefallene Welt erkannte, in welcher wirklich der heraklitische Fluß und Wechsel herrscht, und in Bezug auf welche daher auch kein Erkennen, sondern bloß ein Empfinden und Meinen stattfindet. Für die Prinzipien dieses sinnlichen Daseins erkannte PLATON, wie wir aus des ARISTOTELES Andeutungen über seine  agrapa dogmata  wissen, die Grundbegriffe des Quantitativen, das  Groß  und das  Klein (to mega kai to mikron). Das sinnliche Dasein selbst war ihm ein solches, welches weder schlechthin ist, noch schlechthin nicht ist, sondern nur mehr oder weniger ist oder nicht ist; wir finden es daher mehrfach in seinem Sinne durch die Worte  to mallon kai etton,  oder, wie ARISTOTELES es hier ausdrückt,  to poson  bezeichnet. Hierauf nun beziehen sich die angeführten Worte des ARISTOTELES. ARISTOTELES scheint in ihnen einerseits zwar den Anhängern des PLATON jenen Satz zuzugeben, daß nur die ideale, d. h. die rein qualitative Bestimmung, die wahrhafte und als solche die sich gleichbleibende, mit sich identische ist; andererseits aber will er vielleicht auch zu verstehen geben, daß, wenn man den sinnlichen Dingen eine solche feste Bestimmtheit abspricht, dies doch  höchstens (denn auch dies drückt sein  esto  als etwas noch Problematisches aus) nur  insofern  gelten kann, als sie quantitativer, nicht sofern sie qualitativer Natur sind. - Ist diese unsere Erklärung richtig, so würde dieser von ARISTOTELES hier im Vorübergehen auf die Ideenlehre geworfene Blick zugleich dienen, einen Aufschluß über die Absicht zu geben, welche dieser Philosoph verfolgte, wenn er den Satz der Identität aus der Umhüllung der Ideenlehre, in die ihn sein Vorgänger hineingebildet hatte, so daß er darin, sozusagen, latent blieb, hervorzog, und in seiner Allgemeinheit ihn ausdrücklich zum Prinzip des wissenschaftlichen Erkennens machte. Dies tuend nämlich rettete er das Prinzip, welches die Philosophie überhaupt durch SOKRATEs und PLATON gewonnen hatte, das Prinzip, durch welches allein ein Festhalten der Allgemeinbegriffe und ein Bestimmen oder Definieren derselben - to orixesthai katholou, was ARISTOTELES bekanntlich (Metaphysik XII, 4) dem SOKRATES als seine eigentümliche Entdeckung zuschreibt - möglich wird; zugleich aber riß er die Mauer nieder, welche nach PLATON die Ideenwelt von der sinnlichen Wirklichkeit zu trennen schien. Er faßte das Prinzip eben in seiner Allgemeinheit, als ein af alles Wissen, auch auf solches, welches zu seinem Inhalt die unmittelbare sinnliche Gegenständlich hat, anwendbares, und zugleich, seiner wahren Natur gemäß, als ein rein formales oder logisches, während PLATON es auf realistische Weise zu einem Universum geistiger Wesenheiten oder Substanzen hypostasiert [einer Idee reale Gegenständlichkeit unterschieben - wp] hatte.

Niemand wird wohl verkennen, daß in dieser Fassung, die man schon ihrer historischen Stellung nach ohne Zweifel für unseren Satz eine klassische nennen kann, derselbe eine Bedeutung erhält, die ihn von dem Vorwurf befreit, nichts, oder etwas in einem tadelnswerten Sinn,  sich von selbst Verstehendes  zu sagen. Etwas sich von selbst Verstehendes  sagt  er allerdings, insofern sein Inhalt seine Klarheit und Gewißheit von sich selbst und nicht von einem höheren Satz hat, aus welchem er als Folgerung abzuleiten wäre, was ja auch ARISTOTELES meint, wenn er einen eigentlichen Beweis dieses Grundsatzes für unmöglich erklärt. Allein diese Evidenz, wenn sie auch im gewöhnlichen Denken ohne weiteres vorausgesetzt wird, ist doch für die Spekulation als solche keineswegs eine unmittelbare, sondern eine solche, die sich , wie alle spekulative Gewißheit, nur aus der Überwindung des Entgegengesetzten ergeben kann.

Auch vom Satz der Identität gilt, was man öfters schon auf andere allgemeine Sätze und Lehren der Philosophie angewandt hat: daß Männer den TERENZ anders lesen, als Knaben. Um seine Bedeutung zu verstehen, muß man jenen Standpunkt philosophisch durchgemacht haben, auf welchem nicht er, sondern sein gerades Gegenteil als das Wahre erscheint. Dies ist auch einigen neueren Philosophen nicht unbemerkt geblieben, welche bei der Betrachtung dieses Satzes über den Schlendrian der gewöhnlichen Schullogik hinausgingen. So FRIEDRICH SCHLEGEL (2), wenn er deutlich macht, daß "seine Anwendung auf äußere von uns unabhängige Dinge noch große Schwierigkeit leidet." Es könne nämlich ein Philosoph, sofern von einer solchen Anwendung die Rede ist,
    "den Einwurf machen, daß es überhaupt kein eigentlich festes, beharrliches, ruhendes, absolutes  Sein gibt, sondern daß alles in einer steten Veränderung, ewigem Wechsel und Fluß sich befindet."
Noch auf durchgreifendere Weise bedient sich HERBART des Satzes der Identität, - dessen Einerleiheit mit dem Satz des Widerspruchs und auch mit dem sogenannten Satz vom ausgeschlossenen Dritten (3), so wie auch dessen wesentlich logische, nicht metaphysische Natur er mit richtigem Blick erkannt hat (4), - um seiner dialektischen Grundwahrnehmung von den Widersprüchen, die in den Erfahrungsbegriffen enthalten sind, gegenüber ein festes Prinzip der wissenschaftlichen Erkenntnis zu gewinnen.
    "Man muß erst", sagt er (5), "die Widersprüche in den gegebenen Erfahrungsbegriffen kennen, um einzusehen, wie wichtig die  Forderung ist, daß  A = A (tale quale est [so wie es ist - wp] nach  Cicero und hiermit nach  Platon) sein soll."
Insbesondere aber hat man neuerdings in HEGELschen Darstellung des Satzes und Begriffs der Identität einen Anlaß und eine Aufforderung zur Wiederaufnahme dieser Untersuchung finden müssen. Bekanntlich ist das Resultat dieser Darstellung, daß sie, indem sie dem  Begriff  der Identität eine wichtige Stelle unter den von ihr sogenannten  Reflexionsbestimmungen  oder  Kategorien des Wesens  einräumt, den Satz der Identität als einen ungehörigen, einseitig verständigen und darum leeren und nichtssagenden Ausdruck für jene Kategorie beiseite stellt. Diesem gegenüber nun ist es bereits mehrfach zur Sprache gekommen, ob und inwiefern nicht auch diesem Satz eine vom metaphysischen Zusammenhang, in welchen HEGEL die Kategorie der Identität stellt, eine unabhängige Bedeutung aufzufinden, ist unseres Erachtens durch die Erwägung jener aristotelischen Darstellung im Allgemeinen vorgezeichnet. Die Aufgabe ist jetzt nur noch, an die Stelle des geschichtlichen Zusammenhangs, welcher dort der Aufstellung jenes Denkgesetzes seine philosophische Bedeutung gab, einen wissenschaftlichen zu setzen, worin sich die Beziehungen, in denen dort jene Bedeutung liegt, erhalten und auf eine dem philosophischen Standpunkt unserer Zeit gemäße und für ihn fruchtbare Weise auseinandergelegt zu finden.

Es liegt schon in dem Ausdruck, den wir hier für diese Aufgabe gegeben haben, daß dieselbe nur dann wird zu lösen sein, wenn man zuvor für das Moment des Gegensatzes, welches in jener aristotelischen Darstellung dem Satz selbst äußerlich und ein von dem Philosophen nur bekämpftes und verneintes bleibt, die Stelle gefunden hat, innerhalb deren es eine relative wissenschaftliche Geltung behauptet, und als Ausdruck für eine bestimmte, in das System selbst aufgenommene und dadurch von ihm überwundene Stufe des philosophischen Denkens erscheint. Dadurch nämlich unterscheiden sich, wie wir hier als zugestanden voraussetzen dürfen, die Ansprüche, welche heutzutage an eine wissenschaftliche Darstellung der Philosophie zu machen sind, von der Darstellungsweise, die wir bei ARISTOTELES antreffen. Letztere hat ihr eigentümliches Interesse gerade darin, daß sie durch und durch eine diskursive und polemische ist, daß sie die Probleme so aufnimmt, wie sie einzeln und im Besonderen einer früheren Philosophie an sie gebracht werden, und das ihr innewohnende Wissen nicht sowohl in einem gediegenen organischen Zusammenhang, als auch in der stets bereiten Verarbeitung des zufällig dargebotenen Stoffes betätigt. Wollte man ein ähnliches Verfahren ansich auch etwa noch für unsere Zeit gelten lassen, so würden doch die auf solche Weise aufzustellenden Sätze nur insofern eine wissenschaftliche Bedeutung für uns in Anspruch nehmen können, insofern die Gegensätze, auf welche sie sich beziehen, eine solche gleichfalls haben. Dies aber ist, was den hier in Frage stehenden Gegensatz betrifft, nicht unmittelbar mehr der Fall. Die Philosopheme der ionischen Schule und der Sophisten haben für uns ein mehr als nur historisches Interesse nicht in ihrer unmittelbaren Gestalt, sondern in der Tat nur, sofern sie vom höheren Standpunkt unserer Zeit, zugleich mit den ihnen entgegengesetzten Philosophemen, durch welche sie historisch überwunden worden sind, reproduziert werden. Eben dies aber, die Wiedererzeugung jener Philosopheme in dem Zusammenhang und unter den Bedingungen, welche mit dem positiven zugleich das negative Moment ihrer Geltung, das Moment ihres Aufgehobenseins in einem höheren Standpunkt erhalten, den die philosophische Spekulation seitdem und schon unmittelbar nach ihnen erstiegen hat, ist so gewiß eine Aufgabe der gegenwärtigen Philosophie, so gewiß auch jene Philosopheme echter Art, nicht etwa zufällige, subjektive Einfälle Einzelner, sondern im geschichtlichen Entwicklungsgang der Philosophie notwendige objektive Gedanken sind, und so gewiß die Philosophie unserer Zeit es als ihre Aufgabe erkennt, alle Momente jenes Entwicklungsganges zu einem großen wissenschaftlichen Ganzen zu vereinigen, welches den wesentlichen Inhalt dieses Entwicklungsganges als einen ewig gegenwärtigen darstellt.

Richten wir nun, um den wissenschaftlichen Ort für das Denkgesetz der Identität aufzufinden, unsere Aufmerksamkeit infolge des eben Gesagten zunächst auf jenen seinen Gegensatz als das Moment seiner wissenschaftlichen Vermittlung: so bietet sich uns zunächst eine doppelte Möglichkeit seiner Fassung und demgemäß seiner Einreihung in den systematischen Zusammenhang der gegenwärtigen Philosophie dar. Das Philosophem, welchem ARISTOTELES jenes sein Axiom entgegenstellt, hat einerseits eine objektive, metaphysische, andererseits eine subjektive, logische oder erkenntnistheoretische Bedeutung. In beiden Beziehungen wird es, sowohl von der Metaphysik oder Ontologie, als auch von der Logik oder Erkenntnislehre unserer Zeit zu berücksichten, oder vielmehr es wird nicht als ein bloß äußerlich, historisch gegebenes zu berücksichtigen, sondern in vorhin angedeuteter Weise durch die innewohnende Dialektik beider Wissenschaften zu reproduzieren sein, und in beiden wird es nicht minder durch anderweitige Sätze oder Kategorien, welche höhere Stufen des Seins und des Erkennens ausdrücken, aufzuheben oder zu ersetzen sein. Die Frage ist hier, welche von beiden Seiten wir werden hervorzuheben haben, um es als vermittelndes Moment für den Satz, um den es uns hier zu tun ist, zu gebrauchen. Hierüber jedoch werden wir nicht lange im Zweifel bleiben, wenn wir bemerken, wie die metaphysische Seite zwar diejenige ist, von der es PLATON hauptsächlich zu betrachten liebt, - namentlich im  Sophista,  im  Theaetet  kommen auch schon erkenntnistheoretische Beziehungen zur Sprache, - wie dagegen ARISTOTELES recht ausdrücklich und geflissentlich die logische Seite hervorhebt, ja sogar, wenn wir einige seiner Äußerungen streng wörtlich nehmen, das logische oder erkenntnistheoretische Moment für das Bestimmende des metaphysischen anzusehen scheint.  Weil  jene alten Philosophen voraussetzen, daß die sinnliche Erkenntnis die wahre ist,  darum,  so scheint ARISTOTELES anzunehmen, kamen sie, sofern sie dabei doch zugleich auf auf die objektive Wahrheit des Seienden ausgingen, darauf, alles in einem beständigen Fluß begriffen zu glauben, und Seiendes und Nichtseiendes für ein und dasselbe zu halten, oder einen Begriff des Unendlichen und Unbegrenzten an die Stelle der metaphysischen Bestimmtheit des Seins zu setzen. Ob nun zwar dies geschichtlich sich so verhalten habe, läßt sich in Bezug auf einige jener Denker allerdings bezweifeln. Diese nämlich scheinen vielmehr auf den Weg einer objektiven Naturbetrachtung oder auch von gewissen dialektischen Allgemeinbegriffen aus auf ihre Lehren gekommen zu sein. Jedenfalls aber ist diese Wendung charakteristisch für den Sinn, in welchem wir den ARISTOTELES hier jener Lehre begegnen, und ihr gegenüber den Satz des Widerspruchs als Erkenntnisprinzip aufstellen sehen. In so allgemeinen Ausdrücken nämlich auch diese Aufstellung gehalten ist, und so leicht schon der Name der Metaphysik, unter den man diese Darstellung mit eingereiht hat, so wie auch, was im selben Buch ihr vorausgeht, uns auf eine falsche Spur leiten könnte; so fürden wir uns doch nicht bedenken, die Tendenz und Richtung dieser Abhandlung für eine wesentlich  logische  oder  erkenntnistheoretische  zu erklären. Freilich nicht für eine logische in jenem rein formalen Sinn, auf welchen man später die Logik beschränkt hat, welchen ARISTOTELES vielmehr durch das Wort  "analytisch"  bezeichnet; weshalb wir ja auch dieselbe weder in den beiden Analytiken, noch im übrigen  Organon  antreffen. Allein jene Untersuchungen, welche dieser Philosoph durch den Namen  prote philosophia  bezeichnet, denen unstreitig die gegenwärtige angehört, enthalten überall, ähnlich wie etwa die Logik HEGELs, nur freilich weniger methodisch, metaphysische oder ontologische und erkenntnistheoretische oder logische Elemente vereinigt; bald wiegt das eine, bald das andere dieser Elemente vor; und welches von beiden im gegenwärtigen Zusammenhang als das vorwiegende zu betrachten ist, dies wird, wie gesagt, durch den Charakter der Dialektik, durch welche wir unseren Satz hier eingeführt finden, genügend bezeichnet. Wesentlich darum, über das Prinzip des sinnlichen Erkennens hinaus ein höheres Erkenntnisprinzip festzustellen, ist es dem ARISTOTELES zu tun; freilich nicht in einer Absonderung vom Sein, woraus sich das Erkennen bezieht; aber noch weniger dergestalt, als sollte durch den von ihm aufgestellten Satz zunächst das  Sein  aus jenem heraklitischen Fluß gerettet und zur bleibenden Gestalt befestigt werden. Auf Letzteres hatte vielmehr die spekulative Arbeit des PLATON abgezielt, und das Verhältnis des ARISTOTELES zu diesem seinem Vorgänger gestaltet sich nur dann klar vor unserem Blick, wenn wir einsehen, wie ARISTOTELES, obgleich im gemeinschaftlichen Gegensatz gegen jene älteren Philosopheme mit PLATON einstimmig, doch in der Widerlegung derselben eben darum einen neuen Anlauf nehmen und eine neue Wendung suchen mußte, weil er das Problem, welches PLATON rein objektiv und (im Sinne des bekannten scholastischen Gegensatzes) realistisch gefaßt hatte, auf universalere, zugleich formale, subjektive oder erkenntnistheoretische Weise zu fassen suchte.

Wie dem jedoch auch sei: für uns kann nach allen bisher gegebenen Andeutungen kein Zweifel bleiben, daß wir den Grundsatz der Identität, welchen auch wir in diesem Sinne ein  Denkgesetz  zu nennen keineswegs unangemessen finden, samt seinem Gegensatz oder dem Moment seiner wissenschaftlichen Vermittlung, zunächst nicht im metaphysischen, sondern in einem logischen oder erkenntnistheoretischen Zusammenhang werden zu suchen haben. Der Standpunkt griechischer Naturphilosophie und Sophistik, gegen welchen dieser Grundsatz in seiner geschichtlichen Entstehung gerichtet war, reproduziert sich uns zunächst in jenem logischen Standpunkt, welcher das Erkennen, dessen Begriff die Logik als spekulative Erkenntnislehre zu erforschen hat, in die  Empfindung,  in die  sinnliche Wahrnehmung  setzt. Der Grundsatz der Identität erweist sich als erfunden in der Absicht, den Gegensatz der Vernunfterkenntnis zur bloß sinnlichen, des  Denkens  zum  Vorstellen  auszudrücken. In diesem Zusammenhang aufgestellt, gewinnt er eine reale, inhaltsvolle Bedeutung, während er in der gemeinen, den kantischen Standpunkt festhaltenden Logik nicht minder, wie ehemals in der WOLFFschen Ontologie, als ein langweiliger Überfluß erscheint.  Durch das Vernunftbewußtsein - dies ist der Sinn unseres Satzes zunächst in seiner negativen Fassung als Satz des Widerspruchs -  durch jenes Bewußtsein, welches das menschliche Denken vom tierischen Vorstellen unterscheidet, werden die Unterschiede der Vorstellung und der sinnlichen Wahrnehmung erst wirklich als Unterschiede gesetzt, während für jene sinnlichen oder rein psychischen Tätigkeiten der Unterschied ein unbestimmter und fließender, also ebensosehr kein Unterschied ist.  Umgekehrt wird durch ihn in seiner positiven Fassung als Satz der Identität  das Gleiche als Gleiches, als mit sich Identisches gesetzt, auch wenn es zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten und in verschiedenen Verbindungen, die es für das sinnliche Erkennen als solches vielmehr zu einem sich Ungleichen, mit sich nicht Identischen machen, empfunden oder vorgestellt wird.  Es ist, so verstanden, keineswegs ein nichtssagender Überfluß, z. B. vom Roten zu sagen, daß es rot und nicht grün, vom Grünen, daß es grün und nicht rot ist; vielmehr ist gerade dies das Vorrecht der menschlichen Vernunft im Gegensatz zur tierischen Vorstellung, daß sie das Rot und das Grün der sonst verschiedenartigen, durch Zeit und Ort voneinander getrennten Gegenstände, als ein und dasselbe zu erkennen und diese Dieselbigkeit so auszudrücken vermag, daß sie das Rote, sofern es rot ist, nicht grün, das Grüne, sofern es grün ist, als nicht rot sein könnend bezeichnet. Denn im sinnlichen Vorstellungsleben sind die Unterschiede keineswegs als feste, als seiende, sondern vielmehr als unablässig bewegte und sich verändernde, als nur werdende und verschwindende gesetzt; im Akt der sinnlichen Wahrnehmung aber wird nicht die Identität des Wahrgenommenen mit dem ihm qualitativ Gleichen erkannt, sondern nur, - was wohl davon zu unterscheiden ist, während es andererseits die  Wahrnehmung deren auch das höhere Tierleben fähig ist, von der einfachen  Empfindung  zu unterscheiden dient, - durch die in der Wahrnehmung enthaltene Empfindung eine zuvor gebildete Vorstellung geweckt, in welcher diese Empfindung gleichfalls enthalten ist. - In diesem Sinn bildet de Inhalt des Satzes der Identität die notwendige Voraussetzung alles  Sprechens;  oder, wie man es auch ausdrücken kann, die Sprache, welche den Menschen vom Tier unterscheidet, ist durchaus auf das logische Denkgesetz der Identität gebaut. Der  Name  wird nämlich dem Ding nicht insofern gegeben, als es das Objekt einer einmaligen Empfindung, einer fließenden Vorstellung oder einer sich zufällig wiederholenden Wahrnehmung ist, sondern insofern das in verschiedenartigen und wechselnden Empfindungen, Vorstellungen und Wahrnehmungen Vorkommende als ein mit sich Identisches und eben durch seine Identität mit sich selbst von allem, womit es in jenen sinnlichen Tätigkeiten etwa vermischt vorkommt, sich Unterscheidendes festgehalten werden soll. Darum finden wir, daß auch ARISTOTELES in seiner apagogischen [indirekten - wp] Beweisführung für unseren Satz seine Gegner auf die  Sprache  verweist, als welche den tatsächlichen Beweis dafür gibt, daß eine Vorstellung als mit sich identisch und von ihrem Nichtsein unterschieden, festgehalten werden kann, so daß sie den Leugner dieser Wahrheit selbst nötigt, indem er sein Leugnen  ausspricht  und damit für seine Worte eine ein für allemal bestimmte  Bedeutung  in Anspruch nimmt, das Gegenteil von dem zu sagen, was er sagen will, und eine feste, mit sich identische  Bestimmtheit  des Seienden, im Augenblick selbst, in welchen er sie leugnet, vorauszusetzen.

Welches wird nun aber näher die Stellung sein, welche die Wissenschaft der spekulativen Logik unserem Satz und seinem Gegensatz, oder den beiden Standpunkten des logischen Erkennens, welche durch diese Gegensätze dargestellt werden, zueinander und zur übrigen Erkenntnislehre zu geben hat? - Es leuchtet ein, daß, wenn der Grundsatz der Identität in sein wahres Licht gestellt werden und zu seinem wissenschaftlichen Recht kommen soll, alles daran gelegen ist, daß zuvor sein Gegensatz nicht auf oberflächliche, sondern auf gründliche und wahrhaft spekulative Weise gefaßt worden ist. Bei einer oberflächlichen Fassung des Begriffs der Empfindung und sinnlichen Wahrnehmung, so etwa, wie wir dieselbe bei LOCKE und bei allen von einem sensualistischen Prinzip dieses Denkers influenzierten Philosophen finden, würde dem Verständnis unseres logischen Prinzips durch die bloße Entgegenstellung zu jenem noch wenig geholfen sein, ja es würde dadurch nur ein neuer Fehler zu den Mißgriffen der bisherigen Logik hinzugefügt werden, indem, was jene  Sensation  nennen, in der Tat selbst schon das Denkgesetz der Identität im Hintergrund hat und mit der Voraussetzung desselben behaftet ist. Wenn jene Schule behauptet, daß alles Erkennen von der Empfindung ausgeht, so hat dies einen ganz anderen Sinn, als es bei ARISTOTELES hat, wenn er die empfindende Seele der denkenden vorangehen und jene zu dieser, wie  Dynamis  zur Entelechie [was sein Ziel in sich selbst hat - wp] sich verhalten läßt. Jene nämlich meinen, daß das Empfinden unmittelbar als solches schon einen Erkenntnisinhalt gibt, der dann etwa nur noch vom denkenden Geist teils weiter zerlegt, teils mit einem anderen Erkenntnisinhalt zusammengebracht, und so zu Allgemeinbegriffen, zu Urteilen und Schlüssen verarbeitet wird. Jener Alte dagegen stand, ebenso wie sein Vorgänger PLATON, den großen und tiefdringenden Philosophemen der älteren Philosophenschulen, der eleatischen und der ionischen, welche die ganze Energie und einfache Intensität des noch jugendlichen spekulativen Gedankens in die Ergründung des Wesens der sinnlichen Erkenntnis und des ihr entsprechenden Daseins gelegt hatten, nahe genug, um aus ihnen die Einsicht herüberzunehmen, wie  dieses  Erkennen in Wahrheit ebensosehr kein Erkennen, das Dasein, welches von ihm erkannt wird, ebensosehr ein Nichtsein ist. Von  dieser  Einsicht verlangen wir, daß sie in der Logik unserer Zeit ihre Stelle erhält, wenn ihr gegenüber der Satz der Identität zu seinem wissenschaftlichen Recht kommen soll. Wir verlangen, daß die spekulative Logik ihren Jünger, ganz ebenso, wie die Philosophie selbst in ihrer geschichtlichen Entwicklung es ehemals getan hat, auf einen Standpunkt führt, wo er die Erfüllung des Erkenntnisbegriffs zwar in jenen sinnlichen Tätigkeiten aufzusuchen und nur in ihnen verwirklicht zu finden sich genötig sieht, wo ihm aber zugleich damit auch das Bewußtsein aufgeht, daß er ein Nichtwissen statt des Wissens, ein unendliches Werden und Verschwinden statt des festen Daseins ergriffen hat. Wir verlangen mit  einem  Wort, daß eine spekulative Erkenntnistheorie unserer Zeit, die wirklich ihrer Aufgabe entsprechen und, selbst ein integrierender Teil des Systems, zugleich in die objektive philosophische Erkenntnis einleiten will, jene ebenso großartige wie tiefdringende Dialektik des sinnlichen Erkenntnisbegriffs in sich aufnimmt, welche im Altertum den positiven Philosophemen der sokratischen Schule voranging, und in dieser Schule selbst als das Moment der  Skepsis  festgehalten und ausgebildet wurde.

In diesem Sinne nun ist es, daß ich in jener Bearbeitung der spekulativen Logik, von welcher der Aufsatz "Über das Problem der Erkenntnis" (im vierten Heft dieser Zeitschrift) den wissenschaftlichen Eingang enthält, auf diesen Anfang zunächst einen Abschnitt über das sinnliche Erkennen, über die Begriffe der Empfindung, Vorstellung und Wahrnehmung folgen zu lassen gedenkt. In der Andeutung, welche in dem Aufsatz "Neue Systeme und alte Schule" Seite 277 der befreundete Herausgeber dieser Zeitschrift über den Inhalt jener Fortsetzung gegeben hat, kann ich jenen Sinn nicht ganz wiederfinden. Ich vermisse darin, ebenso wie in seiner eigenen Darstellung der hier in Rede stehenden Begriffe ("Grundzüge zum System der Philosophie" I, Seite 27f), das dialektische Moment, auf welches es mir hier, wie allenthalben, im eigentlichen wissenschaftlichen oder systematischen Zusammenhang, wesentlich und hauptsächlich ankommt. Nicht eine "apriorische Ableitung der Empfindung" wird von mir dort beabsichtigt, und keineswegs ist der Fortgang unmittelbar der von "Sein überhaupt" zu einem "näher spezifizierten in einem bestimmten Verhältnis zum anderen stehenden Sein" dessen "Innerlichkeit, Eigenheit und Selbstheit" die Empfindung wäre; - in diesen Ausdrücken, welche sich mein Freund nach einer gewissen Analogie der  Hegelschen  Logik gebildet zu haben scheint, vermag ich meinen Sinn ebensowenig zu erkennen, wie, beiläufig gesagt, in dem, was er Seite 273f über den weiteren Gang und Endabschluß meiner "spekulativen Logik" zu divinieren sucht, deren Zweck sich für mich keineswegs darauf beschränkt, in der dort angegebenen Weise nur der "Metaphysik" zur Einleitung zu dienen. - Vielmehr gilt mir die Empfindung und sinnliche Erkenntnis hier ganz als das äußerlich, empirisch Gegebene, womit sich der Erkenntnisbegriff zu erfüllen sucht, nachdem er in jener abstrakten Allgemeinheit, in welcher ihn der Eingang zur Logik darstellt, aufgegangen oder zum Bewußtsein gekommen ist. Diese selbst allerdings, daß eine solche Erfüllung angestrebt und daß, um sie zu gewinnen, die Empirie zu Hilfe genommen wird, stellt sich mir als die Folge einer im Erkenntnisbegriff als solchem vorgehenden Dialektik dar. Indem nämlich dieser Begriff, der sich von vornherein als der unendliche und absolute gefaßt hatte, sich seiner Leerheit, d. h. seiner Richtigkeit bewußt wird, findet sich derselbe auf eine Subjektivität und Potentialität reduziert und so genötigt, das Moment seiner Aktualisierung oder Verwirklichung  außerhalb  seiner selbst, nämlich eben in einem Empfindungs- und Vorstellungsleben des erkennenden Subjekts, zu suchen. Dies aber wird man doch wohl nicht eine apriorische Ableitung der Empfindung nennen wollen: es ist gerade umgekehrt der entschiedenste Gegensatz gegen jeden Apriorismus einer Erkenntnistheorie. Der Gegensatz gegen das  psychologische  Prinzip, wobei ich letzterem in der Logik allerdings keine Geltung einräumen möchte, besteht wesentlich darin, daß die Empfindung, statt, wie in LOCKEs und allen aus diesen abgeleiteten oder sich auf sie zurückbeziehenden Theorien, als der schlechthin gegebene Ausgangspunkt des Erkennens betrachtet zu werden, wofür sie meines Erachtens eben nur empirisch-psychologischerweise gelten kann, vielmehr als ein solches gefaßt wird, worein sich der unabhängig von ihr vorhandene und im Bewußtsein gegenwärtige Erkenntnisbegriff erst hineinbildet, um  durch  sie, aber nicht  in  ihr seine Erfüllung zu finden. Ebendadurch wird die  logische  Theorie des sinnlichen Erkennens eine durch und durch dialektische, die echte, spekulative Skepsis des Altertums reproduzierende, daß sie von vornherein das Bewußtsein mitbringt, wie das Vernunftwissen sich hier in einem Element der Äußerlichkeit befindet, welches ihm etwa nur nicht genügen kann, sondern allenthalben und an jedem einzelnen Punkt das Unwahre statt des Wahren, den subjektiven Schein statt des objektiven Daseins bietet, kurz, worin die Vernunft sich  verliert,  statt sich, wie die Absicht war, in ihrer Realität erst zu  gewinnen.  Nur so wird das  Problem des Erkennens  wahrhaft erst als Problem gefaßt - (an der Spitze der Abhandlung im vierten Heft dieser Zeitschrift, konnte derselbe vielleicht ungeeignet oder der Ausführung der Aufgabe nicht entsprechend scheinen), wenn im ersten Versuch seiner Erfüllung, zu welchem das Vernunftbewußtsein fortschreitet, der ungeheure Widerspruch zwischen der  Forderung  dieses Bewußtseins und demjenigen, woruch  unmittelbar  dieser Forderung genügt werden soll, zutage kommt.

Zur Lösung dieses Problems würden nun, der Idee zufolge, die ich mir vom Gang der logischen Wissenschaft entworfen habe, jene Sätze, welche man sonst als Grundsätze oder Axiome der Logik zu behandeln gewohnt ist, die  allgemeinen logischen Denkgesetze  und an ihrer Spitze der Satz der Identität den ersten Schritt tun. Ich halte dieselben nämlich für bestimmt, das Vernunftbewußtsein aus jener seiner Selbstentäußerung zum sinnlichen Erkennen zu sich selbst zurückzuführen, indem sie zeigen, wie die sinnliche Gegenständlichkeit nicht  als  Erkenntnisinhalt gegeben, sondern durch das Vernunftwissen, sofern es sich als ein auf jene Gegenständlichkeit bezügliches weiß, erst  zum  Erkenntnisinhalt zu verarbeiten ist. In welchem Sinn der Grundsatz der Identität seinerseits dies leistet, darüber kann nach dem Vorhergehenden kein Zweifel mehr sein. - Es ist von Wichtigkeit, daß eben in diesem Zusammenhang sein positiver Ausdruck, als Satz der Identität, und nicht, zumindest nicht zunächst, der negative, als Satz des Widerspruchs, als der eigentlich gehörige für ihn erkannt wird. Die gemeine Logik freilich hat guten Grund, sich lieber des letzteren Ausdrucks zu bedienen, oder, wenn sie beide Sätze als unterschiedene nebeneinander stellt, auf den Satz des Widerspruchs den größeren Nachdruck zu legen; denn die Formel  A = A  trägt in der Nacktheit, wie sie dort beigebracht wird, ihre Inhaltslosigkeit allzusehr zur Schau, während an die negative Formel sich zumindest der Schein eines Inhalts oder der Schein der Möglichkeit einer solchen Nichtbefolgung dieses Denkgesetzes, welche durch seine ausdrückliche Aufstellung eben verhütet werden sollte, knüpft. Wir dagegen müssen uns, nach unserer inhaltsvollenre Fassung dieses Grundsatzes, dagegen sträuben, daß das Positive, was die Vernunft mittels dieses ihres Axioms in den sinnlichen oder Vorstellungsinhalt hineinbildet, seine Bedeutung erst vom Negativen hat, von der  Ausschließung  des Anderen oder Nichtidentischen. Eben vielmehr dies, daß eine auf sinnlichem Weg erzeugte Vorstellung als identisch mit sich, als sie selbst bleibend in jeder denkbaren Mannigfaltigkeit ihrer Beziehungen nach Außen, ihrer Verknüpfung mit anderen Vorstellungen und ihrer Betätigung in einer sinnlichen Empfindung und Wahrnehmung erkannt wird: eben dies ist als eine positive Tat der Vernunft anzusehen, welche ihre Bedeutung behalten würde, gesetzt auch, es ließe sich denken, daß diese Tat nur einmal, nur in Bezug auf  eine  Vorstellung erfolgt, und also von einer Unterscheidung  dieser  Vorstellung von anderen Vorstellungen, von einem Ausschluß dieser anderen Vorstellungen, nicht die Rede sein könnte.  Der  Gegensatz, der durch das richtig verstandene Identitätsprinzip - nicht  ausgeschlossen,  sondern  überwunden  ist, ist nicht der Gegensatz anderer, wie mit sich, aber nicht mit dem zunächst als  A  Gesetzten identisch schon vorausgesetzter Vorstellungen, zur Vorstellung  A,  sondern das Nochnichtangekommensein des Vorstellungsinhaltes bei  A = A,  d. h. beim Bewußtsein seiner Identität mit sich selbst.  Dieser  Gegensatz kann nur  tatsächlich  überwunden werden; eben durch die Tat des Ankommens der Vernunft bei diesem Bewußtsein; keineswegs durch ein zuvor gegebenes Bewußtsein von der Nichtidentität des Verschiedenen. - In der  Vorstellung  oder  Empfindung  z. B. des Roten als solchem ist offenbar noch nicht das Wissen enthalten, daß das Rot der Rose mit dem Rot des Morgen- und Abendhimmels, oder dem Rot des Blutes ein und dasselbe ist. Das Wissen über die Dieselbigkeit des Inhalts der Vorstellungen ist nicht ein und dasselbe mit den Vorstellungen als solchen, sondern ein Anderes, ein Höheres, ein Solches, was jene voraussetzt, ohne umgekehrt von ihnen vorausgesetzt zu werden. Wie sollte es daher, um diesem Wissen sein Recht angedeihen zu lassen, noch eines anderen, als eben nur seiner selbst, nach einer ausdrücklichen Ausschließung dessen, wodurch es zerstört werden würde, bedürfen? Vielmehr eben dieses Wissen von Identität eines Vorgestellten oder Empfundenen mit sich selbst, so wie es zugleich die Inhaltsbestimmung anderer Empfindungen und Vorstellungen ist oder sein kann, ist nichts anderes, als unmittelbar das Vernunftbewußtsein selbst, das reine Wissen als solches in seiner ersten und einfachsten Gestalt, so wie es auf den gegebenen Vorstellungsinhalt angewandt und bezogen wird.

Durch diese Zurückführung des sinnlichen Erkennens auf das Vernunftbewußtsein und auf den darin enthaltenen Begriff des Wissens als solchen gewinnt der Satz der Identität zugleich die Bedeutung, der erste Schritt zur Überwindung jener abstrakten  Subjektivität  und  Endlichkeit  des Wissens zu sein, welche im Standpunkt des sinnlichen Erkennens als solcher unstreitig gesetzt ist. Ich halte es für angemessen, auf diesen Umstand noch ausdrücklich aufmerksam zu machen, obgleich in einer systematischen Darstellung der Logik die Erörterung dieses Punktes, sofern sie nicht schon im Obigen enthalten ist, vielmehr der Ausführung des zweiten der allgemeinen logischen Denkgesetze, des  Satzes vom Grunde  anheimfallen wird. Die Subjektivität des sinnlichen Erkennens, sein Unvermögen, das Objekt als solches, das Ding-ansich zu erfassen, ist diejenige Seite desselben, welche die neuere Philosophie vornehmlich an den Tag zu bringen beflissen gewesen ist, während die alte vielmehr mit jener Seite sich beschäftigte, welche die Verneinung des festen Daseins, die Verflüchtigung, - den Fluß eines unablässigen Werdens und Vergehens enthält; - wiewohl auch ihr jene andere Seite keineswegs fremd blieb, sondern in dem  panton metron anthropos [Der Mensch ist das Maß aller Dinge. - wp] des PROTAGORAS und andern von PLATON und ARISTOTELES in diesem Zusammenhang angeführten Sätzen zu ihrem Recht kam. Der Übergang von diesem Standpunkt einseitiger Subjektivität des Erkennens, welche bei einem konsequenten Festhalten das System des Idealismus erzeugt, zur Gewißheit einer dem Erkennen nicht verschlossenen, sondern zugänglichen, objektiven Wahrheit bildet, wie bekannt, einen der Angelpunkte der modernen philosophischen Spekulation, und es gehört noch jetzt zu den Hauptinteressen derselben, daß dieser Übergang auf echt wissenschaftliche Weise motiviert und vermittelt wird. Ich habe mich in der mehrfach angeführten Abhandlung und anderswo schon früher dahin ausgesprochen, daß meiner Überzeugung zufolge die Logik als philosophische Einleitungswissenschaft gleich in ihren ersten wissenschaftlichen Sätzen diesen Übergang zwar noch nicht wirklich vollbringen, aber doch vorbereiten, oder, was gleichviel ist, sowohl das Bewußtsein der  Notwendigkeit wie auch der  Möglichkeit  eines solchen Übergangs eröffnen muß. Das Urwissen, so wie ich dessen Begriff dort als wissenschaftlichen Anfang der Logik aufgestellt habe, ist, wie man sich aus jener Abhandlung erinnert, nichts anderes, als die Gewißheit eines Erkennens, wodurch das Seiende als solches, und zwar  alles  Seiende umfaßt wird. Zwar nicht eines Erkennens, welches uns, den Philosophierenden, bereits innewohnte, wohl aber eines  möglichen  Erkennens, eines Erkennens, welches, gesetzt auch, daß  wir  es in uns zu realisieren, vermöge der Schranken unserer sinnlichen Natur, außerstande wären, doch in anderen Wesen, deren Erkenntnisvermögen auf derselben Basis, der Vernunftbasis ruht, wie das unsrige, sich zu realisieren vermöchte. Dieser Begriff, als ein durch sich selbst evidenter, diese Gewißheit, als eine sogleich durch den ersten Flug des philosophischen Denkens zu einem unverlierbaren Bewußtsein gebracht, bleibt der philosophischen Logik im Hintergrund, auch wenn sie zu der Einsicht gelangt, daß dasjenige Erkennen, worin sie auf ihrem zweiten Schritt die Erfüllung jenes Erkenntnisbegriffs suchte, d. h. eben das sinnliche Empfinden, Vorstellen und Wahrnehmen, nur in subjektiven Affektionen besteht und also jenem Begriff, den das Erkennen sich von sich selber bilden will, nicht entspricht. Gleichwie nun aber, im Unterschied von allen Momenten des sinnlichen Erkennens, das Vernunftbewußtsein als solches, d. h. der im reinen Denken gegebene  Begriff  des Erkennens als ein solcher gefaßt worden war: der die Gewißheit seiner Wahrheit in sich selbst trägt, der also nicht, gleich jenem, eine subjektive Affektion des philosophierenden Individuums ist: so wird ein Gleiches auch von demjenigen Wissen zu sagen sein, welches durch den Satz der Identität gesetzt wird. Mag immerhin die Empfindung des Roten beim Anblick der Rose oder der Abendröte und mag ganz ebenso die Vorstellung, die sich von der Rose einerseits, von der Abendröte andererseits meinem Erinnerungsvermögen eindrückt, mir eine Affektion  meiner  Sinnlichkeit sein; dies, daß ich die Röte der Rose und jene der Abendröte für ein und dieselbe erkenne, ist nicht gleicherweise eine solche Affektion. Es ist ein Ausspruch  jenes  Bewußtseins, dem die sinnlichen Affektionen selbst ein Gegenständliches sind, d. h. eben des die Gewißheit seiner Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit in sich tragenden Vernunftbewußtseins. Dies übersieht der zum System sich abschließende Skeptizismus und Idealismus, wenn er von der richtig erkannten Subjektivität des  sinnlichen  Erkenntnisinhaltes auf die Subjektivität  allen  Erkenntnisinhaltes zu schließen sie berechtigt meint. Er übersieht das Mehrere, nämlich eben das Bewußtsein der Identität, welches in dem für identisch mit sich erkannten Begriff, gegenüber den Vorstellungen, aus denen ein solcher Begriff gebildet wurde, mittels des Denkgesetzes der Identität enthalten ist. - Freilich ist von diesem Punkt aus noch ein weiter Weg zur Einsicht in die Art und Weise, wie diese Objektivität der als subjektive Affektion erkannten Vorstellungen für das Vernunftbewußtsein als solches, sie zur wirklichen, realen Erkenntnis des objektiven  Grundes  dieser Vorstellungen, d. h. der Dinge, wie sie ansich sind, fortgestaltet. Immerhin aber ist durch den Satz der Identität der erste Schritt geschehen,, das Denken, welches objektive Wahrheit und Gewißheit sucht, aaus der Region der bloßen Sinnlichkeit zurückzurufen und in das Gebiet des Erkennens als solchem, des vernünftigen, geistigen Erkennens einzuführen (6).

Der so gefaßt Grundsatz der Identität oder des Widerspruchs bildet, zugleich mit den übrigen logischen Denkgesetzen, (wozu ich, außer dem Satz vom Grunde, auch noch den LEIBNIZschen Satz von der Identität des Ununterscheidbaren rechnen zu müssen glaube) in einem systematischen Zusammenhang der spekulativen Logik den Übergang von der allgemeinen Darlegung des Erkenntnisproblems, welche den ersten Teil dieser Wissenschaft ausmacht, zum zweiten Teil oder zur Lehre von den eigentlichen Denkformen, den Formen des Begriffs, des Urteils und des Schlusses. Es wird nicht überflüssig sein, hier schließlich noch besonders darauf aufmerksam zu machen, wie der logische Unterschied des  Begriffs  von der bloßen  Vorstellung  wesentlich darin besteht, daß nur auf den ersteren, aber streng genommen nicht auf die letztere, der Grundsatz der Identität Anwendung leidet. Der Begriff ist eine mit dem Bewußtsein ihrer Identität mit sich selbst gedachte Vorstellung; eben nämlich durch dieses Bewußtsein  wird  die Vorstellung in Wahrheit erst eine mit sich identische, während sie zuvor, als Produkt der animalischen Seele, eine fließende und keineswegs fest begrenzte, sondern unablässig in das Andere ihrer selbst übergehende ist. Bei der mangelhaften Fassung des Identitätsprinzips hat von der bisherigen Logik dieser Unterschied nicht so präzise ausgedrückt werden können; doch wird man sich leicht darüber verständigen, daß dieser Ausdruck nicht nur dem Sprachgebrauch vollkommen gemäß, sondern auch mit den meisten bisher wissenschaftlich versuchten Unterscheidungen ziemlich übereinstimmend ist. Nur die hegelsche Philosophie hat in die Bestimmung der Begriffe von Begriff und Vorstellung eine Verwirrung gebracht, indem sie den  Begriff  dazu hinaufschraubte, die spekulative Erkenntnis als solche, und die Wahrheit der Dinge selbst, sofern sie in diese Erkenntnis eingehen, bedeuten zu sollen. Dadurch wurde eine Steigerung auch des Begriffs der  Vorstellung  notwendig, und so finden wir dann  Vorstellen  in HEGELs Schule nicht selten das menschliche Denken überhaupt genannt, sofern es nicht ausdrücklich ein spekulatives, und zwar das spekulative auf derjenigen Stufe systematischer Entwicklung ist, die es erst durch HEGEL selbst gemacht hat. Es versteht sich, daß die Schule in diesem Sprachgebrauch nicht konsequent bleiben kann, sondern häufig genug in den sonst gewöhnlichen zurückfällt; umso nötiger schien es aber, diesen letzteren nicht nur, jenem Mißbrauch gegenüber, sein gutes Recht zu vindizieren, sondern auch, zu seiner schärferen wissenschaftlichen Bestimmung die Vorbedingungen aufzustellen, die wir in der gegenwärtigen Abhandlung aufzustellen den Versuch gemacht haben.
LITERATUR - Christian Hermann Weiße, Über die philosophische Bedeutung des logischen Grundsatzes der Identität, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 4, Bonn 1839
    Anmerkungen
    1) KANT, Kritik der reinen Vernunft, siebte Auflage, Seite 139.
    2) SCHLEGEL, Philosophische Vorlesungen I, hg. von WINDISCHMANN, Seite 90
    3) Auch in dieser Form wird er von ARISTOTELES in dem von uns gedachten Zusammenhang noch ausführlich ausgesprochen am Anfang des siebten Kapitels.
    4) HERBART, Lehrbuch der Einleitung in die Philosophie, dritte Auflage, Seite 56.
    5) HERBART, ebd. Seite 57
    6) PLATON, Theaetet, Seite 187.