tb-1Neue Kr. d. V.Wertproblem bei FriesFichteReinholdAenesidemus    
 
JAKOB FRIEDRICH FRIES
Über das Verhältnis der
empirischen Psychologie zur Metaphysik


"Die Prinzipien der Metaphysik können nicht durch einen Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen erwiesen werden, sind also überhaupt unerweislich."

"Wer mit mir in den Prinzipien nicht einig ist, mit dem will ich gar nicht erst streiten, man gebe aber nur das Prinzip zu, so wird sich alles ergeben, denn ist das Prinzip einer philosophischen Wissenschaft einmal bestimmt gegeben, so brauchen wir nur noch die logischen Regeln des Schließens und können dann wohl weiterbauen; aber eben die Prinzipien zu sichern, möchte hier die Schwierigkeit sein."


KANT sagt einmal: "Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie apriori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert wurde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in Aufgabe der Metaphysik besser damit fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis  a priori  zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas fest setzen soll." (Kritik der reinen Vernunft, Vorrede, Seite XVI).

Aus dieser veränderten Ansicht entstand die ganze transzendentale Kritik und auf ihr beruth das Gelingen aller kantischen, philosophischen Arbeiten; welches Gelingen jetzt wohl von niemand mehr bestritten wird.

Was gibt aber wohl diesem kritischen Verfahren vor jedem anderen dogmatischen einen so entschieden vorteilhaften Einfluß auf alle philosophische Nachforschungen?

Um diese Frage zu beantworten, wird es nur nötig sein, den Unterschied beider Verfahrensarten bestimmt auseinanderzusetzen.

Ohne mich hier in Wortbestimmungen des Kritizismus und Dogmatismus einer philosophischen Methode einzulassen, bleibe ich nur bei den Worten der angeführten Stelle KANTs stehen. Wir sollen die Erkenntnis in den Aufgaben der Metaphysik betrachten, nicht als bestimmt durch die Gegenstände, sondern als enthaltend die Bedingung, von welcher diese, der Art nach, wie sie vorgestellt werden, abhängen. Es werden also hier Erkenntnisse und Gegenstände derselben unterschieden; es kommt hier alles auf das Verhältnis zwischen Erkenntnis und ihrem Gegenstand im allgemeinen für das Gemüt, als erkennendes Subjekt, an. Dies führt zu folgender allgemeinen Betrachtung.

Jede Erkenntnis gehört als solche zu einem Gemütszustand und jedes einzelne Erkennen ist eine Tätigkeit des Gemüts; nämlich eine solche Tätigkeit desselben (dies ist ihr wesentliches Merkmal) wodurch der Gegenstand vorgestellt wird. Das Erkennen und folglich die Erkenntnisse sind also selbst Gegenstände der inneren Erfahrung, und daher der Psychologie, besonders deren empirischem Teil nach.

Ich kann also, und muß, wenn ich vollständig sein will, alle Erkenntnisse, in einer Untersuchung derselben, aus einem psychologischen Gesichtspunkt betrachten, sofern sie subjektiv zu Zuständen des Gemüts gehören; ich kann hier ihre Verschiedenheiten, Veränderungen und Gesetzmäßigkeit untersuchen, welche ihnen für sich als Tätigkeiten des Gemüts zukommen.

Ja diese Betrachtung der Erkenntnisse ist sogar die unmittelbarste, weil der Gegenstand für mich nur Gegenstand irgendeiner Erkenntnis ist, das heißt, eigentlich gehört dem Gemüt nur die Erkenntnis zu, der Gegenstand ist nur mittels ihrer im Verhältnis zu demselben.

Wenn es also unmittelbar im Gemüt Gesetze gibt für die Art  meiner  Erkenntnis, so werden diese die ersten Grundbestimmungen alles mir möglichen Erkennens enthalten, unter welchen auch jede mir mögliche Art einen Gegenstand vorzustellen steht.

Wenden wir dieses auf Wissenschaft überhaupt an, so wird sich, da Wissenschaft ein Ganzes aus mannigfaltigen Erkenntnissen ist, für jede derselben noch eine vorläufige Untersuchung denken lassen, außer der Aufstellung derselben, aus den einzelnen, mannigfaltigen in ihr zusammengehörigen Erkenntnissen, nach den logischen Regeln des Systems, deren Gegenstand diese Erkenntnisse selbst sind, sofern sie subjekt dem Gemüt angehören. Hieraus ergibt sich ein Unterschied zwischen zweierlei Verfahrensarten bei der Aufstellung einer Wissenschaft. Nach den einen fängt man unmittelbar mit der Aufstellung des Sytems an, ich nenne sie die  dogmatische  ohne Kritik; die andere schickt erst eine vorläufige Untersuchung der Erkenntnisse voraus, ich nenne sie die  kritische.  Erstere Methode geht gerade zu auf den Gegenstand, die andere verweilt erst beimm Subjektiven der Erkenntnis.

Diese vorläufige, kritische Untersuchung ist bei jeder Wissenschaft möglich, sie wird aber nach Verschiedenheit der Erkenntnisarten mehr oder weniger notwendig und zweckmäßig sein. Ich nenne sie die  Propädeutik  einer Wissenschaft.

Eine solche Propädeutik ist nun jederzeit eine empirische Wissenschaft. Denn sie mag Propädeutik welcher Wissenschaft auch immer sein, so ist ihre Erkenntnisquelle dennoch immer die innere Wahrnehmung, also Erfahrung. Dieser Satz ist für den jetzigen Zustand der Philosophie von Wichtigkeit, wie sich unten zeigen wird; er ist aber auch sehr leicht zu beweisen.

Der Gegenstand der Propädeutik sind Erkenntnisse, subjektiv als zu Gemütszuständen gehörig. Seinen Zuständen nach und besonders, sofern es ein Erkenntnisvermögen ist, erkennen wir aber das Gemüt nur in der inneren Erfahrung. Folglich ist alle Propädeutik empirische Wissenschaft aus innerer Erfahrung. Sie setzt daher auch psychologische Erkenntnis voraus, entlehnt ihre Prinzipien aus der empirischen Seelenlehre und zwar zunächst aus der Theorie des Erkenntnisvermögens.

Die Methode einer solchen kritischen Untersuchung ist jederzeit die regressive oder analytische, und jede Untersuchung nach regressiver Methode zum Zweck einer Wissenschaft unternommen, gehört zu ihrer Propädeutik.

Daß eine Untersuchung nach regressiver Methode für eine Wissenschaft nur vorbereitend sein kann, ist leicht einzusehen. Denn der eigentliche Zweck jeder wissenschaftlichen Darstellung ist Erkenntnis aus Prinzipien, das heißt vollständige Erkenntnis alles Besonderen aus dem Allgemeinen. Die Fortschreitung geschieht hier also vom Allgemeinen zum Besonderen. Ich gelange zu jedem Schluß nur mittels seiner Prosyllogismen und zu jedem Begriff nur mittels der Synthesis desselben aus seinen Merkmalen, in der Definition; ich verfahre hier also immer progressiv oder synthetisch. Dagegen schreitet die regressive Methode bei ihren Begriffen zergliedernd fort, von jedem Schluß zu seinem Prosyllogismus; sie sucht für das Gegebene mannigfaltige Erkenntnisse, Prinzipien, von denen die Wissenschaft erst ausgehen kann.

Ferner jeder Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine, bezieht sich sich nur auf einen subjektiven Zusammenhang der Erkenntnisse. In der objektiven Reihe der Gültigkeit unserer Erkenntnisse, das heißt nach der eigentlichen Abhängigkeit der Sätze voneinander im Hinblick auf ihre Wahrheit, ist das allgemeine Gesetz die Bedingung; der besondere Fall nur das Bedingte. Alle regressive Untersuchung ist also kritisch.

Schließlich geht alle unsere Erkenntnis der Zeit nach vom Besonderen aus, denn sie fängt an vom Einzelnen der sinnlichen Wahrnehmung. Also ist der ursprüngliche Fortschritt im Hinblick auf die Gültigkeit unserer Erkenntnisse, sofern sie subjektiv zu Gemütszuständen gehören, der vom Besonderen zum Allgemeinen. Alle kritische Untersuchung ist also regressiv.

Hier wird nun behauptet, daß der Metaphysik insbesondere eine solche Propädeutik, unter dem Rahmen einer transzendentalen Kritik, ganz unentbehrlich ist. Denn daß transzendentale Kritik und Propädeutik der Metaphysik dasselbe ist, zeigt die erste Vergleichung beider Begriffe. Propädeutik ist hier die Untersuchung der metaphysischen Erkenntnisse, wie sie im Gemüt vorkommen, also eben auch eine Untersuchung des Vermögens derselben, und dieses ist Vernunft. (Unter metaphysischer Erkenntnis wird nämlich hier jede Erkenntnis  a priori  aus Begriffen in synthetischen Urteilen, d. h. die materiale zum Unterschied der logischen, verstanden).

Um nun zu entscheiden, ob und wiefern die Kritik der Vernunft der Metaphysik unentbehrlich ist, haben wir nur nötig, den angegebenen Begriff einer Propädeutik mit dem der metaphysischen Erkenntnis zu vergleichen.

1) KANT hat an mehreren Orten bestimmt gezeigt, daß die ersten Untersuchungen, von denen Metaphysik allein ausgehen kann, notwendig der regressiven Methode folgen und auf bloßen Zergliederungen beruhen müssen.

Denn metaphysische Erkenntnis soll ganz auf Begriffen beruhen; diese können nun anfangs nur so dunkel aus der Erfahrung aufgefaßt werden, wie sie gemeinhin gedacht werden. Dieses verworren gedachte Besondere muß aufgenommen werden, wie es gegeben ist, und kann nur durch eine ausführliche Zergliederung genauer bestimmt und auf das allgemeinste zurückgeführt werden.

Dies allein zeigt schon die Notwendigkeit einer kritischen Untersuchung als Propädeutik der Metaphysik; aber noch einleuchtender zeigen uns die bloß dogmatischen Versuche selbst, wie dringend das Bedürfnis derselben ist.

2) KANT gibt immer als den Grund der Notwendigkeit einer transzendentalen Kritik an: die Vernunft müsse notwendig mit der Kritik ihres eigenen Vermögens anfangen, indem sie sonst unvermeidlich, wie der Versuch einer Kritik ausweist, dialektisch wird, ja sogar, wie das bloße Verfolgen der dogmatischen Methode zeigt, sich in einer Antinomie ihrer eigenen Gesetze verwickelt. Und gewiß, wenn sich die Vernunft anfänglich in einer Antinomie ihrer eigenen Gesetze verwirrt, wenn man ihr sogar eine Dialektik in allen ihren transzendentalen Behauptungen aufweist, so kann dem Denker nichts dringender anliegen, als eine Entscheidung dieses Streites und die Aufhebung dieses Scheins. Eine Kritik, welche dies leistet, wird also auch das unentbehrlichste Bedürfnis sein.

Die Kantische hat es geleistet. Wie werden ihr aber diese außerordentlichen Wirkungen möglich?

Ohne die Erfahrung abzuwarten, ließe sich ihr schon im Voraus ein glücklicher Ausgang versprechen.

Denn hier werden die Erkenntnisse psychologisch nach ihrer Abhängigkeit vom Gemüt und ihren subjektiven Verhältnissen betrachtet. Von diesem Gesichtspunkt aus muß sich also mit der Verschiedenheit ihrer Quellen auch die Verschiedenartigkeit ihrer Prinzipien ergeben, welche Unterscheidungen das bloß auf den Gegenstand gerichtete Auge nicht bemerken kann, solange dieser derselbe scheint. Da nun alle Behauptungen der Metaphysik nur auf Dinge überhaupt, und nicht auf ihre verschiedenen Arten gehen, so werden sie vom dogmatischen Gesichtspunkt aus auch für gleichartig angesehen werden müssen, auch wenn sie sich auf ganz verschiedene im Gemüt bestimmte Arten, Dinge zu erkennen, beziehen sollten.

Eine solche Unterscheidung wird sich also nur von einem psychologischen Gesichtspunkt aus überblicken lassen, und dieser ist der transzendentalen Kritik eigentümlich.

So ist z. B. die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding-ansich nur psychologisch und kann aus einem dogmatischen Gesichtspunkt gar nicht bemerkt werden. Denn die innere Wahrheit eines Systems von Erkenntnisse mag noch so wohl begründet sein, so fragt sich nur, inwiefern ist dieses ganze System, welches einem bestimmten erkennenden Subjekt seiner Natur nach zugehört, ein Verhältnis zu den in demselben vorgestellten Dingen?

Dies ist eine Frage, welche erst dann stattfindet, wenn das erkennende Subjekt als solches Gegenstand meiner Untersuchung wird; die aber gar nicht vorkommen kann, solange ich innerhalb der Sphäre jenes Systems von Erkenntnissen bleibe. Hierdurch wird es erklärlich werden, wie gerade diese Unterscheidung zu so vielem Streit Anlaß geben mußte.

(Es wäre eben keine ungewöhnliche Art Einwendungen zu machen, wenn man hier sagen wollte: was vom Gesichtspunkt des Dogmatismus aus nicht bemerkt wird, darauf habe er auch gar nicht Rücksicht zu nehmen. Man sieht aber leicht, daß dies irrig ist; denn es wird ja eben behauptet, sein Gesichtspunkt gewähre eine viel zu beschränkte Aussicht, man könne von da nicht überblicken, was oben überblickt werden soll; was schließlich die Antinomie der Vernunft selbst jeden lehren muß.)

3) Außer diesem bisher aufgewiesenen Nutzen, der im Grunde nur negativ ist, um Irrtümer abzuhalten, gewährt der psychologische Gesichtspunkt einer Propädeutik der Metaphysik noch einen anderen wesentlichen und positiven Vorteil, indem von ihm aus allein der einzige Weg übersehen werden kann, welcher zu einem System metaphysischer Prinzipien führt.

Die Prinzipien einer Wissenschaft werden entweder aus einer anderen entlehnt, und sind also in dieser erweislich; oder sie werden in einer Propädeutik durch den Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen bewiesen; oder endlich als für sich unerweisliche Sätze nur nach einer Regel aufgewiesen, welche für die Unerweislichkeit der einzelnen Sätze und die Vollständigkeit des Ganzen den Grund enthalten muß. Das Letzte ist der Fall der Metaphysik, und transzendentale Kritik liefert uns die verlangte Regel. Dies wird aus folgendem deutlich werden.

A) Die Prinzipien der Metaphysik können aus
keiner anderen Wissenschaft entlehnt werden.

Metaphysische Erkenntnis heißt hier überhaupt Erkenntnis a priori aus Begriffen in synthetischen Urteilen. Metaphysik, als Wissenschaft aus denselben, muß also ein vollständiges System aller synthetischen Urteile a priori aus bloßen Begriffen enthalten.

Ihre Prinzipien sind aher die allgemeinsten synthetischen Urteile a priori aus Begriffen. Solten diese in einer anderen Wissenschaft erwiesen werden, so könnte dies keine Wissenschaft aus Erkenntnissen a priori sein, weil sie in dieser Erkenntnisart selbst das oberste sind. Aus einer empirischen Erkenntnisart läßt sich aber überhaupt keine Erkenntnis a priori ableiten; denn aus bloß assertorischer [behauptender - wp] Gewißheit folgt niemals eine apodiktische [unumstößliche - wp] (weil jene eben nur auf ein Fürwahrhalten geht, welches für das Gemüt zufällig und vereinzelt ist, diese aber dem Gemüt schlechthin angehört); alle Erkenntnis a priori muß aber apodiktisch gewiß sein.

B) Die Prinzipien der Metaphysik können nicht durch einen
Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen erwiesen werden,
sind also überhaupt unerweislich.

Der Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine gilt überhaupt nur für die Ableitung der subjektien Gültigkeit eines Urteils; wo er also angewandt werden soll, da muß das Einzelne oder Besondere subjektiv unmittelbar gültig sein. Dies ist aber nur bei empirischen Erkenntnissen aus Wahrnehmung der Fall und nicht bei Erkenntnissen a priori. Vielmehr liegt bei letzteren auch der subjektiven Gültigkeit des Besonderen, die Wahrheit des Allgemeinen zugrunde. Freilich gelangen wir auch hier in der inneren Wahrnehmung gewöhnlich nur durch das Bewußtsein des Besonderen zu dem des Allgemeinen, indem sich jenes in der Erfahrung zuerst anbietet, aber immer nur im Hinblick darauf, daß die Annahme des Ersteren immer auf der, wenngleich dunkel gedachten, Voraussetzung des Letzteren beruth. Ein Beispiel wird diesen Unterschied klar machen. Man hatte schon lang wahrgenommen, daß ein Stein fällt und daß sich der Mond um die Erde bewegt, ehe NEWTON beide Erscheinungen aus einem allgemeinen Gesetz erklärte; die subjektive Gültigkeit jener einzelnen Urteile setzte keineswegs dieses Allgemeine als im Gemüt vorhanden voraus, vielmehr mußte es erst durch sie bewiesen werden. Wenn ich aber behaupte, die Kreisbewegung des Mondes setzt eine stetig wirkende bewegende Kraft voraus, so hat dieses Urteil für sich nur insofern Gültigkeit, als alle Veränderung (folglich auch die in der Richtung einer Bewegung) eine Ursache derselben voraussetzt. Indem ich also jenes behaupte, setze ich dieses schon voraus, wenn auch ersteres Urteil in der inneren Wahrnehmung früher als Letzteres aufgefunden wird.

Da nun also Erkenntnisse a priori überhaupt auf regressivem Wege nicht einmal ihrer subjektiven Gültigkeit nach bewiesen, sondern nur als voraus schon angenommen, aufgewiesen werden können, so muß dies auchvon den Prinzipien der Metaphysik gelten.

Auf progressivem Weg sind diese aber auch nicht erweislich, weil sie sich, wie vorhin gezeigt wurde, weder von Erkenntnisse a priori noch a posteriori weiter ableiten lassen. Sie sind daher überhaupt unerweislich.

C) Wenn also philosophische Prinzipien überhaupt
unerweisliche Sätze sind, so bleibt uns nur der dritte
Fall übrig, sie als solche nach einer Regel aufzuweisen.

Wo erhalten wir aber eine solche Regel her?

Oben zeigte es sich schon, daß alle philosophischen Untersuchungen anfangs regressiv sein müssen, indem die innere Wahrnehmung  bei  ihren Zergliederungen nur vom Besonderen ausgehen kann, so wie es sich zuerst in der Erfahrung darbietet. Wir haben aber gesehen, daß hierdurch keineswegs das Allgemeine aus dem Besonderen bewiesen, sondern vielmehr nur aufgewiesen wird, daß die Wahrheit des Besonderen bei Erkenntnissen a priori jederzeit die des Allgemeinen voraussetzt. Wie soll ich nun durch diese Regression auf ein Letztes kommen, das als Prinzip gelten kann? Die bloße Zergliederung für sich setzt sich keine Grenzen, es ist immer ungewiß, ob ich darin noch weiter fortgehen kann. Ich kann daher nie wissen, ob ich wirklich zu einem Prinzip gelangt bin, ob ein erhaltener Begriff wirklich der allgemeinste und unauflöslich ist, ob ein Urteil sich durchaus von keinem anderen ableiten läßt. Ja noch mehr, man nehme sogar an, das Urteil sei ein solches Letztes, also unerweislich; so fragt sich, worauf beruth die Gültigkeit desselben, wodurch kann es sich bewähren? Als philosophisches Prinzip soll es ganz auf Begriffen beruhen, es findet also keine Berufung auf eine Anschauung statt. Das Prinzip muß also unmittelbar durch sich selbst gültig und einleuchtend sein. Wodurch will man es dann aber rechtfertigen, wenn es angefochten wird?

Hier ist der Ort, wo uns die psychologische Untersuchung unserer Erkenntnisse (die Untersuchung derselben als zu Gemütszuständen gehörig) allein weiter helfen kann, indem man zeigt, wie sich sein solches Urteil aus den Verhältnissen unserer Erkenntnisvermögen notwendig erzeugen muß; wodurch bloß aufgewiesen wird, wie ein gewisser Begriff a priori entsteht oder wie die Synthesis mehrerer zustande kommt.

Erkenntnisse a priori sind nämlich, indem sie unabhängig von allem aus einer Wahrnehmung Entsprungenen stattfinden, subjektiv im Gemüt nur möglich, sofern sie aus solchen Bestimmungen desselben entspringen, welche für unsere Erfahrungen eine unmittelbare Grundbeschaffenheit des Gemüts sind; die ihm daher schlechthin und beharrlich zukommen. Die Prinzipien der Erkenntnis a priori müssen sich daher aus den Beschaffenheiten des Gemütes als des erkennenden Subjekts allein, unmittelbar und vollständig erklären und ableiten lassen.

Hierdurch erhalten wir nun alles, was gesucht wurde. Können wir nämlich die Natur des erkennenden Gemüts hinlänglich ergründen, so muß sich daraus eine Regel ergeben, durch welche sich nicht nur bestimmt, was Prinzipien der philosophischen Erkenntnis sind, sondern nach welcher wir dieselben vollständig in einem System darstellen können.

So sehen wir dann, daß die transzendentale Kritik der Philosophie alles liefert, was irgendeine andere kritische Untersuchung einer Wissenschaft leisten kann; indem sie die Vernunft von einer sonst unvermeidlichen Dialektik befreit, bei ihrer analytischen Methode vom Standpunkt der gemeinen Erfahrung ausgeht, und doch zu einem vollständigen System der Prinzipien der Philosophie führt.

Dabei läßt sich endlich noch bemerken, daß, indem wir nur von einer Betrachtung der metaphysischen Erkenntnisse ausgingen, die letzteren Resultate doch meist von aller Erkenntnis a priori überhaupt gelten, also auch auf Logik oder wohl gar Mathematik anwendbar, vielleicht ersterer auch nützlich wären.

Es ist gezeigt worden, daß die transzendentale Kritik mit der anfangs angegebenen Propädeutik der Metaphysik einerlei ist und wie sie als solche alles das leisten kann, was sie größtenteils schon geleistet hat, oder noch leisten wird. Geben wir aber acht, wodurch dies eigentlich erklärlich wurde, so war es hauptsächlich der empirisch psychologische Gesichtspunkt, von welchem aus die Kritik der Erkenntnisse  a priori  betrachtet wurde. Dies führt uns auf einen Satz, der, so richtig er auch sein mag, doch leicht Widerspruch finden möchte.  Transzendentale Kritik ist nämlich eine empirische Wissenschaft aus innerer Erfahrung.  Bei dieser Behauptung muß ich verweilen, denn sie hat auf den Gang einer gewissen philosophischen Untersuchung entscheidenden Einfluß.

Ihre Rechtfertigung hat schlechterdings keine Schwierigkeit. Was von jeder Propädeutik gilt, gilt auch von der transzendentalen Kritik. Nun machen den Gegenstand jeder Propädeutik Erkenntnisse aus, nämlich insofern aus ihnen eine Wissenschaft zustande gebracht werden kann; diese erkennen wir aber nur durch innere Wahrnehmung und Erfahrung; also enthält auch die transzendentale Kritik nur Erkenntnisse von Erkenntnissen d. h. innere Wahrnehmungen.

Um dies noch einleuchtender zu machen, setze ich eine andere Bemerkung dagegen, welche dasselbe nur allgemeiner sagt. Alles Philosophieren ist  empirisches  Denken, ja die Philosophie selbst ist Produkt desselben. Dieser Satz ist mit dem vorigen im Grunde einerlei; denn eine jede kritische Untersuchung ist Räsonnement über die Erkenntnisse, die in einer Wissenschaft enthalten sind, sie ist also eigentlich die Tätigkeit desjenigen, welcher die Prinzipien einer Wissenschaft aufsucht, hier also des Philosophierenden.

Alle wissenschaftliche Darstellung besteht in Schlußketten und Unterordnungen von Begriffen. Begriffe und Schlüsse gehören aber zur mittelbaren logischen Vorstellungsart durch Merkmale oder Teilvorstellungen. Dieses Erkennen durch Merkmale setzt Reflexion und diese setzt innere Wahrnehmung der Vorstellungen voraus. Also beruth alle wissenschaftliche Erkenntnis auf der inneren Wahrnehmung der Vorstellungen, welche im empirischen Denken enthalten ist. Auch das Philosophieren ist also eigentlich nichts als ein inneres Wahrnehmen, ein Beobachten der im Gemüt vorhandenen Erkenntnisse a priori, welche (die Prinzipien der analytischen Erkenntnisart ausgenommen) selbst für sich ganz zur unmittelbaren, und nicht unmittelbar der logischen, Erkenntnisart gehören.

Das Talent, welches eigentlich zum Philosophen macht, ist also Scharfsinn, d. h. guter Beobachtungsgeist in diesem bestimmten Feld innerer Erfahrungen; und es kommt zum richtigen, gewichtigen, folgenreichen Philosophieren, weit mehr auf ein gewisses, richtig gesund genaues Gefühl, also auf bloßes Schließen an. Dieses Gefühl besteht nämlich darin, daß ich die in der inneren Erfahrung vorkommenden, zusammengesetzten Begriffe, deren Merkmale alle nur dunkel gedacht werden, doch bestimmt und genau aufzufassen, d. h. innerlich wahrzunehmen vermag. Hierdurch allein wird auf einer Seite eine richtige Zergliederung möglich, auf der andern aber kann der Denker mit diesen Begriffen oft sehr richtig weiter fortschließen, wenngleich die letzten Prinzipien bei ihm nur dunkel gedacht, oder wohl gar verfehlt wären. Ein auffallendes Beispiel ist ROUSSEAUs  Contrat social. 

Wer hingegen nur richtig schließen könnte, dem müßten Prinzipien und Methode erst ganz zergliedert gegeben worden sein, wenn er etwas richtiges sollte aufbauen können. Doch hiervon genug, es führt zu weit vom Gegenstand unserer Untersuchung ab.

Es ist also das Geschäft der transzendentalen Kritik, den Inbegriff unserer Erkenntnis a priori aufzusuchen und auf seine Prinzipien zurückzuführen. Diese Untersuchung, was für Erkenntnisse a priori wir besitzen und wie dieselben beschaffen sind, gehört nun offenbar ganz zur psychologischen Erkenntnisart. Sie setzt die allgemeinen Kenntnisse von der Beschaffenheit des Gemüts voraus, beruth also ganz auf empirisch psychologischen Grundsätzen; ja sie muß sogar die ganze Betrachtung der von KANT sogenannten transzendentalen Gemütsvermögen mit in ihren Inhalt hineinziehen.

Aber eben darin, daß transzendentale Kritik die Erkenntnis von Erkenntnissen a priori enthält, liegt ein Grund, warum man sie selbst leicht für eine Wissenschaft aus Erkenntnissen a priori halten konnte.

Ihr Gegenstand sind Erkenntnisse a priori, ihr Inhalt aber meist empirische Erkenntnisse. Die Urteile, welche den Inhalt der Kritik ausmachen, sind nur assertorisch; apodiktische gehören zum Gegenstand derselben. So erkenne ich z. B. a priori und mit apodiktischer Gewißheit, daß alle Veränderungen eine Ursache haben; allein das Dasein dieses Grundsatzes unter meinen Erkenntnissen und die Art, wie er im Subjekt gegründet ist, welches Letztere in den Inhalt der Kritik gehört, kann ich doch nur assertorisch aus innerer Erfahrung erkennen. Nicht das Urteil:  Alle Veränderungen haben eine Ursache,  sondern dieses:  Der genannte Grundsatz der Kausalität ist notwendige Bedingung einer möglichen Erfahrung  gehört in die Kritik. Eigentlich philosophische Erkenntnis ist entweder logisch oder transzendental oder metaphysisch und jederzeit apodiktisch; das assertorische, psychologische gehört nur in die Elementarlehre (Kritik) nicht in das System der Philosophie.

Allerdings ist es ein schwieriges Verhältnis, welches daraus entsteht, daß ich mich, nach meiner Erkenntnis a priori, empirisch erkenne. Eine Schwierigkeit, welche auf die ganze Untersuchung der transzendentalen Seelenvermögen und der ganzen Kritik Einfluß hat. Ich setze hier voraus nicht etwa bloß die logischen Regeln des Denkens, sondern da ich nur aus der Erfahrung schöpfen kann, notwendig auch die metaphysischen Gesetze einer möglichen Erfahrung überhaupt, von denen es doch eben scheint, als sollten sie erst bewiesen werden. Die Erkenntnis a priori ist aber hier nicht nach ihrer Gültikeit in Urteilen, sondern nach ihrer Beschaffenheit als meiner Erkenntnis, als zu den Zuständen meines Gemüts gehörig, psychologischen Grundsätzen unterworfen. Es wird also in der Tat hier nicht unternommen, die Prinzipien und Grundsätze unserer notwendigen und allgemeinen Erkenntnis zu erweisen; denn das könnte nur dadurch geschehen, daß sie von noch höheren und allgemeineren Gesetzen abgeleitet würden, welches bei Prinzipien gar keine Anwendung fände, außer dem daß aus empirischen Obersätzen wohl niemand einen apodiktischen Schlußsatz zu ziehen hoffen wird. Vielmehr sollen nur aus den subjektiven Bedingungen des Gemüts diese Prinzipien als solche aufgewiesen und alsdann erklärlich gemacht werden, wie sie so und nicht anders beschaffen sein müssen, woraus sich dann die sonst unbestimmte Bedeutung und Gültigkeit derselben einsehen läßt, nicht eigentlich indem sie bewiesen wird, sondern nur, sofern man sich im Hinblick auf sie orientiert. So ist die Bemerkung eines Philosophen sehr treffend: die Forderung des Kritizismus an den Dogmatismus sei nur: sich erst selbst verstehen.

Diese Unterscheidung der Erkenntnisart, welche den Inhalt der Kritik ausmach von derjenigen, welche ihr Gegenstand ist, konnte leicht übersehen werden. Kritik galt alsdann für eine Wissenschaft a priori aus Begriffen; man mußte den ihr eigentümlichen Inhalt mit ins System der Philosophie ziehen und dadurch zu mannigfaltigen Mißdeutungen und Verwirrungen Anlaß geben.

Selbst KANT scheint mir diese Unterscheidung nicht bestimmt im Auge ehabt zu haben, sonst hätte er vielleich durch eine nähere Erörterung derselben manchen vergeblichen Versuch die Philosophie als Wissenschaft weiter zu bringen, abhalten können. Man sehe die Bestimmung dieses Begriffs einer transzendentalen Erkenntnis (Kr. d. r. V., 4. Auflage, Seite 25 und 80) Hier wird die Erkenntnis, wie gewisse Vorstellungen lediglich a priori angewandt werden oder möglich sind, transzendentale Erkenntnis genannt; diese Erkenntnis von der Möglichkeit oder dem Gebrauch einer Erkenntnis a priori aber als eine Art der Erkenntnis a priori aufgestellt. Offenbar aber werden wir uns nur durch innere Wahrnehmung bewußt, was für Vorstellungen a priori wir haben. Die hier genannte transzendentale Erkenntnis ist also Erfahrungserkenntnis. Ist dies richtig, so faßt der Kantische Sprachgebrauch im Wort  transzendental  zwei heterogene Begriffe zusammen. Da hier ein Fall ist, wie es kaum einen zweiten geben möchte, daß KANT bei der Unterscheidung so wichtiger Begriffe gefehlt hat, so wird es gut sein dies näher auseinanderzusetzen. Einmal heißt nämlich jede kritische Erkenntnis im Gegensatz der schlechthin philosophischen (dogmatischen) Erkenntnis a priori transzendental; davon ist aber ganz unterschieden eine andere Wortbestimmung, wo transzendental dem Empirischen und Transzendenten so entgegengesetzt wird, daß das empirische alles zur Erfahrung gehörige, das Transzendente das diese Übersteigende, das Transzendentale aber nur das von ihrer Beschränkung überhaupt unabhängige bezeichnet. So unterscheidet KANT (a. a. O.) den transzendentalen Gebrauch einer Erkenntnis a priori vom empirischen und (Kritik der Urteilskraft, Seite XVII) transzendentale Prinzipien von metaphysischen usw.

An der ersteren Stelle hält er aber in der Behauptung - der Gebrauch des Raumes von Gegenständen überhaupt sei transzendental, - selbst das Wort für gleichbedeutend mit der eben erst angegebenen Worterklärung; mir scheint aber jenes auf die von mir bemerkte zweite Bedeutung zu gehen. Die Erkenntnis sowohl, daß der Gebrauch des Raumes von Dingen überhaupt unzulässig ist, als daß er auf sinnliche Gegenstände eingeschränkt sei, ist nach ersterem Sinn transzendental; jener Gebrauch aber im Gegensatz des Letzteren wrid nach der anderen Bedeutung so genannt, weil er die Schranken der Erfahrung nicht achtet. Dieser letztere Wortgebrauch scheint mir der Bedeutung in der früheren philosophischen Sprache näher zu liegen; KANT bedient sich oft des Wortes in beiderlei Sinn; ich wage daher nicht es nur auf eine Bedeutung einzuschränken. Es mag genug sein den Unterschied angegeben zu haben.



Es ist eine Bemerkung, die sich bei einem Überblick der neueren philosophischen Schrifen fast aufdrängt, daß die meisten philosophischen Versuche nach KANT, von Schülern desselben, wo man nur auf Resultate der kantischen Untersuchungen weiter fortbaute sehr glücklich gewesen sind, und wo nicht zur Erweiterung, wenigstens zur Erläuterung philosophischer Kenntnisse viel beigetragen haben. Da im Gegenteil durch diejenigen Versuch, wo man höher hinauf nach den letzten Prinzipien suchte und dadurch den kantischen Arbeiten selbst erst die vollendete Haltung geben wollte, nur wenig irgendein allgemein Geltendes ausgemacht hat, meist ist der Streit nur vermehrt worden. Ein Hauptgrund zur Erklärung dieser Erscheinung möchte wohl die angegebene nur allzuhäufige Verwechslung zwischen kritischer Erkenntnis und metaphysischer Erkenntnis a priori sein.

Mir scheint von diesem Gesichtspunkt aus REINHOLDs ursprünglicher Fehler erklärlich; ich glaube von hieraus AENESIDEMUS' Einwendungen gegen KANT abweisen und FICHTE angreifen zu können. Dies möchte etwas viel behauptet scheinen, aber AENESIDEMUS greift nur einen KANT an, wie ihn REINHOLD verstehen mßte, und FICHTE folgt nur weiter der REINHOLDischen Methode.

Dies weitläufig auseinanderzusetzen ist hier nicht der Ort; aber einige Bemerkungen zur Rechtfertigung meiner Meinung werden doch notwendig sein.

Das Publikum scheint entschieden zu haben, daß wir Recht haben, die wir behaupten, REINHOLD sei durch AENESIDEMUS widerlegt. Meiner Meinung nach ist nun ursprünglich sein Fehler eben kein anderer, als jene falsche Ansicht der ganzen Erkenntnisart in der transzendentalen Kritik, indem er diese fälschlich für eine Erkenntnis a priori und folglich, in der oben angegebenen Bedeutung, für eine metaphysische Erkenntnis hielt. Um zu sehen, daß er diesen Fehler beging, vergleiche man nur die Bestimmungen einer Vorstellung a priori in der Theorie des Vorstellungsvermögens. Hier wird offenbar Erkenntnis, welche unabhängig von aller Bestätigun durch Erfahrung, schlechthin gültig ist, d. h. Erkenntnis a priori verwechselt mit der Erkenntnis desjenigen, was im Gemüt vorhanden ist unabhängig von allen sinnlichen Affektionen desselben (durch die eine Wahrnehmung zustande kommt), wobei Letztere eine psychologische Erkenntnis ist, zu welcher wir nur auf empirischem Weg gelangen.

Auf diese Weise blieb ihm zwischen der Kritik und dem System der Philosophie kein anderer Unterschied übrig als der, daß jene der regressiven Methode, dieses hingegen der progressiven folgen müsse. Da fand er nun, daß in der Kritik noch mancher als unerwiesen angenommene Satz vorkommt. In ihr mußte also die Regression noch nicht vollendet sein. Diese Vollendung hatte er noch hinzuzufügen, und dann könnte er gleich an die Aufstellung in umgekehrter Ordnung gehen. Diese seine vollendete Zergliederung mußte dann auch notwendig auf  einen  letzten unerweislichen Satz, aus unauflöslichen Begriffen, führen, (als oberstes Glied in der einzigen gegebenen Kette von Zergliederungen) welcher dann, weil weiter nichts mit ihm anzufangen ist, für sich einleuchtend und über alle Mißdeutungen erhaben sein muß, kurz dem alle Prädikate zukamen, welche er ihm selbst so weitläufig zuschreibt.

Aber wie gelangte er zu diesem obersten Punkt der Abstraktion? In der Zergliederung selbst liegt nichts, was ihre eine Grenze setzte. Er fand einen Punkt, der seiner Meinung nach der oberste wäre; aber eben hierin tadeln ihn FICHTE und SCHELLING, welche noch weiter gegangen sind, als er. Meiner Meinung nach hingegen, war schon REINHOLD über das Ziel einer metaphysischen Zergliederung hinaus. Der allgemeinste Begriff ist offenbar der eines Gegenstandes überhaupt, d. h. der einer Vorstellung, soweit dieses Wort mit jenem gleichbedeutend ist. REINHOLD ging aber von da zum Begriff einer Vorstellung, sofern diese etwas ganz vom Gegenstand Verschiedenes bezeichnet über und gelangte so zum Begriff des Bewußtseins und somit in eine Sphäre von Erkenntnissen, welche der metaphysischen ganz heterogen ist. Denn statt, daß er vorher schon bei den allgemeinsten ontologischen Begriffen war, so gelangte er nun (und doch sollte dies durch Zergliederung geschehen) zu einem vereinzelten Begriff eines bestimmten Gegenstandes der innneren Wahrnehmung, eines  Bewußtseins

Was ihn nun über die Grenze der Metaphysik in die Psychologie hineintrieb, ist leicht zu übersehen. Eine Aufgabe war, das Unerwiesene der Kritik zu begründen, er mußte alle in ihr vorkommende Unterscheidungen auch ableiten. So bedurfte er z. B. notwendig der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding-ansich; da diese aber, wie wir oben sahen, in allen eigentlich metaphysischen Zergliederungen nicht gefunden werden kann, so drängte ihn schon dies zu psychologischen Begriffen hinaus, die er aber ihrer empirischen Natur nach nicht erkannte.

Da er also auf psychologischem Boden das oberste Prinzip der Philosophie aufsuchte, so ist klar, daß er notwendig dem ganzen Gebäude eine Tatsache aus innerer Erfahrung zugrunde legen mußte. Diese sollte aber doch Erkenntnis a priori gewähren, und so wurde endlich Erkenntnis a priori überhaupt zu einem Teil der Erkenntnis aus innerer Erfahrung.

Seine Ideen, das ganze System unseres Wissens betreffend, und die Art einer Unterordnung desselben unter ein oberstes Prinzip, welche FICHTE noch weiter ausgeführt hat, ließen sich hier auch ableiten und bestreiten; allein dies würde mich zuweit führen.

Fast alles hier angeführte gilt auch gegen FICHTE. Zwar hat er die letztere Schwierigkeit der Bestimmung einer Erkenntnis a priori dadurch zu vermeiden gesucht, daß er eine intellektuelle innere Selbstanschauung annimmt. Diese hier zu bestreiten würde zu weitläufig sein; es ist dies aber auch kein entscheidender Punkt, weil es bei der Zergliederung nicht auf den Unterschied des sinnlichen und intellektuellen, sondern auf den des intuitiven und logischen ankommt. Ich behaupte daher nur: FICHTE ist auf dem Weg der fälschlich für philosophisch gehaltenen REINHOLDischen Zergliederung noch weiter aufwärts gegangen, wie man am bestimmtesten bei SCHELLING sehen kann: vom Bewußtsein zum Subjekt desselben, von da zum Ich (als Subjekt = Objekt) und endlich zum reinen Ich, wo man dann wieder ein neues Ziel gefunden hat.

Mittels dieser philosophischen Destillation und Sublimation hat man schließlich unter dem Zeichen Ich = Ich ein so schwer zu behandelndes Gas erhalten, welches unter den Händen jedes Ungeübten bald satzartig anschießt, bald sich gefühlsartig zu Nebeln verdichtet; eigentlich aber, weder Satz noch Gefühl, sondern nur schlechthin Prinzip genannt werden darf. Jenseits des Prinzips, von Seiten des Systems her diese Lehre anzugreifen, würde eine weitläufige und wahrscheinlich fruchtlose Arbeit sein, da FICHTE selbst angibt, sie sei ein Widerspruch für den Gesichtspunkt des gemeinen Menschenverstandes. Wollte man aber sagen, das Behandelte sei psychologisch und als solches fehlerhaft, indem z. B. die Vermögen zu setzen und entgegen zu setzen schlechterdings keine Grundvermögen, sondern weit abgeleitete logische Vorstellungen sind, so würde das in die Ideen jenes Systems doch so wenig passen, daß man kaum darauf Rücksicht nehmen möchte. Es bleibt also kein anderer Weg der Überlegung übrig, als den Prozeß selbst der Prüfung zu unterwerfen, durch welchen das Prinzip gewonnen wurde.

Wir können uns hiermit auch ganz wohl begnügen, da überhaupt ein Angriff gegen das Prinzip eines angeblichen philosophischen Systems, allein entscheidend sein kann, indem sich zwar sonst viel streiten läßt, das meiste aber immer auf Konsequenzmacherei hinausläuft, oder wenn es recht gut geht, zwar niedergerissen, aber nichts aufgebaut wird. Hier hat REINHOLD einen Satz in Umlauf gebracht, den ihm mancher Philosoph nachspricht, der aber eigentlich sehr wenig besagt: wer mit mir in den Prinzipien nicht einig ist, mit dem will ich gar nicht erst streiten, man gebe aber nur das Prinzip zu, so wird sich alle ergeben, denn ist das Prinzip einer philosophischen Wissenschaft einmal bestimmt gegeben, so brauchen wir nur noch die logischen Regeln des Schließens und können dann wohl weiterbauen; aber eben die Prinzipien zu sichern, möchte hier die Schwierigkeit sein.

Man könnte gegen das von FICHTE aufgestellte oberste Prinzip die Einwendung machen, daß es nur hypothetisch sei, indem er es selbst nur dafür angibt und behauptet, es ließe sich nicht beweisen, daß es ein oberstes Prinzip sei. Dieser Einwurf wäre aber doch nicht unwiderleglich. Denn das hypothetische dabei gilt nur für den Unkundigen; sobald man sich auf den rechten Gesichtspunkt versetzt, so soll das Prinzip sich schon von selbst als das einzig mögliche beweisen. Meine Gründe gegen dieses Prinzip sind schon vorhin gegen REINHOLD angeführt, indem FICHTE eben auch fälschlich die empirisch psychologische Erkenntnisart der Kritik für Erkenntnisse a priori hält, und nur dadurch zu seinem Prinzip gelangt. Denn wie wir gezeigt haben, gelangt er nur durch eine Fortsetzung der REINHOLDischen Zergliederung zu seinem obersten Punkt.

Betrachten wir unter dieser Voraussetzung den FICHTE'schen Satz "Ich = Ich"; so können wir im Voraus wissen, daß wir darunter nichts zu verstehen haben als einen psychologisch empirischen Satz, der für philosophisch gehalten wird. So scheint mir die Behauptung:  das Ich ist das oberste Prinzip unseres Wissens und der Philosophie,  nichts anderes als der Satz zu sein, daß jeder Metaphysik eine transzendentale Kritik aus psychologischen Grundsätzen vorhergehen muß, oder daß alle richtige Einsicht in die Natur der Erkenntnis a priori, erst eine Untersuchung derselben aus einem  psychologischen Gesichtspunkt  erfordert; nur daß diese Wahrheit aus dem sonderbaren Gesichtspunkt angesehen wird, den wir angegeben haben.

So geht FICHTE dann auch wirklich in seiner Wissenschaftslehre nach einer Analogie mit einer Metaphysik der inneren Natur vom Begriff eines beschränkten, innerlich tätigen Wesens (dem Ich) aus, und getraut sich, hieraus das ganze System der Philosophie abzuleiten, mit Hilfe innerer intellektueller Anschauung.

Diese intellektuelle Anschauung dient ihm eben, wie REINHOLD das unmittelbare Bewußtsein, um empirische Begriffe aus innerer Wahrnehmung, als philosophisch introduzieren [einzuführen - wp]. Allein unsere innere Anschauung ist sinnlich und keineswegs intellektuell, sonst müßten wir das Nichtsein des Ich gar nicht einmal denken können, und diese Anschauung könnte nicht eine Anschauung veränderlicher Zustände, sie könnte nicht Anschauung einer beschränkten Tätigkeit sein.  Beschränkte innere Tätigkeit setzt ein beschränkendes, ein Nicht-Ich voraus;  dies ist nichts anderes als der Satz einer Metaphysik der inneren Natur: veränderliche Zustände der inneren Tätigkeit setzen vom Ich verschiedene Dinge, als Ursache der Veränderung, voraus. Hier wird sehr sonderbar das vom Ich verschiedene ein Nicht-Ich genannt; woher es denn nichts absurdes ist, daß das Ich ein Nicht-Ich ist. Ebenso wie ich sage, alle Körper sind ausgedehnt, obwohl der Begriff eines Körpers von dem der Ausdehnung verschieden ist, und etwas Rotes rund sein kann, wenngleich rot nicht rund ist. Dieses Nicht-Ich wird aber hernach immer mit einem dem Begrif des Ich entgegengesetzten Begriff verwechselt, so daß man behauptet, wenn dem Ich irgendein  A  zukommt, so kommt dem Nicht-Ich das  Non-A  zu, da sich vielmehr nur behaupten läßt, es muß irgendein  A  geben, welches dem Ich zukommt, dem Nicht-Ich aber abgesprochen werden muß, indem dies der Charakter der Verschiedenheit, jenes der des Widerstreites ist.

Nach dieser Ansicht enthielte dieses Wissenschaft daher nichts als einige sonderbar ausgedrückte Sätze der Metaphysik der inneren Natur und außer dem Begriff der empirischen Psychologie, die auf eine ebenso unbefriedigende Weise a priori deduziert wurde, wie bei REINHOLD nach der Darstellung des AENESIDEMUS. Zum Beispiel der Begriff des Vorstellens, den ich nur aus innerer Erfahrung kenne, wird hier unter dem Rahme der idealen Tätigkeit, deduziert als die reflektierte, in sich zurückgehende innere Tätigkeit. Mir ist es schlechterdings unmöglich, im Begriff einer durch äußere Einwirkung modifizierten inneren Tätigkeit (so wird die ideale charakterisiert) den Begriff des Vorstellens wieder zu erkennen, welcher durch das in innerer Erfahrung vorkommende Verhältnis zwischen dem Vorstellenden, Vorgestellten und der Vorstellung bestimmt ist.

Der allgemeine metaphysische Begriff einer inneren Tätigkeit wird zum Begriff einer veränderlichen inneren Tätigkeit, indem ich bestimme, daß die innere Tätigkeit Modifikationen durch fremde Einwirklung erleiden kann. Alle veränderliche innere Tätigkeit wird aber doch nicht ideal sein sollen? Oder wäre sie es auch, so ist dies doch erst ein synthetischer Satz aus innerer Erfahrung.

Doch lassen wir die Streitigkeiten hier liegen.

Transzendentale Kritik ist also eine Wissenschaft aus empirisch psychologischen Erkenntnissen und zwar die Wissenschaft von der Art und Beschaffenheit unserer Erkenntnisse a priori.

Erkenntnisse a priori sind aber ganz subjektiven Ursprungs und gehören zu den letzten Grundbestimmungen des Gemüts für unsere Erfahrung; im Gegenteil sind aber auch alle Erkenntnisse, welche aus solchen Bestimmungen des Gemüts entspringen, Erkenntnisse a priori.

Die transzendentale Kritik wird also, indem sie unsere Erkenntnisse a priori, wie sie in der inneren Erfahrung vorkommen, im Verhältnis zum Gemüt untersucht und so die transzendentalen Gemütsvermögen bestimmt, durch diese wiederum ein vollständiges Sytem philosophischer Prinzipien aufstellen können. Um die Art, wie sie dies leistet, in ein helleres Licht zu stellen, wird, wenn ich recht sehe, eine aus diesem Gesichtspunkt bearbeitete Psychologie, als Theorie der transzendentalen Vermögen des menschlichen Gemüts, nicht wenig beitragen.

Wäre diese bearbeitet, so würde es alsdann leichter sein, gemäß dem allgemeinen Begriff einer philosophischen Erkenntnis, eine Propädeutik der Philosophie zu bearbeiten, in welcher die Philosophie als Logik und Metaphysik und letztere nach allen drei Teilen der transzendentalen Kritik aus einem Gesichtspunkt übersehen werden könnte.

Hierdurch würde dann auch die Aufforderung an die Elementarphilosophie befriedigt werden, einen Vereinigungspunkt für das ganze System der Philosophie aufzuweisen. Von der anderen Seite wird aber diese Psychologie auch für die empirische Seelenlehre selbst wichtig. Erkenntnisse a priori weisen nämlich jederzeit auf Grundbestimmungen des Gemüts zurück; sie können also in der empirischen Psychologie zu einer trefflichen Anleitung dienen, das Veränderliche und Zufällige im Gemüt vom Beharrlichen zu unterscheiden, und die transzendentale Kritik wird so einen vorteilhaften Einfluß auf einen Teil der allgemeinen Erfahrungsseelenlehre haben, welcher durch Vollständigkeit und eine mögliche systematische Anordnung sich vor dem übrigen Teil auszeichnen muß.

Nach diesen Ideen habe ich versucht, den angegebenen Teil der Psychologie zu bearbeiten, in der Hoffnung, dadurch zur richtigeren Bestimmung des Gesichtspunktes der Kritik der Vernunft etwas beizutragen und auf den Einfluß dieser Kritik auf empirische Psychologie weiter aufmerksam zu machen.

SCHMID, JAKOB, HOFBAUER, FLEMMING und andere haben schon die empirische Psychologie als kritische Philosophen bearbeitet. Ich glaube das angeführte wird ihre Absicht von der meinigen hinlänglich unterscheiden; auch haben beide sich nicht, wie ich es tue, nur auf die innere Erfahrung beschränkt, sondern auch anthropologische Untersuchungen mit in ihren Plan gezogen; dagegen aber auch keine bestimmte Metaphysik der inneren Natur zugrunde gelegt. Daß ich beide zu nutzen gesucht habe, wird hoffentlich in die Augen fallen.
LITERATUR - Johann Jakob Fries, Über das Verhältnis der empirischen Psychologie zur Metaphysik, Psychologisches Magazin, Bd. 3, Jena 1798 [hg. von Carl Christian Schmid]