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Die Hoffnungslosigkeit aller Psychologie [4/4]
Der Begriff des Unbewußten. Es sei genug an Beispielen aus der Psychologie, denn ich strebe nicht nach Vollständigkeit. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß sich in allen Gebieten seelischer Tätigkeit Lücken zeigen, die wir nicht ausfüllen können, daß wir das seelische Leben nur zum Teil verstehen. Ist es so, dann muß die empirische Psychologie als eine hoffnungslose Wissenschaft bezeichnet werden. Sie kann ihr Gebiet nicht einmal übersehen, und sie ermangelt vollständig der Mittel, die ungelösten Aufgaben zu lösen. Der Psychologe hat schlechterdings nichts als die Beobachtung seiner selbst und den Analogieschluß. Alles, was er außerdem tun kann, die Vervielfältigung der Beobachtung, der Versuch, kann die Gebiete nicht erreichen, die der Selbstbeobachtung verschlossen sind. Die gewaltige Arbeit, die die Psychologen in der neueren Zeit geleistet haben, hat die Grenzen der Erkenntnis ganz und gar nicht erweitert. Mehr oder weniger wertvolle Einzelkenntnisse sind erlangt worden, wo man früher nur das Daß wußte, weiß man jetzt vielfach das Wieviel und das Wielange, aber alle Fortschritte liegen auf dem kleinen Gebiet, das uns bei innerer Betrachtung als hell erscheint. Dieses ist nicht größer geworden, und das dunkle Reich ist nicht kleiner geworden. Der größte Fortschritt ist offenbar der, daß die Erkenntnis unseres Nichtwissens gesteigert worden ist. Ich bin kein Anhänger EDUARD von HARTMANNs, und kann die Art, wie er den Begriff des Unbewußten verwandt hat, nicht billigen, aber der Nachweis, den er als ganz junger Mann geführt hat, daß und wie wir überall auf Vorgänge stoßen, die mit den seelischen zusammenhängen und doch für uns unbewußt sind, dieser Nachweis wird ihm für alle Zeiten ein Denkmal sein (6). Es wäre gut, wenn sich die Naturkundigen, an die ich mich vornehmlich wende, mehr als bisher darum kümmern würden, und die absprechende Weise, mit der in ihren Schriften HARTMANN nicht selten behandelt wird, scheint mir ein Zeichen der Unkenntnis zu sein. Soviel ist sicher, die empirische Psychologie scheitert am Begriff des "Unbewußten". Sie muß entweder darauf verzichten, Wissenschaft vom seelischen Leben zu sein, oder sie muß über die Empirie hinausgehen und der Metaphysik die Hand reichen. In jenem Fall verzichtet sie auf die Erörterung der Fragen, die den Menschen eigentlich interessieren und geht in der Kleinarbeit auf, zu der ihre Kraft reicht. Vielfach ist es tatsächlich so gekommen. Viele Psychologen setzen ihren Stolz darin, auf alle philosophischen Fragen zu schweigen und sie als nicht wissenschaftlich abzulehnen; sie wollen lieber im Kleinen treu und genau sein, als sich mit Vermutungen einlassen. Jedoch der Skeptizismus ist eine schwere Sache. Am Ende können die stolzen Empiriker doch nicht ohne Hypothesen leben, sie machen welche, ohne viel zu fragen, und nicht selten behandeln gerade Die, die die Metaphysik am meisten verachten, in naiver Weise ihre eigene Metaphysik als selbstverständliche Voraussetzung. Die Anderen, die die heutige Tätigkeit der Psychologen zwar als nützlich anerkennen, aber nicht gerade nach ihrem Geschmack finden, scheinen vorderhand ein kleines Häuflein zu sein, aber das kann ihnen nichts ausmachen, sie werden fortfahren, über das nachzudenken, was ihnen des Nachdenkens wert zu sein scheint, und die von der Philosophie abgerissene Psychologie wieder an sie anzuknüpfen. Daß den Rationalisten das Unbewußte sehr zuwider ist, das versteht sich. Sie schieben es beiseite oder leugnen es. Sie erkennen etwa geringe Grade des Bewußtseins an, sprechen von dunkel bewußten Vorstellungen und dgl., obwohl auch diesen Dingen das Odium der Unbegreiflichkeit anhaftet. Wenn es irgendwie angeht, weisen sie darauf hin, daß anfänglich bewußte Vorgänge bei Wiederholung auch ohne die darauf gerichtete Aufmerksamkeit ablaufen und schließlich "automatisiert" werden. So möchte es wohl auch bei den anderen unbewußten Vorgängen sein: sie würden rational erworben, erlernt, eingeübt, mechanisiert. Solche naive Bestrebungen kann man belächeln, aber das ist richtig, daß der Begriff des Unbewußten als eine Verneinung Mißdeutungen ausgesetzt ist, und daß wir genau sagen müssen, was wir dabei denken. Seele ist uns das durch innere Beobachtungen Erfaßbare, also scheinen seelische Vorgänge, die nicht beobachtet werden können, ein Unding zu sein. Die Erfahrung ergibt jedoch, daß wir durch den Zusammenhang oder den Erfolg vielfach genötigt werden, seelische Vorgänge da zu suchen, vorauszusetzen, zu erwarten, wo wir in unserem Bewußtsein oder Ich sie nicht auffinden können. Wir können, streng genommen, ihre Existenz nicht behaupten, wir müssen nur sagen, hier ist eine Lücke, und wir vermögen diese Lücke nicht anders auszufüllen, als durch die Annahme einer Tätigkeit, die der seelischen wesensgleich ist. Ich bin mireiner Sache bewußt, heißt nichts anderes als: Ich weiß von ihr, ich kann mich ihrer entsinnen, von ihr Rechenschaft geben. Wenn daher ein innerer Vorgang nach seinem Ablauf sofort und dauernd vergessen würde, so würden wir von ihm kein Bewußtsein haben. Es ist aber ersichtlich, daß so etwas mit "unbewußt" nicht gemeint wird. Man könnte sagen, unbewußt sind die Vorgänge, an denen unser Ich nicht Teil hat, die außerhalb der Ich-Sphäre verlaufen, oder ähnlich. Immerhin ist das Wort Bewußtsein so eingebürgert, daß wir uns mit ihm behelfen müssen. Ferner ergibt sich bei genauerem Zusehen, daß unter "unbewußt" Vorgänge zusammengefaßt werden, die in gewissem Grad verschieden sind, denn man kann ja relativ Unbewußtes und absolut Unbewußtes unterscheiden. Es gibt nämlich viele Vorgänge, die bald bewußt, bald unbewußt verlaufen. Hierher gehören die "automatisierten" Tätigkeiten, reden, schreiben, klavierspielen, tanzen usw., während die Aufmerksamkeit anderswohin gerichtet ist, das Handeln in der Zerstreutheit, Selbsttäuschung durch Unterschiebung falscher Motive und anderes mehr. Hier können wir, wenn wir wollen, den Vorgang in das Bewußtsein heben, wie man sagt. Ist er vorüber, so können wir uns durch angespannte Aufmerksamkeit zumindest auf Teile von ihm besinnen. Auch gehört hierher, zumindest in der Hauptsache, die sogenannte Spaltung der Persönlichkeit, die durch krankhafte Zustände oder durch Suggestion eines Anderen bewirkt wird. Da wird, bildlich gesprochen, eine Schranke errichtet, die dem Ich zeitweise einen Teil seines Inhaltes unzugänglich macht. Aber die Schranke kann niedergelegt werden, die Erinnerung kann zurückkehren oder zurückgerufen werden. Dagegen ist das absolut unbewußt, was nie dem Ich angehört hat, das, zu dem kein Weg aus dem Bewußtsein führt, das nie gewußt, nur erschlossen werden kann. Hierher gehören die Triebe, die Vorgänge vor der Wahrnehmung und nach dem Willen zur Bewegung, die Vorgänge, die unser bewußtes Leben durchbrechen, und die durch ihre relative Zeitlosigkeit und andere Züge ihre Verschiedenheit von der uns vertrauten seelischen Tätigkeit dartun. Natürlich ist das absolut Unbewußte die Hauptsache, das relativ Unbewußte die Nebensache. Man muß dieser Trennung eingedenk sein, aber es ist nicht zu verkennen, daß da und dort Übergänge vorhanden sind, wie solche auch das relativ Unbewußte mit dem Bewußtsen verknüpfen. Mein wertgeschätzter Kollege BLEULER hat vor kurzem einen anregenden Aufsatz über das Unbewußte geschrieben (7), der reich an lehrreichen Beispielen ist. Er glaubt, eine Theorie aufzustellen, in dem er sagt, die unbewußten Vorgänge seien deshalb nicht bewußt, weil ihnen die "Assoziation mit dem Ichkomplex" fehlt. Mir scheint das nur eine Umschreibung zu sein, denn die Frage ist eben die, warum gewisse Vorgänge nicht mit dem Ich verknüpft sind, oder sogar überhaupt nicht verknüpft werden können Eine Art von Fingerzeig scheint mir durch die Rücksicht auf die Zweckmäßigkeit gegeben zu werden. Jede bewußte Ich-Tätigkeit braucht verhältnismäßig viel Zeit und macht Mühe. Alle wissen, daß die unwillkürlichen Tätigkeiten uns nicht ermüden, wie Kreislauf, Atmung, Verdauung. Je mehr eine Tätigkeit "organisch" wird, umso leichter geht sie vor sich. Das leuchtet ein auf dem Gebiet des relativ Unbewußten; in dem Grad, wie Fähigkeiten durch Übung befestigt werden, ebensoviel leichter, sicherer, rascher werden sie ausgeübt. Auf diesem Übergangsgebiet schreiben wir auch das relativ Unbewußte unserem Ich zu und tatsächlich ist die Mühe nur vermindert, nicht aufgehoben, da trotz aller Übung die Tätigkeit müde macht. Ganz anders beim absolut Unbewußten. Blitzschnell und vollkommen mühelos wird hier das Ziel erreicht. Am deutlichsten ist das bei der Wahrnehmung und bei der Innervation [Entstehung von Nervenimpulsen - wp]. Müßten wir das Wahrnehmen lernen, wir würden sterben, ehe wir fertig wären. Angenommen, das Ich könnte die Innervation besorgen, so würde das doch so langsam gehen und wir würden dabei so rasch müde werden, daß das Leben gar nicht möglich wäre. Ähnlich ist es in den Notfällen, auf die ich früher hingewiesen habe. Bei dringender Gefahr treten Erkenntnis und Entschluß so rasch ein wie es das Ich nicht leisten könnte. Die unbewußte Tätigkeit rettet also vor der Gefahr. Auch die "Geschenke der Musen" scheinen uns mühelos zu sein, wenn auch eine Mühe vorausgegangen ist. Hier macht es den Eindruck, als würde eine Leistung, die die Kräfte des Ich übersteigt, wegen ihres Wertes gnadenweise durch eine unbewußte Tätigkeit möglich gemacht. Offenbar ist auch die Unzulänglichkeit des Trieblebens zweckmäßig. Wenn sich bei den lebenswichtigen Funktionen das Ich einmengen könnte, so würde es wohl mehr Hindernisse als Förderungen geben. Man sieht ja oft genug, wie die Liebe durch die Vernunft ruiniert wird. Teleologische Betrachtungen sind immer gut, denn sie zeigen Tatsachen auf. Wie es zur Zweckmäßigkeit gekommen ist, das ist eine Frage für sich, und ob wir es herausfinden oder nicht, die Zweckmäßigkeit bleibt doch bestehen. Wir dürfen daher nach dem Zweck des Ich fragen. Seine Nützlichkeit scheint aber weniger einzuleuchten als die der unbewußten Vorgänge. Es macht unsicher, langsam, mit ihm kommt Zweifel, Zwiespalt. Tatsächlich ist die Individualisierung nicht nur das größte Wunder, sondern auch die schwerste Frage. Eine ausreichende Antwort werden wir Menschen schwerlich finden. Wir sagen uns, daß sie ein Ziel sein muß, da sie mit der Entwicklung stetig zunimmt. Im Tierreich freilich sehen wir nicht deutlich, was das höher entwickelte Tier vor dem einfacheren voraus hat; sie finden alle ihr Futter und sorgen für ihre Art, die einen wie die andern. Beim Menschen aber scheint allerdings das, was wir Fortschritt nennen, an die bewußte oder Ich-Tätigkeit geknüpft zu sein. Man wird nicht sagen können, daß der menschliche Fortschritt allein vom Denken in Begriffen, dessen Entwicklung sich durch die Sprache kund tut, abhängt. Vielmehr ist jedes Denken nur ein Teil des Wachstums an Geisteskraft überhaupt. Der gewaltige Größenunterschied zwischen dem Gehirn des Menschen und dem der Affen ist nicht nur ein Ausdruck dafür, daß jener in Begriffen denken und sprechen kann, sondern er zeigt auch an, daß neue Triebe beim Menschen aufgetreten sind und die alten sich anders entwickelt haben. Gewiß wären die Affen auch ohne Begriffssprache mancher Fortschritte fähig, wenn nicht ihr Gehirn überhaupt zu weiteren Leistungen untauglich wäre. Daß z. B. Affen, obwohl sie sich gern am Feuer wärmen, niemals darauf kommen, Holz nachzulegen, wie die Reisenden übereinstimmend berichten, daß es ihnen nicht einfällt, Steine durch Hebelkraft zu heben, überhaupt sich irgendwelcher Werkzeuge zu bedienen, während sie verschlossene Behälter öffnen können und mit menschlichen Gebrauchsgegenständen geschickt spielen, das deutet auf ein solches Unvermögen. Man möchte meinen, wenn das Tier ohne Begriffe einen Knoten löst, so müßte es doch auch ohne Begriffe durch ein Stück Holz das Feuer erhalten können. Mag das nun sein, wie es will: daß zu einem wesentlichen Teil die menschlichen Leistungen von der Sprache abhängen, d. h. von der eigentlichen Ich-Tätigkeit, das ist nicht zu bezweifeln. Unsere Überlegungen haben uns ja gezeigt, daß uns von allen seelischen Vorgängen nur die in Worte gefaßten klar sind. Hier fühlt sich das Ich zuhause, je bewußter wir denken, umso lückenloser fügen wir Wort an Wort. Alles, was nicht in Worte eingeht, hat den Anschein des Unerklärlichen, Dunklen, Geheimnisvollen, in ihnen spricht sozusagen die Natur, in den Worten der Menschen selbst. Vermöge seiner ratio löst sich der Mensch von der Natur ab und gewinnt Selbständigkeit. Er lebt nicht in der Gegenwart allein, sondern erwirbt denkend Vergangenheit und Zukunft, er setzt sich Zwecke, bewahrt und steigert das Erlernte, gemeinsame Tätigkeit führt vorwärts. Das freilaufende Kind fällt leichter als das geführte, so stolpert auch das bewußte Denken leichter als die unbewußte Tätigkeit, aber das "auf eigenen Füßen" stehen ist eben ohne Irrtum und Fehler nicht möglich. Wäre das Wohlbefinden der Menschen das eigentliche Ziel, so könnte man die Steigerung der Bewußtheit durch das Denken für bedenklich halten, aber die Entwicklung führt offenbar trotz aller Leiden zu einer relativen Selbständigkeit des Menschen, zu immer größerer Bewußtheit. Diese muß also auch im Sinne des Ganzen wertvoll sein. Wie dem Menschen gegenüber den anderen irdischen Einzelwesen nur ein höherer Grad von Bewußtheit zukommt, da doch die anderen auch bewußt wahrnehmen, fühlen, wollen müssen, so ist auch die ihm eigene Vernunft nur eine besondere Gestalt des allen Wesen zukommenden Vermögens. Unsere Vernunft ist ad usum hominis [durch menschlichen Gebrauch - wp] hergestellt, sie ist so, wie sie für unsere Bedürfnisse sein muß. Man kann auch sagen, sie ist individualisierte Vernunft, aber im Grunde ist sie doch gleichen Wesens mit der Vernunft, die Alles durchdringt. Der einfachste Beweis dafür ist, daß wir Naturereignisse berechnen können. Von diesem Gesichtspunkt aus muß man sagen, auch die Tiere haben Vernunft; sie handeln logisch, aber wir wissen nicht, wie es zugeht, und sie wissen es auch nicht. Das ist auch ein Gewinn, den der Nachweis der unbewußten Vorgänge im Menschen bringt, daß er den schroffen Gegensatz zwischen dem Menschen und den anderen Einzelwesen aufhebt. Wir sehen an uns, daß die bewußte und die unbewußte Tätigkeit durch die Form verschieden sind, nicht aber im Wesen. Wir sehen, daß auch im Tier, obgleich in einem anderen Verhältnis als im Menschen, unbewußte und bewußte Vorgänge ablaufen. Wir können nicht daran zweifeln, daß die unbewußten da und dort (zu einem großen Teil zumindest) dieselben sind. Wir kommen daher leichter zu der Erkenntnis, daß den Tieren zwar nicht unsere Vernunft, aber doch ein Analogon davon zukommt. Die ewige Weisheit führt das Tier an einer kurzen, uns selbst an einer langen Leine. Die Bedeutung unbewußter Vorgänge. Wir hatten bemerkt, daß die für uns unbewußten Vorgänge in uns zweckmäßig sind, wir müssen aber fragen, wie sind sie möglich? Jeder Versuch, diese Frage zu beantworten, bringt uns mitten in die Metaphysik hinein. Da die unbewußten Vorgänge nicht in unser Bewußtsein fallen, müssen sie entweder in gar kein oder in ein anderes Bewußtsein fallen. Wir mögen dies oder jenes glauben, immer hängt unsere Antwort von der Ansicht über das Verhältnis zwischem dem Materiellen und dem Seelischen ab. Weitaus die meisten Menschen glauben so fest an eine ansich seiende materielle Welt, daß sie in ihrem Glauben keine Art von Metaphysik, sondern nur die Anerkennung einer zweifellosen Tatsache sehen. Diese Auffassung ist geradeso unvermeidlich wie die, daß die Sonne auf- und untergeht, freilich auch ebensowenig zuverlässig. Wenn wir von der philosophischen Schulung absehen, ändert Bildung und Gelehrsamkeit höchstens den Ausdruck, nicht die Überzeugung selbst. Der Christ glaubt an die materielle Welt geradeso wie der Heide, der Naturforscher geradeso wie der Bauer, d. h. sie glauben an die Realität einer toten Masse. Der Eine denkt an das, was er mit den Augen sieht, der Andere an die Abstraktionen der wissenschaftlichen Physik, aber das macht keinen großen Unterschied, es bleibt immer dabei, daß die Hauptsache ein passives Etwas ist. Dieser Materialismus wird beim Unbefangenen durch einen ebenso natürlichen Spiritualismus ergänzt. Er sieht innerhalb der toten Masse die Einzelwesen, deren Natur in dem Sinne als Aktivität erscheint, wie die Natur jener Masse als Passivität, und die eben darum lebendig genannt werden. Lebensgeister, Seelen sind ihnen eigen, und so tritt der Materie der in Tropfen über sie hingestreute Geist entgegen. Daß der Dualismus gar nicht zu vermeiden ist, zeigen die Sprachen, die ihn alle voraussetzen. Auch alle Religionen setzen ihn voraus. Bei den älteren ist die hyle [ungeordnete Materie - wp] von vornherein selbständig; die christliche Lehre möchte dem Geist die Ehre geben, und behauptet eine Schöpfung der Welt aus nichts, aber auch für sie ist die einmal erschaffene materielle Welt ein Ding ansich. Der populären Auffassung suchen sich einzelne Denker zu entziehen. Verhältnismäßig frühzeitig hat das Verlangen nach einem Prinzip, nach Monismus, wie man heute sagt, den Materialismus im engeren Sinne entstehen lassen, spät erst und mit unvollkommenem Erfolg haben sich idealistische Auffassungen Bahn zu brechen versucht. Mit der Grundansicht wird auch das Urteil über das Unbewußte wechseln. Verhältnismäßig leicht scheint sich der Dualist herausziehen zu können. Wenn er voraussetzt, daß die Bewußtheit dem seelischen Geschehen nicht wesentlich ist, so braucht er nur anzunehmen, daß in der Seele dieselben Vorgänge bald bewußt, bald unbewußt ablaufen können, und daß sie in dieser und jener Form auf das Körperliche einwirken oder von ihm verändert werden können. Im Bild kann dann die Seele einem Mann verglichen werden, dessen rechte Hälfte im Licht, dessen linke in der Finsternis ist; er sieht zwar nur seine rechten Glieder, aber die rechten und die linken machen dieselben Bewegungen. Freilich liegt es auf der Hand, daß eine solche Auffassung nur bei einigen der Probleme zulässig ist, daß sie besonders dem Triebleben gegenüber versagt und daher ernsthaft nicht in Betracht zu ziehen ist. Der Materialist sagt: Es kommt ja nur darauf an, was im Gehirn vor sich geht; fällt ein Stück der sogenannten seelischen Vorgänge weg, so schadet das gar nichts, wenn nur die Gehirntätigkeit nicht unterbrochen wird. Um der Absurdität des alten Materialismus zu entgehen, kann man kantische Begriffe anwenden. Die materielle oder Sinnenwelt ist nur eine unserer Formen des Anschauens und Denkens angepaßte Erscheinung, aber auch das der inneren Beobachtung Zugängliche ist nur eine Erscheinung desselben unbekannten Dings-ansich. Da wir offenbar so organisiert sind, daß wir uns besser der äußeren Sinne als des inneren Sinnes bedienen können, ist es begreiflich, daß die Reihe von Signalen, die wir auf eine materielle Welt beziehen, vollständiger ist als die innere Reihe, deren Lücken wir das Unbewußte nennen. Der moderne Naturforscher, der in seinem Herzen Materialist ist, aber eine Aussage über das Verhältnis von Materie und Seele ablehnt, dagegen den "psychophysischen Parallelismus" in dem Sinne anerkennt, daß er neben einem kleinen Teil der realen Vorgänge seelische Begleiterscheinungen nebenher laufen läßt, dieser mag sich auf die Tatsache der Schwelle beziehen. Die psychophysischen Prozesse müssen eine gewisse Stärke haben, um die Schwelle übersteigen zu können, viele bleiben bei abgewandter Aufmerksamkeit unter der Schwelle. Nun könnte es sein, daß ein gewisser Grad von Geschwindigkeit dasselbe bewirkt, daß dann Lücken der seelischen Vorgänge eintreten, die etwa durch ein Spannungsgefühl ausgefüllt werden, und dgl. mehr. Andere können sagen, das Kennzeichen seelischer Vorgänge ist die vollendete Anpassung des Handelns oder Reagierens an die wechselnden Umstände. Diese Art von Reaktion kommt nur bestimmten Teilen des Gehirns zu. Weiter kann man dann nichts darüber sagen; nur dann, wenn ein Teil dieser Vorgänge "in das Bewußtsein fällt", stellt es sich heraus, daß sie von innen her in psychologisher Art beschrieben werden können. Jedoch ist das dann unwesentlich, denn die Hauptsache bleibt doch die vollendete Anpassung an die Umstände im Gegensatz zur einförmigen Reaktion anderer Teile des Nervensystems, die mehr der menschlicher Maschinen gleicht. Es gibt erner "Monisten", die auch nur verkappte Materialisten sind, etwa die seelischen Vorgänge als "Spiegelung" der realen bezeichnen, oder andere unklare Ausdrücke anwenden. Auch diesen kommt es nur darauf an, daß die materielle Reihe nicht unterbrochen wird. Es ließen sich wohl noch andere Meinungen anführen, aber es mag genug sein. Soviel ist sicher, daß für die Mehrzahl der Erklärer die Lücken des seelischen Zusammenhangs, die die psychologische Beobachtung aufweist, wirkliche Lücken, Unterbrechungen sind, während sie den Zusammenhang der realen Vorgänge für unversehbar halten. Die materielle Welt ist ihnen die Hauptsache, die seelische ein Anhang von fraglicher Bedeutung, und wollen sie ehrlich sein, so müssen sie das Seelische für recht überflüssig erklären, da die Welt ohnehin ganz ebenso gut ihren Gang gehen würde. Manchmal hat man den Eindruck, als ob die Geringschätzung des Seelischen durch einen gewissen Fanatismus getragen würde, der sich einerseits auf die Opposition gegen eine andere Einseitigkeit, andererseits auf eine Art von Askese zurückführen lassen möchte. Die Begeisterung für die Physik ist so groß, daß der physikalischen Welt allein alle Ehre gegeben wird, und die Herzensbedürfnisse des natürlichen Menschen für Quark gehalten werden. Die Welt wird zu einem etwas langweiligen aber exakt gearbeiteten mechanischen Werk, in dem ein paar Seelchen wie verlorene Fünkchen zwecklos umherirren. Die naturwissenschaftlich Gebildeten können auch gar nicht anders denken, da ihnen zwar die Auffassung der materiellen Welt als eines Ganzen geläufig ist, das Seelische aber in jedem Einzelwesen als ein Einzelnes, Abgerissenes erscheint. Jedes beseelte Einzelwesen ist ein Kästchen, das ein bißchen Seele einschließt, aber gut verschlossen ist. Im Grunde dürften auch die meisten Dualisten dieser Ansicht sein. Das versteht sich ja bei den Monadologen von selbst. Man sollte meinen, daß der Glaube an Gott der Zersplitterung entgegen wäre, da doch alle Einzelnen durch ihren Zusammenhang mit der Gottheit verbunden sein müssen. Aber die Gläubigen machen sich gewöhnlich die Vorstellung, als stünden sie Gott wie einem Anderen gegenüber, etwa so wie das Kind seinen Vater bittet und sich von ihm leiten läßt. Die Mystiker nehmen zwar eine reale Vereinigung mit dem Göttlichen an, aber sie pflegen nüchternen Überlegungen abgeneigt zu sein. Alle scheuen sich davor, die Gottheit allzusehr in die Welt hineinzuziehen, sie mit dem Geringen und Schlechten in einen Zusammenhang zu bringen. "Kümmert sich etwa Gott um die Ochsen?" sagt der Apostel PAULUS (1. Kor. 9,9). Der idealistische Monismus. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn wir den Mut haben, den Geist für die Substanz der Welt und die materielle Welt nur für sein Kleid zu halten. Es ist wahr, es gehört Mut dazu. Sehen wir uns selbst an, so steht auf der einen Seite das Wunderwerk des Organismus, eine kleine Welt für sich, und auf der anderen finden wir ein in der Regel recht dürftiges Gewebe von eintönigen Gefühlen und Gedanken. Und doch zeigt die Erfahrung, daß der Geist der Herr ist, das Andere ihm dient. Halten wir uns nur an das Sichtbare, so ergibt sich doch, daß dieser unscheinbare Geist die ganze Oberfläche der Erde umgestaltet. Es ist nun eine wunderliche Annahme, daß die Menschen den Geist für sich gepachtet haben sollten, während die große Welt sich ohne ihn behelfen muß. Vielmehr liegt es viel näher, anzunehmen, daß es so wie im Menschen auch im Großen hergeht, und der Geist überhaupt der Herrscher ist. Ist es so, dann kann es nicht in einer toten Welt ein paar Gehirnzellen mit "Spiegelungen" geben, sondern es muß der Geist in Allem sein. Wie der Betrachtung von außen der menschliche Geist als ein Geflecht von Nervenfasern mit Nervenzellen erscheint, so muß alles Materielle die Erscheinung eines Seelischen sein, und das Seelische wird in einem materiellen Zusammenhang sein Bild haben, ebenso ein Ganzes sein, das nur gegliedert, nicht zerrissen ist. Bei dieser Auffassung, die man als idealistischen Monismus bezeichnen kann, haben wir den Vorteil, daß wir auf dem Boden der Erfahrung bleiben, die principia nicht vermehren. SPINOZA lehrte eine Substanz mit zwei Attributen, der Ausdehnung und dem Denken. Wir könnten dann sagen, das Denken ist die Substanz, die Ausdehnung das Attribut, d. h. die Form, in der innerhalb des Ganzen ein Teil dem anderen entgegentritt. Bei dieser Hypothese, die natürlich anthropomorphistisch ist, auf einem Analogieschluß beruth, ist es das Wichtigste wie bei jeder Analogie, vorsichtig von Gleichem auf Gleiches, von Ungleichem auf Ungleiches zu schließen. Mit anderen Worten, wir dürfen menschenähnliche Seelenzustände nur da suchen, wo überhaupt Menschenähnlichkeit besteht, und deshalb, weil diese nicht weit reicht, werden auch unsere Schlüsse auf die Art des Inneren nicht weit reichen. Es bleibt uns dann nichts übrig, als im Sinne des Prinzips die jedem Seelischen eigenen Vorgänge vorauszusetzen und das Übrige dahingestellt sein zu lassen. Damit wird auch am besten wohlfeilen Einwänden begegnet. Man muß sich da auf allerhand gefaßt machen, z. B. auf die geistreiche Frage nach dem Seelenleben eines Tisches, während doch nur von inneren Zuständen der einzelnen Holzteilchen gesprochen werden kann. Ein ernsthafteres Bedenken ist das, daß man wohl die großen Eiweißmoleküle, deren jedes 60 und mehr Kohlenstoffeinheiten enthalten mag, wegen ihrer Leichtzersetzbarkeit mit den flüchtigen Seelenvorgängen in Beziehung bringen könnte, nicht aber die einfacheren und besonders nicht festbeharrenden unorganischen Körper. Jedoch kann unsere Unwissenheit der Möglichkeit keine Grenze setzen und wir müssen bedenken, daß von den hochzusammengesetzten Stoffen Stufen zu den einfachen führen, daß alle als aus denselben Elementen gebildet gedacht werden, daß somit grundsätzlich allen die gleiche metaphysische Bedeutung zugemutet werden darf. Wir unterliegen bei solchen Betrachtungen leicht der Macht der Gewohnheit. Die physikalisch-chemischen Bilder sind uns vertraut, wir glauben die Moleküle als Tetraeder, Hexaeder usw. vor Augen zu sehen, und es kommt uns deshalb vor, als verstünden wir die physikalischen Vorgänge. Wir vergessen dann, daß die ganze Physik nichts anderes ist als eine Ausdeutung von sinnlichen Wahrnehmungen, auf die wir zwar mit einer gewissen Notwendigkeit geführt werden, die aber schwerlich wörtlich zu nehmen ist. Wenn z. B. die Hypothese, daß es außer unserem Wahrnehmungsraum noch einen ansich seienden Raum gibt, falsch ist, was bleibt dann vom "naturwissenschaftlichen Weltbild"? Es bleibt im Grunde nur die unverbrüchliche Gesetzlichkeit, und es ist nicht einzusehen, warum diese auf ihre Art nicht ebensogut einer seelischen Welt zukommen soll wie irgendeiner anderen Realität. Schwindel erregt freilich der Gedanken an die Mannigfaltigkeit des uns verborgenen seelischen Lebens. Unser eigenes Innenleben ist geknüpft an oder wiedergegeben durch ein System von Ganglienzellen und Nervenfäden. Da wir der Annahme einer Zellenseele nicht ausweichen können, ist zu schließen, daß jedem System von Zellen außer den Einzelseelen eine Gesamtseele zuzuschreiben ist. Offenbar aber ist die Zelle nicht die letzte organische Einheit. Da sich aus der Keimzelle der ganze Organismus entwickelt, so muß er irgendwie schon darin stecken, wenn wir es auch nicht sehen. Es ist daher ganz berechtigt, die Struktur einer Zelle für ebenso mannigfaltig zu halten, wie die der zusammengesetzten Organismen und damit ihr eine ähnliche Seelenmannigfaltigkeit zuzuschreiben. Nicht anders ist es nach oben vom Menschen. An die Systeme von Organismen überhaupt, an die von Menschen insbesondere, sind Gesamtseelen zu knüpfen, nicht in einem bildlichen Sinn, wie wir heute etwa von einer Volksseele reden, sondern in allem Ernst. Und diese erschlossene "wahre Welt" ist durchaus nicht phantastisch, wie die bequeme Ausflucht lautet, sondern es handelt sich um Folgerungen, denen sich Keiner entziehen kann, wenn er die ersten Schritte auf diesem Weg gebilligt hat. Die metaphysische Betrachtung führt also darauf, daß das Einzelwesen ebenso seelisch als Teil größerer Einheiten anzusehen ist, wie es physikalisch mit seiner Umgebung verbunden ist. Im Bild sehen wir das geistige Leben als ein weites wogendes Meer, und das Bewußtsein der Einzelwesen mag man einem schwimmenden Lichtpünktchen vergleichen. Soweit wie seine Leuchtkraft reicht, reicht sein Gesichtskreis, d. h. das, was der Einzelne seine Seele nennt, aber auch das, was ihm dunkel vorkommt, ist mit ihm gleicher Art und nicht von ihm abgeschieden. Die uns unbewußten seelischen Vorgänge sind somit als solche zu bezeichnen, die über den Lichtkreis unseres Bewußtseins hinausgreifen, oder von vornherein außerhalb von ihm ablaufen und etwa nur in ihren Folgen in ihnen hereingreifen. Das aber ist nur möglich, weil unsere Seelisches von anderem Seelischen umschlossen ist, einen Ausschnitt aus einer größeren Einheit darstellt. Es ist allerdings außerordentlich schwer, für diese Verhältnisse, die wir nur ahnen können, geeignete Worte zu finden. Vielleicht liegen die Verhältnisse, bei den Trieben der Tiere am deutlichsten. Es gibt z. B. Insekten, bei denen das Weibchen seine Eier an einer Stelle ablegt, wo die auskriechenden Larven sofort Nahrung finden, und dann stirbt. Es ist ersichtlich, daß das Tier ohne Verständnis handelt. Es ist ebenso ersichtlich, daß die darwinistischen Erklärungsversuche scheitern, denn diese müssen annehmen, daß von den weiblichen Insekten zufällig einmal eins oder einige die Eier an einem geeigneten Ort niedergelegt haben, daß alle Larven umgekommen sind bis auf diese wenigen, daß diese aber durch Vererbung zu einem Trieb, die Eier an einem geeigeneten Ort abzulegen, gelangt sind. Eine einmalige zufällige Handlung kann aber nicht vererbt werden. Vererbung wäre nur dann möglich, wenn das zuerst richtig handelnde Tier schon aus einer besonderen Anlage heraus richtig gehandelt hätte, d. h. wenn der zu erklärende Trieb schon dagewesen wäre (8). Andererseits ist ersichtlich, daß eine vernünftige Handlung vorliegt. Es muß also die Vernunft, die im Tier nicht ist, wo anders gesucht werden. Man kann auch sagen, zur vollständigen Handlung gehören
2) Erkenntnis der Mittel, 3) Anwendung der Mittel; Daß die geistige Tätigkeit, deren Teil ich bin, als bewußte zu bezeichnen ist, nehme ich hauptsächlich deshalb an, weil ich mir überhaupt nur die Tätigkeit eines Ich als geistige denken kann. Nimmt man der geistigen Tätigkeit dieses wesentliche Merkmal weg, so bleibt meines Erachtens etwas Undenkbares übrig, das man ebensogut als X, als Ding-ansich oder mit irgendeinem auf das Unbekannte deutenden Namen bezeichnen kann. Ob Andere unter dem ansich Unbewußten etwas zu denken vermögen, das weiß ich nicht. Ich habe mich ein Menschenalter hindurch darum bemüht, komme aber nicht vorwärts. Wenn HARTMANN von den Plänen, der Vorsehung des Unbewußten spricht, so höre ich Worte, aber "der Sinne hat keine Schwingen". Gewiß wird das Bewußtsein höherer Einheiten nicht dem des Menschen gleichen, und je höher wir in Gedanken aufsteigen, zu immer unfaßbareren Gebilden werden wir gelangen. Mag man, um den naiven Anthropomorphismus zurückzuweisen, von einem Überbewußtsein reden, darauf kommt es nicht an, es kann doch nur auf eine Vervollkommnung, Erweiterung und Erhöhung des Ich hinauslaufen. Schluß. Ich breche ab und versuche nur noch, den Hauptinhalt des Aufsatzes in einige kurze Sätze zu drängen. Empirische Psychologie ist die auf Erfahrung allein gegründete Seelenkunde. Erfahrung ist hier aber nichts als eine Beobachtung unserer selbst. Daran ändern alle naturwissenschaftlichen Bestrebungen nichts, denn indirekte Beobachtungen, Messungen, Versuche geben wohl über das Wieviel, aber nicht über das Was Aufschluß. Die Beobachtung ergibt, daß nur ein Teil der Seelenvorgänge uns als klar erscheint, nämlich die in logischer Form, ein anderer Teil einen mehr oder weniger rätselhaften Charakter hat, daß auch jener Teil durch Lücken unterbrochen ist, und daß ein fortlaufender seelischer Zusammenhang nicht existiert. Es ist auch ersichtlich, daß die Tierseele, die wir uns durch ein Hineinlegen logischer Folgen verständlich zu machen suchen, deshalb, weil die Erfahrung uns kein Recht zur Annahme einer tierischen Begriffsverwertung gibt, unserem Verständnis verschlossen bleibt. Bei diesem Zustand der Dinge ist Jeder, der die dem Psychologen gestellten Fragen beantworten will, genötigt, zu Schlüssen zu greifen, die über die Erfahrung hinausgehen, d. h. zur Metaphysik. Das geschieht auch jederzeit, nur daß der metaphysische Charakter der Hypothesen nicht zugegeben wird und materialistische Voraussetzungen unbesehen aufgenommen werden. Es treten schließlich zwei Ansichten einander gegenüber, die materialistische (in einem weiteren Sinn) und die idealistische. Jene geht dahin, daß das wahrhaft Wirkliche die physikalische Welt ist, d. h. das Geschehen nach physikalischen Gesetzen, und sie muß die Seelenvorgänge als nutzlose Nebenvorgänge betrachten, die neben einigen wenigen physikalischen Vorgängen nebenher laufen. Während diese aus nur ursächlich verknüpften Veränderungen bestehen, täuschen wir uns ein Handeln vor, d. h. ein Verfolgen von Zwecken. Nach dieser Auffassung sind die Lücken im seelischen Zusammenhang wirkliche Lücken, nur das Physikalische (die Gehirnvorgänge) ist lückenlos. Für die idealistische Ansicht ist der seelische Zusammenhang wirklich, und wir erkennen ihn nur deshalb nicht, weil er in der Hauptsache außerhalb unseres Bewußtseins ist. Ihr ist das, was wir unsere Seele nennen, nur ein Ausschnitt aus einem einheitlichen Seelenreich. Die Lücken oder die ür uns unbewußten Seelenvorgänge sind nicht nichts, sondern Vorgänge in einem anderen Bewußtsein. Unsere Logik ist nur die Form, in der unserem Bewußtsein das geistige Leben verständlich wird, in dem für uns Unbewußten aber herrscht das Logische auch, nur ohne jede Form. Wir dürfen daher mit Recht die uns dunklen Seelenvorgänge in uns und in den Tieren in die Formen unserer Logik übersetzen, wenn wir nur dessen eingedenk bleiben, daß das eigentlich Denkende und Handelnde dann nicht das Ich der uns bekannten irdischen Einzelwesen ist, daß dieses vielmehr nur Organ ist. Nicht das Tier denkt eigentlich, aber Es denkt in ihm. Es ist nicht zu leugnen, daß dem oberflächlichen Betrachter gegenüber der scheinbaren Klarheit der materialistischen Auffassung die idealistische als schwierig und unklar vorkommen mag, aber es ist wie bei der Tugend: Der breite bequeme Weg führt nicht zum rechten Ziel, sondern der enge mühsame. Das kann man jedenfalls sagen: daß nur auf diesem Weg der gesuchte psychologische Zusammenhang zu finden ist.
6) Inzwischen ist der große Mann gestorben. In ihm war mehr Philosophie als in einer Anzahl von Fakultäten. 7) EUGEN BLEULER, Bewußtsein und Assoziation, Journal für Psychologie und Neurologie, Bd. VI, 3/4, Seite 126, 1905. 8) Ich will im Übrigen auf die darwinistischen Erörterungen über die Triebe nicht eingehen. Sie sind von einem so vollkommenen Mißerfolg begleitet gewesen, sind schon wiederholt so gründlich widerlegt worden, daß man die Angelegenheit als erledigt ansehen kann. Die Phrase von den "ererbten Gewohnheiten", die, wie unser Beispiel zeigt, von recht wenig Nachdenken Kunde gibt, gehört zu den Kuriositäten der Psychologie. |