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HUGO RENNER
Benekes Erkenntnistheorie
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"Den Idealisten hält Beneke entgegen, daß aus keinem Begriff oder Satz mehr abgeleitet werden kann, als in ihm gegeben ist. Das Denken in allen seinen Formen kann keinen eigentlichen Inhalt des Vorstellens schaffen, kann nur zergliedern oder auseinanderbilden und wieder zusammensetzen. Das Denken kann demnach unsere Kenntnis der Dinge nicht erweitern; man bleibt mit ihm eingeschlossen in dem, was man schon weiß, und durch bloßes Denken ist Erkenntnis nicht möglich. Man müßte dem Denken die Kraft zuschreiben, die Objekte zu erzeugen. Aber solche Kräfte lassen sich im menschlichen Geist nicht aufweisen, und so bleibt nichts anderes übrig, als dergleichen zu erdichten; und vermöge dessen wird an die Stelle der Wissenschaft ein Aggregat von Phantasien gesetzt."

"Die ganze reine Logik hat es mit den Verhältnissen des Gedachten, des Inhalts unserer Vorstellungen zu tun, aber überall nirgends mit der psychologischen Möglichkeit derselben. Das Denken ist ebensowohl Produkt gewisser psychologischer Entwicklungen, wie es einen Inhalt hat. In beidem zeigen sich gewisse Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, für die es Gesetze, Normen zu finden gilt. Aber beide Aufgaben betreffen das Denken, und deshalb ist es angemessen, sie beide in einer Wissenschaft zu verbinden, und zwar so, daß Logik gewissermaßen eine angewandte Psychologie ist".


II. Teil
Benekes System

Indem ich dazu übergehe, das System BENEKEs darzustellen, möchte ich in Bezug auf die Behandlungsweise des Problems einige kurze Bemerkungen vorausschicken.

BENEKE hat das Problem der Erkenntnistheorie nicht erkannt, wie wir sehen werden. Die Erfahrungserkenntnis als solche bot ihm dem Begriff nach keine Schwierigkeit. Ihre Aufgabe war ihm, ähnlich wie AUGUSTE COMTE, die Konstatierung der allgemeinsten Tatsachen. Die Polemik gegen KANT, - er als Zweck seiner Kritik der reinen Vernunft einmal (1) ausgesprochen hat: "Die höchste Aufgabe der Transzendentalphilosophie ist also: wie ist Erfahrung möglich?" -, nimmt infolge der psychologischen Momente einen eigentümlichen Charakter an, der es trotz aller metaphysischen Umbiegungen gestattet, von einer Erkenntnislehre BENEKEs zu sprechen. In der Darstellung nun werde ich so verfahren, daß ich BENEKEs Ansichten über Raum und Zeit und Mathematik aus den zerstreuten Stellen, in denen er sich darüber ausspricht, zusammenstelle, um hierauf über seine Auffassung von Problemen, die KANT in seiner Analytik behandelt, Bericht zu erstatten. Eine zusammenhängende Kritik werde ich erst am Schluß geben.


I. Kapitel
Das Problem

§ 1. Der deutsche Idealismus hat KANTs Kritik allmählich in ein bloßes Begriffsspiel umgewandelt. FICHTE und zum Teil auch REINHOLD hatten jene Richtung dadurch inauguriert [eingeführt - wp], daß sie in Bekämpfung jenes angeblichen Dualismus von Form und Materie, der in KANTs "Ding-ansich" wurzelt, Form und Materie aus dem Ich deduzierten (2). So schwand dann dem Begriff nach de re [in Wirklichkeit - wp] konnte sie ja nicht elimiert werden - jene mir fremde Ordnung der Dinge, die meinem Denken Schranken setzt. Wenn später SCHELLING und HEGEL eine Art von Realismus auch wieder einführten, so traten jener durch sein Identitätssystem, dieser durch sein Grunddogma, daß alles, was ist, vernünftig ist, und alles Vernünftige ist, die Erbschaft FICHTEs insofern an, daß sie meinten, die Wirklichkeit sei durch das Denken zu erfassen, für das Denken gebe es keine Grenze (3).

Ob jene Richtung etwas Haltbares zutage fördert, ob sie auch für unsere Zeit Wertvolles geleistet hat, oder ob nicht HEGELs Begriffsdialektik mehr oder weniger eine bloße Transposition von Erfahrungstatsachen in ein in seiner Geschlossenheit ästhetisch (4) wirksames System von Begriffen darstellt, in welchem die Erfahrungstatsachen mehr oder weniger vergewaltigt werden (5), das zu untersuchen ist hier nicht der Ort. Ich hebe es nur hervor, um es begreiflich zu machen, daß BENEKE gerade diesen Unterschied scharf betont, freilich ohne das Verhältnis zwischen Denken und Erkennen mit hinreichender Klarheit zu erfassen; stand ja seine Philosophie im Gegensatz zu der der Idealisten (6), gegen sie mußte er die Frage beantworten, was das Denken zu leisten vermag und was nicht.

Den Idealisten hält er entgegen:
    "daß aus keinem Begriff oder Satz mehr abgeleitet werden kann, als in ihm gegeben ist. Das Denken in allen seinen Formen kann keinen eigentlichen Inhalt des Vorstellens schaffen, kann nur zergliedern oder auseinanderbilden und wieder zusammensetzen." (7)
Das Denken kann demnach unsere Kenntnis der Dinge nicht erweitern; man bleibt mit ihm eingeschlossen in dem, was man schon weiß, und durch bloßes Denken ist Erkenntnis nicht möglich. Man müßte dem Denken die Kraft zuschreiben, die Objekte zu erzeugen. Aber solche Kräfte lassen sich im menschlichen Geist nicht aufweisen, und so bleibt nichts anderes übrig, als dergleichen zu erdichten; und vermöge dessen wird ... an die Stelle der Wissenschaft ein Aggregat von Phantasien gesetzt. (8) Ja es gibt nicht einmal eine angeborene Denkkraft, die Kinder vermögen nicht zu denken, und erst spät, zuerst unvollkommen und später immer vollkommener entwickelt sich das Denken nach psychologischen Gesetzen, und will man wissen, was das Denken leisten kann und wie man denken soll, dann muß auf jenen Entwicklungsprozeß zurückgehen, der der inneren Erfahrung zugänglich ist, um durch eine psychologische Zerlegung des Denkens in seine Komponenten seine Stellung und Arbeitskraft zu bestimmen.

Die wichtigsten Elemente des Denkprozesses sind das Urteil und der Begriff.

HERBART (9) hatte den Satz durchgeführt, daß die Begriffe qua Begriffe nicht Gegenstand einer psychologischen Analyse sein können, die sich mit Vorgängen, nicht aber mit dem, was durch sie gedacht wird, beschäftigt.
    "Die ganze reine Logik hat es mit den Verhältnissen des Gedachten, des Inhalts unserer Vorstellungen zu tun, aber überall nirgends mit der psychologischen Möglichkeit derselben." (10)
Wenn BENEKE das so scharf gestellte Problem in seinem Widerlegungsversuch nicht eingesehen hat, so liegt das daran, daß er, wie die Psychologisten stets das Denken als Denkakt nicht scheiden vom Denken, soweit es ein Gedachtes schlechthin ist und so eine Realität eigener Art besitzt, die es vom individuellen Denken unabhängig macht; daß sie also nicht scheiden wie BOLZANO zwischen dem Sinn eines Denkens, dem Satz ansich, und dem Akt des Denkens, der allein Gegenstand einer psychologischen Untersuchung sein kann. (11) BENEKE argumentiert nämlich so (12):
    "Das Denken ist ebensowohl Produkt gewisser psychologischer Entwicklungen, wie es einen Inhalt hat."
In beiden zeigen sich gewisse Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, für die es Gesetze, Normen zu finden gilt. Aber beide Aufgaben betreffen das Denken, und deshalb ist es angemessen, sie beide in einer Wissenschaft zu verbinden, und zwar so, daß Logik "gewissermaßen eine angewandet Psychologie ist". (13) Beide Untersuchungen können aber auch gar nicht voneinander unabhängig gelöst werden.
    "Dem Begriff wird sein Inhalt ebensowohl wie seine psychische Beschaffenheit durch das Zusammenfließen der besonderen Vorstellungen und so durch psychische Akte bestimmt. Wir können daher auch die den Inhalt betreffenden Normen weder in der rechten Weise feststellen, noch für die Ausbildung des Denkens durchführen, wenn wir nicht die Betrachtung und Erforschung der psychischen Akte hinzunehmen." (14)
Was ist nun der Begriff, was das Denken?

In früherer Zeit hatte man geglaubt, daß der Verstand ein besonderes angeborenes Vermögen, die Fähigkeit besitzt, ursprünglich Begriffe zu erzeugen. Aber die gewöhnlichste Erfahrung zeigt, "daß das Kind in der ersten Lebenszeit noch keines Verstehens, keiner Begriffe mächtig ist." (15) Deshalb ist es fraglich, ob das Kind in jenem Entwicklungsstadium ein solches Vermögen besitzt. (16)

Zudem ist es etwas sehr Bedenkliches, dem Denken, also den Begriffen und sonstigen Verstandestätigkeiten einen gesonderten Ursprung zu geben, sie zu isolieren Man muß es mit dem in Verbindung setzen, was ihm vorangeht, ihm den Stoff gibt und das Denken selbst erst möglich macht.
    "Schon im gewöhnlichen Leben spricht man nicht selten davon, daß die Materialien, welche die Sinne erworben haben, das Gedächtnis aufbewahrt, die Erinnerung reproduziert, vom Verstand verarbeitet werden müßten. Wie aber haben wir diese Verarbeitung zu denken? Nach welchen (geistigen) Naturprozessen geschieht dieselbe?" (17)
Die alte Psychologie war damit rasch fertig; mit ihrem ad hoc [zu diesem Zweck - wp] angenommenen, in der Erfahrung nicht nachweisbaren Vermögen erklärte sie alles und damit nichts; sie verhinderte damit nur ein tieferes Eindringen in die psychologischen Probleme. Schon in seinen psychologischen Skizzen hatte BENEKE sich ausführlich gegen diese Hypothese erklärt und stattdessen so viele Vermögen eingeführt, als sich gesonderte psychische Akte wahrnehmen lassen, ähnlich etwa, nur ins Psychologisch-Metaphysische übersetzt, wie unsere moderne Lehre von den spezifischen Sinnesenergien, unter Zugrundelegung dieser hypothetisch angenommenen Vermögen, die ansich ja nicht bewußt sind, entwickelt sich nun das Erkennen in vier Grundprozessen (18):
    1. Durch äußere Reize oder Eindrücke werden von der menschlichen Seele mittels der eben besprochenen inneren Kräfte oder Vermögen sinnliche Empfindungen und Wahrnehmungen gebildet.

    2. Da die Seele aber auf Reize reagiert, auf die sie es früher nicht getan hat, muß als zweiter Grundprozeß die fortwährende Anbildung neuer Vermögen angenommen werden.

    3. Alle psychischen Gebilde sind in jedem Augenblick unseres Lebens bestrebt, die in ihnen beweglich gegebenen Elemente gegeneinander auszugleichen. Beispiele hiervon liegen vor in der Steigerung unseres gesamten Vorstellungskreises durch die Gemütsbewegungen der Freude usw. (19)

    4. "Gleiche Gebilde der menschlichen Seele und ähnliche nach Maßgabe ihrer Gleichartigkeit ziehen einander an oder streben miteinander eine nähere Verbindung einzugehen." (20)
Alles, was in der menschlichen Seele mit einiger Vollkommenheit gebildet worden ist, erhält sich, auch wenn es durch partielle Reizentziehung dem Bewußtsein entzogen ist. Es lebt dann als Spur oder Anlage im Unbewußten weiter, wie es die Tatsache der Reproduktionstätigkeit beweist.

Von besonderer Wichtigkeit ist der dritte Prozeß für die Psychologie des Erkennens. Sind mehrere Vorstellungen im Bewußtsein gegeben, die in gewissen Beziehungen als gleich gelten, so treten sie aus dem Vorstellungskomplex mit einem stärkeren Bewußtsein heraus, sie werden so aus jenem abstrahiert und bilden die Begriffe. In diesen können, falls sie zusammengesetzt sind, wieder aus der gegebenen Mannigfaltigkeit die Gleichheit herausbilden und so zu immer einfacheren Begriffen werden, bis wir schließlich zu den einfachsten, nicht Mannigfaltiges mehr enthaltenden Begriffen kommen, die deshalb nicht mehr definiert, sondern nur exemplifiziert [verbeispielt - wp] werden können. Bei dieser rein auf Assoziationsprinzipien beruhenden Theorie ist meines Erachtens die fundamentale Bedeutung die Namensgebung bei der Begriffsbildung für die so gewonnenen einfacheren Anschauungen, die durch jene erst fixiert werden, aus den Augen verloren worden. Eine Vorstellung wird nun durch einen Begriff verstärkt, dadurch entsteht assoziativ das Urteil (21). Im Wesentlichen ist dies eine tiefere Fortbildung der schon früher charakterisierten Anschauungen BENEKEs.

Wir sehen daher, daß die Wahrnehmung und Empfindung das Erste ist, daß sich aus diesen erst die Begriffe und Urteile bilden. Diese sind den Wahrnehmungen gegenüber ein stärkeres und klareres Vorstellen, denn in ihnen "sind ja die Vorstellungselemente, welche in den besonderen Vorstellungen einfach gegeben waren, vielfach vorhanden". (22) Deshalb sind sie stärker, und weil es eine einfache Vorstellung ist, die vielfach vorhanden sind, deshalb sind sie klarer als die Wahrnehmungen, die uns nur konkrete Einzeldinge geben. Dies ist der ganze Vorteil, den sie jenen voraus haben, und durch diese Eigenschaften ist ihr Wert im Haushalt des geistigen Lebens ein wichtiger, insofern nämlich, als sie Neues unter Bekanntes subsumieren und somit unter den einzelnen psychischen Akten eine Verbindung herstellen. Neues aber können sie nicht schaffen, sie zeigen sich vielmehr als vollständig von den Wahrnehmungen abhängig Wer nie ein Pferd gesehen hat, der kann sich auch keinen Begriff von einem Pferd machen (23). Dies gilt, wie wir später sehen werden, auch von den mathematischen Begriffen, die nichts anderes als eine Idealisierung von Wahrnehmungen sind. "Begriffe ohne Anschauungen sind leer."

§ 2. Noch nach einer anderen Richtung hin zeigt sich die Wichtigkeit der Wahrnehmung: durch sie allein wird uns die Wirklichkeit vermittelt, und alles Erkennen sucht die Wirklichkeit zu erfassen.
    "Als das Eigentümliche der falschen Spekulation zeigt sich ((24) vorzüglich zweierlei: die Einbildung, daß sich das Besondere aus dem Allgemeinen als solchem ableiten und die hiermit nah verwandte, daß sich aus bloßen Begriffen irgendwie die Existenz des in diesen Begriffen Gedachten erkennen und behaupten läßt. Beides ist ganz allgemein und entschieden für unzulässig zu erklären: nicht etwa wieder aus vorgefaßten Begriffen oder aus Bedürfnissen und Wünschen heraus, sondern weil der menschliche Geist dazu nicht organisiert ist."
In der Feststellung dieser Lehre sah er die Grundtendenz der Philosophie KANTs, daß nämlich aus bloßen Begriffen keine Erkenntnis des Seienden oder keine Begründung der Existenz des in diesen Begriffen Gedachten möglich ist.
    "Zum bloßen Denken haben wir allerdings an unseren Begriffen genug, aber wir werden dann auch nichts anderes erhalten als bloße Gedankenformen, um aus gegebenen Anschauungen Erkenntnisse zu machen. Die Erkenntnis dagegen kann uns, insofern sie eine Existenz behauptet, nur durch eine Wahrnehmung des Existierenden gegeben werden." (25)
KANT hat diesen Unterschied in der Weise fixiert, daß er Begriffsurteile analytische, Erkenntnisurteile synthetische (26)nannte, eine Unterscheidung, die er für die Erkenntniskritik als wichtig in Anspruch nahm. Im analytischen Urteil liegt der Urteilsgrund in den im Urteile enthaltenen Begriffen. Ich brauche den Subjektbegriff nur zu zergliedern und ich erhalte das Prädikat: "seine Wahrheit muß jederzeit nach dem Satz des Widerspruchs erkannt werden" (27), und diesen Satz müssen wir daher "als das allgemeine und völlige hinreichende Prinzip aller analytischen Erkenntnisse gelten lassen." (28)

Mit diesen Urteilen kommen wir aber über die Sphäre des im Begriff Gedachten nicht hinaus, vor allem erhalten wir durch sie noch keine objektive Erkenntnis, keine Erkenntnis des Seienden: Der Begriff von 100 gedachten Talern enthält nicht weniger Prädikate als der von 100 wirklicen. Das Sein ist also kein Prädikat, welches durch Begriffszergliederung gewonnen werden kann. Derartige Urteile sind synthetische (29), die ihren Urteilsgrund nicht in dem im Urteil verwandten Begriffen haben: Der Form nach in der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins, aus der KANT die Voraussetzungen der an und für sich ja noch problematischen Begriffe des Seins des Objekts zu begründen gesucht hatte.

BENEKE schloß sich KANT in dieser Scheidung an, freilich nicht in KANTs Richtung, um die Frage nach der Berechtigung, nach dem Grund synthetischer Urteile zu fragen. Zu untersuchen, was in der Erfahrung liegt, nach KANTs Äußerung die höchste Aufgabe der Transzendental-Philosophie, fiel ihm nicht ein, den Begriff der Erfahrung war ihm kein Problem. Über die Schwierigkeiten, die in diesem Begriff liegen half ihm die "gesunde Menschenvernunft" hinweg, auf die er sich so gern beruft. Er schloß sich ihm an, indem er das bloße Denken als analytisch, das Erkennen aber als synthetisch faßte.

Das Urteil (30) als solches, d. h. rein logisch betrachtet, ist stets analytisch, insofern als das Erkennen dem Urteil stets vorangeht; die Prädikatsvorstellung muß stets in der Subjektvorstellung enthalten sein, aus dem es durch Analysis gewonnen wird. Das Urteil ist somit die Synthesis einer Analysis der Subjektvorstellung. Damit (31) ist aber die Bedeutung des Urteils noch nicht erschöpft, es ist damit nur seine rein logische Beziehung ins Licht gesetzt; durch das Urteil wird aber auch etwas Objektives beurteilt. Nicht nur jenes rein logische Denkverhältnis findet hier statt, sondern eine Aussage über Wirkliches und Nichtwirkliches. Wenn ich sage: "dieses Insekt legt Eier", so begnüge ich mich nicht damit, hier eine Synthesis der Analysis der Subjektsvorstellungen zu haben, sondern ich behaupte da noch etwas mehr als das bloße synthetisch-analytische Verhältnis jener Vorstellungen, nämlich daß es in Wirklichkeit das vorgestellte Insekt gibt und daß es die Fähigkeit hat, Eier zu legen; ich behaupte also das Sein eines Dings und ein bestimmtes Verhältnis dieses Dings zu einer Eigenschaft. Derartige Verhältnisse, BENEKE nennt sie synthetische Grundverhältnise, lassen sich durch das bloße Denken nicht begründen, da sie im logischen Charakter der Urteile gar nicht begründet sind. Diese Grundverhältnisse sind zur Erkenntnis notwendig.
    "Lediglich durch die Schlüsse wird unsere Erkenntnis weiter geführt, welche synthetische Grundverhältnisse kombinieren." (32) "Es ist etwas ganz anderes, wenn ich Begriffe dem Inhalt oder Umfang nach analysiere, und wenn ich Ursachen und Wirkungen zu einer weitreichenden Kausalität zusammenreihe, oder Mittel und Zweck aufeinander beziehe." (33)
Erkennen und Denken ist demnach spezifisch verschieden, denn Denken und Sein ist nicht identisch (34).

§ 3. Das "Seiende" erkennen wir nur durch Erfahrung; nur soweit die Anschauung reicht, ist Erkenntnis möglich. Dies festgestellt zu haben, bleibt KANTs größtes Verdienst. Aber im Gegensatz zu dieser seiner Grundtendenz hat er selbst den Satz aufgestellt und in seiner Kritik der reinen Vernunft durchzuführen gesucht, daß Philosophie Wissenschaft aus bloßen Begriffen ist. Aber wie sind wir dann imstande, der Existenz des in ihr Behaupteten gewiß zu werden? - Laut KANTs eigenen Erklärungen ist uns jedes Mittel hierzu verschlossen. Als unabhängig von aller Erfahrung, auch von der des Selbstbewußtseins, gebildet, schweben alle ihre Begriffe, ihre Sätze in der Luft, sind bloße Hirngespinste, deren Realität für immer unausgemacht bleiben muß, und jeder ist im gleichen Maß berechtigt, die von anderen gedichteten geistigen Kräfte und Prozesse mit von ihm gedichteten zu vermehren oder zu vertauschen. Kam es denn KANT darauf an, die realen psychischen Potenzen aufzufinden, aus denen Erfahrung ensteht? Er hat sich hinlänglich darüber ausgesprochen (35), daß dies nicht der Fall ist, er suchte die Elemente, die im Begriff der Erfahrung liegen, aufzuzeigen und zu begründen und zwar zu begründen nicht als psychologische Fakta, sondern in ihrer Berechtigung, in der Rechtmäßigkeit ihrer Verwendung für die Erkenntnis.
    "Ein Nachspüren der ersten Bestrebungen unserer Erkenntniskraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Begriffen zu steigen, (wie Locke es getan hat), hat ohne Zweifel seinen großen Nutzen" (36),
aber das Problem KANTs konnte es nicht lösen, denn für ihn stand ja gar nicht die quaestio facti, sondern die quaestio iuris in Frage (37). KANT suchte also den Begriff der Erkenntnis aus seinen begrifflichen Voraussetzungen zu konstituieren (38). Freilich ist bis zum heutigen Tag diese Interpretation kein Gemeingut, man kann sich zum Teil bei dieser so gar nicht denken (39):
    "Treibt man die Betonung des bloß transzendentalen Standpunkts zu weit, so kommt man auf die Tautologie, daß die Erfahrung zu erklären ist aus den Bedingungen überhaupt möglicher Erfahrung. Soll die transzendentale Deduktion statt dieser Tautologie ein synthetisches Resultat ergeben, so müssen die Kategorien notwendig noch etwas anderes sein, außerdem, daß sie Bedingungen der Erfahrungen sind." (40)
Der Sinn des letzten Satzes stimmt mit der Ansicht überein, die BENEKE von KANTs Philosophie hat:
    "Ohne Zweifel kommt es auch für diese auf tatsächliche Wahrheiten an. Die Grundkräfte des Geistes und die Quellen der menschlichen Erkenntnis sollen nicht, wie sie unter diesen oder jenen Voraussetzungen gedacht werden konnten, sondern wie sie wirklich sind, dargestellt werden, und so hätte also Kant, wenn er hätte konsequent bleiben wollen, seine Aufgabe nur auf die Grundlage der inneren Erfahrung oder durch die empirische Psychologie ausführen können." (41)
Schon in seiner Kantschrift hatte BENEKE es als einen Hauptgegensatz zwischen sich und KANT bezeichnet, daß die empirische Psychologie ganz untauglich ist, die Grundlage für die kantische Erkenntnistheorie zu bilden.

Als Ergebnis fasse ich zusammen: die Erkenntnistheorie hat zur Aufgabe die Erklärung des Erkenntnisprozesses und deshalb ist sie eine von der Psychologie abhängige Disziplin.

§ 4. Womit beschäftigt sich nun das Erkennen? Welches ist der Inhalt, der Stoff, das Material des Erkenntnisprozesses? Was bedeutet dieser Inhalt, welches sind seine Ursachen?

BENEKEs Interpretation von KANTs Erkenntnistheorie, die nach meiner Auffassung allerdings falsch ist, die er sich aber mit Ausnahme der Lehre vom inneren Sinn zu eigen gemacht hat, gibt uns darüber Aufschluß:
    "Die von Kant aufgestellte Erkenntnistheorie ist eine idealistische, d. h. seine Untersuchungen hatten ihn zu dem Ergebnis geführt, daß der menschlichen Erkenntnis keine metaphysische Wahrheit, keine volle Einstimmigkeit mit den Objekten zugestanden werden kann, sondern nur eine beschränkte. Ein Erkennen sei ja nur möglich auf der Grundlage gewisser Erkenntniskräfte oder Erkenntnisformen, welche als untrennbare Bestandteile in die Erkenntnis eingehend, derselben einen gewissen subjektiv bestimmten Charakter erteilten. Unsere Erkenntnis sei also wohl eine objektiv wahre, insofern als doch die Dinge es sind, welche vermöge ihrer Kräfte und gemäß der Beschaffenheit derselben, eine innere Erkenntnis wirken, nur in diesen Wirkungen aber sind sie für uns erkennbar, nicht in ihrem inneren Sein, oder wie sie in sich selber existieren." (42)
So ist dann glücklich die kantische Erscheinung zum Schein und die physikalische Erkenntnis eine Erkenntnis vom allgemein-menschlichen Schein, nicht anders als es SCHOPENHAUER und SPIR und zum Teil F. A. LANGE u. a. wollen.

Der Inhalt des Denkens ist also Erscheinung und mit ihrer Hilfe wird die Realität der Außenwelt, wie wir später sehen werden, erst erschlossen. Dies ist in BENEKEs Erkenntnistheorie ein ebenso wichtiger wie unrichtiger Satz. (43)

Anstelle des Begriffs einer objektiven Erkenntnis, wie ihn die Naturwissenschaften haben, tritt so ein metaphysischer, welcher nur die adäquate Erkenntnis der Dinge-ansich als wahrhaft objektive Erkenntnis gelten lassen will. In der Möglichkeit diesen Begriff zu realisieren, findet BENEKE freilich einige Schwierigkeiten, die er in seinem System der Metaphysik zu lösen sucht.

Die Schwierigkeit dieses Begriffs "objektiv" liegt vor allem darin, daß, zugegeben, es gäbe Dinge außerhalb unseres Bewußtseins, die Vorstellungen dann doch nicht einfache Abspiegelungen der Dinge, sondern Produkte objektiver und subjektiver Elemente sind, deren Verhältnis zueinander erst festgestellt werden muß,wobei es zunächst problematisch bleibt, wie weit eine solche Analyse möglich ist.

Dann kann es aber einer kritischen Selbstbestimmung zweifelhaft sein, ob den Vorstellungen etwas transsubjektiv Reales entspricht; unmittelbar sind sie uns nur als Vorstellungen gegeben, und aus unserem Bewußtsein können wir nicht heraustreten, von welcher Seite wir auch die Dinge betrachten, stets ist das Ergebnis ein Bewußtseinsinhalt, von dem es wieder fraglich ist, ob und in welchem Umfang ihm ein "Sein" entspricht.

Zweifellos aber liegt in unserem Vorstellen ein Moment des Hinweises auf eine transsubjektive Realität; ebenso zweifellos ist uns die Gegenüberstellung von Vorstellen und Sein als inneres Faktum gegeben, das sich nicht wegdisputieren läßt, eine Gegenüberstellung, die stets gemacht worden ist, und ohne die das ganze Problem als Problem überhaupt nicht hätte ins Auge gefaßt werden können.

Die Brücke zwischen Vorstellen und Sein ist also immer geschlagen worden und es handelt sich darum, nachzuweisen, wie sie in einem allgemein-menschlichen Bewußtsein stets geschlagen worden ist und geschlagen werden wird.

§ 5. All unser Wissen fängt mit der Erfahrung an. Sie allein gibt uns den Stoff, die Materie, die wir in verschiedene Formen und Beziehungen bringen können, die zu erdichten wir aber in keiner Weise imstande sind. Nur die Vorstellungen verbürgen uns irgendeine Realität.

Die Vorstellungen fassen wir in Begriffe, die untereinander in mannigfaltige Beziehungen in Form von Urteilen und Schlüssen treten, aber das Resultat dieser Beziehungen wird uns nur dann als ein wirkliches erscheinen können, wenn es sich an Vorstellungen erweisen läßt; neben dem Beweisen muß auch das Erweisen gegeben werden, sonst behält das Bewiesene, wie im System SPINOZAs - dessen Voraussetzungen zugegeben - einen hypothetischen Charakter. Beide Seelentatsachen sind aber zum Erkennen notwendig, wie sie wirklich, denn einmal ist uns das empirische Material nur stückweise gegeben, und dann spricht die Erfahrung nicht zu uns, wir müssen sie verstehen lernen, müssen ihr Material zu Urteilen verarbeiten, müssen neben dem Vorstellen auch denken, und erst durch Denken, die Verarbeitung des Vorgestellten, gewinnen wir Wissenschaft.

Beide Funktionen aber müssen zusammenarbeiten, weil die Vorstellungen allein uns für die Gewißheit des Gewonnenen Gewähr leisten können.

Unsere Wahrnehmungen sind uns zunächst nur als innere Zustände gegeben. Sie tragen aber einen Hinweis auf eine objektive Realität in sich, die ansich zumindest in ihrem Umfang problematisch sein kann und, wie wir schon gesagt haben, erschlossen werden muß.

Wollen wir nun mit unseren Beweisen nicht ins Unendliche weiter gehen, - da ein Beweis einen anderer erfordert, - und alles Beweisen die Wirklichkeit erfassen soll, so muß uns irgendwie ein fester Punkt gegeben sein, von dem aus wir unser Gebäude errichten können, es muß uns irgendwo ein "Sein" gegeben sein.

Aber weil wir das Material unseres Denkens nicht vermehren können, weil wir über die innere und äußere Erfahrung nicht hinausgehen können, für das wir ja einen Begriff und eine ganz eigentümliche Vorstellung haben.

Mit anderen Worten: es muß irgendetwas in der Erfahrung gegeben sein, das auf eine volle metaphysische Realität in dem Umfang Anspruch hat, in dem es gegeben ist.

In § 4 hatten wir gezeigt, daß die Realität der Außenwelt einmal überhaupt problematisch ist, daß es aber zumindest fraglich ist, wieviel von unseren Vorstellungen den Dingen zukommt, wieviel subjektiven Ursprungs ist, denn alle Vorstellungen sind uns zunächst nur als Vorstellungen gegeben und zumindest Produkte subjektiver und objektiver Faktoren. Von hier aus läßt sich also, wie die Materialisten es wollen, der feste Punkt nicht gewinnen.

Unsere Vorstellungen aber haben noch eine andere Bedeutung: sie bilden unser Ich und
    "wir sind selbst ein Sein und haben von uns eine Wahrnehmung, in welche das Sein unmittelbar angeht ohne Zumischung einer fremdartigen Form." (Metaphysik, Seite 68) (44) "Hier haben und sind wir ein Vorstellen zugleich." (Metaphysik, Seite 69) (45)
Dieses Sein können wir mit voller metaphysischer Gewißheit erkennen, weil es sich uns so gibt, wie es ist, ohne Beimischung fremder Formen, also nicht, wie es erscheint.

§ 6. Unser Sein, jede unserer Seelentätigkeiten erkennen wir in ihrem wahren Ansich (46) nicht bloß den Willen, wie SCHOPENHAUER wollte. Sie sind unsere Objekte ohne alle fremde Formen und als psychische Vorgänge keine Erscheinungen unbekannter Dinge-ansich. Wir erfassen sie unmittelbar, und jede andere Erkenntnis wird uns durch sie nur vermittelt. Dies gilt auch von unserem Leib, den wir nur durch unsere Wahrnehmungen, aber hierin unmittelbar erkennen. Fremde Dinge erkennen wir umso besser, je mehr wir sie nach Analogie unseres Innenlebens erfassen können, d. h. je ähnlicher ihr geistiges dem unsern ist. Je fremder es uns ist, und das ist es in ununterbrochener Stufenreihe, umso lückenhafter wird uns ihr Verständnis.

So unzweifelhaft richtig dies auch für das Begreifen unserer Mitmenschen und überhaupt der höheren Organismen ist - "Hab ich des Menschen Wesen erst erfaßt, dann weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln" - so ist das doch immer nur ein Spezialgebiet im Umkreis unseres Erkennens, es gehören hierher alle jene Handlungen, als deren Ursachen wir psychische Geschehnisse annehmen müssen. Aber auch hier ist die Realisierbarkeit der Handlungen abhängig von allgemeinen Naturgesetzen, die mit Bewußtseinsvorgängen nichts zu tun haben, die wir aber anerkennen und anerkennen müssen. Dieser mythische Erkenntnisbegriff, der der Typus der menschlichen Erkenntnis in ihrer Kindheit war, anthropomorphistisch nennt man ihn, ist aus der psychologisch-metaphysischen Grundtendenz BENEKEs durchaus verständlich. Wie aber gewinnen wir objektive Erkenntnis?

Die Realität einer transsubjektiven Welt war, wie oben angedeutet, eine Grundvoraussetzung von BENEKEs Psychologie und damit seiner ganzen Philosophie (47). Läßt sich nun zeigen, wie das auf seinen Inhalt beschränkte Bewußtsein zu dieser Annahme kommt, so gewinnen wir nach BENEKE auch Mittel und Wege, jenen Begriff einer objektiven Erkenntnis zu realisieren.

Unmittelbar ist uns zunächst unser eigenes Sein gegeben und unsere Wahrnehmungen und Empfindungen enthalten eine Vermittlung eines fremden Seins und den Hinweis auf ein solches. Dies liegt uns als innere Faktum vor, und unsere Aufgabe ist es im Anschluß an die innere Erfahrung, dieses Faktum zu erklären. (48)

Daß wir die Einsicht in die Lehre von der Realität der Außenwelt nur so gewinnen können, daß wir die sinnlichen Empfindungen als solche mit dem Sein, das uns allein gegeben ist, mit unserem Seelenleben in Zusammenhang bringen müssen, ist uns aus § 7 und 8 ersichtlich,
    "unsere Wahrnehmungen und Empfindungen von der Außenwelt würden wie subjektiv bleiben, wenn die beiden Klassen von Wahrnehmungen, welche wir haben, die sinnlichen (oder vom Sein), ganz ohne Verbindung miteinander gegeben wären." (49).
Ein derartiges Sein, von welchem wir beiderlei Wahrnehmungen zugleich haben, ist unser eigenes Sein. Wir nehmen uns einmal unmittelbar wahr durch das Selbstbewußtsein und wir nehmen uns außerdem sinnlich wahr: unsere Gestalt, die Töne unserer Stimme etc., mit einem Wort: was wir unseren Leib nennen; und diese beiderlei Wahrnehmungen (oder Empfindungen) assoziieren sich vom ersten Lebensaugenblick an und wachsen im Verlauf des Lebens immer inniger zusammen (50). Unser Leib, also unser materielles Ich, der ansich wie alle anderen Dinge uns nur durch Vorstellungen vermittelt gegeben ist, zeichnet sich vor diesen dadurch aus:
    "daß die uns fremdartigen uns bald gegeben sind und bald nicht gegeben, und daß sie ohne weiteres Verhältnis zu unseren Zuständen wechseln, während dagegen die Empfindungen und Wahrnehmungen, die wir zu uns rechnen, uns stets gegenwärtig und sich parallel mit demjenigen, was uns unser Selbstbewußtsein darstellt, verändern." (51)
So ist z. B. ein bestimmtes Schmerzgefühl mit der Wahrnehmung einer geschwollenen, roten Hand etc. verbunden etc. Die Gefühle sind mit unserem Körper streng verbunden, nicht hie und da einmal, sondern immer in einem organischen Zusammenhang. So löst sich die Vorstellung unseres Leibes aus dem übrigen Bewußtseinsinhalt und hebt sich als unser zweites Ich hervor, das bei der ständigen Erneuerung seines Zusammenhangs sich mit unserem Selbstbewußtsein immer enger und fester assoziiert.

Durch unseren Leib lernen wir nun andere Gegenstände kennen, durch Berührung, Sehen etc. fassen wir die Außendinge nach denselben Assoziationsgesetzen, nach denen wir unseren Leib kennenlernten, wenn auch schwieriger und vermittelter. Je ähnlicher uns die Dinge sind, umso besser können wir uns in ihre Lage versetzen, umso leichter begreifen wir sie, umso eher
    "werden sich auch bei diesen Wahrnehmungen und Empfindungen die Empfindungen des Selbstbewußtseins oder des einzigen, unmittelbar aufgefaßten Seins (die Ansich-Empfindungen) unterlegen."
Indem das Kind die Stimme der Mutter hört, ihre Brust oder ihre Hand oder ihr Gesicht etc. sieht, oder fühlt, werden zugleich jene mehr innerlichen Empfindungen (die Empfindungen des Selbstbewußtseins) angeregt, mitdenen jene assoziiert worden sind, und so kommt uns auch jenes allmählich als ein anderes eigenes Sein zum Bewußtsein, das wir nach Analogie unseres Lebens deuten. Das zeigt sich in den Mythologien und in der Kinderpsychologie, in der Entwicklung der Völker und Individuen.

Wie wir von unserem Sein aus zu dem der Außenwelt kommen, so legen wir auch im Anfang unserer Entwicklung dem fremden Sein unser Innenleben zugrunde, so zeigt es uns die Mythologie, in der Felsen und Bäche, kurz alles belebt war.

Diese so entstandene Annahme wird durch die Erfahrung bewährt. Bei irgendwelchen Wahrnehmungen erwarten wir bestimmte Veränderungen in der objektiven Welt, die auch sehr oft eintreten.
    "Und diese Bestätigungen sind gleichwohl nicht von der Art, daß sie durch Vorspiegelungen der Einbildungskraft entstanden gedacht werden könnten. Es geschieht wohl, was wir in diesem Verhältnis erwartet haben, aber es geschieht doch nicht ganz dasselbe." (52)
Auf diese Weise glaubt BENEKE die Realität einer transsubjektiven Welt von Dingen gesichert zu haben. Daß ihm dies in mehr als einer Hinsicht nicht gelungen ist, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden. Bestenfalls kann man ihm zugestehen, daß er uns die Jllusion von einer realen Außenwelt begreiflich gemacht hat, aber die objektive Berechtigung seiner Theorie hat er nicht gezeigt und konnte er nicht zeigen.

Stand BENEKE so auf realistischer Grundlage, so teilte er doch nicht den naiven Realismus, der da meint, die Dinge außerhalb von uns seien voll und ganz den Vorstellungen gleich, die wir von ihnen haben. Daß die Vorstellunen Produkte objektiver und subjektiver Faktoren sind, betonte er, wie wir sahen, schon öfters. Von hier aus gewinnt BENEKE den folgenden Idealbegrifff des objektiv Wahren:
    "Inwiefern es die Dinge sind, welche diese Wahrnehmungen und Empfindungen in unseren Sinnen wirken und ihrer individuellen Beschaffenheit gemäß wirken: insofern sind auch diese Auffassungen unstreitig objektiv-wahr."
Aber die Teilung der Vorstellungen in ihren subjektiven und in ihren objektiven Faktor können wir nicht ausführen, immer erhalten wir wieder Vorstellungen, in denen der subjektive Faktor mitspielt, und daher ist auf diese Weise die objektive Welt für uns nicht erreichbar. Wir müssen daher so, wie wir zur Annahme einer transsubjektiven realen Welt gekommen sind, nach diesem Ziel streben, denn eine Bedeutung über unser Bewußtsein hinaus erhalten unsere Vorstellungen lediglich dadurch,
    "daß sich die bei der Auffassung von uns selbst gestiftete Assoziation zwischen den sinnlichen Wahrnehmungen und den Wahrnehmungen des Ansich über ihr ursprüngliches Bildungsverhältnis hinaus für alle übrigen sinnlichen Wahrnehmungen geltend macht und infolgedessen auch allen diesen ein Ansich, oder ein Sein außerhalb von uns, unterlegt wird". (53)
Dies ist die Aufgabe, mit der wir uns jetzt zu beschäftigen haben.

Körperwelt und Geisteswelt stehen sich nun nicht so fremd gegenüber, als man es häufig hinstellt; das zeigt uns schon die Tatsache ihres Zusammenwirkens und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit, und so braucht man für das Zusammen von Seele und Leib, sowie für das der Körper unter sich durchaus kein anderes Band anzunehmen als "durch welches die psychischen Systeme unter sich miteinander verbunden sind".

Können wir also im Innenleben die Realität gewisser Verbindungen von Vorstellungen mit einem Hinweis auf eine objektive Berechtigung nachweisen, so ist für den Psychologismus die Aufgabe gelöst.

§ 7. Bevor ich dazu übergehe, fasse ich in einigen Thesen das Ergebnis unserer Untersuchungen über die Grundlagen von BENEKEs Erkenntnistheorie zusammen:
    1. Die Wahrnehmung bildet die Grundlage der Begriffs- und Urteilsbildung und damit des Denkens.

    2. Das Denken ist gegen das Sein indifferent und unterscheidet sich dadurch vom Erkennen.

    3. Das Sein der Außenwelt ist ein mit Hilfe der Wahrnehmung erschlossenes.

    4. Dieses Schlußverfahren ist das Erkennen der Außenwelt; die Theorie dieses Verfahrens heißt Erkenntnistheorie, welche jenes beschreibt.

    5. Die Lösung dieser Aufgabe ist nur durch innere Selbstbeobachtung möglich, d. h. die Psychologie ist die Grundwissenschaft auch für die Methode des Erkennens.

    6. Die Grundtatsache für das Schlußverfahren ist die Realität des Seelenlebens, das uns in seinem "ansich" gegeben ist.

    7. Das Ziel der Erkenntnistheorie ist die Aufzeichnung der Möglichkeit der Erkenntnis der Dinge-ansich in ihrer Beschaffenheit.

    8. Der Begriff der Erfahrung, wie er in den Naturwissenschaften realisiert wird, ist für Beneke kein Problem.

    9. Schein und Erscheinung sind für Beneke identisch.

    10. Den Gegenstand der Naturwissenschaften bilden die Erscheinungen, d. h. sie ist die Wissenschaft vom allgemein menschlichen Schein.
LITERATUR: Hugo Renner, Benekes Erkenntnistheorie, [Inauguraldissertation] Halle a. d. Saale 1902
    Anmerkungen
    1) KANT, Über die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz und Wolff (Edition KIRCHMANN, Seite 115)
    2) RIEHL, Kriitizismus; WINDELBAND, Geschichte der Philosophie
    3) Positiv drückt ein neuerer Hegelianer dies so aus: "Es ist also gleich an der Schwelle der Erkenntnistheorie die Annahme völlig ausgeschlossen, daß das Denken seiner Erkenntniskraft mißtraut. Wer das Erkennen zu erkennen sich vorsetzt, der setzt notwendig voraus, daß das Denken nicht nur überhaupt zu erkennen vermag und eben darum auch alles, was Gegenstand des Denkens ist." (A. LASSON, Vorbemerkungen zur Erkenntnistheorie, Philosophische Monatshefte, Bd. 25, Seite 530).
    4) RUDOLF HAYM, Hegel.
    5) HAYM, Hegel; RIEHL, Kritizismus II.
    6) Sein Verhältnis zu den Idealisten hat BENEKE selbst erläutert neben vielfachen einzelnen Bemerkungen in der Vorrede zu seiner Metaphysik. Schon seine Kant-Schrift sprach seine Stellung deutlich aus, in der er den deutschen Idealismus die konsequente Fortbildung der Irrtümer KANTs nannte. Vgl. auch BENEKEs Kant-Schrift, Seite 83f.
    7) BENEKE, System der Logik als Kunstlehre des Denkens, Bd. II, Seite 143
    8) BENEKE, Logik II, Seite 214
    9) Vgl. BENEKE, Logik I, Seite 21
    10) HERBARTs Worte zitiert nach BENEKE, Logik I, Seite 21f.
    11) HUSSERL, Logische Untersuchungen I
    12) BENEKE, Logik I, Seite 22f
    13) BENEKE, Logik I, Seite 17
    14) BENEKE, Logik I, Seite 22f
    15) BENEKE, Logik I, Seite 25
    16) BENEKE, Logik I, Seite 25
    17) BENEKE, Logik I, Seite 26
    18) ÜBERWEG, Geschichte der Philosophie, Bd. III, Seite 119f; WINDELBAND, Geschichte der Philosophie II, Seite 404; BENEKE, Lehrbuch der Psychologie, § 120f.
    19) Überweg, a. a. O., Seite 120
    20) ÜBERWEG, a. a. O., Seite 122
    21) BENEKE, Psychologie, §§ 122 und 124.
    22) BENEKE, Logik I, Seite 42
    23) Auf die weiteren psychologischen Ausführungen BENEKEs über die Reproduktion der Vorstellungen, Kräftigkeit etc. gehe ich hier nicht ein, weil diese völlig außerhalb unseres Rahmens fallen würden.
    24) BENEKE, Vorrede zu "System der Metaphysik", Seite VIIIf.
    25) KANT, Kr. d. r. V., Seite 12f
    26) Vgl. über die Frage nach analytischen und synthetischen Urteilen, Kr. d. r. V. (Einleitung IV), Seite 10f; Über eine Entdeckung etc. II. Abschnitt (ed. KIRCHMANN, Seite 49f; RIEHL, Kritizismus I, Seite 318f; COHEN, Kants Theorie der Erfahrung, Kapitel XI; STADLER, Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie bei Kant, Kapitel 2
    27) Kr. d. V., Seite 190f
    28) Kr. d. r. V., Seite 191
    29) Die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen ist ja noch heute strittig; z. B. bekämpft sie SIGWART, Logik I, Seite 128f, von einem logischen Standpunkt aus, wobei übersehen wird, daß KANT jenen Unterschied nur für die Erkenntniskritik geltend gemacht hat. "Die Erklärung der Möglichkeit synthetischer Urteile ist eine Aufgabe, mit der die allgemeine Logik gar nichts zu schaffen hat, die nicht einmal ihren Namen kennen darf." (Kr. d. r. V., Seite 193 und öfter). Auch PAULSEN wendet sich gegen sie mit zum Teil eigentümlichen Gründen. KANT, ebenso viele andere. Vgl. hierzu VAIHINGER, Kant-Kommentar I.
    30) SIGWART, Logik I, Seite 103f, 156f, 257f.
    31) Um eine weitere Ausführung dieses für uns nicht so wichtigen Problems zu vermeiden, weise ich auf die Ähnlichkeit der Lehre vom Urteil von BENEKE und SIGWART hin, die ja schon hier einleuchtet. Der Hauptunterschied zwischen beiden ist der, daß nach SIGWART das Urteil dem Begriff, nach BENEKE der Begriff dem Urteil vorangeht.
    32) BENEKE, Logik I, Seite 265
    33) BENEKE, Logik I, Seite 265
    34) vgl. Logik I, Seite 193f.
    35) BENEKE, Metaphysik, Seite 21f
    36) KANT, Prolegomena, § 26a; vgl. STADLER, a. a. O., § 44m Seite 29f
    37) Kr. d. r. V. Seite 118
    38) Kr. d. r. V., § 13, Seite 116f; vgl. auch RIEHL, Kritizismus I, Seite 15 und Seite 342f sowie COHEN, Kants Theorie der Erfahrung, Einleitung, § 12, Seite 66f.
    39) vgl. VAIHINGERs Kant-Kommentar.
    40) F. A. LANGE, Geschichte des Materialismus, Bd. II, Seite 136
    41) BENEKE, Metaphysik, Seite 20f
    42) BENEKE, Kant-Schrift, Seite 22f.
    43) vgl. KANTs Widerlegung des Idealismus in der Kr. d. r. V. und dazu die Schrift von GOLDSCHMIDT, "Kant - zur Widerlegung des Idealismus" im Archiv für systematische Philosophie, Jahrgang 1900/01, auch separat erschienen, Leipzig 1901. - - - Den Irrtum, daß die Realität der Außenwelt erst erschlossen werden muß, hat RIEHL im zweiten Band seines Kritizismus ausführlich widerlegt.
    44) Weil unser Ich uns nicht fremd gegenübersteht.
    45) BENEKE, Metaphysik, Seite 68
    46) siehe § 5
    47) Hiermit ist ein notwendiger Zirkel in BENEKEs Philosophie gegeben: diese Annahme macht seine Psychologie möglich, von der aus jene Annahme erst gewonnen werden sollte.
    48) Ich merke hier an, was ich schon früher gesagt habe, daß sich bei BENEKE keine hinreichend scharfe Erklärung des Unterschieds von Ich und Nicht-Ich findet. Man ist mit einem Sprung in der Trennung von Innen- und Außenwelt. Dem Bewußtsein BENEKEs fehlen die Mittelglieder, wenn man überhaupt den Ausgangspunkt für berechtigt anerkennen will.
    49) BENEKE, Metaphysik, Seite 79
    50) BENEKE, Metaphysik, Seite 79
    51) BENEKE, Metaphysik, Seite 80
    52) BENEKE, Metaphysik, Seite 89
    53) BENEKE, Metaphysik, Seite 91