cr-4 LotzeLotzeLotzeL. StählinF. CheliusF. GoldnerH. Pöhlmann    
 
OTTO CASPARI
Hermann Lotze
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"Durchdenken wir die Erkenntnistheorie  Kants von der Kritik der reinen Vernunft bis zum Hinweis auf die Idee der praktischen Vernunft, so begreifen wir seine große Verlegenheit bei der Frage, wie sich im Geist das übersinnlich Apriorische der Kategorien mit dem Sinnlichen und Empirischen, da jenes rein überempirischer, schlechthin übersinnlicher, Natur war, vermitteln und berühren kann."

"Was  Kant in der Kr. d. r. V. nicht vollzog, und ihm selbst in der Lehre vom Schematismus mißlang: die Vermittlung des Empirischen, als dem tatsächlich Lebenswirklichen (dem realität Individuellen), mit dem ihm eben daselbst so ganz entgegengesetzten Übersinnlichen (absolut Abstrakten) der reinen Kategorien, das suchte er hinterher, wenn auch mit den gröbsten Inkonsequenzen gegen die Anlage und Absicht der ersten beiden Kritiken, in der  Kritik der Urteilskraft zu bewirken."


VII.
Das Problem des Schematismus und die
neueren Richtungen der Philosophie.

Betrachten wir mit Rücksicht auf die Aufgabe das Schema zu bestimmen noch einmal die neuesten Richtungen der Philosophie. Zunächst sahen wir, daß unter den nachkantischen Schulen bezüglich des Unendlichkeitsbegriffs sogleich die Idealisten ins Auge fallen, welche hierüber unverkennbar und deutlich sich der platonischen Ansicht zuneigen. Der Begriff des Absoluten, als Ding-ansich und als schlechthin übersinnliche, unendliche Idee, liegt  über  allen Raum,  über  alle Zeit und allem Endlichen als sinnliche Erscheinung nicht nur  hinaus,  sondern ist auch als ein Radikales ein hiervon  toto coelo  Verschiedenes und somit Indeterminables. Zwar machte SCHELLING, ähnlich wie ARISTOTELES gegenüber von PLATON, den Versuch, dieses Absolute und Intelligible in der sogenannten intellektuellen Anschauung zu erfassen, und stellte sogar für die absolute Kausalität ein mathematisches Schema auf, aber unschwierig ist zu erkennen, daß das sich darin darstellende absolute Subjekt und Objekt, als sogenannte  Indifferenz,  doch nur ein umschreibender Ausdruck für das aristotelische Schema des Unbewegt-Bewegenden (der Kreisbewegung) ist. Das so gewonnene Schema konnte daher nur ein Pseudoschema sein, das zugleich den Widerspruch erkennbar macht: ein gesetztes schlechthin Übersinnliches, das völlig  verschieden  war von allem endlich Sinnlichen,  dennoch sinnlich-schematisch auffassen zu wollen.  Die Idee als Ding-ansich und als Absolutes war daher genau genommen für die Idealisten  niemals  zu schematisieren, die von KANT zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem gesuchte  Vermittlung  und die ganze Lehre vom Schematismus überhaupt mußte daher von den Idealisten  unverstanden bleiben.  Dasselbe war bei SCHOPENHAUER der Fall, der seinen absoluten Urwillen ebenfalls, als ein schlechthin Transzendentes, rein übersinnlich und unerfaßbar setzte, ja es war ja vielmehr das Charakteristische auch dieser Richtung, daß das angestrebte Nichts, das Nirvana und rein Negative eben  in gar keiner Weise auffassbar, denkbar und somit schematisierbar (d. h. mit dem Sinnlichen vermittelbar)  war. Wie weit selbst LOTZE auch diesen Richtungen fern stand, der von ihm angestrebte Begriff des Unendlichen war dennoch nur der gleiche Unbegriff, welcher von allem Sinnlichen und Endlichen völlig  grundverschieden  war, somit nicht mit dem Denken und sinnlichen Anschauen irgendwie schematisch vermittelt werden konnte. Freilich wollte LOTZE, wie uns PFLEIDERER das in trefflichen Wendungen vor Augen führt, unter seinem Unendlichen (ähnlich wie SPINOZA), die Liebe verstehen, aber diese ist eben etwas  zugleich  Sinnliches, oder doch mit ihm jedenfalls  vermittelbares,  und ihr Schema (als intellektueller und sinnlicher Ausdruck) müßte sich daher in den Gliedern, welche sie fordert, wie in Familie und Ehe usw., der Form nach sinnlich verdeutlichen lassen, ja ihre Schemata werden sich eben unter solchen Formen beständig charakterisieren und anschaulich vor Augen zu bringen sein. -

Am Schematismus und seinen Forderungen scheitert daher der reine Idealismus ebenso wie die Mystik, die  ohne weiteres in ein Jenseitiges als toto coelo vom Irdischen Verschiedenes strebt, und ein Über-Raumzeitliches ansetzt,  das nur noch in einem ansich Nebelhaften und Undenkbaren irgendwelche Anlehnungspunkte sucht.

Aber auch die entgegengesetzten Richtungen des Empirismus und Positivismus  scheitern an dieser Lehre,  und zwar deswegen, weil sie durch ihre Ausgangspunkte im  rein Sinnlichen  die Idee nicht sogleich mitgegeben denken, sondern dieselben erst hinterher (post rem), wie schon oben erwähnt, als eine Resultante oder als reines Indukt künstlich gewinnen wollen. Unter solchen Umständen aber werden die Empiristen als Sensualisten und Materialisten, ähnlich wie die britischen Positivisten, die wahre Idee niemals einsehen und erreichen, und das Wesen derselben auch nicht hinreichend als wahr, schematisch beweisen und beglaubigen können. Sie werden somit die Teile zwar beständig in ihrer Hand halten, aber das verbindende Band als Idee wird ihnen unter der Hand immer wieder zerreißen und zerbröckeln, weil die Stichhaltigkeit derselben nicht endgültig und von solchen Gesichtspunkten nicht als notwendig bewiesen werden kann.

Die empirischen und positivistischen Parteien lassen sich übrigens gegenüber dem Problem der Idee in zwei Richtungen scheiden. Die eine derselben erkennt unter den sinnlichen Erscheinungen und unter der Mannigfaltigkeit, Wechsel und Vielheit derselben nicht einmal das Bedürfnis an nach einer einheitlichen Idee  zu suchen,  sie beschränkt sich darauf, nur die vielfachen Tatsachen zu beschreiben, und verfällt hinsichtlich einer zu suchenden Theorie oder Idee in einen Skeptizismus. Wie der Skeptizismus selbst, so leugnet ebenso die Lehre  die Möglichkeit: das gemeinsame Band als Idee oder Norm der Erscheinung überhaupt erkennen zu können. -

Die andere empirische Richtung hingegen sucht auf den Gebieten der Naturdeutung und der Moral das Bedürfnis nach einer gemeinsamen einheitlichen Idee zu befriedigen, tritt aber dabei entweder unbewußter Weise in die Fußstapfen der platonisierenden Idealisten, oder aber sie liefert sich einer empirische Kasuistik aus, die bemerken läßt, daß die wahre und echte Norm nicht erkannt, und wie oben erwähnt, niemals als notwendig  bewiesen  werden kann.

Auf dem Feld der Naturlehre ist es ganz besonders der französische moderne Empirismus und Positivismus COMTEs, der anhand der Tatsachen eine Lehre begründen wollte, welche sich von den Fehlern der Mystiker, der Idealisten und der idealisierenden Konstruktionslehre frei macht.

COMTE beginnt mit den empirischen Tatsachen, ordnet sie und findet schließlich im Wesen einer mathematischen Weltordnung, ähnmlich DAVID STRAUSS, den unvergänglichen und unendlichen Grundzug (Idee) des Weltalls, indem er aber darangeht, ein Schema für dieselben zu suchen, führt ihn die Dogmatik der Mathematik durch einen Sprung, den er nicht gewahr wird, in die eleatisierende und aristotelisierende Idealistik. Die empirische Weltordnung soll mathematisch streng nach Maß und Zahl im Sinne der Pythagoreer aufgebaut sein, und die Grundidee der starren Eins (als Zahl) und der absolut starren Ebene (im Sinne des eleatisierenden EUKLID) wird unbefangen zum schematischen Grundzug des ganzen Alls gemacht. So sehen wir, wird die eleatisierende Dogmatik EUKLIDs, in welcher die herrschende Mathematik sich schematisch aufbaut, keiner weiteren Kritik unterworfen, und dogmatisch blind und unbesehen aufgenommen, sowie die in ihr liegende eleatische Idealistik zur Grundlage des empirischen Systems gemacht. Hier schlägt der Empirismus und Positivismus COMTEs und seiner Anhänger durch die dogmatische (euklidische) Mathematik in einen konstruktiven Idealismus um.

Auf dem psychologischen Gebiet der Moral und Ethik wird der Empirismus und der empirische Positivismus vorzugsweise durch den Briten HUME und seine Anhänger charakterisiert. Zu ihnen zählen auch nach dieser Seite hin JOHN STUART MILL und HERBERT SPENCER, sowie die deutschen Positivisten der Gegenwart. Die moralischen Prinzipien, welche diese Forscher aufstellen, befreien sich von einem überempirischen Rigorismus der eleatisierenden Platoniker, welche auch auf dem Gebiet der Moral an eine überirdische, rein jenseitige Idee anknüpfen. Sie bekämpfen mit Recht diese Pseudo-Idee, die angelehnt wird an ein vorausgesetztes, rein übersinnliches und überempirisches Transzendentes (absolutes Jenseits), und weisen mit Recht darauf hin, daß eine solche Norm uns (abgesehen davon, daß sie wie das hölzerne Eisen und ein  deus ex machina [Auftauchen einer Gottheit mit Hilfe einer Bühnenmaschinerie - wp] ansich undenkbar ist) im Kreis des vorgefundenen positiven Diesseits nur stört, verwirrt und uns widerspruchsvoll hemmt, zumal sich eine solche überempirische Norm mit den irdisch angeborenen, eudämonistischen sinnlichen und empirischen Trieben, soweit sie selbst berechtigt sind, nicht vermitteln läßt. Sofern die Empiriker und Positivisten hiermit Auswüchse tilgen, sich spöttelnd gegen die Konsequenzen einer gegen alles Sinnliche überhaupt gerichteten Askese wenden, und auf die unbrauchbare, überempirische Starrheit der reinen Übersinnlichkeitsidee hinweisen, sind sie im Recht. Andererseits aber muß zugestanden werden, daß es den Positivisten wiederum nicht gelingt, eine korrekte Theorie über das Moralprinzip zu entwickeln, und so zu einer Idee zu gelangen, die sich als eine  wahre Norm,  und als ein echtes Postulat und Regulativ im Sinne KANTs stichhaltig, d. h. beweisbar und notwendig begründen läßt. Unter den Neueren war es in Deutschland ganz besonders ERNST LAAS [19jhd-laaskaus], der sich von empirischer und positivistischer Seite dieser Richtung angeschlossen hat. Es war ohne Zweifel ein großes Verdienst von LAAS, auf dem Gebiet der Ethik die Auswüchse und Abwege deutlich gemacht zu haben, welche die noch heute großenteils herrschenden platonisierenden und eleatisierenden, rein metaphysisch-idealen Moralitätslehren erzeugten (28); aber eine empirisch und positivistisch gelegte Grundlage der Moral wird es nicht entbehren können, sich mit einer Grund- und Gesamtidee als Generalpostulat, als Norm zu vermitteln, die sich Autorität erwirbt, und  deswegen vor dem Verstand als eine echte Norm, d. h. als ausschlaggebend und notwendig zugleich bewiesen werden kann. - Wie aber will man, wenn man wie LAAS von einem verstandesmäßigen (mathematisch-logischen) Beweis absieht (29), ein solches Autoritätsprinzip als normangebende Idee in der Moral  erreichen,  wie will man anders seine Idee als die preisenswerteste, nützlichste und  notwendigste beglaubigen?  Will man, wie das bei den Positivisten seit HUME, MILL, SPENCER und anderen Sitte geworden ist, sich nicht nur auf eine Anzahl guter und praktischer  Ratschläge  beschränken und bezüglich anderer Moralideen nicht rein eklektisch verfahren, will man es nicht bei bloßen Erörterungen und bei einer Kasuistik bewenden lassen, so wird man sich immer von Neuem wieder einem verstandesmäßigen (logisch-mathematischen) Beweisverfahren zuwenden müssen; denn es ist sonst nicht abzusehen, wie anders, bezüglich der vielen Widersprüche im praktischen Leben und bei den mannigfachen sich gegenseitig aufhebenden Pflichtkollisionen, endgültig und notwendig entschieden werden soll. - Was Idealisten und Rationalisten in der Moral, wie etwa SAMUEL CLARKE, WOLLASTON und andere, unternahmen, war daher ganz gerechtfertigt und vorgezeichnet, daß ihr Bestreben mißlang, lag hier nur daran, daß sie ein  falsches Beweisverfahren  einschlugen, da es auf Prämissen gebaut war, die dem schlechthin überempirischen und übersinnlichen Idealismus, bzw. dem Eleatismus entlehnt waren. Sie gründeten oder führten ihre Sätze zum Teil zurück auf die Grundsätze der eleatisch-starren euklidischen Mathematik, welche ansich  unveränderliche  (absolut permanente) Raumverhältnisse und daraufhin gefolgerte Differenzen voraussetzt, und führten so eine  falsche logische Konstruktion  ein, welche im sinnlichen, veränderlichen, empirischen Leben Widersprüche erzeugte, die nicht getilgt werden konnten. Gäbe es nun überhaupt vor dem Verstand kein anderes logisch-mathematisches Beweisverfahren als das, welches in seinen Deduktionen angelehnt wird an die eleatisierenden Dogmen und vor allem an die des EUKLID, so müßte freilich diese Aussicht verschlossen sein, und wir würden dann einer ratenden und ewig mutmaßenden, von Fall zu Fall entscheidenden praktischen Kasuistik überliefert, die, wie oben erwähnt, im empirischen Positivismus eine wirklich zwingende Autorität allenthalben niemals erreichen wird.

Die Mathematik als Beweismittel einer übereinstimmenden objektiven Vergleichung durch Maß und Zahl kann bekanntlich ebensosehr in Bezug gesetzt werden zu den metaphysischen Grundlehren und Dogmen des Eleatismus (absolute Ruhe und Beharrlichkeit, absolute Gleichheit, starre Ebene und starrer Körper etc.), wie andererseits als angewandte Mathematik und empirische Meßkunst in den Dienst der wechselnden Erfahrung und des empirisch und sinnlich Gegebenen mit seiner Veränderlichkeit gestellt werden kann, um so zu einer Reihe von Wahrscheinlichkeitsformeln zu führen, welche auf empirisch veränderliche Momente und Inkommensurabilitäten zurückweisen. - Die  Philosophie  der Mathematik darf weder in eine eleatische Metaphysik noch in einen reinen Empirismus ausmünden, sie bleibt vielmehr abhängig von der Grundkritik unserer Erkenntnis und hiermit eine Disziplin des Kritizismus. - Von niemand ist die Mathematik in erkenntniskritischer Hinsicht so hoch geschätzt worden wie von KANT. Hat er doch in ihr das einzige Rettungsmittel finden wollen gegen den Ansturm der Skeptiker und Empiristen (30). SCHOPENHAUER und seine Schule, die Idealisten (FICHTE, SCHELLING, HEGEL usw.), die Forscher aus der modernen naturwissenschaftlichen Richtung, sie alle feierten in überschwänglicher Weise die große Tat KANTs, der mit Hilfe der Mathematik und ihres streng apodiktischen und zugleich anschaulichen Beweisverfahrens das Apriori und die mathematisch-idealistische Auffassung des streng naturgesetzlichen Weltalls gerechtfertigt hatte. Auch die positivistische (mathematische) Schule COMTEs ist über diesen grundwichtigen Punkt, wie schon früher erwähnt wurde, in das Lager jener Forscher übergetreten, welche im Grunde nicht echte Kritizisten sind, und sich scheuen im Geiste KANTs ohne Rücksich auf den Buchstaben seiner Lehren weiterzuforschen. Alle solchen blinden Anhänger verfallen gar leicht einem kritischen Naturalismus, mittels welchem sie, neben einer rein mechanischen Naturdeutung, eine blinde Vergötterung mathematischer (bzw. euklidischer) Dogmen treiben. Auch LOTZE war in seiner Hochschätzung für die Mathematik, wie wir sahen, von jenen Vorurteilen geleitet, die sich über die Jahrhunderte hinaus fortgepflanzt hatten, auch er war und blieb hier Anhänger des kantischen Buchstabens.

Demgegenüber bleibt es die heutige Aufgabe des konsequent fortschreitenden Kritizismus in diesem wichtigsten aller Punkte über KANT sich zu erheben. Es ist hier nicht der Ort auseinanderzusetzen, wie der merkwürdige und so weittragende Irrtum des unsterblichen Weltweisen zu Königsberg entstanden war: daß die Urteile der "reinen" Mathematik  "synthetische Urteile apriori"  sein sollten (31). Einleuchtend aber ist, daß, wenn diese grundwichtige Frage verneint wird und der reinen Mathematik  solche Urteile abgesprochen werden,  der reine und orthodoxe Apriorismus, so wie ihn KANT sich dachte, völlig hinfällig wird.

Hier stehen wir nun an einem Wendepunkt und in der Geschichte der neuesten Philosophie vor einer wichtigen weitreichenden Aufgabe. Kann der reine Apriorismus KANTs nicht aufrechterhalten werden, darf man die Frage: sind mathematische Urteile "synthetische Urteile apriori", nicht mehr nach dem Stand der heutigen Forschung mit derselben Gewissensruhe wie KANT mit ja zu beantworten, so scheint nichts übrig zu bleiben, als in den rein empirischen und positivistischen Standpunkt zurückzusinken, der alles aus der Erfahrung ableitet, und keine Norm logisch-mathematisch beweisen kann.

Bevor wir hierüber entscheiden und einen besseren Ausweg suchen, seien zuerst noch einige wenige Worte hinzugefügt über die so tief interessierende Frage: ob mathematische Sätze und Axiome synthetische Urteile apriori sind (32). KANT hat bekanntlich in seiner Preisschrift schon erklärt: daß die Mathematik eine  synthetische  Methode befolgt, weil sie ihre Grundbegriffe durch Konstruktionen entstehen läßt, die auf synthetischem Weg zustande kommen. Rein begrifflich argumentierte die Mathematik nicht, vielmehr suchte sie zu ihren Abstraktionen als Inhalt die Evidenz der sinnlichen Darlegung: die Anschauung. So findet sich in dieser merkwürdigen Wissenschaft das wichtigste Zusammentreffen zweier Bedingungen, die, so grundverschieden sie auch zu sein scheinen, sich hier doch vereinigen, um so eine Brücke zu bilden, zwischen der ansich verworren fließenden Sinnlichkeit und dem erleuchtenden klaren Verstand. Die gewöhnliche und niedere sinnliche Anschauung konnte es freilich nicht sein, welche die mathematischen Abstrakta sensualisierte, um ihnen einen so klaren sinnlichen Unterbau zu liefern, daß durch das Kristall desselben, die in der Vernunft (dem Apriori) ruhende Idee der Wahrheit, Gewißheit (Apodiktizität), sowie Allgemeinheit und Notwendigkeit deutlich hindurchleuchteten. Es war nach KANT vielmehr eine Art von höherer sogenannter "reiner Anschauung", die hier die sinnlich dargebotenen Formen im Sinne des mathematischen Apriori intellektuierbar machte.

Man wird diese psychologische Unterscheidung recht wohl festhalten und anerkennen können, um dennoch die Behauptung zu wagen, daß die Mathematik als solche keine  wirklich anschaulichen  Synthesen bewirkt, sondern sich nur "eingebildete" Anschauungen schafft, die auf ihren streng synthetischen Charakter hin erst genau zu prüfen und zu untersuchen wären. Stellt man aber diese Untersuchung an, so ersieht man bald, daß  zumindest  die Eleaten, zu denen die Pythagoräer, sowie auch PLATON und EUKLID zählen, in ihren Axiomen und in den von ihnen vollzogenen mathemathischen Konstruktionen, dieses  synthetische  Moment echt sinnlicher evidenter "Anschauung"  nur künstlich unterschieben und erschleichen.  Denn welche Konstruktionen die eleatisierenden Mathematiker auch versuchen mögen, sie alle haben zur Voraussetzung die rein übersinnliche und überempirische starre Ebene, das ist das starre absolut  unveränderliche  Ganze. Es gibt nun wohl noch heute sehr viele Mathematiker, aber nicht mehr so viele echt kritisch denkende Philosophen, welche auf diese ihre starren Zeichnungen und Linien, auf einer starren, absolut unveränderlichen Ebene, hinweisen, um diese überempirischen Symbole eleatischer Starrheit als echt sinnliche und empirisch-anschauliche (lebenswirkliche) Synthesen anzugeben. Indessen die echte Sinnlichkeit, die wahre Natur in ihren lebenswirklichen Realisationen kennt in der Anschauung eben diese Starrheit (absolute Unveränderlichkeit) nicht, sondern weist diese vielmehr als etwas rein abstraktes und  sinnlich  Erschlichenes ab. Eine sogenannte "reine Anschauung", mit welcher der mathematische Eleatismus seine Linien und Konstruktionen errichtet, ist daher ein Unding, und da KANT sich ebenfalls hierüber zum orthodoxen Eleatismus bekennt, so wird auch seine so zurechtkonstruierte "reine Anschauung" nur etwas Erschlichenes und Erlogenes darstellen. Von dieser verunglückten starren Anschauung darf man daher allerdings mit ZIMMERMANN (33) sagen:
    "Sie sollte einerseits wie die  sinnliche Wahrnehmung  Anschauung, und durfte andererseits, wie alle  sinnliche Wahrnehmung nach  Kant doch  nicht allgemein und notwendig sein, d. h. sie sollte  a und  non a: Thesis und Antithesis zugleich (ein logisches Wunder) sein."
Wenn daher Raum und Zeit wirklich aprioristische Anschauungen und Synthesen sind, die zu echten synthetischen Urteilen apriori hinführen, so können es demnach zumindest nicht die sinnlich  unwirklichen,  widerspruchsvollen Gebilde und die überempirischen Konstruktionen der Anhänger des philosophischen Eleatismus sein.

Nun aber wird man raschon nach diesem Abweis bereit sein zu folgern, daß dann wohl die reinen Empiriker recht haben, welche alle mathematischen Gebildet als Abstraktionen aus der Erfahrung ansehen, um die Evidenz derselben  rein aposteriorisch  zu erklären. Allein auch diesen naiven Empiristen und Aposterioristen können wir nicht recht geben; denn Raum und Zeit sind nicht etwas ansich Existierendes, Reales, und die Welt ist, um ein Beispiel zu bringen, kein ansich fertiges Haus mit eingeteilten Etagen (Dimensionen), sondern nur wie das Gewimmel von Menschen auf einem Jahrmarkt, das von einem niederen oder erhabenen Standort betrachtet, jedesmal ein  ganz anderes  Bild liefert.

Bevor man in diesen sehr wichtigen Fragen Partei ergreift, wolle man sich doch vor der einseitigen Parole hüten, die hüben und drüben erteilt wird. Die einen, nämlich die reinen Aprioristen und Idealisten, behaupten hierüber: Alles sei aus dem Geist (dem Apriori), nichts aus der Erfahrung, und die andern als Empiristen und Aposterioristen rufen wieder ebenso einseitig:  Alles  aus der Erfahrung, nichts aus dem Geist; aber, wie schon mehrfach nachgewiesen, vollführen hiermit jene erkenntnistheoretisch nur einen Eduktus [von Deduktion - wp], während die letzteren (die Empiristen) nur einen Induktus [von Induktion - wp] erzeugen, was falsch ist, weil unsere Erkenntnis kritisch unleugbar ein  Produkt  aus Intellekt (Apriori) und gegebenem Erfahrungsmaterial (Sinnlichkeit etc.) darstellt. (34)

Es ist nun im höchsten Grad zu bedauern, daß KANT seinen Grundansichten über Raum und Zeit in der transzendentalen Ästhetik so streng eleatisch formuliert hat, daß er dem  empirischen  Moment des Wechsels - am Zustandekommen des  kritischen Produkts  gar keinen Beitrag einräumte. Die Zeit als Grundschema sollte nach ihm ein starres absolutes Kontinuum schematisch darstellen, während sie doch als wirkliches Erlebnis ihrem realen Inhalt gemäß zugleich neben der Beharrlichkeit ein  empirisches Moment der Veränderlichkeit und des Wechsels  in sich birgt, welches zumindest doch hiernach die starre Linie oder die in sich zurücklaufende Sukzession der Kreislinie als Schema der Zeit zu einer  fortschreitenden  Schraubenlinie, oder richtiger zu einem bestimmten Rhythmus, mit relativ  diskontinuierlicher  Senkung und Hebung in der empirischen Anschauung gestaltet. - Durchdenkt man die Reihe der  empirischen  Momente, die bei der realen Anschauung von Zeit und Raum schematisch unabweislich  mitwirkend  werden, so zeigt sich, daß die Lehre vom Schematismus im Sinne des Kritizismus einer Reform unterzogen werden muß (35).

Es ist das eine der neuen Aufgaben des Kritizismus der Gegenwart.


VIII.
Die kritische Korrektur und die Bedeutung
der Lehre vom Schematismus Kants.

An der Reform der Schemalehre werden sich die heutigen Aprioristen, die Idealisten und alle diejenigen, welche beim Buchstaben der ersten Auflage der kantischen reinen Vernunftkritik stehen bleiben, nicht wohl beteiligen. Sie verharren im reinen Idealismus, weil KANT dort lehrte: "daß die Erscheinungen aus der Organisation unserer Vernunft  ohne Rest  hervorgehen." (36) Eben auf  diesen Rest aber kommt es den Idealisten gegenüber bekanntlich an;  denn es ist leicht zu sehen, daß, wenn man diesen Rest hinsichtlich seiner realen Mitwirkung  ganz ignoriert,  man kritisch ein Erkenntnis-Edukt  erhält, nicht aber das gesuchte kritische Produkt, das sich zusammensetzt aus eben jenem realen Rest (der empirischen Sinnlichkeitsmaterialien) und dem Apriori.

Man braucht bei Beachtung und Inbetrachtnahme der Realität dieses Restes für den Inhalt aller Erkenntnis, nicht sogleich in den reinen Aposteriorismus der vorkantischen Empiristen und der heutigen Positivisten zu sinken, um so andererseits wiederum das Wesen des Apriori zu unterschätzen und zu verkennen. Geschieht das, wie das besagte rein empirische Richtungen in ihren seichten Induktionen erkennen lassen, so wird man sich auch von dieser Seite nur sehr ungern in die Studien vertiefen, welche eine Reform der kritischen Lehre vom Schematismus als Aufgabe hinstellen.

Vor allem die "kritischen Realisten", welche eben jenen realen und faktischen Rest in die Rechnung des Erkenntnisproduktes einbeziehen, werden dieser Aufgabe umso lieber näher treten, als einleuchtet, daß der kritische  Realismus  durch eine Beachtung des eben erwähnten Restes geboren wurde (37). Die kritischen Realisten erkannten an diesem Rest: daß, sollten nicht erkenntnistheoretische Edukte (d. h. idealistische Hirngespinste und rein verworrene metaphysische Konstruktionen entstehen), dieser Rest im Erkenntnisprodukt zum Ausdruck gebracht werden muß. Es geschieht das durch den Hinweis auf das Moment des mit dem Apriori (Denken) gleichzeitig gegebenen Seins als das  von außen Gegebene das ist ein solches, das hinsichtlich seiner Mannigfaltigkeit der Affektion in den Empfindungen durch die innere produktive Einbildungskraft nicht erzeugt, sondern schlechthin als sinnlich gegeben,  anerkannt  werden muß. Dem gegenüber sehen bekanntlich die reinen Aprioristen und Idealisten, mittels der produktiven Einbildungskraft, über die hiermit von  außen gegebene  Mannigfaltigkeit, Vielheit und (wenn auch zunächst noch schematisch unvollkommen gegebene), äußere Formanlage des Sinnlichkeitsstoffes hinweg, um so alles äußerlich  Gegebene überhaupt  künstlich zu  erzeugen und zu konstruieren,  (38) und so die empirischen, realen Momente zu überspringen. So geschieht es, daß der reine Idealismus, der in verschiedener Form, so auch in SCHOPENHAUER-HARTMANNschen Gestaltungen, gegenwärtig noch sein gespensterhaftes Wesen treibt, die Erfahrung überfliegt.

Solange der heutige Idealismus nicht in sich geht und sich mit gewaltsamer Einseitigkeit auf die Erkenntnistheorie KANTs wirft, wie sie im ersten Anlauf der große Forscher, unleugbar ein wenig zu BERKELEY hinüberschillernd, in der ersten Auflag seiner reinen Vernunftkritik niederlegte, steht zu fürchten, daß die Entwicklung der philosophischen Wissenschaft dem naiven Empirismus und Positivismus von Neuem in die Arme getrieben wird, die alles aus der Erfahrung ableitend, sich niemals bis zur Erkenntnis der gegebenen inneren Idee und des wahren Wertes im Apriori emporschwingen werden. Beide gegenwärtig herrschenden Richtungen (Idealismus und Empirismus)  scheitern,  wie die Kritik lehrt, an der Lehre vom Schematismus. Beide Richtungen erfassen ferner engherzig und kurzsichtig von KANT nichts weiter, als die in der "Kritik der reinen Vernunft" niedergelegten Grundsätze, ohne zu berücksichtigen, daß KANT sein kritisches Unternehmen erst abgeschlossen hat  mit der Kritik der Urteilskraft

Wer das gesamte kantische kritische Unternehmen nicht überblickt, der treibt eben eine verblendete oder sehr kurzsichtige Philosophie, wer indessen eine solche zu vermeiden trachtet, der suche nach dem Faden, der KANTs kritische Werke insgesamt verbindet. Eine solche Untersuchung führt zugleich hin auf das Problem über die Bedeutung der Idee und die Auffassung derselben durch KANT. Es zeigt sich alsdann, daß dieses Problem und seine Lösung auch die Lehre vom Schematismus in Mitleidenschaft zieht, und die urgierte Reform derselben sich nur von hier aus übersehen läßt. - Im Gedankenkreis KANTs während seiner kritischen Epoche tritt deutlich ein Mittelpunkt hervor, und wer sich bemüht ihn aufzusuchen, wird ihn erkennen im Problem über die Vernunftidee und über die Idee überhaupt. Wer sich in einem kritischen Geist über den Kritizismus KANTs zu erheben sucht, der muß daher die Geschichte des Problems über die Idee in ihrem Verlauf würdigen. Es ist hier nicht der Ort, diese Geschichte wiederzugeben. Doch lassen sich die Grundzüge derselben leicht übersehen.

Nachdem PLATON unter den Denkern des Altertums nicht ohne Rückblick auf die Pythagoräer, auf die Eleaten und auf die Lehre vom  nous  des ANAXAGORAS die Ideen begründet hatte, gestalteten sich dieselben zu vielen herrschenden Kräften, es wurden Realitäten, welche wie die Götter vor aller Schöpfung in einer mystischen und dunklen Weise präexistierten, oder aber nach der aristotelischen Auslegung unter den sich bewegenden Kräften der Welt als streng teleologisch herrschende und antreibende Formbildungen koexistierten. Diesen Schulen traten bekanntlich schon während des Mittelalters die Nominalisten, Konzeptualisten und Empiristen gegenüber. Nach ihnen verloren die Ideen als substantielle Universalien ihre objektive herrschende und wirkliche Realität (als Präexistenzen und Koexistenzen), sie gestalteten sich unter diesen Richtungen vielmehr zu rein subjektiven Synthesen, welche man unter der Form von Worten, Begriffen und Zeichen, gleichsam als Andichtungen den Dingen künstlich überwarf, um sie zu fixieren und begreiflich zu machen, die Ideen waren hiernach  post rem (Postexistenzen als subjektive Hinzutaten). (39) Während der vielfachen Streitigkeiten des Mittelalters: über die reale Substanz der Universalien und Ideen in oder vor den Dingen, war man im Laufe der Jahrhunderte erheblich abgekommen vom erkenntnistheoretischen Gedankenprozeß der bei PLATON auf die Erfindung und Feststellung der Ideen geführt hatte. Vergessen wir nicht, daß nach PLATONs Ausführungen im  Timaeus,  die Ideen nur eine  Mittelstellung (40) einnehmen zwischen dem reinen Denken der Vernunft und dem realen empirischen Sinnlichkeitsmaterial. Die Ideen wurden von ihm hier verglichen mit den von den Handwerkern zugerichteten Baustücken, welche der Formanalage nach bereits auf die Art ihrer Zusammensetzung hinwiesen, trat alsdann die Vernunft hinzu, so war es ihrem Urteil hiermit leicht gemacht sie zu einer Vernunftsynthese zusammenzuordnen und gleichsam regelrecht und vorschriftsmäßig (der Erkenntnis und ihrem Apriori, d. h. der Natur des Intellekts gemäß) aufzubauen. Es kann nicht übersehen werden, daß man während des Mittelalters durch die Einwirkungen und Nachwirkungen der Neuplatoniker über diese Interpretation der Ideen mehrund mehr hinwegging, hier war vielmehr der Grundbegriff des allervollkommensten Wesens als ein absolut  unbestimmbar Unendliches  und schlechthin Unbedingtes, (als  ens realissimum [das allerwirklichste Sein = Gott - wp]), aufgestellt worden, und man hatte denselben als Gottheit zur rein übersinnlichen Ur- und Musteridee des Weltalls gemacht. Es war der Unbegriff des absolut und  schlechthin  Einen, als ein ganz unbestimmbar Überseiendes, dem wir bereits bei PROKLUS begegnen, ihme war das Eine kein  on,  sondern ein  energeia tou ontos (41). Den Wert dieser rein unbestimmbaren Übersinnlichkeit und Überdenkbarkeit behielt die Idee (als Grundidee des Alls) von nun an bei und unschwierig läßt sich dieses reine platonisch-eleatische Abstraktionsgebilde bis zu CARTESIUS und SPINOZA verfolgen. Die eleatisierenden Forscher, namentlich die Mathematiker aus der Schule des EUKLID und des CARTESIUS aber nahmen diese Abstraktion auf und bildeten an ihr den reinen übersinnlichen (schlechthin indeterminablen) Unendlichkeitsbegriff. Auch KANT konnte sich, wie oben gezeigt, von eben diesem rein übersinnlichen, schlechthin indeterminablen Unendlichkeitsbegriff nicht losmachen. Hatte LEIBNIZ das Wesen der bestimmbaren Form durch die vorausgesetzte Harmonie in seinen Unendlichkeitsbegriff aufgenommen, um ihn hiermit mathematisch und ästhetisch  determinabel  und faßbar zu machen, so sehen wir demgegenüber, wie KANT in der "Kritik der reinen Vernunft", wo er gleichsam nach einem Urapriori sucht, sich hiermit bis zu diesem neuplatonischen Abstraktionsgebilde und reinem Unding emporschwingt, auch ihm wird hiermit die reine Vernunftidee ein völlig Unfaßbares, ein reines Noumenon, und völlig übersinnliches und unbestimmt Unbedingtes. KANT hatte hierbei jedoch übersehen, daß unter einer solchen Konzeption die Idee völlig allen erkenntnistheoretischen Wert eingebüßt hatte; denn sollte diese Idee später in der "Kritik der praktischen Vernunft" einen Leitfaden (Regulativ als apriorisch-moralisches Musterbild) abgeben, so war sie jetzt nur noch ein Leitfaden für ein rein übersinnliches und schlechthin überempirisches Jenseits. Durchdenken wir die Erkenntnistheorie KANTs von der Kr. d. r. V. bis zum Hinweis auf die Idee der praktischen Vernunft, so begreifen wir seine große Verlegenheit bei der Frage, wie sich im Geist das übersinnlich Apriorische der Kategorien mit dem Sinnlichen und Empirischen, da jenes unter einem solchen (neuplatonischen) Gesichtspunkt ihm völlig entgegengesetzter, weil rein überempirischer, schlechthin übersinnlicher, Natur war, vermitteln und berühren kann. Unsere modernen KANT-Philologen haben hier Gelegenheit ein Nest von Widersprüchen aufzudecken, die einzeln zerfasert auf einen wirr angelegten Gedankenknäuel in KANTs Intellekt hindeuten. Die Sache klärt sich jedoch, sobald man die zuletzt geschriebene Kritik der Urteilskraft hinzunimmt, und hier erkennt, wie KANT die schwierige Aufgabe vollzieht, das schlechthin Übersinnliche der reinen und der praktischen Vernunftidee, die als Regulativ und Leitfaden gefaßt, offenbar in dieser Übersinnlichkeit nur einen Leitfaden für ein bloßes überempirisches Jenseits abgeben, nun so zu wenden, daß sich das Sinnlich-Empirische (der Natur) mit dem rein Apriorischen (als Postulat, Idee und Regulativ) an einem Evidenten, das ist einem raumzeitlichen Schema, vermitteln und vermählen kann. Zu dieser Vermittlung dienten unter einer solchen Wendung bekanntlich die als zweckmäßig erkannten Natur- und Kunstprodukte. Was KANT in der Kr. d. r. V. nicht vollzog, und ihm selbst in der Lehre vom Schematismus mißlang: die Vermittlung des Empirischen, als dem tatsächlich Lebenswirklichen (dem realität Individuellen), mit dem ihm eben daselbst so ganz entgegengesetzten Übersinnlichen (absolut Abstrakten) der reinen Kategorien und der reinen überempirischen Vernunftidee (nach dem Muster absolut indeterminabler Übersinnlichkeit der Neuplatoniker und Spinozisten), das suchte er hinterher, wenn auch mit den gröbsten Inkonsequenzen gegen die Anlage und Absicht der ersten beiden Kritiken, in der Kritik der Urteilskraft zu bewirken.

Jetzt leuchtet die neue philosophische Aufgabe deutlich und klar ein. KANT muß mit sich selbst konsequent gemacht werden, indem man seine Fehler in der reinen und in der praktischen Vernunft kritisiert, und im Überblick über alle drei Kritiken die Gesamtaufgabe richtig stellt.

Die Fehler bestanden, wie schon früher angedeutet, darin, daß KANT in den ersten beiden Kritiken die Vernunftidee so übertrieben (neuplatonisch) über- und hintersinnlich faßte, daß alles Sinnlich-Gegebene (individuell-empirische) hier gegengehalten völlig entgegengesetzter und widersprechender Natur war. So kann zwischen beiden von KANT festgestellten Erkenntnisquellen, Sinnlichkeit und Verstand, Erfahrungsmaterial und Intellekt (Apriori), unmöglich eine Brücke gefunden werden, und doch mußte eine solche, sollte eine wirkliche Erkenntnis zustande kommen, vorhanden sein. KANT hat deutlich die Notwendigkeit hierüber eingesehen, und hatte infolgedessen bekanntlich schon in der Kr. d. r. V. den Versuch gemacht, diese Brücke zu finden, und zwar wollte er sie konstruieren in der Lehre vom Schematismus. Im Schema sollte das Sinnlich-Erfahrbare, das ist das empirische Moment, mit dem rein aprioristischen Moment der Vernunftidee  vermittelt  werden. Das wäre nun ganz korrekt gewesen, wenn nur KANT das echte und wahre Schema hierzu und kein erlogenes gefunden, und somit die Brücke nicht in die Luft geschlagen hätte. Bekanntlich ist nach KANT das Grundschema  die Zeit. Auf die Fassung der Zeit muß daher alles ankommen, wenn die Aufgabe  gelöst werden soll.

Die Zeit ist nach KANT Größe: alle Größen, sowohl die der Anschauung als auch die der Empfindung, sind ihm  völlig kontinuierlich, absolut gleich und unter sich homogen.  Die absolute Kontinuität ist daher, wie schon früher erwähnt wurde, für KANT die Voraussetzung nicht nur der Zeit, sondern aller Mathematik und der in ihr ruhenden Schematisierung von Zeit und Raum bezüglich der sogenannten "reinen" Anschauung. - Es ist hier nicht der Ort, das gesamte Problem über die Zeit und das Zeitschema im Sinne des Kritizismus zu behandeln (vgl. meine gesammelten philosophischen Aufsätze: "Der Zusammenhang der Dinge", Breslau 1881, Seite 213f) (42): aber ich erinnere hier daran, was ich gegen die Dogmatiker, insbesondere gegen WUNDT, nachzuweisen suchte: daß wir nämlich im Sinne des Kritizismus zu unterscheiden haben: das Phänomen der Zeit im subjektiven (einzelnen) und in einem objektiven allgemeinen Sinn; bezüglich des Letzteren sprechen wir nicht von einem empirischen Erlebnis der Zeit eines Einzelnen, sondern dem Erlebnis einer allgemeinen Universal- und Weltzeit. Suchen wir daher nach einem Schema der Zeit, so muß dies unterschieden werden. Indessen, wie man sich nun auch die objektive allgemeine Weltzeit eines "Bewußtseins überhaupt" und eine kosmische Universalzeit vorzustellen versucht, nimmermehr darf man die Idee, bzw. das Schema derselben, so sehr idealisieren, daß die Verbindung mit dem empirisch Einzelnen ganz verloren geht und das Universalschema deshalb gefälscht wird. Bei KANT aber finden wir bereits das Schema des subjektiv Einzelnen gefälscht. Denn es zeigt sich, daß uns die reale empirische Empfindung jedesmal auch das relativ  Diskontinuierliche,  das in die reine Zeit nicht eingeht, aufweist. Die Veränderung in der empirischen Empfindung an den Objekten  wechselt, setzt, wenn auch nur relativer Weise, tatsächlich ab,  zeigt deutlich akzentuierte Abschnitte. Der Empfindungsfluß, der empirisch an den verschiedensten Objekten entlangläuft, ist daher nirgends, weder im Einzelnen noch im Allgemeinen, absolut kontinuierlich und starr, wie das kantische Zeitschema das erfordert, sondern vielmehr den Tatsachen gemäß absetzend und rhythmisch. Soll das  empirische  Moment des Wechsels (wie im Rhythmus) in der Synthese eines daran angeknüpften allgemeinen, synthetischen Urteils apriori (bzw. innerhalb eines Schemas über objektive Zeit)  zu seinem Recht kommen,  so ist die  absolute Kontinuität  der Zeit jedenfalls, daher zumindest zur relativen, die Starrheit derselben zur  rhythmischen umzuformen.  KANT steht hinsichtlich der Konzeption der Zeit, und in der Aufsuchung eines Schemas für dieselbe, in der sogenannten "reinen" Anschauung unter dem Bann des Eleatismus, das erhellt sich weiterhin aus dem Satz: Alles Beharrliche in der Erscheinung ist Substanz und die wechselnden Formen nur deren Akzidenzen [Nebensächlich-, Zufälligkeiten - wp] (43). Wechsel und Bewegung aber  nicht als bloße Akzidenz,  sondern als im  Wesen  der Zeit Mitempfundenes und als wirklich Erlebtes ist das, was wir in einem endgültigen allgemeinen Schema und dementsprechenden synthetischen Urteilen apriori (allgemein notwendig) ansprechen. So bleiben wir daher nicht bei einem rein und  absolut Beharrlichen  (Kontinuierlichen), sondern wir finden die Zeit vielmehr  im beharrlichen Wechsel,  in welchem die überempirische, eleatische Starrheit der reinen Zeit  gebrochen  ist. Ich habe hier das beregte grundwichtige Problem über die Synthese Urteils mit Rücksicht auf KANTs Ausspruch:
    "Das oberste Prinzipium aller synthetischen Urteile ist also: ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung." (Kant bei Kirchmann, Seite 182)
dahin formuliert: Daß alles darauf ankommen wird, für die Einheit gegenüber der empirischen Mannigfaltigkeit (Vielheit und Verschiedenheit) einen schematisch klaren und richtigen Ausdruck zu finden. Die Idealisten und Rationalisten, welche sich über die Tatsachen und ihre eindringlichen Lehren hinwegsetzen, sind rasch bereit im Sinne der sogenannten reinen Anschauung die absolute und reine Ebene als Grundlage zu einem solchen Schema der Auffassung zu unterbreiten. Die "reine" Mathematik wird zum Symbol des Schemas gemacht. Hier nun hat die Kritik einzugreifen und zu zeigen, daß weder die "reine" Mathematik, noch die "empirische" Mathematik die Grundlage für den Schematismus herzustellen imstande sind. Dies vermag, wie ich an anderen Orten dargelegt habe, nur diejenige Mathematik zu tun, die sich mit dem Apriori der Schönheitslehre vermittelt und die Grundsätze untersucht, welche zugleich im Einklang mit der Empirie als  mathematische Schönheitsgrundsätze  aufzustellen sind. (Vgl. hierzu "Drei Essays", a. a. O., Artikel III: Gibt es synthetische Grundsätze apriori und welche sind es.)

Das von KANT auf den bloß akzidentellen Wechsel und Unterschied gebaute synthetische Urteil apriori über die Zeit ist aber samt dem so formulierten Schema, unschön, unrichtig und überempirisch  (eleatisch) starr  und so vermag das Moment der wirklichen sinnlichen Anschauung nicht in das schlechthin überempirische sogenannte "reine" Schema einzugehen. Damit aber war die Aufgabe in ihrem wichtigsten Punkt durch KANT  verfehlt.  Das real Empirische war nicht mit dem Apriori  vermittelt,  sondern beides nur, (wie bei den Eleaten), einander dualistisch entgegengesetzt und zerrissen;  das Schema war hiermit erlogen. (44) - Die sogenannte "reine Anschauung" hatte mittels einer Täuschung der produktiven Einbildungskraft nicht das real lebenswirklich  Empirische,  sondern nur ein Scheinempirisches (im Sinne der Eleaten) zum Apriori und der Synthese seines Urteils hinzugefügt. - Von diesem metaphysischen Eleatismus sind die synthetischen Urteile apriori zu  reinigen,  sobald sie erkenntnistheoretische  wahre Schemata  geben sollen in einem kritisch richtigen Sinn des Schematismus dessen Aufgabe es war, das real Sinnliche und Empirische mit dem Apriori nicht nur zum Schein, sondern in Wahrheit zu vermitteln. Wenn, wie wir sahen, die Zeit als  absolut beharrliche  und streng kontinuierliche Sukzession ein  gefälschtes  und rein abstraktes synthetisches Urteil apriori, somit ein Pseudoschema abgibt, so muß also, wie oben erwähnt, zu dieser rein beharrlichen Sukzession das  empirische  Moment des Lebenswirklichen, das ist der  reale Wechsel der Empfindungen  als Restriktion des rein  Beharrlichen hinzugenommen werden, tut man das, so erhält  man anstelle des Beharrlichen und "absolut" Kontinuierlichen den relativ beharrlichen und empirisch gegliederten Wechsel - das ist der  Rhythmus. (45) Die so gefundene Synthese, die ebensosehr apriori (logisch) wie empirisch stichhaltig ist, und die aus ihr fließenden Urteile und sinnlichen Schemata, führen hin auf die ästhetisch-rhytmisch gegliederten Formen im empirischen Naturleben. (so z. B. werden wir erinnert an die rhythmische Folge der Systole und Diastole in der Herzbewegung, ferner an den Wechsel von Schlaf und Wachen, an Regelmäßigkeit und rhythmischer Wiederkehr der Erscheinungen bezüglich des Erdumlaufs um die Sonne usw., wir denken an den geordneten Gliederbau der Kristalle und des menschlichen Organismus usw.) das Logisch-Apriorische mit dem empirisch Sinnlichen verschmolzen führt hin auf die Ästhetik im engeren Sinne. Es folgt hieraus, daß nur in ästhetischen Formen und Schematen die Vernunftidee (das Apriori) sinnlich und empirisch-kritisch zu uns reden kann, ja mehr noch sich  offenbaren  muß; denn jede andere intelligible und über die geforderte sensuale Restriktion hinausliegende Auffassung (Intellektuierung) führt zu Abstrusitäten und metaphysischen Verirrungen, in welche wir den reinen Idealismus jedesmal hineingeraten sehen. Der Schematismus, wie er der Konsequenz der drei Kritiken gemäß durchzubilden ist, gibt uns daher allein den wahren Aufschluß über die Norm und Idee. War nach der praktischen Seite die Vernunftidee ein Postulat zur freien Handlung, zur wohlverstandenen Autonomie, und zur  individuellen Freiheit,  nach der erkenntnistheoretischen Seite aber die innerlich gegebene Natur des Intellekts (das Apriori) und die in Vermittlung mit dem Empirischen (der Natur) abfließenden Regeln und Gesetze derselben, so vermittelt sich im Schema der Urteilskraft, wie es konsequent kritisch festgestellt werden muß, die Idee als freie Kunstschöpfung mit den Gesetzen der Natur und des apriorischen Intellekts. Aus all dem folgt. Daß das Problem über Norm und Idee überhaupt nur gelöst zu werden vermag durch die Aufsuchung der erkenntnistheoretisch richtig gestellten Synthesen der Urteile apriori und des hiermit zusammenhängenden Schemas, wie es der Lehre vom Schematismus gemäß vorgeschrieben ist. Wird eine Idee und höchste Norm statuiert, welche die Anforderungen des Schemas nach Seiten der Sensifikation überfliegt, so erfolgt eine "reine" und unwirkliche  metaphysische Vorstellung,  wird aber im Gegenteil ein Prinzip gewonnen, das andererseits die intellektuelle Höhe des Schemas gar nicht erreicht, rein sinnlich bleibt und sich nicht logisch-schematisch beweisen läßt als ein richtig gefundenes (allgemein notwendiges) Urteil apriori, so darf man auch nach dieser Seite hin gewiß sein, eine nur rein empirische  unzulängliche Vorstellung  gefunden zu haben. Im ersten Fall befinden sich die Idealisten bis auf die neueste Zeit, im zweiten aber die Empiristen und die empirischen Positivisten. - Blicken wir bei dieser Gelegenheit nochmals auf LOTZE zurück, so ist unschwer zu erkennen, daß er in die Fehler der Idealisten verfiel, er blieb wie diese stehen bei der Entwicklung der Idee nach Maßgabe der beiden ersten Kritiken KANTs, welcher, wie wir sahen, das Postulat der Idee in das rein metaphysische (intelligible) Jenseits und abstrakte Wolkenkuckucksheim erhob, um erst, und zu spät hinterher in der "Kritik der Urteilskraft" die Zurückwendung wieder ins Empirische zu unternehmen. Daß KANT überhaupt zu weit gegangen war und fälschlicherweise schon in der Kr. d. r. V. das Apriori bzw. die Vernunftidee  zu sehr intellektuiert  hatte, wurde LOTZE nicht deutlich. Nur so erklärte sich uns, wie wir sahen, LOTZEs Konzeption über die spinozistisch gefaßte Idee des Guten im Allpersönlichen, das als solches nicht mehr bot, als das mittelalterliche  ens realissimum,  das alle Gegensätze von gut und böse und Himmel und Hölle zusammenfaßte und der sinnlichen Restriktion gegenüber, rein indeterminabel und intelligibel bzw. überempirisch (unfaßlich-unendlich) blieb. Denn sobald wir an jene LOTZE'sche Allpersönlichkeit ein kritisch-empirisches (sinnlich demonstratives) Schema legen,  durchlöchert  sich dieselbe ebenso wie die omnipotente [übermächtige - wp] und  absolute Gewalt  eines unbeschränkten Herrschers durch die empirisch gegebenen Einschränkungen von Seiten der Volksgewalt und der Ministerien, welche an der allgemeinen Gesetzgebung und dem Postulat der Verfassung selbständig und  ebenbürtig teilnehmen.  In den jüngst veröffentlichten Vorlesungen über Religionsphilophie (Grundzüge der Religionsphilosophie, Seite 22) legt LOTZE nochmals seine Anschauung, die ihn zur Annahme einer Allpersönlichkeit führte, von logischen Gesichtspunkten dar. Seine Argumente sind hier mehr noch wie anderswo so gefaßt, daß man versucht sein könnte, LOTZE den Okkasionalisten [Gelegenheitsursacher - wp] zuzuzählen. LOTZE geht hier von der ontologischen Kausalität aus und behauptet, daß die Einzelnen überhaupt nur aufeinander wirken können, wenn sie Teile  eines einzigen Ganzen  sind. - Abgesehen davon, daß nicht eingesehen werden kann, weshalb die  Teile  des Ganzen zu einem hinter ihnen liegenen  Einzigen hypostasiert  werden, erfordert das kausale wirkliche Geschehen diese Hypostase [Vergegenständlichung - wp]  nicht.  Denn gesetzt, das All wäre teilweise ein Chaos, so repräsentierten die Einzelnen darin doch nur einen blinden verworrenen Zusammenhang; und ohne daß dieser  Zusammenhang  ein strenges Ganzes oder System ist,  vollzögen sich dennoch darin, wenn auch nur in der verworrendsten Weise, kausale Wirkungen (sogenannte negative Kausalität). Ferner wäre nicht abzusehen, weshalb nicht mehrere verschiedene koordinierte Systeme mit verschiedenen Mittelpunkten ein sich  ergänzendes Ganzes  bilden könnten, so etwa, wie die koordinierten Individuen einer gemeinschaftlichen Ehe, oder die Systeme von Doppelsternen, welche sich idealiter um einen Punkt drehen, der nur als bloßes Regulativ  (das nicht hypostasiert werden kann) zwischen ihnen liegt  usw.

Gewiß hat sich LOTZE mit den hierhergehörigen Gedankenreihen beschäftigt. In seiner trefflichen Geschichte der Ästhetik geht er feinfühlig allen Wegen nach, welche der Idealismus einschlug, aber am kritischen Wendepunkt der Entscheidung zwischen dem reinen Idealismus, und dem kritischen Realismus nimmt er Partei für den Idealismus, er neigt hier hin zu den Ausführungen C. H. WEISSEs, der sich, ohne die empirische Restriktion am Schema der Idee zu beachten, in der Idee in eine rein abstrakte und intelligible Höhe erhob, in welcher sie schematisch völlig den Boden mit dem Empirischen und Realen eingebüßt hatte. (46)
LITERATUR - Otto Caspari, Hermann Lotze in seiner Stellung der durch Kant begründeten neuesten Geschichte der Philosophie und die philosophische Aufgabe der Gegenwart, Breslau 1895
    Anmerkungen
    28) Vgl. ERNST LAAS, Idealismus und Positivismus - eine kritische Auseinandersetzung, Straßburg 1882.
    29) Vgl. LAAS, a. a. O., Seite 120f.
    30) Vgl. CASPARI, Grundprobleme der Erkenntnistätigkeit, Bd. II, Seite 176.
    31) Vgl. hierüber CASPARI, Grundprobleme II, Seite 178f; siehe hierüber auch ROBERT ZIMMERMANN, Anthroposophie, Seite 22 und 23; CASPARI, Drei Essays, zweite Ausgabe, Seite 59f.
    32) Vgl. CASPARI, Gibt es synthetische Urteile apriori, und welche sind es? Drei Essays über Grund- und Lebensfragen der philosophischen Wissenschaft, Seite 31, Breslau 1888.
    33) siehe ZIMMERMAN, Anthroposophie, Seite 23
    34) Vgl. EDUARD ZELLER, Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnistheorie, Heidelberg 1862, Seite 27f.
    35) CASPARI, Drei Essays etc., a. a. O., Seite 44f und 62f.
    36) Vgl. KUNO FISCHER, Immanuel Kant und seine Lehre, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. III, dritte Auflage, Seite 576.
    37) Vgl. auch CASPARI, Das Erkenntnisproblem, a. a. O., Seite 10.
    38) Hier an diesem Punkt, an welchem zugleich die idealistischen Unmöglichkeiten der sogenannten produktiven Einbildungskraft zu kritisieren wären, ist der Markstein aufgestellt, der zum kritischen Realismus hinüberweist, um die sogenannte Koordinationsanordnung der Erkenntnisfaktoren zu urgieren [betreiben - wp]. (Siehe CASPARI, Erkenntnisproblem, Seite 9)
    39) Ich wiederhole hier, was ich früher in einem Aufsatz der  Zeitschrift für Philosophie unter dem Titel "Herbarts Realismus und das Problem der Idee als Musterbild, mit Rücksicht auf Robert Zimmermanns Anthroposophie, Bd. 81, Seite 226.
    40) Sowohl in der  Republik wie im  Timaeus werden die Ideen als etwas Mittleres zwischen Sein und Nichtsein, Letzteres als sinnliche Materie hingestellt; die Ideenwelt ist dort als das  to pantelos on to eilikrinos on, ousia anzusehen.
    41) Procli comentarii in Parmenidem VI. 44
    42) Siehe meine "Drei Essays", a. a. O., Seite 73f.
    43) Vgl. zugleich KANT, Kr. d. r. V., Abschnitt über erste Analogie, Seite 202f bei KIRCHMANN. Siehe auch KUNO FISCHER, Kant, dritte Auflage, Seite 391 und meine "Grundprobleme der Erkenntnis", Bd. 2, Seite 282f und in Übereinstimmung hiermit auch bei ERNST LAAS, Kants Analogien der Erfahrung, Seite 71f.
    44) "Die wahrgenommene und erinnerte Zeit ist eine andere als die  vorgestellte; beide sind notwendige Elemente der bezüglichen Welten, jene derjenigen des lebendigen Einzelbewußtseins, diese der  "des Bewußtseins überhaupt". Die wahrgenommene Zeit ist von beschränkter Ausdehnung, immer sinnlich tingiert, erst allmählich den wechselnden Rhythmen der in ihr gegen das identische Ich sich absetzenden Inhalte gegenüber als gleichmäßig fließend erfaßt. Die  vorgestellte Zeit ist von einem  absolut gleichmäßigen Fluß; sie ist auch als leer denkbar; "man kann, sagt Kant, ganz wohl die Erscheinungen aus ihr wegnehmen."  Beide Arten der Zeit sind in menschlichen Subjekten. (siehe bei LAAS, Kants Analogien der Erfahrung, Seite 127 und 128) Beiden ist notwendig zu  vermitteln. Beide Arten können eben im einheitlichen Intellekt nur dann wahrhaft vorhanden sein, wenn sie sich als objektive und subjektive, wahrgenommene und "vorgestellte" Zeit  vermitteln lassen. Geschieht das nicht, so  widersprechen sich beide, und heben sich beständig auf. Nun aber sind beide völlig  entgegengesetzter Natur, ähnlich wie bei KANT konkreter Sinnlichkeitsstoff und Kategorie. Das eine  absolut starr und beharrend abstrakt, das andere empirisch fließend. Deshalb das Problem, das KANT in seinem erlogenen Zeitschema  nicht gelöst hat. Das sogenannte "Bewußtsein überhaupt" wurde hiermit ein  abstraktes Unding, das zur Grundlage von echten synthetischen Urteilen apriori  unbrauchbar war. Sollte LAAS, der KANT in seinen Fehlern so scharf kritisiert, den Gegensatz nicht bemerkt haben?
    45) Hierzu vergleiche man "Drei Essays", Artikel 3, a. a. O.
    46) Siehe LOTZE, Geschichte der Ästhetik in Deutschland, Seite 211f