cr-4F. BrentanoA. Marty    
 
ANTON MARTY
Martys Leben und Werke
[3/3]

"Im Zusammenhang mit der Einsicht, daß derselbe Sachverhalt in Urteilen von verschiedener Art richtig beurteilt werden kann, daß es also etwas wie verschiedene Gedankenformen gibt, erschloß sich als natürliche Konsequenz die Erkenntnis, daß Axiome der Äquivalenz anerkannt werden müssen. Marty nennt sie auch Axiome mit Immanenz (Identität der Einfachheit) des Sachverhalts. Sie können auch Axiome der notwendigen Verknüpfung der Richtigkeit verschiedener, denselben Sachverhalt betreffender Gedankenformen heißen."

"Gewisse Gegenstände (Sachverhalte) können nicht sein, ohne möglicher Gegenstand einer richtigen Liebe (oder eines richtigen Vorziehens) zu sein; das heißt sie können nicht sein ohne Werte zu sein."

"Grundaxiom ist der Satz des Widerspruchs, wenn man ihm die Fassung gibt, daß man über denselben Sachverhalt nicht in entgegengesetzter Weise richtig urteilen kann; die Frage, ob wir apriori etwas darüber erkennen können, wann derselbe Sachverhalt gegeben ist, beantworten die Äquivalenzaxiome."

"Jenes innere oder sekundäre Bewußtsein ist, nach Marty, nicht, wie Brentano lehrt, ein Wahrnehmen im Sinne eines evidenten Urteils, sondern eine untrügliche Anschauungsvorstellung; untrüglich in dem Sinne, daß sie uns nichts vortäuscht, was im wirklichen Gegenstand nicht vorhanden ist. In diesem Sinne ist sie untrügich und daher kann das anerkennende und prädikative Urteil, das sich auf das in dieser Anschauung gegebene bezieht, evident sein."

"Den Ausdruck Erkenntniskritik hielt Marty für unpassend, weil Erkenntnis als evidentes, als richtig sich kundgebendes Urteil keiner Kritik unterworfen ist."

IV. 18. Wir gehen nun zu den nachgelassenen Schriften MARTYs über.

Wenn im Folgenden aus ihnen einiges mitgeteilt wirdd, so geschieht es einerseits, um das Interesse der Fachgenossen auf diese Werke zu lenken, andererseits um den in ihnen niedergelegten Theorien, die teilweise in meinen und den Kollegien anderer seiner Schüler zur Erörterung und somit an die Öffentlichkeit gelangen, die Priorität zu wahren.

Der Leser wird, wenn auch recht ungenügend über den Inhalt der Lösungsversuche, so doch einigermaßen über den Umfang der behandelten Fragen orientiert und es wird ihm die Richtung angedeutet, in der da und dort die Antwort gesucht wird.

Die "Untersuchungen" waren 1908 erschienen, 1911 das Kasusbuch. Schon diese Zwischenzeit hat einige wesentliche Umbildungen in MARTYs Denken mit sich gebracht.

So hatte MARTY früher die Theorie BRENTANOs angenommen, daß die Orte reale Differenzen der Körper sind, und Körper nichts anderes ist als "Qualitatives-Örtlichbestimmtes"; das Kasusbuch enhält jedoch bereits die deutlichen Ansätze einer Abwendung von dieser Lehre. Seite 95 reflektiert er auf die Meinung jener, die
    "mit Newton oder in Anlehnung an seine Gedanken den Raum für das unendliche, eine und in sich selbst nicht wegzudenkende Substrat der Körper" ansehen, als "eine nichtreale Seinsbedingung oder etwas wie ein nichtreales Subsistierendes für die gesamte Körperwelt."
Die folgenden Jahre waren diesen Fragen gewidmet und führten ihn allmählich, sowohl was die Auffassung des Raumes als auch was die der Zeit anlangt, zu einer ganz veränderten Stellungnahme. Das Resultat seiner mit beharrlichstem Eifer betriebenen Forschungen ist ein nachgelassenes, nahezu vollendetes Werk über Raum und Zeit.

Es wird vom zweiten Band der Untersuchungen getrennt erscheinen. Bringt schon die Lehre vom Raum ganz neue Gesichtspunkte ans Tageslicht, so führt MARTYs Theorie von der Zeit in die Lehre vom Urteil Neuerungen ein, die den Psychologen und den Metaphysiker in gleicher Weise angehen.

19. Die Abhandlung über die Natur des Raumes hält vorerst eine sehr ausführliche und sorgfältige Zergliederung der kantischen subjektivistischen und phänomenalistischen Lehre, deren verschiedene, bei KANT ineinanderfließend Bestandteile gesondert geprüft werden, als deskriptiv und genetisch psychologische und als transzendentale Frage. Auch BERKELEYs idealistische Theorie wird weitgehend untersucht.

Bei Erledigung der dritten Frage wird gezeigt, daß die Alternative: Der Raum ist etwas Objektives und Reales oder etwas Subjektives und Ideales schon darum unhaltbar ist, weil die von KANT angenommene Lehre von der "mentalen Inexistenz des Objekts" und demgemäß von einem "ens subjectivum" eine Fiktion ist, die durch die Theorie von der ideellen Adäquation ersetzt werden muß.

Der Raum ist allerdings, wie auch MARTYs Analysen ergeben, weder etwas Relatives noch ein Akzidens [Merkmal - wp] der Körper noch eine Substanz. Aber mit dieser Dreiheit ist das Schema des Objektiven nicht erschöpft. MARTY, der auch die Auffassung BRENTANOs, daß der Reaum als eine substanzielle Differenz des Körpers und daher als etwas Reales zu denken ist, nicht gelten läßt, legt vielmehr dar, daß die Begriffe "objektiv" (seiend, wirklich) und "real" weder nach Inhalt noch nach Umfang zusammenfallen.

Diese Untersuchungen führen ihn zur Analyse des Ursachbegriffs und des Kausalgesetzes und zur Axiomatik schlechthin. - Neben unmittelbaren Erfahrungserkenntnissen anerkennt auch er apriorische Sätze, die unmittelbar einleuchten; während aber manche, wie schon LEIBNIZ, bemüht sind, diese alle auf den Satz des Widerspruchs zurückzuführen, leugnet MARTY zwar nicht die "Allgegenwart" dieses Satzes, scheidet jedoch die apriorischen Axiome in drei Typen:
    1. Axiome des Ausschlusses, zu welchen der Satz der konträren Opposition und der Satz des Widerspruchs gehören.

    2. Axiome der Äquivalenz

    3. Axiome der notwendigen Verknüpfung von Sachverhalten.
Zu den letzteren gehört z. B. der Satz, daß gewisse absolute Bestimmungen nicht sein können, ohne gewisse Relationen zu begründen. Es ist daraus zu ersehen und wird sich weiter unten noch deutlicher zeigen, daß auch nach MARTY nicht alle apriorischen Sätze den Charakter des Satzes des Widerspruchs tragen. Mit BRENTANO aber verwirft der KANTs synthetischen Urteile apriori schon darum, weil KANT ihnen das Kennzeichen aller wahrhaft apriorischen Sätze, die Evidenz, abspricht (vgl. ALFRED KASTIL, Jakob Friedrich Fries' Lehre von der unmittelbaren Erkenntnis. Eine Nachprüfung seiner Reform der theoretischen Philosophie Kants, Göttingen 1912). Die Verknüpfungsaxiome sind es, die - auch darüber wird noch unten zu reden sein - zum Fortschritt unserer Erkenntnis das Meiste beitragen. Schon JOHN LOCKE hat das in seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand (IV, 17, § 16) ausgesprochen. Indem nun aus der Komperzeption [Spezialbegriff Brentanos - wp] von Begründungsrelationen der Begriff des Begründenden, Bedingenden gewonnen wird, entsteht nach MARTY aus diesem und anderen Elementen der Begriff der wirkenden Ursache durch begriffliche Synthese. Die Komposition des Ursachenbegriffs wird sodann, unter kritischer Würding von BRENTANOs Lehre, im Einzelnen aufgewiesen; wir müssen uns versagen ihre Bestandteile aufzuzählen, da jedes der Elemente eine gesonderte Betrachtung verlangt, die entweder ins Einzelne gehen oder unverständlich bleiben muß. Nachdem MARTY den Begriff des Wirkens und der wirkenden Ursache genügend geklärt zu haben glaubt, nebenbei auch die übrigen Bedeutungen des Wortes Ursache - auch die "materiale Ursache" - besprochen hat, bestimmt er den Begriff des Realen als den des Wirkungsfähigen (19). Unter diesen Begriff fallen die Dinge oder Substanzen, ihre absoluten substanziellen und akzidentellen Differenzen, während z. B. die Relationen - bei denen, wenn sie werden, nur von einem bloßen Mitwerden gesprochen werden kann -, als Beispiele von einem solchen Seienden dienen, das nicht real ist; die entgegenstehende Lehrmeinung BRENTANOs wird durch eine lange Reihe von Gegengründen zu entkräften gesucht, die zu tief in die Erkenntnistheorie hineinführen, um hier auch nur angedeutet werden zu können; die Berücksichtigung diesbezüglicher Theorien von LOTZE, LIPPS und anderen hält die Untersuchung auch weiterhin auf kritischen Pfaden.

Was aber das Kausalgesetz anlangt, so wird zu erwiesen gesucht, daß der Satz von der universellen Notwendigkeit als ein Äquivalenzaxiom zu begreifen ist und daß das Kausalgesetz ebenfalls und ohne Rekurs auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung (20) als apriori einleuchtend dargetan werden kann. Das Ergebnis dieser wohl bei Schritt und Tritt fesselnden, aber weit ausgreifenden Analysen ist, daß ein unendliches Raumkontinuum als etwas Objektives zu erschließen ist, das zwar nicht wirkungsfähig oder real, aber gleichwohl ein Seiendes ist. Alles Seiende ist entweder real oder nichtreal, entweder absolut oder relativ, entweder substistierend oder inhärierend, und diese Klassifikationen kreuzen sich zum Teil untereinander. Der objektive Raum nun ist etwas Absolutes und Nichtreales, das nicht einem anderen inhäriert, sondern für sich subsistiert.

Sagt man, der Raum kann abgesehen von dem, was ihn erfüll, keinerlei Mannigfaltigkeit aufweisen, so erwidert MARTY: Die Homogenität des Raumes besagt nur, daß die Raumpunkte ebenbürtige Spezies einer Gattung sind. Das schließt nicht aus, daß jeder Raumpunkt eine andere Spezies örtlicher Positionen ist. Sagt man, die Körper könnten nicht im Raum sein, so erwidert MARTY, daß der Raum nicht zu fassen ist wie ein abtrennbarer Teil des Körpers, auch nicht wie etwas, dem die Körper inhärieren, auch nicht wie ein Universale. Der Körper, das Qualitativ-Ausgedehnte (21), ist vielmehr ein superponiertes [überlagertes - wp] (bedingtes, sekundäres) Kontinuum durch Teilnahme an dem es bedingenden oder fundamentalen Raumkontinuum. Wird endlich eingewendet, wer den Körper nicht durch den Ort individualisiert werden läßt, macht ihn zu etwas Unbestimmtem und kommt mit dem principium indiscernibilium in Widerspruch, so wird dies zum Anlaß genommen, dieses angebliche Prinzip genauer zu untersuchen und auf eine falsche Deutung desselben hinzuweisen (22).

20. Wegen ihres kritischen Gehaltes und der zahlreichen unermüdlichen Begriffsanalysen bilden die den Raum behandelnden Partien den weitaus größten Teil des Werkes; das Zeitproblem nimmt etwa ein Viertel des ganzen Manuskriptes in Anspruch.

Gewisse Partien der Raumabhandlung kommen im zweiten Band der "Untersuchungen" abermals, manche wie die Axiomatik sogar noch eingehender zur Sprache. Auch darum konnten wir uns kürzer fassen. Die Lehre vom Zeitbewußtsein und der Zeit dagegen bringt bei sparsamster Anwendung der Kritk (23) im Wesentlichen nur die positive Theorie, die noch originellere Züge aufweist als die Lehre vom Raum. Darum erfordert sie eine etwas deutlichere Skizzierung.

Manche Aristoteliker haben die Zeit mit dem Urteil in Zusammenhang gebracht, weil die Sprache sie durch Verbum und Kopula ausdrückt. JOHN STUART MILL hielt die Zeitlichkeit für eine Modalität des Urteils. In unserer Zeit zählte BRENTANO zu den Differenzen dies Urteils:
    1. die Differenzierung durch das Objekt; 2. die Qualität (ob anerkennend oder verwerfend);

    3. die Evidenz und Blindheit;

    4. die Modalität (ob assertorisch oder apodiktisch),

    5. den Temporalmodus; indem er zum Urteil den Präsential- und Präterialmodus hinzutreten ließ.
Neuestens aber lehrt er (24), es handelt sich beim Zeitbewußtsein um ein Kontinuum von Vorstellungsmodi und nur indirekt um Urteilsmodi. MARTY unterscheidet bei unserem Zeitbewußtsein eine Vorstellungs- und eine Urteilskomponente.

Unser anschauliches Zeitbewußtsein, z. B. die Anschauung einer Bewegung und ihres rascheren oder langsameren Verlaufs, das Hören einer Melodie, kurz jedes anschauliche Bewußtsein von Veränderung oder Bestand, ist ein Gegenwarts- und Vergangenheitsbewußtsein. Dieser Unterschied von "Gegenwärtig" und "Vergangen" ist auf Rechnung der in der Empfindung mit gegebenen Urteilsmodi, nämlich eines Gegenwarts- und eines Präteritalmodus zu setzen, während der Unterschied von Früher und Später, der ja mit dem von gegenwärtig und vergangen nicht zusammenfällt, aber mit ihm zugleich gewonnen wird, der Vorstellungskomponente zuzurechnen ist.

Es gibt, nach MARTY, die Vorstellung eines Kontinuums zeitlicher Positionen und von etwas sie Erfüllendem; mit der Vorstellung jeder dieser Positionen und des sie Erfüllenden ist aber ein urteilendes Verhalten verknüpft, welches das Vorgestellte erst als gegenwärtig und dann als vergangen auffaßt.

Unsere Zeitbegriffe und -erkenntnisse entspringen anläßlich der "Anschauung" einer Bewegung und ihres rascheren und langsameren Verlaufs, einer Melodie usw., kurz der Anschauung von Veränderung und Bestand.

Hören wir z. B. einen Ton, so erwächst uns im Bewußtsein von ihm ein bestimmtes phänomenales Kontinuum von zeitlichen Positionen, die er erfüllt, das uns schließlich in seiner ganzen Länge, zuvor aber als kontinuierlich wachsend und in jedem Moment gleichzeitig bewußt ist. Im Bewußtsein ist also das, was in Wirklichkeit aufeinander folgt, gleichzeitig gegeben, aber nicht als gleichzeitig, sondern als sich folgend. Dieses zeitliche Kontinuum, welches unser Präsentialmodus sukzessive beleuchtet (Aktualitätsbewußtsein) und wovon ein wachsendes Stück und schließlich die ganze Länge vom Präteritalmodus umfaßt wird (Metaesthese), ist eng begrenzt. Wir schauen ein zeitliches Kontinuum an, aber die Anschauung desselben ist nicht selbst ein Kontinuum irgendwelcher Modi.

Ein Kontinuum also wird gebildet von den Positionen und nicht, wie BRENTANO lehrte, von irgendwelchen Modi. MARTYs Grund, eine Kontinuität der Temporalmodi zu leugnen, war zunächst, daß er sich sagte, es könne kein Mehr oder Weniger der Vergangenheit (Zukunft) geben, in dem Sinne, wie Vergangenheit eine Sache des Urteils ist, nämlich in der eigentümlichen Weise des Inaktuell-Seins, das dem Vergangenen zukommt. Das "Früher" und "Später" kommt notwendig den absoluten zeitlichen Bestimmungen zu, die Sache der Vorstellungsobjekte sind. Doch können sich jene absoluten Bestimmungen und ihre Relationen bloß im Zusammenhang mit Urteilsmodi entfalten. Aber dazu genügen diskret Modi (womit nicht gesagt ist, daß diese Modi eine punktuelle Dauer hätten!).

So glaubt MARTY dann jetzt drei Spezies von Urteilsqualität lehren zu müssen:
    1. den Aktualitätsmodus;

    2. den Inaktualitätsmodus, womit uns das Vergangene erscheint. Beide Modi sind ein Für-tatsächlichnehmen, ein Bejahen, Anerkennen (Ponieren) aber nicht im selben, sondern nur in einem analogen Sinn. Ihnen gegenüber steht

    3. das Für-nicht-tatsächlichnehmen ("Verwerfen", "Verneinen", "Negieren").
Nach Analogie zu dem früher und früher Gewesenen und zum Gewesenen im Verhältnis zum Gegenwärtigen bilden wir uns auch den Begriff des Zukünftigen im Allgemeinen, als dessen, was eine ähnlich orientierte Lage zum Gegenwärtigen hat, wie dieses zum Vergangenen (und des später und später Zukünftigen).

Das Zeitkontinuum ist seiner Natur nach nur auffaßbar als Gegenstand verschiedener temporaler Urteilsmodi, so daß das Moment der möglichen Beziehung zu einer solchen Modalität im Allgemeinen in den Begriff der absoluten Zeitspezies und der darauf beruhenden Relation eingeht.

Ein irgendwann und damit früher oder später als ein anderes Seiendes ist notwendig entweder vergangen oder zukünftig oder gegenwärtig, kurz zu einem temporalen Modus der Tatsächlichkeit in einer möglichen Beziehung Stehendes. Wie umgekehrt ein Vergangenes oder Zukünftiges oder Gegenwärtiges notwendig ein irgendwann Seiendes und damit früher oder später als ein Anderes ist.

Will man das Vergangenheitsbewußtsein ein "unmittelbares Gedächtnis" nennen, so muß man sich seiner deskriptiven und genetischen Unterschied vom Gedächtnis im eigentlichen Sinn bewußt werden.

Wenn BERGSON jenes Gedächtnis als einen Kinematographen bezeichnet, so ist die Sache vielmehr umgekehrt, der Kinematograph ist nicht möglich ohne das mittelbare Gedächtnis.

Zahlreiche andere Fragen kommen zu Erörterung: Die Analogie mit dem Raumbewußtsein und die Grenzen dieser Analogie; das Verhältnis unserer phänomenalen Zeiten zu den wirklichen; vor allem die Frage nach der Objektivität der Zeit und die Stellung KANTs zu allen mit der Zeit zusammenhängenden Fragen.

Es wird unter anderem gezeigt, aß die objektive Zeit im Unterschied vom objektiven Raum, der nur empirisch festgestellt ist, apriori gewiß ist als etwas durch sich Notwendiges, und daß der Satz des Widerspruchs, den KANT vom Zeitgedanken befreien mußte, um ihn nicht bloß auf Erscheinungen anwendbar sein zu lassen, in Wahrheit ohne das zeitliche Moment sinnlos wird. Zeitliches und Seiendes im Sinne dessen, was mit Recht anerkannt werden kann, sind Begriffe von gleichem Umfang. Seiendes ist ein irgendwie Tatsächliches.

Es ist apriori einleuchtend, daß irgendetwas wahr ist, und somit ist es auch die Existenz der Zeit, als die Bedingung jeglicher Wahrheit. - Soviel über MARTYs Parerga seiner sprachphilosophischen Arbeiten.

21. Die Fortsetzung der Untersuchungen zur allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie war folgendermaßen geplant: Es sollte zunächst gehandelt werden als Abschluß des II. Stücks des ersten Bandes: Von den logisch begründeten Synsemantien [Wörter, die in erster Linie eine grammatische Funktion haben = Artikel, Pronomen, Präpositionen etc. - wp] beim Urteilsausdruck: sodann von den logisch begründeten synsemantischen Zeichen, die dem Ausdruck des Interesses dienen; weiter von den logisch begründeten Synsemantien beim Vorstellungsausdruck; endlich von den logisch nicht begründeten synsemantischen Zeichen.

Sodann war ein polemisch-kritischer Teil (III. und IV. Stück) beabsichtigt, der sich mit den üblichen Lehren und Begriffen von Satz, Wort, Redeteilen, Syntax, von Substantiv, Adjektiv, Verb zu befassen hatte, und als dessen Abschluß ein V. Stück: über Wert und Methode deskriptiv-semiasologischer Untersuchungen bestimmt war. Hierüber ist an verstreuten Stellen der früheren Abhandlungen MARTYs, im ersten Band der Untersuchungen und besonders in der gegen VOSSLER gerichteten Abhandlung "Über Begriff und Methode der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie" (25) einiges gesagt. Das Kasusbuch 1911 wiederum enthält wichtige Beiträge zur Lehre von den Synsemantien. Mit der Scheidung der Synsemantien in logisch begründete und nicht begründete hat es folgende Bewandtnis:

Logisch begründete Synsemantika nennt MARTY diejenigen, bei welchen der Zusammensetzung der Zeichen eine analoge Zusammensetzung im Gedanken oder überhaupt in der Bedeutung entspricht, wo also in dieser ein Anlaß zur Bildung von Synsemantika gegeben ist; logisch nicht begründete, wo dies nicht der Fall ist. Die Rücksicht auf Zeichenersparnis und Schonung des Gedächtnisses ist zwar auch bei der Bildung der logisch begründeten Synsemantika wirksam, aber nicht in dem Maße, wie bei den logisch nicht begründeten.

In dieser Lehre von den logisch nicht begründeten Synsemantien muß sich die allgemeine Grammatik begnügen, die allgemeinen Typen dieser Zeichen anzugeben und durch Beispiele aus den vorliegenden Sprachen zu illustrieren. Hier werden Beispiele gegeben von all den Bildungen der Sprache, die Motiven der Ökonomie, Bequemlichkeit, Schönheit und dergleichen ihren Ursprung verdanken.

In der Lehre von den logisch begründeten Synsemantien wird die Struktur unseres Denkens bloßgelegt, wie sie sich in einer idealen Sprache spiegeln sollte. Mit dieser Lehre haben wir es in dem zu veröffentlichenden Stück des zweiten Bandes zu tun.

In der Vorrede zur vierten Auflage seiner Prinzipien der Sprachgeschichte schreibt PAUL:
    "Martys Werk hält sich in den Grenzen logisch-psychologischer Untersuchung, ohne in das dem Sprachforscher eigentümliche Gebiet überzugreifen. Es liegt mir nichts ferner, als ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Aber es berührt sich deshalb wenig mit meinen überall an die sprachliche Einzelforschung anknüpfenden Untersuchungen."
Von jenem Teil des MARTYschen Werkes, der jetzt vor der Veröffentlichung steht, wird ähnliches gesagt werden können. Erst die späteren Teile sollten anders geartet sein.
    "Dort hoffe ich", schrieb Marty an Paul, "die Betrachtung auch näher an die speziellen und konkreten Fragen, die die sprachliche Einzelforschung beschäftigen, heranführen zu können, und hier mit dieser Fühlung zu gewinnen, wäre mir von großer Wichtigkeit und bildet den Gegenstand meines ernstesten Strebens. Denn es scheint mir, daß die allgemeinen Lehren der Sprachphilosophie oder desjenigen Teiles, den man etwa Sprachpsychologie nennen kann, ihren Charakter als Resultat legitimer Abstraktion und rechtmäßiger Induktion - zum Unterschied von bloß fiktiven Konstruktionen - eben dadurch bewähren müssen, daß das Spezielle und Konkrete von ihnen Licht empfängt und umgekehrt sie selbst zu beleuchten vermag." (Brief vom 28. Februar 1909)
Im Kasusbuch liegt eine solche Leistung tatsächlich vor. Bruchstücke der weiter geplanten Teile, insbesondere einige Kapitel "Kritische Auseinandersetzung mit den üblichen Lehren vom Satz, vom Wort und den Redeteilen" dürften später hinzukommen. (26)

Was der zweite Band, die Fortsetzung und der Schluß des II. Stückes, bieten wird, ist vorwiegend Psychologie und Erkenntnistheorie. Es sei mir gestattet, die einzelnen Kapitel der Reihe nach durchzugehen und einiges herauszuheben.

22. MARTY bespricht zuerst die Anlässe zu logisch begründeten Synsemantiken auf dem Gebiet des Urteils. Als Hauptkorrektur der im ersten Band der Untersuchungen und in seinen verschiedenen Artikeln vorgetragenen Lehre vom Urteil bezeichnet MARTY selbst: daß die Qualität des Urteils schließlich von ihm als eine Komponente des Zeitbewußtseins aufgefaßt wurde und nicht verständlich ist ohne die Lehre von der Zeitvorstellung.

Die Qualität des Urteils ist, wie wir gehört haben, nach MARTY dreifach: ein Für-Aktuellnehmen und ein Für-Inaktuell-nehmen; beides kann man ein "Anerkennen" nennen, aber bloß in einem analogen Sinn; drittens ein Für-Untatsächlichnehmen; es besteht also ein doppelter Gegensatz zu "Aktuellnehmen": das Für-Inaktuellnehmen einerseits, das Für-Untatsächlichnehmen andererseits (27).

23. Nach der Urteilsqualität kommt die Modalität des Urteils zur Sprache. Hier wird eine Kritik der kantischen Einteilung gegeben, die die Urteile ihrer Modalität nach scheidet in problematisch, assertorische und apodiktische.

MARTY läßt an der Bestimmung KANTs gelten, "daß die Modalität des Urteils nichts zum Inhalt des Urteils beiträgt", im Übrigen aber weicht er darin von KANT - und nicht unbeträchtlich auch von LEIBNIZ und BRENTANO - ab, daß er als Modalität den Charakter der Evidenz und Blindheit betrachtet; erst das evidente Urteil weist die Unterschiede von "begreifender, apodiktischer oder Vernunftevidenz" (vérité de raison) einerseits und von "bloß bemerkender, nicht begreifender, assertorischer oder Tatsachenevidenz" (vérité de fait) andererseits auf. Von der Evidenz gilt jenes Wort KANTs, daß sie die Inhaltsseite nichts angeht, d. h. nichts beiträgt zu dem, was sein muß, damit das Urteil richtig ist. Blindheit des Urteils ist eine bloße Privation. Richtigkeit und Unrichtigkeit hängt nicht von der Evidenz ab, sonst könnte ja ein blindes Urteil niemals richtig sein und es wäre auch unmöglich, daß ein assertorisches und ein apodiktisches Urteil über denselben Gegenstand richtig wären. Nach ARISTOTELES und BRENTANO gehört der Begriff des Evidenten nicht zum Begriff des Apodiktischen. In dieser Frage hat sich MARTY von beiden entfernt. Zum Begriff des Unmöglich-Seienden gehört jetzt nach MARTY der Begriff des Apodiktisch-Evidenten.

Notwendig ist, was an und für sich von einem entsprechend disponierten ("idealen" Verstand begriffen werden kann; an und für sich ist also alles apodiktisch erkennbar. Der Begriff des Seienden und des Notwendig-Seienden haben für uns verschiedenen Inhalt, aber den gleichen Umfang. Derselbe Sachverhalt entspricht beiden Begriffen. Ist auch alles an uns für sich apodiktisch erkennbar, d. h. notwendig, so doch nicht alles "durch sie notwendig"; gar vieles ist nur mittelbar erkennbar, und zwar nicht nur für uns, sondern für jeden Verstand nicht anders als mittelbar notwendig erkennbar.

Das Apodiktische fällt aber nicht, wie KANT glaubt, zusammen mit dem "Allgemein-Notwendigen". Es gibt auch apodiktisch zu Bejahendes, das nicht allgemein ist; das haben MARTYs Untersuchungen über den Zeitbegriff einerseits, andererseits jene über die evidenten Prädikationen der "inneren Wahrnehmung" gezeigt, die sich auf Individuelles beziehen und doch apodiktisch sind. (28)

Unsere apriorischen Urteile kann man als durch die Betrachtung der Vorstellungen verursacht bezeichnen, wenn man darunter die materiale Ursache versteht, und unter Betrachten ein Analysieren, Sich-klar-machen, Deuten.

Die Urteile, die für uns apodiktisch sind, haben eine besondere Materie und eine besondere Genesis.

Die Untersuchungen dieses Kapitels sind von größter Wichtigkeit (29); sie führen unter anderem auch zu neuen Konsequenzen für die Lehre vom Schluß.

24. Unter der Überschrift "Beispiele von Axiomen, die uns gegeben" folgt nun der erkenntnistheoretisch bedeutsame Entwurf einer Axiomatik. Abweichend von der Reihenfolge, die im Raummanuskript eingehalten ist, werden hier als erst Gruppe die Axiome der Äquivalenz vorangestellt.

Im Zusammenhang mit der Einsicht, daß derselbe Sachverhalt in Urteilen von verschiedener Modalität richtig beurteilt werden kann, daß es also etwas wie verschiedene Gedankenformen gibt, erschloß sich als natürliche Konsequenz die Erkenntnis, daß Axiome der Äquivalenz anerkannt werden müssen. MARTY nennt sie auch Axiome mit Immanenz (Identität der Einfachheit) des Sachverhalts.

Sie können auch Axiome der notwendigen Verknüpfung der Richtigkeit verschiedener, denselben Sachverhalt betreffender Gedankenformen heißen.

Ich will hier einige wenige Beispiele der wichtigsten Typen, die MARTY in formale, materiale, modale und deren Kombinationen einteilt, herausgreifen:

"Daß A ist, ist wahr", ist äquivalent dem Satz: "daß A nicht ist, ist falsch", und beide dem Satz: "A ist".

"Dieses A ist B" ist äquivalent "dieses B ist A"; ein A B ist" äquivalent "ein B A ist".

"Rotes ist" äquale: "Rotes-Farbiges ist", äquale: "rotes-Ausgedehntes-Farbiges ist". "Farbiges ist" äquale: "Etwas, was entweder rot oder gelb oder blau usw., ist". "Urteilendes ist" äquale "Ein Für-Aktuell- oder Inaktuell- oder Untatsächlich-Nehmendes ist". "A ist" äquale: "es ist an und für sich einleuchtend, daß A ist", äquale: "es ist an und für sich apriori als notwendig (apodiktisch) einleuchtend, daß A ist" usw.

25. Die zweite Gruppe sind die Axiome mit Transzendenz (Mehrfältigkeit) des Sachverhalts.

A) Axiome des Ausschlusses

a) Des kontradiktorischen Ausschlusses (Satz des Widerspruchs): Es ist unmöglich, daß A ist und zugleich nicht ist. Es ist unmöglich, daß A nicht ist und zugleich nicht nicht ist. Mit beiden Sätzen äquivalent ist der Satz des ausgeschlossenen Dritten: Eines von beiden muß wahr sein, daß A ist oder nicht ist. Hierbei lehrt MARTY mit BRENTANO, daß der Satz "Korrelate können nicht ohne einander sein" unter die Fälle des Satzes vom Widerspruch gehört.

b) Der Kontrarietät in der Weise der Tatsächlichkeit: Es ist unmöglich, daß A zugleich aktuell und nicht aktuell ist.

c) Sätze des konträren Ausschlusses einer unmöglichen materialen Kombination, z. B.: Etwas kann nicht zu gleicher Zeit rund und eckig sein. (NB. Äquivalent: ein Rundes-Eckiges ist unmöglich.)

d) Axiome der notwendigen Verknüpfung, eigentlich der unmöglichen Nichtverknüpfung, z. B.: Gewisse absolute Bestimmungen können nicht sein ohne Fundment oder Träger (oder beides) für eine gewisse Relation zu sein, wie: ein Rotes und ein Grünes nicht, ohne notwendig verschieden zu sein. - Gewisse absolute Bestimmungen können nicht sein, ohne tatsächlich in einer Korrelation mit gewissen anderen zu stehen; z. B. Ortsspezies nicht, ohne in einem unumkehrbaren Verhältnis des Nebeneinander zu stehen. Ein Urteilen kann nicht sein, ohne einem Vorstellen oder aber einem Urteilen superponiert zu sein. Evidenz kann nicht gegeben sein, ohne in sekundärer Inhärenz zu einem Urteilen zu sein. Ein Qualitatives kann nicht sein, ohne ein Quantitatives zu sein und umgekehrt; ein Qualitativ-Quantitatives nicht, ohne einen Raum zu erfüllen.

Solcher Axiome gibt es überaus zahlreiche Typen (30); hierher gehören z. B. auch sämtliche Wertaxiome: Gewisse Gegenstände (Sachverhalte) können nicht sein, ohne möglicher Gegenstand einer richtigen Liebe (oder eines richtigen Vorziehens) zu sein; das heißt sie können nicht sein ohne Werte zu sein. (31)

Oder auch der Satz: Zwei Zeitspezies können nicht tatsächlich sein, ohne daß sie einmal in verschiedener Weise tatsächlich sind, bzw. gewesen sind oder sein werden und zwar so, daß die eine aktuell, die andere inaktuell ist (32).

B. Axiome der notwendigen Existenz und notwendigen Verknüpfung. Hierher gehören die Einsichten über die Existenz irgendeiner Wahrheit und der Zeit und ihrer Beschaffenheit.

Diese Axiome sind die einzigen positiven apriorischen Sätze.

Die Reflexion über das Bewußtsein führt uns in diesem einzigen Fall unmittelbar hinüber in das Reich der Tatsächlichkeit; unsere Einsicht geht hier auf etwas Einziges und Positives und ist dabei apodiktisch. Wenn es eine Wahrheit gibt, so muß die Zeit sein; nun gibt es eine Wahrheit (den Satz des ausgeschlossenen Dritten), also ist die Zeit.

Zu bemerken wäre, daß dem Satz des Widerspruchs eine gewisse Allgegenwart eignet; ebenso den Äquivalenzaxiomen (33) soweit die Logik es mit den letzteren zu tun hat, kann man sie - da es sich um verschiedene Denkformen handelt - "formal" nennen.

Es greifen überhaupt die verschiedenen Axiome mannigfach ineinander; selbst in den Satz des Widerspruchs und der Kontrarietät spielen mit dem Zeitmoment Axiome der dritten Klasse herein.

Die Auseinandersetzung mit KANTs synthetischen Urteilen apriori muß ich, wie noch anderes, übergehen.

26. Das 3. Kapitel hätte zu handeln von der materialen Seite des Urteils; sie fällt mit der Vorstellungsseite zusammen; daher geht MARTY sogleich zum II. Abschnitt über, die die Anlässe zu logisch begründeten Synsemantien auf dem Vorstellungsgebiet zum Gegenstand hat und zu diesem Zweck eine deskriptive Psychologie des begrifflichen Vorstellens liefert.

Sind unsere Begriffe auch nicht alle aus Anschauungen (34) im eigentlichen Sinn des Wortes geschöpft, so sind doch bei ihrer Entstehung überall irgendwie Anschauungen beteiligt. Ihre uns schon bekannten Quellen: Imperzeption, Komperzeption, Reflexion sind mannigfach miteinander verflochten. So die Imperzeption von Psychischem mit Reflexion, die Komperzeption von Verhältnissen mit Imperzeptionen. Da wir Beispiele von imperzeptiv gewonnenen Begriffen auf dem Gebiet des Physischen und Psychischen schon kennen gelernt haben, so beschäftigen wir uns gleich mit den komperzeptiven Begriffen, deren Domäne die Relationsbegriffe sind. Begriffe von Relationen oder Korrelation sind solche, die einander fordern im Sein und im Vorstellen (35). MARTY bespricht vorerst die früheren Einteilungsversuche der Relationen, um hernach seine eigene Theorie vorzutragen.

27. Die Verhältnisse oder Relationen lassen sich in der verschiedensten Weise, von den verschiedensten Gesichtspunkten aus einteilen.

Die Scheidung in begründete und Begründungsrelationen wurde schon erwähnt.

Eine andere Klassifikation wäre die, ob wir es mit einem Teilverhältnis zu tun haben oder nicht.

Die Teilverhältnisse lassen sich wieder einteilen in solche, wo die Teile gegenseitig trennbar sind, oder nur einseitig oder nur gedanklich. Eine Einteilung, die mit dieser verwandt, aber doch nicht ganz gleich ist, unterscheidet: ob die Teile ein bloß äußerliches, bzw. Ganzes bilden (ein Kollektiv) mit einer Koexistenz getrennter "Teile", oder ob sie ein innerliches Ganzes, eine sachliche Einheit bilden, wo die Teile nur distinktionell trennbar sind, ("logische Teile") oder sozusagen ein Mittleres zwischen einem innerlichen und äußerlichen Ganzen bilden.

Endlich und wohl am praktischsten sind die Relationen zu scheiden nach ihrer inneren Verschiedenheit: Verhältnisse von Gleichheit und Verschiedenheit; von Grund und Folge; Teilverhältnisse mannigfacher Art; die intentionale Relation; Verhältnisse der Elemente eines primären Kontinuums untereinander und zum Ganzen; Erfüllungsrelation.

28. Es sei besonders hervorgehoben: Das Verhältnis des Subsistierenden zu dem ihm Inhärierenden; da die Substanz das Reale unter dem Subsistierenden ist, wo wird der Substanzbegriff untersucht und die gegen ihn erhobenen Einwände einer Prüfung unterzogen. Hierbei kommt MARTY nochmals auf die grammatikalischen Abstrakta (die aristotelischen Formen) zurück, deren Auffassung als Fiktionen er im Kasusbuch (Seite 42f) und schon im ersten Band der "Untersuchungen" mit LEIBNIZ und BRENTANO geteilt hatte. "Hören, Sehen" sind solche Fiktionen der Sprache, wirklich ist nur das Konkretum Hörendes, Sehendes.

Die kantische phänomenalistische Lehre, die auch diese Konkreta nur als Phänomene gelten läßt, wird nach dem Vorgang BRENTANOs ad absurdum geführt.

Die Lehre HUMEs, die aus unseren gleichzeitigen psychischen Tätigkeiten ein mehr oder weniger loses Bündel machen will, wird ersetzt durch die Auffassung des gleichzeitigen Hörens und Sehens usw. als Koinhärenz mit Juxtaposition, während das Verhältnis des Urteils zu dem in ihm enthaltenen Vorstellen als Koinhärenz mit Superposition charakterisiert wird.

Hierbei wird dargelegt, daß die Trennbarkeit dieser koinhärenten Teile keine schlechthinnige ist, und daß und warum man hier nur von einer Trennbarkeit mit Äquivalenz reden darf.

Nur eine Trennbarkeit in Gedanken findet bei den sogenannten logischen Teilen statt; immanente logische Teile liegen vor, wenn wir z. B. einen in der Anschauung gegebenen Gegenstand einmal als Rotes oder Farbiges oder Qualitatives, das andere Mal als Vier-Fuß-Großes und überhaupt als Ausgedehntes (Quantitatives) erfassen. Diesen homokategorischen oder immanenten Teilen (wozu z. B. auch gehört: Anerkennendes-Urteilendes-Bewußtseiendes) stehen gegenüber die hetero-kategorischen oder konkreszenten Teile (z. B. Ausgedehntes-Qualitatives ist heterokategorisch gegenüber Farbiges-Rotes-Qualitatives, das homokategorisch ist).

Hierbei kommt MARTY abermals auf die grammatikalischen Abstrakta (Farbe, Qualität usw.) zurück, die man früher wie konkreszente Teile zu behandeln pflegte.

Ich verweise auf den ersten Band der "Untersuchungen", auf das Kasusbuch (Seite 92f) und auf die in Nr. 15 gemachten Bemerkungen weiter oben.

29. Diesen Gruppen steht endlich noch das kollaterale Teilverhältnis gegenüber. Während bei den immanenten Teilen einseitige gedankliche Trennbarkeit besteht (Farbiges ist von Rotem gedanklich trennbar, aber nicht umgekehrt), und bei den heterokategorischen Teilen eine gegenseitige gedankliche Trennbarkeit, ist bei dem Verhältnis des sekundären oder inneren Bewußtsein zum primären nach MARTY auch jede gedankliche Trennung unmöglich (vgl. schon "Kasusbuch", Seite 93); jedes Bewußtsein ist notwendig ein Selbstvorstellen.

Das innere Bewußtsein ist kein logischer Teil einerseits des Hörens, andererseits des Sehens, sonst würde sich nicht erklären, wie wir ein Bewußtsein davon haben, daß wir sehend und hörend sind. Es könnte nicht in ein einheitliches Bewußtsein fallen; wenn aber, dann muß das innere Bewußtsein ein logischer Teil einer Einheit sein, welche das gleichzeigite Sehen und Hören usw. umfaßt, und wenn dem so ist, so muß, wenn der Einzelzustand wechselt (z. B. das Sehen), der Gesamtzustand wechseln, weil er jederzeit eine Einheit bildet. Es findet daher in uns mit dem Wechsel der Einzelzustände ein beständiger Wechsel des Gesamtzustandes statt.

Wenn z. B. das Hören fortzudauern scheint, während das Sehen aufhört, so ist das ein Schein; es dauert nicht das identische Hören fort, sondern ein Äquivalent (36). Es gibt hier nur einen Entfall mit Äquivalenz. Ferner ergibt sich, daß niemals ein psychischer Zustand eine für den anderen wirkende Ursache sein kann, da Wirkendes und Gewirktes eine Zeitlang zugleich sein müssen; psychische Zustände können zueinander nur im Verhältnis einer materialen Ursache stehen.

MARTY würde heute seine diesbezügliche Kritik der JAMES'schen Lehre so formulieren, daß er sagt: es finden sich Wechsel des menschlichen Bewußtseins niemals zwei real gleiche Akte, wohl aber völlig gleiche Beziehungsweisen innerhalb der real verschiedenen Akteinheiten.

Jenes innere oder sekundäre Bewußtsein ist, nach MARTY, nicht, wie BRENTANO lehrt, ein Wahrnehmen im Sinne eines evidenten Urteils, sondern eine untrügliche Anschauungsvorstellung; untrüglich in dem Sinne, daß sie uns nichts vortäuscht, was im wirklichen Gegenstand nicht vorhanden ist. In diesem Sinne ist sie untrügich und daher kann das anerkennende und prädikative Urteil (37), das sich auf das in dieser Anschauung gegebene bezieht, evident sein.

Es ist aber auch möglich und nach dieser Auffassung erklärlich, daß wir in Bezug auf unsere psychischen Vorgänge Täuschungen unterworfen sind, wenn wir sie zu deuten versuchen.

30. Im innigsten Zusammenhang mit der Lehre von Zeit und Raum, stehen die Betrachtungen, die nun angestellt werden über die Teile der eigenartigen, notwendigen und unbedingten Kontinuen. MARTY nennt sie sich berührende logische Teile;- logisch darum, weil auch hier nur von gedanklichen Teilen die Rede sein kann. Streng genommen ist nur das Zeitkontinuum in seinem Bestand unbedingt; während der Raum und etwaige Topoide zwar sachlich unbedingt sind, d. h. keines anderen Kontinuums zur Entfaltung der Unendlichkeit ihrer Spezies bedürfen, aber doch ihrem Sein nach - eben von der Zeit - bedingt sind.

Notwendige Kontinua nennt MARTY solche, deren Spezies nur als Elemente in einem Kontinuum von soviel Dimensionen existieren können, als der Gattung eigentümlich sind. Das Ganze ist hier der Natur nach früher als die Teile und diese sind nur in und mit dem Ganzen, ohne sachliche Trennbarkeit. Nicht nur Punkt, Linie, Fläche können nicht für sich existieren, auch ein begrenztes Stück Raum ist unmöglich; denn seine Grenzen wären ja solche Spezies, die nicht bloß als Elemente in einem Kontinuum existieren. Daher ist der Raum nicht nur schlechthin unendlich, sondern auch schlechthin ungekrümmt. Würde es ja sonst Spezies geben, die in irgendwelchen Richtungen nicht Elemente eines dreidimensionalen Kontinuums wären. Analoges gilt mutatis mutandis [und denselben Voraussetzungen - wp] von der Zeit.

Ein Verhältnis besonderer Art ist hier der eigentümliche, nur mit Hilfe der Anschauung zu klärende Zusammenhang mit allen anderen in dieser Gattung überhaupt möglichen Spezies, so daß die Elemente differierende Spezies einer lückenlosen, überall dichten unendlichen Mannigfaltigkeit (nicht einer Menge!) sind.

Andere Arten von Kontinuis sind die durch Teilnahme an einem eigenartigen notwendigen Kontinuum. Im Hinblick auf die Existenz ist ein notwendiges Kontinuum durch Teilnahme alles, was ist. Daneben gibt es Kontinua durch Teilnahme, wobei diese zur Essenz der betreffenden Gegenstände gehört; so die Partizipation der körperlichen Ausdehnung am Ortskontinuum.

Bei dem Kontinuum, das zwar notwendig, aber nur durch die Teilnahme an einem unbedingten ein solches ist, begegnet uns nun der Begriff eines neuen Verhältnisses, jener der Grenze und des Begrenzten, wobei Grenze = diejenigen Spezies in einem solchen Kontinuum, welche die in einer gewissen Richtung letzten sind; nicht passend nennt man so auch die Elemente eines notwendigen und unbedingten Kontinuums. (Hier ist auch der Ort, wo über den Begriff der Gestalt = ein Kontinuum von Grenzen zu reden ist.)

Es folgt nun näheres über das Verhältnis der Teilnahme oder des Bedingtseins.

Die Zeit ist - wie wir wissen - auch ihrem Bestand nach ein unbedingtes Kontinuum; ja sie ist in gewissem Sinn das Sein oder der Bestand (38), an dem alles andere Teil hat. Der Raum ist seinem Sein und Bestand nach durch die Zeit bedingt.

Wo ein Kontinuum durch ein anderes bedingt ist, dort spricht man von Erfüllung. Das Erfüllende ist das Kontinuum durch Teilnahme. Wir haben hier eine Relation sui generis [aus sich selbst heraus - wp] vor uns; ein superponiertes Kontinuum; das Erfüllende kann nicht sein ohne das Erfüllte; wohl aber dieses ohne jenes.

Ohne daß wir auf die anderen Klassen von Relationen hier näher eingehen, sei noch bemerkt, daß die Relationen Inhärentien im weiteren Sinn genannt werden können, weil ihr Verhältnis zu dem, was in Relation steht, darin dem von Akzidens zu Substanz gleicht, daß die Relation entfallen kann, während der eine oder der andere Träger verharrt.

Daß es Verhältnisse von Verhältnissen gibt und Relationen unter sich ein Kontinuum bilden können (Gestalten und Bewegungen), sei nur kurz erwähnt.

Im Anschluß an diese Ausführungen wird noch einiges über die Axiome der notwendigen Verknüpfung nachgetragen, die sich ja großenteils auf Relationen beziehen.

31. Nach den imperzeptiven und komperzeptiven Begriffen werden die Reflexionsbegriffe untersucht. Es handelt sich um das Erfassen der Begriffe, die wir von dem gewinnen, was als Korrelat oder als relative Bestimmung unserem psychischen Verhalten gegenübersteht. Um Begriffe wie tatsächlich, nicht-tatsächlich, aktuell, nicht-aktuell, notwendig, gut, schlecht, vorzüglich und dgl. Die Annahmenlehre MEINONGs, seine Lehre von den Objektiven, die wir angeblich erfassen ohne Vorstellungen von ihnen zu haben, wird hier nochmals zur Sprache gebracht; auch die Einwendungen, die BRENTANO gegen die Inhalte vorgebracht hat, werden hier berücksichtigt, und der Vorwurf, daß sie Fiktionen und überflüssig sind, abgewehrt. Hierbei wird auf die Äquivalenzaxiome und die Zeitlehre zurückgegriffen. Nicht unwichtig ist der Hinweis auf einen vorkritischen bzw. unkritischen Seinsbegriff: während der kritische die Scheidung von Anerkannt und Anerkennungswürdig (= mit Recht anerkennbar) voraussetzt, hat das vorkritische Stadium des Denkens sie noch nicht vollzogen und nennt seiend alles, was es glaubt, und wovon es gewohnheitsmäßig annimmt, daß andere es glauben. Hinsichtlich des Wertbegrifs gilt Analoges. - Alle diese Untersuchungen sind für die Urteilskritik (39) bedeutsam.

32. Hieran reiht sich nun III. Die Fortsetzung der Lehre von der Prädikation.

Neben dem thetischen gibt es, wie wir wissen, einen synthetischen Modus des Urteilens; man spricht hier auch von kategorischen oder prädikativen Urteilen. Das Subjekt eines solchen synthetischen Urteils ist selbst ein Urteil, und zwar ein einfaches Für-Aktuell- oder Für-Inaktuellnehmen (A ist oder war).

Die Anlässe zu derartigen berechtigten synthetischen Urteilen sind die mannigfachen Teilverhältnisse: Inhärenz, Koinheränz mit Juxtaposition und mit Superposition usw.

Ohne auf Einzelheiten einzugehen, sei lediglich zusammenfassend festgestellt: Der wahre Sinn jeder Prädikation scheint MARTY darin zu liegen, daß ein Ganzes bald mehr bald weniger bestimmt und vollständig aufgefaßt und in dieser Auffassung und Setzung mit sich selbst identifiziert wird, wobei dieses Identischsetzen ebenso wie das Setzen ein Modus des Urteilens, nur beide in eigentümlicher Weise verschiedene Modi des Urteilens sind, wie auch objektiv dem einen das simple Sein, dem anderen ein So-Sein als Korrelat entspricht.

Der Sinn der Prädikation ist demzufolge immer derselbe und es gibt keine Mehrheit synthetischer Urteilsmodi. Allerdings hat MARTY späterhin die Frage, ob es nicht doch etwas wie eine ordinative Synthese gibt, aufgeworfen und war geneigt, sie bejahend zu beantworten, ohne jedoch diese Antwort in das Buch zu verarbeiten. Ebenso trat die Frage, ob es neben dem Zuerkennen ein Aberkennen gibt, wieder an ihn heran, und er erwog vom Standpunkt seiner Äquivalenzlehre das Für und Wider auf das Sorgfältigste.

Endlich schien ihm die Existenz apodiktischer Prädikationen gewiß zu sein. Es ist zwar unmöglich, daß A B ist, ohne daß A ist; aber es ist ganz gut möglich, daß das B-sein von A uns mit begreifender Evidenz einleuchtet, während das Sein von A zwar als gewiß einleuchtet, aber nicht apodiktisch evident ist. (40)

33. Der IV. Abschnitt ist die Fortsetzung des II. und handelt über die prädikative oder attributive Vorstellungsverbindung; Sie kann nur dadurch erläutert werden, daß man sagt, sie sei diejenige Begriffsverbindung, die bedeutet, daß von dem so Verknüpften das Eine das Andere ist.

Für derartige zusammengesetzte Begriffe, die häufig vorkommen, bildet die Sprache in der Regel einen einfachen Namen. Durch die Einfachheit des Namens irre geleitet, hat man den zusammengesetzten Charakter dieser Begriffe vielfach übersehen; außer zu anderen Irrtümern, die als solche expliziert werden, hat man sich auch zu dem Fehler verleiten lassen, bei der Angabe über die Stufenfolge in der Gewinnung allgemeiner Begriffe, das, was von der einfachen elementaren Abstraktion gilt, auf die Gewinnung von Begriffen durch Synthese und Bereicherung bzw. durch die Entleerung oder Weglassung von Merkmalen, mit Unrecht, zu übertragen. Bei der einfachen Abstraktion wird der weniger allgemeine Begriff, z. B. Rotes, früher gewonnen als der allgemeinere, z. B. Farbiges oder Qualitatives. Wie soll dagegen der komplexe eigentliche Begriff "Pferd" oder "Hund" gewonnen werden, ehe man den relativ einfacheren Begriff "Tier" hat, da jener diesen explizit als Merkmal oder Element enthält? (41) Hier fallen auch interessante Streiflichter auf KANTs Lehre vom "analytischen Urteil" und seine Fehlgriffe in der Wahl der Beispiele solcher Sätze, wo das Prädikat im Subjekt versteckt enthalten sein soll. (42)

Die Ausführungen dieses Kapitels, sowie des vorhergehenden und nachfolgenden, sind auch für die allgemeine Grammatik von Belang. Viele umlaufende Dogmen werden kritisch beleuchtet und abgetan.

34. Als letztes (V.) Kapitel wirft eine "Revision" nochmals gewisse wichtige Fragen auf: so, ob es etwa doch Vorstellungsmodi gebe? Ein Problem, das schon im ersten Band berührt und negativ beantwortet wurde.

Weiterhin erstreckt sich die Revision auf die Frage, ob noch andere Unterschiede auf dem Gebiet des Urteils bestehen, als die angeführten? KANTs limitative Urteile werden in dieser Richtung geprüft; ebenso die hypothetischen und disjunktiven Formeln. Bei der Kritik der "problematischen" Urteile KANTs kommt auch das Wahrscheinlichkeitsurteil zur Sprache.

Hier hält MARTY dafür, daß die Laplace'sche Definition der Wahrscheinlichkeit dahin zu interpretieren ist, daß das wissenschaftliche Wahrscheinlichkeitsurteil der Ausfluß ist, teils unseres Wissens über die objektive Sachlage, teils unseres Wissens von der Beschränktheit dieses Wissens.

Und das Wissen von der Beschränktheit dieses Wissens unter den gegebenen Umständen kann ebenso evident und darum Grundlage wissenschaftlicher Berechnungen sein wie jenes beschränkte, auf den objektiven Sachverhalt bezügliche Wissen selbst.

Bei der Bestimmung der "gleichmöglichen Fälle" bedient sich MARTY der Wendung zu sagen: Gleichmöglich sind Fälle, von denen wir, soweit die Gründe uns bekannt sind, wissen, daß sie gleich begründet sind; und soweit die Gründe nicht bekannt sind oder als nicht bekannt vorausgesetzt werden, es sicher ist, daß wir sie auch in gleicher Weise nicht in Rechnung stellen.

Schließlich wird die Frage aufgeworfen, ob es außer der prädikativen Synthese noch andere Einheitsfunktionen auf dem Gebiet des Urteils gibt. Hier hätte sich wohl eine nachträgliche Änderung als nötig erwiesen; denn in seinen letzten Aufzeichnungen und Unterredungen über dieses Problem neigte MARTY dazu, neben der attributiven Synthese eine ordinative (43) anzuerkennen; während jene beifägt, fügt diese hinzu.

Nach meinen Aufzeichnungen ist er, einer Aporie Rechnung tragend, zu der Ansicht gelangt, daß wir wohl den Begriff des Kollektivs oder der Menge durch Komperzeption gewinnen, aber nicht den Begriff der geordneten Menge. Hier sei vielmehr eine besondere Gedankenform im Spiel; KANT hat da etwas Richtiges gesehen (was aber gerade vielfach abgelehnt wird): jene Art der Ordnung braucht ein Prinzip, und dieses ist das Zählen. Die Sprache hat hier ganz das Richtige gefunden, indem sie das Erste und Früheste identifiziert. Das Kollektiv ist ungeordnet; einer Ordnung des Kollektivs können wir nicht anders habhaft werden als durch das Zählen, das mit der Zeit zusammenhängt. Die Ordnungszahlen sind das Mittel, um die Kardinalzahl zu bestimmen. 12 = 7 + 5 ist in der Tat nicht bloß auf den Satz des Widerspruchs zurückzuführen. Axiome der Äquivalenz und der notwendigen Verknüpfung spielen herein.

35. Wie schon erwähnt, hat sich MARTY schon seit der Abfassung des ersten Bandes in manchen fundamentalen Fragen von den Theorien seines Lehrers BRENTANO entfernt.

Bei einigen Fragen wäre es richtiger zu sagen, daß BRENTANO selbst von seinen früheren Auffassungen abgekommen ist und MARTY sich an diesen festhaltend den Neuerungen nicht anzuschließen vermochte.

Es sind dies vor allem jene Sätze, von denen BRENTANO in seiner 1911 erschienenen Schrift "Von der Klassifikation psychischer Phänomene" erklärt, daß sie zwar nach seiner Überzeugung nicht psychologistisch sind, aber daß doch für manche die Versuchung vorliegt irrtümlich zu glauben, sie müßten in ihren Folgerungen zum Psychologismus führen, ich meine die Leugnung der Inhalte, der ewigen Wahrheiten, der entia rationis, und die Behauptung, daß es nur Reales gibt, daß außerhalb des Geistes nichts den Worten Nichtsein, Unmöglichkeit, Gewesensein, Zukünftigsein usw. entspricht.

Und so könnte noch mancher wichtige Punkt namhaft gemacht werden, in welchem BRENTANO frühere Lehren änderte, ohne daß ihm MARTY hier Gefolgschaft geleistet hat. Einiges hiervor wurde oben gestreift.

In anderen Fragen wiederum hat MARTY seinerseits im Laufe der Zeit andere Antworten gefunden als die, welche er früher mit BRENTANO für richtig hielt. So besonders in der Urteilslehre, wo er im Zusammenhang mit seiner neuen Lehre vom Zeitbewußtsein nicht zwei, sondern drei Modi lehrt, und noch in manchen anderen Teilen der Lehre von der Entstehung der Begriffe, der Axiomatik usw.

Überhaupt ist zum Verständnis des Verhältnisses zwischen BRENTANO und MARTY zu beachten, daß MARTY sein ganzes Leben lang in stetem Gedankenaustausch mit BRENTANO gestanden ist; es ist nur natürlich, daß er in früheren Jahren im Wesentlichen der empfangene Teil gewesen ist.

Obwohl aber MARTY in BRENTANO jederzeit den überlegenen Denker anerkannt hat, ist es dennoch im Laufe der Zeit zu wesentlichen Differenzen in wissenschaftlichen Fragen gekommen, die in einem jahrelangen, mitunter höchst intensiven Briefwechsel diskutiert wurden. Den Standpunkt, zu dem BRENTANO gelangt ist, hat er in einem Anhang zur "Klassifikation der psychischen Phänomene" und in gewissen Äußerungen des Werkes "Aristoteles und seine Weltanschauung" der Öffentlichkeit, wenn auch nur sehr skizzenhaft, vorgelegt. Zum guten Teil ist er aus der Polemik MARTYs zu entnehmen.

Die Veröffentlichung zahlreicher ungedruckter Abhandlungen BRENTANOs und des regen Briefwechseln, der die strittigen Fragen erörtert, würde der philosophischen Wissenschaft einen unschätzbaren Dienst erweisen.

MARTYs Lebenswerk ist unlöslich mit dem Brentanos verknüpft; wo er ihm zustimmte, hat er die Positionen seines Lehrers mit neuen Gründen zu stützen, gegen Angriffe der Gegner zu verteidigen verstanden; wo er von ihm abwicht, hat er mit doppelter Sorgfalt jede Einzelheit erwogen, die für die Sätze seines Lehrers und Freundes sprechen, und hat es sich, wie HUSSERL (44) bemerkt, zur Maxime gemacht, nur "im äußersten Notfall" von ihm abzuweichen.

MARTY hat gerne zugegeben, aß er so vorgegangen ist und ein anderes Vorgehen für ein leichtsinniges Aufgeben eines bewährten Lehrgutes gehalten hätte.

Trotzdem kam es zu wissenschaftlichen Unstimmigkeiten. Die wesentlichste Differenz ist mit einer entsprechenden Verschiebung des Streitpunktes die gleiche wie zwischen PLATON und ARISTOTELES: nur daß es hier der Lehrer ist, der gegen den einstigen Schüler den Vorwurf einer unhalbaren Hypostasierung [Vergegenständlichung - wp] und Substanziierung - eines platonischen Realismus - erhebt.

Es gibt nach BRENTANO keinen leeren Raum, keine leere Zeit; die Worte Sein und Nichtsein, Unmöglichkeit, Notwendigkeit bedeuten ihm nunmehr keine Begriffe, sondern Fiktionen. Es gibt keine ewigen Wahrheiten im Sinne von ewigen Sachverhalten oder Inhalten, keine entia rationis.

Und auch darin darf ich das Verhältnis der beiden Forscher jenem ihrer großen antiken Vorbilder ähnlich nennen, daß es in keiner Weise dadurch getrübt wurde, daß die Wahrheit jedem von ihnen die teuerste Freundin geblieben ist. Das Band, das sie einte, war die gemeinsame Liebe zur Philosophie, deren erhabenste Wahrheiten ihnen zur unterschütterlichen Überzeugung geworden sind: Die Notwendigkeit allen Seins und Geschehens; die aus der empirisch feststellbaren Existenz von bedingt-notwendigen Realitäten gesicherte Existenz eines realen unbedingt-notwendigen Prinzips, dessen unendlich vollkommene Wesenheit sich als Folge seines schöpferischen Charakters ergibt. Im Zusammenhang damit eine optimistische Weltanschauung, die den Determinations- und Entwicklungsprozeß des Universums als Fortschritt über jedes endliche Maß des Guten hinaus betrachten darf. Die Eingliederung der psychischen, dem Gesetz der allgemeinen Notwendigkeit und der Unzerstörbarkeit unterworfenen Substanz in diesen unendlichen Prozeß. Die Existenz und die Erreichbarkeit objektiver Werte und Vorzüge, die, wie Vorstellungsbereicherung, Erkenntnis, edle Gemütstätigkeit, sämtlich dem Gebiet des Bewußtseins angehören und der Forderung, das Beste unter dem Erreichbaren anzustreben, ihren materiellen Inhalt verleihen, so das Streben jedes Einzelnen rechtfertigend, selbst einen möglichst wertvollen werktätigen Anteil am unendlichen Entwicklungsgang des Universums zu nehmen und durch eine Festigung edelgerichteter seelischer Dispositionen über dieses Leben hinaus, für die Bahn eines künftigen mitbestimmend zu werden.

LITERATUR: Anton Marty, Gesammelte Schriften, Bd. 1, Halle a. d. Saale, 1916
    Anmerkungen
    19) Früher ließ MARTY den Begriff des Realen mit BRENTANO aus der Anschauung durch Imperzeption gewonnen sein; "wirkungsfähig" wäre danach nur ein proprium [spezifisches Merkmal - wp] des Realen.
    20) Diesen Weg hatte in geistvoller Weise BRENTANO eingeschlagen.
    21) Körper ist also nach MARTY = Qualitatives-Quantitatives (oder Qualitativ-Massiges oder Qualitativ-Ausgedehntes). Der Begriff ist aus unserer Raumanschauung gewonnen. Denn der phänomenale Raum variiert nach Qualität und Quantität. Nicht variieren Qualität und Ort, es wechselt vielmehr ein Quantitatives seine Qualität und ein Qualitatives seine Quantität. Nur ist diese Variation nicht möglich ohne irgendeine örtliche; dagegen ist umgekehrt eine örtliche möglich ohne eine quantitative. Das hängt damit zusammen, daß dem Ort eine Art Selbständigkeit gegenüber dem Körperlichen zukommt und dieses zu jenem in einer ganz eigentümlichen Relation sui generis [aus sich selbst heraus - wp] steht.
    22) vgl. weiter unten § 27.
    23) Aus dem relativen Mangel literarischer Polemik darf man nicht auf die Vernachlässigung der Literatur schließen; MARTYs schriftlicher Nachlaß beweist vielmehr auch hier sorgsame Studien; doch fühlte er in den letzten Jahren die Notwendigkeit, weniger auf Widerlegung als auf Darlegung bedacht zu sein.
    24) BRENTANO, Von der Klassifikation der psychischen Phänomen, Leipzig 1911.
    25) Zeitschrift für Psychologie, Bd. 55. Diese Streitschrift MARTYs aus dem Jahre 1910 hat allerdings hauptsächlich den Zweck, auf Mißverstand und unvollständiger Kenntnisnahme beruhende Entstellungen MARTYscher Sätze abzuwehren und die spekulative Methode des CROCE-Schülers VOSSLER, der "die Spekulation in Italien wieder zu uns importieren" will, mitsamt seiner ästhetischen Sprachbetrachtung zurückzuweisen.
    26) Um dem sprachwissenschaftlich interessierten Leser eine Probe von der Art und Weise zu geben, in der MARTY diese Probleme behandelt, sei hier ein Brief (aus dem Januar 1911) wiedergegeben, in dem MARTY der Anfrage eines Sprachforschers entsprechend, seine Ansichten über das, was zu unentbehrlichen Bestandteilen unseres Gedankenausdruckes gehört, mitteilt, und der in gedrängtester Form eine Fülle wichtiger Gedanken enthält: "Was Ihre Fragen betrifft, so möchte ich sie dahin beantworten, daß meines Erachtesn dasjenige, was man Konjugation, Partizip und überhaupt Verbum nennt und Verbalformen, nichts ist, was jeder Sprache zukommen müßte, und daß darum die besondere Gestaltung und mehr oder weniger allseitige Ausgestaltung dieser Gebilde etwas ist, was der Sprachgeschichte und dem speziellen Studium der verschiedenen Sprachformen angehört. - - - Zum Ausdruck unserer Gedanken (von den Emotionen sehe ich hier ab) gehört inhaltlich: 1. Ein entsprechender Vorrat an Ausdrücken für unsere Begriffe, darunter auch für die Begriffe von Relationen, wozu auch die des Tuns und Leidens gehören, deren Ausdruck unter Umständen die Formen des sogenannten Partizips hat. Aber weder brauchen notwendig diese Begriffe die Partizipialform zu haben, noch haben die sogenannten Partizipien immer jene Bedeutung. Sie sind (in vielen Fällen) zwar Namen, d. h. der Ausdruck von Begriffen, aber nicht von solchen des Tuns oder Leidens (und sind die betreffenden Vorstellungen nur begleitende Bilder der inneren Sprachform); und manchmal ist sogar ein sogenanntes Partizip auch gar kein Name, sondern ein synsemantischer Ausdruck - so "geliebt" in der Wendung "ich habe geliebt" (d. h. ich bin ein liebend Gewesener). 2. Außer den Namen bedarf es zum Ausdruck meiner Gedanken auch der Zeichen für das (bejahende und verneinende) Urteilen. 3. Endlich bedürfen wir Ausdrücke für das zeitliche Moment und, da das Zeitbewußtsein eine doppelte Komponente enthält, wovon eine dem Vorstellen, die andere dem urteilenden Verhalten als solchem angehört (diese Lehre, die ganz neu ist, werde ich in meiner nächsten Publikation ausführen), so wird auch der Zeitausdruck teilweise Vorstellungs- und teilweise Urteilsausdruck sein, und aus dem letzteren Grund wird er ins Verb aufgenommen, das ja hauptsächlich zum Ausdruck des Urteils dient. (Vom Imperativ sehe ich ab; ich rechne ihn, da er kein Urteilsausdruck, sondern als Ausdruck von Gefühl und Willen dient, nicht den eigentlichen Verbalformen zu); genauer gesagt: im Verbum und seinen Konjugationsformen, außer dem Imperativ, haben wir Sprachmittel vor uns, worin der Ausdruck für alle oben angeführten Gedankeninhalte in eigentümlicher Weise verflochten und verschmolzen ist, nur mehr oder weniger innig, je nachdem die Konjugation mehr analytisch oder synthetisch gebildet ist. Aber diese Verschmelzung des Ausdrucks jener verschiedenen Gedankenelemente, die eine Eigentümlichkeit des Verbums und der eigentlichen Verbalformen ausmacht, ist nichts für die menschliche Sprache Notwendiges. Sie kann auch ausbleiben. Dazu kommt, daß sich jenen Bedeutungselementen der Verbalformen noch Vorstellungen der inneren Sprachformen zugesellen, nämlich diejenigen des Tuns oder Leidens, die ja gar nicht immer Sache der Bedeutung sind. Was das sogenannte Verbum activum bedeutet, ist gar nicht immer ein Tun, was das Passivum, nicht immer ein Leiden. Oft sind dies nur Bilder, bildliche Auffassungen der wahren Vorgänge, die gemeint sind. So ist dann das Verb und seine Konjugationsformen keine rein semantische Kategorie, sondern eine solche, bei welchen Besonderheiten der äußeren und inneren Sprachform stark mitspielen. Seine Ausgestaltung kann demgemäß auch nur aus der deskriptiven und genetischen Erforschung der einzelnen Sprachen und Sprachfamilien voll begriffen werden. Das Partizip hat, wenn es nicht vermöge eines stark äquivoken Gebrauchs bloß synsemantisch fungiert, seiner Bedeutung nach die Rolle eines Adjektivs, also eines bloßen Begriffsausdrucks, der aber in Anlehnung an die eigentlichen Verbalformen (die zugleich dem Ausdruck des Urteils dienen) entstanden ist und meines Erachtens nur in diesem Zusammenhang zu begreifen ist. - - - Daß, wie Sie schreiben, in einigen südkaukasischen Sprachen das Partizip Präsens act. gleich ist der 3. Pers. Sg. pr., wäre - wenn ich recht verstehe - so, wie wenn wir statt "er geht" sagen würden "gehend" oder umgekehrt statt "gehend" - "er geht"; im ersten Fall wird, was eigentlich ein bloßer Vorstellungsausdruck ist, durch einen Funktionswechsel auch zum Ausdruck eines Urteils gemacht. Im anderen Fall geht der umgekehrte Funktionswechsel vor sich. Analoges kommt aber meines Erachtens in der Sprache häufig vor. Und wenn ein Ausdruck, der nur für die 3. Person gebildet erscheint, auch für die 1. und 2. fungiert, so erinnter auch das an das tschechische Reflexiv, wo statt "ich liebe mich", "du liebst dich" gesagt wird "ich liebe sich", "du liebst sich". Die 3. Person gelangt eben am häufigsten zur Bezeichnung, und gerne geschieht es, daß der Ausdruck für das, was am häufigsten bezeichnet wird, durch Übertragung Alleinherrschaft gewinnt. - - - So wird ja auch, weil das Subjekt der Prädikation besonders häufig ein Ding (eine Substanz) ist, der Ausdruck Subjekt allgemein zum "Substantiv" gestempelt, obschon er nicht immer, sondern nur in der dominierenden Zahl der Fälle wirklich eine Substanz bedeutet. Das ist es, was ich etwa Sicheres zu Ihren Fragen sagen zu können meine. Befriedigendes darüber in der Literatur ist mir nicht bekannt. Es ist eben eine klare Unterscheidung zwischen dem, was bei unseren Sprachmitteln Sache der Bedeutung ist, und dem, was nur zu den Eigentümlichkeiten der äußeren und inneren Sprachform gehört (und die Erkenntnis, daß auch die letztere kein Stück des Bezeichneten ist, sondern die dahin gehörigen Vorstellungen und Bilder selbst nur ein eigentümliches Bezeichnungsmittel sind), noch nicht genügend durchgedrungen, weder bei den Sprachphilosophen noch bei den Sprachhistorikern. Und docht ist eine scharfe Scheidung meines Erachtens die unerbittliche Bedingung für eine klare Beantwortung Ihrer und aller ähnlichen (die sogenannten grammatischen Kategorien) betreffenden Fragen."
    27) Was den Urteilsausdruck anlangt, so wäre hervorzuheben, daß von der Qualität in der Sprache nur das Bejahen und Verneinen zum Ausdruck gelangt. Dagegen nicht der Inaktualitätsmodus. Denn unser Inaktualitätsmodus ist immer nur anschaulich, wie die Empfindung selbst, und ist daher nicht mitteilbar; ebensowenig wie etwa die Evidenz, die imfolgenden Kapitel besprochen wird.
    28) Obwohl die Evidenz sprachlich nicht mitteilbar ist, müßte eine szientifische Idealsprache sie durch ein Zeichen ausdrücken. Ein besonderes Kapital bespricht die falschen Auffassungen von Evidenz und die Frage, wie Täuschungen über Evidenz möglich sind.
    29) Man erwäge z. B., daß sich nun mit aller Klarheit ergibt, daß die Begriffe "notwendig" und "bedingt" zwei ganz verschiedene Begriffe sind; notwendig ist ein Reflexionsbegriff, bedingt ist durch Komperzeption gewonnen; es ist also ganz verfehlt, wenn manche, wie SCHOPENHAUER und KANT selbst, nichts als notwendig gelten lassen wollen, was nicht bedingt ist.
    30) Daraus, daß es noch andere Axiome gibt außer dem Satz des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten, erklärt sich, daß es mehrere widerspruchslose Geometrien geben kann. Man abstrahiert eben von gewissen Einsichten.
    31) vgl. hierüber OSKAR KRAUS, Die Grundlagen der Werttheorie, in Jahrbücher der Philsophie, Bd. 2, 1914
    32) Vgl. KANTs Zeitaxiome: "Verschiedene Zeiten können nicht zugleich sein." "Die Zeit ist nicht umkehrbar"; das letztere ist nicht bloß empirisch und das erstere nicht eine Tautologie, wie WUNDT, bzw. KÜLPE glauben.
    33) Grundaxiom ist der Satz des Widerspruchs, wenn man ihm die Fassung gibt, daß man über denselben Sachverhalt nicht in entgegengesetzter Weise richtig urteilen kann; die Frage, ob wir apriori etwas darüber erkennen können, wann derselbe Sachverhalt gegeben ist, beantworten die Äquivalenzaxiome.
    34) Über die Rolle, die die Anschauung als genetisch-primitivste Vorstellung in unserem Denken spielt, hat MARTY eine gesonderte Abhandlung geplant.
    35) Stellt man Begriffe von Absolutem solchen von Relativem gegenüber, so kann "absolut" nur einen negativen Sinn haben und = "nicht relativ" bedeuten.
    36) Ein psychischer Zustand ist dann äquivalent einem anderen, wenn er in Bezug auf die Adäquationsmögichkeit und Wirklichkeit dasselbe leistet.
    37) Auch apodiktische Prädikationen, die sich auf den Gegenstand einer untrüglichen Anschauungsvorstellung beziehen, sind nicht selten.
    38) Das Sein ist die punktuelle Gegenwart; zum Bestand gehört auch die alterierte Tatsächlichkeit.
    39) Den Ausdruck Erkenntniskritik hielt MARTY für unpassend, weil Erkenntnis als evidentes, als richtig sich kundgebendes Urteil keiner Kritik unterworfen ist; die Urteilskritik vollzieht sich in der Evidenz des Urteils.
    40) Dies ist der Fall bei evidenten Prädikationen der "inneren Wahrnehmung". Daß ich mich jetzt als Urteilender erfasse, ist assertorisch gewiß; daß ich als Urteilender ein Vorstellender bin, apodiktisch.
    41) vgl. Untersuchungen I, Seite 727
    42) Vgl. ALFRED KASTIL, Jakob Fries' Lehre von der unmittelbaren Erkenntnis, Göttingen 1912
    43) Es sei mir hier gestattet, daran zu erinnern, daß MARTY und vor ihm BRENTANO das synthetische Urteil gegenüber dem schlicht thetischen mit em vorziehenden Werten gegenüber dem schlichten Werten zu vergleichen pflegen. Dieser Vergleich scheint mir erst bei der ordinativen Synthese vollkommen zuzutreffen; wie durch das Vorziehen der Begriff des Mehrwertes (Vorzugs) gewonnen wird, so durch das Mehrurteil (das Hinzufügen) wohl der Begriff des arithmetischen Plus (vgl. Untersuchungen I, Seite 446).
    44) Deutsche Literaturzeitung, 1910, Nr. 18