ra-2R. StolzmannBöhm-BawerkN. Bucharinvon Wieser    
 
RUDOLF STOLZMANN
Die Kritik des Objektivismus
[1/3]

"Die Objektivisten nehmen ihren Ausgang nicht wie die Subjektivisten von der Nachfrage-, sondern von der Produktions- und Angebotsseite; nicht die Wertschätzungen der Konsumenten an den fertigen Genußmitteln, sondern die Kosten der Hervorbringung stehen am Anfang der Kausalkette. Der Nutzen der Güter ist, wie Ricardo sagt, eine unumgängliche Bedingung, aber er bildet nicht den Maßstab des Tauschwerts."

"Man beobachtete nur, wie die Mehrzahl aller Menschen sich im Rahmen einer eng begrenzten technischen Tätigkeit abplagt. Es schien das Ziel der Wirtschaft, nur die Produktion zu sein. Der Wirtschaftserfolg schien auf die drei Produktionsfaktoren ursächlich zurückgeführt zu sein, die Objektivisten behielten recht, und die objektivistische Zurechnungslehre war fertig."

"Wenn bei einem Jägervolk das Erlangen eines Bibers zweimal soviel Arbeit kostet als das Erlangen eines Hirsches, so wird ein Biber natürlich gegen zwei Hirsche vertauscht werden, oder zwei Hirsche wert sein. Sie haben das in ihrem praktischen Sinn ohne viel Angabe von Gründen einfach für  natürlich  und  sachgemäß  gehalten."

"Weder die Kosten noch der Nutzen allein geben den  Ursprung,  die Quelle des Wertes. Die beherrschende Wertidee kommt erst aus dem sozialen Gefüge. Weder die Kosten noch der Nutzen sind die ursprünglichen Wertbildner, die Kausalbetrachtung versagt, Kosten und Nutzen stehen unter der Herrschaft des Zweckgedankens, im logisch untrennbaren Verhältnis von Mittel und  Zweck."

"Wie man einen Menschen nicht anteilsmäßig auf den Vater oder die Mutter zurückführen kann, so kenne ich kenne keine natürlich technische Zurechnung, und halte auch den Begriff der wirtschaftlichen oder ökonomischen Zurechnung für nichtssagend. Es gibt nur die ausschließende Alternative: natur ökonomisch oder sozial ökonomisch. Ein Drittes gibt es nicht. Da die naturökonomische Zurechnung nicht zum Ziel führt, bleibt nur die sozialökonomische."

"Alle diese Schulen wollten das Unmögliche möglich machen und aus der Entstehung eines Gutes seinen Wert herleiten. Ein Unmögliches war es, weil es ein unlogisches Beginnen darstellte; denn der Wert ist, als Reflexionsbegriff, nicht auf die Genesis, auf die Vergangenheit, sondern auf ein zu Erreichendes, nicht bloß auf die Mittel für etwas zu Erreichendes, sondern kurz: auf einen Zweck eingestellt, auf den er reflektiert. Die Frage ist nur, worauf er reflektiert. Nicht in einem Woher?, sondern in einem Wohin?, einem Wozu? lag das zu lösende Problem."

Diese Abhandlung ist die Fortsetzung der im vorigen Band dieser Zeitschrift (Seite 145f) erschienenen "Kritik des Subjektivismus anhand der sozialorganischen Methode". Ich konnte sie in ihren Grundzügen noch vor dem jähen Ausbruch des Krieges, in der Muße meines Sommerurlaubs auf Helgoland, fertigstellen. Und wie sie noch im Frieden entstanden ist, so wird sie auch wohl erst im Frieden wieder ihre Leser finden. Denn unsere Besten sind im Feld und wir Daheimgebliebenen sind mit all unseren Gedanken und Hoffnungen bei ihnen. Aber weil unser aller Streben und Wirken auf den Krieg gerichtet ist, sind die folgenden Untersuchungen doch auch vielleicht gerade jetzt von Interesse. Die innigen Beziehungen zwischen Krieg und Volkswirtschaft treten mehr und mehr zutage.  "Kriegs bereitschaft" und wirtschaftliche Bereitschaft, die Organisationen des Krieges und die des Friedens bedingen einander. Der große Lehrmeister Krieg, wir empfinden es alle, ist nicht nur der beste Überwinder des einseitigen Subjektivismus, er lehrt uns auch, mehr wie alle Schulweisheit, die Zusammengehörigkeit und die höhere Einheit zu erkennen, die Individuum und Gesellschaft zusammenhält. Und dies ist eben auch unser Thema: die Versöhnung des Individual- und des Sozialprinzips in Krieg und Frieden. Von den Beziehungen zwischen Volkswirtschaft und  Krieg  wird an vielen Stellen, besonders am Schluß gehandelt.

Meine Abhandlung ist unter dem Eindruck noch eines anderen Ereignisses niedergeschrieben. Einer der Großen aus dem Reich unserer Wissenschaft ist inzwischen von uns geschieden, allzu früh: von BÖHM-BAWERK, dem unser voriger Aufsatz besonders galt, hat ihn nicht mehr gelesen. Ich kann sein Andenken nicht besser ehren, als wenn ich seine eigenen Worte aus einem im Jahr 1900 an mich gerichteten Brief hierher setze, die in ihrer schlichten Größe eine Grabschrift im Sinne GOETHEs sein könnten: Dieser ist ein Mensch gewesen und das heißt ein Kämpfer sein! von BÖHM-BAWERK schrieb:
    "Wir, die wir gewissermaßen Priester der Wahrheit sein wollen, haben eine Art tragischen Berufes. Wir müssen grausam sein und Grausamkeiten erdulden ... Sie haben, bei aller gütigen Wertschätzung, die Sie mir persönlich zollen, und für die ich Ihnen von ganzem Herzen dankbar bin, meinen Meinungen tapfer und streitbar zugesetzt, Sie haben mit Vorbedacht den Fleck gesucht, wo Sie etwa den kritischen Dolch in den Körper meiner Theorien hineinstoßen könnten, und Sie mußten als echter Priester der von Ihnen gesuchten Wahrheiten so tun. Ich muß es auch ... Aber hier zeigt sich das Grausam-Tragische unseres Berufes: den Personen könnten und würden wir gern etwas und sogar vieles nachsehen, der Lehre können wir nichts nachsehen ... Wir müssen beide unsere Sache der Mitwelt vortragen, und sie - oder vielleicht erst die Nachwelt - wird zwischen uns entscheiden. Ich greife Ihre Lehre - durchaus nicht Ihre von mir überaus hochgeschätzte Person - so wirksam an, als ich kann, und ich kenne Sie ... gut genug, um zu wissen, daß Sie mir dies nicht verübeln werden ..."
Schon am Ende seiner Vorrede zur dritten Auflage seines Hauptwerkes und vorher hatte BÖHM-BAWERK die Hoffnung ausgesprochen, Zeit und Kraft für eine selbständige Arbeit zu finden, in der er sich mit mir und der von mir vertretenen Richtung auseinandersetzen wollte, und ich war tief bewegt, als mir gleichsam als letztes Wort des Verewigten seine treue Lebensgefährtin den Abdruck eine Abhandlung aus der "Wiener Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung zuschickte (Jhg. 1914, Seite 205f), wo BÖHM-BAWERK sein Vorhaben vor seinem Tod noch verwirklicht hat: "Macht oder ökonomisches Gesetz?"

Ein weiteres Ereignis, das meine Arbeit angeht, ist das Erscheinen eines neuen Werkes von WIESERs: "Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft" im "Grundriß der Sozialökonomik", Tübingen 1914. Ich darf es wohl als ein "Ereignis" bezeichnen, denn hier wird erstmals - wenn ich von PHILIPPOVICH absehe - von subjektivistischer Seite aus ein großzügiger Versuch unternommen, im Weg einer "abnehmenden Abstraktion", wie es von WIESER ausdrückt, eine Brücke vom isolierenden und "idealisierenden" Subjektivismus zur vollen sozialen Wirklichkeit zu schlagen - ein neuer Beweis für die zunehmende Erkenntnis der Wichtigkeit unseres Themas.


1. Das Wesen des Objektivismus und die
klassische Arbeitskostenhypothese

Was ist der "Objektivismus"? Nach den Ergebnissen meiner vorigen Abhandlung (Kritik des Subjektivismus): ein  nom de guerre,  ein Schlagwort, das die Subjektivisten aus dem Begriffsschatz des definitionsfreudigen NEUMANN entnommen haben, um ihre "moderne" Lehre von der alten besser abzuheben. In der Sache verstehen sie unter Objektivismus nichts anderes als die sogenannte klassische Wertlehre, die von ADAM SMITH und RICARDO begründet und von JOHN STUART MILL ausgebaut ist, kurz die Lehre vom Kostenwert: der Wert wird durch die Kosten der Hervorbringung bestimmt, nach SMITH und RICARDO durch die Arbeitskosten, nach MILL durch die ihm Lohn ausgedrückte Arbeit und außerdem durch den Kapitalgewinn.

Umgekehrt also wie die Subjektivisten nehmen sie den Ausgang nicht von der Nachfrage-, sondern von der Produktions- und Angebotsseite; nicht die Wertschätzungen der Konsumenten an den fertigen Genußmitteln, sondern die Kosten der Hervorbringung "stehen am Anfang der Kausalkette". Der Nutzen der Güter ist, wie RICARDO sagt, eine unumgängliche  Bedingung,  aber er bildet nicht den  Maßstab  des Tauschwerts. Was aber beide Schulen gemeinsam haben, das ist die Kausalbetrachtung: Wir produzieren, sagen die Objektivisten, zwar zunächst nur Güter, aber mit ihnen ihren Wert, die Kosten sind die Ursache des Wertes. Das klingt auch dem Laien plausibel, und es trifft für diese Anschauung allgemein zu, was von BÖHM-BAWERK (Bd. I, Seite 167) über die Produktivitätstheorie in der  "Kapitalzinslehre"  sagt: es wäre fast ein Wunder gewesen, wenn man diese Theorie  nicht  aufgestellt hätte, sie ist wirklich die prädestinierte Theorie eines primitiven und halbreifen Zustandes der Wissenschaft,  elle n'a fait ici que copie la nature [Es wurde hier die Natur kopiert. - wp] (LEROY-BEAULIEU). Besonders lag sie einem Zeitalter nahe, wo zum Teil noch die Naturalwirtschaft vorherrschte, in der die Produktion als solche entscheidet. Aber auch heute noch lebt diese naive Anschauung mit ihrer beharrlichen Verwechslung von Stoff- und Wertproduktion im Volk fort, wie ich im "Zweck", Seite 505 und 531 in Anwendung auf die Freihandelslehre ausgeführt habe.
    Auch heute schildert uns  Liefmann  "Ertrag und Einkommen", 1907, Seite 43f, recht anschaulich, verkennt der Einzelwirtschafter die hinter der "Produktion" stehenden Ursachen der Wertbestimmung, die sich aus den geregelten Gang der großen volkswirtschaftlichen Organisation ergeben, in den er sich bloß einzufügen braucht. Es ist ihm leicht gemacht. Mit seinem Einkommen kann er ganz bestimmte Bedürfnisse zu ganz bestimmten Preisen befriedigen. So wird es erklärbar, daß man nur beobachtete, wie die Mehrzahl aller Menschen sich im Rahmen einer eng begrenzten  technischen  Tätigkeit abplagt. Es schien das Ziel der Wirtschaft, nur die  Produktion  zu sein. Der Wirtschaftserfolg schien auf die drei Produktionsfaktoren ursächlich zurückgeführt zu sein, die "Objektivisten" behielten recht, und die objektivistische Zurechnungslehre war fertig.
Aber mehr noch wie aus diesen äußerlichen Momenten erklärt sich die Entstehung und lange Vorherrschaft der Kostentheorie aus ihrem sachlichen Kern: die Arbeitskosten (Arbeitslohn) und der Kapitalgewinn bilden tatsächlich die Bestandteile des Güterwerts, es "löst" sich dieser, wie SMITH sagt, "in sie auf". Die Gleichung oder die Tendenz zur Gleichung zwischen Wert und Kosten ist eine unbestreitbare  Tatsache  des Lebens. Nur war es die Aufgabe der Wissenschaft, sie zu  erklären.  Ihre Erklärung war auf  drei  verschiedenen Wegen denkbar: man erklärt den Wert aus den Kosten, oder umgekehrt die Kosten aus dem Wert, oder aber drittens, man bringt beide Seiten auf eine höhere Einheit, durch die sie gemeinsam in einem Zug bestimmt werden. Das erste haben die Kostenwertlehren versucht, das zweite war das Problem der Gebrauchswertschulen, zuletzt der Grenznutzenlehre, das dritte ist der Weg der sozialorganischen Zweckbetrachtung. Die Fruchtlosigkeit des zweiten Versuches haben wir in a. a. O. "Subjektivismus" dargestellt.

Der Fortschritt der dritten Methode, die ich für die richtige halte, führt nun eine ganze Wegstrecke über die Klassiker zurück und ihren verkannten "Objektivismus". Waren sie es doch, die nicht erst vom isolierten Wirtschafter ausgingen, der nur der  Natur  gegenübersteht, sondern gleich von einem Wirtschaftstypus, dessen Wesen im  sozialen  Verhältnis des Menschen zum Menschen begründet ist. Auch die Klassiker isolieren, aber sie halten sich nicht mit Robinsonaden auf, sie bedienen sich von Haus aus  sozialer  Hypothesen, sie handeln a priori von den Beziehungen der Einzelwirtschafter in einer  Gesellschaft,  vom  Tausch  der Güter und ihrem  Tauschwert.  Sie sprechen von den Tauschbeziehungen der Mitglieder eines Jäger volkes,  von einem "Zustand der  Gesellschaft",  wenn auch von einem "ursprünglichsten, frühesten und rohen", einem Zustand ohne Grund- und Kapitaleigentum. In einem solchen, sagen sie, "scheint (!) das gegenseitige Verhältnis der Arbeitsmengen" für den Austausch der durch sie hergestellten Güter entscheidend gewesen zu sein. Wenn, sagen sie, bei einem Jägervolk das Erlangen eines Bibers zweimal soviel Arbeit kostet als das Erlangen eines Hirsches, so wird ein Biber natürlich (!) gegen zwei Hirsche vertauscht werden, oder zwei Hirsche wert sein." Sie haben das in ihrem praktischen Sinn ohne viel Angabe von Gründen einfach für "natürlich" und "sachgemäß" gehalten. Die systematische Wissenschaft aber darf sich damit nicht begnügen.

Ich habe in meiner "Sozialen Kategorie" versucht, den Kern aus der klassischen Deduktion herauszuschälen, indem ich jenen "Urtypus" sozialorganisch ergänzte. Denn in seiner ursprünglichen, zwar schon sozial angelegten, aber rohen Form blieb er ein aus dem volkswirtschaftlichen Organismus herausgerissener  Torso,  ähnlich wie der Mustertypus der Grenznutzenlehre, den sie uns an ihrem Lieblingsbeispiel, dem Kolonisten im Urwald, vorführte. - Der Typus der Klassiker behandelte, wie schon RODBERTUS hervorhob, bloß isolierte Tauschfälle, zufällig und partiell entstehende und plötzlich wieder verschwindende Arbeitsteilungen, während sich die Gesetze des Tauschwerts und - füge ich hinzu - die volkswirtschaftlichen Gesetze überhaupt nur bei Voraussetzung einer regelmäßigen Arbeitsteilung mit einem geschlossenen und einheitlichen Wirtschaftsplan ableiten lassen. So kann auch das Wesen der Arbeit nur aus ihren organischen Funktionen innerhalb eines geregelten, wenn auch noch so einfachen und durchsichtigen  Sozialsystems  ergründet werden, in das alle Einzelwirtschafter als ganze Menschen berufsmäßig mit all ihrer Arbeit und all ihrem Bedarf eingegliedert sind; genau wie heute. Anknüpfend an den oft wiederkehrenden Typus RICARDOs, wonach die Arbeit von zehn Menschen im gleichen Wert (720 £) erzeugt, ließ ich diese zehn Menschen zu einem übersichtlich kleinen, in sich geschlossenen Sozialverband zusammentreten, in dem einer für alle und alle für einen in solidarischer Arbeit verbunden sind. Unter der Annahme, daß der Bedarf jedes Einzelnen - ich nannte ihn kurz  Nahrungseinheit - aus verschiedenen Güterarten besteht und jeder eine davon von Anfang bis Ende für Alle produziert, könnte sich dann der Austausch wirklich nur nach dem Maßstab der verwendeten Arbeitsmenge vollziehen, und SMITH mit RICARDO behielten Recht. Daß es, unter den angenommenen Voraussetzungen der Hypothese, gar nicht anders sein kann, gibt selbst ein Subjektivist wie von BÖHM-BAWERK, (a. a. O., Bd. I, Seite 466) unumwunden zu. Er meint aber, daß dieses Ergebnis nur daher rührt, daß die Hypothese alle Momente "ausgeschaltet" hat, die den Wert von den Arbeitskosten hätten abdrängen können. Meine Hypothese hat deshalb für die Erklärung der Wirklichkeit keinen Erkenntniswert, ebenso auch der von mir aus ihr hergeleitete "soziale Verteilungsschlüssel" (Seite 654f).

Meine ausführliche Replik hiergegen findet sich im "Zweck", Seite 236f, mein Gegner hatte sie mir sehr leicht gemacht. Er verkennt vor allem den theoretischen Zweck der Hypothese. Nicht ich habe sie aufgestellt, sondern ich fand sie auf dem Weg, den die Klassiker gewandelt waren. Meine Aufgabe bestand nur in ihrer sinngemäßen Ausgestaltung und Zergliederung. Ich habe sie nicht blindlings adoptiert, ich habe sie kritisiert und bin ihrem  letzten Grund  nachgegangen, den die Väter des Typus allerdings verkannt haben. Ihre Analyse blieb  unfertig,  sie haben sie nicht  ausgedacht  und sind deshalb über eine mechanische Zwischenwahrheit nicht hinausgekommen, ihr Austauschmaßstab ist nicht absolut, sondern nur für die Hypothese des Urtypus zutreffend. Aber auch in diesem ist der Arbeitskostenwert nur das  Ergebnis,  der  Ausdruck  viel tiefer gelegener, letztlich sozialorganischer Gründe: Nicht  weil  gleichviel Arbeit in zwei auszutauschenden Gütern "steckt", sind sie gleichen Werts, sondern weil die ganze Anlage der vorausgesetzten sozialen Arbeitsgemeinschaft und der damit gegebene Wirtschaftsplan es ermöglicht und bewirkt, daß jeder Genosse durch den Austausch seines Erzeugnisses im Ergebnis dieselbe Nahrungseinheit erwirbt, wie die andern. Der entscheidende Grund liegt also im "Zweck" dieser kleinen Volkswirtschaft.

Den Subjektivisten wie den Objektivisten fehlte das geistige Band, das die Glieder der Verkettung zusammenhält.  Weder  die Kosten  noch  der Nutzen allein geben den "Ursprung", die "Quelle" des Wertes. Die beherrschende Wertidee kommt erst aus dem sozialen Gefüge.  Weder  die Kosten (hier die Arbeit)  noch  der Nutzen sind die "ursprünglichen" Wertbildner, die Kausalbetrachtung versagt, Kosten  und  Nutzen stehen unter der Herrschaft des Zweckgedankens, im logisch untrennbaren Verhältnis von  Mittel  und  Zweck.  Naturwissenschaftlich-technisch ist die Arbeit eine  causa,  eine schaffende Kraft, aber sie schafft (richtiger: bewegt, verwandelt) nur den  Stoff  der Güter als bloßen Trägern des Werts. Als  causa  in den wirtschaftlichen Zweckplan eingefügt, ist und bleibt die Arbeit nur ein Mittel, das seine Bedeutung vom Zweck erhält; sie schafft nicht den Wert aus eigener Kraft, nicht "ursprünglich", sondern sie  empfängt  erst  ihren  Wert als dienendes Mittel vom Zweck selbst. Dieser stellt das logische  prius  dar, das Frühere der Idee nach.  Zeitlich  und  kausal  geht die Arbeit voran,  teleologisch  aber bestimmt der  Nutzwert  der Güter die Art und Menge der auf ihre Herstellung zu verwendenden Arbeit. Aber wohlgemerkt, nicht der Nutzwert, das ist die Befriedigung vereinzelter Bedürfnisregungen, sondern die volle Befriedigung der sozialverbundenen Personen, in unserer Hypothese: der  Arbeiter.  Die Arbeit ist hier nur eine  mittelbare  Maßeinheit und Wert  ausdruck,  weil in der Hypothese nur "Arbeiter" in ihrer Doppelgestalt als Konsumenten  und  Produzenten, sowie  deshalb  als  alleinige  Teilhaber bei der Verteilung in Betracht kommen. Freilich auch bei der Produktion; denn nur durch ihre Arbeit als einziges  Mittel  schaffen sie die zum Austausch bestimmten Güter, die man insofern mit von WIESER bloße "allotropische Modifikationen der Arbeit" nennen kann, wirtschaftlich ist nur mit dieser hauszuhalten,  kausaltechnisch  sind die Produkte nur dem Produktivfaktor Arbeit "zuzurechnen", dessen natürlicher Wirksamkeit der einzelne Genosse die wirtschaftliche "Macht" mit verdankt, die es über die Mitgenossen ausübt. Und diesem rein-ökonomischen Produktionsfaktor steht auf der  Konsumtionsseite  ebenfalls ein rein-ökonomischer Begriff gegenüber: leibhafte Güter des Verzehrs.

Die rein-ökonomische Betrachtung kommt also hierbei nicht zu kurz, wie mir von BÖHM-BAWERK (a. a. O., Bd. 1, Seite 655) vorgeworfen hat, ich habe die rein-ökonomische Wirksamkeit der ewig natürlichen Bestandteile der menschlichen Wirtschaft nicht vernachlässigt oder "ausgeschaltet", ich schalte sie nicht aus, sondern ich schalte sie als den unabweisbaren "Stoff" der Regelung in deren Rahmen  ein,  ich beobachte ihre volle Wirksamkeit innerhalb der Schranken der gesellschaftlichen Organisation. Ich berücksichtige sie sogar in einem viel größeren Umfang, viel "subjektivistischer" als die orthodoxesten Subjektivisten, und zwar auf der Konsumtions- wie auf der Produktionsseite.

Denn auf der  Konsumtions seite wird in meinem erweiterten Typus das  ganze  Subjekt mit  all  seinem Bedarf in die Bilanz des sozialen Wirtschaftsplans eingestellt. Ich habe mit dieser Zusammenfassung der einzelnen Bestandteile der Gesamtbedürfnisbefriedigung auch nichts sonderlich Neues vorgenommen. Ich folgte nur den Spuren von KNIES, HERMANN und SCHÄFFLE (vgl. "Zweck", Seite 220). Ich habe mit dem Begriff der "Nahrungseinheit" nur diejenigen Konsequenzen gezogen, welche die subjektivistischen Gebrauchswertschulen hätten ziehen  müssen,  wenn sie ihrem Ausgangspunkt getreu bleiben wollten: "Etwas ist ein Gut oder hat einen Wert nur füg ganz bestimmte Subjekte", also doch aber auch für bestimmte  ganze  Subjekte. von WIESER betont sehr treffend, man dürfe niemals vergessen, daß es sich bei der Wertschätzung eines Gutes immer nur um eine Gütereinheit "als Teil des großen Ganzen" handelt und "als Teil des ganzen Vermögens" geschätzt wird, innerhalb dessen die Gütereinheit "mit vielen gleichen, verwandten und sonst nahe verbundenen Gütern zusammen nach einem Alles umfassenden Plan (!) verwendet wird". Hiermit will es dann allerdings nicht harmonieren, wenn von WIESER trotzdem meint: "die Frage um die Wirkung im Ganzen wird nie gestellt, immer handelt es sich nur um die Wirkung einzelner, gegen das Ganze verschwindend kleiner Teile ... Gewöhnlich gilt jeder Vorrat als eine Summe von Teilen, die ihre besonderen Schicksale haben und über die man einzeln verfügen kann." (von Wieser "Ursprung", a. a. O., Seite 123 und 124, "Natürlicher Wert", Seite 22 und 23; vgl. auch die von Böhm-Bawerk hervorgehobene Schätzung nach "Einzelakten" und mein a. a. O. "Subjektivismus", Seite 156, 161, 162 und 191) Gerade schon anhand meines Sozialtypus ergibt sich, wie wenig der Gedanke einer Resultantenbildung aus den atomistischen  Grenznutzen erwägungen der Einzelpersonen uns über den Maßstab desjenigen Wertes Aufschluß geben kann, den ein Gut im Verkehr mit  anderen  Personen erlangt, es ergibt sich, daß die Einheit  dieses  Wertes nicht aus den vereinzelten Regungen des Interesses stammt, die in der Seele des wirtschaftenden Einzelsubjekts bei bestimmten Geschäftsakten mit einzelnen Teilen des Güterbestandes erweckt werden, sondern daß hier wie überall in der Wissenschaft der Mensch selbst, der ganze Mensch den Ausgangspunkt der Betrachtung bildet. Er ist die nächste faßbare  Werteinheit.  Der einheitliche Bezug auf die ganze Person im Begriff der  Nahrungseinheit  ist nichts anderes als die  Erfüllung  all dessen, was die Gebrauchswertschulen von jeher angestrebt haben.

Unser Typus veranschaulicht uns aber auch die Werteinheit auf der  Kostenseite.  Auch der Arbeiter als  Produzent  ist in unserer Hypothese als ganzer Mensch gewürdigt. Nicht herumschweifende Jäger mit einzelnen Produktionsakten, sondern die Arbeiter als  Vollarbeiter,  als volle Berufsarbeiter im Dienst der sozialen Produktionsgemeinschaft sind hier, genau wie in der bestehenden großen Volkswirtschaft, als handelnde Personen eingesetzt. Erst diese sozialorganisch zusammenfassende Betrachtungsweise wird der Persönlichkeit der Arbeiter gerecht, weil sie die Arbeitskosten in ihrem "subjektivistischen" Wesen erfaßt, besser wie die subjektivistischen Schulen, die ihrem Namen nicht gerecht wurden, wenn sie, wie uns dies "Subjektivismus" (Seite 182f) zeigte, die  höchstpersönlichste  Leistung, die sich denken läßt, die menschliche Arbeit, ganz und gar objektivierten, sie nur wie die übrigen, sachlichen Produktionsfaktoren, als mechanische Mengengrößen behandelten, und damit trotz KANT den Menschen selbst zum objektiven  Mittel  degradierten: Wert und Zweck der menschlichen Arbeit richtete sich nach dem Grenznutzen, d. h. nach der  Masse  der vorhandenen Gesamtarbeit, und die "Lohnhöhe", der Wert der Arbeit wird "bestimmt durch die  Grenzproduktivität  der Arbeit; das will sagen, durch den Wert des Produktes, welches der  letzte,  entbehrlichste Arbeiter der Branche seinem Unternehmer noch einbringt". Das bleibt die "Schulformel, die nach der modernen Theorie des Grenznutzens orientierte Lohntheorie entwickelt", wonach "das Grenzprodukt des letzten Arbeiters und ein auf die "natürliche" Höhe des Grenzproduktes gestimmter Lohnsatz  herrscht".  So zu lesen noch heute in BÖHM-BAWERKs "Macht und ökonomisches Gesetz?" (Seite 225, 244, 245)

Gerade der von mir entwickelte Urtypus ist es nun auch, der die von allen Schulen vergeblich gesuchte Einheit  zwischen  Kosten  und  Nutzen veranschaulicht, und zwar in Gestalt einer direkten  subjektiven  Brücke, statt der in a. a. O., "Subjektivismus" (Seite 170) kritisierten, im Wesen objektivistischen "Mondscheintheorie" der Grenznutzenlehre. Diese Brücke bildet der Mensch, hier der Arbeiter in seiner  Doppelgestalt  als Produzent und Verzehrer. Dem entspricht die  Werteinheit,  nach der die in der sozialen Gemeinschaft verbundenen Genossen zu rechnen haben. In ihren Arbeitsprodukten  vertauschen  sie ein Stück ihres eigenen Lebens, sie tauschen für ein Stück Lebensarbeit, das sie hingeben, ein Stück ihrer Lebensbefristung ein, das sie empfangen. Die  Arbeitseinheit  mit ihren einzelnen Teilen entspricht der  Nahrungseinheit  mit  ihren  Bestandteilen. Beide Einheiten werden äußerlich gemessen nach  aliquoten [anteilsmäßigen - wp] Zeitspannen, die Arbeitszeit nach Arbeitsstunden, Arbeitstagen, Arbeitsjahren, in denen sich die Arbeit verausgabt, die Nahrungseinheit nach gleichen Zeiträumen, in denen die Nahrung für die Fristung des Lebens und für die Erneuerung der Arbeitskraft verwendet werden muß. Wie diese Gesamtwerteinheiten  heute  im Arbeitslohnvertrag mit dem Unternehmer in der Gestalt von Lohn und Arbeit ausgetauscht werden ("Subjektivismus", a. a. O., Seite 162), so in unserem Typus unmittelbar zwischen den Arbeitern. Arbeitseinheit und Nahrungseinheit, als bloße  Ausstrahlungen ein und derselben höheren Einheit,  der Einheit des genießenden und arbeitenden Menschen, sind die letzthin entscheidenden Begriffe, auf denen sich in unserem Typus die Wertbestimmungen notwendig aufbauen. Möge innerhalb des festen Rahmens dieser Einheit Arbeit und Genuß im einzelnen ihren Platz angewiesen erhalten, und zwar nach Maßgabe des Gesetzes vom kleinsten Mittel und der Rangfolge der Einzelbedürfnisse innerhalb der mehr oder weniger uniformen Individualwirtschaften, und mag sich daraus erst deren effektives "Haushaltungs- und Produktionsniveau" ergeben, so wird dadurch der Rahmen der Einheit nicht durchbrochen, sondern nur  ausgefüllt.  Alle für das "Handeln" der Einzelwirtschaft wichtigen Teilerwägungen über die  Einzel güter der Kosten- und Nutzeinheiten,  meinetwegen auch die Erwägungen über Grenznutzen, Grenzprodukt und Grenzproduktivität, sind nur Erwägungen  a posteriori,  sind höchstens abgeleitete Wahrheiten und  Ergebnisse;  aber ihr Anspruch auf ein kausales- oder teleologisches "Primat" muß als Usurpation zurückgewiesen werden.


2. Wahres und Falsches an der objektivistischen Kostenwertlehre,
ihre Fortbildung bei den nachklassischen Schriftstellern und
der Übergang zum Vergütungs- und Abfindungsgedanken.

Die sozialorganische Zergliederung des Arbeitskostentypus ermöglicht uns nun, Recht und Unrecht der Klassiker abzuwägen, wenn sie behaupten, daß im "ursprünglichen" Zustand der Gesellschaft "sachgemäß" und "natürlich" nach Arbeitskosten getauscht wurde, und daß die Arbeit "der uranfängliche Preis", das "ursprüngliche Kaufgeld" gewesen ist, welches man für alle Dinge bezahlte. Vor allem ist jener "Zustand" nicht als historische, sondern, wenn wir einen von SOMBART geprägten prekären Ausdruck benutzen dürfen, als "gedankliche" Tatsache im Sinne einer isolierenden Abstraktion, einer Hypothese, also eines bloßen Denkmittels aufzufassen, wie ich dies eingehender im "Zweck", a. a. O., Seite 212, 553f auseinandergesetzt habe. "Ursprünglich" kann hier nichts anderes bedeuten, als etwa im Titel des WIESERschen Werks  "Ursprung des wirtschaftlichen Werts".  Der "Urtypus" ist nur eine rückwärts aus dem heutigen Zustand herausgeschälte Abstraktion, ein bloßes Hilfsmittel des  systematischen  Denkens bei der Analyse der bestehenden Volkswirtschaft ("Zweck" Seite 231).

Immerhin, sahen wir, hat er vor den subjektivistischen Abstraktionen der Robinsonaden den nicht zu unterschätzenden Vorzug, ein  sozial  "geregeltes" Gebilde vorzustellen. Denn nur ein solches kann ein "Sprungbrett" (das bedeutet der von ARISTOTELES eingeführte griechische Ausdruck Hypothese) für die Erklärung des "geregelten Stoffs" der Volkswirtschaft von heute abgeben. Der Irrtum der Klassiker war nur der hervorgehobene, nämlich daß sie den  Maßstab,  an dem der Wert in ihrer Hypothese tatsächlich seinen  Ausdruck  fand, den Arbeitskostenmaßstab, mit dem  Grund  des Wertes verwechselten. Der  Grund  des Arbeitskostenwertes war nicht in den Arbeitskosten als solchen, sondern in der Regelung des vorausgesetzten Wirtschaftsplans gelegen, der als Teilhaber nur Arbeiter kennt. Das Ergebnis unserer Analyse liefert keineswegs die Bestätigung des Arbeitskostenwertes als einer  allgemeinen  Wahrheit, die für alle Gesellschaftszustände den Anspruch auf Gültigkeit erheben kann, vielmehr ist der Arbeitskostenwert nur als Ausfluß einer ganz besonderen, und zwar recht künstlichen Regelung denkbar. Ich sage: einer künstlichen, weil sie nur durch eine intensive  Zwangsorganisation  durchzuführen sein dürfte, wie sie etwa das unserem Typus vergleichbare komplizierte Kunstwerk der mittelalterlichen Zunftverfassung aufrecht erhalten mußte, um das Aufkommen des Kapitalismus zu verhindern und den Zunftgenossen die annähernd gleiche "Nahrung" zu gewährleisten. Sobald der Zunftzwang fortfiel, hatte es auch mit dem Arbeitskostenwert sein Ende, und genau wie mit jenem, dem historisch verwirklichten Typus, steht und fällt er auch mit der von uns theoretisch  vorausgesetzten  eigentümlichen Wirtschaftsverfassung.

Aber was uns aus deren Zergliederung als nicht zu verachtender  positiver  "Erkenntniswert" trotz von BÖHM-BAWERK verbleibt, ist die  hinter  der Tatsache des zufälligen Arbeitskostenwerts stehende und schlechterdings für  jeden  gesellschaftlich geregelten Zustand gültige Wahrheit, daß der soziale Wert seinem Wesen, Ursprung und Zweck nach durch die  Abfindungen  bestimmt wird, welche infolge einer der Wirtschaftsordnung immanenten  sozialen Notwendigkeit  an die Anteilsberechtigten abzuführen sind. Der Wert ist nichts anderes als das Richtmaß der Vergeltung für die  Personen,  denen vermöge der Schwerkraft der  sozialen  Verhältnisse ein Anteil des Produktionserfolges "zuzurechnen" ist. Der  Schlüssel,  das  passe-partout [Innenrahmen - wp] für die Erkenntnis der Wertgesetze ergibt sich aus den Gesetzen der "Verteilung", er ist trotz von BÖHM ein  sozialer
    Unter "Verteilung" ist hier nicht ein enger, sondern ein möglichst weiter Begriff zu verstehen. Es handelt sich nicht um eine Verteilung  a posteriori  in dem Sinne, als  ob erst  von den Mitgliedern und Klassen der Gesellschaft nach den technischen Regeln der Kunst ein buntes Produktenheer als "Nationalprodukt" erzeugt und dann hinterher als Gesamtdividendus nach besonderen Regeln "verteilt" wird; es handelt sich vielmehr um die sogenannte "ursprüngliche" Güterverteilung, um die von  Marx  so bezeichneten "Produktionsverhältnisse", d. h. um die  Besitzverhältnisse,  nach denen die nationalen  Produktivkräfte  verteilt sind, oder mit anderen Worten um den  Besitzstand,  von dem die Produktion ausgeht und der erneuert aus ihr in einem ewigen Kreislauf hervorgeht. Die Verteilungsverhältnisse umschließen also auch die Verhältnisse der Produktion, und in diesem weiteren Sinne ist auch  Rodbertus  zu verstehen, wenn er den Wert als das "Medium der Verteilung" bezeichnet.
Es war und ist mir nach dem Gesagten unbegreiflich, wie von BÖHM-BAWERK trotz meines Ergebnisses, daß der Arbeitskostenwert nur eine Folge der zufälligen Regelung des  vorausgesetzten Arbeitssystems  war (vgl. die eingehenderen Ausführungen im "Zweck", a. a. O., Seite 232f), mir meinen Platz unter den Arbeitskostentheoretikern anweist. Er bezeichnet meine Lehre als eine - wenn "auch manche originellen Züge aufweisende" - Theorie, die "zugleich jedenfalls die sorgsamste und geschlossenste Durchführung darstellt, welche der Gedanke der Arbeitstheorie bisher gefunden hat" (a. a. O., Bd. I, Seite 648). Er hat nicht beachtet, daß ich a. a. O. aus der Tatsache der nur  bedingten  Geltung des Arbeitskostenwerts in der hypothetischen  Arbeiter gemeinschaft ausdrücklich den sich ja auch ohne weiteres ergebenden  umgekehrten  Schluß zog, daß in jeder  anders  gearteten Wirtschaftsverfassung, in der neben den Arbeitern noch  andere  anteilsberechtigte Klassen vorhanden sind, der Arbeitskostenwert  nicht  mehr herrschen kann. Ich machte vielmehr den Klassikern zum  Vorwurf,  daß sie die ansich wertvolle Hypothese nicht richtig zu Ende gedacht und die aus der unvollständigen Analyse gezogenen halbwahren Schlüsse unbesehen in einen durchaus heterogenen Zustand der wirklichen Volkswirtschaft übertragen haben. Für die letztere, so behauptete und behaupte ich, ist das Arbeitskostengesetz  sans phrase [ohne Umschweife - wp] in der Formulierung der Klassiker gerade  nicht  gültig, vielmehr bleibt es hier zwar keine "fable convenue [etwas Erfundenes, das man als wahr gelten läßt - wp], aber es äußert doch nur eine  partielle,  d. h. auf seine "effektive Wirksamkeitssphäre" (Knies) eingeschränkte Kraft. Übrigens hat von BÖHM-BAWERK nachträglich - ich glaube infolge des Schriftwechsels unter uns - a. a. O. Seite 653 und Anmerkung - zugegeben, daß ich insofern kein Vertreter der eigentlichen Arbeitstheorie bin, als ich den Wert in der heutigen Volkswirtschaft auf alle  drei  Produktionsfaktoren, und zwar in ihrer Gestalt als soziale Faktoren, und auf ihre sozialnotwendige Honorierung zurückführe. von BÖHM-BAWERK verkennt aber, daß dies von mir aufgrund einer  eigenartigen  Theorie geschieht, der Theorie der sozialorganischen Regelung, für welche von BÖHMs Standardwerk überhaupt noch kein Schubfach aufwies.

Anhand dieser Theorie läßt sich dann der Objektivismus der Klassiker in folgenden kurzen Sätzen würdigen. Weder die Arbeit noch irgendwelche anderen Produktionsmittel sind als solche geeignet, von sich aus den Wert zu erzeugen oder zu bestimmen. Sie sind samt und sonders, genau wie die aus ihnen hervorgehenden Produkte, erst ihrerseits zu bewerten, sie sind nicht  Werterzeuger,  sondern ein erst zu  Bewertendes.  Mit ihrer Wertproduktion ist es ein für allemal nichts. Sie geben nicht, sondern  empfangen  den Wert aus ihrer  Bestimmung,  sie - selbst nur "Stoff und Kraft" - schaffen auch nur wieder Stoff und Kraft, sie erzeugen nur "Produkte", sie sind wie ihre Erzeugnisse nur  Träger  gegenwärtigen  und  künftigen Werts, sie sind seine bloße "Bedingung".
     von Böhm-Bawerk,  der sich sonst so abweisend gegen meine Unterscheidung der bloßen natürlichen "Bedingunen" ("Voraussetzungen"), als gegebenen "Stoffes" der volkswirtschaftlichen Erscheinungen, von ihren sozialorganischen Ausgestaltungen wendet, so zuletzt wieder in "Macht" a. a. O., Seite 213, bedient sich übrigens öfters  selbst  dieser Unterscheidung, so bei der Kritik der Produktivitätstheorien. Die Produktivität des Kapitals, sagt er dort, wie die des "Arbeitsmannes" sind ja nur  eine  der Bedingungen (!), nur  eine  Ursache des Werts, nur "Produktivitätsvermittler", "Nachweisen", sagt er treffend, "daß ohne Produktivität des Kapitals der Mehrwert (Kapitalgewinn) nicht existieren könnte, hieße so wenig ihn aus der Produktivität des Kapitals erklären, als es heißt die Grundrente erklären, wenn man nachweist, daß sie nicht ohne die Fruchtbarkeit des Bodens existieren kann ..." Und ferner gar der Ansatz zu einer sozialorganischen Betrachtung in folgender Stelle, an der er sehr richtig die beiden überall in den Kapitalzinstheorien wiederkehrenden Grundmeinungen über die Erklärung der Zinserscheinung dadurch kennzeichnet, daß die eine Meinung ein  Produktionsproblem,  die andere ein  Verteilungsproblem  vor sich sieht. "Die zweite", sagt er, "stützt sich nur nebenbei (!) auf die Mitwirkung des Kapitals" an der Produktion, die sie allerdings voraussetzt (!); ihren Schwerpunkt (!) findet sie jedoch in Gründen, die auf die Verhältnisse der gesellschaftlichen (!) Wert- und Preisbildung Bezug nehmen." (a. a. O., Bd. I, Seite 135, 145, 146, 161, 175, 273, 665). Hätte er diese Sätze auf alle Produktivfaktoren einschließlich der Arbeit, hätte er sie überhaupt und grundsätzlich auf  alle  naturalen "Bedingungen" der volkswirtschaftlichen Erscheinungen erweitert, so würde er vielleicht ein Vertreter der sozialorganischen Methode geworden sein.
Diese Methode lehrt nun eben, daß noch diese "andere" Ursache, eine andere zweite und für die Wertentstehung sogar entscheidende "ursächliche" Bestimmung zu den naturgegebenen "Voraussetzungen" hinzutreten muß, aber diese Bestimmung ist, wie in "Subjektivismus" nachgewiesen wurde, nicht wieder aus dem Arsenal des Naturalismus, nämlich aus der Psychologie des isoliert gedachten Subjekts und dem rohen objektiven Mengenverhältnis des ihm gegebenen Vorrats zu entnehmen, sondern aus den  überpersönlichen,  der Wirtschaftsordnung entstammenden, sozialen Bedingungen und Machtverhältnissen. Denn, wie ich an vielen Orten, z. B. "Zweck", a. a. O., Seite 774f, ausführte, auch die psychologische Wertwürdigung erhebt sich nicht aus der naturwissenschaftlich-mechanischen Betrachtung empor, sie bleibt hilflos im niedrigen Erdreich des Naturalismus stecken, es fehlen ihr die Schwingen zum Emporflug bis an das eigentliche Reich der  sozialorganischen  Zusammenhänge, bis zu den Verhältnissen des Menschen zum Menschen, dem eigentlichen Gegenstand aller  sozial ökonomischen Betrachtung.

Gerade die von BÖHM-BAWERK hervorgehobene Unmöglichkeit, die Grundrente aus der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens abzuleiten, veranschaulicht uns sehr treffend die ganze Unzulänglichkeit der naturalistischen Erklärung überhaupt. "Wird auf einem ganzen Morgen Land", sagt KNIES, "Kredit", Bd. 2, Seite 325, "auch nur ein Korb voll Kartoffeln geerntet, so war die Bodenmitwirkung ebenso unerläßlich ..., wie wenn hunderte von Säcken Kartoffeln geerntet worden wären ..." "Fragt man hier aber weiterhin: welche Quote in dem durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Produktionsfaktoren erzielten Erfolg ... auf die Bodenkraft zurückzuführen sei, so versagt sich uns eine exakte bezifferte Antwort." Wenn KNIES hieraus trotzdem den Begriff einer  "naturalen  Grundrente" ableitet, wie er auch von einem "naturalen" Arbeits- und einem "naturalen" Kapitalertrag spricht, so kann man ihm allerdings nicht folgen, ebensowenig aber dem Versuch von WIESERs, wenn dieser, wie später zu behandeln, den Kapitalgewinn aus einer  physischen Produktivität  des Kapitals und einem ebenso physischen Überschuß des Ertrags über den Kapitalbestand herleitet. In einem einmassigen Produkt sind die naturalen Wirkungen der einzelnen Produktivgüter ununterscheidbar zusammengemischt, genau wie man einen Menschen nicht zu aliquoten Teilen auf den Vater oder die Mutter zurückführen kann, es sei denn in rein poetischen Wendungen wie derjenigen GOETHEs über seine elterlichen Anlagen. Ich kenne keine natürlich technische "Zurechnung", und halte auch den Begriff der "wirtschaftlichen" oder "ökonomischen Zurechnung für nichtssagend. Es gibt nur die ausschließende Alternative:  natur ökonomisch oder  sozial ökonomisch.  Tertium non datur  (Ein Drittes gibt es nicht. - wp] (STAMMLER). Da die naturökonomische Zurechnung nicht zum Ziel führt, bleibt nur die sozialökonomische.

So ist dann der Boden, der keine Rente, sondern nur Kapitalgewinn und Arbeit abwirft, für die Herstellung von Früchten ebenso notwendig, wie der fruchtbarste und teuerste Boden, der hohe Renten trägt.  Ob  ihm aber vom Wertprodukt ein Anteil als Rente "zugerechnet" wird, hängt in der bestehenden Volkswirtschaft von der entscheidenden Tatsache ab, ob der Bodenbesitzer eine Vergütung in Gestalt der Rente erlangt. Entsprechend steht es mit den beiden anderen Faktoren, der Arbeit und dem Kapital. Nicht ihre natürliche Ergiebigkeit, sondern  die  "Macht"  entscheidet,  die ihren Inhabern, den Arbeitern und Kapitalisten, durch die Wirtschaftsordnung zuteil wird. SAY hat ganz recht:
    "Das Wasser der Ströme und Seen hat eine hervorbringende Kraft, der Wind, welcher unsere Mühlen treibt, und ebenfalls der Strahl der Sonne arbeitet für uns. Aber zum Glück durfte sich bis jetzt noch niemand unterfangen zu sagen: der Wind und die Sonne sind mein, und für den Dienst, den sie leisten, muß mir etwas  bezahlt  werden."
Ist es denn nicht im Grunde mit unseren "wirtschaftlichen" Gütern überhaupt und mit der "wirtschaftlichen"  Zurechnung  für unsere Produktivfaktoren im besonderen ganz ebenso? Brauchte man den Kapitalisten und Arbeitern nichts oder weniger zu "zahlen", so würde auch kein oder ein nur geringerer Gewinn oder Arbeitslohn zu gewähren sein. Es bleibt der alte englische Spruch wahr: "The value of a thing is just as much as it will bring." [Der Wert eines Dings ist nicht höher als das, was es einbringt. - wp]


Hätte der Objektivismus die Abfindungen von Haus aus als sozialnotwendige Vergütungen erkannt, so hätten seine Dogmatier all die theoretischen Irrgänge vermieden, die sie in mühsamem Zug durchwandert haben. Von den "naiven" Produktivitätstheoretikern und ihrer bloßen "Kopierung der Natur" kann ich hier schweigen. es gibt keine  Wert erzeugung aus dem  Stoff,  aus dem, wie aus dem Boden der Halm, auch der Wert sich erzeugt. Wir würdigten schon oben diese aus der Kindheit unserer Wissenschaft stammende Theorie. Aber auch der "wissenschaftliche"  Sozialismus  hat sich trotz all seiner Wissenschaftlichkeit nicht über dieses Stadium emporgehoben. Zwar waren es die Sozialisten, besonders MARX, die den "Fetischismus" der Vulgärökonomen erkannten und geißelten, der ihnen  die Ware  in ihrem stofflichen Leib als ein "sinnlich-unsinnliches" Ding, als ein Ding mit übersinnlichen Eigenschaften erscheinen ließ, während sie doch samt ihren Produktivfaktoren Wesen und Wert nur aus ihren gesellschaftlichen Funktionen erhält. Trifft dies aber zu, so ist es umso unerklärlicher, wie  einer  von diesen Produktivfaktoren,  die Arbeit,  also doch auch zunächst nur etwas Natürlich-Sinnliches, eine "ewige" Naturbedingung der menschlichen Produktion, wie sie MARX selbst nennt, hier eine  Ausnahme  machen soll, und, wie ihr MARX als größtem und einzigem Fetisch einen Altar errichten konnte, indem er ihr Ehre und Preis der Wertbildung ausschließlich zuerkannte ("Zweck", a. a. O., Seite 73f, 144 und 532f).

Wie so die Sozialisten das Kapital aus dem Wertbildungsprozeß  auszuscheiden  versuchten, war es das Bestreben der bürgerlichen Objektivisten, es als besonderen Wertbildungsfaktor  begreiflich  zu machen. Sie suchten mit heißem Bemühen nach einem "Etwas", das  neben  der Arbeit als Faktor der Wertbildung beteiligt ist.
    Es hat uns  Böhm-Bawerk  in seiner Geschichte der Kapitalzinstheorie dieses vergebliche Suchen in klassisch unübertrefflicher Weise vorgeführt. Hatten  Smith  und  Ricardo  in einer wenig ausgedachten Nebenbemerkung als Grundmotiv des  Arbeits wertes das Opfer bezeichnet, das in der mit der Erwerbung eines Gutes verbundenen "Mühe und Beschwerlichkeit" (toil and trouble, Arbeitsplage, Arbeitsleid) besteht, so suchte man auch für den  Kapitalgewinn  nach einem entsprechenden Opfer, das  ihn  erklären und rechtfertigen kann.  Senior  fand ein solches in der  Enthaltung (abstinence) des Kapitalisten: Das Opfer, das im Genußaufschub liegt, fordert eine  Entschädigung  genau wie das Arbeitsopfer. "Spararbeit" und "Muskelarbeit" heißt diese unglaubliche, ausgeklügelte Antithese, und das Ergebnis lautet: die Produktionskosten bestehen aus der  Summe  der Arbeit und der Enthaltung.

    Einen anderen Versuch, der den Gewinn bestimmenden Ursache auf die Spur zu kommen, unternahmen die sogenannten  Nutzungstheorien,  vertreten durch  Say, Hermann, Knies, Menger Nach ihrer Lehre ist die Kapital nutzung  neben dem Kapitalstamm selbst ein  besonderes  wirtschaftswertiges Gut, ein Sondergut und deshalb auch ein besonderes Kostenelement, der Kapitalist bringt nicht nur ein Opfer an der Kapitalsubstanz, sondern auch an der Nutzung, über die er als ein besonderes Gut "verfügt". Der Kapitalgewinn ist der Wertanteil des Teilopfers Kapitalnutzung. Wie jedes andere Opfer an Kostenbestandteilen erfordert auch dieses Opfer seine besondere "Vergütung".

    Schließlich unternahm eine dritte Gruppe, die der  Arbeitstheorien,  den unhaltbaren Versuch, den Kapitalgewinn als den Lohn für die vom Kapitalisten beigesteuerte "Arbeit" zu erklären, so  James Mill, Courcell-Seneuil  und in gewissem Sinn  Schäffle  und  Adolf Wagner letzterer aber nach einer spätere eigenen Äußerung nicht im sinne einer theoretischen  Erklärung,  sondern bloß einer sozialpolitischen  Rechtfertigung  des Kapitalgewinns.
Alle diese Schulen wollten das Unmögliche möglich machen und aus der  Entstehung  eines Gutes seinen  Wert  herleiten. Ein Unmögliches war es, weil es ein unlogisches Beginnen darstellte; denn der Wert ist, als Reflexionsbegriff, nicht auf die Genesis, auf die Vergangenheit (Menger), sondern auf ein zu Erreichendes, nicht bloß auf die Mittel für etwas zu Erreichendes, sondern kurz: auf einen "Zweck" eingestellt, auf den er "reflektiert". Die Frage ist nur,  worauf  er reflektiert. Nicht in einem Woher?, sondern in einem Wohin?, einem Wozu? lag das zu lösende Problem. Es war deshalb ein Fortschritt, wenn die Gebrauchswertschulen nach einem  Zweck  suchten, von dem das wirtschaftliche Handeln geleitet wird. Sie verfehlten nur, wie wir im "Subjektivismus" a. a. O. Seite 180f feststellten, den Gegenstand der Untersuchung, weil sie den Zweck, den "Sinn" der Wirtschaft, gar zu sehr in der Befriedigung der individuellen Bedürfnisse gelegen wähnten, während es die Aufgabe der  Sozial ökonomie ist, die hinter dem Rücken der Individualwirtschaften stehenden sozialen Zwecke aus dem Organismus der Volkswirtschaft heraus zu ergründen, dessen Gesetze erst ihrerseits bestimmen, was das Individuum wollen darf, wie es handeln soll und wie hoch ihm die  anderen  Individuen seine Leistungen vergüten müssen.

Es ist deshalb nur der Ausdruck einer inneren Notwendigkeit, daß, wie wir aus der vorgeführten dogmenkritischen Entwicklung ersahen, selbst in  den  Lehrmeinungen, die vom Produktionsproblem ausgingen und das Opfermotiv zugrunde legten, ein mehr oder weniger ausgesprochener  Nebengedanke  mitspielte, der die "Vergütung" in Betracht zog, die für das Opfer zu  geben  ist. Ich habe diesen unwillkürlichen Zug der Dogmen vom objektiven Kostenstandpunkt zum subjektiven Vergeltungsgedanken in meiner "Sozialen Kategorie" im einzelnen dargestellt. Schon der Altmeister SMITH spricht in einem richtigen Gefühl vom Wertfaktor  Arbeit  nicht nur im Sinne einer  Hervorbringungs arbeit, sondern versteht daneben gelegentlich unter der wertbestimmenden Arbeit auch die Arbeit, die man durch den Besitz des zu bewertenden Gutes erspart, oder die  fremde  Arbeit, die man sich durch das auszutauschende Gut  dienstwillig  machen kann. Ja, er nimmt als Wertmaßstab öfters geradezu die Güter, die man damit  erlangt,  vor allem aber das Hauptnahrungsmittel, das Getreide. Einen weiteren Schritt vorwärts tat MILL. Auch ihm drängte sich wohl die Überlegung auf, daß Arbeits kosten  und Kapital gewinn  als koordinierte Wertfaktoren logisch schlecht nebeneinander bestehen können: Arbeit ein Opfer, ein Kostenbestandteil und Gewinn, ein Erzieltes, ein Einkommen! So kam er zu dem Schluß, daß der Wert des Produkts, soweit es ein Arbeitsprodukt ist,  zusammen  mit ihrer Vergütung durch die Arbeitsmenge bestimmt wird, daß sich "also der Wert zum Teil (?) auf den  Arbeitslohn  gründet" (Mill III, Kap. IV, § 2).

Ein weiterer Fortschritt zum  Vergütungs gedanken fand sich schon in der viel angeführten gelegentlichen Erwägung RICARDOs, daß der Kapitalist (er sagt: der Pächter und der Gewerksmann) ebensowenig ohne Gewinn, wie der Arbeiter ohne Lohn leben kann. von BÖHM-BAWERK (a. a. O, Bd. I, Seite 108f) knüpft daran die zutreffende Bemerkung, daß dieser Gedanke, "konsequent ausgebildet, den Stoff zu einer urwüchsigen Theorie hätte abgeben können". Es ist nur zu bedauern, daß von BÖHM dem Gedanken seinerseits nicht nachgegangen ist. Die Vordersätze zu einer solchen "urwüchsigen Theorie" hat er so trefflich ausgearbeitet, wie es selbst ein Anhänger der sozialorganischen Schule nicht besser zustande bringen kann. RICARDO, sagt er, habe ganz recht damit, daß Lohn, Gewinn und Produktionsertrag - nach Abzug der Grundrente - in einer eisernen Verbindung stehen. Es sei ganz richtig, daß der Kapitalgewinn nie mehr und nie weniger ausmachen kann, als die Differenz: Ertrag minus Lohn. Aber es sei falsch, diese Verbindung so auszulegen, als ob die Ertrags- und die Lohnhöhe das Bestimmende und die Gewinnhöhe lediglich das Bestimmte wäre. RICARDO habe übersehen, daß der Kapitalgewinn ebenso wie der Lohn (als nötiger Unterhalt) seine "eigentümlichen Bestimmungsgründe" habe. Er nimmt, sagt er, "nicht einfach, was übrig bleibt, sondern er weiß sich seinen Anteil zu erzwingen (!)", "aufgrund seiner spezifischen Bestimmungsgründe".

Wenn von BÖHM dieser Spur nachgegangen wäre, so wäre es ihm gelungen, eine wirklich "ursprüngliche" Theorie des Kapitalgewinns anzubahnen, er hätte erkannt, daß die Macht der Regelung es ist, die den Anteil der Kapitalisten in gleicher Weise wie den der Arbeiter "erzwingt". Da er aber diesen Gedanken nicht verfolgt, fällt er gar, der Gebrauchswerttheoretiker, in die objektivistische Arbeitskostentheorie zurück und nähert sich ganz bedenklich der von ihm angegriffenen sozialistischen Wertlehre. Genau wie die Sozialisten läßt er die "Lohnarbeiter, die wegen der Unmöglichkeit, ihre Arbeit auf eigene Rechnung lohnend zu verwerten, alle geneigt und bereit" sind, "ihr" (sage:  ihr?)  künftiges Arbeitsprodukt (!) gegen eine erheblich geringere Menge gegenwärtiger Güter zu verkaufen" (a. a. O., Bd. II, Seite 538). Der Lohnarbeiter gibt für letztere Güter "das unbestimmte künftige Produkt, das seine Arbeit (!) erzeugen (!) wird, in Bausch und Bogen hin" (Seite 524). Ja, er sagt, daß "die Arbeiter durch die Natur im  Besitz  (!) ihres Produktes sind", und meint deshalb, daß die Bezeichnung "Mehrwert" sogar "in vollerem Maße zutrifft, als die Sozialisten bei ihrer Namensgebung ahnten". Auch er mißt, genau wie jene, das Produkt nur mit einer "längeren Elle" als den Wert des Produktivgutes Arbeit (Seite 449, 504, 506, 507). von BÖHM behandelt also die Arbeiter als die theoretischen Hauptfiguren. Statt den schlichten Weg zu gehen  beides,  den Arbeitslohn  und  den Kapitalgewinn, als Erzeugnis oder, um mit ARISTOTELES zu reden, als  tokos [Zins - wp]  uno actu  aus der volkswirtschaftlichen Produktion hervorgehen zu lassen, erhalten von BÖHMs Arbeiter den Wert  "ihres  Arbeitsprodukts", das nur so  nebenher  durch das Mysterium des "Zeitablaufs" ("Wertschwellung, Detaxation, Agio, Wartelohn" und wie all seine bildlichen Ausdrücke lauten) den  Kapitalgewinn  "gebiert". von BÖHM glaubt allen Scharfsinn auf die Frage verschwenden zu müssen, welche nach seiner Ansicht den Kern des Problems bildet: "warum der Marktzins des Produktionsgutes  Arbeit  immer niedriger stehen muß als der seinerzeitige Wert und Preis des fertigen Arbeits(!)produktes" (Seite 517). Wie ich "Zweck", Seite 287f ausführte, handelt es sich also nur, etwa wie bei der Magnetnadel, um eine bloße Deklination, um eine  beiläufige  Abweichung von den reinen Arbeitskosten. Eine solche Lehre hat die Arbeitskostentheorie nicht, wie sie meint,  überwunden,  sondern sie ist  selbst  nur eine  modifizierte Arbeitskostentheorie. 

Sie bleibt gewissermaß auch  Kosten theorie, die Produkte "kosten", wie sich von BÖHM (a. a. O., Bd. I, Seite 602 geradezu ausdrückt, "zu ihrer Erzeugung nicht bloß Arbeit, sondern auch Zeit". Wir haben da wieder ein neues "Etwas" für die Gewinnerklärung, um das die vorgeführten Theorien vermehrt werden, einen merkwürdigen Zwillingsbruder der Arbeit: die "Zeit"! Als ob die Zeit etwas Besonderes für die Entstehung des Kapitalgewinns ergäbe, während sie doch, wie wir oben sahen, auch für die Arbeit nur das äußerliche Maß ergibt! Nicht  durch  sie, sondern  in ihr  spielt sich alles Werk, alles Tun und Leiden des Menschen ab, der in der Zeit lebt als eine "kontinuierliche" Person. Die Zeit ist nur eine Kategorie des denkenden Verstandes, nach KANT. Für die Arbeit  wie  für den Kapitalgewinn ist die Zeit nur ein quantitatives Maß, keineswegs ein qualitativer Bestimmungsgrund. Erst  wenn,  führte ich "Zweck" (a. a. O., Seite 242) aus, und  soweit  der  Kapitalbesitz,  als soziale Kategorie, und  damit  der Kapitalzins  vorher  durch die Eigentums- und Arbeitsordnung gegeben und gewährleistet ist, wird Kapitalzins entsprechend der Länge der Produktions- und Umsatzperiode entrichtet, und zwar aus dem einfachen, aber erst sekundären Grund, weil,  wenn  einmal der Kapitalgewinn als solcher gegeben ist, er "eine gerechte Entschädigung auf die Zeit ist, während welcher die Gewinne vorgehalten werden" (RICARDO, Bd. I, Seite 4 am Schluß), richtiger: während welcher und für welche der  Kapitalist  ebenso wie der Arbeiter leben will und Vergeltung verlangt. Das Zeitmaß ist immer nur ein äußerer Multiplikator für eine Werteinheit, die vorher gefunden werden muß.

Ich habe mich im "Zweck" bemüht,  die  Kapitalzinstheorien, welche, wie die von BÖHMs, den Zins auf die zeitliche  Wertwandlung (Wertschwellung), auf die Unterscheidung gegenwärtiger und zukünftiger Güter, auf das Warten usw. zurückführen, durch eine Theorie zu ersetzen, welche die  Wertbewahrung,  die  Wertkonstanz  aller Güter zur Voraussetzung nimmt. "Betrachten wir", sagt MARX (Kapital, Bd. II, Seite 451), "die jährliche Reproduktion ..., so beginnen wir nicht  ab ovo [vom Ei weg - wp]; es ist ein Jahr im Fluß vieler, es ist nicht das erste Geburtsjahr in der kapitalistischen Produktion." Jene Theorien der Wertwandlung scheinen mir nun alle ihren Grund in einer solchen falschen ab-ovo-Anschauung zu haben. Es ist mit dem volkswirtschaftlichen wie mit jedem anderen Organismus. Sein Leben und Wesen kann nicht aus seiner embryonalen Entstehung, sondern nur aus seinem anatomischen  Bestand  und der funktionellen Wirksamkeit seiner  bestehenden  Teile ergründet werden. Die Materie wechselt in stetiger Erneuerung, die Glieder wirken solidarisch  nebeneinander.  Das gilt aber genausogut vom  Nacheinander.  Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Wirtschaft sind ein einheitliches und untrennbares Ganzes, das durch eine  zeitliche  "Solidarität" zusammengehalten wird. Es braucht nirgends "gewartet" zu werden, täglich und stündlich fließt ein gleichmäßiger Strom der Konsumgüter für Kapitalisten und Arbeiter aus einer gemeinsamen Quelle hervor, und daß dieser Strom nicht abbricht, daß jeder zeit genügend Produkte zum Verzehr oder zur Weiterverarbeitung "parat" liegen, ist in der geregelten Volkswirtschaft eine  Tatsache.  Den Spott von BÖHMs, daß dieses Paratliegen genügender Gegenwartsgüter in meinem "Gedankengang doch wohl die Stelle eines  deus ex machina  [Gott aus der Schachtel - wp] spiele", konnte ich in "Zweck" (a. a. O., Seite 268) mit der einfachsten aller Erklärungen abweisen, daß dieser  deus  nicht  ex machina  sei, sondern aus einem vorhandenen, langher angesammelten  Kapitalbestand  besteht, dessen recht handgreifliche Existenz die Kontinuität von laufender Arbeit und laufendem Genuß  ohne  "Warten" gewährleistet (vgl. die eingehenden Ausführungen in "Zweck", Seite 248f, 257-268.) Für diesen so wichtigen und unentbehrlichen Dienst erhält der Besitzer des Kapitals seine sozialnotwendige Vergütung, den Kapitalgewinn. Es ist ein recht scholastischer Streit, ob das Kapital als ein dritter  selbständiger  "Produktionsfaktor" zu betrachten ist, was von BÖHM in sehr langen Ausführungen (Bd. II, Seite 175-181) verneint, unter anderem mit dem Grund: "Das Kapital ist ein Zwischenprodukt von Natur und Arbeit, weiter nichts", es ist aus Natur und Arbeit hervorgegangen, "es ist kein drittes selbständiges Element". Das mag von einem genetisch-naturalistischen Standpunkt aus richtig sein, vom sozialorganisch-systematischen aus ist es falsch. Nach letzterem ist  das  ein "selbständiges" Element (Produktionsfaktor), das nach den Gesetzen der organischen Volkswirtschaft eine besonders geartete  Abfindung  erhalten muß. Das trifft auf das Kapital zu, es ist der "selbständige Träger" des Kapitalzinses.

Im Übrigen glaube ich die Theorie von BÖHMs über den Kapitalzins, den er aus dem Zeitablauf und der verschiedenen Schätzung "gegenwärtiger" und "künftiger" Güter erklärt, so ausführlich und eingehend im "Zweck" gewürdigt zu haben wie niemand vor und nach mir. Da jetzt auch von WIESER in seinem neuestens Werk (a. a. O., Seite 153f und 229) die Zinserklärung von BÖHMs - teilweise aus ähnlichen Gründen wie ich - ziemlich energisch und ausführlich abgelehnt hat, gehe ich auf Näheres nicht mehr ein. Ich denke, daß die Akten hierüber nun abgeschlossen sind. von BÖHM hat von WIESERs Ansicht (Bd. I, Seite 681 dahin gekennzeichnet, daß dieser den im Mittelpunkt der von BÖHMschen Zinstheorie stehenden Satz, wonach gegenwärtige Güter in der Regel mehr wert sind als zukünftige, zwar anerkennt, aber ihn nicht als  Ausgangs punkt, sondern als  Folge erscheinung, nicht als  Ursache  der Zinserscheinung, sondern als ihre  Wirkung  gelten läßt. Diese Ansicht von WIESERs war und ist auch die von mir vertretene.
    Was mir an dieser Stelle übrig bleibt, ist nur, meine Stellung zu  Wiesers  eigener Theorie zu nehmen. Ich hielt die letztere durch die Ausführungen  von Böhms  (Bd. I, Seite 665) so sehr für widerlegt, daß ich in "Subjektivismus" (a. a. O.) bei der Kritik der "Zurechnungslehre" (Seite 188f) auf die Sache nicht weiter zurückkommen zu müssen meinte. Da  von Wieser  aber auch jetzt noch in allem Wesentlichen an seiner Lehre festhält, so muß ich kurz auf sie eingehen, um die Grenznutzenlehre aus ihrer letzten Zuflucht zu drängen. Ich vermag  von Wieser  nicht zu folgen, wenn er (a. a. O., Seite 219f) dabei verbleibt,  erst  eine physische (!!) Produktivität des Kapitals,  dann  einen  physischen  Überschuß des Kapitalertrags über den Kapitalstamm und damit das "Gerüst" zu einer  Wert produktivität und eines Wertüberschusses als Grundlage des Kapitalgewinns erwiesen zu haben. Seine Theorie ist meines Erachtens ein noch auffälligerer Rückfall in die objektivistische Lehre wie die  von Böhms.  Letztere hat überdies recht, wenn er meint, daß das "Zurechnungsgesetz" höchstens nur den  Roh kapitalzins, d. h. den Anteil erklären kann, welcher dem Kapital neben den Vergütungen der beiden anderen Faktoren, Arbeit und Boden, zufällt, aber nicht das Verhältnis des Kapitalstamms zum Zins und damit den eigentlichen Gewinn, den  reinen  Kapitalzins.

    Was ich aber an dieser Stelle besonders nachzutragen habe, das ist die Würdigung des Zurechnungsgesetzes selbst, als der vermeintlichen Vorbedingung und Grundlage der Erklärung des Reinzinses, der sich aus dem zuzurechnenden Rohertrag erst herausschält. Diese Grundlage hat sich  von Wieser  durch die Konstruierung des "produktiven Beitrags" aufzubauen versucht, deren Anfechtbarkeit ich schon "Soziale Kategorie" (Seite 277) und dann "Zweck" (Seite 744f) ausführlich darlegte.  von Wieser  verwirft, wie wir aus "Subjektivismus" (Seite 155f) wissen, die  von Böhmsche  Wertzurechnung der Produktivgüter aufgrund des Fortfallgedankens und bemißt dafür ihren "produktiven Beitrag" nach ihrer positiven Wirksamkeit in der ungestörten Wirtschaft: da die miteinander verbundenen Produktivelemente bei den einzelnen Arten der Güterproduktion  wechseln,  so kann man ihre spezifische Wirksamkeit durch die Auflösung von Gleichungen erkennen, z. B.  x + y = 100, 2x + 3z = 290, 4y + 5z = 590,  wo sich dann  x  mit 40,  y  mit 60,  z  mit 70 berechnet. Ja, wenn man den Wert der Produkte auf der rechten Seite der Gleichung mit  von Wieser  als  gegeben  annimmt, so ist es kein Kunststück, in den  x, y, z,  welche die Quantitäten der angewendeten drei Produktivfaktoren bezeichnen soll, ihren "produktiven Beitrag" auszurechnen. Die Gleichung und ihre Lösung ist ebenso nichtssagend, wie alle dergleichen geduldigen Zahlenoperationen (siehe "Subjektivismus", Seite 176). Die abstrakte Gedankenkonstruktion  von Wiesers  läßt sich sinngemäß für  jede  Methode der Werterklärung anwenden, mag sie subjektivistisch oder objektivistisch sein. Sie kommt nicht über die naive  Tatsache  der großen volkswirtschaftlichen Kosten- und Nutzengleichheit heraus in deren  Erklärung  erst die Aufgabe der  Wissenschaft  liegt.
Ein eigenartiges Ergebnis der Grenznutzenlehre, das ihr zum Verhängnis wird und die Tragfähigkeit ihres rein-ökonomischen Unterbaus schlecht illustriert: von ihren Hauptvertretern hält der eine am Fortfallgedanken, als dem indispensablen "logischen Zwischenglied" fest ("Subjektivismus", Seite 157), der andere entzieht ihr diese Grundlage, und mit gutem Grund, es bleibt die Leere, das Vakuum zurück!
LITERATUR - Rudolf Stolzmann, Die Kritik des Objektivismus und seine Verschmelzung mit dem Subjektivismus zur sozialorganischen Einheit, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 49, Jena 1915