ra-2 A. SchäffleGrenznutzenR. LiefmannNatürlicher Wert    
 
FRIEDRICH von WIESER
Über den Ursprung
des wirtschaftlichen Wertes

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"Dem irrtümlich konstruierten Dualismus des Wertes [in Gebrauchs- und Tauschwert] entspricht eine doppelte Theorie der Preisbildung. Dem subjektiven Wertbegriff entspricht die Theorie, daß der Preis sich nach Angebot und Nachfrage richtet, dem objektiven Wertbegriff, daß die Herstellungskosten den Preis bestimmen. Beide Theorien stehen in der Volkswirtschaftslehre unvermittelt nebeneinander, sie stehen ebenso unvermittelt den Begriffen des Wertes gegenüber. Die Theorie des Wertes (oder Preises) muß sich aber aus dem Begriff des Wertes entwickeln lassen und tatsächlich harmoniert mit dem Begriff des subjektiven Wertes die wirklich stattfindende Regelung des Preises durch  Angebot und Nachfrage  oder genauer gesagt durch unser Urteil über Angebot und Nachfrage. Wenn es aber einen objektiven Wert nicht gibt, so kann es entsprechend auch eine Theorie des objektiven Wertes nicht geben."

"Unser Urteil ist aber in den wenigsten Fällen ein selbständiges, es wird mindestens so sehr wie durch unser Nachdenken durch das Urteil anderer Personen bestimmt. Hierauf ist zum großen Teil die Wirkung der Reklame zurückzuführen. Im Grunde genommen hat jede Reklame dieses Ziel im Auge. Sei es durch die auffallende Art der Darstellung, sei es durch häufige Wiederholung einer Anzeige, es soll und wird schließlich auf den Leser eine Suggestion ausgeübt - er unterliegt mit seinem Urteil fremden Einflüssen."

Vorwort

Es ist ein anderes, richtig zu handeln und ein anderes, über die Gründe und den Verlauf des eigenen Handelns Rechenschaft zu geben. Jedermann, der den Gebrauch seiner Vernunft hat, vollzieht eine große Menge fehlerloser Wertschätzungen, aber niemand ist es noch gelungen, den Prozeß der Wertschätzung bis in alle Einzelheiten zu allgemeinem Beifall zu erklären. Die Bedeutung der Wissenschaften von den menschlichen Handlungen und von den sonstigen Bewußtseinäußerungen der Menschen, insoweit diese Wissenschaften beschreibender Art sind und mithin auch die Bedeutung einer Theorie des Wertes, die man, auf die Entwicklung und das gute Recht der Praxis hinweisend, gar oft in Frage stellt, kann also nicht zweifelhaft sein. Die Theorie bildet sich aus den Meinungen derjenigen, denen die seltene Gabe zu eigen ist, das gemeine Verhalten zu beobachten und die besser als alle zu sagen wissen, was alle tun.

Wenn auch die theoretische Begabung auf wenige beschränkt ist, so ist es doch nicht so mit der theoretisierenden Neigung. Der gemeine Mann liebt es, über sein Tun nachzusinnen und zu reden und er ist überdies durch die Notwendigkeit des Verkehrs und der Mitteilung geradezu gezwungen, seine Vorstellungen über die ihn zum Handeln anregenden Erscheinungen in Worte und Begriffe zu fassen und seine Meinung über den Verlauf und die Folgen der Handlungen in der Form von Urteilen auszusprechen. So entstehen die volkstümlichen Deutungen des Wesens der menschlichen Angelegenheiten und so entstehen die üblichen Namen der Dinge und die Sprachbegriffe.

Die Aufgabe des Theoretikers wird es sein, gegenüber den umlaufenden theoretisierenden Meinungen und gegenüber den, den Sprachbegriffen zugrunde liegenden Anschauungen die richtige Erkenntnis zur Geltung zu bringen. Er wird sich, um die wahren Gründe und den wahren Verlauf des allgemein befolgten Verfahrens zu erhellen, der gemeinen Denk- und Ausdrucksweise entwinden und entgegenstellen müssen. Seine Lehre wird richtig sein, wenn sie das, was jeder vollzieht, in seinem innersten Zusammenhang aufklärt und zum allgemeinen Verständnis bringt und er wird diese Aufgabe nicht erfüllen können, wenn er nicht so ziemlich allem widerspricht, was man gemeinhin hierüber glaubt und wenn er nicht mit der größten Vorsicht prüft und scheidet, was hierüber in den Begriffen der Volkssprache niedergelegt ist.

Die Werttheorie ist dem ersten Teil ihrer Aufgabe gerecht geworden. Unter der Führung einiger Männer, die durch die Originalität und Energie ihres Denkens ihrem Namen dauernden Nachruhm gesichert haben, ist es den vereinigten und beharrlciehn Anstrengungen einer Reihe von schriftstellerischen Schulen gelungen, die Irrtümer der Volkstheorien über den Wert endgültig aufzudecken und diesen Theorien ihren Einfluß auf die Gedanken der Gebildeten zu nehmen. Aber die Aufgabe ist noch nicht vollendet. Die Entwicklung der Theorie hat eine Schranke gefunden, die bisher von Einzelnen oder nur in einzelnen Beziehungen, aber nicht allgemein und grundsätzlich überschritten wurde. Die Theorie hat sich von der Herrschaft der Sprachbegriffe noch nicht freigemacht.

Das ist umso mehr zu bemerken, als die literarischen Theorien sich in einer anderen Beziehung von den Anschauungen des Lebens weit entfernt halten. Die meisten Schriftsteller über den Wert, während sie dem Einfluß der Sprachbegriffe nachgeben, sind andererseits doch achtlos auf die Absichten, womit die wirtschaftenden Menschen praktisch die Akte der Wertschätzung vollziehen. Die meisten Schriftsteller fassen ihre Aufgabe in einem, dem wahren gerade entgegengesetzten Sinn auf. Sie halten sich mit ihren Ideen in den Grenzen, die die Volkssprache gezogen hat und sie suchen das Allbekannte auf eine Weise zu erklären, die dem Geist der Menschen fremd ist.

Am weitesten vom Streben, den guten Sinn der praktischen Überlegungen zu erforschen, halten sich aus leicht begreiflichen Gründen die sozialistischen Autoren entfernt. KARL MARX nennt die Güter, insofern sie Wert haben, gesellschaftliche Hieroglyphen, deren Sinn die Menschen erst spät zu entziffern suchen; er nennt die Wertbestimmung ein gesellschaftliches Produkt, hinter dessen Geheimnis zu kommen erst spät gelingt, durch eine späte wissenschaftliche Entdeckung, die in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit Epoche macht. Der Prozeß der Wertbildung der Erzeugnisse gilt ihm als ein gesellschaftlicher Prozeß hinter dem Rücken der Produzenten und er ist der Meinung, daß sich das Wertgesetz als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetze, "wie das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt" wie er mitder ihm eigentümlichen Wendung aus dem Hyperabstrakten ins Burleske hinzufügt. FRIEDRICH ENGELS spricht gar von einem Naturgesetz, das auf der Bewußtlosigkeit der Beteiligten beruth. KARL MARX und FRIEDRICH ENGELS sagen aber nur unverhohlen, was in den Schriften der kapitalistisch gesinnten Autoren bereits vorgebildet war. RICARDOs System wird auf jeden aufmerksamen und urteilsfähigen Leser den Eindruck machen, daß über ihn ohne ihn abgehandelt werde; er wird sich, seine Absichten, seine leitenden Beweggründe in der Darstellung, die RICARDO vom Inhalt des Prozesses der Wertbildung gibt, nicht wiedererkennen. Statt Aufklärung über seine täglichen Gedanken zu erhalten, findet er ein fremdes, ihm kaum faßbares Gesetz vorgetragen, als dessen willenloses Werkzeug er sich erscheinen muß. Und von wie vielen anderen Systemen wird er einen anderen Eindruck erhalten? Mag auch keines wieder mit der gleichen rücksichtslosen Folgerichtigkeit ausgedacht sein, so wird er doch fast keines finden, das ihn vertraut, wie eine Stimme aus seinem eigenen Innern, berührte.

Daß diejenigen Schulen der Werttheorie, welche man, wenn man alles in allem mißt, als die herrschenden bezeichnen muß, dennoch, während sie sich so weit von dem Gedankenkreis des gemeinen Mannes entfernten, von seinen Gedankenschöpfungen abhängig blieben; daß die herrschenden Schulen, während sie bei der Auslegung des Inhaltes der Werterscheinungen der wirtschaftlichen Absichten der Menschen vergaßen, doch bei der Abgrenzung des Untersuchungsgebietes und bei der Auswahl der zu untersuchenden Erscheinungen sich der gemeinen Anschauung fügten, indem sie von den Begriffen der Volkssprache geleitet wurden: das nachzuweisen, habe ich mich in diesem Buch besonders bemüht. All die großen Verirrungen der Theorie, die Ideen des gesellschaftlichen Tauschwertes, des Gattungswertes, des Kostenwertes, des Arbeitswertes sind aus der gemeinen Denk- und Anschauungsweise in die Theorie eingegangen. Die Abstammung ist unverkennbar. Der Anschluß der literarischen Meinungen an die volkstümlichen ist ein zu enger, als daß man nicht schließen müßte, daß jene nie entstanden wären, wenn nicht dieses sie erzeugt und genährt hätten.

Um die Abhängigkeit der Theorie von der gemeinen Denk- und Ausdrucksweise deutlicher zu zeigen, habe ich die literarischen Strömungen in ihren allgemeinsten Zügen beschreiben müssen. Dagegen habe ich es, von einer deutschen gelehren Übung abweichend unterlassen, eine ins Einzelne gehende kritische Literaturgeschichte mit der Darlegung der Wertlehre zu verbinden. Die Geschichte der Wertlehre ist so inhaltsreich und merkwürdig, daß sie eine eigene, selbständige Bearbeitung erfordert und die Erklärung des Ursprunges und der Hauptgesetze der Wertschätzung schien mir zu schwierig, als daß ich es wagen wollte, die Schwierigkeiten noch durch eine neue und gar durch eine solche zu vermehren, wie sie die Darstellung der allmählichen Entwicklung menschlicher Gedanken bietet.

Ich beschränke mich darauf, auf die "Grundsätze der Volkswirtschaftslehre" von KARL MENGER zu verweisen, ein Buch, das für die Weiterbildung der Wertlehre von grundlegender Bedeutung ist und das ich an dieser Stelle namentlich hervorhebe, weil ich es sonst an einer Reihe entscheidender Stellen immer wieder berufen müßte. In der ausländischen Literatur verweise ich auf JEVONS, Theory of Political Economy.


I. Hauptstück
Begriff und Wesen des Wertes

1. Abschnitt
Die wissenschaftliche Bedeutung der Sprachbegriffe

In den Naturwissenschaften unterscheidet man überall zwischen der Erscheinung und dem Begriff, welchen die Menschen sprachüblich mit dem Namen verbinden, den sie der Erscheinung geben.

Diese Unterscheidung ist von der größten Wichtigkeit. Der Inhalt der Phänomene, wie ihn die fortschreitende Wissenschaft nach und nach kennen lernt, deckt sich nicht mit den althergebrachten Vorstellungen, die sprachüblich mit dem volkstümlichen Namen der Phänomene verbunden werden müssen. Das Wesen von Licht und Wärme z. B. kommt mit dem Sinn nicht überein, in dem die Namen von Licht und Wärme Bewegung der Materie sei; wer aber unseren Sprachgebraucht untersucht, müßte zu dem Schluß gelangen, daß sie selbst eine besondere Materie sei.

Die moderne Naturforschung beschäftigt sich ausschließlich mit den Phänomenen. Niemand, der Anspruch auf den Namen eines Forschers macht, wird glauben, dadurch, daß er die geltenden Sprachbegriffe untersucht, auch nur das Geringste zur besseren Erkenntnis des Wesens der Dinge beitragen zu können, niemand wird glauben, eine Tatsache, welche durch unmittelbare Beobachtung erwiesen ist, deshalb bezweifeln zu müssen, weil er bemerkt, daß sie sich im Widerspruch mit dem Sinn befindet, in welchem die Menschen den Namen jener Tatsache auszusagen pflegen. Die Argumente aus dem Sprachgebrauch haben alle Geltung verloren, nur die Argumente aus der Sache haben Gewicht. Das ist es, was den Ruhm der modernen Naturwissenschaft ausmacht und ihren Fortschritt sichert; hierdurch ist sie eine empirische Wissenschaft.

In den Wissenschaften vom menschlichen Geist und den menschlichen Akten, in der reinen Philosophie und Psychologie sowohl, als auch in den angewandten Zweigen der Moral, Ästhetik, Rechtswissenschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftslehre usw. finden wir es anders. Hier finden wir die eben besprochene Unterscheidung fast nirgends deutlich vollzogen. In vielen Fällen wird der Leser bei aller Aufmerksamkeit außerstande sein, zu beurteilen, was der Autor eigentlich untersuchen wollte, ob den empirischen Bestand der Erscheinung oder den Begriff, der sich an den Namen der Erscheinung knüpft. Ausgenommen sind fast nur jene Fälle, in denen es sich um die Erklärung technischer Einrichtungen oder Institute handelt, für welche der allgemeine Sprachgebrauch entweder keinen Namen hat oder für welche ein üblicher Namen in einem besonderen, dem Publikum nicht geläufigen Sinne gebraucht wird. Gerade die allgemeinsten, das will sagen die wichtigsten Fakta müssen es daher sein, hinsichtlich welcher der allgemeine Sprachgebrauch den größten Einfluß ausübt. Sie werden fast durchaus in Anlehnung an den gemeinen Wortsinn ihrer Namen untersucht. Die Begriffsbestimmungen, die man aufstellt, sollen fast immer beides zugleich sein, Feststellungen des Wesens der Dinge und Definitionen der Sprachbegriffe. Es ist schwer zu sagen, was ängstlicher vermieden wird, ein Widerspruch wider die Tatsachen oder ein Widerspruch wider die durch den Sprachgebrauch sanktionierten Vorstellungen von den Tatsachen.

Der wissenschaftliche Instinkt unserer Zeit wird durch die Naturwissenschaften bestimmt. Alles, was den Geisteswissenschaften eigentümlich ist, fällt daher befremdlich auf. Wie sollte es also nicht mit Verwunderung bemerkt werden, daß hier die Befolgung einer Regel verabsäumt wird, welche dort als eine der wichtigsten festgehalten wird? Eine Unterscheidung, deren Anwendung dem Naturforscher fast schon selbstverständlich geworden ist, scheint vom Philosophen, vom Juristen, vom Nationalökonomen nicht einmal geahnt zu werden. In den Naturwissenschaften wird aller Fortschritt von der Umwälzung hergeleitet, durch welche die Methode der unmittelbaren Beobachtung zur allein geltenden erhoben wurde, muß man nicht jene anderen Wissenschaften verurteilen, in welchen es noch als eine erlaubte Methode gilt, statt nach den Dingen danach zu forschen, wie die Menschen die Dinge vorstellen und aussagen? Verdienen sie nicht aus diesem Grund allein, um von anderen ganz zu schweigen, mit vollem Recht den Vorwurf, der in unserer Zeit so häufig wider sie erhoben wird, des scholastischen Wesens und einer unempirischen Haltung?

Ich für meine Person kann es nicht leugnen, daß ich den Vorwurf bis zu einem gewissen Maße gerechtfertigt finde. Gerade was die theoretische Nationalökonomie und insbesondere was den wirtschaftlichen Wert betrifft, so ist fast von allen Seiten darin gefehlt worden, daß man mehr die üblichen Wertbegriffe zu analysieren, als das Wertproblem zu lösen bestrebt war und der geringe Erfolg der theoretischen Bemühungen ist vor allem diesem Irrtum in der Auffassung der Aufgabe zuzuschreiben. Nichtsdestoweniger würde ich es für einen schweren Fehler halten, wenn man wegen der vorgekommenen mißbräuchlichen Anwendungen der bisher in unserer und den verwandten Wissenschaften befolgten Methode die Methode selbst aufgeben wollte. Dieselbe ist für uns eine äußerst wirksame, ja unentbehrliche Hilfe; sie erspart es uns, die Erfahrungen, aufgrund deren wir zu urteilen haben, auf einem anderen, mühsameren Weg zu sammeln. Die Bedingungen des Erkennens der Wahrheit liegen eben für uns durchaus anders, als für den Naturforscher. Während dieser die besprochene Methode mit Recht abweist, weil sie auf seinem Gebiet eine Übertretung der Regeln der empirischen Forschung bedeutete, würden wir dagegen den geraden Weg der Empirie verlassen, wenn wir von ihr keinen Gebrauch machen wollten.

Die Naturwissenschaften sind das Gebiet der Entdeckungen und der Erfindungen. Der Mensch ist gegenüber der Natur ein Fremdling, ein Eindringling. Die Erkenntnisse, welche in jenen Zeiten, als die Sprachen entstanden, die Völker in Hinsicht auf das Innere der Schöpfung gewonnen hatten und die Anschauungen, aus welchen die in jenen Zeiten festgestellten Namen und Begriffe entsprungen sind, sind kindlich und unbeholfen gegenüber den reineren Erkenntnissen und Anschauungen, die wir seither erreicht haben. Der Sprachgeist ist hier vom wissenschaftlichen Geist überholt worden. Es fördert die wissenschaftlichen Bestrebungen nicht, sondern es staut sie zurück und verwirrt sie, bei der Untersuchung des Inhaltes an Naturbeobachtung und Naturphilosophie zu verweilen, welcher in der Volkssprache niedergelegt ist, für die heute noch die Sonne aufgeht und die Erde stillsteht.

Auf dem Gebiet der Wissenschaften, welchem die theoretische Nationalökonomie angehört, will sich der Mensch selbst erkennen lernen. Er will sich erkennen lernen; das heißt der Hauptsache nach will er das, was er erlebt hat, was er getan hat, verstehen lernen, nur zum geringeren Teil heißt es, daß er Neues, noch nicht Erlebtes, noch nicht Ausgeführtes in sich zur Entwickung bringen will. Der Hauptsache nach obliegt es diesen Wissenschaften, zu beschreiben, was durch die Menschen geschieht, sie haben ein knappes, geordnetes, Übersicht und Überlegung beförderndes Inventar der mannigfaltigen Lebensäußerungen auszuarbeiten. Insoweit berühren sie nirgends etwas Neues. Alles, worauf sie stoßen, ist ein Bekanntes, muß von irgendjemand erlebt worden sein, in irgendjemandes Bewußtsein schon einmal aufgeleuchtet haben. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, aus Akten des Bewußtsein, die bisher vorzugsweise dem praktischen Gefühl vertraut waren, d. h. mit Rücksicht auf immer wiederkehrende Situationen und oft herbeigeführte Erfolge vertraut und hierbei so dunkel und so von der zufälligen Erregung abhängig waren wie das Gefühl selbst, klar gefaßte und immer gegenwärtige Erkenntnisse abzuleiten, welche dem Verstand endgültig gesichert sind.

Hieraus geht hervor, daß die Bildung der Sprache im Hinblick auf die Ereignisse des menschlichen Bewußtseins unter unvergleichlich günstigeren Bedingungen stattfand, als im Hinblick auf die natürlichen Fakta. Während man hinsichtlich der letzteren ohne Hilfe des wissenschaftlichen Nachdenkens auf eine oberflächliche Kenntnis äußerer Merkmale beschränkt bleiben mußte und daher außerstande war, die Namen entsprechend den wesentlichen Ordnungen der Dinge zuzuteilen, besaß man hinsichtlich der ersteren, wenn auch keine verstandesmäßige Erkenntnis, so doch eine vollkommene Vertrautheit mit dem gesamten Stoff, was für den Zweck der Namengebung genügte; denn um mehreren Erscheinungen den gleichen, anderen wieder verwandte Namen zu geben, mußte man sich allerdings der Gleichheit oder Verwandtschaft d. i. der Anwesenheit gleicher oder verwandter Merkmale, beziehungsweise unterscheidender Merkmale bewußt werden, aber es war nicht erforderlich, daß man eine förmliche und allzeit gegenwärtige Erkenntnis dieser Merkmale besaß - welche erst durch wissenschaftliches Nachdenken erworben werden kann - sondern es genügte, daß das Gefühl im einzelnen Fall für die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit des zu beurteilenden Faktums mit anderen in der Erinnerung festgehaltenen empfindlich war und eines solchen Grades von Empfindlichkeit war man und mußte man fähig sein, da ohne sie eine erfolgreiche praktische Tätigkeit nicht gedacht werden kann.

Selbstverständlicherweise kann dieses Urteil nur im Allgemeinen, im Großen und Ganzen zutreffen, im Einzelnen bedarf es mannigfacher Berichtigung. Gar manche Anschauung über menschliche Dinge, die in der Sprache niedergelegt ist, ist seither als irrig erkannt und von der Wissenschaft verlassen worden, gar manche Seiten des menschlichen Geistes haben sich seither neu entwickelt, für die nun in der Sprache kein gebührender Ausdruck vorhanden ist, in gar manchen Punkten greift ja auch das wissenschaftliche Erkennen, welches die Entwicklungen in einem höheren Zusammenhang zu begreifen sucht, weit über den engen, individualistischen Gesichtskreis hinaus, von dem aus die Sprache vielfach gebildet ist. Im großen und Ganzen jedoch muß das Urteil dahin gefällt werden, daß der Sprachgeist innerhalb des Gebietes, von dem wir jetzt handeln, vom wissenschaftlichen Geist noch nicht überholt, ja, daß er von diesem noch lange nicht erschöpft wurde. Kam ja doch den Menschen, die die Sprache bildeten, die erste Frische der Anschauung, die erste Kraft des Audrucks zustatten; sie haben aus dem Vollen geschöpft, sie waren, wie Leute, die zuerst ein neuentdecktes Land betreten, neue Gegend, neue Völker sehen, für die großen Züge der Dinge, für die Grundformen und Töne des Seienden empfänglich, während wir Epigonen, in einer geordneten und gereiften Welt heranwachsend, auf jegliches Ding schon durch Unterricht vorbereitet, bevor wir seinen lebendigen Eindruck erhalten, gleichsam vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen und Mühe haben, den großen Sinn der Grundworte unserer Muttersprache in uns wiederzuerwecken.

Manche Namen, d. h. manche der mit dem Klang der Namen assoziierten Vorstellungen sind so richtig und klingen in uns so rein an, daß der wissenschaftliche Forscher, um die wesentlichen Merkmale der Erscheinung zu bestimmen, sich auf die Analyse des Sprachbegriffes beschränken darf. Er wird die Abgrenzung der Erscheinung gegenüber den verwandten oder ähnlichen Erscheinungen mit vollster Schärfe vollziehen können, indem er die Grenzen des Sprachgebrauchs feststellt und untersucht, in welchen Fällen, bei Abwesenheit welcher Merkmale der Gebrauch des Namens sprachüblich noch erlaubt oder nicht mehr erlaubt sei. Der Name und das sich demselben verbindende Gefühl wird ihm oft nicht bloß der schnellste, sondern auch der sicherste Führer sein. Wenn ihn jede andere Probe im Stich ließe, wird es ihm oft noch gelingen, zu unterscheiden, indem er sich selber fragt, wie er die Erscheinung nennen müsse, die er vor sich hat. Das Ohr richtet oft noch feiner, als der Verstand. So hat ein geistreicher Jurist die Meinung ausgesprochen, daß es bei der Abfassung eines Strafgesetzes vorzuziehen sei, statt diejenigen Verbrechen, für welche die Volkssprache sichere Namen hat, wie den Mord, den Diebstahl usw. zu definieren, nur die Namen der Verbrechen anzugeben; es könne doch nicht gelingen, die wesentlichen Merkmale des Verbrechens alle zutreffend auszusprechen, während die Probe des Namens den Richter mit voller Zuverlässigkeit darauf führen werde, ob der vorliegende Tatbestand die Qualifikation als Verbrechen verdiene oder nicht. Wenn auch diese Meinung allzuweit gehen dürfte, so ist doch viel Richtiges an ihr. Den Juristen ist es z. B. noch nicht gelungen, die Regeln mit Genauigkeit zu bestimmen, nach welchen dem verletzten Rechtsgefühl eine Tötung als Mord erscheint und im Hinblick auf manche Fragen wissen die Besten von ihnen keinen anderen Rat, als jeweils das Gefühl selbst entscheiden zu lassen, welches sich dann wieder dadurch am klarsten wird, daß es sich fragt, ob es ein Mord sei, was hier geschehen ist, ob derjenige ein Mörder sei, der solches getan hat.

Andere Sprachbegriffe, wenn auch vielleicht nicht von gleicher Reinheit der Bildung, sind in ihrer Sprache so tief gewurzelt, daß sie, solange diese Sprache lebt, die Anschauung der großen Masse des Volkes beherrschen müssen. Sie sind die festen Ufer der Gedanken, die nur von wenigen, selbständigen Denkern durchbrochen werden können. Die Ordnungen des Wahren, Guten, Schönen, des Denkens, Fühlens, Wollens sind solche Richtungswege der Geister. Ihre Berechtigung ist außer Frage, sie ist außer Streit gestellt Wer nicht eine besondere, zugleich bedeutende und seltsame Kraft der Anschauung besitzt, kann nur mit ihnen denken oder er wird gar nicht denken. Die Grundlagen seiner Philosophie, seines Rechtes, seiner Moral sind jedem Volk mit seiner Sprache fixiert.

In den bezeichneten Richtungen wird sich die Wissenschaft gern daran genügen lassen, die Sache mit Hilfe des Wortes, statt ohne jede Beihilfe streng durch eigentlichste Beobachtung zu untersuchen; ist es doch um vieles leichter, die zusammengehörigen Erscheinungen sozusagen beim Namen aufzurufen, als sie durch ihre innerlichen Merkmale, die ja erst festgestellt werden sollen, zu versammeln.

Nun finden sich aber auch Sprachbegriffe genug, die entweder zu undeutlich, zu leer oder zu schwankend sind, als daß man sich ihrer als Hilfe bedienen könnte und es finden sich genug solche, die im einen oder im anderen wichtigen Belang oder auch in mehreren Stücken von Grund auf fehlerhaft angelegt sind, so daß man, wenn man ihnen folgte, in einen auffälligen und unbesiegbaren Widerspruch mit den Tatsachen käme. Zu den ersteren gehören, wie ich schon oben erwähnte, insbesondere die Termini für die technischen und überhaupt für die spezifischen Bildungen; es ist hier nicht der Ort, von diesen ausführlicher zu sprechen. Umso mehr nehmen die letzteren unser Interesse in Anspruch, denn ihnen gehört der Begriff des wirtschaftlichen Wertes an.

Der gemeinübliche Wertbegriff, genauer gesprochen, die gemeinüblichen Wertbegriffe, denn es sind ihrer mehrere zugleich in Übung, sind, wie ich das im Folgenden zu beweisen hoffe, derartig, daß ihre vollkommene Anerkennung die Erkenntnis der Wahrheit über die Werterscheinungen unmöglich machen müßte.

Dies ist meine feste und bedachte Überzeugung. Dennoch halte ich es nicht allein für ersprießlich, sondern sogar für unerläßlich, die Untersuchung der Werterscheinungen mit einer Untersuchung der sprachüblichen Wertbegriffe einzuleiten.

Erstens spricht in diesem wie in allen verwandten Fällen die Vermutung dafür, daß der Sprachbegriff richtig sei. Mindestens ist alle Welt dieses Glaubens und man wird niemand geneigt finden, seinen Glauben ohne gute, ohne überlegene Gegengründe aufzugeben. Wenn alle Welt immer gesagt und gedacht hat, dies oder jenes sei der Wert, so muß derjenige seine abweichende Meinung erst beweisen, der da behauptet: Nein, das, was immer ihr für den Wert gehalten habt,  scheint  bloß der Wert zu sein, ist es aber in Wahrheit nicht; die Tatsache, das Ereignis, worauf ihr zielt, wenn ihr vom Wert sprecht, deckt sich nicht mit dem Begriff, den ihr denkt, wenn ihr seinen Namen gebraucht.

Zweitens, wenn auch die üblichen Wertbegriffe in manchen Stücken irrtümlich sind, so bieten sie doch in den übrigen eine unvergleichliche Förderung. Der Überblick über den Umfang und Inhalt der Erscheinungen, die wir zu prüfen haben, kann auf keine Weise rascher und bequemer gewonnen werden, als indem wir uns den Umfang und Inhalt der mit dem Namen verbundenen Vorstellungen, die allen durch jahrelangen Gebrauch, durch die Anwendung in den mannigfaltigsten Situationen durchaus und bis in ihre Feinheiten vertraut geworden sind, zu vergegenwärtigen suchen. Scheiden wir dann noch aus oder fügen wir dann noch hinzu, was mit Rücksicht auf die von uns bemerkten Irrtümer der gangbaren Vorstellungen auszuscheiden oder hinzuzufügen wäre, so haben wir mit ziemlich geringer Mühe eine Arbeit getan, die wir wohl zu vollbringen nicht hoffen dürften, wenn nicht in der Sprache der größere Teil des Werkes bereits vorgearbeitet wäre.

Hierin offenbart sich der Charakter der Wertlehre als eines Zweiges der Wissenschaften, die das Gebiet der menschlichen Taten durchforschen. Über den Wert sind bereits praktisch bewährte Kenntnisse, glaubwürdige Mitteilungen, uralte, durch die Zeiten gefestigte Überlieferungen da. Wer wäre töricht genug, sie zu verschmähen? Wer wollte diese Belehrung geringschätzen, die vollständiger ist, als jede, welche aus einem Buch zu holen ist, das ein Einzelner mit der Erfahrung eines individuellen Lebens geschrieben hat und die doch zugleich näher zu finden ist, als jede andere, weil man sie nicht erst aufzusuchen und nachzublättern braucht, sondern in sich selber besitzt, wo sie jeder seit den ersten Lauten, die er hörte, unaufhörlich aufgenommen und gespeichert hat und nur lebendig machen muß, um sie voll zu beherrschen! Ein Naturforscher, der die Arbeiten der berühmten Meister seiner Wissenschaft nicht benützen, der infolge einer mißverständlichen Auffassung der empirischen Methode selber von Neuem beweisen wollte, was ARCHIMEDES, GALILEI, KEPLER und NEWTON bereits bewiesen haben, wäre das Seitenstück zu dem Wirtschaftsphilosophen, der den Wert ergründen wollte, und, um streng empirisch zu sein, es unterließe, in Erfahrung zu bringen, was die Menschen praktisch über den Wert bereits wissen und durch die Sprache einander mitteilen. Die Naturwissenschaften sind durch die Bemühungen Einzelner und vor allem durch die Taten der großen Männer, deren Namen der Nachwelt überliefert sind, entstanden, die Anfänge der Wissenschaften vom Menschen hat die namenlose Menge des Volkes im Stillen geschaffen, und doch, wenn man eins gegen das andere abwägt, möchte es schwer zu entscheiden sein, welche Leistung die größere ist und welche zu entbehren empfindlicher wäre.

So beginnen wir nun das Studium der Werterscheinung mit der Prüfung der Anschauungen der ungenannten Autoren, denen die erste Bildung des Wertbegriffs zu verdanken ist.
LITERATUR - Friedrich von Wieser, Über den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes, Wien 1884