cr-2 Erste EinleitungZweite EinleitungP. Hensel    
 
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
(1762 - 1814)
Grundlage der
gesamten Wissenschaftslehre

[1794]

"Den Satz  A ist A  gibt jeder zu; und zwar ohne sich im geringsten darüber zu bedenken: man erkennt ihn für völlig gewiß und ausgemacht an. Man setzt aber durch die Behauptung, daß obiger Satz ansich gewiß ist,  nicht,  daß  A  ist. Der Satz:  A ist A  ist gar nicht gleichgeltend dem:  A ist,  oder:  es  ist ein  A.  Sondern man  setzt: wenn A  ist,  dann  ist  A.  Mithin ist davon,  ob  überhaupt  A  ist oder nicht, gar nicht die Frage. Es ist nicht die Frage vom  Gehalt  des Satzes, sondern bloß von seiner  Form;  nicht von dem,  wovon  man etwas weiß, sondern von dem,  was  man weiß, von irgendeinem Gegenstand, welcher es auch sein mag."

"Der Satz: Ich bin Ich, hat eine ganz andere Bedeutung als der Satz:  A ist A.  - Nämlich der letztere hat nur unter einer gewissen Bedingung einen Gehalt.  Wenn A  gesetzt ist, so ist es freilich  als A,  mit dem Prädikat  A  gesetzt. Es ist aber durch jenen Satz noch gar nicht ausgemacht,  ob  es überhaupt gesetzt, mithin, ob es mit irgendeinem Prädikat gesetzt ist. Der Satz: Ich bin Ich, aber gilt unbedingt und schlechthin; er gilt nicht nur der Form, er gilt auch seinem Gehalt nach. In ihm ist das Ich, nicht unter einer Bedingung, sondern schlechthin, mit dem Prädikat der Gleichheit mit sich selbst gesetzt; es ist also gesetzt; und der Satz läßt sich auch so ausdrücken:  Ich bin." 

"Man hört wohl die Frage aufwerfen:  was  war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewußtsein kam? Die natürliche Antwort darauf ist:  ich  war gar nicht; denn ich war nicht Ich. Das Ich ist nur insofern, als es sich seiner bewußt ist. - Die Möglichkeit jener Frage gründet sich auf eine Verwirrung zwischen dem Ich als  Subjekt  und dem Ich als  Objekt  der Reflexion des absoluten Subjekts, und ist ansich völlig unstatthaft. Man kann gar nichts denken, ohne sein Ich, als sich seiner selbst bewußt zu denken; man kann von seinem Selbstbewußtsein nie abstrahieren: mithin sind alle Fragen von der obigen Art nicht zu beantworten; denn sie sind, wenn man sich wohl selbst versteht, nicht aufzuwerfen."

Vorbericht zur ersten Auflage

Ich würde vor diesem Buch, das nicht eigentlich für das Publikum bestimmt war, demselben nichts zu sagen gehabt haben, wenn es nicht, sogar ungeendigt, auf die indiskreteste Weise vor einen Teil desselbe wäre gezogen worden. Über die Dinge der Art vor der Hand nur soviel! -

Ich glaubte, und glaube noch, den Weg entdeckt zu haben, auf welchem die Philosophie sich zum Rang einer evidenten Wissenschaft erheben muß. Ich kündigte dies (1) bescheiden an, legte dar, wie ich nach dieser Idee gearbeitet haben würde, wie ich nun nach veränderter Lage nach ihr arbeiten müßte, und fing an den Plan ins Werk zu setzen. Dies war natürlich. Es war aber ebenso natürlich, daß andere Kenner und Bearbeiter der Wissenschaft meine Idee untersuchten, prüften, beurteilten, daß sie, sie mochten nun innere oder äußere Gründe haben, sich den Weg nicht gefallen zu lassen, den ich die Wissenschaft führen wollte, mich zu widerlegen suchten. Aber wozu es dienen sollte, das, was ich behauptet habe, geradezu ohne alle Prüfung zu verwerfen, höchstens sich die Mühe zu nehmen, es zu verdrehen, jede Gelegenheit herbeizuziehen, um es auf die leidenschaftliche Weise zu schmähen und zu verschreien, läßt sich nicht einsehen. Was mag doch jene Beurteiler so ganz aus ihrer Fassung gebracht haben? Sollte ich von Nachbeterei und Seichtigkeit mit Achtung sprechen, da ich dieselben doch gar nicht achte? Was hätte mich dazu verbinden sollen? - besonders, da ich mehr zu tun hatte, und vor mir jeder Stümper ruhig seinen Weg hätte gehen mögen, wenn er mich nicht nötigte, durch Aufdeckung seiner Stümperei mir selbst Platz zu machen.

Oder hat ihr feindseliges Benehmen noch einen anderen Grund? - Für ehrliche Leute sei folgendes gesagt, für welche allein es einen Sinn hat. - Was auch meine Lehre ist, ob echte Philosophie, oder Schwärmerei und Unsinn, so verschlägt dies meiner Person nichts, wenn ich redlich geforscht habe. Ich würde durch das Glück, die erstere entdeckt zu haben, meinen persönlichen Wert so wenig gehoben, als durch das Unglück, neue Irrtümer auf die Irrtümer aller Zeiten aufgebaut zu haben, denselben erniedrigt glauben. An meine Person denke ich überall nicht: aber für die Wahrheit bin ich entflammt, und was ich für wahr halte, das werde ich immer so stark und so entscheidend sagen, als ich es vermag.

Im gegenwärtigen Buch, wenn man die Schrift "Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen" mit dazu nimmt, glaube ich mein System so weit verfolgt zu haben, daß jeder Kenner sowohl den Grund und Umfang desselben, als auch die Art, wie auf jenen weiter aufgebaut werden muß, vollständig übersehen kann. Meine Lage erlaubt mir nicht, ein bestimmtes Versprechen abzulegen,  wann  und  wie  ich die Bearbeitung desselben fortsetzen werde.

Die Darstellung erkläre ich selbst für höchst unvollkommen und mangelhaft, teils weil sie für meine Zuhörer, wo ich durch den mündlichen Vortrag nachhelfen konnte, in einzelnen Bogen, so wie ich für meine Vorlesungen eines bedurfte, erscheinen mußte; teils weil ich eine feste Terminologie - das bequemste Mittel für Buchstäbler, jedes System seines Geistes zu berauben, und es in ein trockenes Gerippe zu verwandeln - soviel als möglich zu vermeiden suchte. Ich werde dieser Maxime auch bei künftigen Bearbeitungen des Systems, bis zur endlichen vollendeten Darstellung desselben, treu bleiben. Ich will jetzt noch gar nicht zubauen, sondern möchte nur das Publikum veranlassen, mit mir den künftigen Bau zu überschlagen. Man wird aus dem Zusammenhang erklären, und sich erst eine Übersicht des Ganzen verschaffen müssen, ehe man sich einen einzelnen Satz scharf bestimmt; eine Methode, die freilich den guten Willen voraussetzt, dem System Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nicht die Absicht, nur Fehler an ihm zu finden.

Ich habe viele Klagen über die Dunkelheit und Unverständlichkeit des bis jetzt auswärts bekannten Teils dieses Buchs, wie auch der Schrift "Über den Begriff der Wissenschaftslehre", gehört.

Gehen die die letztere Schrift betreffenden Klagen insbesondere auf § 8. derselben, so kann ich allerdings Unrecht gehabt haben, daß ich die bei mir durch das ganze System bestimmten Grundsätze desselben hingab, ohne das System; und mir von den Lesern und Beurteilern die Geduld versprach, alles so unbestimmt zu lassen, als ich es gelassen hatte. Gehen sie auf die ganze Schrift, so bekenne ich im voraus, daß ich im Fach der Spekulation für diejenigen nie etwas Verständliches werde schreiben können, denen sie unverständlich war. Ist jene Schrift die Grenze ihres Verstehens, so ist sie die Grenze meiner Verständlichkeit; unsere Geister sind durch diese Grenze voneinander geschieden, und ich ersuche sie mit dem Lesen meiner Schriften nicht die Zeit zu verderben. - Dieses Nichtverstehen kann Grund haben, welchen es will, es liegt in der Wissenschaftslehre selbst ein Grund, warum sie gewissen Lesern immer unverständlich bleiben muß: der, daß sie das Vermögen der Freiheit der inneren Anschauung voraussetzt. - Dann verlangt jeder philosophische Schriftsteller mit Recht, daß der Leser den Faden des Räsonnements festhält, und nichts Vorhergegangenes vergessen hat, wenn er beim Folgenden steht. Etwas, das unter diesen Bedingungen nicht verstanden werden könnte, und nicht notwendig richtig verstanden werden müßte in diesen Schriften - ist mir wenigstens nicht bekannt; und ich glaube allerdings, daß der Verfasser eines Buches selbst bei der Beantwortung dieser Frage eine Stimme hat. Was vollkommen klar gedacht worden ist, ist verständlich; und ich bin mir bewußt, alles vollkommen klar gedacht zu haben, so daß ich jede Behauptung zu jedem beliebigem Grad der Klarheit erheben wollte, wenn mir Zeit und Raum genug gegeben ist.

Besonders halte ich für nötig zu erinnern, daß ich nicht alles sagen, sondern meinem Leser auch etwas zum Denken überlassen wollte. Es sind mehrere Mißverständnisse, die ich sicher voraussehe, und denen ich mit ein paar Worten hätte abhelfen können. Ich habe auch diese paar Worte nicht gesagt, weil ich das Selbstdenken unterstützen möchte. Die Wissenschaftslehre soll sich überhaupt nicht  aufdrängen,  sondern sie soll  Bedürfnis sein,  wie sie es ihrem Verfasser war.

Die künftigen Beurteiler dieser Schrift ersuche ich auf das Ganze einzugehen, und jeden einzelnen Gedanken aus dem Gesichtspunkt des Ganzen anzusehen. Der Hallische Rezensent äußert seine Vermutung, daß ich bloß einen Scherz habe treiben wollen; die anderen Beurteiler der Schrift "Über den Begriff der Wissenschaftslehre", scheinen das gleichfalls geglaubt zu haben; so leicht gehen sie über die Sache hin, uns so spaßhaft sind ihre Erinnerungen, als ob sie Scherz durch Scherz zu erwidern hätten.

Ich kann der Erfahrung zufolge, daß ich beim dreimaligen Durcharbeiten dieses Systems meine Gedanken über einzelne Sätze desselben jedesmal anders modifiziert gefunden habe, erwarten, daß sie sich bei fortgesetztem Nachdenken immer weiter verändern und bilden werden. Ich werde selbst am sorgfältigsten daran arbeiten, und jede brauchbare Erinnerung von anderen wird mir willkommen sein. - Ferner, so innig ich überzeugt bin, daß die Grundsätze, auf welchen dieses ganze System ruht, unumstößlich sind, und so stark ich auch hier und da diese Überzeugung mit meinem vollen Recht geäußert habe, so wäre es doch eine mir bis jetzt freilich undenkbare Möglichkeit, daß sie dennoch umgestoßen würden Auch das würde mir willkommen sein, weil die Wahrheit dadurch gewinnen würde. Man lasse sich nur ein auf dieselben, und versuche es, sie umzustoßen.

Was mein System eigentlich ist, und unter welche Klasse man es bringen könnte, ob echter durchgeführter Kritizismus, wie  ich  glaube, oder wie man es sonst nennen will, tut nichts zur Sache. Ich zweifle nicht, daß man ihm mancherlei Namen finden, und es mehrerer einander gerade zuwider laufender Ketzereien beschuldigen werde. Dies mag man; nur verweise man mich nicht an alte Widerlegungen, sondern widerlege selbst.



Erster Teil
Grundsätze der gesamten Wissenschaftslehre

§ 1. Erster, schlechthin unbedingter Grundsatz

Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz allen menschlichen Wissens  aufzusuchen. Beweisen  oder  bestimmen  läßt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz sein soll.

Er soll diejenige  Tathandlung  ausdrücken, welche unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewußtseins nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewußtsein zugrunde liegt, und es allein möglich macht. (2) Bei der Darstellung dieser Tathandlung ist weniger zu befürchten, daß man sich etwa dabei dasjenige  nicht  denken wird, was man sich zu denken hat - dafür ist durch die Natur unseres Geistes schon gesorgt - als daß man sich dabei denken wird, was man nicht zu denken hat. Das macht eine  Reflexion  über dasjenige, was man etwa zunächst dafür halten könnte, und eine  Abstraktion  von allem, was nicht wirklich dazu gehört, notwendig.

Selbst mittels dieser abstrahierenden Reflexion nicht - kann eine Tatsache des Bewußtseins werden, was ansich keine ist; aber es wird durch sie erkannt, daß man jene Tathandlung, als Grundlage allen Bewußtseins, notwendig  denken  muß.

Die Gesetze der allgemeinen Logik, nach denen man sich jene Tathandlung schlechterdings als Grundlage des menschlichen Wissens denken muß, oder - was das gleiche ist - die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird, sind noch nicht als gültig erwiesen, sondern sie werden stillschweigend, als bekannt und ausgemacht, vorausgesetzt. Erst tiefer unten werden sie von einem Grundsatz, dessen Aufstellung bloß unter der Bedingung ihrer Richtigkeit richtig ist, abgeleitet. Dies ist ein Zirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Zirkel. (Siehe "Über den Begriff der Wissenschaftslehre", § 7). Da er nun unvermeidlich und frei zugestanden ist, so darf man sich auch bei der Aufstellung des höchsten Grundsatzes auf alle Gesetze der allgemeinen Logik berufen.

Wir müssen auf dem Weg der anzustellenden Reflexion von irgendeinem Satz ausgehen, den uns Jeder ohne Widerrede zugibt. Dergleichen Sätze dürfte es wohl auch mehrere geben. Die Reflexion ist frei; und es kommt nicht darauf an, von welchem Punkt sie ausgeht. Wir wählen denjenigen, von welchem aus der Weg zu unserem Ziel am kürzesten ist.

So wie dieser Satz zugestanden wird, muß zugleich dasjenige, was wir der ganzen Wissenschaftslehre zugrunde legen wollen, als Tathandlung zugestanden sein: und es muß sich aus der Reflexion ergeben,  daß  es als solche,  zugleich mit jenem Satz,  zugestanden ist. - Irgendeine Tatsache des empirischen Bewußtseins wird aufgestellt; und es wird eine empirische Bestimmung nach der anderen von ihr abgesondert, solange bis dasjenige, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich weiter nichts absondern läßt, rein zurückbleibt.

1) Den Satz  A ist A  (soviel als  A = A,  denn das ist die Bedeutung der logischen Kopula) gibt jeder zu; und zwar ohne sich im geringsten darüber zu bedenken: man erkennt ihn für völlig gewiß und ausgemacht an.

Wenn aber Jemand einen Beweis desselben fordern sollte, so würde man sich auf einen solchen Beweis gar nicht einlassen, sondern behaupten, jener Satz sei  schlechthin d. h.  ohne allen weiteren Grund,  gewiß: und indem man dieses, ohne Zweifel mit allgemeiner Bestmmung, tut, schreibt man sich das Vermögen zu,  etwas schlechthin zu setzen. 

2) Man setzt durch die Behauptung, daß obiger Satz ansich gewiß ist,
     nicht,  daß  A  ist. Der Satz:  A ist A  ist gar nicht gleichgeltend dem:  A ist,  oder:  es  ist ein  A. (Sein,  ohne Prädikat gesetzt drückt etwas ganz anderes aus, als Sein mit einem Prädikat; darüber weiter unten.) Man nehme an,  A  bedeutet einen in zwei gerade Linien eingeschlossenen Raum, so bleibt jener Satz immer richtig; obgleich der Satz:  A ist,  offenbar falsch wäre. Sondern

    man  setzt: wenn A  ist,  dann  ist  A.  Mithin ist davon,  ob  überhaupt  A  ist oder nicht, gar nicht die Frage. Es ist nicht die Frage vom  Gehalt  des Satzes, sondern bloß von seiner  Form;  nicht von dem,  wovon  man etwas weiß, sondern von dem,  was  man weiß, von irgendeinem Gegenstand, welcher es auch sein mag.

    Mithin wird durch die Behauptung, daß der obige Satz schlechthin gewiß ist,  das  festgesetzt, daß zwischen jenem  Wenn  und diesem  Dann  ein notwendiger Zusammenhang besteht; und der  notwendige Zusammenhang zwischen beiden  ist es, der  schlechthin,  und  ohne allen Grund  gesetzt wird. Ich nenne diesen notwendigen Zusammenhang vorläufig  = X. 
3) Im Hinblick auf  A  selbst aber,  ob  es ist oder nicht, ist dadurch noch nichts gesetzt. Es entsteht also die Frage: unter welcher Bedingung  ist  denn  A? 
    a.  X  wenigstens ist  im  Ich, und  durch  das Ich gesetzt - denn das Ich ist es, welches im obigen Satz urteilt, und zwar nach  X  als einem Gesetz urteilt; welches mithin dem Ich gegeben ist, und da es schlechthin und ohne allen weiteren Grund aufgestellt wird, dem Ich durch das Ich selbst gegeben sein muß.

    b.  Ob,  und  wie A  überhaupt gesetzt ist, wissen wir nicht; aber da  X  einen Zusammenhang zwischen einem unbekannten Setzen des  A,  und einem unter der Bedingung jenes Setzens absoluten Setzen desselben  A  bezeichnen soll, so ist,  wenigstens  insofern jener Zusammenhang gesetzt wird,  A im  Ich, und  durch  das Ich gesetzt, so wie  X; X  ist nur in Beziehung auf ein  A  möglich; nun ist  X  im Ich wirklich gesetzt: mithin muß auch  A  im Ich gesetzt sein, insofern  X  darauf bezogen wird.

    c.  X  bezieht sich auf dasjenige  A,  welches im obigen Satz die logische Stelle des Subjekts einnimmt, ebenso wie auf dasjenige, welches für das des Prädikats steht; denn beide werden durch  X  vereinigt. Beide also sind, insofern sie gesetzt sein, im Ich gesetz; und das im Prädikat wird, unter der Bedingung, daß das im Subjekt gesetzt ist, schlechthin gesetzt; und der obige Satz läßt sich demnach auch so ausdrücken: Wenn  A im Ich  gesetzt ist, so  ist es gesetzt;  oder - so  ist  es.
4) Es wird demnach durch das Ich mittels  X  gesetzt:  A sei für das urteilende Ich schlechthin und lediglich kraft seines Gesetztseins im Ich überhaupt;  das heißt: es wird gesetzt, daß im Ich - es sei nun insbesondere setzend, oder urteilend, oder was es auch sei - etwas sei, das sich stets gleich, stets ein und dasselbe sei; und das schlechthin gesetzte  X  läßt sich auch so ausdrücken:  Ich = Ich; Ich bin Ich. 

5) Durch diese Operation sind wir schon unvermerkt zu dem Satz:  Ich bin  (zwar nicht als Ausdruck einer  Tathandlung,  aber doch einer  Tatsache)  angekommen. Denn
    ist schlechthin gesetzt; das ist eine Tatsache des empirischen Bewußtseins. Nun ist  X  gleich dem Satz: Ich bin Ich; mithin ist auch dieser schlechthin gesetzt.
Aber der Satz: Ich bin Ich, hat eine ganz andere Bedeutung als der Satz:  A ist A.  - Nämlich der letztere hat nur unter einer gewissen Bedingung einen Gehalt.  Wenn A  gesetzt ist, so ist es freilich  als A,  mit dem Prädikat  A  gesetzt. Es ist aber durch jenen Satz noch gar nicht ausgemacht,  ob  es überhaupt gesetzt, mithin, ob es mit irgendeinem Prädikat gesetzt ist. Der Satz: Ich bin Ich, aber gilt unbedingt und schlechthin, denn er ist gleich dem Satz  X;  er gilt nicht nur der Form, er gilt auch seinem Gehalt nach. In ihm ist das Ich, nicht unter einer Bedingung, sondern schlechthin, mit dem Prädikat der Gleichheit mit sich selbst gesetzt; es ist also gesetzt; und der Satz läßt sich auch so ausdrücken:  Ich bin. 

Dieser Satz: Ich bin, ist bis jetzt nur auf eine Tatsache gegründet, und hat keine andere Gültigkeit, als die einer Tatsache. Soll der Satz:  A = A  (oder bestimmter, dasjenige was in ihm schlechthin gesetzt ist = X) gewiß sein, so muß auch der Satz: Ich bin, gewiß sein. Nun ist es eine Tatsache des empirischen Bewußtseins, daß wir genötigt sind,  X  für schlechthin gewiß zu halten; mithin auch den Satz: Ich bin - auf welchen  X  sich gründet. Es ist demnach der Erklärungsgrund aller Tatsachen des empirischen Bewußtseins, daß vor allem Setzen im Ich vorher das Ich selbst gesetzt ist. -  (Aller  Tatsachen, sage ich: und das hängt vom Beweis des Satzes ab, daß  X  die höchste Tatsache des empirischen Bewußtseins ist, die allen zugrunde liegt und in allen enthalten ist: welcher wohl ohne allen Beweis zugegeben werden dürfte, ungeachtet dessen, daß die ganze Wissenschaftslehre sich damit beschäftigt, ihn zu erweisen.)

6) Wir gehen auf den Punkt zurück, von welchem wir ausgingen.
    a. Durch den Satz  A = A  wird  geurteilt.  Alles Urteilen aber ist laut des empirischen Bewußtseins ein Handeln des menschlichen Geistes; denn es hat alle Bedingungen der Handlung im empirischen Selbstbewußtsein, welche zum Zweck der Reflexion, als bekannt und ausgemacht, vorausgesetzt werden müssen.

    b. Diesem Handeln nun liegt etwas auf nichts höheres gegründetes, nämlich  X = Ich bin,  zugrunde.

    c. Demnach ist das  schlechthin gesetzte,  und  auf sich selbst gegründete  - Grund  eines gewissen  (durch die ganze Wissenschaftslehre wird sich ergeben:  alles)  Handelns des menschlichen Geistes, mithin sein reiner Charakter; der reine Charakter der Tätigkeit ansich: abgesehen von den besonderen empirischen Bedingungen derselben.
Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Tätigkeit desselben. - Das Ich  setzt sich selbst,  und es  ist,  vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: das Ich  ist,  und es  setzt  sein Sein, vermöge seines bloßen Seins. - Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Tätige, und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; Handlung und Tat sind ein und dasselbe; und daher ist das  Ich bin  der Ausdruck einer Tathandlung; aber auch der einzig-möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muß.

7) Wir betrachten jetzt noch einmal den Satz:  Ich bin Ich. 
    a. Das Ich ist schlechthin gesetzt. Man nehme an, daß das im obigen Satz anstelle des formalen Subjekts (3) stehende Ich das  schlechthin gesetzte;  das in der Stelle des Prädikats aber das  seiende  bedeute; so wird durch das schlechthin gültige Urteil, daß beide völlig eins sind, ausgesagt, oder schlechthin gesetzt; das  Ich  ist,  weil  es sich gesetzt hat.

    b. Das Ich in der ersteren, und das in der zweiten Bedeutung sollen sich schlechthin gleich sein. Man kann demnach den obigen Satz auch umkehren und sagen: das Ich setzt sich selbst, schlechthin  weil  es ist. Es  setzt  sich durch sein bloßes Sein, und  ist  durch sein bloßes  Gesetztsein. 
Und das macht es auch völlig klar, in welchem Sinn wir hier das Wort Ich gebrauchen, und führt uns auf eine bestimmte Erklärung des Ich, als absoluten Subjekts.  Dasjenige, dessen Sein (Wesen) bloß darin besteht, daß es sich selbst als seiend setzt,  ist das Ich, als absolutes Subjekt. So wie es sich  setzt, ist  es; und so wie es  ist, setzt  es sich; und das Ich ist demnach für das Ich schlechthin und notwendig. Was nicht für sich selbst ist, ist kein Ich.

(Zur Erläuterung! Man hört wohl die Frage aufwerfen:  was  war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewußtsein kam? Die natürliche Antwort darauf ist:  ich  war gar nicht; denn ich war nicht Ich. Das Ich ist nur insofern, als es sich seiner bewußt ist. - Die Möglichkeit jener Frage gründet sich auf eine Verwirrung zwischen dem Ich als  Subjekt  und dem Ich als  Objekt  der Reflexion des absoluten Subjekts, und ist ansich völlig unstatthaft. Das Ich stellt sich selbst vor, nimmt insofern sich selbst in die Form der Vorstellung auf und ist erst nun  Etwas,  ein Objekt; das Bewußtsein bekommt in dieser Form ein Substrat, welches  ist,  auch ohne wirkliches Bewußtsein, und noch dazu körperlich gedacht wird. Man denkt sich einen solchen Zustand, und frägt:  Was  war damals das Ich; d. h. was ist das Substrat des Bewußtseins. Aber auch dann denkt man unvermerkt das  absolute Subjekt,  als jenes Substrat anschauend,  mit  hinzu; man denkt also unvermerkt gerade dasjenige hinz, wovon man abstrahiert zu haben vorgab; und widerspricht sich selbst. Man kann gar nichts denken, ohne sein Ich, als sich seiner selbst bewußt zu denken; man kann von seinem Selbstbewußtsein nie abstrahieren: mithin sind alle Fragen von der obigen Art nicht zu beantworten; denn sie sind, wenn man sich wohl selbst versteht, nicht aufzuwerfen.

8) Ist das Ich nur, insofern es sich setzt, so ist es auch nur  für  das setzende, und setzt nur für das seiende. -  Das Ich ist für das Ich,  - setzt es aber sich selbst, schlechthin, so wie es ist, so setzt es sich notwendig und ist notwendig für das Ich.  Ich bin nur für Mich; aber für Mich bin ich notwendig,  (indem ich sage  für Mich,  setze ich schon mein Sein).

9)  Sich selbst setzen  und  Sein  sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich. Der Satz: Ich bin, weil ich mich selbst gesetzt habe, kann demnach auch so ausgedrückt werden:  Ich bin schlechthin, weil Ich bin. 

Ferner, das sich setzende Ich, und das seiende Ich sind völlig gleich, ein und dasselbe. Das Ich ist dasjenige, als  Was  es sich setzt; und es setzt sich als  dasjenige,  was es ist. Also:  Ich bin schlechthin, was ich bin. 

10) Der unmittelbare Ausdruck der jetzt entwickelten Tathandlung wäre folgende Formel:  Ich bin schlechthin, d. h. ich bin schlechthin, weil ich bin; und bin schlechthin, was ich bin; beides für das Ich. 

Denkt man sich die Erzählung von dieser Tathandlung an die Spitze einer Wissenschaftslehre, so müßte sie etwa folgendermaßßen ausgedrückt werden:  Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sei eigenes Sein. (4)



Wir sind von dem Satz  A = A  ausgegangen; nicht, als ob der Satz: Ich bin, sich aus ihm erweisen ließe, sondern weil wir on irgendeinem, im empirischen Bewußtsein gegebenen  gewissen  ausgehen mußten. Aber selbst in unserer Erörterung hat sich ergeben, daß nicht der Satz:  A = A  den Satz  Ich bin,  sondern daß vielmehr der letztere den ersteren begründet.

Wird im Satz "Ich bin" von dem bestimmten Gehalt, dem Ich, abstrahiert, und die bloße Form, welche mit jenem Gehalte gegeben ist,  die Form der Folgerung vom Gesetztsein auf das Sein,  übrig gelassen; wie es zum Zweck der Logik (siehe "Begriff der WL, § 6) geschehen muß; so erhält man als  Grundsatz  der Logik den Satz  A = A,  der nur durch die Wissenschaftslehre erwiesen und bestimmt werden kann.  Erwiesen: A ist A,  weil das Ich, welches  A  gesetzt hat, gleich ist demjenigen, in welchem es gesetzt ist:  bestimmt;  alles was ist, ist nur insofern, als es im Ich gesetzt ist, und außer dem Ich ist nichts. Kein mögliches  A  im obigen Satz (kein Ding) kann etwas anderes sein, als ein im Ich gesetztes.

Abstrahiert man ferner von allem Urteilen, als bestimmtem Handeln, und sieht bloß auf die durch jene Form gegebene Handlungs art  des menschlichen Geistes überhaupt, so hat man die  Kategorie der Realität.  Alles, worauf der Satz  A = A  anwendbar ist, hat  insofern derselbe darauf anwendbar ist,  Realität. Dasjenige, was durch das bloße Setzen irgendeines Dings (eines im Ich gesetzten) gesetzt ist, ist in ihm Realität, ist sein Wesen.

(Der MAIMONsche Skeptizismus gründet sich zuletzt auf die Frage über unsere Befugnis zur Anwendung der Kategorie der Realität. Diese Befugnis läßt sich aus keiner anderen ableiten, sondern wir sind dazu schlechthin befugt. Vielmehr müssen aus ihr alle möglichen übrigen abgeleitet werden; und selbst der MAIMONsche Skeptizismus setzt sie unvermerkt voraus, indem er die Richtigkeit der allgemeinen Logik anerkennt. Aber es läßt sich etwas aufzeigen, wovon jede Kategorie selbst abgeleitet ist: das Ich, als absolutes Subjekt. Für alles mögliche übrige, worauf sie angewendet werden soll, muß gezeigt werden, daß  aus dem Ich  Realität darauf übertragen wird: - daß es sein muß, sofern das Ich ist.)



Auf unseren Satz, als absoluten Grundsatz allen Wissens hat KANT in seiner Deduktion der Kategorien gedeutet; er hat ihn aber nie  als  Grundsatz bestimmt aufgestellt. Vor ihm hat DESCARTES einen ähnlichen angegeben:  cogito, ergo sum,  welches nicht eben der Untersatz und die Schlußfolge eines Syllogismus sein muß, dessen Obersatz hieße:  quodcumque cogitat, est;  [Was er denkt, das ist er. - wp], sondern welches er auch sehr wohl als unmittelbare Tatsache des Bewußtseins betrachtet haben kann. Dann hieße es soviel, als  cogitans sum, ergo sum  [Das Denken ist, also bin ich. - wp] (wie wir sagen würden,  sum, ergo sum).  Aber dann ist der Zusatz  cogitans  völlig überflüssig; man denkt nicht notwendig, wenn man ist, aber man ist notwendig, wenn man denkt. Das Denken ist gar nicht das Wesen, sondern nur eine besondere Bestimmung des Seins; und es gibt außer jener noch manche anderen Bestimmungen unseres Seins. - REINHOLD stellt den Satz der Vorstellung auf, und in der Kartesischen Form würde sein Grundsatz heißen:  repraesento, ergo sum,  [ich stelle dar, also bin ich. - wp] oder richtiger  repraesentans sum, ergo sum  [Die Darstellung ist, also bin ich. - wp]. Er geht um ein beträchtliches weiter als DESCARTES; aber wenn er nur die Wissenschaft selbst und nicht etwa bloß die Propädeutik derselben aufstellen will, nicht weit genug; denn auch das Vorstellen ist nicht das Wesen des Seins, sondern eine besondere Bestimmung desselben; und es gibt außer dieser noch andere Bestimmungen unseres Seins,  obgleich sie durch das Medium der Vorstellung hindurch gehen müssen, um zu empirischen Bewußtsein zu gelangen. 

Über unseren  Satz,  im angezeigten Sinn, hinausgegangen ist SPINOZA. Er leugnet nicht die Einheit des empirischen Bewußtsein, aber er leugnet gänzlich das reine Bewußtsein. Nach ihm verhält sich die ganze Reihe der Vorstellungen eines empirischen Subjekts zum einzigen reinen Subjekt, wie eine Vorstellung zur Reihe. Ihm ist das Ich (dasjenige, was Er  sein  Ich nennt, oder ich  mein  Ich nenne) nicht schlechthin,  weil  es ist; sondern weil  etwas anderes  ist. - Das Ich ist nach ihm zwar  für  das Ich ein Ich, aber er frägt, was für ein etwas es außer dem Ich sein würde. Ein solches, "außer dem Ich" wäre gleichfalls ein Ich, von welchem das gesetzte Ich (z. B.  mein  Ich) und alle möglichen setzbaren Ich-Modifikationen wären. Er trennt das  reine,  und das  empirische  Bewußtsein. Das erstere setzt er in Gott, der sich seiner nie bewußt wird, da das reine Bewußtsein nie zum Bewußtsein gelangt; das letzte in die besonderen Modifikationen der Gottheit. So aufgestellt ist sein System völlig konsequent und unwiderlegbar, weil er sich in einem Feld befindet, auf welches die Vernunft ihm nicht weiter folgen kann; aber es ist grundlos; den was berechtigte ihn denn über das im empirischen Bewußtsein gegebene reine Bewußtsein hinauszugehen? - - Was ihn auf sein System trieb, läßt sich wohl aufzeigen: nämlich das notwendige Streben, die höchste Einheit in der menschlichen Erkenntnis hervorzubringen. Diese Einheit ist in seinem System; und der Fehler ist bloß darin, daß er aus theoretischen Vernunftgründen zu schließen glaubte, wo er doch bloß durch ein praktisches Bedürfnis getrieben wurde: daß er etwas wirklich Gegebenes aufzustellen glaubte, da er doch bloß ein vorgestecktes, aber nie zu erreichendes Ideal aufstellte. Seine höchste Einheit werden wir in der Wissenschaftslehre wiederfinden; aber nicht als etwas, das  ist,  sondern als etwas, das durch uns hervorgebracht werden  soll aber nicht  kann.  - - Ich bemerke noch, daß man, wenn man das  Ich bin  überschreitet, notwendig auf den Spinozismus kommen muß! (daß das LEIBNIZsche System, in seiner Vollendung gedacht, nichts anderes ist, als Spinozismus, zeigt in einer sehr lesenswerten Abhandlung "Über die Progressen der Philosophie ..." SALOMON MAIMON) und daß es nur zwei völlig konsequente Systeme gibt; das  kritisch,  welches diese Grenze anerkennt, und das  spinozistische,  welches sie überspringt.
LITERATUR - Johann Gottlieb Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer, Jena und Leipzig 1794
    Anmerkungen
    1) In der Schrift "Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie", Weimar 1794
    2) Das haben alle diejenigen übersehen, die da erinnern, entweder was der erste Grundsatz besagt,  komme  unter den Tatsachen des Bewußtseins  nicht vor,  oder es widerspricht denselben.
    3) So ist es auch allerdings der logischen Form jedes Satzes nach. Im Satz:  A = A  ist das erste  A  dasjenige, welches im Ich, entweder schlechthin, wie das Ich selbst, oder aus irgendeinem Grund, wie jedes bestimmte Nicht-Ich gesetzt wird. In diesem Geschäft verhält sich das Ich als absolutes Subjekt; und man nennt daher das erste  A  das Subjekt. Durch das zweite  A  wird dasjenige bezeichnet, welches das sich selbst zum Objekt der Reflexion machende Ich, als in sich  gesetzt,  vorfindet, weil es dasselbe erst in sich gesetzt  hat.  Das urteilende Ich prädiziert etwas, nicht eigentlich von  A,  sondern von sich selbst, daß es nämlich in sich ein  A  vorfindet: und daher heißt das zweite  A  das Prädikat. - So bezeichnet im Satz:  A = B, A  das, was gesetzt wird;  B  dasjenige, was schon als gesetzt angetroffen wird. -  Ist  drückt den Übergang des Ich vom Setzen zur Reflexion über das gesetzte aus.
    4) Das alles heißt nun mit einem anderen Wort, mit denen ich es seitdem ausgedrückt hat:  Ich  ist notwendig die Identität des Subjekts und Objekts: Subjekt-Objekt; und dies ist es schlechthin ohne weitere Vermittlung. Dies, sage ich, heißt es; ungeachtet dessen, daß dieser Satz nicht so leicht eingesehen und nach seiner hohen, vor der Wissenschaftslehre durchgängig vernachlässigten Wichtigkeit erwogen ist, als man denken möchte; daher die vorhergehenden Erörterungen desselben nicht erlassen werden können. (Anm. zur zweiten Ausgabe).