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Die Zukunft des Denkens
Sobald nun der Kampf komplizierter wird, stellt sich ein Bedürfnis ein, das man schon an der Entwicklung der Signalsprache der höheren Tiere, noch deutlicher an der Ausbildung des militärischen Signalsystems studieren kann, das Bedürfnis, die Lautsignale allmählich zu differenzieren, zunächst die wichtigsten Kriegsoperationen durch klar unterscheidbare Lautgruppen zu bezeichnen, nach und nach für alle Aktionen, die überhaupt beim Kampf in Betracht kommen können, besondere Lautzeichen einzuführen. Da die organischen Aktionen, die in Sprachlauten kommandiert werden, immer Reaktionen gegen Wirklichkeiten, z. B. Feinde, Überschwemmungen, Futtergelegenheiten, sind, so tritt mit der Signalisierung derselben nur allzu leicht eine primitive Bezeichnung der Wirklichkeiten ein, von denen sie abhängig sind, und durch die sie sich charakteristisch voneinander unterscheiden. Es bilden sich Signale wie: Feuer! Feinde im Tal! Damit ist aber der Anstoß zu einer ebenso reichen wie verhängnisvollen Weiterentwicklung des Signalsystems gegeben. Das Signalsystem geht nämlich in eine Lautsymbolik über, die nach und nach alle Wirklichkeiten, die bei allgemeinen Kampf überhaupt von Bedeutung sein können, mit Lauten bezeichnet, um eine möglichst vollkommene Signalisierung zu ermöglichen. Hat aber dieses weltumfassende Lautsystem einmal einen gewissen Umfang erreicht, so löst es sich ganz unmerklich von seiner ursprünglichen Bestimmung als Signalsystem im Selbsterhaltungskampf los und erscheint wie ein eigenartiges Lebensgebilde, das sich selbständig weiterentwickelt wie ein Kind, das aus Not und Schmerzen geboren, den Mutterschoß verlassen hat und nun selbständig weiterwächst. Es erscheint nun beinahe wie ein selbständiger Zweck, die ganze wogende Wirklichkeit in einer Summe von Tönen darzustellen, alle Unterschiede der Wirklichkeit durch Klangunterschiede auszudrücken. Dieses Unternehmen birgt aber eine unüberwindliche Schwierigkeit in sich. Die Unterschiede der Lautgruppen, mit denen die Sprache arbeitet, sind Proportionen, festliegende Verhältnisse zwischen klingenden Gebilden von verschiedener Stärke, Höhe und Konstellation. Die Wirklichkeit besteht aber nicht bloß aus Proportionen, vielmehr sind ihre letzten Elemente Umtauschverhältnisse, deren geheimnisvolle Lebendigkeit auf dem Grundverhältnis zwischen Unterscheidung und Unterschiedenem beruth. Aus Umtauschverhältnissen bauen sich die Proportionen erst auf, wie Organismen aus Zellen. Will man also die Unterschiede der Wirklichkeit in Lautunterschieden darstellen, so stellt man damit Umtauschverhältnisse und Grundverhältnisse immer durch Proportionen dar. Man gebraucht also eine tote Schablone, um das Geheimnis des Lebens darzustellen. Man spannt die Wirklichkeit in ein Schema ein, das gerade ihre tiefsten Unterschiede plump verwischt. Solange die Sprache nur Feldgeschrei im primitiven Selbsterhaltungskampf ist, werden die üblen Folgen ihrer groben Symbolik durch die heilende Macht der Wirklichkeit sofort wieder ausgeglichenf. Je mehr aber die Sprache und die Vorstellungswelt, die sie hervorzaubert, ein selbständiges Leben führt, desto fataler wird die Spannung zwischen Sprache und Wirklichkeit, desto mehr treten Vorgänge auf, in denen sich diese Spannung auszulösen sucht. Der gärende Most des Lebens braust in den alten Schläuchen, in die man ihn fassen wollte. Versuchen wir uns diese Spannung und die dadurch entstehenden Auslösungsversuche in einem Gleichnis zu veranschaulichen. Man denke sich einen Krämer, der so schwach im Rechnen ist, daß er ein Additionsverhältnis immer für ein Multiplikationsverhältnis hält. Solange er keine eigentliche Buchführung hat, wird er sich infolgedessen zwar gelegentliche Jllusionen über seinen Vermögensstand machen, sich bald für einen Krösus, bald für einen Bettler halten. Aber ein ernüchternder Blick in seine Kasse wird die Täuschung von Fall zu Fall immer sofort wieder richtig stellen. Beginnt er nun aber Buch zu führen, so wird das Mißverhältnis zwischen Vermögensschätzung und Vermögensbestand unerträglich sein. Der Mann wird in eine skeptische Verwirrung geraten, bald an seiner Buchführung verzweifeln, bald seinen Augen mißtrauen, die den Kassenbestand immer ganz anders sehen, als er nach seiner Berechnung sein müßte. Er wird tausend Wege einschlagen, um hinter das Geheimnis dieses ewigen Mißverhältnisses zu kommen. Dies ist ein Bild der Lage, die durch die Entwicklung der Sprache geschaffen ist. Die Verwechslung aller Verhältnisse mit Proportionsverhältnissen führt zu einer merkwürdigen Spannung zwischen der Buchführung der Sprachsymbolik und dem Ringkampf der lebendigen Wirklichkeiten. Die Weltberechnung auf dem Papier will mit den Tatsachen nicht übereinstimmen. Das tägliche Erleben von Umtauschverhältnissen und Grundverhältnissen tritt mit den Proportionsverhältnissen in Konflikt, in denen die korrenspondierenden Sprachlaute zueinander stehen. Dieser Konflikt ist eine eigentümliche energetische Spannung, die die Tendenz enthält, sich in einem Kompensationsprozeß auszulösen. Und dieser Kompensationsprozeß ist - die Geschichte der Philosophie. Soweit die Philosophie kein prophetisches Schauen von Werten ist, soweit sie sich auf einem allen Wertgegensätzen gegenüber neutralen, also rein formalen Gebiet bewegt, ist sie nichts anderes als eine Fülle durcheinandergehender Kompensationsprozesse, in denen sich jener durch die Sprache gegebene Konflikt auszugleichen sucht, eine einzige große Revolution gegen die Sprache. Die in der Sprachsymbolik eingeschlossene Wirklichkeit fängt an zu gären und zu brausen, tobt gegen die Mauern, schäumt über, macht sich in Explosionen Luft, sprengt alle Fesseln der Worte. Es vollzieht sich ein großartiger Heilungsprozeß. Unter Schmerzen und Fieberschauern stößt der lebendige Organismus die tödlichen Fremdstoffe aus, die ihm eine falsche Ernährung zugeführt hat. Fassen wir die Gesichtspunkte zusammen, die wir im Bisherigen für die Auffassung der Geschichte des "geistigen Lebens" gewonnen haben. Drei Grunderscheinungen sind es, aus denen sich die Geschichte des Denkens aufbaut: 1
2. die aus der Sprache entstehenden Versteinerungen der lebendigen Grundverhältnisse und Umtauschverhältnisse; 3. Die Kompensationsprozesse, in denen sich die dadurch entstehenden energetischen Kollisionen auslösen. Die ältesten Urkunden menschlichen Denkens, die wir haben, sind gewisse indische Dichtungen, die man zum Teil bis um 2000 v. Chr. hinauf zu datieren wagt, sogenannte "Upanischaden" aus dem Vedanta. Den Europäer überkommt ein seltsames Schwindelgefühl, wenn er diesen uralten Sätzen lauscht, die waren, ehe alle seine Denkkategorien entstanden sind. Es ist ihm, als würde er plötzlich von seinem guten alten Erdboden weg in ein fernes Sonnensystem geschleudert, dessen Sterne sich noch in Gasform und feurigem Fluß befinden. Rein wie flüssiges Gold quellen diese ältesten Ergüsse des Einheitsglaubens hervor. Gebet und Gedanke ist noch ungeschieden. Alle Erstarrungsgebilde werden wie Schlacken ausgeschieden, indem sie dem niederen exoterischen Wisen (aparâ vidyâ) zugewiesen werden, von dem der reine Fluß der höheren esoterischen Weisheit (parâ vidyâ) ungetrübt bleibt. Zum niederen Wissen der uneingeweihten Menge gehört das allermeiste, was wir später in Europa gedacht haben. Der Unwissende lehrt eine Schöpfung der Welt durch das mit einer Vielheit von Kräften ausgestattete Brahman und eine Vielheit individueller Seelen, für deren Handeln und Genießen die Welt der Schauplatz ist. Er lehrt die Seelenwanderung, diese älteste Form der Introjektion [Einbeziehung in das Ich - wp] einer mythologischen "Innenwelt" im menschlichen und tierischen Organismus. Der Wissende aber durchschaut die Identität von Brahman, Natur und Seele. "Seele nur ist dieses Weltall." Damit fällt auch das starre Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Ich und Welt der exoterischen Mythologie zu. "Zum Brahmann kann man nicht hingehen, denn wo man ist, dahin kann man nicht gehen." "Er, der Ungeborene, ist draußen und drinnen." Wir haben für dieses Eine in Europa gar kein Wort mehr, weil es noch jenseits all unserer Unterscheidungen, jenseits von Gott, Ich und Welt liegt. Spätere Vedantalehrer nehmen auch auf die Befangenheit ihrer Schüler in starren Unterscheidungen Rücksicht und suchen sie in schonender Weise davon zu erlösen. "Wenn auch das Brahmann", heißt es in einer Erklärung, "als frei von räumlichen, zeitlichen und anderen Unterschieden erkannt worden ist, so ist doch das Erkenntnisvermögen der langsamen Geister so geartet, daß es das Seiende als ein mit Unterschieden des Raums usw. behaftetes auffaßt und nicht sofort zum Vorstellen der höchsten Realität gebracht werden kann. ... So muß dasselbe, damit es erkannt wird, in der Lotosblume des Herzens räumlich aufgezeigt werden. (Ausdruck für eine Introjektion des "Bewußtseins".)
So sprengt hier noch die Überfülle der Wirklichkeit in herrlicher Urkraft das enge innermenschliche Gefängnis, das sie auch hier schon zu umschließen droht. Damit bleibt ihr noch die ganze Not dieser Gefangenschaft erspart, die sich später als "erkenntnistheoretisches Problem" wie eine schleichende Krankheit durch das ganze europäische Denken gezogen hat. Was später, als man die Welt in den Menschen eingeschlossen hat, nur durch mühsame Beweise aufrechterhalten werden konnte, das ist hier selbstverständlich, nämlich die Gewißheit, daß die Flut des Erlebens nie aufhört, daß das Brahman unsterblich ist.
"Also zeigte ihm, dessen Verdunkelung gewichen war, das Ufer jenseits der Finsternis der heilige Sanatkumâra."
Die Entscheidung für die Einheit als Weltziel wird nun durch den Satz ausgedrückt: die Einheit ist die Wirklichkeit, alles andere ihr Entgegengesetzte, also die bunte Vielheit des Erlebens, ist Traum und Schein. Das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Traum, das nach dem Früheren der alltäglichste Fall einer Entscheidung von Umtauschverhältnissen ist, wird also hier unwillkürlich auf die Entscheidung des höchsten Umtauschverhältnisses übertragen. Dabei ist in Indien noch die Empfindung für die eigentümliche Relativität und Umtauschbarkeit des Verhältnisses von Wirklichkeit und Traum lebendig. Der Traum, wird gesagt, ist wahr bis zum Eintritt des Erwachens. So ist auch das Blendwerk der mâyâ, durch das die Einheit wie durch einen Zauber vervielfältigt erscheint, bis zum Eintritt der erlösenden Erkenntnis so gut wahr, wie alle Traumgesichte bis zum Erwachen. Es ist hier noch deutlich, daß der Begriff der Realität im Unterschied vom Schein immer nur eine Form ist, in der sich die schöpferische Entscheidung für einen Inhalt ausdrückt. Ein anderer Ausdruck, der gleichfalls zur selbstverständlichen Form jeder umfassenden Entscheidungsantizipation gehört, ist das mit jeder Vorausnahme der Zukunft notwendig verbundene Bewußtsein, zeitlich vor dem ganzen Weltumkreis zu stehen, innerhalb dessen der antizipierte Inhalt durchgesetzt werden soll. Dies verbindet sich mit der Gewißheit des Sieges und der Übermacht über den Weltkreis. Aus dieser Vermählung von Priorität und Übermacht über den Weltkreis wird der Schöpfungsgedanke geboren, das Bewußtsein, den Weltkreis hervorgebracht zu haben. So ist dem Hindu die Einheit das prius von allem. "Seiend, o Teurer, war dieses am Anfang, nur eines, ohne ein zweites." "Wie eine Spinne (den Faden) ausläßt und zurücknimmt, wie auf der Erde die Kräuter entstehen, wie aus dem lebenden Menschen Haupthaare und Körperhaare, so entsteht aus dem Unvergänglichen dieses Weltall." Er, "vor dem die Worte kehren um, und die Gedanken, ohne ihn zu finden", ist "der Ozean für alle Gewässer, das Auge für alle Gestalten, das Ohr für alle Töne". "Die eine Wesensseele wohnt in jedem Wesen, eins und doch vieles, wie der Mond im Wasser." Die Reinkultur des Henismus [Weltdeutung aus einem Urprinzip - wp], wie wir sie hier in Indien finden, hat nun eine Nachblüte in Griechenland erlebt, sei es, daß eine Flutwelle des phönizischen Handels Samenkörner indischer Ideen an die griechische Küste spülte, oder daß der Hunger nach dem Unterschiedslosen mit der Ermattung der Volkskraft ganz von selber in Griechenland ausgebrochen ist. Wie einer, dem der Durst nach Alkohol in der Kehle brennt, zunächst nach jedem leichten Wein greift, dem wenigstens einige Tropfen Alkohol beigemischt sind, und dann allmählich immer schwerere und reinere Spirituosen braucht, um in den erlösenden Rausch zu versinken, so greift jetzt in Griechenland der irre Trieb nach dem Einen zuerst nach irgendeinem besonders häufigen und feinen Stoff, wie Wasser oder Luft, um auf ihn alles andere zurückzuführen, und sich so zumindest an einigen Tropfen der ersehnten Einheit, wenn auch noch in trübender Vermischung zu berauschen. Denn je häufiger und altgewohnter der Inhalt ist, in dem man alle Weltgegensätze auflöst, desto schwächer werden die Unterschiede empfunden, die jener Inhalt selber noch enthält, desto näher steht er dem Nirvana, dem "Ozean, in den alle Ströme rinnen und, aufgebend Name und Gestalt, verschwinden". Aber dieses Tasten und nach Weltstoffen, in denen alle anderen aufgehen, ist nur eine Vorstufe, die ganz von selbst über sich hinaustreibt. Der Einheitsdrang ruht nicht, bis zuerst das apeiron [Unbegrenzte - wp] des ANAXIMANDER gefunden ist, und dann das hen kai pan [All-Einheit - wp] des XENOPHANES, das eleatische Eine. Ganz wie in Indien findet diese Entscheidung für das Eine in drei Gedanken ihren Ausdruck:
2. Das Eine ist das Seiende, das allein Reale, alles andere, ihm Entgegengesetzte, Vielfältige, ist Traum und Schein; 3. Das Eine ist das Erste, der Weltanfang und Weltursprung (arche).
2. ein tödlicher Schnitt durch das lebendige Grundverhältnis zwischen Identität und Unterscheidung geführt. Die Hypostasierung [Vergegenständlichung - wp] der Einheit ergibt also eine doppelte Kollision mit der Erfahrung. Es werden demnach zwei Kompensationsprozesse von ihr ausgehen. Der erste ist derjenige, in dem sich die Vergewaltigung des Umtauschverhältnisses rächt. Es ist der Kampf um die theologischen Probleme. Die Wolkenburg, in die sich der Einheitsgott zurückgezogen hat, wird von anderen Göttern bestürmt, die seine Weltherrschaft bestreiten. Der andere Prozeß ist die schmerzliche Reaktion, in der das Grundverhältnis sich des tödlichen Schnittes zu erwehren sucht. Das ist der Kampf um die eigentlich philosophischen Probleme.
2. alles ist Unterscheidung. Der ganze Prozeß hat die Tendenz, diese beiden Extreme, zwischen denen das Pendel des Gedankens ruhelos hin und her schwingt, zu absoluten Gegensätzen zuzuspitzen. Denn je klarer sie sich als reine Gegensätze gegenüberstehen, desto deutlicher sprechen sie durch ihren Gegensatz das Wesen des Grundverhältnisses aus, desto näher liegt die erlösende Ahnung, sie könnten vielleicht die zwei Seiten einer Wahrheit sein, die sich nur deshalb wie Todfeinde bekämpfen, weil man sie in unnatürlicher Weise auseinander gerissen hat, wie bei einer gewissen Schlangenart Kopfende und Schwanzende sich in einem mörderischen Kampf aufeinander stürzen, wenn man beide durch einen Messerschnitt getrennt hat. Daß die befreiende Erkenntnis des relativen Verhältnisses zwischen Einheit und Vielheit im eleatisch-heraklitischen Streit nicht zum reinen Durchbruch kommt, daß der Kompensationsvorgang also nicht zum vollen Abschluß gelangt, rührt nur daher, daß hier noch ein anderer Faktor trübend einwirkt, den ich schon früher bei der Erklärung des Materialismus erwähnt habe. Schon das eleatische hen wird kugelgestaltig, also räumlich-körperlich vorgestellt. Die leere Hinterwelt, die durch die Hypostasierung des hen entstanden war, hat sich also mit einem blassen Abbild der Erlebnisse erfüllt, die im Umkreis der Landtiere gerade am häufigsten vorkommen. Sie ist körperlich geworden. Dies wirkt trübend auf die Versuche ein, den Gegensatz zwischen den Eleaten und HERAKLIT durch eine übergreifende Erkenntnis zu überbrücken. Die Auffassung der Welt als lebendige Verbindung von Einheit und Wechsel, also als Identität eines Wechselnden und Wechsel eines Identischen verdichtet sich unter dem Einfluß des Körperglaubens zu dem plastischen Gedanken: Die Welt ist eine Körpermasse von identischer Beschaffenheit; sie befindet sich aber im Fluß wechselnder Gestaltung und Bewegung. In diesem plastisch anschaulichen Weltbild, das in der kinesis tou atomon [Bewegung des unteilbaren Individuums - wp] bei LEUKIPP zur erstmaligen Darstellung gelangt, kommt der eleatisch-heraklitische Streit zum vorläufigen Abschluß. Dieser Abschluß enthält aber den Keim zu zwei neuen Kompensationsprozessen, in denen seine innere Unhaltbarkeit zum Ausdruck kommt. 1. Einmal kollidiert das körperliche Weltschema mit dem Reichtum der Wirklichkeit, die neben den körperlichen eine Fülle von unkörperlichen, rein zeitlichen Erscheinungen enthält. Diese Kollision führt zu der schon früher erwähnten, zunehmenden Verdampfung und Auflösung der massiven Atomvorstellung. Dieser Kompensationsvorgang kommt erst dann zur Ruhe, wenn vom Atom nur noch der Begriff des rein mathematischen Punktes übrig geblieben ist, der sowohl vom Raumpunkt als Zeitpunkt sein kann, der also dem ganzen Reichtum der Wirklichkeit gerecht wird. 2. Außerdem verführt die Plastik des körperlichen Weltbildes dazu, die identische Beschaffenheit der Stoffmasse einerseits und die wechselnde Gestaltung und Bewegung dieser Masse andererseits wie zwei getrennte Weltgebiete auseinanderzuhalten. Damit entsteht die zäheste und langlebigste Form, in der sich die Erstarrung des Grundverhältnisses durch Jahrtausende konserviert hat, die Trennung der Welt der Form von der Welt des Stoffs, die Trennung der quantitativen Welt von der qualitativen Welt, die Trennung von Raum und Zeit einerseits und dem Geschehen andererseits, das in Raum und Zeit verläuft. Der Unterschied zwischen der formalen und der inhaltlichen Welt wird proportional, d. h. wie das Verhältnis zweier Summen vorgestellt, die man zueinander addieren und voneinander abziehen kann. So konnte man später auf den tollen Einfall kommen, die Qualitäten von der Welt zu subtrahieren, um die rein quantitativen Formen als leere Hülsen übrig zu behalten, oder die Welt aus der Raum- und Zeitform auszuschütten, um die Anschauungsformen als leere Gefäße übrig zu behalten. Aber obwohl das tote Stoff- und Formschema zu so wahnsinnigen Konsequenzen geführt hat, ist der Kompensationsprozeß, in dem es sich erweicht, noch immer in den Anfangsstadien. Wir können den bisher geschilderten Gedankenprozeß, in welchem der eleatisch-heraklitische Kampf im Atomismus zu einem vorläufigen, wenn auch sehr problematischen Ruhepunkt gelangt, die physikalische Gedankenwelle nennen. Charakteristisch für dieselbe ist, daß sie von der Introjektion der Welt in den Menschen noch völlig unberührt ist. Tritt nun zur Erstarrung des Grundverhältnisses noch die Introjektion der durch die Erstarrung erzeugten Sondergebilde, so entsteht die Frage nach dem Verhältnis dieser Sondergebilde zur übrigen Welt, also das erkenntnistheoretische Problem. Damit setzt neben der physikalischen eine zweite, erkenntnistheoretische Gedankenwelle ein. Schon in der exoterischen Vedantalehre und in der Samkhya-Philosophie erwächst aus der Erstarrung des Stoff- und Formschemas der Trieb, die von ihrem Inhalt losgerissenen Grundformen der Wirklichkeit als Sondergebilde zu hypostasieren und in den menschlichen Organismus hineinzuverlegen. Wir sehen hier den mythologischen Trieb, der später zu Hypostasierung der drei "Seelenvermögen" geführt hat, noch in seiner ersten Frische üppig wuchern. Es gibt fünf Erkenntnisorgane, fünf Tatorgane, ein Überlegungsorgan (Manas), ein Organ, das den Gegenstand zum Ich in Beziehung setzt (Ahamkara), ein Entscheidungsorgan (Buddhi). Besonders in der Samkhya-Philosophie sieht man noch deutlich in den mythologischen Ursprung der Subjektvorstellung hinein. Das Subjekt erscheint hier noch als ein feiner Menschenleib, der im groben Menschenleib wohnt, also als eine Doublette des Menschen, als ein zweiter Mensch, der dem ersten zuschaut. Die Subjektvorstellung entstand also ursprünglich nach demselben Gesetz der Mythenbildung wie der Atomismus. Legte der Atomismus das häufigste Ereignis im Umkreis des Menschen allen Weltinhalten zugrunde, so nahm der Subjektmythus den häufigsten Ereigniskomplex im Umkreis des Menschen, nämlich die Handlungk, die der menschliche oder tierische Organismus mit seinen Gliedern vollzieht, und legte dieses Schema der Menschenhandlung allen Erlebnissen zugrunde, die irgendwie den Charakter der Bewegung und Veränderung zeigen. Der Urmensch introjiziert in alle Bäume und Quellen, in alles, was rauscht, raschelt, donnert, fällt, rollt, ein handelndes Tier oder einen handelnden Menschen. Der Fetischdiener vermag in jedes Holzstück, mit dem er ein auffallendes Ereignis, etwa den Tod eines Kindes in Beziehung bringt, einen unsichtbaren homunculus [künstlich geschaffenes Menschlein - wp] zu introjizieren. Dieser Hand, in alles Wirkliche das Bild eines höheren Tieres hineinzulegen, die Welt theoriomorphistisch [mit Eigenschaften von wilden Tieren - wp] und anthropomorphistisch [aus menschlichen Eigenschaften bestehend - wp] aufzufassen, ist die Quelle jener wundervollen Naturmythologie kindlicher Zeitalter, die z. B. die Wolken für Kühe hält, die weidend über den Himmel ziehen und aus ihren Eutern Regen spenden, das Gewitter für einen Dämon, der gegen einen anderen Dämon blitzende Speere schwingt, um die Wolkenkühe aus dessen Stall zu befreien. Je mehr sich nun aber das Weltbild über den Horizont des organischen Daseinskampfes hinaus erweitert, desto schwerer wird es dem Phänomen des handelnden Menschen, sich in den geheimnisvollen Innenraum aller übrigen Erscheinungen hineinzustehlen. Es erwächst ihm eine immer mächtigere Konkurrenz von anderen Phänomenen, deren Selbsterhaltungstendenz sich in derselben Weise Luft macht. Der fetischistische Introjektionstrieb wird wie ein besiegter Welteroberen durch seine früheren Vasallen von allen Seiten belagert und zurückgedrängt. Zuletzt kann er sich nur noch auf dem engsten Bezirk halten, der seiner Zwingburg am nächsten liegt, auf dem Gebiet, das dem Phänomen des handelnden Menschen unmittelbar benachbart ist, auf dem Gebiet der sogenannten Überlegungs- und Erinnerungsvorgänge, die den menschlichen Handlungen vorangehen und nachfolgen. Diese Zurückdrängung des Fetischismus auf sein Quellgebiet, die zuletzt mit seiner Auflösung enden muß, vollzieht sich aber in einer langen Entwicklung. Zunächst schrumpft die Fülle der theoriomorphen und anthropomorphen Gestaltungen, die das "Innere" aller außermenschlichen Erscheinungen bevölkern, immer mehr zu einem einzigen Wesen von verkümmerter Menschenähnlichkeit zusammen, das der ganzen außermenschlichen Wirklichkeit introjiziert wird, dem nous, der Weltvernunft, dem Weltgott. Dieses letzte kümmerliche Erzeugnis des einst so üppig wuchernden Introjektionstriebes, dieser sterbende Weltfetisch kann sein müdes Leben nur dadurch noch um einige Jahrhunderte verlängern, daß er seine Menschenähnlichkeit auf ein Minimum herabsetzt, das eben noch genügt, um sein Dasein damit zu fristen. Wie die letzte Wolke eines abziehenden Gewitters, so liegt der philosophische Theismus, dieser letzte Überrest der prachtvollen mythologischen Gewitterentladung des Geistes, am Welthorizont. Nubiecula est, transibit. [Es ist nur eine kleine Wolke, die geht vorüber! - wp] Aber gerade weil der Fetischismus nach und nach auch aus seiner letzten außermenschlichen Position hinausgedrängt wird und sich zuletzt auf sein Quellgebiet eingeschränkt sieht, verteidigt er wie ein Löwe seine letzte Festung. Auch wo der Weltfetisch längst der langsamen Auszehrung des "Atheismus" erlegen ist, sieht man noch Jahrhunderte lang die "Überlegungen" und "Erinnerungen", die die menschlichen Handlungen umfluten und die in den Menschen hineinverlegt werden, unter dem Bild des handelnden Menschen. Unter dem Namen "Subjekt des Bewußtseins", "erkennendes Ich" hockt hier der allerletzte Fetisch zu einem Schemen verblaßt und verkümmert im Hintergrund der dunklen innermenschlichen Kammer, die ihm von seinem ehemaligen Weltreich nun allein noch als letzte Zufluchtsstätte geblieben ist. Ein zweiter Mensch im Innern des ersten, haust er im Menschenkörper, um mit der Samkhya-Philosophie zu reden, "wie in einem Palast der im Innern wohnene untätige Herr". Die äußeren Sinne sind die Tore, die alles hineinlassen, was zu ihm hinein will, die inneren Organe die Türhüter, die die Tore öffnen und schließen und die hineingelangenden Eindrücke kontrollieren und ordnen. Die Dorfältesten erheben von den Hausvorständen eine Steuer, diese liefern sie dem Gouverneur ab, dieser dem obersten Beamten, dieser dem König. So liefern die äußeren Sinne dem inneren die Wahrnehmungen, dieser dem Ahamkara, dieser dem Buddhi. So kristallisieren sich um den inneren Menschen wie um einen festen Kern zunächst die introjizierten Grundformen der Wirklichkeit als seine Minister oder Seelenvermögen, um diese weiterhin die ganze durch die Sinne importierte Weltdoublette; so bekommen wir einen inneren Palast mit vielen Bewohnern und Gemächern, der sich deutlich gegen die "Außenwelt" abgrenzt. Damit tritt aber die große Frage auf, wie sich dieser innere Palast zur Außenwelt verhält. Die Kollision zwischen der künstlichen Weltverdoppelung und der faktischen Einfachheit der Welt führt zu einem energetischen Prozeß, in dem das zerteilte Weltbild in seine ursprüngliche Einheit zurückzukehren strebt. Durch die ersten Stadien dieses Prozesses, die ersten Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Innenwelt und Außenwelt geht noch deutlich die Ahnung von der ursprünglichen Einheit des Weltbildes hindurch. Nach der Samkhya-Philosophie haben die Wahrnehmungsorgane und ihre Objekte denselben Ursprung. Bei der Wahrnehmung wachsen die Sinne aus ihren körperlichen Sitzen hinaus zu den Objekten hin, feiern gewissermaßen wie getrennte Brüder eine Wiedervereinigung. Verwandte Gedanken treten auf griechischem Boden auf. Nach ANAXAGORAS ist die Innenwelt des Menschen nur ein Teil des alldurchwaltenden nous, d. h. des hypostasierten Formprinzips der Wirklichkeit, das wie ein feiner Stoff durch die ganze Welt verteilt ist. Nach EMPEDOKLES wird die Kälte draußen durch die Kälte drinnen, überhaupt immer das Gleiche durch das Gleiche wahrgenommen. Diese älteste Mythologie des Erkenntnisvorgangs, in der er wie eine vorübergehende Verschmelzung der beiden auseinandergerissenen und doch so innig zusammengehörigen Weltgebiet erscheint, ist nur eine Dichtung des Heimwehs nach der verlorenen Welteinheit. Wie nah man dieser noch gestanden ist, zeigt die hier noch ganz selbstverständliche Voraussetzung, daß das äußere Weltoriginal mit der inneren Weltkopie übereinstimmt. Wo dies noch als selbstverständlich gilt, haben wir nur einen leichten Grad der erkenntnistheoretischen Erkrankung vor uns. Wo man nicht besonders auf das Erkennen reflektiert, vergißt man auch die Weltverdoppelung und glaubt noch völlig unbefangen an die Identität von Empfindung und Wirklichkeit. Sobald aber der Riß zwischen der Welt und ihrer innermenschlichen Kopie durch die Gewöhnung der Jahrhunderte tief und unheilbar geworden ist, beginnt ein akuter Krankheitsprozeß mit hohem Pulsschlag. Dieser verläuft nach demselben Gesetz, wie die erste, physikalische Gedankenwelle. Denn er ist, im Grunde genommen, nur eine Wiederholung jenes aus der Erstarrung des Grundverhältnisses entstandenen ersten Prozesses, modifiziert durch die inzwischen hinzugetretene Introjektion. Ähnlich wie gegen die starre Trennung von Einheit und Vielheit, so reagiert der lebendige Organismus der Wirklichkeit auch gegen die Zwangsjacke des Subjekt-Objekt-Schemas, indem er gleichzeitig den zwei extremsten Positionen zudrängt, die innerhalb desselben möglich sind, um auf diese Weise zuletzt das Schema selbst zu zerbrechen, wie die sozialistische Tendenz innerhalb des kapitalistischen Staats auf die äußerste Überspannung des im Kapitalismus enthaltenen Gegensatzes zwischen Besitzenden und Besitzlosen hindrängt, um auf diese Weise die kapitalistische Staatsordnung selbst an ihrem inneren Widerstreit zugrunde gehen zu lassen. So drängt die erkenntnistheoretische Entwicklung auf der einen Seite zu dem Gedanken: Alles ist subjektiv, auf der anderen Seite zu dem Gedanken: alles ist objektiv. Auf der einen Seite entsteht der subjektivistische Phänomenalismus, der die Welt auf das menschliche Bewußtsein reduziert. Dieser tritt auf griechischem Boden zum erstenmal in der Zeit der Sophisten auf. Auf der anderen Seite entsteht die objektive Gegenposition, die in Griechenland unter dem Einfluß der atomistischen Physik, für die Objektivität immer gleich Körperlichkeit ist, im Gewand des Atomismus auftritt. Hatte der Subjektivismus die Körperwelt auf Bewußtseinsphänomene zurückgeführt, so führt der atomistische Objektivismus umgekehrt die Bewußtseinsphänomene auf Körperbewegungen zurück. Nach DEMOKRIT besteht die Wahrnehmung im Aufstoßen grober Bildchen auf die Organe, das Denken in der Berührung der im Leib zerstreuten Feueratome mit seinen Bildchen. So verschlingt auf der einen Seite die subjektive Welt ihr objektives Gegenbild, auf der anderen Seite verschlingt die objektive Welt ihr subjektives Gegenbild. Es ist derselbe Drang nach der verlorenen Welteinheit, der von beiden Seiten des des Doppelschemas her sozusagen sich selbst entgegenarbeitet. Solange die Weltverdoppelung selbst noch nicht aufgehoben ist, gibt es gar keinen anderen Weg zur Welteinheit als den Versuch jeder der beiden Welten, die andere zu vernichten und sich allein zu behaupten. Je radikaler aber diese gegenseitige Vernichtung der beiden Welten durchgeführt wird, je höher das Pendel des Gedankens nach den beiden entgegengesetzten Seiten hinaufschwingt, desto näher ist der Augenblick, da es schwingend überschlägt und die beiden entgegengesetzten Gedankenbewegungen in eine einzige verschmelzen. Diese erlösende Wendung kündigt sich in dem sokratischen Gedanken an, daß das logisch-ethische Grundprinzip der subjektiven Welt zugleich das Prinzip der objektiven Welt ist. Neben den beiden bisher geschilderten Prozessen, der physikalischen und der erkenntnistheoretischen Gedankenwelle, gibt es aber noch einen dritten Prozeß, der gleichfalls von der Erstarrung des Grundverhältnisses ausgeht. Im ersten Prozeß war das Verhältnis von Unterscheidung und Einheit noch unabhängig von der Introjektion zum Austrag gekommen. Im zweiten Prozeß war es die Introjektion selbst und die aus ihr entstandene Weltverdoppelung, was die Gedankenbewegungen ausgelöst hat. Steht nun aber infolge der Introjektion das Schema der zwei Welten einmal fest, so tritt damit auch das Resultat der ersten physikalischen Gedankenwelle in das Zwielicht der Weltverdoppelung. Der Atomismus erscheint dann als Lösung des Problems der Einheit und Vielheit nur innerhalb der einen objektiven Seite des zweigliedrigen Weltgebäudes. Es entsteht also noch die Aufgabe, dasselbe Problem innerhalb des subjektiven Weltgebietes zu lösen. Die Introjektion hat so das Problem des Grundverhältnisses in zwei Teilprobleme gespalten, in zwei Variationen ein und desselben energetischen Prozesses. Das Problem der Unterscheidung und des Unterschiedenen, das bei HERAKLIT und den Eleaten in subjektiver Variation auf als die Frage, wie sich die Unterscheidungsfunktion des Subjekts zu den unterschiedenen Inhalten verhält, die ihm durch die Sinne zugeführt werden; damit tritt zu den zwei ersten Gedankenwellen noch eine dritte, die rationalistisch-empiristische Gedankenwelle. Das Bild des kämpfenden Menschen, aus dem der Subjektivismus entstanden ist, verführt nämlich unwillkürlich dazu, sich die beiden Seiten des Grundverhältnisses durch die beiden Seiten des Organischen Selbsterhaltungskampfes zu veranschaulichen, die Unterscheidung sich als eine Aktion vorzustellen, als ein aggressives Eingreifen in die Welt und das Bearbeiten derselben mit den Händen, das Unterschiedene dagegen als eine Passion, als ein Berührtwerden und Überschüttetwerden mit Material. So entsteht die Frage: Wie verhält sich das aktive Element des Bewußtseins zum passiven? Wie verhalten sich Vernunft und Erfahrung? Auf griechischem Boden sehen wir nur die ersten Anfänge des damit gegebenen Prozesses. Aber schon aus diesen läßt sich erkennen, daß das Grundverhältnis auch gegen diese dritte Form seiner Erstarrung in derselben Weise reagiert, wie gegen die beiden ersten. Auf der einen Seite entsteht die Tendenz, die ganze Welt aus Vernunftbegriffen abzuleiten; auf der anderen Seite die entgegengesetzte Tendenz, die ganze Welt aus sinnlicher Erfahrung entstehen zu lassen. Aber schon bei PLATO und noch deutlicher bei ARISTOTELES dämmert der übergreifende Gedanke, der beide Extreme in eine höhere Einheit aufzulösen sucht, daß der Vernunftbegriff und sein empirischer Einzelinhalt in einem relativen Wechselverhältnis stehen. Nach ARISTOTELES hat der Gattungsbegriff sein Dasein nur in den Einzelerscheinungen, die Einzelerscheinungen aber existieren nur, indem der Gattungsbegriff in ihnen zur Erscheinung kommt. Damit haben wir die drei Gedankenwellen beschrieben, durch deren mannigfaltige Komplikation, Kreuzung und Verschlingung die ganze formale Philosophie entsteht. Sie erschienen uns als drei Variationen ein und desselben von der Erstarrung des Grundverhältnisses ausgehenden Prozesses. Nur das Dazwischentreten der Introjektion war daran schuld, daß der eine Prozeß sich in der Geschichte des Denkens in drei verschiedenen Verkleidungen wiederholt hat und in drei scheinbar ganz verschiedene Problemstellungen auseinander getreten ist. Aus dieser geschichtlichen Auseinanderhaltung eines in Wahrheit identischen Prozesses folgt dann die weitere Kalamität [mißliche Lage - wp], daß die eine Relation, um die es sich in allen drei Prozessen immer allein gehandelt hat, in drei verschiedenen Masken auftritt, so daß man ihre faktische Identität nicht mehr merkt. Die weltkonstituierende Unterscheidungsrelation nennt sich innerhalb der physikalischen Gedankenwelle zeitliches Nacheinander und räumliches Nebeneinander, innerhalb der erkenntnistheoretischen Gedankenwelle erkennendes Subjekt oder erkenntnistheoretisches Ich, innerhalb der rational-empiristischen Gedankenwelle logische Unterscheidung. Kein Mensch kann sich eine raumzeitliche Unterscheidung vorstellen, die nicht zugleich eine logische Unterscheidung des Inhalts wäre, und zugleich das, was man einen Erkenntnisakt des Subjekts nennt. Kein Mensch kann also irgendeine von diesen drei Relationen gegen die beiden anderen isolieren und auf diese Weise feststellen, worin der Unterschied zwischen den dreien bestehen soll, der uns das Recht gibt, sie mit drei so verschiedenen Namen zu benennen. Es ist lediglich die Macht der Geschichte, die den Kampf um die eine Relation in drei verschiedene Formen ausgeprägt hat und uns nun durch den Zwang der Tradition nötigt, ein und dieselbe Sache uns immer unter drei verschiedenen historisch gewordenen Namen und Maskierungen zu vergegenwärtigen. Einst kommt die Zeit, da werden alle drei Gedankenwellen zur Ruhe kommen. Dann wird das Meer wieder still liegen und die drei Prozesse werden identisch sein. Alle philosophischen Systeme, die wir seit dem Auseinandertreten der drei Gedankenprozesse, die wir seit dem Auseinandertreten der drei Gedankenprozesse bekommen haben, sind Welten, die sich zunächst durch die Antizipation eines umfassenden Weltziels gegen das Unendliche abgegrenzt haben, durch die aber die drei Gedankenprozesse wie drei Flüsse hindurchströmen, die sich in verschiedenen Stadien ihres Laufes befinden, der eine vielleicht noch nahe seiner Quelle, der andere im Mittellauf, der dritte nahe der Mündung. Der Lauf dieser drei Flüsse höhlt die Täler und schafft die Berge des Gedankens, formt die ganze Bodengestalt der Systeme. In PLATO flammt noch einmal die Sehnsucht der Griechen nach der Sonne Indiens auf, nach dem hen, in dessen Glut alle starren Unterschiede wie Wachsgebilde zerschmelzen. Ganz wie dem Hindu ist im das hen "das Gute", der Weltgrund, aus dem sich das tauton [Gleichheit - wp] und thateron [positiv - wp] erst entfaltet. Je näher etwas dem Unterschiedslosen steht, je mehr es Identität in sich enthält, desto näher steht es der Realität, d. h. dem Inhalt, den der Einheitsglaube als die alleinige Wirklichkeit mystisch umschlingt. Diese Entscheidung für die Einheit als das ens realissimum [das allerwirklichste Sein = Gott - wp] ist die Quelle der Ideenlehre. Schon in der Vedanta-Philosophie findet sich der Gedanke: die Spezies (âkriti) sind ewig, wenn auch die Individuen entstehen und vergehen, sie sind die Formen und Kräfte, aus denen die Welt immer wieder hervorgeht. Die Begriffsinhalte, losgelöst von ihren individuellen Anwendungen, in denen sich nach dem Früheren ihr identischer Inhalt in unterschiedene Zusammenhänge auseinanderfaltet, stehen der Einheit näher als ihre individuelleren Entfaltungen. Sie sind Tempelstufen; auf einen geht es empor in immer höhere und hellere Allgemeinheiten, dem hen entgegen, der Weltsonne entgegen, von deren Glanz geblendet man nichts mehr sieht, nichts mehr hört, nichts mehr empfindet. Geht man dagegen diese Stufen hinab ins Individuellere, so sinkt man immer tiefer in den Nebelschleier des Vielen und Wechselnden, in den vom fernen Urlicht nur gebrochene Strahlen hinableuchten, also in die Atmosphäre des Traums und Scheins. Dieser indische Gedanke ringt nun bei PLATO mit dem Geröll von Erstarrungsgebilden, das jene drei durch seine Welt hindurchgehende Gedankenströme abgelagert haben. Wohl hört er das Zauberlied von der Auflösung aller harten Dissonanzen des Gedankens wie ein fernes Meerrauschen. Seine "Ideen" haben die Tendenz, den Hiatus [Spalt, Kluft - wp] zu durchbrechen, in dem sie zu den wirklichen Dingen stehen, als apriorische Erfahrungsprinzipien (1), in ein flüssiges Verhältnis des Ineinander, der methexis [Verhältnis des Abbildes zu seinem Urbild - wp], der parousia [Anwesenheit - wp], der Immanenz der Wirklichkeit zu treten. Aber einmal machte die materialistische Verkörperlichung der ganzen Wirklichkeit, die als Schuttablagerung der physikalischen Gedankenwelle auf PLATOs Denken gelegen ist, eine solche Verbindung unmöglich, wenn die Ideen nicht zu Bewegungsgesetzen herabsinken sollten. Außerdem war unter dem Einfluß der Subjekt-Introjektion der rationalistisch-empiristische Riß zwischen Vernunftbegriffen und Sinnesempfindungen (nous und aisthesis) schon zu tief eingedrungen, als daß er mit einem Mal hätte überbrückt werden können. So wird das mystische Band zwischen Begriffen und Wirklichkeiten immer wieder durch eine kalte Hand zerrissen und die Ideen schweben wieder in ihre mythologische Oberwelt empor, wo sie wie strahlende Marmorgötter und kalte Sterne auf den trüben Strom der Scheinwirklichkeit herniederlächeln, der tief unter ihnen dahinrauscht. Endlich ist unter dem Einfluß der erkenntnistheoretischen Gedankenwell, die "Seele" Indiens, die einst eins mit dem Weltall war, in den Kerker des Menschenleibes introjiziert. Sie hat nur noch ein wehmütige Erinnerung (anamnesis) daran, daß sie einst in inniger Einheit mit dem hen gestanden ist und die Ideen geschaut hat, die Strahlen der Weltsonne. Die Unsterblichkeitsgedanken im Phädo sind Psalmen Indiens, in ein nördliches Klima verpflanzt, denen man die Sehnsucht nach ihrer tropischen Heimat an allen Blättern ansieht. Der indischen Seele, die in allem aufgegangen ist, die in allen Räumen und Zeiten war, war ihre Ewigkeit selbstverständlich. War sie doch eins mit dem Brahman, folglich unteilbar. Im Mund eines Sondergebildes, das in einen sterbenden Menschen eingeschlossen ist, klingen alle diese Gedanken wie mühsame "Beweise" für einen Traum, von dem man nicht lassen und den man doch nicht glauben kann. ![]() ![]()
1) Nach Natorps Darstellung der platonischen Ideenlehre entspricht diese immanentistische Auffassung derselben allein der eigentlichen Meinung Platos, die metaphysische Scheidung zwischen Ideen und Erscheinungen, wie sie besonders im Timäus hervortritt, ist dagegen eine mythologische Einkleidung seines Gedankens. |