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Einführung in die Erkenntnistheorie [ 5 / 5 ]
V. Kapitel Der subjektive Idealismus [Fortsetzung] 3. "Psychomonismus" und "Empiriokritizismus" Der Idealismus reißt in unzulässiger Weise Ich und gegenständliche Welt auseinander; er richtet eine Scheidewand auf zwischen dem Bewußtsein und der Außenwelt; und indem er dann seinen Standpunkt "innerhalb" des Bewußtseins einnimmt, hält er es für unmöglich, zu jener Außenwelt zu gelangen. Ich erwähnte schon vorher, daß der Standpunkt, den er einnimmt, allerdings seine relative Berechtigung hat; aber nicht als allgemein erkenntnistheoretischer, sondern als der einer Einzelwissenschaft, nämlich der Psychologie. Diese, insofern sie als "reine" Psychologie lediglich mit dem Bewußtseinsinhalt der Individuen sich beschäftigt, vertieft sich in die Erlebnisse des Subjekts, und ihre erste Aufgabe ist es, diese in ihrem gesamten Bestand zu beschreiben, ihre Elemente und Gesetzmäßigkeiten festzustellen. Dabei kann sie in der Tat von der Frage nach der Existenz einer Außenwelt ganz absehen: für sie besteht die Außenwelt faktisch nur in einem Weltbewußtsein des Subjekts. Nun ist aber zu beachten, daß der Psychologie als korrelate Disziplin die Naturwissenschaft gegenübersteht. Sie sucht jene Außenwelt so zu erfassen, wie sie unabhäängig von den Individuen und ihrem Bewußtsein zu denken ist. Der Naturforscher muß also gerade vom Subjekt und seinen Erlebnissen abstrahieren. Man erkennt so, daß diese beiden Betrachtungsweisen in ihrer Eigenart einseitig sind; daß sie beide auf einer künstlichen Abstraktion beruhen - die natürlich ernsthaften Erkenntniszwecken dient -, und daß sie beide abgeleitet sind aus dem Realismus der vorwissenschaftlichen Erfahrung. Dieser also ist die psychologische und logische Voraussetzung für beide, und er hat für den richtigen Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie zu gelten. Hat man diesen Ausgangspunkt aber einmal verfehlt, so ist - rein theoretisch betrachtet - ein zweifacher Irrtum möglich: man streicht entweder die Sphäre des Außerbewußten und erklärt, lediglich der Bewußtseinsinhalt sei das Wirkliche, oder man streicht den Bewußtseinsinhalt und sieht im Außerbewußten das einzig Reale. Den ersten Weg schlägt der subjektive Idealismus ein. Daß man darauf tatsächlich in die spezifisch psychologische Betrachtungsweise gerät, zeigt sich daran, daß ein Vertreter dieser Richtung von der "psychischen Natur aller Tatsachen" spricht (23), und ein anderer einen "Psychomonismus" als Ergebnis seiner kritischen Prüfung der Wirklichkeitsbegriffe verkündet (24). Ähnlich hat MACH (25) behauptet, daß alles, was als Tatsächliches uns unmittelbar gegeben und gewiß ist, aus "Empfindungen" besteht. Nach dem herrschenden Sprachgebrauch aber versteht man unter "Empfindungen" etwas Psychisches. Aber wie schon bei MACH die "Empfindungen" zu neutralen "Elementen" werden, die sowohl als physisch wie als psychisch aufgefaßt werden können, so sind auch die meisten Vertreter des Idealismus bestrebt, der Folgerung, daß alles Wirkliche psychisch ist, zu entgehen. Diese steht in der Tat auch in einem zu offenkundigen Widerspruch zu der vorwissenschaftlichen wie zur wissenschaftlichen Denk- und Sprechweise. Die Wände meines Zimmers und die Pflastersteine auf der Straße sind doch nichts Psychisches, und Physik und Chemie, Astronomie und Mineralogie und so viele andere Disziplinen beschäftigen sich doch nicht mit Psychischem. Man muß dann also unterscheiden zwischen "Bewußtseinsinhalt" und "Psychischem". Man muß sagen - um den Idealismus zu retten -: alle unsere Erkenntnis hat es zwar nur mit einem Bewußtseinsinhalt (nicht mit dem Außerbewußten) zu tun, aber dieser Bewußtseinsinhalt ist seinerseits zu gliedern in das Reich des Psychischen und das des Physischen. Dabei wird man einschärfen: die Gegenstände der Natur- wie der Geisteswissenschaften sind "im Bewußtsein"; alles Sein ist Bewußtsein; alle Gegenstände Objekte für ein Ich. Von einem außerbewußten "Ding ansich", von einer "transzendentalen" Wirklichkeit zu reden, ist unstatthaft. Je mehr aber der Idealist sich so bemüht, seinen Standpunkt von einer spezifisch psychologischen Betrachtungsweise zu unterscheiden, je mehr er den tatsächlich bestehenden Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften anerkennt, umso harmloser erscheint der Idealismus. Das, wogegen der realistische Sinn sich so sehr sträubt, tritt dann mehr und mehr in den Hintergrund. Er gesteht dann ja den Unterschied zwischen Psychischem und Physischem zu; auch den von bloß Vorgestelltem und Wahrgenommenen und den von Wirklichem und Erträumtem oder Halluziniertem muß er irgendwie wieder zur Geltung kommen lassen. Ja, er wird schließlich auch einräumen müssen, daß die Naturwissenschaft ihre Massen und Energien als unabhängig von einem individuellen Subjekt bestehend denkt; er wird nur gleich wieder hinzufügen, daß sie eben doch als so existierend gedacht sind, daß auch sie "Objekte" sind für ein "Subjekt"; wenn auch nicht für dieses oder jenes bestimmte Einzel-Ich sondern für ein allgemeines Subjekt, ein "Bewußtsein überhaupt", das als notwendiges Korrelat zu jedem Objekt hinzuzudenken ist. Nun beruth der instinktive Widerstand gegen den Idealismus auf dem Verdacht, er mache die Wirklichkeit sozusagen zu einem Traumgebilde, er verflüchtige sie zu einem Hirngespinst. Sieht man, daß bei einer gewissen Form des Idealismus dies nicht der Fall ist, daß er sich hier darauf beschränkt, vor alles, was Gegenstand unseres Denkens und Wissens werden kann, gewissermaßen nur ein neues Vorzeichen zu setzen, daß es nämlich ein "Bewußtes", ein "Objekt für ein Subjekt" ist, so werden wir den Eindruck haben, daß auf diese Weise im Grunde alles beim Alten bleibt; denn im wirklichen Denken werden wir jenes "Vorzeichen", da es ja allen Gegenständen zukommen soll und folglich zu ihrer Unterscheidung nichts beiträgt, einfach weglassen, und wir sind dann wieder beim Realismus. Mit Recht bemerkt CARL STUMPF (26) gegenüber dieser abgeschwächten Form des Idealismus:
Wir blicken auf unseren Ausgangspunkt zurück. Wir haben gesehen, daß aus der ursprünglichen realistischen Auffassung, für die das Psychische und das Physische noch nicht reinlich geschieden ist, durch künstliche Abstraktion einerseits die psychologische, andererseits die naturwissenschaftliche (genauer: die physikalische) Betrachtungsweise hervorgeht. Der Idealismus hat nun die erstere zur seinigen gemacht: er hat das dabei vorliegende Verhalten des Denkens zu seinen Objekten als das allein zulässige oder zumindest als das allein sichere proklamiert. Er gerät aber in die Gefahr, alles Wirkliche für psychisch zu erklären und so in einen metaphysischen Spiritualismus umzuschlagen. Will er diese Gefahr vermeiden, will er die wirklichen Unterschiede in den Denkobjekten anerkennen, so muß er schließlich dem Realismus solche Zugeständnisse machen, daß seine Verschiedenheit von diesem bedeutungslos erscheint. Wir müssen nun noch die zweite Möglichkeit erwägen, über den Dualismus des psychologischen und naturwissenschaftlichen Denkens hinwegzukommen. Sie besteht darin, daß man das letztere als dasjenige ansieht, das allein vor der erkenntnistheoretischen Würdigung bestehen kann. Dies tut in naiver Weise der vulgäre Materialismus, der, ganz in das materielle Sein und Geschehen vertieft, das Bewußtsein darüber vergißt. Einen Versuch, durch eine erkenntnistheoretische Erwägung das Bewußtsein und damit die psychologische Betrachtungsweise auszuschalten, stellt der "Empiriokritizismus" von RICHARD AVENARIUS dar. Er will die Spaltung der Welt in Innen- und Außenwelt, in Psychisches und Physisches, in eine vorgestellte und wirkliche Welt beseitigen; er sieht den Ursprung dieser Spaltung in der "Introjektion", d. h. in der Einlegung von Bewußtsein in unsere Mitmenschen und schließlich in uns selbst. Dies sei eine Verfälschung des ursprünglichen Tatbestands der Erfahrung. Dieser bestehe lediglich darin, daß jedes menschliche Individuum sich gegenüber einer "Umgebung" mit mannigfaltigen Bestandteilen vorfindet; ferner andere Individuen mit mannigfachen Aussagen und das Ausgesagte in irgendeiner Abhängigkeit von der Umgebung. Die "Introjektion" erfolgt nun so, daß der Mensch seinen Mitmenschen Wahrnehmungen der von ihm vorgefundenen Sachen, ferner Denken, Fühlen, Wollen und danach Erfahrung und Erkenntnis überhaupt beilegt, in sie hineinlegt. Er schafft ihnen so eine "innere" Welt, die der von ihm selbst ursprünglich vorgefundenen Welt, der Erfahrungswelt, als der äußeren gegenübersteht. Da die "Introjektion" aber wechselseitig geschieht und auch eine Übertragung der "Einlegung" auf den Einlegenden selbst stattfindet, so glauben nunmehr alle Individuen zu erfahren, daß sie eine äußere und eine innere Welt, eine äußere und eine innere Erfahrung haben. Nachdem aber einmal diese Scheidung vollzogen ist, setzt die Erwägung ein, daß die Erfahrung ein Produkt unserer inneren oder geistigen Organisation ist; daß der "äußere Gegenstand" nur eine "Vorstellung in mir" ist. Der Erfahrungsgegenstand wird so zum Nichterfahrbaren; er bleibt ewig "draußen"; d. h. wir sind bei der Auffassung des Idealismus angelangt, daß ir bei allem Erkennen nur unsere Bewußtseinsinhalte erfassen, und daß wir nie über das Bewußtsein hinauskommen. Durch die Ausschaltung der "Introjektion", durch die Eliminierung jener verfälschenden Denkzutaten sei der "natürliche Weltbegriff" zu gewinnen. Anstelle des "eingelegten" Ich mit seinem Innenleben ist das Zentralnervensystem (Das "System C") zu setzen, das im gleichen Sinne ein "Gegebenes" für mich ist wie jeder andere Umgebungsbestandteil, wie Bäume, Häuser usw.; für die einzelnen Vorgänge des sogenannten "Innenlebens", das Wahrnehmen, Erkennen, Fühlen, Wollen, sind "Funktionsschwankungen" dieses Systems um seine Gleichgewichtslage zu substituieren. - Es ist unverkennbar, wie auch bei AVENARIUS die erkenntnistheoretische Erwägung in metaphysische Behauptungen ausläuft, die hier, dem Ausgang von der naturwissenschaftlichen Betrachtung her entsprechend, rein materialistischer Art sind. Eine Widerlegung im Einzelnen ist hier schon deshalb entbehrlich, weil alles, was über das "System C" und seine "Funktionsschwankungen" ausgeführt wird, ganz hypothetisch ist, aus leeren Denkmöglichkeiten besteht. (27) So führt gerade die Philosophie, die sich auf den sicheren Boden der "reinen Erfahrung" stellen will, in ganz phantastische Konstruktionen hinein. Der Fehler aber liegt in der Erwägung, die zu jener Ersetzung des Ich durch das "System C" führt. Darin findet sich nämlich der Gedanke: "Ich und Umgebung gehören zu jeder Erfahrung und zwar in demselben Sinn"; "Ich erfahre den Baum in genau demselben Sinn wie mich". Das mag vom körperlichen Ich gelten, es gilt aber nicht von einem Ich, das als Subjekt die Akte des Denkens, Fühlens und Wollens als die seinigen erlebt. An seine Stelle ist damit ein dem Physischen analoges Etwas gesetzt, und wir sind damit in den metaphysischen Materialismus eingelenkt. Der "Empiriokritizismus" erweist sich aber so als Gegenstück des subjektiven oder psychologischen Idealismus. Der Phänomenalismus Eine Mittelstellung zwischen dem subjektiven Idealismus und dem Realismus nimmt der Phänomenalismus ein. Er hält mit dem Realismus an der Existenz einer vom individuellen Bewußtsein verschiedenen Realität fest - und zwar setzt er diese einfach voraus, wie er auch die Existenz einer Vielheit von Subjekten und deren übereinstimmende geistige Organisation ohne weiteres als gegeben annimmt -: andererseits stimmt er mit dem Idealismus überein in jener sozusagen räumlichen Auffassung des Bewußtseins, aus der sich ihm ergibt, daß das Bewußtsein nicht über sich hinausreichen und jene von ihm verschiedene Realität erfassen kann. Wir erkennen darum dem Phänomenalismus nach nicht die Dinge, wie sie ansich sind, sondern lediglich ihre Erscheinungen ("Phänomena"), d. h. wir erkennen sie so, wie sie sich in unserem Bewußtsein nach dessen Gesetzmäßigkeit darstellen. Unsere Erkenntnis versichert uns also zwar die Existenz der Realität, aber ihre Beschaffenheit näher zu bestimmen, sind wir ganz außerstande, da alle unsere Mittel zu dieser Bestimmung subjektiver Art und von den Dingen selbst ganz verschieden sind. phänomenalistischer Auffassung Als Hauptvertreter des Phänomenalismus wird KANT von zahlreichen Erklärern der Vernunftkritik aufgefaßt. Dieser Interpretation steht freilich eine rein idealistische gegenüber, die KANT vom seinem Glauben an jene absolut existierenden "Dinge ansich" zu reinigen sucht. Mit diesem Gegensatz vermischt sich dann noch der Streit über den Sinn des kantischen "a priori", das von jenen Auslegern in einem subjektiv-psychologischen Sinn, von diesen in einem objektiv-logischen Sinn gefaßt wird. Tatsächlich sind wohl beide Auffassungsweisen durch KANT selbst nahegelegt: die erste trifft im wesentlichen für die "transzendentale Ästhetik" und zum Teil für die "Analytik der Begriffe", die zweite für die "Analytik der Grundsätze" zu (28). Wollte man eine solche Verschiedenartigkeit in der kantischen Darstellung von vornherein für unmöglich erklären, da ein Denker wie KANT sich nicht widersprochen haben kann, so wäre das gerade keine voraussetzungslose Interpretation. Indessen ist es für unsere Zwecke gar nicht erforderlich, in dieser vielbehandelten Interpretationsfrage Stellung zu nehmen. Für den Geschichtsschreiber der Philosophie ist es ja natürlich höchst bedeutsam, festzustellen, ob KANT phänomenalistisch oder rein idealistisch dachte, oder ob sich sein Denken in beiden Richtungen bewegte. Das leitende Interesse unserer Schrift ist jedoch nicht das historische, sondern das systematische. Phänomenalismus wie (objekti-logischer) Idealismus sind aber Auffassungen der Erkenntnis, die beide in einer systematischen Übersicht über die wichtigsten erkenntnistheoretischen Standpunkte nicht fehlen dürfen. Sie sollen nun hier in der Weise vorgeführt werden, daß die zwei Interpretationsarten KANTs in ihren Hauptzügen zur Darstellung kommen. Es wird damit zugleich dem Anfänger ein Hilfsmittel in die Hand gegeben, um sich durch die verwirrenden Gegensätze der Kantliteratur hindurchzufinden. Die Aufgabe dieses Kapitels wird es sein, uns mit der phänomenalistischen Auffassung der kantischen Erkenntnistheorie und dadurch mit dem Phänomenalismus überhaupt bekannt zu machen und zu seiner kritischen Würdigung anzuleiten. - Daß Farben, Töne, Gerüche, überhaupt die "sekundären Qualitäten" nicht den Dingen ansich zukommen, sondern "bloß zur subjektiven Beschaffenheit der Sinnesart gehören", das steht auch für KANT von vornherein fest; aber er setzt doch voraus - und das unterschiedet ihn vom subjektiven Idealismus -, daß Gegenstände auf die "Vorstellungsfähigkeit" wirken, "die Sinne rühren", "unser Gemüt (d. h. unser Bewußtsein) affizieren" und dadurch die Empfindungen (und zwar lediglich diese!) in uns hervorrufen. Aber diese Empfindungen allein machen nicht die Erfahrungserkenntnis aus; diese ist vielmehr
Er will damit auch das Problem lösen, das er als die eigentliche Grundfrage der Vernunftkritik bezeichnet: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? "Synthetische" Urteile sind solche, die zu einem Subjekt ein Prädikat hinzufügen, welches im Subjektbegriff noch nicht gedacht ist und nicht durch Zergliederung in ihm gefunden werden kann. Analytisch sind dagegen die Sätze, wo dies der Fall ist. So ist z. B. der Satz: "alle Körper sind ausgedehnt", analytisch; denn das Merkmal des Ausgedehntseins ist im Begriff des Körpers schon mitgedacht. Ein solcher Satz gilt auch a priori, d. h. notwendig und allgemein und damit auch unabhängig von der Erfahrung; ich brauches diese nicht zu befragen, um seine Gültigkeit zu erproben; wollte ich sie bestreiten, so würde ich mir selbst widersprechen. Aber diese analytischen Sätze führen unsere Erkenntnis nicht weiter; sie zergliedern nur unsere Begriffe. Sage ich dagegen: jede Veränderung hat ihre Ursache, so wird im Prädikat etwas ausgesagt, was noch nicht im Begriff des Subjekts liegt. Der Satz ist synthetisch. Aber wie steht es mit seiner Gültigkeit? Auf dem Satz des Widerspruchs ruht sie nicht; denn eine "ursachlose Veränderung" ist kein in sich widersprechender Begriff. Auch die Erfahrung kann ihn nicht ausreichend begründen, da sie uns nur über die bisher beobachteten Veränderungen Aufschluß geben kann, aber nicht über "jede" Veränderung. Und doch gilt der Satz, wie KANT überzeugt ist, allgemein und notwendig, also a priori. Wie ist das möglich? Wie erklärt sich die Gültigkeit dieses Satzes und ähnlicher Sätze a priori? Das ist KANTs Problem. Die Frage erscheint unlösbar, wenn wir die Erkenntnis so auffassen, als ständen darin Subjekt und Wirklichkeit sozusagen als gesonderte Substanzen, als fertige Größen gegenüber und als träte das Subjekt lediglich durch die Erfahrung (das bedeutet hier den Inbegriff der Empfindungen) mit den Dingen in Beziehung. Lösbar dagegen erscheint das Problem, wenn die Erkenntnis nicht in der Erfassung einer von uns unabhängig existierenden Realität besteht; wenn sie nicht die Dinge, wie sie ansich sind, ergreift, sondern wenn die Wirklichkeit, auf die sich unsere Erkenntnis erstreckt, von unserem Geist nach bestimmten Gesetzen aufgebaut wird. Dabei kann dieser freilich nicht umhin, die von den "Dingen ansich" bewirkten Empfindungen als Material zu verwerten. Diese Empfindungen, für sich genommen, bilden aber erst einen "rohen Stoff", ein Chaos, keine geordnete und gegliederte gegenständliche Welt. Wird diese nun erst durch geistige Funktionen konstruiert, so muß natürlich ein Einblick in die gesetzmäßige Wirksamkeit dieser Funktionen uns gewisse durchgehende Beschaffenheiten der objektiven Welt enthüllen; denn alles, was zu dieser Welt gehören, und was damit für uns "Gegenstand" werden soll, muß ja dieser gesetzmäßigen Formung unterliegen. Diese Funktionen zusammen bilden also diejenige Struktur unseres Erkenntnisvermögens, kraft deren es überhaupt eine gegenständliche Welt für uns gibt; sie bilden die apriorische Organisation unseres Gegenstandsbewußtseins. Sie zerfallen nach KANT in zwei Arten. Daß die Sinneseindrücke (die Empfindungen) uns in Raum und Zeit geordnet entgegentreten, das beruth auf Funktionsweisen der Sinnlichkeit, die Eindrücke derart in ein Neben- und Nacheinander zu bringen. Raum und Zeit werden so als "reine Formen" der Sinnlichkeit bezeichnet. Daß wir uns ferner die Welt denken als bestehend aus "Dingen", die mit "Eigenschaften" ausgestattet sind und in einer "Wechselwirkung" stehen; daß wir die Vorgänge, die sich in ihr abspielen, als "ursächlich" bedingt ansehen; daß wir "zählen" und "messen", von "Wirklichkeit", "Möglichkeit" und "Notwendigkeit" reden, das beruth auf anderen geistigen Funktionen, deren Inbegriff den "Verstand" ausmacht. Also erst durch die Wirksamkeit der reinen Formen der Sinnlichkeit und der Funktionen des Verstandes (der "Kategorien") entsteht für uns aus dem Empfindungschaos jene objekte Welt, der wir uns von vornherein gegenüber wissen, und deren nähere Erforschung die Aufgabe der Naturwissenschaft ist. Diese gegenständliche Welt ist folglich das Produkt zweier Faktoren: der ansich bestehenden Realität, die unser Bewußtsein affiziert, wodurch die Empfindungen entstehen, und dieses Bewußtsein selbst (der "Vernunft" im weitesten Sinn des Wortes), das seiner apriorischen Organisation entsprechend die Empfindungen ordnet und zu dieser Welt objektiviert. Daß "Dinge-ansich" und "Vernunft" existieren und daß letztere gerade mit diesen bestimmten Funktionsweisen ausgestattet ist, das ist einfach als letzte Tatsache hinzunehmen. So viel über die phänomenalistische Grundanschauung. Einige erläuternde Bemerkungen mögen sich anschließen. a) Die reinen Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes entstehen nicht erst aus den Empfindungen, etwa durch Abstraktionen, sondern "liegen a priori im Gemüt bereit". Das besagt aber nicht, daß Begriffe wie Raum und Zeit, Ding und Eigenschaft, Ursache und Wirkung fertig angeboren sind. Sie können sehr wohl gelegentlich der Sinneseindrücke sich entwickeln, aber es muß doch eine Anlage, ein Keim für diese Entwicklung im Subjekt als angeboren vorausgesetzt werden. Bei dieser Interpretation ist also der Begriff des a priori zwar nicht mit "angeboren" schlechthin, aber doch mit "potentiell", d. h. "der Anlage nach angeboren" gleichzusetzen (29), und damit wird auch das Apriorische zum Objekt einer psychologisch-genetischen Betrachtungsweise. b) Zu unterscheiden ist die Funktion selbst und dasjenige, was durch sie entsteht, also z. B. die verräumlichende Funktion der Sinnlichkeit und der Raumcharakter der objektiven Welt, der ihr Produkt ist und im Hinblick auf den wir den Begriff des Raumes bilden. Da wir uns des räumlichen Anordnens unserer Sinneseindrücke nicht bewußt sind, so muß diese Verräumlichende Funktion als eine unbewußt wirkende angenommen werden. Entsprechendes gilt für die Funktion der zeitlichen Anordnung (die "reine Form": Zeit) und die Kategorien. Erst von den einzelnen Wahrnehmungen räumlicher Dinge her gelangen wir durch Abstraktion zu den "Begriffen" "Raum" und "Ding"; aber daß räumliche Dinge überhaupt für uns da sind, das beruth auf dem Zusammenwirken jener unbewußten Funktionen. Bei KANT selbst ist jene Unterscheidung zwischen apriorischer Funktion, ihren gegenständlichen Produkten und den darauf bezüglichen Begriffen nicht vollzogen. Sie ergibt sic haber bei der hier gewählten Interpretationsweise als notwendige Konsequenz au seinen Ansichten. c) Man kann die apriorischen Funktionen auch als Arten fassen, wie das Subjekt auf Eindrücke gesetzmäßig reagiert. Sie ständen unter diesem Gesichtspunkt in einer Parallele zu den Empfindungen. Die Reaktion auf die Wirkung der Dinge ansich auf unser Bewußtsein ist danach nicht erschöpft mit den Empfindungen, sondern - angeregt durch die Empfindungen - treten jene Funktionen in Wirksamkeit, vermöge deren die gegenständliche Welt für uns entsteht, die der Naive als ohne subjektive Betätigung "gegeben" annimmt. Insofern würden sich freilich Empfindungen und die den Funktionen entsprechenden "Formen" unterscheiden, als die Empfindungen vielfältig wechselten und eine unübersehbare Mannigfaltigkeit darstellen, während jene Formen nur wenige sind und sich durchgehend finden, und als die Empfindungen sich sozusagen in sie einordnen. d) Die apriorischen Funktionen oder Formen sind subjektivf, aber sie wirken allgemein und notwendig und schaffen streng gesetzmäßig die uns erscheindende objektive Welt; sie sind also trotz ihrer Subjektivität die Quelle aller Objektivität. Denn was meinen wir z. B. mit dem Begriff eines wirklichen Dings? Doch ein Etwas, das wirklich existiert und zwar in der Zeit, das diese und jene Eigenschaft, diese bestimmte Größe hat, das endlich seinen Raum erfüllt, d. h. abstoßend wirkt. Wir brauchen also die Begriffe Raum und Zeit, Dasein, Wirklichkeit, Substanz, Akzidenz, Größe und Kausalität, um den Begriff eines wirklichen Dings zu denken. Das bedeutet: die Funktionen der Sinnlichkeit und des Verstandes müssen zu diesem Gedanken zusammenwirken, und in noch größerer Vollständigkeit muß dies bei unserem Bewußtsein von der wirklichen Welt in ihrer Totalität der Fall sein. e) Weil es aber ohne diese Funktionen und die ihnen entsprechenden objektiven "Formen" für uns kein Wissen von Naturobjekten, keine Erfahrungserkenntnis, ja überhaupt keine Gegenstände gäbe, so müssen natürlich diese Formen, und was aus ihnen mit Notwendigkeit folgt, für alle Gegenstände der Erfahrung zutreffen. So erklärt sich die Geltung synthetischer Sätze a priori. So wenig aber die Empfindungen für sich allein eine Erkenntnis bedeuten, so wenig vermögen wir mit diesen Formen allein etwas Wirkliches zu erkennen. Denn erst die Empfindungen als von den "Dingen ansich" herrührend geben uns die Gewißheit, daß unser Erkennen kein bloßes Hirngespinst ist, sondern Wirklichkeit erfaßt. Es ist also nicht bloßer Schein, daß es körperliche, raumerfüllende Dinge gibt, daß Vorgänge sich in der Zeit abspielen und durch andere bedingt sind usw., sondern das ist alles wirklich; nur muß man nicht glauben, daß das alles auch gilt, wenn es gar keine erkennenden Subjekte gäbe. Was dann wäre, können wir überhaupt nicht sagen. f) Erkenntnis kommt also jedenfalls nur zustande durch das Zusammenwirken des Empfindungsmaterials und jener Funktionen. Fehlt einer dieser Faktoren, so können wir eine wirkliche Erkenntnis nicht erreichen. Folglich ist eine apriorische Metaphysik, die lediglich mittels Verstandesfunktionen ohne Verwertung von Empfindungen Erkenntnisse gewinnen will, unmöglich. g) Eine weitere Folgerung ist, daß wir die Dinge nicht erfassen, wie sie "ansich", d. h. unabhängig von der Auffassung des Subjekts, sind, sondern wie sie uns aufgrund der Organisation unseres Bewußtseins "erscheinen". Daß es "Dinge ansich" gibt, wird zwar vorausgesetzt, ebenso, daß sie den Anstoß zur Entstehung der Empfindungen geben, aber weiterhin verlieren sie für die Erkenntnis alle Bedeutung. Wollte man aber annehmen, daß sie unseren subjektiven Erkenntnisformen (Raum, Zeit, Kategorien) entsprechen, so müßte man zu der künstlichen Hypothese eines "Präformationssystems" greifen; man müßte sich denken, daß ein göttlicher Schöpfer dem erkennenden Geist jene mit den Dingen übereinstimmenden Formen von vornherein eingepflanzt hat. Zu einer solchen übernatürlichen Erklärungsweise aber zu greifen, lehnt KANT ab; auch ist er überzeugt, daß die Annahme, die Welt als Ding-ansich sei räumlich und zeitlich und von der Kausalität beherrscht, zu unauflöslichen Widersprüchen führt, die er in den "Antinomien der reinen Vernunft" eingehend dargelegt hat. Auch gegen den Phänomenalismus vermag der kritische Realismus sich zu behaupten; er braucht nur aus der realistischen Voraussetzung, die der Phänomenalismus macht, entschlossen die Konsequenzen zu ziehen. Ist es nämlich richtig, daß es eine vom Subjekt unabhängige Realität gibt und daß diese auf unser Bewußtsein wirkt und Eindrücke in ihm veranlaßt, so läßt sich zeigen, daß unsere Erkenntnis nicht in die Sphäre der "Erscheinungen", d. h. von "Vorstellungen in uns" festgebannt bleibt, sondern daß sie auch jene Realität erreicht, und daß sie die "Dinge-ansich" nicht bloß in ihrer Existenz, sondern auch in ihrer Beschaffenheit zu bestimmen vermag (30). a) Wäre der Raum, wie KANT lehrt, eine subjektive Form unserer Sinnlichkeit schlechthin, so wäre zu erwarten, daß allen unseren Empfindungen in gleicher Weise Raumcharakter zukommt. Tatsächlich aber zeigt sich dieser nur an den Empfindungen des Gesichts- und des Tastsinns in deutlicher Weise, bei den anderen Empfindungsarten ist er weniger ausgeprägt vorhanden oder er fehlt ganz. Also wird dieser Raumcharakter wohl nicht auf eine gleichmäßig wirkende, "verräumlichende" Funktion des Subjekts zurückzuführen sein, sondern er wird je nach der Art der Empfindungen mit diesen gegeben oder auch nicht gegeben sein. Führen wir aber die Empfindungen auf die "affizierenden" Dinge ansich zurück, warum dann nicht auch das Vorhandensein oder Fehlen des räumlichen Charakters? b) Auch die bestimmten räumlichen und zeitlichen Eigenschaften und Verhältnisse, die uns an den konkreten Dingenn und Vorgängen entgegentreten, lassen sich aus einer subjektiven Funktionsweise gar nicht ableiten. Die bestimmte Form und Größe des vor mir liegenden Blattes ist geradeso gut ohne mein Zutun gegeben wie seine Farbe; die Dauer des Vogelgezwitschers, das ich gerade vernehme, geradeso wie die Höhe der Töne. Sind Farbe und Ton durch das Ding-ansich bedingt, dann gilt dasselbe für das räumliche und zeitliche Moment. Dabei brauchen weder Empfindung noch Raum- und Zeitform die Beschaffenheit des Dings-ansich anschaulich abzubilden; genug, wenn sie zu diesem in einer gesetzmäßigen Beziehung stehen. Dies reicht für unsere Erkenntnis aus, um die Dinge zumindest in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen. c) Entsprechendes läßt sich geltend machen für die sogenannten reinen Verstandesformen, die "Kategorien". Auch hier steht es nicht bei uns, welche Kategorien wir anwenden, was wir z. B. als Ding und was als Eigenschaft, was wir als Ursache und was wir als Wirkung auffassen. Wir müssen durch bestimmte Momente am gegebenen Empfindungsstoff oder an den mit ihm gegebenen räumlichen und zeitlichen Formen veranlaßt werden, gerade diese bestimmten Kategorien in Anwendung zu bringen. Und dies läßt wieder Rückschlüsse auf die unabhängig von uns bestehende Realität zu. d) Ist es aber richtig, daß unsere Erkenntnis auf die Dinge ansich geht, und nicht auf "Erscheinungen" in unserem Bewußtsein, so fragt es sich, wie wir uns denn zum kantischen Grundproblem stellen. Seine Frage: wie synthetische Urteile a priori möglich sind, scheint ja nur dann beantwortet werden zu können, wenn die Objekte unserer Erkenntnisse nicht von uns unabhängige Dinge sind, sondern von unserem Geist gemäß seiner apriorischen Funktionsweise - zumindest ihrer Form nach - erzeugt werden. Aber KANTs Problemstellung selbst läßt sich anfechten. Zu den Sätzen, die er "synthetische Urteile a priori" nennt, gehören zunächst alle Sätze der reinen Mathematik. Daß diese a priori gelten, ist zuzugeben; sie beziehen sich auf Gebilde, die wir selbst in ganz bestimmter Weise schaffen, und wegen deren wir darum die Erfahrung nicht zu befragen brauchen - ob wir die Elemente, mittels deren wir jene Gebilde konstruieren, etwa aus der Erfahrung abstrahiert haben, kann dabei auf sich beruhen -. Was den angeblich "synthetischen" Charakter dieser Sätze betrifft, so ist zu bedenken, daß ihre Gültigkeit auf unseren eigenen Definitionen der Zahlbegriffe und der geometrischen Konstruktionsstücke und der streng homogenen Beschaffenheit der aus letzteren zusammengesetzten Figuren ruht. In letzter Linie gründet sie also doch auf dem Satz des Widerspruchs, und unter diesem Gesichtspunkt kann man diese Sätze vielmehr als "analytisch" ansprechen. Eine "Synthesis" liegt bei ihnen freilich auch vor, aber sie ist nicht in den Sätzen selbst, im Verhältnis von Prädikat und Subjekt gegeben, sondern sie geht den Sätzen voraus, sie liegt in den Zahlenkombinationen und in der Konstruktion der geometrischen Gebilde, auf die sich die Sätze beziehen. Zu den "synthetischen Urteilen a priori" zählt KANT ferner gewisse oberste Sätze der Naturwissenschaft, wie den Kausalsatz und den Satz von der Erhaltung der Substanz. Sie sind schon deshalb von den Sätzen der reinen Mathematik grundverschieden, weil sie sich nicht auf bloß gedachte Gegenstände beziehen, sondern einer Realwissenschaft angehören. Wenn aber die Realität, die erkannt werden soll, nicht "Erscheinung in uns" und so ihren Formen nach von unserem Geist abhängig ist, so können Sätze, die sich auf sie beziehen, nur durch die Erfahrung ihre Gültigkeit erweisen, da die Erfahrung der einzige Weg ist, der zu jener Realität hinführt. Sätze, wie die oben genannten, können also nicht in demselben Sinn unabhängig von der Erfahrung, d. h. a priori, gelten wie die Sätze der reinen Mathematik. Wenn sie aber, wie in Kapitel III 3 gezeigt wurde, Erfahrung erst ermöglichen, so werden wir ihnen doch im Vergleich mit den eigentlich empirischen Sätzen einer relativ apriorischen Charakter zugestehen können. Ihrem Erkenntniswert nach haben sie zu gelten als Voraussetzungen, als Annahmen von höchster Wahrscheinlichkeit, die sich in der Erfahrung bisher stets bewährt haben und auf deren weitere Bewährung wir vertrauen können. ![]()
23) Das Folgende in Übereinstimmung mit Johannes Rehmke, "Unsere Gewißheit der Außenwelt", Heilbronn 1894. 24) Vgl meine Schrift "Empfindung und Denken", Seite 81 und Heinrich Maier, "Emotionales Denken", Seite 216f. 25) Hans Kleinpeter, "Die Erkenntnistheorie der Naturforschung der Gegenwart", Seite 18. 26) Max Verworn, "Naturwissenschaft und Weltanschauung", Leipzig 1904. 27) Ernst Mach, "Beiträge zur Analyse der Empfindungen", erste Auflage, Seite 12f 28) Carl Stumpf, "Zur Einteilung der Wissenschaften", Seite 18f 29) Vgl. die eingehende Kritik des "Empiriokritizismus" in Wundts Aufsätzen "Über naiven und kritischen Realismus". 30) Ich stimme darin überein mit Vaihinger, "Kommentar" II, Seite 174. |