cr-2cr-2TatarkiewiczHartmannBryszBusse    
 
AUGUST MESSER
Einführung in die Erkenntnistheorie
[ 4 / 5 ]

"Auch solche Erkenntnistheoretiker, die den subjektiven Idealismus nicht annehmen, geben doch zu, daß von ihm die Erkenntnistheorie auszugehen hat; denn wenn unsere Bewußtseinsinhalte auch nicht das einzige Wirkliche sind, so sind sie jedenfalls dasjenige, das uns allein mit völliger Gewißheit gegeben ist, und wovon wir als einem ganz sicheren Boden bei allen erkenntnistheoretischen Erwägungen unseren Ausgang nehmen müßten."

"Der Mensch ist im ersten Stadium seiner geistigen Entwicklung auf seinen Bewußtseinsinhalt beschränkt; und man sieht als das zu lösende Problem dies an: Wie kommt er zur Überzeugung von einer Außenwelt? Die Antwort, wie sie z. B. Schopenhauer und Helmholtz auf diese Frage gegeben haben, lautet: es geschieht dies durch einen unbewußt verlaufenden Schluß, der in begrifflicher Formulierung lauten würde: die Wahrnehmungsinhalte unseres Bewußtseins haben eine Ursache. Diese findet sich nicht innerhalb unseres Bewußtseins; also muß sie außerhalb des Bewußtseins existieren."

"Durch die Annahme einer Außenwelt wird uns sehr Vieles verständlich, was uns sonst rätselhaft bliebe. Aber denknotwendig im strengen Sinn ist sie deshalb doch nicht. Sie leugnen schließt keinen Widerspruch in sich. Gegen den Realismus bleibt immer noch der Einwand zulässig: Das Wirkliche könnte ja rätselhaft, unerklärlich sein. Woher wissen wir denn mit Bestimmtheit, daß das, was uns den Ablauf unserer Bewußtseinsinhalte erklärbar machen würde, auch existiert?

V. Kapitel
Der subjektive Idealismus

1. Sinn und Beweisführung des subjektiven Idealismus

Hat man sich einmal daran gewöhnt, alles Wahrnehmen und Nachdenken als Bewußtseinsvorgang anzusehen, sind die Dinge nicht einfach mehr für uns da, sondern ist man sich darüber klar, daß solche Bewußtseinsvorgänge sie uns erst vermitteln müssen, so liegt die Frage nahe: wie ist es überhaupt möglich, daß etwas Außerbewußtes, etwas, das nicht Bewußtsein ist, wie jene "ansich" bestehende Welt, von uns erkannt und gewußt sein soll? Dazu muß sie doch Bewußtseinsinhalt werden. Die Wahrnehmung z. B. als psychisches Erlebnis ist ja keine bloße Hinwendung zu einem Objekt, das außerhalb des Bewußtseins bleibt; sondern zum Wahrnehmungserlebnis selbst gehört in gewissem Sinn das Objekt. Das Haus, das ich da drüben sehe, ist - psychologisch gesprochen - ein Komplex von Helligkeits- und Farbenempfindungen, mit denen, wie wir sahen, noch andere Bewußtseinselemente verschmelzen. Für den Psychologen steht überhaupt von vornherein fest, daß alles, was ich von diesem Haus wahrnehme und weiß, also das ganze Haus, soweit es überhaupt für mich da ist, aus Bewußtseinselementen besteht. Ist es dann aber nicht ganz gleichgültig, ob ein reales, außerbewußtes Haus überhaupt existiert? Ja, kann ich darüber überhaupt etwas Bestimmtes behaupten, da ich doch nicht über mein Bewußtsein hinauskommen kann? Im Traum und bei der Halluzination sind wir ja auch überzeugt, unmittelbar Dinge wahrzunehmen, die gar nicht vorhanden sind: wer bürgt uns dafür, daß nicht auch der Wachzustand ein fortgesetzter Traum ist?

Solche und ähnliche Erwägungen sind es, die in der Geschichte der Philosophie diejenige erkenntnistheoretische Richtung erzeugt haben, die man als "Idealismus" bezeichnet. Für ihn ist die Auffassung charakteristisch, daß wir im Erkennen und Wissen keine vom Bewußtsein verschiedene Realität erfassen, sondern daß wir es dabei lediglich mit unseren "Vorstellungen" ("Ideen") zu tun haben. - Unter diesem Terminus werden dabei all die Bewußtseinsvorgänge zusammengefaßt, in denen wir überhaupt Gegenstände meinen, die also in ihrer Gesamtheit unser "Gegenstandsbewußtsein" ausmachen.-

Der Idealismus kommt nun in verschiedener Ausprägung vor. Diejenige Form, die hier zunächst zu behandeln ist, wird als "subjektiver Idealismus" bezeichnet, weil er lediglich die Bewußtseinsinhalt des einzelnen Subjekts als wirklich anerkennt; man könnte ihn auch den "psychologischen" nennen, weil seine Betrachtungsweise diejenige der Psychologie ist.

In diesem "subjektiven Idealismus" ist nun freilich eine Denkrichtung gegeben, die dem naiven Realisten und darum auch uns allen in unserem praktischen Verhalten völlig unannehmbar, ja absurd erscheint. Gleichwohl spielt der Idealismus in der Geschichte der Philosophie eine so bedeutsame Rolle, daß wir uns näher mit ihm befassen müssen. So finden wir bei DESCARTES idealistische Gedankengänge; BERKELEY vertritt ihn, zumindest in Bezug auf die materielle Außenwelt; ihr "Sein" soll in ihrem "Wahrgenommenwerden" bestehen (esse = percipi); HUME gestaltet ihn konsequent aus. Als neuere Vertreter des subjektiven Idealismus in mannigfachen Modifikationen, die auch als "immanente Philosophie", "Konszentialismus", "Solipsismus" bezeichnet werden, seien hier MAX KAUFMANN, WILHELM SCHUPPE, ANTON von LECLAIR, SCHUBERT-SOLDERN, HANS CORNELIUS (17). Auch solche Erkenntnistheoretiker, die den subjektiven Idealismus nicht annehmen, geben doch zu, daß von ihm die Erkenntnistheorie auszugehen hat; denn wenn unsere Bewußtseinsinhalte auch nicht das einzige Wirkliche sind, so sind sie jedenfalls dasjenige, das uns allein mit völliger Gewißheit gegeben ist, und wovon wir als einem ganz sicheren Boden bei allen erkenntnistheoretischen Erwägungen unseren Ausgang nehmen müßten.

Der subjektive Idealismus in seiner reinsten Form besagt also: nur mein Bewußtsein mit seinen Inhalten ist wirklich. Man mache sich klar, was das bedeutet. Es besagt, wenn ich es auf meine augenblickliche Situation anwende: der Tisch, an dem ich hier sitze, das Zimmer, das Haus, die Stadt, worin ich mich befinde, ja die ganze Erde und alle Himmelskörper sind lediglich als meine Bewußtseinsinhalte wirklich; auch meine Verwandten und Bekannten, wie alle Menschen und Tiere sind bloß Vorstellungen in mir. Daß dies alles auch existiert, wenn ich es nicht wahrnehme oder nicht daran denke, das ist nur ein naiver Glaube, der vor der kritischen Reflexion verschwinden muß. Der Bewußtseinsablauf mit seinen wechselnden Bildern, Gedanken und Überzeugungen, Gefühlens und Willensbetätigungen ist das allein Existierende, das Absolute.

Es ist freilich nicht leicht, den so tief in uns wurzelnden Realismus auch nur im einsamen Nachdenken aufzugeben und sich in diese subjektiv-idealistische Grundanschauung hineinzudenken, oder vielmehr hineinzufühlen und hineinzuleben. Aber gelingt uns dies - wenn auch anfangs vielleicht nur auf Augenblicke - so erleben wir ein ganz neuartiges Weltbewußtsein: wir fühlen uns frei von der lastenden Schwere, der brutalen Stofflichkeit, dem niederdrückenden Zwang der "wirklichen Welt", an die wir bis dahin geglaubt haben.

Das Erhebende, ja Berauschende dieser Anschauungsweise mag manchem geradezu als Beweis für ihre Richtigkeit gelten. Aber nicht Gefühle, und seien sie noch so mächtig und beglückend, können hier die Entscheidung bringen, sondern es fragt sich, ob sich derartige Inuitionen wirklich vor dem prüfenden Nachdenken bewähren. In der Tat macht sich auch der Idealismus daran, seine Grundthese völlig sicher zu begründen. Derjenige Beweis aber, dem er das meiste Vertrauen schenkt, sucht darzulegen, daß die realistische Auffassung der Erkenntnis in sich widersprüchlich ist. Wer nämlich das Dasein einer außerhalb des Bewußtseins existierenden Realität behauptet, denkt eben damit doch diese Realität. Er macht sie also zum Inhalt seines Bewußtseins und behauptet doch gleichzeitig von ihr, sie bestehe außerhalb seines Bewußtseins; damit widerspricht er sich selbst.

Man kann denselben Gedankengang auch folgendermaßen ausdrücken: Der Versuch, eine jenseits des Bewußtseins liegende Wirklichkeit (in KANTs Terminologie: ein Ding ansich zu denken, muß notwendig mißlingen; denn mein Denken ist ja ein Bewußtseinsvorgang. Was immer ich denke, gehört selbst zum Bewußtsein, ist Bewußtseinsinhalt. Wie kann ich aber etwas zu meinem Bewußtseinsinhalt machen, was außerhalb meines Bewußtseins liegen soll? Rede ich mir aber dennoch ein, ich dächte das "Ding ansich", so ist das eben nicht mehr das "Ding ansich" außerhalb meines Bewußtseins, sondern ein gedachtes "Ding-ansich", also mein Bewußtseinsinhalt. Alles gedachte Bewußtseins-Transzendente ist eben durch das Denken ein Bewußtseins-Immanentes. Mithin ist der Gedanke, daß eine Realität außerhalb des Bewußtseins und unabhängig von ihrem Gedachtsein existiert, in sich widersprüchlich und darum ungültig. -

Aber ist die Berufung auf den Satz der Identität und des Widerspruchs hier wirklich statthaft?

Wenn ich sage: der Kreis ist viereckig, so ist das ein offenbarer Widerspruch; ich denken im Begriff "Kreis" einen Gegenstand, dessen wesentliche Eigenschaft "rund" mit der ihm beigelegten ("viereckig") gänzlich unvereinbar ist. Und dieser Widerspruch besteht, gleichviel ob der Gegenstand innerhalb oder außerhalb des Bewußtseins existieren soll. Dasselbe ergibt sich bei der Analyse anderer, in sich widerspruchsvoller Sätze, wie "dieser Schimmel ist schwarz", "fünf ist eine gerade Zahl" usw. Sie zeigen, daß die Frage, ob ein Prädikat einem Subjekt widerspricht, gar nicht davon berührt wird, ob das im Subjekt und Prädikat Gemeinte als in oder außerhalb des Bewußtseins seiend gedacht wird, sondern daß es lediglich darauf ankommt, was ich im Subjekt und Prädikat denke.

Wie steht es nun mit der Grundbehauptung des Realismus: "eine außerbewußte Realität existiert"? Denke ich in "existiert" etwas, was dem Subjekt widerspricht? Ich kann das nicht finden.

Aber wird das Bewußtseins-Transzendente dadurch, daß es gedacht wird, kein Bewußtseins-Immanentes, und entsteht nicht dann ein Widerspruch, wenn man es doch als Bewußtseins-Transzendentes festhalten will? Darauf ist zu sagen: Das Denken an das Bewußtseins-Transzendente ist allerdings ein bewußtseins-immanenter Vorgang, aber nicht das darin Gedachte, Gemeinte. Nun gehört aber, wie wir bereits früher (Kapitel II, 4) sahen, das Denken als Bewußtseinsvorgang niemals zum Inhalt des gerade Gedachten. Der Satz des Widerspruchs aber bezieht sich lediglich auf Gedachtes, auf Denkinhalte und damit auf die darin gemeinten Gegenstände. Zwischen dem Vorgang des Denkens und dem in ihm gedachten Inhalt kann nie ein Widerspruch bestehen.

Jeder wird doch auch zugeben, daß ich mit dem Begriff "bewußtseins-transzendent" etwas anderes meine, als mit "bewußtseins-immanent". Wäre der Beweisgang des Idealismus richtig, so würden beide Begriffe dasselbe bedeuten, oder richtiger: nach ihm wäre der Begriff des "Bewußtseins-Transzendenten" gar nicht faßbar, da er durch sein Gedachtwerden in den entgegengesetzten Begriff des "Bewußtseins-Immanenten" umschlagen würde.

Endlich wird doch auch der radikalste Idealist nicht leugnen, daß er neben Denkvorgängen auch Gefühle und Willensakte erlebt. Wenn er nun über eine Mißstimmung nachdenkt, wird diese dadurch zu einem Denkvorgang? oder wenn er seine Gedanken auf eine früher erlebte Freude, sondern das jetzige Denken daran?

Man sieht daraus leicht, daß die Beweisführung des subjektiven Idealismus gerade das verkennt, was die Eigenart des Denkens ausmacht, seinen "gegenständlichen Charakter", seine Fähigkeit, Gegenstände zu meinen, die vom Denkerlebnis selbst verschieden sind. Nur sofern das Denken diesen Charakter hat, können wir ihm einen "Inhalt" zuschreiben. Dieser Inhalt gehört freilich zum Bewußtseinsvorgang (was wohl zu unterscheiden ist vom obigen Satz, daß der Bewußtseinsvorgang selbst in dem ihm zugehörigen Inhalt niemals gemeint ist). Aber das bedeutet nicht, daß auch der "Gegenstand" ein Bestandteil des Denkerlebnisses ist. Vielmehr sind Inhalt und Gegenstand wohl zu unterscheiden, wie wir das schon oben näher ausgeführt haben. Auf der Vernachlässigung dieser Unterscheidung beruth im Grunde der Idealismus.

Man wird diesen Idealismus freilich nicht überwinden, solange man (wie das häufig geschieht) im Inhalt ein Abbild des Gegenstandes sieht. In diesem Fall wird nämlich der Idealist einwenden: Wie erkenne ich denn, daß der abbildende Inhalt dem Gegenstand entspricht? Das wäre doch so nur möglich, daß ich den Gegenstand selbst erfasse und ihn mit diesem Bild vergleiche. Bedarf es aber zu diesem Erfassen wieder eines Inhalts, d. h. eines Bildes, so kann ich abermals nicht Inhalt und Gegenstand selbst vergleichen, sondern habe es immer wieder mit zwei "Bildern" zu tun und das wiederholt sich so oft ich den Versuch erneuere.

Dieser Einwand beweist aber nicht die Gültigkeit des Idealismus, sondern legt nur dar, daß das Erkennen nicht als ein "Abbild" gefaßt werden darf, und daß das Verhältnis von Inhalt und Gegenstand nicht dem von Bild und Original gleichgesetzt werden kann. Diese letzteren sind nämlich selbst zwei Gegenstände. Ihr Verhältnis wird also schon darum verschieden sein vom Verhältnis des Subjekts zum Gegenstand (Objekt), das der Erkenntnis eigentümlich ist. Die Bezeichnung des Erkennens als eines Abbildens ist eben nichts weiter als eine bildliche Redeweise. Der Umstand aber, daß man vielfach das Unzulängliche dieses bildlichen Ausdrucks übersah, ja ihn als eigentlichen, dem Sachverhalt völlig angemessenen auffaßte, hat schwere Irrtümer und Mißverständnisse zur Folge gehabt und dem Idealismus immer wieder einen scheinbaren Grund für seine Identifizierung von Inhalt und Gegenstand und für seine Bekämpfung der realistischen Grundüberzeugung gegeben.

Der Satz: eine vom Bewußtsein verschiedene Realität existiert, verstößt also nicht gegen das oberste Denkgesetz. Um einen Widerspruch zu konstruieren, müßte ich den Satz etwa so umgestalten: die außerbewußte Realität, die ich eben denke, denke ich dennoch nicht. Übrigens bezöge sich meine Aussage dann auch faktisch auf meine Denkvorgänge; sie würde besagen: die in mir vorhandenen Denkerlebnisse existieren nicht, oder: sie haben nicht den Inhalt, den sie haben. Wollte der Idealismus aber nur die Selbstverständlichkeit betonen, daß alles, was ich überhaupt denke, während der Dauer meines Denkens gedacht ist, so verlohnte es sich nicht, mit ihm zu streiten. Tatsächlich geht seine Behauptung viel weiter, aber der Beweis, den er dafür erbringt, hat sich uns als nicht stichhaltig herausgestellt. -

Damit ist freilich der subjektive Idealismus noch nicht endgültig widerlegt. Wir haben uns zwar überzeugt, daß der Gedanke einer außerbewußten Realität nicht in sich widersprüchlich ist, es könnte ja aber sein, daß es überflüssig wäre, eine solche anzunehmen. Vielleicht ist es gar nicht nötig, daß wir uns aus dem sicheren Gebiet des Bewußtseins-Immanenten hinausbegeben, vielleicht reicht dieses völlig aus, unsere wirklichen Erkenntnisbedürfnisse zu befriedigen. Um darüber ein Urteil zu gewinnen, müssen wir noch genauer die Tragweite und die Konsequenzen der Grundansicht des Idealismus uns vergegenwärtigen. Stellen wir uns also einmal auf seinen Standpunkt, erklären wir uns versuchsweise mit seiner These einverstanden, daß mein Bewußtseinsinhalt das einzig Wirkliche ist: was ist damit gesagt und welche Folgerungen ergeben sich daraus?

Die Antwort lautet: Ich allein, mit diesen bestimmten Bewußtseinsinhalten, existiere. Zu diesen Bewußtseinsinhalten gehört auch die Vorstellung einer von mir unabhängig bestehenden Außenwelt. Diese Vorstellung existiert, aber diese Außenwelt selbst existiert nicht. Es existiert nicht Sonne und Mond, nicht Deutschland und Amerika, nicht Kaiser und Papst, auch nicht das Papier, auf dem ich hier schreibe, und nicht meine Hand, die da schreibt, sondern nur meine Vorstellung von all dem ist wirklich. Aber auch das "Ich", das diese Vorstellungen hat, ist kein von ihnen verschiedenes reales Wesen. Daß "ich" schon vor 30 Jahren existiert habe, daß ich seither eine Fülle von Erlebnissen gehabt habe, das stelle ich mir zwar jetzt vor, aber daß dieser Vorstellung etwas Wirkliches entspricht oder entsprochen hat, darf ich nicht behaupten; denn damit würde ich ja die Existenz von etwas außer meinem gegenwärtigen Bewußtseinsinhalt Liegendem behaupten. Meine eigene frühere Person mit ihren Schicksalen ist von meinem jetzigen Bewußtsein ebenso verschieden wie etwa JULIUS CAESAR von meinem augenblicklichen Gedanken an ihn. Ich kann jetzt völlig überzeugt sein, gestern einen bestimmten Spaziergang gemacht zu haben, aber wenn ich nun daraufhin dessen Wirklichkeit behaupte, so wäre das gerade so gut ein Rückfall in den Realismus, wie wenn ich mich der naiven Gewißheit hingäbe, daß hier ein "wirkliches", von meinem Wahrnehmungsinhalt verschiedenes Tintenfaß vor mir steht. In beiden Fällen ist nur dies gewiß, daß ich gegenwärtig die feste Überzeugung habe, dieses und jenes erlebt zu haben oder dieses Ding zu sehen und zu betasten, aber daß diese Erlebnisses wirklich waren, auch abgesehen von meiner Erinnerung an sie, daß jenes Ding vorhanden ist, auch ohne meine Wahrnehmung davon, das darf ich nicht behaupten. So führt der subjektive Idealismus, konsequent zu Ende gedacht, dazu, daß ich nur meine gegenwärtigen Bewußtseinsinhalte als wirklich anerkenne; mein Momentanbewußtsein ist jetzt meine Welt.

Wir erkennen hier sofort: unser praktisches Verhalten entspricht dieser Auffassung jedenfalls nicht im Geringsten, und es vermag sich ihr auch niemals anzupassen. Will ich überhaupt leben, so sehe ich mich fortwährend genötigt, so zu handeln, als ob mich eine durchaus reale Welt umgibt. Ebenso ist mein jetziges Verhalten tausendfach beeinflußt durch ein Wissen von dem, was bisher wirklich war. Daß ich diese Wohnung als die meine ansehe, daß ich diese Menschen als Bekannte oder Verwandte grüße und anspreche, daß ich sicher bin, diesen Namen zu haben, diese bestimmte Stellung zu bekleiden, all das beruth auf einem Wissen um Vergangenes. Ich muß also auch daran festhalten, daß diese reale Welt auch bisher bestanden hat. Freilich darf dies nicht (im Sinne des "Pragmatismus") so verstanden werden, also ob die biologische Nützlichkeit, ja Notwendigkeit der realistischen Überzeugung mit ihrer Wahrheit identisch ist. Vielmehr soll damit das gesagt sein: eben daß sich die Auffassungen, die uns in den unzähligen und zugleich so verschiedenartigen konkreten Situationen unseres Erlebens und Handelns leiten, widerspruchslos der realistischen Grundansicht einordnen, bestätigt deren Wahrheit, und eben weil sie wahr ist, kann ihrer biologische Unentbehrlichkeit begreiflich gemacht werden.

Und so wenig unser praktisches Verhalten mit dem subjektiven Idealismus übereinstimmt, so wenig unser theoretisches in den Realwissenschaften. Tatsächlich setzen die Forscher in den Natur- wie in den Geisteswissenschaften eine von ihren augenblicklichen Bewußtseinsinhalten verschiedene Realität voraus. Jede beliebige wissenschaftliche Darstellung einer solchen Disziplin, die man daraufhin prüft, beweist dies.

Bei dieser Sachlage ist es nicht verwunderlich, daß der Idealismus meist in einer irgendwie abgeschwächten Form vertreten wird. So wird etwa die momentane Selbstgewißheit des Bewußtseins ohne Weiteres um die Erinnerungsgewißheit erweitert. Damit ist aber die Prinzipielle These des Idealismus schon verlassen. Denn dieser besagt ja: nur der Bewußtseinsinhalt ist wirklich. Wenn ich nun jetzt sicher bin, daß ich vor fünf Minuten die Uhr schlagen hörte, so ist jenes vergangene Erlebnis meinem jetzigen Bewußtseinsinhalt transzendent. Vertraue ich aber der Erinnerungsgewißheit, so setze ich etwas als real, was nicht mehr mein Bewußtseinsinhalt ist.

Aber die Idealisten beruhigen sich damit, daß es doch nur Bewußtseinsinhalte (wenn auch vergangene) sind, deren Realität hiermit behauptet wird. Tatsächlich aber begnügen sie sich mit dieser Erweiterung ihrer Wirklichkeitssphäre, stillschweigend oder ausdrücklich machen sie die weitere Voraussetzung, daß auch noch andere Subjekte mit Bewußtseinsinhalten existieren, und daß der Inbegriff von Wahrnehmungen und Erfahrungen, den sie Außenwelt nennen, nicht bloß für das eigene Ich, sondern auch für jene anderen Subjekte vorhanden ist. Ohne jene Annahme wäre ja auch aller menschliche Verkehr ausgeschlossen; es wäre z. B. auch ganz sinnlos, daß ein Idealist ein Buch schreibt, um seine Meinung anderen darzulegen.

Mit dem Vertrauen auf die Erinnerungsgewißheit und dem Glauben an die Existenz anderer Bewußtseinssubjekte ist nun freilich schon der Umfang dessen, was als wirklich anerkannt wird, außerordentlich erweitert, aber tatsächlich ist auch der subjektive Idealismus damit aufgegeben. Daß man dies vielfach nicht zugestehen will, beruth wohl auf der Verwechslung zweier Bedeutungen des Ausdrucks "Idealismus": einer erkenntnistheoretischen und einer metaphysischen. Daß unser Denken und Wahrnehmen als Bewußtseinsvorgang ein Außerbewußtes (ein Transsubjektives) erfaßt, das will der erkenntnistheoretische Idealismus nicht zugeben. Welcher Art dieses Außerbewußte sein soll, muß für ihn prinzipiell gleichgültig sein. Wenn es auch aus lauter Bewußtseinsvorgängen besteht (aus denen anderer Subjekte und vergangenen eigenen), so bleibt es deshalb doch für das jeweilige Subjekt - außerbewußt. Läßt man gleichwohl transsubjektives Psychisches zu und leugnet nur die Existenz einer physischen Außenwelt, so ist dies auf erkenntnistheoretischen Weg schwerlich zu begründen. Vielmehr stellt man damit eine metaphysische Behauptung auf: man erklärt, alles Existierende sei seinem Grundbestand nach psychisch. Diese metaphysische Grundansich wird man statt "Idealismus" besser "Spiritualismus" nennen. Sie muß jedenfalls von der erkenntnistheoretischen Richtung, die wir als "subjektiven Idealismus" bezeichnet haben, wohl unterschieden werden. In unserer erkenntnistheoretischen Untersuchung haben wir es natürlich nur mit dieser letzteren Richtung zu tun.


2. Der subjektive Idealismus als
Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie

Wir haben gesehen, daß wir weder im praktischen Leben noch im wissenschaftlichen Erkennen mit dem subjektiven Idealismus auskommen, und daß auch seine Vertreter ihn mehr oder weniger abschwächen und ihn dadurch im Grunde aufgeben. Aber kommt ihm nicht wenigstens die Bedeutung zu, der einzig sichere Ausgangspunkt für die Erkenntnistheorie zu sein? Diese Ansicht wird auch von den Vertretern des Realismus geteilt, und sie muß deshalb hier noch einer besonderen Erwägung unterzogen werden.

Als Ausgangspunkt kann der subjektive Idealismus zunächst in einem psychologisch-genetischen Sinn gefaßt werden. Man nimmt dann an: Der Mensch ist im ersten Stadium seiner geistigen Entwicklung auf seinen Bewußtseinsinhalt beschränkt; und man sieht als das zu lösende Problem dies an: Wie kommt er zur Überzeugung von einer Außenwelt? Die Antwort, wie sie z. B. SCHOPENHAUER (1788 - 1860) und HELMHOLTZ (1821 bis 1895) auf diese Frage gegeben haben, lautet: es geschieht dies durch einen unbewußt verlaufenden Schluß, der in begrifflicher Formulierung lauten würde: die Wahrnehmungsinhalte unseres Bewußtseins haben eine Ursache. Diese findet sich nicht innerhalb unseres Bewußtseins; also muß sie außerhalb des Bewußtseins existieren.

Abgesehen von anderen Bedenken, bleibt bei dieser Ableitung besonders das unerklärt, wie ein Wesen, das lediglich auf seine Bewußtseinsinhalte eingeschränkt wäre, überhaupt auf den Gedanken eines "außerhalb seines Bewußtseins" Existierenden kommen könnte. Es wäre dies eine unbegreifliche Neuschöpfung, da auch das Bewußtsein der Notwendigkeit, zu einem Vorgang eine Ursache anzunehmen, selbst nur "in uns" ist.

Ähnliches gilt auch für den Versuch DILTHEYs, unseren Glauben an die Realität der Außenwelt aus "Willenserfahrungen bestehen zu lassen, nämlich aus dem Erlebnis der unerwarteten Hemmung von Strebungen und Bewegungen. Denn auch diese Erlebnisse von Widerstand sind nur eine besondere Art von Bewußtseinserlebnissen. Daß dadurch der Gedanke einer vom Bewußtsein verschiedenen Außenwelt erst als etwas Neues entspringen soll, ist nicht einleuchtend. Auch erlebt man z. B. beim Nachsinnen über ein Problem oder beim Versuch, einen entfallenen Namen zu finden, oft Widerstand und Hemmung, ohne daß sich daraus der Gedanke einer vom Bewußtsein verschiedenen Realität ergäbe. Man wird also wohl annehmen müssen, daß das Bewußtsein vom Ich und das von der Außenwelt miteinander entstehen und sich in einer steten Korrelation zueinander entwickeln. Übrigens ist die ganze Frage, wie das Kind zur Überzeugung von der Existenz der Außenwelt gelangt, als eine psychologische für unsere Untersuchung unwesentlich. Wir, die wir vom Bewußtsein des erwachsenen Kulturmenschen ausgehen, dürfen ohne Weiteres voraussetzen, daß diese Überzeugung vorhanden ist. In der Tat ist auch, wie wir sahen, der naive Realist von der Existenz der Außenwelt so felsenfest überzeugt, wie von seinem eigenen Dasein.

Diejenigen Erkenntnistheoretiker, die den subjektiven Idealismus als den einzig sicheren Ausgangspunkt zur Begründung eines kritischen Realismus ansehen, müssen nun freilich erklären, daß diese Überzeugung des naiven Realismus so lange nicht als eine gültige angesehen werden kann, wie sie nicht auf theoretischem Weg gerechtfertigt ist, und es kann ihr nur so weit Gewißheit zukommen, als sie beweiskräftige Gründe für sich hat.

Man hat nun zugunsten des Realismus im wesentlichen folgende Argumente (18) angeführt:
    a) Die Sinneswahrnehmungen sind in ihrem Auftreten und Verschwinden, in der Beschaffenheit, in den charakteristischen Verbindungen, in den räumlichen, zeitlichen und sonstigen Zusammenhängen ihrer Inhalte von uns unabhängig.

    b) Wir können nach kürzeren oder längeren Zwischenräumen wieder ganz ähnliche Wahrnehmungen machen; wir erwachen aus dem Schlaf und finden uns wieder in derselben Umgebung wie am Tag vorher vor, oder wir sehen nach Pausen immer wieder dieselben Straßen, Häuser, Menschen, Gerätschaften usw.

    c) Wir können aus früheren Erfahrungen spätere Ereignisse voraussagen.

    d) Wenn wir überhaupt andere Subjekte als existierend annehmen, so müssen wir auch konstatieren, daß diese meist mit uns übereinstimmende Wahrnehmungen haben.
All dies erklärt sich nun am einfachsten durch die Annahme einer vom Subjekt und seinem Bewußtseinsinhalt verschiedenen realen Welt. Durch sie ist es eben bedingt, daß wir gerade diese und jene Wahrnehmungen haben, und sich daß diese unter bestimmten Umständen wiederholen. Ist ferner die Annahme richtig, daß das reale Geschehen eine bestimmte Gesetzmäßigkeit zeigt, so wird auch das Voraussagen späterer Ereignisse begreiflich. Endlich erklärt die Existenz der einen realen Außenwelt am ungezwungendsten die sonst ganz wunderbare Tatsache, daß unter den Wahrnehmungsinhalten der vielen Subjekte eine so große Übereinstimmung herrscht.
    "So wird uns also durch die Annahme einer Außenwelt sehr vieles verständlich, was uns sonst rätselhaft bliebe. Aber "denknotwendig" im strengen Sinn ist sie deshalb doch nicht. Sie leugnen schließt keinen Widerspruch in sich. Gegen den Realismus bleibt immer noch der Einwand zulässig: Das Wirkliche könnte ja rätselhaft, unerklärlich sein. Woher wissen wir denn mit Bestimmtheit, daß das, was uns den Ablauf unserer Bewußtseinsinhalte erklärbar machen würde, auch existiert?"
Tatsächlich geben dann auch die realistischen Erkenntnistheoretiker, die vom Idealismus ihren Ausgang nehmen, zu: daß das Wirkliche erklärbar sein muß, ist selbst eine nicht streng beweisbare Voraussetzung; die Annahme einer Außenwelt bleibt darum eine ewige Hypothese, da wir eben nie über unser Bewußtsein hinausgelangen können, um zu kontrollieren, ob unsere Annahme stimmt.

Dieses Zugeständnis ist aber gar nicht in Einlang zu bringen mit der unmittelbaren und zweifelsfreien Gewißheit, die wir von der Existenz der Außenwelt haben. Man kann es KANT lebhaft nachfühlen, wenn er in der Vorrede zur 2. Auflage seiner "Kritik der reinen Vernunft" sagt:
    "Der Idealismus ... mag für noch so unschuldig gehalten werden (das er in der Tat nicht ist), so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und der allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außerhalb unseres Bewußtseins . . . bloß auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können".
Da liegt doch die Vermutung nahe, es möchte irgendein verborgener Fehler in den Erwägungen stecken, die den Idealismus als notwendigen Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie erscheinen lassen. Sind wir wirklich gezwungen, dem Idealismus zuzugeben, daß unsere Bewußtseinsinhalt das Einzige sind, von dessen Existenz wir eine unmittelbare und unumstößliche Gewißheit haben können?

Wir müssen uns dabei erinnern, daß die Trennung des Psychischen und des Physischen, oder richtiger: der Bewußtseinsinhalte und des darin gemeinten Realen ( das sowohl physisch wie psychisch sein kann) nichts Ursprüngliches ist, daß sie vielmehr ihrerseits die naive Gewißheit von der Außenwelt und Mitwelt voraussetzt, in der Physisches und Psychisches noch ungetrennt beisammen ist. Dies gilt nicht nur psychologisch-genetisch für die Bildung dieser Begriffe, sondern auch logisch-erkenntnistheoretisch für ihren Inhalt und ihre Geltung. Denn wie soll es begründet sein, daß bei der Zerlegung jener Realität, deren Existenz mir von vornherein sicher steht, die eine Sphäre: das Psychische, soweit es meinem Ich angehört, mir gewiß bleibt, die andere dagegen (die bloß in einer Korrelation zu jener gedacht werden kann): das Physische und das fremde Seelenleben, als bloß hypothetisch gesetzt erscheint?

Darauf wird uns im Sinne des Idealismus entgegnet: Alles, was uns unmittelbar gegeben ist, und von dessen Existenz wir schlechthin Gewißheit besitzen, muß sich innerhalb unseres Bewußtseins befinden; denn da wir über dessen Grenzen nie hinauskönnen, da wir das Außerbewußte nie selbst zu erreichen vermögen, so können wir nie eine völlige Gewißheit von dessen Existenz und Beschaffenheit erlangen.

Aber ist denn das Bewußtsein ein rings begrenzter Raum wie eine Glaskugel oder eine gänzlich vermauerte unterirdische Gruft? Doch offenbar nicht. Es hat keinen Sinn, dem Bewußtsein eine räumliche Eigenschaften oder räumliche Begrenzung zuzuschreiben. Dann dürfen wir aber dieser Argumentation, die lediglich auf der Entgegensetzung von "innerhalb" und "außerhalb" des Bewußtseins beruth, jede Beweiskraft absprechen; eine bildhafte Redeweise darf uns nicht eine wirkliche Begründung ersetzen. Tatsächlich ist ja nur dadurch, daß wir uns das Bewußtsein als räumliche Sphäre versinnlichten, das unlösbare Problem entstanden, wie unser Bewußtsein über seine Grenzen hinausreichen und etwas "draußen" Befindliches erfassen soll.

Wollen wir dagegen den wirklichen Tatbestand konstatieren (19), so müssen wir uns entschlossen zu der Überzeugung bekennen, die wir ja auch tatsächlich nie aufgeben, daß wir in der Wahrnehmung unmittelbar eine Kenntnis von der Realität erwerben. Diese Kenntnis mag durch Nachdenken und wissenschaftliche Untersuchung mannigfach erweitert und berichtigt werden; sie darf aber nimmer als der sichere Ausgangspunkt aufgegeben werden.

Gewiß ist die Überzeugung von der realen Außenwelt nicht "denknotwendig" in dem Sinne, daß ihre Leugnung einen Widerspruch in sich schließt. So wenig man dem Realismus einen Selbstwiderspruch nachweisen kann, so wenig auch dem Idealismus. Aber wir haben schon darauf hingewiesen, daß wir zu den "wahren" Urteilen nicht bloß die "denknotwendigen", sondern auch die "empirisch-allgemeingültigen" zählen. Damit also, daß der Realismus nicht "denknotwendig" (im strengen Sinn) ist, sinkt er noch nicht zu einer bloß wahrscheinlichen Annahme, zu einer "Hypothese" herab.

Man mag das Erfahrungswissen von der Realität, diese ihre geistige Besitzergreifung wunderbar finden, sie ist nicht wunderbarer, als daß es überhaupt so etwas wie eine "Gegenstandsbewußtsein" gibt. Ein sinnlich-anschauliches Bild von diesem Wissen, von diesem geistigen Erfassen und Haben können wir uns freilich nicht machen. In einer solchen sinnlichen Auffassung vom Verhältnis des Bewußtseins zu seinen Gegenständen wurzelt aber dieses Zugeständnis an den Idealismus.

Aber vielleicht wird man es noch durch folgende Argumentation zu stützen suchen: Alles Außerbewußte, Transsubjektive ist mir nur dadurch gegeben, daß ich es anschaulich vorstelle oder begrifflich denke, also durch Vermittlung von Bewußtseinsfunktionen, diese Bewußtseinsvorgänge dagegen sind mir unmittelbar gegeben. Demnach ist mir alles, was Inhalt meines Bewußtseins ist, in seiner Existenz und Beschaffenheit sicherer als dasjenige, dessen Kenntnis mir überhaupt erst durch das Medium des Bewußtseins zugänglich wird.

Eine solche Beweisführung würde sich aber einer Verwechslung schuldig machen, die freilich oft genug vorkommt, nämlich der des unmittelbaren Erlebens von Psychischem und seiner Erkenntnis in einem reflektierenden Bewußtsein. Nahegelegt wird diese Verwechslung dadurch, daß sowohl das "erlebte" wie das in der Reflexion bemerkte und erfaßte Psychische "bewußt" heißt. Das sind aber zwei wohl zu unterscheidende Bedeutungen des Wortes; für die letztere würde man besser die Ausdrücke "bemerkt" oder "gewußt" anwenden. Gewiß sind die Erkenntnisfunktionen, in denen wir die Außenwelt erfassen, "bewußt" im ersten Sinn, aber damit sind sie noch "gewußt" (20). Alle Bewußtseinsvorgänge, in denen wir auf die Außenwelt erkennend gerichtet sind, oder in denen wir in Gefallen oder Mißfallen, Begehren oder Widerstreben, Wollen oder Nichtwollen zu ihr Stellung nehmen, sind oder enthalten ein Gegenstandsbewußtsein. Es hat sich uns aber schon (weiter oben) als zweckmäßig erwiesen, alle Akte des Gegenstandsbewußtseins als "Denken" zu bezeichnen. Ein Denkvorgang kann aber (wie ebenfalls oben dargelegt wurde) niemals sich selbst erfassen; wir können ihn vielmehr nur in einem neuen Denkakt zum Objekt machen. Wenn ich also konstatiere: ich nehme jetzt diesen Tisch wahr; ich denke an jene gestrige Unterredung, und wenn ich dabei nicht den Tisch und die Unterredung selbst meine, sondern die auf diese Objekte gerichteten Denkakte, so müßte ich genau genommen sagen: ich habe dieses wahrgenommen, jenes gedacht. Was das Präsens in diesen Sätzen bedingt, ist zunächst der Umstand, daß uns Residuen [Reste - wp] der gerade erlebten Akte im sogenannten primären Gedächtnis noch sehr frisch und lebhaft gegeben sind, sodann die Tatsache, daß das "Erleben" von Denk-, Gefühls- und Willensakten durch das reflektierende Bemerken und Konstatieren nur auf Augenblicke unterbrochen zu werden braucht.

Unserer Erkenntnis sind somit die eigenen Bewußtseinsvorgänge, die die Außenwelt zum Gegenstand haben, nicht unmittelbar gegeben wie die transsubjektiven Objekte, sondern auch nur durch die Vermittlung von Erkenntnisfunktionen, die sich auf sie richten und die nicht mit ihnen identisch sind. Die Erkenntnis unserer Bewußtseinsvorgänge wie die des Außerbewußten ist also in gleicher Weise vermittelt, und man ist nicht berechtigt, jener eine größere Unmittelbarkeit zuzuschreiben, um daraufhin einen höheren Grad an Gewißheit für sie in Anspruch zu nehmen. Tatsächlich ist auch diese reflektierende Erfassung des Psychischen (die sogenannte "innere Wahrnehmung") gelegentlich ebensogut unvollständig und irrig wie die sinnliche (die "äußere") Wahrnehmung. Deshalb behält aber doch hier wie dort die Wahrnehmung und die auf ihr beruhende Erfahrung ihre Bedeutung als Erkenntnisquelle. Nur erwächst das Bedürfnis nach Kriterien, mittels deren wir uns versichern, welche empirischen Urteile wahr oder falsch sind und welchen nur Wahrscheinlichkeit zukommt. Das Denkgesetz, daß sich ein Erkenntnisinhalt nicht widersprechen darf, bildet nur ein formales Kriterium, eine conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp], mithin die negative Bedingung aller Wahrheit. Das widerspruchslos Gedachte muß noch nicht wahr sein. Daß es aber ein "allgemeines" materiales Kriterium der Wahrheit gibt, hat schon KANT bestritten und zwar durch folgende Erwägung:
    "Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand besteht, so muß dieser Gegenstand dadurch von anderen unterschieden werden; denn eine Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstand, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, obgleich sie etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelten könnte. Nun würde ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen Erkenntnissen, ohne Unterschied ihrer Gegenstände gültig wäre. Es ist klar, daß, da man bei demselben von allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt) abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt ist, nach einem Merkmal der Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und daß also ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden kann." (Kr. d. r. V., Philosophische Bibliothek, Bd. 37, Seite 112)
Somit zeigt sich auch in dieser erkenntnistheoretisch so hochbedeutsamen Frage nach den (materialen) Kriterien der Wahrheit, daß die Erkenntnistheorie in engster Fühlung mit den Einzelwissenschaften bleiben muß; denn nur aus ihnen kann sie die Einsicht erwerben, was auf den einzelnen Gebieten als Kennzeichen der wahren und weiterhin der wahrscheinlichen Urteile gilt. Eine umfassende und systematische Kriterienlehre aber ist als eine der wichtigsten und dringlichsten Aufgaben der Erkenntnistheorie zu bezeichnen.
LITERATUR - August Messer, Einführung in die Erkenntnistheorie, Leipzig 1909
    Anmerkungen
    17) "Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart", Seite 65
    18) Vgl. meine Schrift "Empfindung und Denken", Seite 8 - 83, wo eine genaue Analyse der Wahrnehmung gegeben ist. Ebenso findet sich ein solche bei HEINRICH MAIER, "Emotionales Denken", Seite 149-154 und 165 - 176.
    19) Die bedeutsamsten Schriften dieser Autoren sind im "Literaturverzeichnis" angegeben.
    20) Sie sind im Anschluß an KÜLPE, "Einleitung etc.", Seite 150f.