p-4ra-1cr-2 von KirchmannErdmannTetensTwardowskiDyroff    
 
THEODOR LIPPS
Inhalt und Gegenstand
(Psychologie und Logik)
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"Die Worte, die das Wahrgenommene, und nur dies, wiedergäben, oder die das Wahrgenommene rein als solches wiedergäben, würden wir vielfach in unserer Sprache vergeblich suchen. Auch die Sprache ist eben überall von apriorischen Elementen durchsetzt. Das heißt wir bezeichnen mit unseren Worten nicht, was wir sehen oder hören, sondern wir bezeichnen damit schon die gedanklich verarbeiteten Gegenstände, insbesondere die gedanklich ergänzten und geformten Gegenstände der Wahrnehmung."

"Das Wort  Erscheinung  besagt dann nichts anderes als dies, daß Bewußtseinserlebnissen ein von ihnen verschiedenes Reales  zugrunde gelegt  wird. Daß für die Psychologie des individuellen Bewußtseins die Bewußtseinserlebnisse Erscheinungen sind, besagt also nichts anderes, als daß von ihr den Bewußtseinserlebnisse ein, im Bewußtsein selbst nicht vorkommendes Reales zugrunde gelegt ist.  Erscheinungen  und  vom Denken den Erscheinungen notwendig zugrunde Gelegtes,  das sind korrelate Begriffe. Das Wort  Erscheinen  ist nichts anderes, als der Ausdruck für die Beziehung irgendeines Bewußtseinserlebnisses zu demjenigen, was ihm zugrunde gelegt, und mit Notwendigkeit, nämlich logischer Notwendigkeit, zugrunde gelegt ist. Es bezeichnet diese nicht näher beschreibbare Relation zwischen dem Bewußtseinserlebnis und diesem Grund."



Wie Denkgesetze gefunden werden

Hiermit komme ich wiederum zurück auf die Meinung, logische Gesetze seien empirisch-psychologische Gesetze. Diese Meinung könnte sich auf das oben über die logischen Normen Gesagte berufen. Damit würden aber nach dem soeben Bemerkten die Naturgesetze in das gleiche Licht gerückt. Sie müßten mit demselben Recht, wie die logischen Normen, Gesetze der empirischen Psychologie heißen.

Ich weiß, so sagte ich, von den logischen Normen, indem ich sie erlebe, nämlich bewußterweise erlebe; und die Sätze, in welchen ich die Normen aussage, sind Kundgaben dieser Erlebnisse.

Nun, dazu könnte man hinzufügen: Bewußtseinserlebnisse, und in jedem Fall Icherlebnisse, sind psychologische Tatsachen, also sind Normen Aussagen über psychologische Tatsachen. Und von da könnte man weitergehen und meinen: Diese Aussagen sind allgemeine Aussagen; dies aber kann nur heißen, sie sind Aussagen über alle möglichen, zu verschiedenen Zeiten immer wieder in mir vorgekommenen Bewußtseins- und insonderheit Icherlebnisse. Von dem aber, was im Bewußtsein immer wieder vorkommt, kann ich nur wissen, indem ich das Bewußtseinsleben im Ganzen überblicke oder denkend betrachte. Gewinne ich aber die logischen Gesetze auf diesem Weg, so sind und bleiben sie empirisch-psychologische Gesetze.

Dazu nun fügen wir hinzu: Dann müßte genau das Gleiche von den allgemeinen physikalischen Sätzen gelten, nicht minder von den allgemeinen geometrischen Sätzen. Man müßte etwa sagen: Indem ich den Satz ausspreche, daß alle Eichbäume Eicheln tragen, teile ich mit, daß ich nicht nur jetzt, wo ich diesen Eichenbaum sehe, die Forderung erlebe, sie als Eicheln tragend zu denken, und daß ich diese Forderung anerkennen muß, sondern ich teile zugleich mit, daß mir auch, wenn ich andere Eichen sah, jedesmal das Gleiche begegnete. Der Satz macht also Mitteilung von einer allgemeinen oder umfassenden psychologischen Tatsache. Und von dieser kann ich nur wissen aus der umfassenden Betrachtung des Bewußtseinslebens oder aus der umfassenden psychologischen Beobachtung. Das wäre in unserem Fall die Beobachtung, die mir sagt, daß ich allen möglichen Eichenbäumen habe Eicheln zuerkennen müssen. Also teilt jener Satz mit, was ich in der psychologischen Beobachtung oder genauer in der Betrachtung meines Bewußtseinslebens gefunden habe. Er ist also eine allgemeine empirisch psychologische Aussage.

Von da aber müßten wir noch weiter gehen. Die logischen Normen sind allgemein in einem doppelten, ja dreifachen Sinn. Das Kausalgesetz ist einmal allgemein, sofern es sich auf jede Veränderung bezieht, zum andern, sofern es für alle Momente meines Daseins und zugleich für alle Individuen Geltung hat. Ich muß einer Veränderung eine Ursache zuerkennen, in welchem Moment meines Daseins ich auch die Veränderung denke. Und weiter, sofern das Gesetz für alle denkenden Individuen gilt: Nicht ich, sondern ebenso jedes andere denkende Individuum unterliegt der soeben bezeichneten Notwendigkeit. Und auch diesen beiden letzteren Arten der Allgemeinheit gebe ich Ausdruck, indem ich das Kausalgesetz ausspreche. Daß es so  ist,  wie dieses Gesetz besagt, daß das allgemeine Gesetz  gilt,  dies besagt zugleich, daß es für  alle  und für alle in  jedem Moment ihres Daseins  gilt.

Und sind nun die Normen, weil wir zweifellos von ihnen nur etwas wissen, sofern sie erlebt werden, Bewußtseinserlebnisse, sind sie, genauer gesagt, Icherlebnisse, die als solche nur in einem Ich vorkommen können, ist ihr Dasein oder Existieren, das wir als Geltung bezeichnen, gleichbedeutend mit dem Vorkommen in einem Ich, so kann ich auch von ihrer Geltung  für jeden Moment  meines Daseins nur aus der umfassenden Betrachtung meines Bewußtseinslebens wissen, und ebenso von ihrer Geltung für jedes fremde Ich nur aus der ebenso umfassenden Betrachtung oder der erfahrungsgemäßen Kenntnis von fremdem Bewußtseinsleben. Ich gebe, indem ich etwa das Kausalgesetz ausspreche, meinem, natürlich erfahrungsgemäßen Wissen davon Ausdruck, daß ich und daß ebenso jeder andere in jedem Momemt seines Daseins, wenn er eine Veränderung denkt, die Forderung dazu eine Ursache hinzuzudenken erlebt und anzuerkennen nicht umhin kann; ich mache darin Mitteilung von diesem meinem umfassenden Wissen über das, was in mir und anderen immer wieder geschieht oder geschehen ist, einem Wissen, das ich natürlich nur haben kann aufgrund entsprechend umfassender Erfahrung. Und diese Erfahrung ist ihrer Natur nach eine psychologische Erfahrung.

Träfe nun aber die mit Bezug auf die Normen zu, so müßte wiederum das Gleiche mit Bezug auf alle allgemeinen Sätze aller Wissenschaften und insbesondere der Naturwissenschaften zutreffen. Hier aber müssen wir weitergehen und sagen: das Gleiche träfe notwendig auch mit Rücksicht auf jedes  einzelne,  z. B. physikalische Urteil, zu: Es müßte etwa auch der Satz, diese bestimmte Blume sei rot, die Aussage sein über das Ergebnis einer solchen umfassenden psychologischen Erfahrung.

Zunächst der Erfahrung von meinem Bewußtseinsleben. Auch die Forderung, diese bestimmte Blume als rot zu denken, gilt ja nicht bloß für mein gegenwärtiges Denken, sondern für mein Denken überhaupt. Immer wiederum, in jedem Augenblick, ist von mir gefordert, daß ich diese, diesem bestimmten Ort und Zeitpunkt angehörige Blume als rot denke. Immer wiederum, wenn ich an diese Blume zurück denke, muß ich sie als rot denken. Und dies alles teile ich, wenn ich sage, diese Blume ist rot, in meinen Worten mit oder bringe ich darin zum Ausdruck.

Ich tue, mit anderen Worten, auch mit diesem Satz eine Aussage, die nicht bloß ein Moment meines Bewußtseinslebens betrifft, sondern vom ganzen Verlauf meines Bewußtseinslebens etwas aussagt. Nun, wie sollte ich dies anders können, als aufgrund der denkenden Betrachtung dieses ganzen Verlaufs meines Bewußtseinslebens?

Und weiter: Nicht ich allein muß die Blume, die tatsächlich rot ist, als rot denken, sondern jedermann, der von ihr weiß und sie denkt, befindet sich in der gleichen Lage. Und auch, daß es sich so verhält, sagt jener Satz. Es gehört zum  Sinn  jenes Satzes, daß die Forderung, die bestimmte Blume als rot zu denken, für alles Denken gilt, oder an alles Denken ergeht, an mein eigenes und an jedes fremde, und daß sie besteht für jeden Moment des eigenen und des fremden Denkens.

Wie aber von Normen, so weiß ich auch von einer solchen einzelnen Forderung nur, indem ich sie erlebe. Ich kenne sie nur als ein eigentümliches Icherlebnis. Und sind die Normen, weil es sich mit ihnen so verhält, psychologische Tatsachen, so muß das Gleiche von den einzelnen Forderungen gelten. Und weiß ich dort von der Geltung für andere nur aus der Erfahrung, die ich aus der Betrachtung der anderen Individuen gewonnen habe, so auch hier. Und das Resultat dieser Erfahrungen teile ich in jenem Satz, sofern derselbe als für alle Individuen geltend gemeint ist, mit. Kurz, jener Satz sagt, daß ich jetzt und immer wieder, wenn ich mir die bestimmte Blume vergegenwärtige, die Forderung erlebe, sie als rot zu denken, und daß ebenso jeder andere, der von der Blume weiß, die gleiche Forderung erlebt. Indem ich den Satz ausspreche, gebe ich meinem Wissen von diesen vielen, in der Welt der denkenden Individuen vorkommenden Vorkommnissen Ausdruck, ein Wissen, das ich natürlicherweise auf dem Weg der Beobachtung all dieser Individuen gewinne.

So ist es nun zweifellos  nicht.  Gewiß gebe ich in jenem Satz einer psychologischen Tatsache Ausdruck, nämlich meinem Forderungserlebnis. Und im gleichen Sinn gebe ich mit allen allgemeinen Sätzen, mögen sie nun Naturgesetze oder logische oder ethische Normen heißen, einem Bewußtseinserlebnis Ausdruck oder teile ein solches mit, mache darüber eine Aussage.

Aber hier nun tut man zunächst gut, den doppelten Sinn des Wortes "Aussage" wohl zu beachten. Ich deutete darauf schon hin, indem ich sagte, ich gebe dem Bewußtseinserlebnis der Forderung und weiterhin der von mir vollzogenen Anerkennung in jedem Satz  "Ausdruck". 

Jetzt aber frage ich: Was heißt dies? Was besagt dieses Wort "Ausdruck?" - Ich drücke einen Wunsch oder eine Freude in Worten aus oder gebe ihr darin Ausdruck. Damit ist gesagt, daß ich einen jetzt in mir lebendigen Wunsch, eine jetzt von mir erlebte Freude unmittelbar in Worte kleide und darin kund gebe. Im gleichen Sinn ist die Zornesgebärde Ausdruck des Zorns, wenn oder weil sie den gegenwärtig erlebten Zorn unmittelbar kund gibt. In diesem Sinne nun gebe ich auch, indem ich das Kausalgesetz ausspreche, dem Erlebnis der Forderung, zu einer Veränderung eine Ursache hinzu zu denken, und der Anerkennung dieser Forderung Ausdruck, d. h. ich gebe damit unmittelbar kund, daß ich jetzt, indem ich den Satz ausspreche, die Forderung der Veränderung, als verursacht gedacht zu werden, erlebe. Und ich gebe zugleich unmittelbar kund, daß ich jetzt diese Forderung anerkenne.

Dagegen ist meine Aussage, sofern sie sich auf die  Veränderung  in der dinglich realen Welt und ihre  Ursache  bezieht, nicht die unmittelbare Kundgabe eines gegenwärtigen Erlebnisses; weder die Veränderung, noch die Ursache derselben ist ja ein gegenwärtiges Erlebnis, sondern beides ist gedacht. Dies kann ich auch so wenden: Ich gebe mit meinen Worten nicht der Verursachung oder Veränderung Ausdruck oder drücke sie aus, sondern ich  berichte  darüber. Der "Ausdruck" ist immer die unmittelbare Kundgabe eines jetzt in mir stattfindenden Erlebnisses. Der "Bericht" dagegen ist die Aussage über etwas, das an einem  gedachten  und von mir  betrachteten  Gegenstand von mir  gefunden  wird. Ausdruck und Bericht verhalten sich zueinander, wie mein  Erlebnis  und die von mir  gedachten  und  betrachteten  Gegenstände. Der Satz, jede Veränderung hat ihre Ursache, ist ein Bericht über die Veränderung oder, genauer gesagt, ein Bericht darüber, daß die Veränderung eine Ursache fordert. Und er ist eben damit zugleich der  "Ausdruck"  dafür, daß ich jetzt diese Forderung  erlebe  und  anerkenne.  Bericht und Ausdruck verhalten sich also in diesem Fall, genauer gesagt, wie die Forderung des gedachten und betrachteten Gegenstandes zu dem nicht gedachten und betrachteten, sondern erlebten Ich und dem Erlebnis des Ich.

Und wie in diesem Fall, so verhält es sich in jedem Fall. Das heißt "Bericht" ist immer Bericht von gedachten Gegenständen. Und er kann zugleich jederzeit genauer bestimmt werden als Bericht oder Mitteilung von den  Forderungen,  welche Gegenstände stellen. Aller "Ausdruck" dagegen ist Kundgabe dessen, was ich in mir erlebe. Hier aber ist speziell die Rede von Forderungserlebnissen. Und mit Bezug darauf ist zu sagen: Die Forderung des Gegenstandes, die ich erlebe, ist mit der Forderung, die der Gegenstand stellt, freilich allemal ein und dieselbe Sache. Aber dies hebt den Gegensatz zwischen Bericht und Aussage nicht auf. Die Forderung hat eben diese beiden Seiten, nämlich ihre gegenständliche und ihre Ich-Seite. Sie selbst ist Bestimmtheit des Gegenstandes, ihr Erlebnis aber ist meine Sache oder ist Icherlebnis. Und indem ich von jener Bestimmtheit des Gegenstandes berichte, drücke ich zugleich dieses Erlebnis aus.

Dies beides nun, die Forderung selbst oder ihr Gestelltsein vom Gegenstand einerseits und mein Erleben derselben andererseits, verwechselt man, und man verwechselt eben damit Bericht und Ausdruck, wenn man meint, Sätze, die logische Normen aussprechen, berichten über das, was in der  Betrachtung  des Bewußtseinslebens, in der "psychologischen Erfahrung" in diesem Sinne, von uns vorgefunden wird.

Verdeutlichen wir aber zunächst noch weiter jenen Gegensatz zwischen Bericht und Ausdruck: Der Bericht ist innerhalb der Poesie eine Sache der epischen Darstellung. Der empirische Dichter sagt, was geschieht oder geschah, oder zu geschehen pflegt oder pflegte. Dabei ist das, wovon er berichtet, für ihn Gegenstand, d. h. es ist von ihm gedacht und  betrachtet.  Und er teilt nun mit, was er am Gedachten und Betrachteten  findet. 

Dem epischen aber steht gegenüber der lyrische Dichter, der nicht berichtet, was irgendwo geschieht, sondern, soweit er sich als lyrischer Dichter betätigt, dasjenige, was in ihm geschieht, ein inneres Erlebnis, genauer gesagt, Icherlebnis, unmittelbar kundgibt oder  ausdrückt. 

Diesen Gegensatz des Epischen und des Lyrischen können wir aber verallgemeinern in der Weise, daß wir jeden Bericht episch und jede unmittelbare Kundgabe oder jeden "Ausdruck" eines Erlebnisses lyrisch nennen. Dann ergibt sich zunächst, daß epische und lyrische Aussagen sich nicht etwa ausschließen. Sage ich z. B. der gestrige Tag war wunderschön, so ist diese Aussage episch. Ich berichte darin über den gestrigen Tag, den ich denke und betrachte. Zugleich ist die Aussage lyrisch, sofern ich darin meinem gegenwärtigen -  nicht  von mir betrachteten, sondern  erlebten,  Wohlgefallen oder Entzücken über den gestrigen Tag unmittelbar  Ausdruck  gebe.

In gleicher Weise nun sind alle logischen Normen ebensowohl "epische" wie "lyrische" Aussagen, d. h. sie berichten über Gegenstände; das Kausalgesetz darüber, wie es mit den Veränderungen in der Welt bestellt sei. Und zugleich gibt jeder solche Satz meinem  Erlebnis  einer Forderung und Anerkennung unmittelbar  Ausdruck.  Dies hindert aber nicht, daß epische und lyrische Aussagen hier wie dort in sich selbst einander durchaus entgegenstehen.

Der Satz, der gestrige Tag war schön, berichtet, so sagte ich, über den gestrigen Tag. Aber er berichtet nicht über mein Entzücken, sondern dies gibt er vielmehr unmittelbar kund oder er verleiht ihm einen unmittelbaren  Ausdruck.  Er ist ein Bericht über eine physikalische Tatsache und nur darüber; und er ist eine unmittelbare Kundgabe oder Ausdruck mit Rücksicht auf mein Gefühl und nur mit Rücksicht hierauf. Er ist nicht zugleich  Bericht  über das  letztere  oder  Ausdruck  jener  physikalischen Tatsache.  Und nennen wir das Gefühl, weil es ein Bewußtseinserlebnis ist, eine psychische Tatsache, so heißt dies: Jener Satz ist unmittelbare Kundgabe oder Ausdruck eines Psychischen; aber er ist nicht ein psychologischer  Bericht. 

Und ebenso verhält es sich nun mit dem Satz, in welchem ich das Kausalgesetz ausspreche. Ich berichte damit über die Dinge und nur über sie und drücke mein Erlebnis der Forderung, welche die Dinge stellen, und meine Anerkennung derselben aus, und ich drücke nur dieses Icherlebnis aus.

Natürlich kann ich freilich auch über Bewußtseinserlebnisse, ebenso wie über physikalische Tatsachen,  berichten.  Dieser Bericht ist aber eine absolut andere Sache als jene unmittelbare Kundgabe oder jener "Ausdruck". So können wir z. B. jener Kundgabe oder jenem Ausdruck des Entzückens leicht einen Bericht über ein gleichartiges Entzücken zur Seite stellen. Ich sage etwa: Ich war vom gestrigen Tag höchst entzückt. Damit gebe ich nicht kund, daß ich jetzt entzückt bin, ich verlautbare nicht in meinen Worten ein, ihnen zugrunde liegendes Entzücken, kurz, ich "drücke" nicht mein Entzücken aus. Vielleicht fühle ich jetzt nichts weniger als Entzücken. Aber ich  erinnere  mich des gestrigen Bewußtseinszustandes; ich denke daran zurück und  betrachte  ihn, und  finde  darin den Zustand des Entzückens. Und von dieser Tatsache meiner Erinnerung mache ich nun Mitteilung. Und damit  "berichte"  ich.

In gleicher Weise stehen einander etwa gegenüber der Ausdruck des Wunsches, daß etwas geschehe, in dem Satz: Dies soll geschehen, und die Erzählung, daß ich zu dieser oder jener Zeit  wünschte,  daß dergleichen geschieht. Wiederum ist jene Aussage "lyrisch", diese "episch", d. h. jene ist Ausdruck des Psychischen, diese ein Bericht darüber.

Und so nun wie sich der Bericht über ein der inneren Wahrnehmung oder der Erinnerung sich darstellendes Gefühl oder Wollen zur unmittelbaren Kundgabe des gegenwärtigen Gefühls oder Willenserlebnisses verhält, so verhält sich die Aussage, daß in mir oder einem fremden Bewußtsein ein Vorstellen oder Denken, ein Forderungserlebnis und ein Akt der Anerkennung stattfindet oder stattfand oder stattzufinden pflegte, oder auch unter bestimmten Umständen stattfinden  würde,  zur unmittelbaren Äußerung oder zum "Ausdruck" des gegenwärtigen Erlebnisses der Forderung und des gegenwärtigen Anerkennens; d. h. so verhalten sich die Aussagen über das in der  Betrachtung  des Bewußtseinslebens  Gefundene  zu den logischen Gesetzen. Sind jene allgemein, so nennen wir sie empirisch-psychologische Gesetze. Und die Wissenschaft, die sie findet, ist die empirische Psychologie. Die empirische Psychologie ist überhaupt ihrem Wesen nach nicht Ausdruck meiner gegenwärtigen Erlebnisse, sondern sie ist Bericht. Sie ist dies insbesondere auch in ihren allgemeinen Aussagen. Sie ist kurz gesagt niemals lyrisch, sondern immer episch.

Die Logik dagegen ist lyrisch. Das heißt die logischen Sätze verhalten sich zu Bewußtseinserlebnissen ledlich  ausdrückend.  Demnach können wir die Verwechslung, die jene Psychologisten begehen, die logischen Gesetze als empirisch psychologische Gesetze meinen fassen zu dürfen, auch so bezeichnen: Sie verwechseln Lyrik und Epik, d. h. sie verwechseln den Ausdruck des gegenwärtigen Erlebens, die unmittelbare Kundgabe, die "Verlautbarung", mit dem Bericht über gedachte und betrachtete Gegenstände, insbesondere mit dem Bericht über die in der inneren Wahrnehmung vorgefundenen, von mir gedachten und betrachteten, kurz für mich zum Gegenstand gewordenen Bewußtseinserlebnisse. Die logischen Sätze sind solche "unmittelbare Kundgaben", sie "verlautbaren". Die Gesetze der empirischen Psychologie dagegen sind Berichte. Die Verwechslung zwischen beiden ist, allgemeiner gesagt, die Verwechslung zwischen unmittelbaren Erlebnissen und Gedachtem und Betrachtetem, oder zwischen Erlebnissen und Gegenständen. Dies ist die schon oben gerügte Verkennung des fundamentalsten aller Gegensätze, nämlich des Gegensatzes zwischen Zentrum und Peripherie, Subjekt und Objekt, unmittelbar erlebtem Ich und dem von ihm Gedachten und Betrachteten, kurz seinem Gegenstand. Nur handelt es sich hier nicht mehr um den Gegensatz zwischen dem Ich und dem von ihm  verschiedenen  Gegenstand, sondern um den Gegensatz des gegenwärtigen, in der Gegenwart denkenden, fühlenden, wollenden Ich und des von diesem gedachten und betrachteten, kurz eines zum Gegenstand gewordenen  Ich. 

Blicken wir jetzt noch einmal auf das  Motiv  dieser Verwechslung. Ich habe das logische Gesetz, z. B. das Kausalgesetz in meinem geistigen Besitz und weiß davon. Und ich kann zweifellos davon wissen, nicht ohne es irgendwie gefunden oder gewonnen zu haben. Und nun erhebt sich die Frage, wie wird das Kausalgesetz, das ich hier wiederum als Repräsentanten der Denkgesetze überhaupt nehme,  gefunden? 

Und darauf nun scheint die einzige mögliche Antwort: Ich finde es, indem ich beobachte oder denke oder betrachte. Also ist das Kausalgesetz von mir gefunden im Beobachten oder im Denken und Betrachten.

Das Denken und Betrachten überhaupt kann aber nach zwei Seiten gehen. Es geht einmal auf die Dinge, zum andern auf das Ich. Demgemäß könnte das Kausalgesetz gefunden sein in der Betrachtung der Dinge. Dann ist es Ergebnis der physikalischen Betrachtung. Es könnte zum andern gefunden sein in der Betrachtung des Ich, also der psychologischen Betrachtung.

Sofern nun aber das Kausalgesetz ein Denkgesetz ist, scheint von diesen beiden Möglichkeiten nur die letztere in Frage zu kommen. Das Kausalgesetz scheint also ein Ergebnis der psychologischen Beobachtung im Sinne der denkenden Betrachtung der Tatsachen des Bewußtseinslebens.

Bei diesem Schluß nun kommt, wie man sieht, alles an auf den Begriff des  "Findens".  Jene psychologistische Anschauung versteht unter dem Finden das Finden in der denkenden Betrachtung und unterscheidet unter dieser Voraussetzung mit Recht nur jene beiden Arten des Findens, das Finden in der physikalischen und das Finden in der psychologischen denkenden Betrachtung. Und gesetzt nun, es steht fest, daß das Kausalgesetz irgendwo gefunden sein muß, und gibt es andererseits nur diese beiden Arten des Findens, dann ist das Kausalgesetz in der Tat notwendig entweder in der physikalischen oder in der psychologischen Betrachtung gefunden.

Aber nun ist zweierlei denkbar: Entweder es gibt noch eine dritte Art des Findens oder aber es ist überhaupt unrichtig zu sagen, das Kausalgesetz sei gefunden. Und dies ist nicht nur denkbar, sondern es gilt tatsächlich das eine oder das andere, je nachdem wir das "Finden" allgemeiner oder weniger allgemein nehmen.

Nehmen wir es zunächst möglichst allgemein. Dann müssen wir sagen: Es ist ein Irrtum, daß es nur jene beiden Arten des Findens gibt; oder wenn wir beide Arten wiederum in einen Ausdruck zusammenfassen, daß es nur ein Finden gibt in der denkenden Betrachtung. Sondern es gibt daneben ein drittes Finden. Dies ist das  unmittelbare Erleben. 

Oder aber wir nehmen das Finden in dem Sinne, in dem es jene Psychologisten nehmen, d. h. wir verstehen darunter nur eben jene, sei es physikalische, sei es psychologische denkende Betrachtung. In diesem Fall müssen wir sagen: Das Kausalgesetz wird  überhaupt  nicht gefunden, sondern es wird  erlebt.  Der Irrtum des Psychologisten besteht dann in der Meinung, die Denkgesetze seien gefunden. Aber sie sind es unter der Voraussetzung ihres Begriffs des Findens so wenig wie mein gegenwärtiges Fühlen und Wollen von mir gefunden ist. Auch dieses ist nur einfach erlebt.



Wie nun aber kann ich  Gesetze erleben?  Jedes Erlebnis ist ein einzelnes; und Gesetze sind etwas Allgemeines. Wie nun kann das in einem Moment Erlebte etwas Allgemeines sein oder allgemeine Gültigkeit haben? Ich mache auf die Wichtigkeit dieser Frage aufmerksam. Ohne ihre Beantwortung gibt es keine Logik.

Wir tun aber gut, hier wiederum den doppelten Sinn der allgemeinen Gültigkeit der logischen Gesetze zu unterscheiden, den wir oben schon unterschieden. Das Kausalgesetz etwa erstreckt sich einmal auf jede beliebige Veränderung in der dinglichen Welt, es ist allgemeingültig in diesem Sinne.

Wie das nun möglich ist, darauf ist die Antwort einfach. Ich denke eben als Logiker nicht diese oder jene Veränderung, sondern ich denke abstrahierend die Veränderung überhaupt; und finde nun, daß dieser allgemeine Gegenstand eine Veränderung im Wirklichkeitszusammenhang, dem das sich Verändernde angehört, kurz eine Ursache, fordert.

Zum andern sind die Denkgesetze allgemein gültige im vorhin ausgeführten Sinn, d. h. sie gelten nicht in diesem Moment oder für diesen Moment und nicht für mich, sondern für das Denken oder für das denkende Ich, den Geist überhaupt.

Wie ist dies nun möglich, da ich doch, indem ich das Kausalgesetz ausspreche, jedesmal nur das Erlebnis dieses Moments und ein Erlebnis in diesem individuellen Bewußtsein kund gebe. Wie kann ich, das individuelle Ich dieses Momentes, reden als Repräsentant des denkenden Bewußtseins überhaupt und des denkenden Bewußtseins aller Zeiten.

Darauf nun lautet die Antwort: Ich kann dies, weil ich, indem ich so rede, in Wahrheit ein solcher Repräsentant bin; oder richtiger gesagt: indem ich ein Denkgesetz, z. B. das Kausalgesetz erlebe, erlebe ich darin gar nicht das Ich dieses Momentes und dieses individuelle Ich, sondern ich erlebe in Wahrheit das denkende Ich überhaupt, und dieses ist ein überindividuelles und überzeitliches Ich.

Ich denke, indem ich das Kausalgesetz erlebe, einen Gegenstand, nämlich die Veränderung, und bin denkend einzig diesem Gegenstand hingegeben und frage nur, was er fordert. Damit bin ich in der Gegenstandswelt. Und indem ich dieser zugewendet bin, bin ich abgewendet vom individuellen Ich und der individuellen Schranke.

Das in der Gegenstandswelt denkend weilende Ich ist, weil diese Welt nichts zu tun hat mit der Individualität dessen, von dem sie gedacht wird, und dem Moment, in dem sie gedacht wird, sondern in sich überindividuell und überzeitlich ist, ein und dieselbe für alle Individuen und die gleiche für jeden Zeitpunkt im Dasein des Individuums, kurz eine Welt für das Bewußtsein überhaupt,  selbst  überindividuell und überzeitlich.

Ich bin freilich in jedem Moment meines Daseins dieses individuelle Ich mit seiner individuellen Eigenart, seinen Dispositionen, Vorurteilen, Launen, seiner Beschränktheit, seiner zufälligen Stellung in der Welt, die bedingt, daß jetzt dies, jetzt jenes fordernd an mich herantritt und andere Forderungen mir nicht zu Gehör kommen. Aber ich bin zugleich auch wiederum  nicht  dieses individuelle ich, sofern ich  denke. 

In dem Maß wie ich die Gegenstände denke und höre, bin ich der Individualität ledig. Ich höre jetzt, d. h. erlebe in mir, indem ich die Gegenstände höre und ihre Forderungen erlebe, das überindividuelle und überzeitliche Ich und erlebe das Gesetz dieses Ich, nach dem ich denken soll. Ich höre, d. h. erlebe dasselbe in mir,  so weit  ich die  Gegenstände  höre. Das Erleben ihrer Forderungen ist zugleich das Erleben dieses Ich und des in ihm liegenden  Gesetzes  der Forderungen. Die Zuwendung zum Gegenstand ist, als Abwendung von der Individualität,  zugleich  die Zuwendung zu  diesem Ich. 

Gesetzt, ich lebte denkend ganz in der Gegenstandswelt - und das heißt zugleich, ich lebte rein darin und lebte in der  ganzen  Gegenstandswelt, d. h. ich übte das Denken und das Befragen der Gegenstände rein und vollkommen, dann wäre ich rein und vollkommen bestimmt durch diese Gegenstandswelt, und damit  völlig  frei von der individuellen Bestimmtheit und ganz bestimmt durch jenes  reine,  d. h. eben überindividuelle Ich.

Dies kann ich nun in Wahrheit nicht sein. Ich kann nicht "aus meiner Haut". Aber relativ allerdings vermag ich mich von der Individualität zu befreien. Ich tue dies immer,  sofern  ich denke und die gedachten Gegenstände rein befrage. Genausoweit wirkt dann in mir das reine Ich. Dieses Ich ist eben das notwendige Korrelat der reinen und allumfassenden Gegenstandswelt oder der reinen objektiven Welt, sowie das individuelle und Moment-Ich das notwendige Korrelat der Welt ist, so wie sie mir in einem Moment erscheint. Es ist das dem reinen Objekt entsprechende reine Subjekt. Ich bin, soweit ich in der Gegenstandswelt lebe, nicht mehr subjektiv, d. h. eben individuell, sondern objektiv bestimmt und insofern selbst objektiv, d. h. das dem reinen Objekt entsprechende Subjekt. Ich löse aus mir, dem individuell bestimmten Ich,  "das"  Ich heraus. Ich tue dies, indem ich aus  meiner  Welt "die" Welt herauslöse; ich schaffe in  mir  "das" Ich, indem ich aus  meiner  Welt  "die"  Welt denkend schaffe, und umgekehrt. Denn beides sind nur die zwei Seiten ein und derselben Sache.

Und weil es so ist, d. h. weil ich im Denken in mir das reine Ich, oder mich  als  das reine Ich, erlebe und dasselbe überindividuell und überzeitlich ist, darum kann ich insbesondere, indem ich die  Gesetze  des Denkens ausspreche, im Namen des reinen Ich, also für alle Iche und für alle Momente im Dasein derselben reden.

Fügen wir zu dem hier Gesagten gleich hinzu: Jene Gewinnung "des" Ich aus dem individuellen Ich heraus oder diese Loslösung von der Schranke und Trübung der Individualität findet nicht nur auf dem Gebiet des verstandesmäßigen Denkens statt, sondern sie geschieht ebenso auf dem Gebiet des Wertens und Wollens. Sowie ich aus meinem Verstandes-Ich durch jenes Herauslösen oder richtiger Herausleben relativ "das" Verstandes-Ich mache, so kann ich aus meinem wertenden Ich relativ das reine wertende Ich machen. Dies tue ich, wenn und in dem Maß wie ich mich den Wertforderungen der Gegenstände rein und vollkommen hingebe, d. h. wenn und in dem Maß wie ich objektiv werte. Und ich mache aus meinem  wollenden  Ich  "das"  wollende Ich oder das reine wollende Ich, indem ich mich den an meinen Willen gerichteten Forderungen der Gegenstände rein und vollkommen hingebe oder soweit ich dies tue. Auch hier bin ich eben der Gegenstandswelt hingegeben oder bin in ihr, und bin eben damit abgewendet oder befreit von der Individualität mit ihrer Enge und Beschränktheit und all den Trübungen des Wertens und des Wollens, die sich daraus ergeben. Auch als objektiv wertendes und wollendes Ich bin ich selbst objektiv und damit das Ich in allen Ichen und erlebe mich so. Darum kann ich auch, indem ich die Gesetze des Wertens und Wollens ausspreche, für alle und für alle Zeiten reden.

Kehren wir aber zurück zum denkenden Ich. Das von der Individualität freie, also das "reine" Ich in sich erlebende denkende Ich ist es insbesondere, das auch das Kausalgesetz und seine Gültigkeit erlebt. Weil dieses Ich überindividuell und überzeitlich ist, darum ist es eines in allen und in allen Momenten seines Daseins; und darum allein kann das Ich so reden wie es redet, d. h. sagen: Das Kausalgesetz gilt nicht für mich und jetzt, sondern einfach: es  gilt.  Die Geltung für dieses individuelle und überzeitliche Ich ist in sich selbst die Geltung für jedes Ich und jeden Moment jedes Ich.

Damit sind nun aber die logischen Gesetze wiederum noch nicht von den empirischen Naturgesetzen unterschieden. Und sie sind auch noch nicht unterschieden von jeder beliebigen physikalischen Aussage. Das Kausalitätsgesetz, sagte ich, ist eine unmittelbare Kundgabe oder Verlautbarung eines Erlebnisses, nämlich eines Icherlebnisses. Es ist, so sahen wir dann, die Kundgabe oder Verlautbarung des überindividuell und überzeitlich bestimmten Ich. Und darum erlebe ich das Kausalgesetz als schlechthin gültig. Aber auch jedes einzelne Urteil über die Dinge tritt mit dem Anspruch auf Gültigkeit für alle Individuen und alle Zeiten auf. Jedes Urteil fälle ich im Namen aller Denkenden und für alle Zeiten. Dieses letztere muß man nicht so mißverstehen, als werde jedes Urteil gefällt mit Rücksicht auf alle Zeiten, d. h. so daß es Geltung beansprucht für einen einer beliebigen Zeit angehörigen Gegenstand. Gemeint ist vielmehr auch hier, daß ich das Bewußtsein der Geltung habe, nicht für das Ich eines Momentes, sondern für das Ich eines jeden Momentes und zugleich für jedes Ich.

Aber freilich das einzelne Urteil kann sich als  nicht  stichhaltig erweisen. Ich kann erkennen, daß es in der Tat nur für mich und für einen Moment meines Ich Geltung hat oder hatte, also in Wahrheit oder objektiv ungültig ist, kurz es kann sich herausstellen, daß ich irrte, als ich im Namen aller denkenden Iche und für alle Zeiten sprach oder als ich so urteilte.

Wie ist trotzdem jener Anspruch möglich? Nun die Antwort lautet: Ich kann eben nicht urteilen ohne einen Gegenstand zu denken und seine Forderung zu erleben. Ich kann darin freilich subjektiv, d. h. durch das, was mein Ich zu diesem individuellen und zum Ich dieses Zeit-Momentes macht, bestimmt sein. Dies hindert aber nicht, daß für mein  Bewußtsein  die erlebte Forderung doch Forderung des Gegenstandes ist oder daß ich sie als solche erlebe. Indem ich über einen Gegenstand urteile, ist eben nur dieser Gegenstand apperzipiert oder im Blickpunkt des geistigen Auges. Nur auf diesen Gegenstand kann darum auch, was ich urteilend erlebe, in meinem Bewußtsein bezogen sein. Daß ich etwas erlebe als auf einen Gegenstand bezogen, dies heißt eben jederzeit, ich erlebe es in der Apperzeption des Gegenstandes. Und umgekehrt, was ich in der Apperzeption eines Gegenstandes erlebe, ist eben damit für mein Bewußtsein auf diesen Gegenstand bezogen oder wird so erlebt. Und dies heißt in unserem Fall: Für mein  unmittelbares Bewußtsein  ist das Urteil notwendig jederzeit die Anerkennung einer Forderung des  Gegenstandes.  Und es kann  nichts  sein als dies. In der rückschauenden Betrachtung erst, in welcher ich das Urteil als ungültig erkenne und korrigiere, kann es mir als ein subjektiv bestimmtes erscheinen. Hier erst kann ich eben zugleich mich und den Gegenstand apperzipieren und damit von einem Anteil meiner selbst an diesem Urteil oder dem Akt der Anerkennung ein Bewußtsein haben. Ursprünglich aber, und ehe die rückschauende Betrachtung geschieht, muß jedes Urteil mir als durchaus durch den Gegenstand bestimmt erscheinen und es muß darum auch jedes Urteil mit dem Anspruch auftreten, daß es für jedes Ich und jeden Moment des Ich gilt. Es muß beanspruchen, schlechthin zu gelten.

Indem ich aber Urteile als subjektiv bedingt erkenne, scheiden dieselben aus meinen Urteilen aus; und es bleiben nur die gültigen Urteile; und dies darf ich nun im Namen aller und im Namen aller Zeiten fällen. Ich gelange zu den Urteilen, in welchen das überindividuell und überzeitlich bestimmte Ich sich betätigt oder in welchen ich dieses rein erlebe.

So vollzieht sich alle Erkenntnis. Ich dünke mich, sofern ich den Anspruch erhebe, daß alle meine Urteile schlechthin gelten, in jedem Urteil als das überzeitlich und überindividuell bestimmte Ich. Es ist eben jedes Urteil eine vermeintliche Erkenntnis. Und die Erkenntnis ist ihrer Natur nach überindividuell und überzeitlich. Indem ich aber die Gegenstände denke und ihre Forderung erlebe, erlebe ich zugleich das Gesetz derselben, und in dem Maße wie ich die Forderungen reiner und reiner, und wie ich zugleich mehr und mehr die Forderungen aller Gegenstände höre, erlebe ich die immer reinere und vollere Wirkung des Gesetzes. Ich kann eben nicht Forderungen von Gegenständen erleben, ohne zugleich eben damit das Gesetz zu erleben, das von ihnen gilt.



Hier nun aber sind wir endlich an dem Punkt, wo die Denkgesetze von den Gesetzen der Gegenstände, die nicht Denkgesetze sind, sich grundsätzlich scheiden. Im Obigen ist schon zweierlei unterschieden, das obwohl jederzeit ineinander, darum doch verschieden ist. In jeder Erkenntnis, jeder vermeintlichen und jeder wirklichen, werden einerseits die Forderungen der Gegenstände und wird andererseits das Gesetz derselben erlebt. Nicht nur in den Urteilen, die wirkliche Erkenntnis in sich schließen, sondern in jedem Urteil überhaupt, auch dem irrtümlichen, wird, wie gesagt, die Forderung eines Gegenstandes erlebt, mögen auch zur Forderung des Gegenstandes noch so sehr die subjektiven Bedingungen hinzutreten und demnach die Forderung, so wie sie erlebt und anerkannt wird, und damit das Urteil, ungültig machen. Und demgemäß gibt es kein Urteil, in dem nicht unmittelbar auch die Gesetzmäßigkeit der Forderungen mit zur Wirkung käme und erlebt würde.

Andererseits ist doch Voraussetzung für diese Wirkung der Gesetzmäßigkeit der Forderungen das Erleben der Forderungen, also das Denken von Gegenständen
Beides zusammen können wir so ausdrücken: In jedem Urteil fügen sich Forderungen in die Gesetze der Forderungen. Die allgemeinen naturwissenschaftlichen Urteile über ein Geschehen in der Natur, die wir wohl speziell Naturgesetze nennen, verdanken ihr Dasein der Unterordnung des Geschehens, d. h. der Veränderungen der Dinge unter das Kausalgesetz. Nicht minder sind die Urteile der Mathematik, etwa daß das Dreieck die Winkelsumme =  2R  hat, Unterordnungen des in der Anschauung Gegebenen unter ein Gesetz, nämlich das Identitätsgesetz in seiner allgemeinen Formulierung. Daß nur das Allgemeine des Dreiecks, oder das, was es eben zum Dreieck macht, dasjenige ist, was das Denken der Winkelsumme fordert, gibt den geometrischen Sätzen ihre Allgemeinheit nach dem Gesetz: Was ein Gegenstand fordert, fordert er allgemein oder so lange er der gleiche Gegenstand ist.

Aber auch alle einzelnen Urteile tragen eine Denkgesetzmäßigkeit in sich und sind nur möglich durch dieselbe. Hier ist freilich zu bedenken, daß nicht jede Aussage ein Urteil ausdrückt. Die Aussage etwa, daß ich jetzt da, wo ich einen Stein sehe, Wärme empfinde, ist nicht der Ausdruck eines Urteils, sondern des einfachen Erlebnisses, daß in meinem Bewußtsein mit dem Bild des Steins das Bild der Wärme räumlich zusammen ist. Dagegen ist der Satz: Dieser Stein ist warm, Ausdruck eines Urteils. Er sagt, daß die Wärme zum Stein gehört. Darin aber liegt eine gesetzmäßige Beziehung, nämlich zwischen dem Stein und seiner Wärme. Es liegt darin beispielsweise, daß die Wärme sich am Stein findet, auch wenn er von der Stelle gerückt werden würde, es sei denn, daß damit eine Änderung des Wirklichkeitszusammenhangs vollzogen wäre, an die sich, wiederum gesetzmäßigerweise, d. h. dem Identitätsgesetz gemäß, der Übergang der Wärme in Kälte knüpfte.

Dies können wir auch negativ wenden. Ich würde nicht urteilen, der Stein sei warm, wenn ich denken müßte, daß durch die bloße Verrückung des Steins ohne eine Änderung des Wirklichkeitszusammenhangs von der bezeichneten Art die Wärme am Stein aufhörte zu bestehen oder die Forderung an ihm die Wärme zu denken, ungültig würde.

Und nicht minder schließt das einfache Existenzialurteil: Dieser jetzt von mir gedachte Gegenstand existiert, sofern es dem Gegenstand  selbst  die Existenz, d. h. das Dasein unabhängig von meinem Bewußtsein zuerkennt, das Bewußtsein in sich, daß dieser Gegenstand  als dieser bestimmte,  d. h. zugleich als diesem bestimmten Wirklichkeitszusammenhang angehöriger, existiert, also existiert er so lange er eben dieser bestimmte und diesem bestimmten Wirklichkeitszusammenhang angehörige Gegenstand ist, oder daß es bei seinem Recht, gedacht zu werden bleibt, solange er als dieser bestimmte und dem bestimmten Wirklichkeitszusammenhang angehörig, oder als Teil desselben, gedacht wird.

Und hiermit nun scheiden sich die logischen Gesetze von den Gesetzen der Gegenstände, ohne daß sie doch aufhören, selbst solche zu sein. Das heißt sie lösen sich aus diesen Gesetzen und allgemeiner gesagt, aus den Urteilen über Gegenstände heraus. Damit ergibt sich zugleich die Aufgabe der Logik soweit dieselbe Gesetze aufstellt. Die Logik nimmt aus den Urteilen das Gesetz der Forderungen heraus, das der Urteilende in ihm erlebt, das Gesetz, das im Urteilen zu den Forderungen der Gegenstände hinzukommt, d. h. in ihnen zugleich miterlebt wird. Und diese nennen wir Denkgesetze.

Diese sind, so sagte ich schon, obgleich allgemeine, doch nicht durch Verallgemeinerung minder allgemeine Gesetze gewonnen. Dieser negativen Erklärung fügen wir jetzt die positive hinzu: Nicht um Verallgemeinerung, sondern um eine Herausnahme des Allgemeinen handelt es sich bei der Gewinnung der Denkgesetze.

Dies können wir noch in anderer Weise wenden und damit zugleich die Aufgabe der Logik erweitern. Der Gegenstand tritt dem individuellen Ich gegenüber und tritt zu ihm in Wechselbeziehung. Jenes Herantreten des Gegenstandes an das individuelle Ich nennen wir  Erfahrung Dann ist Erfahrung allemal ihrer Natur nach subjektiv bedingt. Sie ist eben jederzeit Erfahrung eines individuellen Ich und eines Momentes in demselben. Und damit ist sie bedingt durch die Zufälligkeiten, welche das Individuum in sich schließt, und seine zufällige Stellung in der Welt. Sie ist, sofern es in der Willkür des Individuums liegt, jetzt diesen und dann jenen Gegenstand zu denken und, sofern das Individuum einen gedachten Gegenstand nach dieser oder jenen Seite befragen kann, bedingt durch die Disposition des individuellen Ich; sie ist vor allem bedingt durch die Enge des individuellen Ich, in dessen Gesichtskreis vielleicht jetzt nur wenige Gegenstände fallen, während doch jeder Gegenstand hineingehört in den Zusammenhang der Welt der Gegenstände überhaupt, also das Mitdenken der ganzen Welt der Gegenstände überhaupt fordert.

Man beachte hier wohl den Begriff der  Erfahrung.  Unter "Erfahrung überhaupt" kann nicht das einfache Dasein von Empfindungs- oder Wahrnehmungsinhalten oder den Erinnerungsbildern derselben verstanden werden; sondern Erfahrung ist Gegenstandeserfahrung. Erfahren ist das  an den Gegenständen  Gefundene. Es ist das mir Gegebene und als gegeben Gewußte. Und individuelle Erfahrung ist, was das individuelle Ich von den Gegenständen erfährt, d. h. an ihnen findet. Erfahren ist aber nicht bloß das an den Gegenständen der Wahrnehmung Gefundene, sondern alles, was ich an irgendwelchen Gegenständen finde, mag der Gegenstand auch willkürlich gedacht sein. Dies will beispielsweise heißen: Auch wenn ich eine Farbe willkürlich denke und an ihr die Helligkeit als in ihr mitgegeben finde, so ist dies eine "Erfahrung".

Solchen "Erfahrungen" nun steht das Denken gegenüber, und das Gesetz desselben, nach welchem aus ihr Erkenntnis wird, zunächst vermeintliche, dann wirkliche Erkenntnis. Das Gesetz kann aber aus den Erfahrungen nicht Erkenntnis machen, wenn es sich nicht der Gegenstände bemächtigt. Dies geschieht, indem wir sie apperzipieren, d. h. um ihre Forderungen befragen und sie erleben. Ich kann, so sagte ich, nicht Forderungen erleben, welche die Gegenstände stellen, ohne in mir der ich sie erlebe, zugleich ein Gesetz zu erleben. Solche Gesetze sind die "Denkgesetze".

Diese Gesetze sind überindividuell, so gewiß die Erfahrungen immer individuelle Erfahrungen sind, die Erkenntnis aber ist überindividuell. Damit ist das Gesetz von der Erfahrung deutlich  unterschieden.  Die Erfahrung  ist  nicht das Gesetz der Forderungen, die das Erfahrene stellt, so gewiß nur in diesen die Gesetze sind und zur Wirkung kommen. Die Gesetze sind ja das über die Forderungen der Gegenstände  Richtende,  den Geltungsanspruch, den das Erfahrene stellt, Verneinende oder Bestätigende.

Hier können wir aber wohlbekannte Namen verwenden. Das, was uns in der Erfahrung zuteil wird, ist das Aposteriorische, das von der Erfahrung Verschiedene, aus dem denkenden Ich oder dem Geist zu ihr Hinzutretende müssen wir dann das Apriorische nennen. Dann trägt also alle Erkenntnis, alle vermeintliche und alle wirklichen, also jedes Urteil, die beiden Faktoren in sich, den aposteriorischen und den apriorischen. Das Vermittelnde sind die Forderungen.

Diese beiden Faktoren sind nie ohne einander. Ich muß die Forderung eines Gegenstandes erleben, wenn ich das Gesetz der Forderung erleben soll. Und ich kann umgekehrt keine Forderung erleben, ohne das Gesetz der Forderung zu erleben. Aber dies hindert nicht die Möglichkeit und Notwendigkeit jener begrifflichen Unterscheidung. Das Apriorische ist, wie gesagt, zugleich das Überindividuelle. Dieses bemächtigt sich der individuellen Erfahrung und der in ihr gehörten Forderungen und wirkt in diesen und schafft damit die wirklichen Erkenntnisse, die eben damit selbst überindividuell und überzeitlich im oben angegebenen Sinne ist. Indem also das überindividuelle Gesetz sich der individuellen Erfahrung bemächtigt, d. h. in ihr zur Wirkung kommt, verwandelt es dieselbe in die überindividuelle Erkenntnis.

Von da gehen wir aber noch einen Schritt weiter. Es ist nicht so, daß nur das  Gesetz  des Denkens zur individuellen Erfahrung als ein Überindividuelles hinzukäme. Die Erfahrung faßt sich nicht in die Gesetze und wird zur Erkenntnis, ohne daß aus der überindividuellen Sphäre zugleich ergänzende  gegenständliche  Elemente zur Erfahrung hinzutreten, und die erkannte Welt mitkonstituieren. Die Erkenntnis  entnimmt  freilich notwendig ihre Gegenstände aus der Erfahrung. Die Erfahrung, d. h. zuletzt die  Wahrnehmung  muß das  Material  oder die Bausteine schaffen. Auch die willkürlich von mir gedachten Gegenstände entstammen doch zuletzt d. h. in ihren Elementen, der Wahrnehmung. Ohne solche der Erfahrung entnommenen Gegenstände wäre die Erkenntnis auf nichts bezogen oder wäre Erkenntnis von nichts.

Aber dies heißt nicht, daß  alles  Gegenständliche unserer Erkenntnis oder aller Inhalt derselben in der Wahrnehmung gefunden würde. Sondern zu den in der Wahrnehmung gefundenen Gegenständen hinzu treten eben die apriorischen  gegenständlichen  Elemente. Das Denken durchdringt die Erfahrung; in dieser Durchdringung aber  entstehen  zugleich solche Elemente. Im Ergebnis der Durchdringung sind Bestandteile, die der Erfahrung fremd, d. h. nicht  gegeben  sind, die aber gedacht werden müssen, wenn die Gegenstände so gedacht werden sollen, wie es durch sie und die Gesetzmäßigkeit des Denkens gefordert ist. Es bedarf des Mörtels sozusagen zum Aufbau der Erkenntnis aus den Elementen der Erfahrung oder dem aus der Erfahrung Gegebenen. Und was diesen Mörtel schafft, ist das denkende und nach den Gesetzen des Denkens die der Erfahrung entnommenen Gegenstände verknüpfende Ich. Der Mörtel stammt aus dieser überindividuellen Sphäre. Er muß daraus stammen, da er ja Mörtel ist für die Erkenntnis, oder Mörtel, durch welchen aus der Erfahrung die ihrer Natur nach überindividuelle Erkenntnis wird.

Ein solches Element ist das "Ding". Kehren wir noch einmal zurück zu jenem Urteil "Der Stein ist warm". Was mir hier die Erfahrung gibt oder was in der Erfahrung mir gegenüber tritt, was ich rein empirisch empfange, ist ein räumliches Zusammen von Wahrnehmungsgegenständen. Es ist etwa das an ein und derselben räumlichen Stelle in bestimmter räumlicher Ausdehnung und Begrenzung von mir wahrgenommene Hart, Glatt oder Rauh; und es ist weiter das ebenda wahrgenommene Warm. Aber all das, insbesondere das räumliche Zusammen des Warm mit jenen anderen durch die sinnliche Wahrnehmung mir gegebenen Gegenständen macht nicht den Sinn des Satzes aus, der Stein sei warm. Sondern dieser besagt, daß ein  "Ding"  die  "Eigenschaften"  der "Härte", "Glätte" oder "Rauheit", einer bestimmten räumlichen Ausdehnung und Begrenzung und einer bestimmten "Färbung" hat, und er besagt, daß eben dieses Ding zugleich die "Eigenschaft" der "Wärme" hat. Er meint, daß demselben  Ding  oder demselben substanziell Wirklichen, dem  jene  Eigenschaften zugehören, auch  diese  Eigenschaft anhaftet. Weder das "Ding" noch das "Haften" des Wahrgenommenen an demselben, wodurch die wahrgenommenen Gegenstände zu "Eigenschaften" werden, ist mir in der Erfahrung gegeben.

Aus dem überindividuellen oder reinen Verstand, wie wir auch sagen können, zu den in der Erfahrung gegebenen Gegenständen oder zu den Gegenständen, so wie sie in der bloßen Erfahrung, insbesondere der Wahrnehmung gegeben sind, tritt nicht in jeder Erkenntnis ein  solcher  Mörtel heraus. Das "Ding" ist ein apriorisches  materiales  Element. Aber neben die apriorischen materialen treten nun die apriorischen formalen Elemente, die nicht im Urteilen, bei der Gelegenheit desselben, und als Bedingungen für die Erfüllung der Gegenstandsforderungen und das Walten der Gesetzmäßigkeit des Denkens, entstehen, die nicht die logische Gestaltung des Materials sozusagen aus der Region, in welcher die Gestaltung stattfindet, hervorlockt und sich zur Hilfe ruft, sondern die  durch  diese Gestaltung  entstehen.  Die denkende Verarbeitung des Materials ist zugleich ein Formen desselben. Sie fügt also zu den Gegenständen, so wie sie gegeben sind, Formen, oder fügt zu ihnen jene formalen Elemente, die nicht in den Gegenständen  mitgegeben  sind, darum aber doch gegenständliche Elemente sind, nicht bloß in dem Sinne, daß sie den Gegenständen angeheftet werden, sondern auch in dem Sinne, daß sie den Gegenständen zugehören. Sie stammen aus dem Denken und sind doch in den Gegenständen begründet, sind Weisen des Denkens und doch Bestimmtheiten der Gegenstände oder an den Gegenständen, ihr eigenstes Eigentum, sofern eben die Gegenstände diese Weisen des Denkens fordern oder als ihr Recht beanspruchen. Solche apriorischen und formalen Elemente sind die objektive  Einheit  und  Mehrheit,  die objektive, d. h. eben den Gegenständen zugehörige  Anzahl,  die objektive  Gleichheit  und  Ungleichheit, Ähnlichkeit  und  Verschiedenheit die objektive  Ganzheit  und das objektive  Teilsein,  die objektive Größe; jede  Form  der Gegenstände überhaupt, und das ganze Heer der objektiven Relationen zwischen Gegenständen. Diese apriorischen  formalen  gegenständlichen Elemente hat man wohl  kategoriale  Elemente der Gegenstände oder auch "kategoriale Gegenstände" genannt. Ich würde sie lieber als apperzeptive gegenständliche Elemente oder Gegenstände bezeichnen.

Solche Elemente aber finden sich in jedem Urteil. Alle Erfahrung führt, wie oben gesagt, schließlich zurück auf die, sei es innere, sei es äußere Wahrnehmung. Nun vergegenwärtige man sich einmal irgendein Urteil oder einen Satz, in welchem wir ein Urteil aussprechen. Dann entdecken wir überall allerlei, das nicht an den Gegenständen der Wahrnehmung gefunden oder in ihnen mitwahrgenommen ist, sondern zu ihnen etwas hinzufügt. Man bezeichne, um sich davon zu überzeugen, einmal versuchsweise das Wahrgenommene in Worten, die  nur  dieses Wahrgenommene,  so wie es wahrgenommen  ist, beschreiben. Man sieht alsbald: Aus solchen Worten läßt sich kein Satz bilden, der ein Urteil ausdrückt. Es fehlt noch der Mörtel, den der denkende Geist hinzubringt, und es fehlt die Form. Schließlich gibt es in den Sätzen, die Urteile ausdrücken, kein  Wort,  das nicht mehr oder etwas anderes besagte als die Worte, mit denen wir nur einfach die in der Wahrnehmung gegebenen Gegenstände, so wie sie die Wahrnehmung aufzeigt, wiedergeben würden.

Freilich müssen wir hinzufügen: Die Worte, die das Wahrgenommene, und nur dies, wiedergäben, oder die das Wahrgenommene rein als solches wiedergäben, würden wir vielfach in unserer Sprache vergeblich suchen. Auch die Sprache ist eben überall von apriorischen Elementen durchsetzt. Das heißt wir bezeichnen mit unseren Worten nicht, was wir sehen oder hören, sondern wir bezeichnen damit schon die gedanklich verarbeiteten Gegenstände, insbesondere die gedanklich ergänzten und geformten Gegenstände der Wahrnehmung.

Auch diese apriorischen  Elemente  nun aufzuzeigen, ist eine Aufgabe der Logik als der Wissenschaft vom Denken. Diese Aufgabe fügt sich aber ein in die umfassendere Aufgabe: die eindringende Aufzeigung der Struktur des Denkens, die auch an den letzten Unterschieden nicht achtlos vorbeigeht, die vollständige Analyse des Denkens, die umfassende Phänomenologie des Geistes, damit zugleich die volle Darlegung der Weise, wie in unserem Geist die Gegenstandswelt  wird.  So schwierig diese Aufgabe sein mag - und wer an sie herantritt, wird ihre Schwierigkeit bald inne werden, - so gewiß muß sie vollbracht werden.

Und dazu tritt endlich eine letzte Aufgabe. Jene "Denkgesetze", die ich oben im Auge hatte, sind die formalen Denkgesetze, die uns sagen, welche Gesetzmäßigkeiten in den Forderungserlebnissen walten und welche Normen sich darauf gründen. Aber neben diesen formalen stehen die materialen Denkgesetze oder Gesetze des Erkennens, die sagen, wie und nach welcher Gesetzmäßigkeit die Forderungen entstehen, woher sie stammen, wie ihre Quellen beschaffen sind und nach welcher Gesetzmäßigkeit diese fließen. Auch an dieser Frage, der Frage nach den Erkenntnisquellen, kann die Logik, wenn sie umfassende Wissenschaft des Denkens sein will, nicht vorbeigehen. Auch damit bleibt die Logik Wissenschaft vom Apriorischen und Wissenschaft vom überindividuellen oder überindividuell bestimmten Ich. Die Erkenntnis konnte nicht die überindividuelle und überzeitliche sein, die Erfassung der überindividuellen und überzeitlichen  Wahrheit,  wenn es nicht diese  Quellen  der Erkenntnis wären.

Damit nun ist gesagt, was die Logik ist oder sein sollte. Sie ist oder sollte sein die Wissenschaft, die aus allem Denken und Erkennen das Apriorische herauslöst, und damit aus dem denkenden individuellen Ich das überindividuell und überzeitlich denkende Ich. Sie ist insbesondere die Wissenschaft, welche die apriorische Gesetzmäßigkeit des Denkens und Erkennens findet. Die Naturwissenschaft und jede Wissenschaft von Gegenständen überhaupt betätigt sich denkend an dem Material, das dem individuellen Bewußtsein gegeben ist. Sie schöpft aus den apriorischen Quellen, und macht aus dem, was sie da schöpft, Erkenntnis, indem sie dasselbe formt und mit den apriorisch gegenständlichen Elementen durchdringt und der apriorischen Gesetzmäßigkeit unterwirft. Die Logik aber zeigt, wie dies geschieht, und stellt die apriorischen Quellen und Elemente dar und weist die apriorische Gesetzmäßigkeit auf. Sie erkennt damit, wie Erkenntnis entsteht und was ihr Wesen ist. Die Logik, so können wir dies auch ausdrücken, zeigt den von der Zufälligkeit des Individuums unabhängigen denkenden Geist oder sie ist die Darstellung des reinen Verstandes.

Dieser Aufgabe der Logik entspricht die Aufgabe der sonstigen Normwissenschaften, der reinen normativen Lehre vom Werten und Wollen, der reinen normativen Ästhetik und Ethik. Dem empirischen Verstandesurteil, ich meine dem Verstandesurteil, wie es im individuellen Ich vorkommt, entspricht das empirische Werten und Wollen. Auch in diesem nun ist allemal ein Gegenstand gedacht und wird eine Forderung desselben erlebt. Aber auch hier erlebe ich in den Forderungen zugleich die Gesetze derselben. Und auch hier schafft der Geist, indem er nach solchen Gesetzen verknüpft und das individuelle Urteil in Erkenntnis umwandelt, neue gegenständliche Elemente. Letzte Ergebnisse einer solchen Erkenntnisarbeit sind der unbedingte Wert und der unbedingte Zweck. Das Ich, das jene Gesetze in sich trägt und diese gegenständlichen Elemente schafft, können wir entsprechend dem "reinen" Verstand, den reinen wertenden Geist bzw. den reinen Willen nennen. Dann ist die Aufgabe der rein normativen Ästhetik und Ethik die Darstellung dieses reinen wertenden Geistes und dieses reinen Willens.

Die Wissenschaft von dem, was alle Erkenntnis erst zur Erkenntnis macht, dürfen wir die reine Wissenschaft nennen. Das "Rein" hat hierbei den gleichen Sinn wie in den Worten "reiner Verstand", "reiner wertender Geist" und "reiner Wille". Diese "reine" Wissenschaft ist, als solche, zugleich die erste Wissenschaft, die  "prote philosophia".  Dann sind die Logik und weiterhin die reine normative Ästhetik und Ethik Disziplinen dieser "reinen" oder "ersten" Wissenschaft. Ihnen stehen gegenüber die empirischen Wissenschaften und das empirische Werten und Wollen, in denen so viel Erkenntnis oder Vernunft ist, wie ihnen der reine Geist immanent ist. Stattdessen kann ich auch sagen, das individuelle Bewußtsein erkennt, wertet und will rein oder "objektiv" in dem Maße, als ihm das überindividuelle und überzeitliche oder das reine Bewußtsein oder Ich immanent ist.


Bewußtseinswissenschaft
und empirische Psychologie

Stellt nun die reine Logik und stellen ebenso die anderen "reinen" Wissenschaften die Gesetze des denkenden, wertenden und wollenden Geistes dar, die Gesetze, die wir in uns, indem wir denken, werten und wollen, unmittelbar erleben, dann bleibt es doch immerhin dabei, daß es diese Wissenschaften mit  Bewußtseinstatsachen  zu tun haben oder Wissenschaften vom Bewußtsein sind, nicht vom individuellen, aber vom reinen Bewußtsein oder dem Bewußtsein abgesehen von der Individualität. Und nun ist Psychologie die Wissenschaft vom Bewußtsein oder von den Bewußtseinstatsachen, dann scheint es dabei zu bleiben, daß die logischen Gesetze psychologische Gesetze, die Wissenschaft der Logik also, und ebenso die reine normative Ästhetik und Ethik psychologische Disziplinen sind.

In der Tat kann dies gesagt werden. Wir müssen nur dann einen doppelten Begriff der Psychologie unterscheiden.

Wir redeten oben von "Erfahrung" und meinten damit nicht etwa bloß die Wahrnehmung im Sinne des Daseins von Wahrnehmungsinhalten, sondern die - jederzeit individuell und zeitlich bedingte - Weise des mir Gegenüberstehens oder Gegebenseins von Gegenständen und das individuelle "Finden" dessen, was an ihnen zu finden ist.

Diese "Erfahrung" nun erlaubt die Statuierung eines doppelten Unterschiedes oder Gegensatzes. Der eine ist der Gegensatz zwischen  mittelbarer  und  unmittelbarer  Erfahrung. In der ersteren geht das Denken über das individuelle Bewußtsein hinaus und fragt nach den objektiv wirklichen Gegenständen, nach dem Dasein der Gegenstände unabhängig vom Bewußtsein; der denkende Geist richtet seinen Blick in eine dem Bewußtsein transzendente Welt, nämlich eben in die Welt des objektiv Wirklichen oder wie wir auch sagen können, die Welt des dinglich Realen. Er fragt, wie es um dies bestellt ist. Jene andere, die unmittelbare Erfahrung dagegen, bleibt bei den Gegenständen, so wie sie eben gegeben sind, d. h. in den Bewußtseinserlebnissen gefunden werden. Und sie fragt, wie es um diese Gegenstände bestellt, d. h. wie sie beschaffen sind, und welche Gesetzmäßigkeit in ihnen selbst gefunden werden kann.

Dieser Gegensatz ist derselbe, den ich sonst als Gegensatz der empirischen und qualitativen Apperzeption bezeichnet habe. Unter der ersteren ist eben dieses Hineinblicken in eine, vom Bewußtsein unabhängige Welt verstanden, die Stellung der Frage nach dem objektiv Wirklichen oder dinglich Realen, kurz nach dem vom Bewußtsein unabhängig Existierenden. Unter der qualitativen Apperzeption dagegen verstehe ich diejenige, die nur nach der  Beschaffenheit  von Gegenständen fragt, nach ihrem Sosein und der Gesetzmäßigkeit desselben.

Dieser Gegensatz wird aber gekreuzt von einem anderen Gegensatz, nämlich von dem Gegensatz zwischen  Gegenstandserfahrung  und  Icherfahrung. 

Auch die Icherfahrung ist allemal Gegenstandserfahrung, d. h. auch wenn ich das Ich denke und betrachte, ist es eben damit für mich Gegenstand. Aber wenn ich hier von Gegenstandserfahrung spreche, so meine ich die Erfahrung, die ich gewinne von Gegenständen, die von mir  verschieden  sind. Ich meine, kürzer gesagt, mit den "Gegenständen" hier die  objektiven  Gegenstände. Ich würde also, was ich soeben Gegenstandserfahrung nannte und in diesem Zusammenhang der Kürze halber weiter so nennen will, richtiger als Erfahrung von objektiven Gegenständen oder kurz als  objektive  Erfahrung bezeichnen.

Dieser nun steht die Erfahrung vom Ich gegenüber, nämlich vom Ich, so wie es unmittelbar erlebt ist, aber nun von uns zum Gegenstand gemacht wird, und von den Erlebnissen dieses Ich. Diese Erfahrung bezeichne ich kurz als Icherfahrung und stelle sie der Gegenstandserfahrung in jenem engeren Sinn gegenüber.

Ich sagte, die beiden hier nacheinander statuierten Gegenstände kreuzen sich. Dies nun will sagen: Es gibt eine mittelbare und eine unmittelbare Gegenstandserfahrung und ebenso eine mittelbare und eine unmittelbare Icherfahrung. Alle Erfahrung ist zunächst eine unmittelbare Erfahrung, d. h. jede Erkenntnis geht aus von einem unmittelbar  Gegebenen.  Und dieses ist in den Bewußtseinserlebnissen gegeben. Die Wissenschaft der unmittelbaren Erfahrung aber blickt über dieses unmittelbar Gegebene in die dem Bewußtsein transzendente Welt hinaus. Besser gesagt, sie blickt durch jenes hindurch auf diese, oder blickt aus jenem diese heraus. Das unmittelbar Gegebene ist für dieses der transzendenten Welt Angehörige nur der Hinweis. Mein geistiges Auge sieht in ihm etwas anderes als es selbst, nämlich das darüber Hinausliegende. Und statt zu sagen, das unmittelbar Gegebene sei hierfür nur der Hinweis, kann ich auch sagen, es sei dafür ein Zeichen oder Symbol. So sind vor allem für die Naturwissenschaft die in den sinnlichen Empfindungs- und Wahrnehmungsinhalten, diesen objektiven Bewußtseinserlebnissen, unmittelbar gegebenen Gegenstände Zeichen oder Symbol, durch welche hindurch sie etwas anderes, nämlich die vom Bewußtsein unabhängige Welt der Dinge und des Geschehens an oder in den Dingen, wir können auch sagen, durch sie das hinter ihnen Liegende sucht und findet oder zu finden glaubt.

Diesen Wissenschaften aber stehen nun andere gegenüber, für welche das unmittelbar Gegebene nicht Zeichen oder Symbol eines ihm Transzendenten ist, die nicht das suchen, was  hinter  demselben liegt, sondern dasjenige, was  in  ihm liegt; die demnach insbesondere auch nicht ausgehen auf die hinter dem unmittelbar Gegebenen liegende Gesetzmäßigkeit eines vom Bewußtsein unabhängigen oder eines "dinglich" Realen, sondern die ausgehen auf die, im unmittelbar Gegebenen selbst auffindbare Gesetzmäßigkeit.

Eine solche Wissenschaft ist beispielsweise die Geometrie. Sie ist aber, genauer gesagt, eine Wissenschaft der unmittelbaren  objektiven  Erfahrung. Eine ebensolche Wissenschaft ist die Farbengeometrie, die man eben durch diesen Namen als der Geometrie gleichartig charakterisiert hat oder charakterisieren will. Dagegen ist die Naturwissenschaft eine Wissenschaft der  mittelbaren  objektiven Erfahrung.

Allen Wissenschaften der objektiven Erfahrung steht aber die  Psychologie  gegenüber. Sie ist nicht die Wissenschaft von objektiven Gegenständen oder Wissenschaft der objektiven Erfahrung, sondern sie ist Wissenschaft der Icherfahrung, Wissenschaft von den Icherlebnissen.

Aber hier bestehen nun wiederum die beiden Möglichkeiten: Die Wissenschaft der Icherfahrung ist entweder Wissenschaft der unmittelbaren oder Wissenschaft der mittelbaren Icherfahrung. Hier aber ist die Wissenschaft von der mittelbaren Erfahrung diejenige, für welche die  Bewußtseinserlebnisse  als solche, d. h. als Icherlebnisse, so wie sie vorgefunden werden, Zeichen oder Symbole sind für etwas, durch das hindurch der denkende Geist blickt, um dasjenige zu finden, was dahinter liegt. Die Wissenschaft von der  unmittelbaren  Erfahrung dagegen ist auch hier wiederum diejenige, die solches Blicken hinter das unmittelbar Gegebene unterläßt, und die Frage stellt, wie denn das unmittelbar Gegebene beschaffen ist, was darin liegt, und welche Gesetzmäßigkeit in ihm selbst gefunden werden kann.

Und nun kann unter Psychologie zunächst die  Wissenschaft  der Icherfahrung  überhaupt  verstanden werden. Dann ist sie Wissenschaft sowohl der unmittelbaren wie der mittelbaren Erfahrung. Sie ist die Bewußtseinswissenschaft oder die Geisteswissenschaft schlechthin. Und so habe ich das Wort  Psychologie  öfter genommen und demgemäß auch die Logik, Ästhetik und Ethik psychologische Disziplinen genannt. Und es ist auch kein Zweifel, daß die Psychologie in diesem umfassenden Sinn genommen werden  kann.  Der Sinn des Wortes erlaubt dies. Bewußtseinserlebnisse überhaupt sind psychische Tatsachen.

Fragen wir nun aber, was unter Psychologie gemeinhein verstanden zu werden pflegt, dann müssen wir antworten: Man versteht darunter in der Regel die Psychologie der  mittelbaren  Erfahrung, und  nur  diese.

Dies liegt schon in der Bezeichnung der Psychologie als  empirischer  Psychologie. Dabei ist das Wort "empirisch" so gemeint, wie es auch gemeint ist, wenn die Naturwissenschaft als empirische Wissenschaft bezeichnet und durch diese Namengebung etwa der  Geometrie gegenübergestellt  wird. Man will damit die Naturwissenschaft bezeichnen als eine Wissenschaft, die, im Gegensatz zur Geometrie, über die  unmittelbare  Erfahrung  hinaus geht. 

Im übrigen ergibt sich dieser Charakter der "Psychologie" von selbst daraus, daß wir unter Psychologie die Psychologie des individuellen Bewußtseins zu verstehen pflegen. Zugleich scheint sich damit von anderer Seite her die Bezeichnung derselben als empirische Psychologie zu rechtfertigen. Nur das individuelle Bewußtsein, meint man, sei in der Erfahrung gegeben, d. h. wir finden in der Erfahrung nur  dieses  oder  jenes  Bewußtsein. Wir finden das, was der allgemeine Begriff des Bewußtseins sagt, nur in den unzählig vielen Exemplaren, die sich numerisch voneinander unterscheiden.



Hier nun aber fragt es sich: Ist es in der Tat so? Ist in der Tat nur das individuelle Bewußtsein in der Erfahrung gegeben. Ist dasselbe  überhaupt  gegeben in der  unmittelbaren  Erfahrung?

Diese Frage aber führt zurück auf die Frage, welche die Grundfrage der Psychologie des individuellen Bewußtseins oder empirischen Psychologie ist oder sein sollte. Sie lautet: Was denn das "individuelle Bewußtsein"  ist,  d. h. was dasselbe für uns zum individuellen  macht. 

Natürlich genügt es nicht, daß man in der Antwort auf diese Frage das, wonach in ihr gefragt wird, einfach wiederholt und sagt: Das individuelle Bewußtsein ist "dies" oder "jenes" Bewußtsein, es ist das, in "mehrfachen Exemplaren" vorkommende, es ist das von jedem anderen individuellen Bewußtsein schlechthin numerisch verschiedene. Sondern wir müssen fragen: Was heißt das alles? Was  meinen  wir mit den verschiedenen Bewußtseinen oder Ichen. Was  unterscheidet  die Iche voneinander? Nicht ansich, denn dies wissen wir vielleicht nicht zu sagen, wohl aber  für uns,  die wir davon reden, und Wissenschaft von dem in den verschiedenen Exemplaren vorkommenden kurz vom individuellen Bewußtsein treiben.

Und darauf nun lautet die Antwort zunächst negativ. Dieses die verschiedenen Iche Unterscheidende ist nicht die  Qualität.  Gesetzt ein fremdes Bewußtsein oder Ich wäre in einem gegebenen Augenblick qualitativ dem meinigen, oder wäre "mir" völlig gleich, es hätte dieselben Empfindungs- und Vorstellungsinhalte, betätigte sich denkend, fühlend und wollend genau in der gleichen Weise, wie ich es in diesem Augenblick tue. Dann wäre das fremde Ich doch nicht ich, sondern bliebe für mich ein anderes, von mir numerisch verschiedenes. Wir blieben zwei: ich und der andere; nur daß wir beide eben in diesem Augenblick qualitativ einander gleich werden. Wir wären gleiche Iche, darum doch nicht numerisch ein und dasselbe Ich.

Und ebenso könnten zwei von mir verschiedene Iche in einem Augenblick qualitativ einander völlig gleich sein, dieselben Empfindungs- und Vorstellungsinhalte haben, denkend, fühlend und wollend genau in gleicher Weise sich verhalten. Ich sage, es könnte so sein d. h. dies wäre denkbar. Dadurch würden doch für mich die beiden Iche nicht numerisch identisch, sondern auch sie blieben für mich zwei, sie blieben "dieser und jener". Nur daß eben der eine und der andere einander qualitativ gleich wären. Sie wären gleiche und zugleich numerisch verschiedene Iche.

Sondern es gibt auf die Frage, was die individuellen Iche oder Bewußtseinseinheiten für uns voneinander unterscheidet, nur eine Antwort. Sie lautet: Das fremde Bewußtsein ist das Bewußtseins eines anderen  "Individuums",  und die verschiedenen Iche oder Bewußtseinseinheiten sind die Iche oder sind das Bewußtsein verschiedener  Individuen.  "Dieses Bewußtsein und nicht jenes", das ist das Bewußtsein dieses und nicht jenes  Individuums,  oder es ist das Bewußtsein, das nicht jenes, sondern dieses Individuum  hat. 

Und was ist dabei das "Individuum"? Nun natürlich nicht wiederum das Bewußtsein; das Individuum hat ja das Bewußtsein, dieses dieses, jenes jenes. Das Individuum ist dasjenige was  macht,  daß für mich das einzelne Bewußtsein, das ansich nicht ein einzelnes vom anderen unterschiedenes ist, zum einzelnen und von anderen unterschieden  wird;  oder ist das, was die einzelnen für mich voneinander unterscheidet. Es ist also etwas anderes als das einzelne Bewußtsein selbst, etwas außerhalb desselben, etwas ihm Transzendentes. Es ist das von mir zum einzelnen Bewußtsein Hinzugedachte und notwendig Hinzugedachte, weil hinzu gedacht als Voraussetzung dafür, daß es für mich ein einzelnes d. h. von den anderen Unterschiedenes ist. Indem ich ein individuelles, d. h. von anderen unterschiedenes Bewußtsein denke, denke ich verschiedene Individuen und denke sie als dasjenige, das, jedes Individuum für sich, ein Bewußtsein  hat.  Ich  binde  denkend an jedes der Individuen für sich ein Bewußtsein. Und  indem  ich dies tue,  entsteht  erst für mich das individuelle Bewußtsein. Die Bindung an die verschiedenen Individuen ist die  Schaffung  der verschiedenen Iche für mich, oder ist die gedankliche  Teilung  des Bewußtseins überhaupt in "dieses" und "jenes" Bewußtsein.

Dabei wiederum ist freilich vorausgesetzt, daß ich zunächst die  Individuen  als voneinander verschieden denke. Nur wenn ich dies tue und dann an diese  verschiedenen  Individuen ein Bewußtsein denkend binde, werden die Iche für mich zu individuellen oder zu numerisch verschiedenen oder entstehen solche Iche für mich. Es gibt für mich schlechterdings keine andere Möglichkeit, ein individuelles Bewußtsein zu denken, als dies, daß ich gesonderte Bewußtseins träger  denke. Die Individuen kann ich aber wiederum nur dadurch als numerisch verschieden denken, daß ich sie in verschiedene räumliche Orte hinein denke. Auch ein  Individuum  wird für mich nicht zu diesem oder jenem, von allen anderen numerisch verschiedenen, durch seine  qualitative Bestimmtheit:  Auch ein Individuum könnte einem andern durchaus gleich sein ohne doch dadurch aufzuhören, ein anderes Individuum zu sein. Es bliebe trotz aller qualitativen Gleichheit ein solches, wenn es an einem anderen räumlichen Ort existierend gedacht würde. Damit ist gesagt, daß das letzte "principium individuationis" für die individuellen Iche die Verschiedenheit des räumlichen Ortes der Individuen ist. Individuen stellen sich mir als örtlich unterschieden dar und an diese örtlich verschiedenen Individuen wird jedesmal ein Bewußtsein gebunden gedacht oder denkend gebunden. Und dies und dies allein macht für uns ein individuelles Bewußtsein zu einem solchen oder macht für mich und jedermann den  Sinn  des Wortes "individuelles Bewußtsein" aus.

Verhält es sich aber so, d. h. gibt es für uns ein individuelles Bewußtsein nicht ohne die in verschiedenen Orten des Raums oder an örtlich verschiedenen Stellen der räumlich ausgebreiteten Welt als existierend gedachten, vom Bewußtsein der Individuen selbst verschiedenen  "Individuen",  dann ist damit gesagt, daß die Psychologie als Wissenschaft vom individuellen Bewußtsein schon damit, daß sie überhaupt von einem "individuellen Bewußtsein"  redet,  über das Bewußtsein  hinausgeht,  also nicht Wissenschaft der unmittelbaren, sondern der  mittelbaren  Erfahrung ist.

Dies heißt nun aber zugleich umgekehrt: Gesetzt wir verstehen unter Psychologie die Wissenschaft der  unmittelbaren  Erfahrung, so weiß diese Psychologie  nichts  vom individuellen Bewußtsein; das einzige, von dem sie weiß, ist das Bewußtsein und sind die Bewußtseinserlebnisse schlechthin. "Psychologie" als Wissenschaft der unmittelbaren Erfahrung kann nur Wissenschaft vom Ich schlechthin sein. Dieses Ich ist nicht  mein  Ich; denn dabei ist das Ich eines Anderen vorausgesetzt. Es ist nicht  dieses  Ich, denn damit stelle ich es im Gegensatz zu "jenem" Ich. Es ist überhaupt nicht  ein  Ich, denn diesem steht ein zweites Ich gegenüber; sondern es ist: ich, das einzige Ich, von dem ich unmittelbar weiß oder das einzige, das in der unmittelbaren Erfahrung gegeben ist. Dieses Ich ist für die Psychologie, oder  "ich"  bin für dieselbe, das Ich überhaupt.



Indem die empirische Naturwissenschaft über das unmittelbar Gegebene hinausblickt oder durch dasselbe hindurchblickt auf eine, jenseits des Bewußtseins liegende Welt, ist, wie gesagt, das unmittelbar Gegebene für sie Zeichen oder Hinweis. So ist auch für die empirische Psychologie das unmittelbar Gegebene Zeichen oder Hinweis. Es sind für jene die sinnlichen Wahrnehmungsgegenstände, für diese die subjektiven Bewußtseinserlebnisse solche Zeichen oder ein solcher Hinweis.

Hier bitte ich wohl zu beachten: Mit dem, was dem Physiker "unmittelbar gegeben" ist, sind nicht die sinnlichen Empfindungsinhalte gemeint, sondern die  in  ihnen  gedachten,  und zunächst den Empfindungsinhalten  gleich  gedachten  Gegenstände,  also nicht die  Bilder  von Farben und Tönen etc., sondern Farben und Töne etc.  selbst.  Über jene, die Empfindungsinhalte oder die "objektiven Bewußtseinserlebnisse", geht der Physiker in  doppelter  Weise hinaus, einmal indem er in den Bildern der Farben, Töne etc. die Farben und Töne etc. selbst denkt, zum andern, indem er nun diese in Bewegungsvorgänge  umdenkt.  Dies können wir auch so ausdrücken. Für den Physiker sind jene objektiven Bewußtseinserlebnisse in  doppelter  Weise ein bloßer Hinweis. Sie sind Symbole der zunächst in ihnen gedachten Gegenstände und dann weiterhin ein Hinweis auf die erkannte Welt des dinglich Realen.

Im Gegensatz zu diesem objektiv Wirklichen, das die Naturwissenschaft erkennt, sind die objektiven Bewußtseinserlebnisse, die Empfindungs- und sinnlichen Wahrnehmungsinhalte, durch welche hindurch die Naturwissenschaft jenes objektiv Wirkliche oder dinglich Reale sieht,  "Erscheinung".  Für die Naturwissenschaft also sind die objektiven Bewußtseinserlebnisse Erscheinungen, nämlich Erscheinungen eben jenes objektiv Wirklichen oder dinglich Realen. Und ebenso nun scheinen für die empirische Psychologie die subjektiven Bewußtseinserlebnisse  Erscheinungen. 

Dieses Wort "Erscheinung" besagt dann nichts anderes als dies, daß Bewußtseinserlebnissen ein von ihnen verschiedenes Reales "zugrunde gelegt" wird. Daß für die Psychologie des individuellen Bewußtseins die Bewußtseinserlebnisse Erscheinungen sind, dies besagt also nichts anderes, als daß von ihr den Bewußtseinserlebnisse ein, im Bewußtsein selbst nicht vorkommendes Reales zugrunde gelegt ist. "Erscheinungen" und "vom Denken den Erscheinungen notwendig zugrunde Gelegtes", das sind korrelate Begriffe. Das Wort "Erscheinen" ist nichts anderes, als der Ausdruck für die Beziehung irgendeines Bewußtseinserlebnisses zu demjenigen, was ihm zugrunde gelegt, und mit Notwendigkeit, nämlich logischer Notwendigkeit, zugrunde gelegt ist. Es bezeichnet diese nicht näher beschreibbare Relation zwischen dem Bewußtseinserlebnis und diesem Grund.

Diese Relation kann ich aber von zwei Seiten betrachten und demnach doppelt bezeichnen. Von dem, was ich denkend dem Bewußtseinserlebnis notwendig zugrunde lege, sage ich, es liegt diesem zugrunde. Es liegt ihm objektiv zugrunde, sofern das Zugrundelegen nicht ein willkürliches Tun, sondern eine Forderung ist. Ganz dasselbe aber von der anderen Seite her, nämlich von der Seite des unmittelbar Gegebenen her betrachtet, ist es, wenn ich sage, dieses unmittelbar Gegebene ist die Weise, wie das ihm Zugrundeliegende erscheint oder ist seine Erscheinung. Das "Zugrundlegen" aber ist nichts anderes als ein  Hineindenken  des Realen in die Erscheinung, ein Denken desselben,  indem  ich die Erscheinung erlebe oder denke, derart, daß ich in der Erscheinung in nicht näher beschreibbarer Weise mit dem geistigen Auge das Reale sehe, erblicke, erfasse.

Ich denke, so sage ich, in der Erscheinung, die ich  "erlebe oder denke",  das Reale. Hiermit nun ist zugleich ein Unterschied angedeutet, der zwischen der physischen und der psychischen "Erscheinung" besteht, oder es ist ein Unterschied im Sinne des "Erscheinens" angedeutet, der nicht übersehen werden darf.

Die physischen Erscheinungen sind, wie gesagt, die objektiven Bewußtseinserlebnisse. Und dies sind die sinnlichen Empfindungs- und Wahrnehmungsinhalte, die optischen und akustischen usw. Bilder, die dem Physiker zuteil werden.

Diese Bilder nun sind nicht  wirklich  im Sinne der  physischen  Wirklichkeit. In diesen Bildern aber sieht der Physiker, oder durch sie  hindurch  sieht er mit dem geistigen Auge, d. h. in ihnen denkt er das physisch Wirkliche. Und er denkt  nur  dieses. Er denkt nicht die Bewußtseinserlebnisse, d. h. jene Bilder, sondern diese sind ihm nur das Medium, durch das hindurch er die physisch wirklichen Gegenstände "sieht", d. h. in denen er sie denkt.

So nun ist es nicht mit den "psychischen Erscheinungen". Auch diese sind Bewußtseinserlebnisse und auch in diesen denkt der Psychologe, sofern er sie als individuelle denkt, ein anderes, das nicht selbst Bewußtseinserlebnis ist, oder sieht dies mit dem geistigen Auge durch jene Bewußtseinserlebnisse hindurch. Er denkt in ihnen das Individuum, oder das psychisch Reale. Aber das heißt nicht, daß er die Bewußtseinserlebnisse nicht denkt, und daß sie für ihn nichts Wirkliches sind. Sondern, indem er die Bewußtseinserlebnisse, wie soeben gesagt, als  individuelle  "denkt", d. h. an ein reales Individuum denkend bindet,  denkt  er sie. Sie sind für ihn Gegenstand, so gewiß für den Physiker die objektiven Bewußtseinserlebnisse, jene optischen oder akustischen Bilder,  nicht  Gegenstände sind. Und er denkt sie als etwas Wirkliches oder erkennt sie, indem er sie denkt, als wirklich an, nicht als physisch wirklich, aber als wirklich in dem Sinne, in dem eben wirkliche  Bewußtseinserlebnisse  wirklich sind.

Aber diese von ihm gedachten und als wirklich erkannten Bewußtseinserlebnisse sind nun für ihn nicht  der  Gegenstand oder sind für ihn nicht  als solche  Gegenstand. Sondern sie sind Gegenstand seines Denkens und seines Wirklichkeitsbewußtseins und weiterhin Gegenstand seiner denkenden Verknüpfung und kausalen Erklärung als an das  Reale,  das Individuum,  gebundene.  Er sieht also in diesen wirklichen Gegenständen, den Bewußtseinserlebnissen, einen anderen wirklichen Gegenstand, der nicht mehr Bewußtseinserlebnis ist, also nicht mehr die Wirklichkeit der Bewußtseinserlebnisse, diese  "primäre"  Wirklichkeit, hat, sondern eine Wirklichkeit nach Art der  physischen  Wirklichkeit, kurz,  dingliche  Wirklichkeit oder Realität. Und er denkt dieses dinglich Reale, das Individuum oder die Seele, zugleich so, daß es für ihn die Bedingung ist für das Denken des Bewußtseinswirklichen oder der wirklichen Bewußtseinserlebnisse. Er denkt es, kurz gesagt, indem er dies denkt, mit, als die  Bedingung  für das Dasein des als wirklich gedachten  individuellen  Bewußtseinslebens.

Dies ist das Besondere der  psychischen  "Erscheinung" oder ist das Besondere und sonst in der Welt nicht wiederum Vorkommende in der Beziehung zwischen Bewußtseinserlebnissen und dem ihnen zugrunde liegenden Realen, die wir damit bezeichnen  können,  daß wir sagen, dies erscheine in jenen, oder liege jenen zugrunde, oder auch: jenes, das Bewußtseinsleben, nämlich das individuelle Bewußtseinsleben, werde von uns mit Notwendigkeit denkend oder gedanklich an ein dinglich Reales, das Individuum,  gebunden. 

Bei all dem bleibt aber doch das Gemeinsame der "Erscheinung" in  diesem  Fall, d. h. im Falle der  psychischen  Erscheinung, und im Falle der physischen Erscheinung. Es bleibt das Gemeinsame, das ich vorhin schon auch damit bezeichnete, daß ich sagte, wie für den Physiker die objektiven, so sind für den empirischen Psychologen die subjektiven Bewußtseinserlebnisse "Zeichen oder Hinweis". Das heißt es bleibt dies, daß in beiden Fällen die "Erscheinung" und demnach auch das "Zugrundeliegen" nichts anderes aussagt als das notwendige, und im einen wie im anderen Fall nicht näher beschreibbare Hineingedachtsein eines Realen in Bewußtseinserlebnisse.

Das Individuum, das die empirische Psychologie dem individuellen Bewußtsein, von dem allein sie redet - im angegebenen Sinn dieses Wortes "zugrunde legt", ist ein der räumlich ausgebreiteten Welt der Dinge Angehöriges, und hat in dieser Welt seine Stelle. Wir nennen es Individuum, weil es von uns dem  individuellen  Bewußtsein zugrunde gelegt ist und gelegt werden muß. Der ursprüngliche Sinn des Wortes Individuum ist eben: Ich, Du, Er usw. Erst in einer abgeleiteten Weise, als notwendiger  Träger  des individuellen Bewußteins oder als Träger eines "Individuums" im  primären  Sinne dieses Wortes heißt auch das ihm zugrunde gelegte Reale "Individuum". Sofern es einem Bewußtseinsleben zugrunde gelegt ist, nennen wir es genauer psychisches Individuum. Und es kann in Wahrheit nur das  psychische  Individuum in diesem abgeleiteten Sinn ein Individuum heißen.

Sofern sich aber das individuelle Bewußtsein in einem Ich zusammenfaßt, oder ein Ich ist, können wir das psychische Individuum auch ein  "reales  Ich" nennen; ein reales, weil es eben das zugrunde gelegte Reale ist. Zugleich nennen wir es "Ich", sowie wir das reale Individuum Individuum nannten, oder wie der Physiker, der dem unmittelbar erlebten Ton eine Folge von Luftwellen zugrunde legt, diese gleichfalls "Ton" nennt, und z. B. sagt, daß ein "Ton" sich im Raum fortpflanzt.

Schließlich aber ist uns statt all dieser Namen vor allem ein Name geläufig, nämlich der Name  "Seele". 

Verwenden wir nun diesen Namen, so ist die empirische Psychologie, von der ich hier rede, eine  Seelenlehre.  Ihre Stellung ist zwischen der Wissenschaft der unmittelbaren Icherfahrung einerseits und der Naturwissenschaft andererseits. Sie ist einerseits Wissenschaft der Icherfahrung, sofern sie die Bewußtseinserlebnisse oder das  Ich  des Individuums erkennen will. Sie steht andererseits neben der Naturwissenschaft, sofern sie das Bewußtseinsleben des  realen Individuums  zu erkennen trachtet; d. h. des Individuums, das nicht ein materielles Ding, im übrigen aber ein Ding ist wie andere, d. h. ein vom individuellen Bewußtsein unabhängiges Wirkliches. Dasselbe, sage ich, ist nicht ein  materielles  Ding. Damit ist nichts anderes gesagt, als daß es nicht den  objektiven  Bewußtseinserlebnissen, und weiterhin den Gegenständen der unmittelbaren objektiven Erfahrung, sondern den Gegenständen der unmittelbaren subjektiven Erfahrung zugrunde gelegt ist. Die empirische Psychologie ist so das  Seitenstück  zur Naturwissenschaft, d. h. zur Wissenschaft von den Dingen, die den Gegenständen der unmittelbaren objektiven Erfahrung zugrunde gelegt ist. Gegenstände dieser Psychologie sind nicht, wie gesagt, die Bewußtseinserlebnisse als solche mit der in ihnen auffindbaren Gesetzmäßigkeit, sondern die Bewußtseinserlebnisse, die und sofern sie in einem Individuum  vorkommen.  Statt dessen können wir auch sagen, ihr Gegenstand ist das Individuum, das reale Ich, die Seele,  in  welcher und  sofern  in ihr Bewußtseinserlebnisse vorkommen oder sofern dasselbe Bewußtseinserlebnisse  hat. 

Dieses "Haben" nun ist eine nicht näher bestimmbare Tatsache. So wenig als dies, daß körperliche Dinge "Eigenschaften", wie Rot, Süß usw. haben, oder daß sie diese Gegenstände der objektiven Erfahrung an sich haben oder dieselben ihnen "inhärieren" [innewohnen - wp], eine weiter bestimmbare Tatsache ist. Aber es ist eine denknotwendige Tatsache.

Und es ist eine nur zu denkende Tatsache, d. h. sie ist kein Bewußtseinserlebnis, sondern sie gehört der, dem Bewußtsein oder den Bewußtseinserlebnissen jenseitigen Welt an, der auch das Individuum angehört, an dem dieses "Haben"  stattfindet.  Daß  dieses  bestimmte Individuum jetzt diese, jetzt jene Empfindungsinhalte "hat", ist eine Bestimmung dieses Individuums, sowie das Rotsein eines materiellen Dings oder das Grünsein eines anderen Bestimmungen dieser verschiedenen materiellen Dinge sind. Und es ist ebensowenig unmittelbar erlebbar, wie das Rotsein oder Grünsein, d. h. das  "Inhärieren"  des Rot oder Grün in einem Ding sinnlich wahrnehmbar ist.

Hierbei weise ich ausdrücklich auf den Doppelsinn des "Habens von Empfindungsinhalten" hin, der zu Mißverständnissen oder einer Verwechslung führen könnte. Es gibt ein "Haben eines Empfindungsinhaltes" als unmittelbares  Erlebnis,  oder es gibt ein  unmittelbar erlebtes  Haben dieser Art. Damit meine ich jene unmittelbar erlebte Beziehung des Empfindungsinhaltes zum Bewußtsein oder Ich, nämlich dem  unmittelbar erlebten Ich,  vermöge welcher sich die Empfindungsinhalte mir unmittelbar als  meine  Empfindungsinhalte  darstellen.  Ich meine diese unmittelbar erlebte Zugehörigkeit des Empfindungsinhaltes zu "mir".

Davon nun ist in diesem Zusammenhang nicht mehr die Rede, sondern hier reden wir davon, daß das dem Bewußtsein transzendente Individuum oder die  Seele  Empfindungsinhalte  "hat".  Und dieser Sachverhalt ist von jenem aufs das Strengste zu unterscheiden. So gewiß jenes unmittelbar erlebte Haben ein Bewußtseinserlebnis ist, so gewiß ist dieses Haben kein solches, sondern es ist ein dem Bewußtsein jenseitiger Tatbestand. Es ist der objektiv wirkliche Tatbestand, der jenem subjektiv wirklichen, jenem von mir unmittelbar erlebten Tatbestand, von mir denkend  zugrunde  gelegt werden muß. Es ist damit, wie gesagt, eine nicht näher angebbare Bestimmtheit des dinglich  Realen  oder dem Bewußtsein Jenseitigen, das ich Individuum oder Seele, oder reales Ich nenne, bezeichnet. Und diese ist,  als  Bestimmtheit eines solchen Realen, selbst ein Reales oder dem Bewußtsein Transzendentes, ein nicht näher beschreibbares  Vorkommnis in der dinglich realen Welt. 



Dieser reale, dem Bewußtsein transzendente Tatbestand, der darin besteht - nicht daß ich einen Empfindungsinhalt als "meinen"  erlebe,  sondern daß "ich", dieses Reale, "Individuum" genannt, einen Empfindungsinhalt realiter  habe,  verfällt nun aber als realer Tatbestand dem Gesetz der Dinge und des Geschehens in den Dingen, d. h. dem Kausalgesetz: Derselbe ist  verursacht,  und wir erkennen ihn als verursacht durch einen  körperlichen Vorgang.  Hierbei ist zu betonen, nicht ein körperlicher  Zustand,  sondern ein  Vorgang  ist die Ursache dafür, daß ein Individuum oder eine Seele einen Empfindungsinhalt hat, oder daß dieses  Individuum empfindet.  Dann muß auch dieses reale Empfinden als ein  Vorgang  gedacht und bezeichnet werden. Und ich pflege ihn ausdrücklich als "Empfindungsvorgang" zu bezeichnen.

Den Empfindungsvorgängen entsprechen aber die Vorstellungsvorgänge; wie jene dem Dasein eines Empfindungsinhaltes, so liegen diese dem Dasein eines Vorstellungsinhaltes zugrunde. Und für dieses Haben eines Vorstellungsinhaltes oder dieses reale "Vorstellen", den "Vorstellungsvorgang" also, muß nun gleichfalls eine Ursache statuiert werden. Diese Ursache bezeichnen wir vielleicht wiederum als Reiz. Aber dieser Reiz besteht, wie wir annehmen müssen, nicht in einem körperlichen, sondern in anderweitigen  seelischen  Vorgängen. Und diese sind Empfindungsvorgänge oder gleichfalls Vorstellungsvorgänge.

Dabei ist aber außerdem noch zweierlei vorausgesetzt. Vorstellungen erweisen sich als  reproduktiver  Natur. Der Vorstellungsinhalt, der jetzt in mir auftaucht, richtiger: dieses sein gegenwärtiges Auftauchen in mir setzt das frühere Dasein eines Bewußtseinserlebnisses in mir, diesem realen Individuum, voraus, dem gegenüber jenes Auftauchen als eine Wiederholung oder eine Erneuerung erscheint. Jenes Bewußtseinserlebnis nun hat zwar ehemals in mir stattgefunden, ist aber in der Zwischenzeit verschwunden gewesen; und es ist auch in meinem Bewußtsein keine Spur mehr davon geblieben, denn eine Spur eines Bewußtseinserlebnisses, die nicht im  Bewußtsein  sich fände, also selbst ein Bewußtseinserlebnis wäre, das gibt keinen Sinn. Wohl aber müssen wir annehmen, daß eine Spur oder Nachwirkung von dem  Vorgang,  welcher dem ehemaligen Bewußtseinserlebnis oder seinem Dasein in meinem Bewußtsein zugrunde lag, in "mir" d. h. in meiner  Seele,  zurückgeblieben ist. So entsteht und der Begriff des  "Gedächtnisses". 

Und auch dies genügt nicht, um uns die Reproduktion verständlich zu machen. Diese setzt auch gleichzeitig eine solche Beziehung zwischen dem reproduktiven und dem reproduzierten Vorgang voraus, vermöge welcher jener diesen zu reproduzieren  vermag.  Diese Beziehung nun nennen wir  Assoziation.  Wie dieselbe aussieht, wissen wir nicht. Kein Wunder, da wir ja auch nicht wissen, wie jene  Vorgänge  aussehen. Wir kennen nur die zugehörige Erscheinung, und diese besteht in meinem unmittelbar  erlebten  Haben eines Bewußtseinsinhaltes, nachdem ich vorher einen anderen Bewußtseinsinhalt hatte.

Schließlich zwingt uns die unmittelbare Erfahrung auch zur Annahme, daß die psychischen Vorgänge nicht nur durcheinander beeinflußt, sondern zugleich von der Beschaffenheit des Individuums oder der Seele abhängig sind, so wie wir umgekehrt annehmen müssen, daß die psychischen Vorgänge vermöge der Spuren, die sie hinterlassen haben, die Beschaffenheit, den Charakter, den Habitus der individuellen Seele modifizieren.

Kurz, es entstehen, nachdem das individuelle Bewußtsein einmal gedacht ist, d. h. nachdem einmal das Bewußtsein überhaupt, von dem wir ursprünglich allein wissen, in viele geteilt oder vervielfältigt ist und diese Vielheit durch die Verteilung an viele Individuen denkbar geworden ist, alle die Begriffe, mit welchen die empirische Psychologie arbeitet. Sie alle gründen sich und müssen sich gründen auf die unmittelbare Erfahrung von den Inhalten und dem Fortgang des Bewußtseinslebens. Und ihre Statuierung ist nichts als eine "logische Konstruktion". Sie ist aber eben eine notwendige Konstruktion, sofern sie sich auf jenen ersten und notwendigen Gedanken, die Statuierung des  "Individuums",  gründet. Sie ist zugleich eine im einzelnen zutreffende Konstruktion, soweit sie in ihrem Ausbau den Tatsachen der unmittelbaren Erfahrung folgt.

Es verhält sich kurz gesagt auch in diesem Punkt mit der empirischen Psychologie oder der Psychologie des individuellen Bewußtseins genau so wie mit der Naturwissenschaft. Der Inhalt aller Begriffe, mit denen diese letztere Wissenschaft operiert, d. h. mit denen sie ihre Welt aufbaut, ist der Erfahrung transzendent. Und nirgends ist die Gesetzmäßigkeit, die sie statuiert, eine Gesetzmäßigkeit des in der Erfahrung unmittelbar Gegebenen, sondern sie ist Gesetzmäßigkeit von jenseits der unmittelbaren Erfahrung liegenden Gegenständen, nämlich von solchen, die von uns den in der Erfahrung unmittelbar gegebenen denkend "zugrunde gelegt" werden. Die Naturwissenschaft redet von Dingen. Nun diese Dinge sind, wie oben schon angedeutet, so wenig Erfahrungsgegenstände wie die Seele ein solcher ist. Und doch folgt alles naturwissenschaftliche Erkennen notwendig den Anweisungen der unmittelbaren Erfahrung.

Hiermit komme ich aber noch einmal zurück auf das "Zugrundelegen", von dem oben die Rede war. Im Vorstehenden ist, wie man sieht, in einem  neuen  Sinne von einem "Zugrundelegen" gesprochen, das die Naturwissenschaft übt. Oben wurde gesagt, dieselbe legt den "Erscheinungen", d. h. den sinnlichen  Bildern,  ein dinglich Reales zugrunde. Jetzt rede ich davon, daß sie den  Gegenständen,  die sie der unmittelbaren Erfahrung entnimmt, die  Dinge  zugrundelegt. Und  hiermit  vergleiche ich  jetzt  das Zugrundelegen, das die Psychologie übt, indem sie dem Bewußtseinswirklichen die Seele, dieses "Ding", und die seelischen Vorgänge zugrundelegt.

Daß ich dies tue, kann nicht verwundern. Ich wies oben auf das  Besondere  der "psychischen Erscheinung", oder auf das Besondere, das man wohl beachten muß, wenn man davon redet, daß wir den individuellen Bewußtseinserlebnissen ein dinglich Reales "zugrunde legen". Nun, dieses Besondere findet sein unmittelbares Analogon in einem physikalischen "Zugrundelegen", von dem wir jetzt reden. - Es ist nach dem Obigen selbstverständlich, daß diesem neuen physikalischen Begriff des "Zugrundelegens" ein neuer physikalischer Begriff der "Erscheinung" entspricht.

Reden wir aber hier etwas genauer: Die Naturwissenschaft, so sagte ich oben, geht aus von den sinnlichen Wahrnehmungsinhalten und denkt in ihnen Gegenstände oder denkt solche aus ihnen heraus. Das sind zunächst solche Gegenstände, die den Inhalten qualitativ durchaus entsprechen. Diese Gegenstände haben zugleich das Eigentümliche, unmittelbar als objektiv wirklich, d. h. als vom Bewußtsein unabhängig existierend, sich darzustellen. In diese Gegenstände aber, die wir kurz die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung nennen, das als wirklich gedachte Blau, Süß, räumlich Ausgedehnt, räumlich Nebeneinander, denkt die Naturwissenschaft nun einen nicht wahrgenommenen Gegenstand als Träger hinein oder legt ihm ein substantiell Wirkliches zugrunde, das  Ding.  Im Vergleich zu diesem sind dann die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung nicht mehr selbständige Gegenstände, sondern sie tragen den Namen von Eigenschaften. Und diese nennen wir auch wohl, mit einem neuen Sinn des Wortes "Erscheinung",  "Erscheinungen" des Dings. 

Hier haben wir also einen doppelten oder dreifachen Denkprozeß. Aus den sinnlichen Inhalten, allgemeiner gesagt, aus Bewußtseinserlebnissen werden die ihnen entsprechenden Gegenstände herausgedacht, aus dem Inhalt  Blau  etwa das "Blau selbst". Und dies wird als objektiv wirklich anerkannt. Und damit zugleich wird es zur Eigenschaft und zugleich zur "Erscheinungsweise" eines Dings.

Darin nun unterscheidet sich von der Naturwissenschaft die empirische Psychologie einerseits, und geht ihr doch andererseits wiederum parallel. Die Psychologie nimmt nicht aus sinnlichen Bewußtseinserlebnissen einen, in ihnen implizit liegenden Gegenstand heraus und erkennt diesen als wirklich an, sondern für sie sind die Bewußtseinserlebnisse selbst, und es sind zugleich für sie  alle  Bewußtseinserlebnisse, indem sie betrachtet werden, Gegenstand. Und sie sind für sie gleichfalls wirkliche, obwohl nicht objektiv wirkliche oder  dinglich reale,  Gegenstände; sie sind  "subjektiv wirkliche"  Gegenstände, d. h. eben wirkliche Bewußtseinserlebnisse. Und diesen legt nun die Psychologie, ebenso wie die Naturwissenschaft den objektiven Gegenständen der Wahrnehmung, ein  Ding  denkend zugrunde. Dieses Ding ist die Seele. Diese Seele verhält sich zu den betrachteten und als wirklich anerkannten, kurz den innerlich wahrgenommenen Bewußtseinserlebnissen, wie die Dinge der Naturwissenschaften zu den sinnlich wahrgenommenen Gegenständen.

Gehen wir aber noch einige Schritte weiter. Die Seele "hat" die Bewußtseinserlebnisse analog wie die Dinge die Eigenschaften "haben". Jene eigenen dem Individuum oder der Seele, sowie den Dingen der Naturwissenschaft das Sauer, Rot usw. eignet oder als "Eigenschaft" anhaftet. Dieses Eigenschaften haben nun ist das, oder die Eigenschaften selbst sind dasjenige, wodurch die Dinge, die ansich Abstrakta sind, d. h. nur in der abstrahierenden Apperzeption von den wahrgenommenen Gegenständen, denen sie "zugrunde gelegt" sind, loslösbar sind, ihre  Bestimmung  erfahren. Nun ebenso gewinnt die Seele, die ansich nicht minder ein Abstraktum ist, ihre näheren Bestimmungen durch das "Haben" bestimmter Bewußtseinsinhalte.

Und weiter: Indem die sinnlich wahrgenommenen Gegenstände für die Naturwissenschaft zu Eigenschaften werden, wird der  Wechsel  der sinnlich wahrgenommenen Gegenstände zum Wechsel von Eigenschaften eines Dings oder wird zur  "Veränderung" des Dings.  Man beachte dabei wohl: Die sinnlich wahrgenommenen Gegenstände "verändern" sich nicht, sondern sie "wechseln", und das was sich  verändert,  ist das  Ding,  und nur dieses.

Und ebenso  wechseln  nun auch die Bewußtseinserlebnisse in einem Bewußtsein. Aber darin  ändert  sich die  Seele  oder ihre Zuständlichkeit, nämlich ihre im Haben von Bewußtseinserlebnissen bestehende Bestimmtheit: Die Seele, die einen Empfindungsinhalt hatte, hat nachher einen anderen Empfindungsinhalt. Jenes Haben geht in dieses über. Dagegen hat es gar keinen Sinn zu sagen, daß  Bewußtseinserlebnisse  sich verändern; als könnte ein und dasselbe Bewußtseinserlebnis zu einer anderen Zeit anders beschaffen sein und doch eben dasselbe Bewußtseinserlebnis bleiben. Wohl aber liegt es in der Natur des  Dings,  also auch des  seelischen  Dings, daß es in allen seinen Veränderungen  dasselbe  bleibt. Es liegt eben im Begriff der "Veränderung" von etwas allemal die Identität des Etwas, das sich verändert. Man kann aber nicht ein Bewußtseinserlebnis sich verändern, d. h. seine Qualitäten wechseln und doch dasselbe Bewußtseinserlebnis bleiben lassen, ohne daß man damit das Bewußtseinserlebnis selbst zu einem Ding macht.

Und die Kausalbeziehungen, welche die Naturwissenschaften statuieren, sind Kausalbeziehungen - nicht zwischen den sinnlich wahrgenommenen Gegenständen als solchen, sondern zwischen Zuständlichkeiten oder Bestimmtheiten der  Dinge,  oder zwischen Dingen, denen und sofern ihnen diese Zuständlichkeiten oder Bestimmtheiten anhaften. Sie sind nicht Beziehungen zwischen Farben oder zwischen räumlichen Relationen und räumlichen Größen. Jene Beziehungen zwischen Farben, z. B. daß zwischen je zwei Farben eine unendliche Menge von Zwischenfarben in der Mitte liegt, festzustellen, ist Sache der "Farbengeometrie". Die Feststellung der Beziehung zwischen räumlichen Relationen und Größen obliegt ebenso der Geometrie des Raumes. Alle diese Beziehungen aber sind nicht Kausalbeziehungen, sondern diese stehen jenen als etwas vollkommen anders Geartetes gegenüber. Soweit dagegen Kausalbeziehungen Beziehungen zwischen Farben sind, sind sie  nicht  Beziehungen zwischen den Farben, sondern Beziehungen zwischen den da und dort in der Welt der  Dinge vorhandenen  Farben; soweit sie Beziehungen zwischen Raumbestimmtheiten sind, sind sie ebenso Beziehungen zwischen da und dort in der materiellen  Welt vorkommenden  Raumbestimmungen. Sie sind Beziehungen zwischen Farben bzw. räumlichen Relationen, Größen, sofern dieselben  Dingen anhaften;  oder was dasselbe sagt, sie sind Beziehungen zwischen  Dingen,  die, und sofern sie durch dergleichen näher  bestimmt  sind oder dergleichen als nähere Bestimmung an sich tragen. Die  Dinge  und sie  allein "wirken",  und wirken auf  Dinge.  Sie wirken als diese so  bestimmten  Dinge, und wirken Bestimmtheiten in oder an den  Dingen. 

Und nicht anders nun steht es wiederum mit den psychischen Kausalbeziehungen. Reize wirken auf oder in der Seele, diesem  Ding,  und bewirken Zuständlichkeiten der  Seele,  insbesondere solche, die wir als ihr reales Haben eines Empfindungs- oder Vorstellungsinhaltes bezeichnen. Man beachte hier noch ausdrücklich, nicht  Bewußtseinsinhalte  werden durch Reize bewirkt, als bewirke ein bestimmter Reiz einen bestimmten Bewußtseinsinhalt  irgendwo  oder  nirgendwo  in der Welt; sondern nur dies wird durch einen Reiz bewirkt, daß ein bestimmtes  Individuum  einen bestimmten Bewußtseinsinhalt  hat.  Es wird diese reale Bestimmtheit des realen Etwas, "Auftreten" eines Empfindungsinhaltes in einem  Individuum  genannt, durch sie bewirkt. Es wird mit anderen Worten diese  Veränderung  in einem  Individuum,  also diesem  Bestandteil der dinglich realen Welt,  durch den Reiz ins Dasein gerufen. Und nicht  Bewußtseinserlebnisse  rufen andere ebensolche ins Dasein oder verursachen sie. Es gibt keine Kausalbeziehungen zwischen einem Empfindungsinhalt oder Denkakt und einem Gefühl. Denn dies würde heißen, daß das Dasein eines Empfindungsinhaltes oder Denkaktes  überhaupt  das Dasein eines bestimmten Gefühles  überhaupt  nach sich zieht. Dergleichen aber behauptet die Psychologie niemals und nirgends. Sondern nur das  Dasein  eines Empfindungsinhaltes und eines Denkaktes in einem  Individuum  kann das  Dasein  eines bestimmten Gefühls  in eben diesem Individuum  nach sich ziehen oder verursachen. Das heißt, daß ein Individuum einen Empfindungsinhalt  hat,  oder einen bestimmten Denkakt  vollzieht,  dieses reale Geschehen an einer bestimmten Stelle der dinglich realen Welt, dieser seelische  Vorgang,  ist Ursache für das Eintreten oder Auftreten eines Gefühls und zwar wiederum in  eben diesem  Individuum, oder ist Ursache für die Bestimmtheit des Individuums, die wir damit bezeichnen, daß wir sagen,  dieses Individuum  "habe" ein Gefühl, daß aber ein Individuum ein Gefühl "hat", diese Tatsache  ist  nicht "das Gefühl". Und demgemäß darf auch, wenn das Dasein eines Gefühles in einem Individuum  verursacht  ist, dies nicht so ausgedrückt werden, das Gefühl werde verursacht. Es läge darin nichts anderes, als eine Verwechslung von Tatsachen, die einander absolut fremd sind.

Man braucht hier nur zu beachten, daß es doch etwas anderes ist, eine vollkommen andere Tatsache,  ob dieses  oder  jenes  Individuum ein Gefühl hat. Indem aber zuerst dieses, dann jenes Individuum ein Gefühl hat, wird doch das  Gefühl  selbst, dieses Bewußtseinserlebnis,  nicht  ein anderes. Sondern es  geschieht  nur etwas anderes oder es geschieht etwas an einer anderen  Stelle  der dinglich realen  Welt,  von welcher die Individuen einen  Teil  ausmachen. Es müßte, so scheint mir, das Achten auf diesen Sachverhalt für sich allein genügen, um zu zeigen, worum es sich in der empirischen Psychologie handelt und nicht handelt. Und das ist eben dies, daß, allgemein gesagt, von dieser Psychologie nicht Bewußtseinserlebnisse erklärt, d. h. in Kausalbeziehungen mit anderen Bewußtseinserlebnissen gesetzt werden.

Gewiß gibt es auch Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Bewußtseinserlebnissen als solchen. Eine solche ist etwa die logische Beziehung zwischen den Prämissen eines Schlusses und dem Schlußsatz. Diese Beziehung hat in der Tat nichts zu tun mit Vorgängen in einem Individuum. Sie ist nicht eine Beziehung zwischen dem Stattfinden der Prämisse in einem Individuum und dem Vollzug des Schlußsatzes durch dasselbe Individuum. Aber um dergleichen handelt es sich ja eben in der empirischen Psychologie  nicht.  Die erwähnte Abhängigkeitsbeziehung ist Sache der Logik, allgemeiner gesagt, der Wissenschaft vom Bewußtsein. Diese Abhängigkeitsbeziehung steht in Analogie mit derjenigen, die zwischen Raumbestimmungen obwalten, also mit denen, die die Geometrie feststellt. Von diesen war vorhin die Rede. Und es wurde darauf hingewiesen, daß sich dieselben von Kausalbeziehungen durchaus unterscheiden. Nun genau ebenso haben jene logischen Beziehungen mit Kausalbeziehungen nichts zu tun.

So verhält es sich aber eben darum, weil sie Beziehungen zwischen Bewußtseinserlebnissen sind, nicht zwischen dem ihnen zugrunde gelegten Realen. Die von der Geometrie festgesetzten Beziehungen zwischen räumlichen Relationen und Größen sind keine Raumbestimmungen an Dingen, sondern betreffen den Raum ansich oder als solchen. Darum ist ihre Feststellung nicht Sache der Physik. Nun genau so haben Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Bewußtseinserlebnissen als solchen nichts zu tun mit Individuen und dem Vorkommen in solchen. Darum ist ihre Feststellung nicht Sache der empirischen Psychologie. Sondern diese hat es einzig und allein mit Abhängigkeitsbeziehungen zwischen dem  Vorkommen  von Bewußtseinserlebnissen in  Individuen  zu tun; so wie die Physik es zu tun hat mit Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Raumbestimmungen in der Welt der  materiellen Dinge

Der hier bezeichnete Gegensatz ist von der äußersten Wichtigkeit, und es ist sonderbar, daß er immer wiederum verkannt wird. Niemand verwechselt die geometrischen Abhängigkeitsbeziehungen mit den physikalischen. So sollte auch niemand die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Bewußtseinserlebnissen identifizieren mit denjenigen, welche die empirische Psychologie statuiert. So wenig die Geometrie Physik ist, so wenig ist eben die empirische Psychologie Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit zwischen Bewußtseinserlebnissen oder von der Gesetzmäßigkeit, die das Bewußtsein als solches beherrscht. Sondern wie die Physik uns in eine ganz andere Welt führt, als die Welt der Geometrie, nämlich in die Welt des physisch Realen, das nicht der Raum ist, sondern Raumbestimmungen  ansich trägt,  so führt uns die empirische Psychologie in eine völlig andere Welt, als die Welt des Bewußtseins, nämlich in die Welt des Individuums, das nicht Bewußtsein  ist,  sondern ein solches  hat. 

So gewiß aber dieses Individuum nicht Bewußtsein ist, sondern ein solches hat, also selbst etwas vom Bewußtsein verschiedenes ist, ein Ort in der dinglich realen, d. h. vom Bewußtsein unabhängigen Welt, so gewiß sind alle Bestimmtheiten dieses Individuums, es ist also dies, daß ein Individuum dieses oder jenes Bewußtsein, oder bestimmter gesagt, diese oder jene Bewußtseinserlebnisse hat, nicht ein Bewußtseinserlebnis, sondern eben eine Bestimmtheit dieses dinglich realen Etwas oder eine Bestimmtheit dieser Stelle der dinglich realen Welt.

Und in dem die Psychologie diese realen Vorkommnisse kausal verknüpft, verknüpft sie eben diese  Vorkommnisse,  und nicht Bewußtseinserlebnisse.

Dazu füge ich endlich noch Folgendes: Indem die Naturwissenschaft die Bestimmungen der Dinge, zu welchen die sinnlich wahrgenommenen Gegenstände für uns geworden sind und für unser Denken jederzeit werden, dem Kausalgesetz unterwirft, denkt sie dieselben dem Kausalgesetz gemäß, und denkt sie, so weit dies das Kausalgesetz fordert,  um.  Zunächst sind, wie gesagt, die sinnlich wahrgenommenen Gegenstände den Wahrnehmungsinhalten, aus denen sie herausgedacht sind, qualitativ gleich gedacht. Das Kausalgesetz fordert aber zum Beispiel, daß der Ton in Schallwellen umgedacht wird. Das heißt aber nicht, daß der Gehörsempfindungsinhalt, "Ton" genannt, als ein anderer gedacht wird als er ist, sondern der wirkliche und vom Dasein des Inhaltes unabhängige Gegenstand, der als wirklicher zugleich eine Bestimmtheit eines  Dings  ist, wird in einer solchen Weise umgedacht. Das  Tönen  des  Dings  wird umgedacht in eine Folge von  Bewegungen  des  Dings.  Ebenso die Farbe in Bewegungen der hypothetischen Substanz, die den Namen  Äther  trägt. Jetzt ist der  Inhalt  für den Physiker zum  bloßen  Inhalt oder zur bloßen "Erscheinung" geworden. Nicht zur Erscheinung ohne ein Erscheinendes, aber ohne ein solches, das ihm gleichartig wäre. Er ist jetzt die "Erscheinung" dieses mit ihm qualitativ vollkommen  Unvergleichbaren. 

Ein solches  Umdenken  findet nun auf dem Gebiet der empirischen Psychologie nicht statt, da hier die Bewußtseinserlebnisse dasjenige sind, was den in den sinnlichen Wahrnehmungen gedachten und für wirklich angesehenen Gegenständen auf der psychischen Seite entspricht. Aber auch hier müssen die Bestimmtheiten der Seele, indem sie dem Kausalgesetz unterworfen werden, so gedacht werden, wie es eben das Kausalgesetz fordert.



Hier komme ich noch einmal auf den Begriff des "psychischen Vorgangs" zurück. Ich sagte schon oben, die Reize, welche die Bestimmtheiten eines Individuums,  Haben  von Empfindungsinhalten genannt, ins Dasein rufen oder verursachen, seien Vorgänge. Aber ich betone hier noch besonders diesen Umstand. Und ich füge ausdrücklich hinzu: Vorgänge überhaupt sind nicht Zustände, sondern eben Vorgänge, d. h. sie sind stetig  wechselnde  oder ineinander  übergehende  Zuständlichkeiten. Und die Reizvorgänge dürfen wir vielleicht genauer bezeichnen als irgendeine Art von Atombewegungen.

Ein solcher Vorgang nun kann wiederum nur einen  Vorgang,  d. h. einen Wechsel von Zuständlichkeiten bedingen. Dagegen könnte eine dauernde Zuständlichkeit nur wiederum durch eine dauernde Zuständlichkeit bedingt oder verursacht sein. Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Das heißt unter anderem, daß ein in der Zeit gleichmäßig weiter dauernde Wirkung - und ein in der Zeit dauernder Zustand, den ein Reiz bewirkte, wäre eine solche dauernde Wirkung - eine in der Zeit ebenso gleichmäßig dauernde Ursache vorausgesetzt. Sind also die Reize, die wir als Ursache einer Empfindung in einem Individuum ansehen, nicht Zustände, sondern Vorgänge, d. h. ein Wechsel von Zuständlichkeiten, dann muß die Wirkung derselben, d. h. die Empfindung, oder genauer die durch den Reiz hervorgebrachte Bestimmtheit des realen Individuums, die wir damit bezeichnen, daß wir sagen, das  Individuum  "habe"' jetzt eine Empfindung, gleichfalls in einem  Vorgang  bestehen. Anders gesagt, das  Geschehen,  in welchem der Reiz besteht, ruft im Individuum ein  Geschehen  ins Dasein. Dieses Geschehen mag man immerhin als einen "Erregungs zustand"  der Seele bezeichnen. Dann liegt doch im Wort Erregung wieder dasjenige, was das Wort "Vorgang" bezeichnet, d. h. das Geschehen, der Wechsel, oder das Ineinanderübergehen von Zuständlichkeiten. Einen solchen Vorgang nun nenne ich in unserem Fall, d. h. ich nenne den Vorgang, der darin besteht, daß ein Individuum einen  Empfindungsinhalt  hat; ich nenne diese Bestimmtheit des Realen, Individuum genannt, wie schon gesagt, einen  Empfindungsvorgang.  Diesem müssen wir dann den "Vorstellungsvorgang" entsprechend denken.

Und diese Vorgänge nun sind es und nicht die Bewußtseinsinhalte, welche die empirische Psychologie zueinander in eine kausale Beziehung setzt. Diese Vorgänge sind als Bestimmtheiten des dem Bewußtsein jenseitigen Realen, der Seele, oder des Individuums,  selbst  dem Bewußtsein einseitig. Das heißt nichts anderes, als daß sie nicht Bewußseinserlebnisse sind.

Und wenn man nun will, so kann man dies auch so ausdrücken, daß man sie  unbewußte Vorgänge  nennt. Dies sind sie in der Tat genau in dem Sinne, in welchem auch die Ätherwellen, die wir dem Bewußtseinserlebnis  Licht  genannt, oder die Bewegungen der kleinsten Teile eines Körpers, die wir dem Bewußtseinserlebnis  Wärme  genannt, zugrunde legen, unbewußte sind. Das "Unbewußt" heißt in beiden Fällen nicht, daß wir von diesem "Unbewußten" nichts wissen, sondern es heißt nur, daß es nicht ein  Bewußtseinserlebnis  ist, sondern etwas, das einem Bewußtseinserlebnis  zugrunde  liegt.

Bleiben wir aber beim Ausdruck "unbewußt". Dann muß aufs eindringlichste erklärt werden: Die Frage, ob die empirische Psychologie mit dem Unbewußten operieren, oder ob sie dasselbe in die Reihe der psychischen Ursachen oder Bedingungen  einführen  darf, ist falsch gestellt. Diese Frage ist genauso widersinnig, wie die Frage, ob die Naturwissenschaft mit Körpern und Bewegungen von solchen, die ebensowohl unbewußt, d. h. nicht Bewußtseinserlebnisse sind - operieren darf. Nicht um ein "Operieren" mit dem Unbewußten, das neben einem Operieren mit Bewußtseinserlebnissen stattfände, handelt es sich in der empirischen Psychologie; so wenig wie in der Physik. Sondern jene hat es, sofern sie erklärt, oder Tatsachen in kausale Beziehungen setzt, genauso wie diese,  überhaupt  nur mit  Unbewußtem  zu tun. Mag die empirische Psychologie reden von Empfindungen, Vorstellungen, von Denkakten oder Akten des Urteilens, des Schließens, des Überlegens, von Gefühlen oder Willensakten, immer meint sie damit, mag sie sich nun darüber Rechenschaft geben oder nicht, nicht die Bewußtseinserlebnisse, welche diese Namen tragen, sondern das ihnen zugrunde liegende reale Psychische; genauso wie die Physik, wenn sie von Farben und Tönen redet, nicht die Bewußtseinserlebnisse oder die akustischen oder optischen Bilder meint, die diese Namen tragen. Sondern sie meint, sofern sie in der Tat empirische Psychologie oder Psychologie des individuellen Bewußtseins, und kausal erklärende, nicht etwa bloß beschreibende Psychologie ist, mit jenen Namen unweigerlich die dem Bewußtsein transzendente Bestimmtheit des Individuums oder der Seele, die sie jenen Bewußtseinserlebnissen  zugrunde  legt. Sie meint also damit  "Unbewußtes".  Sie meint die ansich unbekannte Bestimmtheit dieses ansich unbekannten Realen, Individuum oder Seele genannt, die darin besteht, daß einem Individuum unbegreiflicherweise jene Bewußtseinserlebnisse  anhaften,  daß sie  seine  Erlebnisse sind,  in  ihm stattfinden oder  vorkommen;  so wie die Naturwissenschaft mit ihren "Farben" und "Tönen" die Bestimmtheiten von Dingen oder die Veränderungen an Dingen meint, die im individuellen Bewußtsein sich in den  Bildern  der Farben und Töne  spiegeln.  Für die Naturwissenschaft sind diese Bilder, wie schon gesagt, Zeichen des dem Bewußtsein Jenseitigen, das sie als Farben und Töne bezeichnet. So sind auch für die empirische Psychologie die Bewußtseinserlebnisse Zeichen der Zuständlichkeiten oder des Geschehens, kurz der Bestimmtheiten des realen Individuums, die sie dann  gleichfalls  mit denselben  Namen  bezeichnet wie die Bewußtseinserlebnisse, d. h. als Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle usw.
LITERATUR - Theodor Lipps, Inhalt und Gegenstand, Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen u. d. historischen Klasse der Königlich-Bayerischen Akdademie der Wissenschaften zu München, Jahrgang 1905, [vorgelegt am 4. Juli 1903] München 1906