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KARL LUDWIG MICHELET
Der subjektive Idealismus
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"Ebenso [wie der Kausalitätsbegriff] sollen unsere allgemeinen Begriffe über Recht, Moralität usw. bloße Gewohnheiten sein, wie sie dann auch bei jedem Individuum, Stand und Volk nach Verschiedenheit der Sitten sich anders gestalten. Was endlich auf metaphysischem Weg über Unsterblichkeit, Gott usw. festgesetzt wird, entbehrt gleichfalls eines eigentlichen Grundes, weil alle Schlüsse, womit man beweisen will, immer nur mit subjektiven Begriffen gebildet werden können."

"Selbst Voltaire, so viel auch Bestehendes durch die mächtige Art seines Witzes gefallen war, will es mit Gott, als dem höchsten Wesen, doch nicht verderben."

3. Doch ehe die Darstellung des kantischen Systems begonnen werden kann, muß eine Schilderung des Zustandes der Philosophie gegeben werden, als die Kritik der reinen Vernunft erschien, um aus demselben die Notwendigkeit des kantischen Standpunktes und den Wert seiner Philosophie beurteilen zu können. Ich erlaube mir, zum besseren Verständnis jenes Zustandes, höher hinaufzusteigen, und vorerst die Hauptmomente der Geschichte der Philosophie kurz zusammenzufassen.

Das große Problem aller Philosophie kann so ausgedrückt werden, daß das Verhältnis, welches zwischen Sein und Denken stattfindet, angegeben werden soll. Jede wahrhafte Philosophie löst dieses Problem so, daß dieselbe beide auf eine gemeinsame Wurzel zurückführt, in der sie Eins sind. Diese Wurzel ist die absolute Idee, der göttliche Gedanke, welcher ebenso ewiges, unveränderliches Sein, und zwar alles Sein ist. Denn da das Wort Gottes seine Tat und seine Werke seine Gedanken sind, so ist Sein und Denken in ihm identisch. "Gott sprach: es werde Licht; und es ward Licht." Nur für den unphilosophischen Gesichtspunkt des endlichen Räsonnements [Arguments - wp] fallen Sein und Denken auseinander. Und der Philosophie bleibt es aufgegeben, das endliche Bewußtsein aus diesem Standpunkt der Trennung zu befreien, und den Gesichtspunkt der göttlichen Idee zu gewinnen.

A. Werfen wir nun, wie es in einer Übersichter nicht anders geht, einen flüchtigen Blick auf die verschiedenen Weisen, wie die Philosophie von jeher diese Aufgabe gelöst hat: so besteht zunächst das Eigentümliche der griechischen Philosophie darin, daß sie Sein und Denken noch gar nicht in dieser Schärfe trennt, wie die moderne Welt.

a) In naiver Einfachheit dem Urquell göttlicher Schöpferkraft näher, geht Griechenland von der unmittelbaren Einheit des Seins und Denkens aus, und setzt dieselbe voraus, ohne sie erst begreifen, noch hervorbringen zu wollen. So singt PARMENIDES: Es gibt nichts als das Sein, alle Dinge sind das Sein, das Sein selbst aber ist das Denken. PLATO erkennt als das wahrhaft Seiende nichts Anderes an, als das System der göttlichen Ideen, oder ewigen geistigen Urbilder der Dinge. ARISTOTELES endlich spricht es aus, daß das Denken durch seine Berührung das Sein oder das Gedachte selber zum Denken macht, und somit Denken des Denkens ist. Denn der Gedanke ist das die Wesenheit in sich Befassende. Diese reine Energie des Denkens, als die ewige Tatkraft Gottes, ist das Prinzip, woran der Himmel hängt und die ganze Natur.

b) Die Alten glaubten also durch das Denken unmittelbar des wahrhaft Seienden habhaft zu werden. Der Skeptizismus und die neuere Akademie, verleitet durch die einseitigen Richtungen der stoischen und epikureischen Schule in einer ferneren Wendung der griechischen Philosophie, leugneten freilich die Wahrheit und Gewißheit der Apperzeption. Doch statuierten auch sie darum noch nicht einen Gegensatz von Sein und Denken, sondern ihr Denken, welches die Erkenntnis aufgehoben hat, vernichtete auch das Objekt derselben; und sie konnten eben aus diesem Grund Sein und Denken gar nicht einander gegenüberstellen, sondern identifizierten beides selbst wieder auf ihre Weise, weil alles Sein sich ihnen zu einem bloßen Schein des Bewußtseins verflüchtigt hatte.

c) Die Neuplatoniker, die letzte griechische Schule, belehrt durch den Skeptizismus des SEXTUS EMPIRICUS, zogen sich zwar auch aus der objektiven Welt zurück, bauten aber, als die allein seiende, eine Idealwelt auf, auch wenn diese nur subjektive Gewißheit hatte, mit der objektiven Welt versöhnt zu sein, ohne daß diese Versöhnung wahrhaft realisiert worden wäre. Dazu hätte gehört, daß sich beide Seiten auch in einen bewußten Gegensatz und Kampf einlassen. Dieser ungeheuerste Widerspruch fällt aber außerhalb der Grenzen der griechischen Weltanschauung. Mit ihm beginnt die christliche Welt, umd durch dessen Überwindung erst zum bewußten Ausgleich der Gegensätze zu gelangen.

B. Dies erklärt die Notwendigkeit des Standpunktes der Philosophie des Mittelalters. Indem das Mittelalter nicht nur mit jenem Gegensatz beginnt, sondern auch bestimmt ist, in demselben zu verharren: so blieb der Glaube und das Dogma ein äußerlich Gegebens, dem der vorhandene Zustand der Welt noch nicht entsprochen hat. Zugleich ist die christliche Religion alle Wahrheit, bestimmt, den Weltzustand gänzlich zu durchdringen und umzugestalten. Da also das Dogma, als dieses an und für sich Feste, noch nicht im irdischen Leben des Volkes verwirklicht war, so mußte der Glaube oder die Gewißheit der Geisterwelt als ein durchaus Jenseitiges erscheinen, das nur im Denken der Menschen ein Dasein hat: Auf diese geistige Existenz wurde jedes Individuum verwiesen, in ihr sollte es der absoluten Wahrheit und Seligkeit teilhaftig werden, wenn es diesem verderbten Reich der Zeitlichkeit entrückt worden wäre. Denn die wirkliche Welt, der politische Zustand der Völker, welcher, als das Diesseits, das dem Denken gegenüberstehende Sein ausmacht, wurde verachtet und zurückgesetzt, und mußte es sein, weil es in der Tat verderbt und barbarisch war.

Hieraus folgt für die Philosophie des Mittelalters, daß dieselbe, behaftet mit jenem Grundgegensatz, überhaupt nur eine untergeordnete Stellung einnehmen konnte. Denn da in der Philosophie dieser Gegensatz des Diesseits und Jenseits, von welchem die Religion ausgeht, an und für sich und a priori gelöst sein soll, im Mittelalter jedoch der Hauptsache nach ein unaufgelöster geblieben ist: so konnte die Philosophie in der Tat nur als die Magd der Theologie erscheinen. So taten die christlichen Kirchenväter nichts Anderes, als den Inhalt der neuplatonischen Philosophie für die neue Lehre zu verarbeiten. So drehte sich Jahrhunderte lang das Hauptinteresse der scholastischen Philosophie, als der eigentlichen Philosophie des Mittelalter, um den Gegensatz, der in der Frage enthalten war, ob das vereinzelte sinnliche Sein der Dinge ihre wahre Wesenheit, oder ob nicht vielmehr ihr allgemeiner Begriff dieselbe ist. Die Nominalisten, welche jenes behaupteten, gehen ebensosehr vom unversöhnten Gegensatz des Seins und Denkens aus, wie die Realisten, welche die andere Ansicht verfechten. Denn sonst hätten beide in der sinnlichen Einzelheit die wahrhafte Realisierung des allgemeinen Begriffs entdecken müssen. Selbst bei dem mittelalterlichen Versuch, Gedanken und Sein aufeinander zu beziehen und zu verknüpfen, bei ANSELMUS ontologischen Beweis vom Dasein Gottes, liegt immer noch der Gegensatz zugrunde. Wenn nämlich der Nerv des Beweises darin liegt, daß im Begriff des vollkommensten Wesens auch das Sein enthalten ist: so ist diese Einheit von Begriff und Sein, eben weil sie auf der unbewiesenen Vorstellung der Vollkommenheit beruth, bloß eine vorausgesetzte, die sich zunächst nur im denkenden Subjekt befindet, ohne daß ANSELMUS aufgezeigt hätte, wodurch nun diese Entgegensetzung des subjektiven Denkens und der objektiven Existenz ihrerseits aufgehoben wird. Gott war also zwar auch von den Scholastikern als die Einheit beider Seiten angesehen, aber nicht erkannt und begriffen als sie wirklich verknüpfend.

Diesen unversöhnten, durch das Mittelalter zum philosophischen Bewußtsein gebrachten Gegensatz empfing die neuere Philosophie von den Scholastikern herüber, und mußte ihn somit zum Ausgangspunkt ihrer Entwicklung machen. Da ferner dem Glauben, als der unbegriffenen Einheit von Sein und Denken, sich das Erkennen des Gegensatzes gegenüberstellte, so gestaltete sich dieser Kampf näher als der des Glaubens und der Vernunft. Zwischen das Mittelalter und die neuere Philosophie stellt sich daher eine Periode der Gährung und des Kampfes, wo die Vernunft, sich befreiend aus den Fesseln des Glaubens, diesen untergraben und vernichten will: wo dann zugleich oft auf die Philosophie des Altertums zurückgegangen wurde, weil in ihnen die Vernunft sich einem Glauben noch gar nicht zu unterwerfen hatte, und, dem stolzen Flug ihrer Fittiche allein vertrauend, der Wahrheit mit gänzlicher Unabhängigkeit nachforschen durfte: wo endlich das Gebiet des Glaubens nicht das allein angebaute bleibt, sondern der Mensch, sich an die wirkliche Welt wendend, auch in dieser, der Natur und dem menschlichen Geist, die ewigen Prinzipien der Wahrheit auffinden will.

C. Mit diesem Wiederaufblühen aller Wissenschaften, mit dieser Wiedererweckung des Altertums, mit diesem Protestieren gegen den Glaubenszwang, mit diesem Behaupten der Gedankenfreiheit hebt die neuere Philosophie der drei letzten Jahrhunderte an. Sie ist nicht unbefangen und naiv, wie das Altertum, noch unterwürfig und zaghaft, wie die Scholastik. Sie muß, mit dieser anerkennend, daß der vollständige Inhalt der Wahrheit im christlichen Glaubenssystem gegeben ist, zugleich unabhängig von einem solchen Gegebensein, mit unumschränkter Freiheit des Gedankens, wie das Altertum, die Wahrheit aus sich selber gebären. Sie hat die Zuversicht, daß beide Formen der Wahrheit, die religiöse und die philosophische, Ausdrücke ein und desselben Inhalts sind. Ihre Aufgabe ist aber, diese Identität erst hervorzubringen und zu zeigen, daß die intellektuelle Welt nicht ein bloßes Jenseits ist, sondern der Kern und absolute Inhalt der wirklichen Welt. Und während der Glaube die Einheit von Sein und Denken nur ahnen konnte, ist die Vernunft jetzt berufen, ihre gänzliche Durchdringung zu erhärten.

Die neuere Philosophie geht sonach von dem doppelten Gegensatz, des Denkens und Seins, und des Glaubens und der Vernunft aus: und hat die Aufgabe, die doppelte Versöhnung dieser Gegensätze zu vollbringen. Der Zwiespalt, in welchem Sein und Denken sich hier noch befinden, scheint allein so gehoben werden zu können, daß man entweder mit dem Denken oder mit dem Sein beginnt, um dann von jeder Seite aus zu der anderen zu gelangen. Den ersten Weg nimmt die moderne Metaphysik von CARTESIUS bis WOLFF, den zweiten der Empirismus von BACON und LOCKE bis herunter zum französischen Materialismus. Diese beiden Richtungen bilden die zwei ersten Hauptmomente in der Geschichte der neueren Philosophie. Jede derselben verkennt aber, daß, wenn man einmal mit der einen Seite des Gegensatzes als einer festen anfängt, dieselbe von der anderen durch eine unendliche Kluft geschieden bleibt, welche auszufüllen kein philosophisches System vermögend ist. Der Gegensatz wird unüberwindlich, weil man ihn durch die eigene Annahme und Methode als einen festen voraussetzt. Jene metaphysischen und empirischen Richtungen sind also wiederum einseitig, und eine gegenwärtige Darstellung der dritten Periode der neueren Philosophie hat nur zu entwickeln, wie diese letzten Systeme sich von jener Einseitigkeit frei halten, und ungeachtet des Bewußtseins des Gegensatzes von Sein und Denken ebenso auch absolut und a priori mit ihrer Identität beginnen. Lebendige und wahrhafte Identität ist aber allein eine solche, welche den Gegensatz nicht bloß verschwinden läßt, sondern auch in sich aufnimmt, und innerhalb ihrer selbst sich mit ihm vermittelt. Um diesen Grundcharakter der neuesten Systeme der Philosophie zu erfassen, muß nun noch mit wenigen Worten der Gang der Philosophie in den beiden ersten Perioden der neueren Philosophie angegeben werden.

a) Die Metaphysik, vom Denken ausgehend, hatte damit eigentlich schon den ungeheuren Vorteil über den vom endlichen, sinnlichen Sein anfangenden Empirismus, daß das Denken selber das unendliche Prinzip ist, welches als solches eben schon die Identität der Gegensätze in sich schließen muß. Gott ist der höchste Gedanken, der allen Seins. Auf diese Weise würde die Metaphysik aber gar nicht mit dem Gegensatz, und der einen Seite beginnen, sondern sich im Mittelpunkt der Wahrheit befinden. Das Denken, welches dieser Metaphysik zugrunde lag, war daher nicht das göttliche Denken, d. h. der objektive Gedanke oder die intellektuelle Welt als alle Wirklichkeit. Diesen Gedanken, anvertraut dem Reich des Glaubens und einer höheren Ordnung der Dinge, ließ die Metaphysik zunächst unberührt, wie unangetastet. Die Metaphysik nahm das Denken bloß in einem endlichen, subjektiven Sinn, in welchem das gemeine Bewußtsein überhaupt es zu nehmen die Gewohnheit hat. Dieses nur im Kopf des Menschen energierende Denken findet allerdings seine Schranke und seinen Gegensatz an den Dingen der sogenannten Außenwelt. Und dennoch wollte die Metaphysik mit einem solchen Denken diese Schranke überfliegen.

Zum Unterschied vom objektiven, an und für sich seienden Denken, oder der Vernunft, ist seit KANT dieses subjektive Denken der Verstand genannt worden. In ihm kommt, um mit FICHTE (4) zu reden, das Denken zum Stehen, so daß es als subjektiv einer ebenso festen objektiven Welt gegenübertritt. Die Vernunft ist dagegen, als Auflösung dieser Schranke, das Vernehmen der objektiven Welt, das Aufnehmen derselben in den Gedanken, und die innige Durchdringung beider. Indem nun die Metaphysik mit ihrem endlichen Verstand die Aufgabe der Vernunft lösen zu können vermeinte, verfiel sie vielmehr in einen noch tieferen Widerspruch, als der war, worin das Mittelalter befangen geblieben ist. Denn auch in der Philosophie jener Zeit herrschte zwar der Verstand; der scholastische Verstand wollte aber gar nicht vollbringen, was der sich selbst überlassene Verstand nicht zu vollbringen vermag. Der Verstand der Scholastik ordnete sich freiwillig dem Glauben unter, und strebte nur, sich in völlige Übereinstimmung mit ihm zu setzen. Die Metaphysik aber fügte zum Gegensatz von Denken und Sein, wie jene Epoche der Gärung, noch den des Glaubens und Verstandes hinzu. Denn so müssen wir jetzt die Glieder dieses Gegensatzes nennen, wogegen die Vernunft, als das versöhnende Denken, jenen Gegensatz nicht bestehen läßt.

Die Hauptrichtungen, wie die Metaphysik ihre unvollkommene und bloß subjektive Lösung des Problems zustande bringt, werden durch die Namen CARTESIUS, SPINOZA, LEIBNIZ und WOLFF repräsentiert. CARTESIUS, der Gründer der neueren Metaphysik, stellte die Identität von Sein und Denken sogleich als Verstandessatz an die Spitze seiner Philosophie: "Cogito, ergo sum." Aus dem Denken fließt das Sein als eine notwendige Folge, und zwar unmittelbar, ohne daß es der weiteren Vermittlung eines Schlusses bedarf. Dabei läßt diese subjektiv-idealistische Versicherung das Gebiet des Glaubens noch ganz außerhalb ihrer metaphysischen Versuche bestehen.

SPINOZAs System, welches SCHELLING (5) den "Realismus in seiner erhabensten Gestalt" nennt, nahm ferner das bloße Versichern der cartesianischen Philosophie ernsthaft, indem es dieselbe mit spekulativer Konsequenz durchführte. Dadurch gelangte SPINOZA zwar einerseits zum vollständigsten Zusammenfallen von Sein und Denken; sein spekulatives Resultat blieb jedoch immer noch mit dem Gegensatz behaftet, in Form des Verstandes dargestellt zu sein. Daher zwängte er auch seine Philosophie in die Verstandesmethode der Mathematik ein, und die lebendige philosophische Wahrheit sank zu einem toten Resultat herab, weil sie bloß eine unbewiesene Voraussetzung war. So stellte er folgende Sätze als bloße Definitionen hin: es ist nur ein Sein, dieses aber die ewige, unveränderliche Substanz aller Dinge. Jede Veränderung, Besonderung und Mannigfaltigkeit ist nur einer der unendlich vielen Modi dieses einen Wesens, welches sich dem menschlichen Verstand zwar notwendig unter zwei Formen oder Attributen darstellt, dem Denken und dem Sein (Ausdehnung), in der Tat aber darum nicht aufhört, ein Einiges zu sein. So hatte der spinozistische Verstand die Keckheit, ohne Weiteres zu behaupten, daß die Ordnung und die Reihe der Ideen mit der Ordnung und der Reihe der Dinge genau zusammenfällt, und Gott in untrennbarer Einheit sowohl eine denkende, wie eine ausgedehnte Sache ist. Wenn wir sagen, der menschliche Geist perzipiert etwas, so heißt dies (nach SPINOZA) nichts Anderes, als daß Gott, sofern er durch die Idee des menschlichen Geistes expliziert wird, diese oder jene Idee hat. Der menschliche Geist ist also ein Teil des unendlichen Verstandes Gottes; und die intellektuelle Liebe des Geistes zu Gott ist selber die Liebe Gottes, womit er sich selbst liebt.

Zwei Dinge an dieser Philosophie empörten die Gemüter der Mitwelt im Innersten, und zwar mit Recht. Indem der Verstand nämlich nicht mehr, wie bei seinem ersten Auftreten im CARTESIUS, schüchtern weitergeschritten ist, sondern sich auf seine eigenen Kräfte nunmehr gänzlich verlassen hat, so vernichtete er mit kalter Ruhe und klarer Besonnenheit das Reich des Glaubens vollständig, da nur die Vernunft es zu einer wahrhaften Versöhnung bringen kann. Weil ferner dieser auch noch so sehr auf seine Selbständigkeit trotzdende Verstand das spekulative Resultat der Vernunft als ein unbegriffenes hinnehmen muß, so ist die Individualität mit absolut passivem Gehorsam in den Abgrund der göttlichen Substanz nur verschlungen, oder vielmehr sie hat sich noch nicht als eine freie aus demselben loslösen können.

Diesen zwei Mängeln des spinozistischen Systems suchte LEIBNIZ abzuhelfen, und bildete auf diese Art einen gewissen Gegensatz zu SPINOZA, wiewohl er andererseits im Grundgedanken mit ihm übereinstimmt und aus ihm hervorgegangen ist. Denn wenn das Einzelwesen nichts Anderes ist, als ein Modus, eine bloße Weise der Existenz Gottes: so hat es damit selber Teil am göttlichen Leben und genießt die Freiheit Gottes, der sich ja in ihm manifestiert, sei es unter dem einen oder dem anderen seiner Attribute. Der Ausdruck für diese freie Entwicklung jedes Individuums aus sich selbst ist in LEIBNIZ' System die Vorstellung. Jedes Individuum nennt er insofern eine Monade, welche die totale Weltvorstellung in sich schließt, und fähig ist, das, was sie virtualiter oder potentia ist, auch eminenter oder actu aus sich zu entwickeln. Wirklich realisiert ist die totale Weltvorstellung indessen immer nur in Gott, der Monas der Monaden, aus welcher diese, die Fulgurationen [plötzliches Entstehen neuer Eigenschaften - wp] der Gottheit, hervorgegangen sind, und in der sie wurzeln.

Machte man dem System den Einwand, daß nicht alle Monaden Vorstellung haben, da doch die Vorstellung ihr wahrhaftes Sein in Gott ausmachen soll: so half sich LEIBNIZ mit der Unterscheidung einer bewußten Vorstellung und eines dunklen Bewußtseins, welches er den leblosen Naturen zugeschrieben hat. Auf die Frage aber, woher es denn kommt, daß die Vorstellung jeder Monade, obgleich freie Entwicklung iner jeden aus sich selbst, dennoch in ihrer mannigfaltigen Beziehung zu den anderen Monaden, vollkommen mit deren freier Entwicklung übereinstimmt, antwortete er mit der Lehre von der prästabilierten [vorgefertigten - wp] Harmonie, als der durch die Urmonade von Anfang an vorherbestimmten Zusammenstimmung aller Monaden untereinander. Diese Lehre ist jedoch etwas so Unbegriffenes, als wenn man vom Walten der göttlichen Vorsehung spricht. So ist der Glaube zwar wieder in die Philosophie aufgenommen, aber, da er unerkannt bleibt, auch noch jetzt nicht mit ihr versöhnt: und hiermit ebenso die spekulative Lösung des anderen Gegensatzes, welche LEIBNIZ unternommen hat, noch nicht nach allen Seiten hin durchgeführt.

Das gänzliche Verkommen dieser Metaphysik und ihr vollständiges Herabfallen in den Verstand und das gemeine Bewußtsein, stellt sich in WOLFF dar, welcher LEIBNIZ' System zum gemeinen Menschenverstand verflacht hat. In dieser Gestalt wurde es allgemeines Bewußtsein Deutschlands und der übrigen Völker; und dahin mußte es mit der Metaphysik kommen, ehe sie reif war, vor der Geißel der kantischen Kritik zu fallen und einer höheren Vernunft-Metaphysik zu weichen. Auch schon bei SPINOZA und LEIBNIZ war der Verstand das Instrument und Medium der Erkenntnis; ihr Genius überhüpfte indessen diese Schranken der Endlichkeit, und brach mit spekulativen Gedankenblitzen in diesem heterogenen Element zur Vernunfterkenntnis durch. WOLFF aber, die ganze Richtung der Metaphysik insofern nur mit äußerster Konsequenz durchführend, betrachtete die Gegenstände der Vernunft durch und durch mit dem Auge des Verstandes. Was das Wesentliche des Verstandes ist, beim Entweder - Oder stehen zu bleiben und den Satz des Widerspruchs zum Fundamentalgesetz der Metaphysik zu machen, dies wendete WOLFF auf die ewigen Prinzipien der Dinge, auf die Idee Gottes, der Welt und der menschlichen Seele an, da es doch nur von endlichen Dingen gilt.

Die wolffische Metaphysik enthielt, außer der allgemeinen Prinzipienlehre oder Ontologie, noch die metaphysischen Wissenschaften von der Seele, - rationale Psychologie: von der Welt, - rationale Kosmologie: und von Gott, - natürliche Theologie. Die Ontologie, als die Lehre von den reinen Wesenheiten, entwickelte nichts Anderes, als die reinen Kategorien, d. h. die logischen Gedanken, welche vermöge der notwendigen Beziehung von Sein und Denken für die allgemeinen Prädikate der Dinge ausgegeben werden. Sie sind aber von WOLFF zufällig und ohne Ordnung aufgerafft, und dem Gesetz des Verstandes gemäß vereinzelt und nicht aufeinander bezogen, so daß sie, statt die Wesenheiten der Dinge auszudrücken, zu bloßen Worten herabsinken, welche etymologisch durch reine Nominaldefinitionen erklärt werden. Hierher gehört zunächst und vor allem der Satz des Widerspruchs selber, daß Etwas nicht zugleich sein und nicht sein kann, ferner Möglichkeit und Wirklichkeit, Einerleiheit und Verschiedenheit, Ganzes und Teile, Eigenschaft, Notwendigkeit und Zufälligkeit, Einfachheit und Zusammensetzung, der Satz des zureichenden Grundes, Vollkommenheit usw. Solche Kategorien wurden dann in ihrer Trennung auf die Gegenstände der übrigen Teile der Metaphysik angewendet, ohne zu untersuchen, ob sie denn an und für sich in dieser ihrer Trennung eine Wahrheit enthalten. So fragt WOLFF in der rationalen Psychologie, ob die Seele einfach oder zusammengesetzt, materiell oder immateriell, sterblich oder unsterblich ist. Für die eine der beiden Seiten mußte man sich entscheiden. Ebenso untersuchte die Kosmologie, ob die Welt zufällig oder notwendig, ewig oder begrenzt im Raum und in der Zeit ist, ob der Mensch frei oder begrenzt im Raum und in der Zeit ist, ob der Mensch frei ist oder nicht. Die natürliche Theologie endlich betrachtete den Begriff Gottes oder seine Möglichkeit, ferner die Beweise für das Dasein Gottes, seine Eigenschaften usw.

Je mehr diese Ansicht WOLFFs noch ein Gegenwärtiges ist, je weniger Arges der gemeine Menschenverstand daran findet, die Vernunftgegenstände mit der Brille des Verstandes zu betrachten, umso schärfer muß die philosophische Erkenntnis ihre spekulative Methode darlegen. Es fällt dem Verstand gar nicht ein, daran zu zweifeln, daß die Welt entweder begrenzt oder unbegrenzt ist, und daß es ein Drittes nicht gibt. "Es gibt ein Drittes", sagt dagegen, nach HEGEL (6) "die Philosophie, und es ist dadurch Philosophie, daß ein Drittes ist." Dies durch den Verstand ausgeschlossene Dritte zwischen den Extremen, diese Verknüpfung und höhere Einheit der Entgegengesetzten wird eben von der Vernunft als alle Wahrheit behauptet. Und wenn der Menschenverstand sich darüber wundert, daß die Philosophie nicht seine Metaphysik gelten lassen will, so kann die Philosophie sich mit größerem Recht wieder über dieses Wundern wundern. Überhaupt bleibt es zweifelhaft, was mehr zu bewundern ist, entweder die Borniertheit des wolffischen Räsonnements selber, oder das absolute Wohlsein darin, und die naive Zufriedenheit, mit der es sich breit macht; in welcher Zuversicht selbst jedoch immer noch das Wesentliche einer Metaphysik anzuerkennen ist, daß man mit dem Gedanken und durch ihn zum Sein zu gelangen strebt.

b) Indem auf diese Weise dem Verstand die Augen geschlossen sind für die Erkenntnis des Ewigen, so ist er eigentlich auf die bloße Erkenntnis des sinnlichen, endlichen Seins beschränkt, für welches der Gegensatz des Entweder-Oder seine vollkommene Gültigkeit hat. Der Verstand mußte daher das Gebiet des vernünftigen Gedankens, in das er sich unbefugterweise eingedrängt hatte, wieder räumen, und in seine natürlichen Grenzen zurückkehren. Dies sehen wir nun auch im Empirismus, welcher statt vom Denken auszugehen, mit dem sinnlichen Sein beginnt. Er wird jedoch noch viel weniger, als die Metaphysik, die Frage der Philosophie zu lösen vermögen, da das sinnliche Sein als der Standpunkt der Endlichkeit und des Gegensatzes zu verharren bestimmt ist. Heraustreten mußte aber der Gegensatz als Gegensatz und auf diese höchste Spitze der Zerrissenheit getrieben werden, weil nur so zur völligen Aussöhnung desselben der letzte Schritt getan werden konnte. LOCKE, dann HUME mit den Schotten, zuletzt die französische Philosophie sind hier besonders herauszuheben.

Der Empirismus in seiner abgerundetsten Gestalt, d. h. der von LOCKE, hat insofern noch etwas Metaphysisches an sich, als LOCKE noch hoffte, mit dem endlichen Sein und der Sinnlichkeit, als der Quelle und dem Anfang aller Erkenntnis, zum metaphysischen Wesen gelangen und aus der sinnlichen Anschauung den Begriff Gottes, als das letzte Resultat der philosophischen Analyse, abstrahieren zu können. Dadurch, daß LOCKE alle Vorstellungen und Ideen aus den Sinneseindrücken ableiten wollte, stellte er sich schnurstracks der Metaphysik entgegen, die sie als apriorische behauptet hat; und so entzündete sich der Streit des Empirismus mit der Metaphysik vornehmlich an der Lehre von den angeborenen Ideen, die LOCKE geleugnet hat. Natürlich mußten aber beide Richtungen so in Kollision geraten, weil sie nicht in der Zeit aufeinander folgten, sondern parallel nebeneinander hergelaufen sind. LEIBNIZ hatte ganz Recht, gegen LOCKE die Ansicht zu verfechten, daß vor aller sinnlichen Anschauung gewisse allgemeingültige Gedanken in unserer Seele niedergelegt sind; nur mußte er hinzusetzen, daß sie erst nach vorhergeganenen sinnlichen Anschauungen zu unserem Bewußtsein kommen. LOCKE dagegen, welcher aufgestellt hatte, daß die häufige Wiederholung ähnlicher sinnlicher Eindrücke allgemeine Ideen, wie er es nannte, in uns erzeugt, begeht einen Paralogismus [Ungereimtheit - wp], da der Geist, um die sinnlichen Erscheinungen nur überhaupt unter allgemeine Gedanken bringen zu können, diese schon vorher in sich, wenngleich als schlafende, haben mußte. Mit anderen Worten: sie bilden das Ansich des menschlichen Geistes; ihre Erzeugung in uns ist also die Erweckung, wenn auch nicht, wie PLATO wollte, eine Wiedererweckung derselben. Nehme ich z. B. eine gewisse sinnliche Veränderung häufig als auf eine andere folgend wahr, so könnte ich gar nicht diese die Ursache, jene die Wirkung nennen, wenn das Kausalitätsverhältnis nicht meinem Geist ursprünglich innewohnen würde, sollte auch das Bewußtsein derselben erst aus den vielfachen Wahrnehmungen einer solchen Aufeinanderfolge entspringen.

Beide Seiten stehen in absoluter Wechselwirkung; und es gilt ebensowohl der Satz "nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu" [nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war - wp], als sein Gegenteil "nihil est in sensu, quod non fuerit in intellectu" [nichts ist in den Sinnen, was nicht vorher im Verstand war - wp].

LOCKE, indem er ausschließlich den ersten Satz festhält, statuiert nur eine äußerliche und sozusagen auswendige Harmonie von Sein und Denken, die hiermit auch von keinem Bestehen sein konnte. Denn wenn wir nicht darum erkennen, weil die Dinge in ihrem innersten Wesen Gedanken, und die ewigen Ideen alles wahrhaft Seiende sind, sondern weil unser Inneres nur der fahle Abglanz und matte Wiederschein der Außendinge ist: so wird in der Tat diese sinnliche Welt, und nicht der ewige Gedanke, zum Prinzip gemacht. Damit ist aber das wahrhafte Verhältnis beider Seiten völlig verkehrt und es bedarf nur noch eines Schrittes, um entweder den Gedanken zu einem unwesentlichen Schein herabzusetzen, wie HUMEs Skeptizismus es getan hat: oder gar als Glied dieses Verhältnisses gänzlich auszumerzen, was der französische Materialismus unternahm.

Was zuvörderst HUME betrifft, so hat er nur den Empirismus LOCKEs konsequent durchgeführt, indem er diese bei LOCKE schon ansich vorhandene Unwesentlichkeit der allgemeinen Ideen zum Bewußtsein brachte. Seine skeptische Polemik hat er beispielsweise vornehmlich gegen die Kategorie der Allgemeinheit und Notwendigkeit, und dann der Ursache und Wirkung, in welcher die Notwendigkeit besonders hervortritt, gerichtet. Indem, sagte er, durch die häufige Aufeinanderfolge des Einen auf das Andere der Kausalitätsbegriff erst in uns entsteht: so ist klar, daß er nur eine Gewohnheit unseres Vorstellens ist, ohne daß wir zu entscheiden fähig wären, ob er den Dingen selber innewohnt. Ebenso sollen unsere allgemeinen Begriffe über Recht, Moralität usw. bloße Gewohnheiten sein, wie sie dann auch bei jedem Individuum, Stand und Volk nach Verschiedenheit der Sitten sich anders gestalten. Was endlich auf metaphysischem Weg über Unsterblichkeit, Gott usw. festgesetzt wird, entbehrt gleichfalls eines eigentlichen Grundes, weil alle Schlüsse, womit man beweisen will, immer nur mit subjektiven Begriffen gebildet werden können.

Um den schroffen Konsequenzen, welche aus dieser Lehre gezogen werden können, zu entgehen, nahm schon HUME selbst und noch mehr die schottischen Philosophen zur Annahme gewisser unbewiesener Tatsachen des Bewußtseins ihre Zuflucht. Sittliche und religiöse Grundsätze sollten in einem Gemeinsinn ihre Quelle haben, welcher, als eine angeborenes Gefühl, sie über allen Zweifel erhebt. Die Philosophie ist damit auf ihr Dünnstes reduziert. Da der Mensch solche Tatsachen ohne Beweis notwendig in seinem Inneren finden sollte, so gehen diese Schotten keineswegs über den empirischen Standpunkt hinaus, nur daß sie damit den äußeren Empirismus in einen inneren umgewandelt haben.

Vor jenen Konsequenzen schreckte im Gegenteil der aus dem französischen Empirismus CONDILLACs hervorgegangene Materialismus keineswegs zurück. Ohne Scheu und Rückhalt ergriff er, was ihm nahe lag. Er wagte, diesen Schein des Scheins, den HUME noch bestehen ließ, vollends zu eliminieren, und zu sagen: Es ist nur ein Sein, dieses ist die Materie und Alles ist nur Modifikation und Zustand der Materie; selbst das Denken ist nichts anderes, als eine Bewegung der Fibern des Gehirns. In der Tat, wenn man einmal die Sinnenwelt an die Spitze stellt, so leitet keine Brücke zur ewigen Idee hinüber, und diese verfliegt gleich einem dünnen Rauchgewölk. Der Empirismus hat daher seine notwendigen Früchte getragen: das materielle Sein, die Natur wurde zum Gott gemacht, und als das große Ganze, als diese ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen im Universum verehrt.

Mit diesem Materialismus verband sich dann in Frankreich eine Polemik gegen alles bisher Anerkannte und Bestehende, indem auf die vollständige Umwandlung dieses verderbten Zustandes der Gegenwart gedrungen wurde. An die Spitze dieser negativen Richtung stellte sich VOLTAIRE, welcher das Schlagwort der Vernunft, und zwar insofern mit Recht, gegen alle Mißbräuche der Kirche, des Hofes, des Staates usw. kehrte. Nach Deutschland und vornehmlich nach Preußen durch FRIEDRICH II. herübergekommen, hatte diese sogenannte französische Philosophie des 18. Jahrhunderts, als Aufklärung, ein zahmeres Ansehen bekommen, indem sie Hand in Hand mit der Popularphilosophie, d. h. der in denselben Stand der Aufklärung zerronnenen wolffischen Metaphysik, einhergeschritten ist.

Doch gewann die französische Philosophie schließlich auch eine edlere Richtung, indem sie, ihrerseits den Materialismus bekämpfend und an die schottischen Philosophen anknüpfend, das Prinzip der inneren Erfahrung weiter verfolgte. Sie begnügte sich nicht mit der Aufstellung allgemeiner Grundsätze, sondern wollte aus diesen, als rein geistigen Prinzipien, auch die immanente Deduktion eines Systems zustande bringen. Solche Prinzipien sind für die Moral nach HELVETIUS die Selbstsucht, für den Staat bei ROUSSEAU der Einzelwille. Diese Philosophen vernichteten nicht mehr, wie der Materialismus, die geistige, göttliche Welt. Da jedoch das geistige Prinzip, das sie an die Spitze ihres Räsonnements stellten, endlicher Natur war, so blieb ihnen die göttliche Welt als eine unerkennbare jenseits, und statt Gott zu leugnen, leugneten sie nur dessen Erkenntnis. Auch mit diesem Resultat, welches notwendig hervortreten muß, wenn der Empirismus zum Bewußtsein über sich selbst kommt, befreundete sich die deutsche Aufklärung sehr bald. Innerhalb dieses Gebiets der Endlichkeit hatte aber der denkende Geist dennoch seine Unabhängigkeit wiedergewonnen, indem der Empirismus dadurch, daß er ein innerer wird, die Abhängigkeit vom äußeren Sein verschwinden läßt.

c) Dies bezeichnet den Übergang zu unserer dritten Periode der Geschichte der neueren Philosophie. Ihr Charakter, im Verhältnis zu den beiden früheren, besteht darin, gleich der Metaphysik, unabhängig von einem äußerlich Erfahrenen und durch die eigene Kraft des Denkens dem Erforschen der göttlichen Wahrheit nachzugehen, und zugleich, wie der Empirismus, die Wahrheit durchaus als eine präsente vor Augen zu haben. Das Denken ist nicht mehr, wie der Verstand in der Metaphysik, von seinem absoluten Gegenstand getrennt; und was der denkende Geist in sich findet, ist nicht mehr, wie im Empirismus, bloß eine endliche Wahrheit, sondern Gott selber. Wenn also der Materialismus die Versöhnung der Gegensätze von Gott und Endlichkeit nur auf eine ganz unwahre und einseitige Weise enthält, indem er das Endliche zum Gott macht: so ist das Bedürfnis nach wahrhafterer Versöhnung und höherer Verknüpfung von Gott und Endlichkeit durch die gegenwärtige Epoche in der Geschichte der Philosophie hervorgerufen. Ihr ist die Aufgabe zu lösen auferlegt, wie die Philosophie aus diesem Atheismus wieder zu Gott gelangen kann. -

Wollen wir nun, nach dem Gesagten, den Zustand der Philosophie, zur Zeit als KANT mit seiner Reform hervortrat, näher ins Auge fassen: so erkennen wir überall, wo philosophische Bestrebungen auftauchen, denselben Charakter der Ungöttlichkeit, der bekämpft werden sollte. Der Materialismus hatte die äußerste Grenze der göttlichen Emanation [Hervorgehen - wp] das was, die Alten als das Nichtseiende bezeichnen, auf den Thron der Gottheit erhoben. Der Materialismus kann als die aus dem Empirismus wieder hervorbrechende Metaphysik angesehen werden, indem er die im Empirismus verloren gegangenes spekulative Einheit, freilich auf seine Weise, wieder hergestellt hat. Wenn der Baron von HOLBACH und ROBINET diese materialististische Metaphysik wissenschaftlich durchführten, so sehen wir DIDEROT die populären Konsequenzen daraus ziehen und dieselben oft mit Witz und Laune vortragen. Paris erscheint als der Mittelpunkt dieser Gottlosigkeit in der Philosophie. Von diesem Punkt des Untergangs des göttlichen Geistes im Westen Europas ziehen sich nun nördlich und südlich zwei Richtungen hin, welche sich jenem Mittelpunkt anschließen und die Hauptsache mit ihm teilen.

Im Süden sehen wir auf schweizerischem Boden eine besondere Regsamkeit auf dem Gebiet der Philosophie. Le SAGE, BONNET, VOLTAIRE und ROUSSEAU treten hier besonders hervor. Der Erste stellte eine vollkommen mechanische und atomistische Physik auf. Auch BONNET spricht immer in der Weise des Materialismus, und macht, wie LAMETTRIE, aus dem Menschen eine Maschine, indem er ihn mit einer Statue vergleicht, die, gleich der Geliebten des Pygmalion, durch die Sinneseindrücke belebt wird. Dabei läßt er die Einfachheit der Seele und ihre Immaterialität bestehen, als Etwas, das jenseits seiner Betrachtungen liegt. Ebenso findet er keinen Widerspruch zwischen seinen materialistischen Räsonnements und den metaphysischen Resultaten der wolffischen Philosophie, die alle unangetastet bleiben. Selbst VOLTAIRE, so viel auch Bestehendes durch die mächtige Art seines Witzes gefallen war, will es mit Gott, als dem höchsten Wesen, doch nicht verderben. Denn wenn DIDEROT wegen der anthropomorphistischen Schilderungen des höchsten Wesens behauptet, daß jedes gerade Gemüt wünschen muß, es möchte kein Gott existieren: so finden wir VOLTAIRE nur gegen diese Auffassungsweise Gottes in der positiven Religion eifern und den Theismus als das Resultat des Philosophierens aufstellen. Theismus ist überhaupt das Wort, das diese ganze Richtung bezeichnet. Auch ROUSSEAU, der später seinen Wohnsitz in Paris aufgeschlagen hat, huldigt, wie ROBINET, dieser Lehre. Während der Baron von HOLBACH Gott als einen müßigen Begriff völlig aus der Stufenleiter der Wesen ausgeschlossen hat, verwies ROBINET ihn nur, gleich den titanischen Mächten der alten Mythologie, an den äußeren Umkreis der bekannten Welt. Die Lehre des Theismus ist eben nichts Anderes, als dies, daß, indem die Natur oder endliche geistige Prinzipien als die Quelle der Wahrheit ausgesprochen werden, und alle Erkennbarkeit in das Gebiet des Endlichen fällt, Gott, als das Unendliche, zwar nicht gänzlich weggeworfen, aber wegen seiner Unerkennbarkeit zu einem leeren, inhaltslosen, unbestimmten Jenseits gemacht wird. Der Theismus ist es also, welcher den Ausdruck eines "höchsten Wesens" aufgebracht hat, von dem sich dann nichts weiter sagen läßt. Und alle französischen Philosophen, die nicht bis zur Konsequenz des Atheismus fortgegangen sind, blieben auf dem halben Weg des Theismus stehen. Dieser ist aber selbst gewissermaßen ein Atheismus der Philosophie. Denn Gott ist allein die Wahrheit; und wenn Endliches zur Wahrheit erhoben wird, so ist insofern Gott nicht. Auch hilft dagegen die Ausrede, daß nicht Gott, sondern nur seine Erkennbarkeit geleugnet wird, nichts; denn was eine Philosophie nicht erkennt, das kann sie auch nicht anerkennen. Auch hier sehen wir also Gottlosigkeit in der Philosophie herrschen.

Im Norden endlich erging es der ewigen Wahrheit, wie wir gesehen haben, nicht besser. In Schottland zeigt sich die zweite dem französischen Materialismus zur Seite stehende Richtung der Gottlosigkeit. Denn wo das nackte Dasein Gottes, welches das Resultat des Theismus war, durch den Gemeinsinn oder den gesunden Menschenverstand, und durch ein unmittelbares, uns eingepflanztes Gefühl bewährt wird, liegt im endlichen Wissen die Quelle der göttlichen Wahrheit. Der Stolz der besonderen Eigentümlichkeit und des bornierten Verstandes, die sich dazu aufspreizen, die unendliche Gottheit begründen zu wollen, muß vorerst in der neuen Epoche gedemütigt werden. Käme dieser Theismus zur Betrachtung eines göttlichen Inhalts, so würde sich sein Erkenntnisprinzip, das Gefühl und der Gemeinsinn, sogleich als unfähig erweisen, diesen Inhalt zu rechtfertigen. Denn wie verschieden urteilt nicht der gesunde Menschenverstand oder das Gefühl! So aber bleibt er bei der faden Redensart vom höchsten Wesen stehen; und da kann man dann allerdings eine solche Erkenntnisquelle nicht eines Irrtums bezichtigen, weil sie durch ihre Inhaltslosigkeit vor jedem Angriff gänzlich geschützt ist.

In der deutschen Aufklärung treffen diese drei Richtungen aus Westen, Süden und Norden in einen konvergierenden Strahl nach Osten hin im Mittelpunkt Europas zusammen, wo sie mit der alten Verstandesmetaphysik, dem Erbteil der deutschen Nation, die letzte Gestalt bilden, an die nun KANT unmittelbar anknüpft. Die Aufklärung ist die Musterkarte aller Richtungen, welche die damalige Philosophie bewegt haben. Mit der Bekämpfung jeder positiven Religion verband sich derselbe Theismus: mit dem Hochmut des metaphysischen Verstandes, religiöse Fragen, ungeachtet der Unerkennbarkeit Gottes, entscheiden zu wollen, der schottische Dünkel, aus Tatsachen des Bewußtseins, wie man so geht und steht, über die Wahrheit absprechen zu können.

Diesen verschiedenen Arten des Atheismus trat eben die kantische Kritik entgegen, um der Usurpation [widerrechtliche Inbesitznahme - wp] des endlichen Erkennens, das sich für das alleinige hält, ein Ende zu machen, und ein höheres Erkenntnisvermögen demselben gegenüber zu stellen, obgleich dieses Bestreben für jetzt noch nicht sein Ziel erreicht hat. Denn diese Umgestaltung, wie eine jede, beginnt auf negative Weise; und dabei blieb KANT nun auch im Ganzen stehen, ohne ein positives Resultat in der Gotteserkenntnis zu gewinnen. Insofern ist er vom Theismus und der Aufklärung eigentlich gar nicht unterschieden. Aber darin besteht sein Fortschritt, daß, indem er die Unerkennbarkeit Gottes jetzt durch das Unvermögen der bisherigen Erkenntnisweise methodisch nachgewiesen hat, er seinen Nachfolgern, zugleich mit der Aussicht auf eine höhere Erkenntnisart, den Hoffnungsschimmer ganz neuer metaphysischer Konstruktionen eröffnete. KANT beleuchtete jenes endliche Erkennen mit der Fackel seiner Kritik; und während er dessen Unternehmen für unzureichend erklärte, räumte er zugleich auf, was an Bruchstücken mißglückter metaphysischer Versuche der Schutt von Jahrhunderten bisher zusammengehäuft hatte. Überhaupt sind am Anfang dieser Epoche alle Merkzeichen vorhanden, daß etwas Neues im Anzug ist und die alten Formen zusammenstürzen. Besonders Deutschlands philosophisches Treiben bietet dieses Schauspiel dar, als mit KANT, der diese alten Formen zertrümmerte, die neue Morgenröte der Philosophie im äußersten Osten des gebildeten Europas wirklich anbrach, und mit dem Tag eines neuen Geistes die Nacht jenes westlichen Atheismus verscheuchte. Durch die Übernahme jenes kritischen Geschäfts wurde KANT späteren Genies ein Leuchtturm, welche nun, von ihm gewarnt, die Einseitigkeiten ihrer Vorgänger sorgfältig vermieden, um durch die mit philosophischem Bewußtsein erzeugte Versöhnung der höchsten bisher im Zwiespalt verbliebenen Gegensätze das große Problem der Metaphysik in seinen Grundzügen auf einem ganz neuen Weg der Erkenntnis endlich einmal zur Lösung zu bringen.

Was näher das Lokal und den Kampfplatz betrifft, auf welchem im protestantischen Norden Deutschlands der Sieg der neuen Zeit über die alte erfochten wurde, so war Berlin, der Sitz des großen Königs, zugleich, wie HEGEL (7) sagt,
    "der Mittelpunkt jenes Aufklärens, wo Nicolai, Mendelssohn, Teller, Spalding, Zöllner usw. in ihren Schriften, und die Gesamtperson, die allgemeine deutsche Bibliothek, in gleichförmigem Sinn, wenn auch mit verschiedenem Gefühl tätig waren; Eberhard, Steinbart, Jerusalem usw. sind als Nachbarn in diesen Mittelpunkt einzurechnen. Außerhalb desselben befand sich in Peripherie um ihn herum, was in Genie, Geist und Vernunfttiefe erblühte, und von jener Mitte aus auf das Gehässigste angegriffen und herabgesetzt wurde. Gegen Nordost sehen wir in Königsberg Kant, Hippel, Hamann: gegen Süden in Weimar und Jena Herder, Wieland, Goethe, später Schiller, Fichte, Schelling und andere: weiter hinüber gegen Westen Jacobi mit seinen Freunden; Lessing, längst gleichgültig gegen das berliner Treiben, lebte in Tiefen der Gelehrsamkeit, wie in ganz anderen Tiefen des Geistes, als seine Freunde, die vertraut mit ihm zu sein meinten, ahnten."
Und erst als der Sieg über das Zentrum entschieden war und die ganze Peripherie sich zur vollständigen Gestaltung der neuen Epoche ausgebildet hat, gelingt es ihr sich des Mittelpunkts zu bemeistern, und fast alle ihre Kräfte in diesen Brennpunkt zu konzentrieren. So lebten nach und neben einander in Berlin diejenigen Männer, in welchen die verschiedenen Richtungen dieser neuen Epoche zum höchsten Grad der Ausbildung und Vollendung gekommen waren: FICHTE, SCHLEIERMACHER, SOLGER und HEGEL.

4. Allgemeine Einteilung dieser Epoche. Aus dem Gesagten erhellt sich, daß der allgemeine Charakter aller hier zu betrachtenden Systeme der Philosophie nicht nur überhaupt die innige Durchdringung von Sein und Denken, Subjekt und Objekt, ist: sondern eine solche Durchdringung, wo das Denken oder die Idee als das Prinzip, und, nach einem aristotelischen Ausdruck, als das Vortrefflichste der beiden in einem Verhältnis stehenden Momente anerkannt ist. Der besondere Charakter eines jeden dieser Systeme kann also nur als ein so oder so sich gestaltender Idealismus aufgefaßt werden. Wird nämlich der Gedanke zum obersten Prinzip gemacht, so tritt entweder das objektive Sein vor dem Gedanken zurück, und verschwindet selbst gänzlich, so daß nur die Subjektivität des Gedankens als das allein Seiende standhält, - der subjektive Idealismus KANTs und FICHTEs: oder umgekehrt der Gedanke selbst wird zur Objektivität hinübergeführt, und alles Sein als vernünftiger Gedanken ausgesprochen, - der objektive Idealismus SCHELLINGs. HEGEL endlich, welcher diese beiden philosophischen Ansichten vereinigt, und zugleich den Idealismus mit dem Realismus auf das Innigste verschmilzt, hat die Philosophie bis zu dieser Höhe der Ausbildung geführt, wo ihr der Name des absoluten Idealismus beigelegt werden kann. An diese Kolosse der Wissenschaft werden sich dann die anderen Gestalten auf eine ungezwungene Weise anlehnen, und um sie herum gruppieren.
LITERATUR - Karl Ludwig Michelet, Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel, Berlin 1837
    Anmerkungen
    4) J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (Ausgabe von 1794), Seite 204.
    5) Schelling, Zeitschrift für spekulative Physik, Bd. II, Heft 2 (1802), Vorerinnerung, Seite VII.
    6) Hegels Werke, Bd. I, Seite 134.
    7) Hegels Werke, Bd. XVII, Seite 42.