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FRIEDRICH FREDERICHS
Die Prinzipien
des kritischen Idealismus


"Unser  Erkennen  und Wissen ist etwas Subjektives, wirklich erkennen wir nur räumlich-zeitliches Dasein. Wer diese Grenze nicht anerkennen will, der verendlicht das Unendliche, macht das Göttliche zum Menschlichen, der gerät in alle Widersprüche, welche Kant in den Antinomien aufdeckt."

"Für den philosophischen Betrachter, den Weisen, erscheint das Leben, auch wenn es ein tatenreiches ist, doch im Ganzen als Leiden; aber, wenn dem auch so ist, wer vermag zu verkennen, daß die Menschen, welche sich illusorischen Genüssen und eingebildetem Glück hingeben - und das sind die meisten - die optimistische Seite des Lebens vertreten!"

"Wir haben nichts Unmittelbareres als unsere geistige Tätigkeit und sittliche Persönlichkeit. Keine Philosophie ist imstande das Absolute nach einer anderen Norm zu denken als nach dieser."

Den Beschluß der geehrten philosophischen Gesellschaft im Verlauf des Winters die Prinzipien des Realismus und Idealismus zu erörtern, habe ich so aufgefaßt, daß nicht bloß das erkenntnistheoretische Prinzip entwickelt, sondern auch ein kurzer Abriß der auf demselben beruhenden philosophischen Weltanschauung gegeben werden sollte. Von dieser Auffassung der Aufgabe werde ich die Prinzipien des kritischen Idealismus in der heutigen Sitzung erörtern.

In herkömmlicher Weise werden drei Formen des Idealismus unterschieden: der dogmatische, der kritische oder transzendentale und der absolute Idealismus oder die sogenannte Identitätsphilosophie. Es wird sich zeigen, daß die Einteilung im Grunde erschöpft ist, wenn man lediglich den dogmatischen vom kritischen Idealismus unterscheidet; denn der absolute Idealismus ist nur eine Modifikation des dogmatischen. Das allen Formen des Idealismus zugrunde liegende Prinzip ist, daß nicht von Gott und Welt ausgegangen wird, um zum Selbstbewußtsein zu gelangen, sondern vom Selbstbewußtsein aus, um Gott und die Welt zu erklären. Das Ih ist der ideale Mittelpunkt des Ganzen; mit der Selbstgewißheit des Ichs ist das Prinzip aller Wissenschaft gewonnen, und es kommt nur darauf an, in welcher Dignität sich das Ich erfaßt und im Selbstbewußtsein ergreift, ob als das Höchste und Konkreteste, oder nur als Moment. Dieser Standpunkt war bei den Idealisten des Altertums unbefangen und unreflektiert, kam zum klaren Bewußtsein in DESCARTES, war für die Erscheinungswelt zuer von BERKELEY mit großartigem Blick entwickelt und fand durch KANT seinen tiefsten und umfassendsten Ausdruck. Das idealistische Grundprinzip kann nicht mehr für die Wissenschaft verloren gehen, von demselben muß jede wahre Philosophie ausgehen; es muß ein jeder, der zur philosophischen Besonnenheit durchdringen will, dasselbe bis in seine extremsten Auswüchse denkend durchdrungen und durchschaut haben. Wenn nun aber der Ausgangspunkt all jener drei Formen ein gleicher ist, so ergibt sich doch sofort ein wesentlicher Unterschied zwischen dem  dogmatischen  und  kritischen  Idealismus. Der erstere setzt unkritisch voraus, daß das menschliche, reine Denken ein das Absolute vollständig erkennendes sei, daß überhaupt nur im reinen Denken Wahrheit, und die Welt der Erscheinungen Schein sei. Von diesem dogmatischen Standpunkt aus ist geschichtlich entweder dann das erkannte Absolute von der Erscheinungswelt getrennt, für sich hingestellt, und als Idealwelt hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp], und also dualistisch als ein transzendentes aufgefaßt worden, oder es ist als Substanz der Erscheinungswelt immanent gesetzt, und damit das Dogma aufgestellt, daß das Sein identisch mit dem menschlichen Denken sei, also Göttliches und Menschliches sich deckten. Der dogmatische Idealismus der früheren Zeit wurde überwunden durch den Kritizismus; aber die aus diesem hervorgegangene Identitätsphilosophie war ein Rückfall in den alten Dogmatismus, ein Zurückgreifen auf ARISTOTELES und SPINOZA, eine großartige Reaktion der dogmatischen Philosophie dem Kritizismus gegenüber. Allem Dogmatismus in der Philosophie gegenüber macht der kritische Idealismus vor allem sein erkenntnistheoretisches Prinzip geltend, welches kurz dahin lautet,  daß das reine, widerspruchslose Denken kein absolutes Erkennen ist, daß sich Denken und Erkenntnis nicht decken.  Um diese Begriffe festzustellen, und um die Grenen und den Umfang unseres Erkenntnisvermögens und die Bedingungen unseres Erkennens zu bestimmen, ist der  kritische Idealismus  in seinem fundamentalen Teil  Wissenschaftslehre Bekanntlich hat HEGEL geglaubt, das erkenntnistheoretische Verfahren des Kritizismus verspotten zu müssen: er kommt mehrfach darauf zurück, wobei er sich immer des Witzes von dem Scholastikus bedient, der schwimmen lernen wollte, bevor er ins Wasser geht. Allein abgesehen davon, daß er bei dieser Beurteilung schon sein Dogma von der Identität des Denkens und Seins und der dialektischen Bewegung desselben zugrunde legt, so ist jener Spott hervorgegangen aus einer gänzlichen Verkennung der erkenntnis-theoretischen Seite des Idealismus. Wir können allerdings erkennen, ohne eine Erkenntnistheorie vor uns zu haben, wie wir sprechen können, ohne Grammatik, urteilen ohne Logik, hören ohne Akustik zu kennen, aber trotzdem sind diese Wissenschaften ebensowenig überflüssig wie die Erkenntnistheorie. Es sollen vielmehr dadurch die Denkformen und Erkenntnisbegriffe zu Bewußtsein gebracht und kritisch die Grenzen unseres (menschlichen) Erkennens vom absoluten Wissen unterschieden, und es soll bestimmt werden, wo das Erkennbare für uns aufhört und das Denkbare und annähernd Wißbare beginnt. Der kritische Idealismus geht somit von einer Tatsache aus: es gibt ein Wissen, worauf beruth es und welches sind die Bedingungen. Zunächst ist daher in der Wissenschaftslehre eine Theorie der  Sinneswahrnehmungen und -Empfindungen  notwendig, des äußeren wie inneren Sinnes, ein Gegenstand, welchen der dogmatische Idealismus zu untersuchen unterläßt, oder wenigstens unkritisch behandelt, weil ihm die sinnliche Unmittelbarkeit das Unwahre, das Trügerische, Verworrene oder Schein ist, welche erst durch das vermittelnde Denken zur Wahrheit wird. Allein die kritische Untersuchung der Sinnesempfindungen und Wahrnehmungen ist ein überaus wichtiger Teil der Erkenntnistheorie, besonders auch dem empirischen Realismus gegenüber, der unkritisch allen Inhalt der Seele von außen kommen läßt. Hier tritt uns nun die Tatsache entgegen, daß die Lehre des  kritischen Idealismus  von den sinnlichen Wahrnehmungen im Ganzen mit den Resultaten der Naturwissenschaft übereinstimmt. Mag der Ausdruck allerdings Anlaß zu Mißverständnissen gegeben haben oder noch geben: der Satz KANTs, daß die Materie unserer Vorstellungen die äußeren Reize und Eindrücke oder die Wirkungen einer transzendenten Ursache geben, die Form aber der Intellekt, findet durch die Naturwissenschaft seine volle Bestätigung, wogegen sich der empirische Realismus vergebens zu wehren sucht: die Welt der materiellen Erscheinungen löst sich auf in Molekularbewegungen. Das perzipierende Ich empfängt durch diese nach notwendigen Gesetzen erfolgenden Bewegungen, durch Äther- und Luftbewegungen, Reize sehr mannigfacher Art als Wirkungen auf die sensiblen Nerven, Bewegungenn, welche sich bis zum Gehirn fortsetzen, ebenso wie sich die Willensäußerungen durch das Medium der motorischen Nerven bis an die peripheren Enden fortpflanzen. Nun ist es klar, daß eine Fortsetzung der Molekularbewegung immer nur Bewegung sein kann, daß die mechanische Ursache auch nur eine mechanische Wirkung haben kann. Auf diesem Weg allein also würde niemals eine geistige Erscheinung, Vorstellung oder Anschauung, zustande kommen. Wenn also dieser Weg allein zur Erklärung der unmittelbaren Anschauungen keine  ratio sufficiens  [zureichender Grund - wp] gibt; so hat mit der größten Berechtigung der Idealismus den umgekehrten Weg dazu eingeschlagen, nämlich vom  perzipierenden Ich  aus. Danach betrachtet der kritische Idealismus die Sinnesempfindungen und Wahrnehmungen als ein Produkt des Intellekts, als unbewußten Akt der schöpferischen Geisteskraft, so jedoch, daß die äußeren Reize und Eindrücke die negativen Bedingungen dazu sind. Ohne die Wirkungen einer transzendenten Kausalität auf das perzipierende Ich, welche gesetzmäßig erfolgen, zu statuieren, fällt man in einen bodenlosen Idealismus. Daraus ergibt sich dann, daß die allgemeinen Formen aller Anschauung, äußerer wie innerer,  Raum und Zeit  sind, welche für unser Erkennen zugleich notwendige Formen sind. Der vor kurzem erhobene Streit, ob diese Formen der sinnlichen Anschauung nur subjektiv oder zugleich subjektiv und objektiv sind, hat für den kritischen Idealismus insofern keinen Sinn, als es selbstverständlich ist, daß Raum und Zeit zugleich Daseinsformen für das objektive Sein, d. h. für das phänomenale Sein sind, und hier ergibt sich die große Berechtigung des Satzes, daß Sein und Denken, Objekt und Vorstellung identisch ist. Aber wir haben kein Recht diese Formen als absolut notwendige für alle Vernunftwesen anzunehmen und ebensowenig, dieselben auf die unendliche, absolute Substanz zu übertragen. Diese ist zunächst nur negativ zu bestimmen; es müssen derselben alle die Prädikate abgesprochen werden, welche den Erscheinungen zukommen. Wenn man in Bezug auf diese Ansicht den kritische Idealismus auch den  subjektiven  nennt, so ist das so weit entfernt, ihm zum Vorwurf zu gereichen, daß es ihm vielmehr wegen der Besonnenheit, mit welcher er verfährt, als Lob angerechnet werden muß. Denn er bleibt gerade durch diese kritische Besonnenheit bewahrt vor dogmatischen Orakeln über das Absolute und Unendliche. Unser  Erkennen  und Wissen ist etwas Subjektives, wirklich erkennen wir nur räumlich-zeitliches Dasein. Wer diese Grenze nicht anerkennen will, der verendlicht das Unendliche, macht das Göttliche zum Menschlichen, der gerät in alle Widersprüche, welche KANT in den Antinomien aufdeckt.

Die Theorie des kritischen Idealismus von den Sinnesempfindungen und Sinneswahrnehmungen tritt dem  populären  Bewußtsein, wie dem  vulgären Realismus  entgegen, dessen Lehren ohnehin schon mit den Resultaten der Naturwissenschaft nicht übereinstimmen. Der Geist ist keine leere Tafel, auf welcher sich die Außendinge als Vorstellungen spiegeln, kein leeres Gefäß, in welches der Inhalt des Seins fließt; es ist eine Gedankenlosigkeit des  Sensualismus daß die Dinge außer uns in uns gedankenerzeugend sein sollen. Der Satz ferner, daß die Wahrheit der sinnlichen Wahrnehmungen als Vorstellungen in der Übereinstimmung dieser mit den äußeren Objekten besteht, ist gänzlich unhaltbar. Ich kann keine Vorstellung mit dem Objekt außer mir, sondern nur mit derselben Vorstellung vergleichen, d. h. die geforderte Übereinstimmung ist unmöglich. Nach der realistischen Theorie verhält sich der Geist im aktuellen Wahrnehmen gänzlich passiv, während nach dem Idealismus der Satz: "das Ich perzipiert" heißt, es bildet die Anschauung, ist im Wahrnehmen produktiv tätig, wenngleich dieser Vorgang dem Ich unmittelbar nicht zu Bewußtsein kommt. Der Idealismus legt somit dem Geist im aktuellen Wahrnehmen eine ideal bildende, schöpferische Kraft bei, welche als Vermögen latent ist, aber sofort in Tätigkeit gesetzt wird, wenn sich Stoff darbietet, d. h. die Sinnesorgane durch Licht und Schall usw., also durch Molekularbewegung affiziert werden, oder das ich durch innere Reize unmittelbar seinen Zustand oder seine Tätigkeit empfindet. Die spontane Aktivität des Ichs ist das positive Prinzip, die positive Ursache der Vorstellung, während die äußeren Einwirkungen durch eine transzendente Ursache auf die Sinnesorgane die negativen Bedingungen sind; und wenn man dieses Bestimmtwerden des Ich durch Reize von außen oder innen Passivität desselben nennt, so ist doch das Innewerden der Wirkungen auch wieder Tätigkeit, aber im Gegensatz zur positiven Tätigkeit des Ich eine negative. Beides, die negative Bedingung und die negative Tätigkeit des Ich, macht der empirische Realismus für den Inhalt der Wahrnehmungen zum positiven Prinzip. Aber wenn auch die Dinge auf das Ich wirken, so produzieren sie doch nicht den Gedanken des Subjekts; nichts anderes kann in dasselbe unmittelbar hinein denken. Damit ist der  Realismus  widerlegt. Wir müssen jedoch noch auf einen Widerspruch aufmerksam machen, welchen sich derselbe in der Lehre von den sinnlichen Wahrnehmungen zuschulden kommen läßt. Es wird nämlich ausdrücklich erklärt, daß beim Gegensatz vom Körperlichen und dem Wissen die genaueste Erkenntnis der körperlichen Vorgänge zur Erklärung der Wahrnehmungsvorstellungen nicht ausreicht oder die Umwandlung des einen in das andere nicht verständlich macht. Trotzdem wird behauptet, die Wahrnehmungsvorstellungen seien gegeben, d. h. nicht von der Seele erzeugt. Man gesteht also ein, man wisse nicht, wie die Wahrnehmungen entstehen; die Bewegungserscheinungen könnten darüber keinen Aufschluß geben, und dennoch wird dogmatisch behauptet, von der Seele könnten dieselben nicht erzeugt werden. Wenn ich nicht weiß, wie die Vorstellungen entstehen, kann ich nicht behaupten, daß der Inhalt derselben lediglich von außen kommt und von der Seele nicht erzeugt werden kann. Allerdings entgehen die Umwandlungen der materiellen Bewegungen in die Substanz der Gedanken unserer Erkenntnis, und wir bleiben auf Hypothesen bei der Erklärung beschränkt. Aber die idealistische Hypothese hat die größte Wahrscheinlichkeit für sich, zumal da sie mit den physiologischen Lehren zusammenstimmt.

Wenn also nach dem kritischen Idealismus die  phänomenale  Welt ein Produkt der Wechselwirkun zwischen dem schöpferischen Ich und den Wirkungen einer transzendenten Ursache ist, so kommt zu der unmittelbaren Wirklichkeit, dem unmittelbaren Bewußtseinsinhalt die Arbeit des Geistes, um denselben nach ihm immanenten Gesetzen oder Kategorien zu vermitteln oder begrifflich zu erkennen. Wir sind somit in der Sphäre der Natur und des natürlichen Lebens, in welcher die unbedingte Geltung des Kausalitätsprinzips herrscht gegenüber der sittlichen Welt unter den Gesetzen der Freiheit. Unter den Kategorien oder Erkenntnisbegriffen  a priori  sind neben Quantität und Qualität usw. vor allen Relationskategorien der Substantialität, der Kausalität und der Wechselwirkung hervorzuheben. Solche Erkenntnisbegriffe lassen sich in Urteilen aussprechen, wie z. B. jede Veränderung muß eine Ursache haben, oder bei allem Wechsel beharrt die Substanz, bleibt das Quantum des Stoffs und der Kraft sich gleich. Diese Sätze treten mit dem Anspruch der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit für das endliche Erkennen auf, weshalb sie apriorische Erkenntnisse genannt werden können; ihre Notwendigkeit liegt eben darin, daß ihr Gegenteil im Denken nicht zu vollziehen ist, wie z. B. daß auch nur ein Atom Materie oder irgendein Kraft-Quantum aus dem Nichts entstehen oder ins Nichts vergehen könnte, was in seiner Notwendigkeit aus der Erfahrung gar nicht nachweisbar wäre; es ist die Naturnotwendigkeit unseres denkenden Erkennens. Somit sind die Kategorien oder die "Beziehungen" wie der Realismus sie nennt, nicht gänzlich  inhaltslos,  wenn man sie für sich gesondert betrachtet; auf die Erscheinungen angewandt erhalten sie allerdings ihren Inhalt von der Erfahrung, wohingegen sie die Erscheinungen zu einer gesetzlichen Einheit, als Natur, bestimmen, und zwar mit Notwendigkeit, nicht willkürlich.

Diejenigen, welche behaupten, die Verstandesbegriffe, wie auch die sinnlichen Anschauungsformen, Raum und Zeit seien lediglich empirische Begriffe, und nur aus der Erfahrung abzuleiten, verwechseln den  Erkenntnisgrund  mit dem  Realgrund.  Der kritische Idealismus hat nie geleugnet, daß dieselben nicht aus der Erfahrung oder den empirischen Wissenschaften abstrahiert werden können. Denn ganz natürlich sind sie auf die erfahrbare Erscheinungswelt angewandt und damit kompliziert; aber die Erfahrung ist nur ihr Erkenntnisgrund, nicht der Realgrund; die Erfahrung macht sie nicht, sondern sie machen die Erfahrung; sie sind Bedingungen aller Erfahrung. Glaubt man, sie entständen lediglich aus dieser, dann täuscht man sich; denn indem sie daraus ableiten will, setzt man sie schon voraus, d. h. sie gehen der Erfahrung im Denken voraus.

Wenn vorher gesagt worden ist, daß für die Erkennbarkeit der phänomenalen Welt die Kategorien der Kausalität die wichtigste ist, so will ich zunächst bemerken, daß von KANT irrtümlich die Kategorie der Substanz auf das Verhältnis von Erscheinungen zu Erscheinungen angewandt ist, wie ich in meiner Abhandlung "Der phänomenale Idealismus Berkeleys und Kants", Berlin 1871, nachgewiesen habe. Sodann möchte ich noch, im Anschluß an den Vortrag des Herrn Prof. LASSON in der letzten Sitzung, einige Bemerkungen über den Begriff der Kausalität, d. h. der mechanischen machen. Die Naturtwissenschaft hat es zunächst nur mit dem Gesetz der wirkenden Ursachen zu tun, da die Zwecke, die  causae finales,  geistige Ursachen sind. So wichtig aber auch das Gesetz der mechanischen Kausalität für jene Wissenschaft ist, so genügt dasselbe allein für die Erkenntnis nicht einmal der phänomenalen Welt, geschweige denn wenn, wie das so oft von der Naturwissenschaft geschieht, über diese hinausgegangen wird; und wenn das Gegenteil behauptet wird, so ist dabei immer eine Subreption vorhanden, nämlich die, daß stillschweigend die Finalität oder das teleologische Prinzip, nur mit verändertem Namen, angewandt wird. Das zeigt sich nirgendwo eklatanter als im Darwinismus, namentlich in der Form, wie ihn HAECKEL durchgeführt hat. HAECKEL kommt immer wieder mit einer gewissen Emphase darauf zurück, er habe alles nach dem Gesetz der wirkenden Ursachen erklärt. Zwecke gäbe es in der Natur nicht. Was will der Darwinismus? Kurz gefaßt ist er bekanntlich die Lehre, daß alle organischen Wesen sich auf natürlichem Wege, nach dem Gesetz der wirkenden Ursachen entwickelt haben, und zwar aus einem Prinzip; die Fülle der Arten und Gattungen sind daher nicht geschaffen, sondern haben sich auf natürlichem Weg entwickelt; sie haben sich homogen entwickelt (Species) durch Vererbung, differenziert (Varietäten) durch Anpassung. Das treibende Prinzip ist der Kampf ums Dasein. Frägt man nun, was ich nur im Vorbeigehen berühre, warum ein Kampf ums Dasein notwendig ist, so wird derselbe erklärt als eine mathematische Notwendigkeit, welche aus dem Mißverhältnis zwischen der beschränkten Zahl der organischen Keime entspringt. Man muß nun aber weiter fragen, woher dieses Mißverhältnis kommt, und so immer weiter im empirischen Regress. Daraus aber ergibt sich, daß eine solche Betrachtungsweise der Wissenschaft nicht genügt. Doch dies nur nebenbei. Wenn also der Kampf ums Dasein Homogenität und Differenzierung zu Wirkungen hat, so heißt es doch die Augen vor dem logischen Denken schließen, wenn man nicht zunächst einräumen wollte, daß wo Entwicklung ist, auch entwicklungsfähige Anlagen, d. h. zweckmäßig eingerichtete sein müssen, daß, wo durch Generationen der homogene Charakter gewahrt wird, dazu doch zweckmäßige Werkzeuge vorhanden sein, und wo die Anpassung an die Umgebung im Kampf ums Dasein zur Differenzierung führt, die Organe für diese Anpassung zweckmäßig angelegt sein müssen, und daß somit die Entwicklung mindestens eine  Wechselwirkung  verschiedener Faktoren voraussetzt, womit eben der Begriff des  Zwecks  gegeben ist. Somit wird der Zweckbegriff nur verhüllt durch Ausdrücke wie Anpassung usw. Das Leben und die Entwicklung des organischen Lebens lediglich nach dem Gesetz der wirkenden Ursachen zu erklären ist auch für die Naturwissenschaft unzulänglich. Das Bestreben freilich derselben den Zweckbegriff fern zu halten ist allerdings bekanntlich aus der Furcht entsprungen, daß die Zwecke als planmäßige, absichtsvolle zu leicht gefaßt werden, woraus dann weiter folgt, daß man schöpferische Akte, unmittelbares Eingreifen der Gottheit zuläßt, daß alles nach einem weisen Schöpferplan geordnet ist und zwar für die endlichen Zwecke der Menschen. Gegen eine solche schlechte Anwendung des teleologischen Prinzips wehrt sich die Naturwissenschaft mit Recht; auch die Philosophie hat diese Auffassung längst zurückgewiesen. Aber gänzlich entbehren kann jene den Zweckbegriff nicht; sie muß zu ihrem eigenen Frommen dem kritischen Idealismus folgen, der den Zweckbegriff als ein  heuristisches  Prinzip für die Naturwissenschaft als notwendig nachweist. Nichts anderes wollte KANT, wenn er denselben als ein Prinzip der  reflektierenden  Urteilskraft, nicht der bestimmenden ansah. Erkennt man freilich Zwecke in der Natur, dann ist damit dem Gedanken das Prius eingeräumt, wie man auch tun muß.

Der kritische Idealismus kann die wirkliche Erkennbarkeit der Dinge nicht weiter ausdehnen als die Erfahrung reicht, und was mit der Erfahrung in Verbindung steht und mit den Gesetzen des Erkennens übereinstimmt; somit erstreckt sich die eigentliche Erkenntnis des Menschen nur auf die phänomenale Welt, weil die Gesetze unseres Erkennens an die räumlich-zeitliche Anschauung gebunden sind, und das bloße widerspruchslose Denken kein Erkennen oder gar die objektive Realität des Gedankens involviert. Das Höchste, was hier dem Geist zum klaren Bewußtsein kommt, ist das Gesetz, d. h. die in allen Veränderungen sich gleich bleibende, immer wiederkehrende Art und Weise der sich unendlich modifizierenden Bewegung. Hier stimmt der kritische Idealismus mit dem Realismus überein, und ist ein wirklicher  Real-Idealismus.  Allein die Welt ist nicht bloß  Vorstellung,  es gibt nicht bloß ein  phänomenales  Sein, sondern das Korrelat der Erscheinung ist das Ansich, das  rein  Sein. Hier ist nun die Kategorie der  Substantialität,  die uns mit Notwendigkeit im Denken auf das wesenhafte Sein leitet. Es ist ein notwendiger Gedanke, von dem die ganze alte Philosophie ausgegangen ist, daß dieser Welt der Erscheinungen, des Wechsels und der Veränderung, ein Wesen zugrunde liegen müsse, an welchem als dem Beharrenden, sich ewig Identischem die Veränderungen erfolgen. Der Gedanke der Substanz führt uns aber weiter zur unbedingten, absoluten  Ursache,  indem wir der bedingten Kausalität im Denken eine unbedingte mit Notwendigkeit entgegensetzen. Indem nun die Vernunft diese unbedingte substantielle Kausalität zum Gegenstand der Spekulation macht, treten wir in das Reich des  Möglichen  als des  Denkbaren.  Erheben wir nun den Anspruch, das absolute substantielle Sein erkannt zu haben, so haben wir in unbefugter Weise die Erkenntnisformen des phänomenalen Seins auf jenes übertragen und damit das Unendliche verendlicht. Die Vernunft, die im Dogmatismus befangen ist, glaubt das Unendliche im reinen Denken zu erkennen und unter ihren Händen verwandelt sich das absolute Sein in phänomenales Sein. Diesen dialektischen Schein hat KANT in seinen Antinomien unwiderleglich aufgedeckt. Der kritische Idealismus scheidet sich daher gänzlich von jedem dogmatischen Idealismus darin, daß er das reine widerspruchslose Denken nicht als ein Erkennen des Absoluten ansieht, und das Gedachte nicht als ein wirklich erkanntes, sondern nur als ein mögliches setzt. Ebenso unterscheidet er sich insbesondere vom absoluten Idealismus. Indem derselbe die Erscheinungswelt in ihrer Unmittelbarkeit als das Unwahre, als Schein auffaßt, und dieses Unmittelbare in den konkreten Begriff, zur Idee erhebt, glaubt er das Wesen der Dinge erfaßt zu haben, was aber nur richtig wäre, wenn wirklich Sein und Denken identisch, die dialektische Selbstbewegung des Gedankens zugleich die Selbsterzeugung des Seins wäre, und somit Göttliches und Menschliches sich deckt. Dem gegenüber behauptet der kritische Idealismus, daß das Denken nicht identisch mit dem Sein ist; denn das würde eine Identität von gänzlich Ungleichartigem sein, zwischen endlichem Denken und unendlichem, absoluten Sein. Von einer Identität zwischen Denken und Sein kann nur in der absoluten Intelligenz die Rede sein. In dieser Auffassung stimmt auch der Realismus mit dem Idealismus überein, insofern auch jener die große Verschiedenheit zwischen Denken und Erkennen anerkennt wie zwischen Denken und Sein im angegebenen Sinne, unterscheidet sich aber wieder von demselben, insofern dem kritischen Idealismus das Denken, welches sich nicht in der Anschauung und in der Erfahrung exemplifiieren läßt, keineswegs, wie dem Realismus, ein inhaltloses Spiel von Beziehungen ist, sondern ein erzeugendes, schöpferisches aufgrund der Erfahrung, und wenn es sich methodisch bewegt, ein wahrhaft spekulatives. Damit erledit sich dann auch ein Einwurf, den man gegen den Kritizismus erhoben hat, der sich aber in Wirklichkeit nur auf den empirischen Realismus bezieht. Wenn, sagt man, bloß unsere Erkenntnis so weit reicht, als die Erscheinungswelt oder die Erfahrung, so kann es wohl empirische Wissenschaften geben, aber keine spekulative Wissenschaft, die es ja gerade mit dem Weltwesen und einer transzendenten Welt zu tun hat, mit dem, was in der Unmittelbarkeit des Daseins das Substantielle, das Ansich ist; der kritische Idealismus negiert ja hier die Erkennbarkeit. Dieser Vorwurf trifft aber diese Lehre, wie gesagt, nicht, weil auch sie ja das reine Denken als ein schöpferisches faßt, nur nicht so, daß das Gedankensystem zugleich das absolute sein ist. Die kritische Philosophie verzichtet aber auch ferner nicht auf die Spekulation, weil in uns eine metaphysische Anlage ist, die sich entwickeln muß; denn diese will Einheit, Totalität, sodann auch aus sittlich-religiösen Bedürfnissen nicht, und endlich, weil davon ausgegangen werden muß, daß, wenn es überhaupt ein Wissen gibt, es auch ein absolutes Wissen gibt; nur das wird eingeräumt, daß nach den Schrnken, die uns Menschen gesetzt sind, dieses absolute Wissen im vollen Sinn für uns endliche Wesen unmöglich ist; daß aber gleichwohl jedes wahrhaft philosophische System uns der absoluten Wahrheit näher bringt, und daß es möglich sein muß, da wir ein Teil des Universums sind, annähernd wenigstens, wenn auch immer in einer gewissen Hülle, die Wahrheit zu erkennen und nach dem Satz  ex ungue leonem  [An den Klauen erkennt man den Löwen. - wp], also aus dem Teil das Ganze zu konstruieren. Somit führt die Vernunft notwendig zur Spekulation, denn die Vernunft ist ein Vermögen der Ideen. Von den Ideen stellt nun der kritische Idealismus die  ethische  Idee in den Vordergrund: die Idee der unbedingten Kausalität d. h. der  Freiheit  oder die Idee eines  reinen sich selbst bestimmenden, autonomen Willens.  Diese Idee ist die Brücke in ein Reich sittlicher Zwecke. Die Realität dieser Idee manifestiert sich durch das Sittengesetz oder das unbedingte Pflichtgebot im Subjekt, und ist objektiv waltend in den ethischen Sphären des Lebens. Aber hier erheben sich gerade gewichtige Einwürfe wider den Idealismus, welche auch nach einer Seite hin ihre Berechtigng haben. Es ist zunächst nicht der Zweifel, ob nicht eine solche Idee eine Jllusion sei; denn, soweit man sich auch immer in der Erfahrung umsähe, sei keine Spur von einem so beschaffenen Willen. Erfahrungsmäßig ließen sich alle Bewegungsgründe des Willens auf Heteronomie zurückführen, von einer Freiheit des Willens, wie man sich einbildet, kann nicht die Rede sein. Eine sittliche Entwicklung, so daß wirklich die Reinheit der sittlichen Motive quantitativ größer geworden sei, ist gar nicht nachzuweisen; wohl könnte die  geistige  Kultur fortschreiten, aber je verfeinerter dieselbe, umso nachteiliger für die Sittlichkeit. Der sittlichen Entwicklung ständen hier zu große Schranken entgegen, welche sich die Menschen teils selber um sich ziehen, weil sie meistens nur den Eingebungen ihrer Begierden und Leidenschaften folgten, teils durch die Natur um sie gezogen werden. Im Großen und Ganzen bewegt sich das menschliche Leben im Kreislauf, dem Naturprozeß gleich. Arbeit, Mühen und Leiden sind hier unser Los, und der Tod die Erlösung von allem Übel. Der kritische Idealismus erkennt die Bedeutung dieser und ähnlicher Einwürfe gegen die optimistische Vorstellung von einer immer größer werdenden Versittlichung des Menschen an und hier stimmt derselbe mit dem Pessimismus überein. Es ist das große und bleibende Verdienst SCHOPENHAUERs und neuerdings EDUARD von HARTMANNs, welches sich beide um die Philosophie erworben, daß sie eine pessimistische Weltanschauung in durchaus begründeter Weise in ein System und damit zu Bewußtsein gebracht haben, gegenüber dem schlaffen und einseitigen Optimisus, der entweder in diesem Erdenleben die Menschen einer hohen sittlichen Vervollkommnung für fähig hält oder in noch schlimmerer Weise den Wahn hegt, als könne eine radikale Umgestaltung der sozialen und politischen Verhältnisse einen Zustand irdischen Glücks herbeiführen. Allein der Idealismus zieht aus der pessimistischen Anschauung ganz andere Konsequenzen als der einseitig festgehaltene Pessimismus. Dieser ist eben nur ein Moment in der vernünftigen Entwicklung. Der Pessimismus ist so alt, als es überhaupt eine menschliche Entwicklung gibt; aber er ist in der Regel doch nur die Lebensanschauung des ernsten, gereiften Alters und im Ganzen nur weniger das Leben durchschauender Geister. Der Pessimismus, einseitig festgehalten, kann niemals allgemein werden. Denn die große Masse bleibt ihrer Natur nach in Jllusionen und glaubt an das diesseitige Glück, jagt Gütern nach, welche der Weise für reine Einbildungen und für Scheingüter hält. Es ist daher meines Erachtens auch nicht begründet, daß die Summe der Lust viel geringer ist als die der Unlust. Vom philosophischen Standpunkt aus kann man allerdings sagen, das irdische Glück ist eine Jllusion; aber ein illusorisches Glück, eine eingebildete Lust ist so lange wirkliches Glück und wirkliche Lust, als dem, der solchem nachjagt, nicht die Augen aufgehen. Da nun dies bei den Wenigsten der Fall ist, so ist der Satz, daß die Summe der Lust der Erdengeschöpfe viel größer ist, als die der Unlust, richtiger. Der Fehler von HARTMANNs in der Abschätzung von Lust und Unlust liegt unter anderem auch darin, daß er sein eigenes Bewußtsein dem Anderer unterschiebt. Er führt z. B. das mühevolle Dasein vieler Berufsafte an, mit als Beweis des vielen Elends im Leben, und bedenkt nicht, daß das eigentlich nur besagt: wenn ich, der Philosoph, in der Haut dieser Leute steckte, dann wäre ich sehr unglücklich. Die Berechnung der Summe der Lust und der Unlust ist ferner ganz unmöglich, da die Empfänglichkeit für dieselben unendlich verschieden ist. Trotzdem bleibt die Wahrheit des Pessimismus für alle tiefer Denkenden insofern bestehen, als dieses Erdenleben ein Leben voller Mühen und Leiden ist, daß jede relative Befriedigung nur ein kurzer Erholungspunkt ist zu neuen Mühen und Leiden. Ja, der kritische Idealismus erkennt sogar die Wahrheit des ethischen Pessimismus an, welcher mehr bei SCHOPENHAUER als bei von HARTMANN hervortritt, wenigstens in dem Maße, daß die Menschen sich im Allgemeinen von Leidenschaften, sehr wenig von der Vernunft leiten lassen, und daß ein sittlicher Fortschritt, eine Zunahme des Quantums der Sittlichkeit in den Willensbestimmungen nicht nachweisbar ist. Nur geht natürlich unsere Ansicht nicht so weit, daß der Mensch von Natur durch und durch egoistisch ist, nach dem Satz SCHOPENHAUERs  homo homini lupus  [Der Mensch ist des Menschen Wolf. - wp] Wenn also der kritische Idealismus, indem er ein System auf stellt, die pessimistische Anschauung in ihrer großen Berechtigung anerkennt, so leitet derselbe doch andere Konsequenzen davon ab aus dem Grunde, weil er von einem  optimistischen  Prinzip, dem der sittlichen Entwicklung nach der Norm eines autonomen Willens ausgegangen ist. Denn wenn die Realität der sittlichen Idee im Bewußtsein des Menschen nicht geleugnet werden kann, wenn das Ideal derselben aber in diesem Erdenleben nicht erreichbar, ein wirklich sittlicher Fortschritt im Ganzen auch nicht erkennbar ist, so schließen wir daraus nicht, daß die Idee selbst eine Jllusion ist, ebensowenig, wie wir zugeben, daß nach der Identitätsphilosophie die Idee schon hier erreicht und verwirklich ist; sondern vielmehr, daß dieses Erdenleben nur eine Stufe im unendlichen Prozeß der Entwicklung des persönlichen Geistes ist, der sich im steten Kampf dem sittlichen Ideal nähert. Die Entwicklung vernünftiger Wesen gestaltet sich so als ein  Befreiungsprozeß,  indem der heteronom bestimmte Wille sich der Willensautonomie im Kampf mit entgegenstehenden Bestimmungen nähert. Denn Freiheit kann nicht gegeben werden. Der Freiheitsbegriff gehört nicht der Kategorie des  Seins,  sondern des  Werdens  an. Durch diese Auffassung ist der einseitige  Pessimismus  überwunden, wohl aber ist er ein berechtigtes Moment in der Entwicklung der sittlichen Idee. Die Versöhnung der Gegensätze ist eine wesentliche Aufgabe des philosophischen Begreifens. SCHOPENHAUER und von HARTMANN lassen den Gegensatz einfach stehen und kommen nicht zur Vermittlung. Daß aber überhaupt der Pessimismus einseitig nicht festgehalten werden kann, das zeigt die Geschichte; auch leuchten bei von HARTMANN trotz seines Pessimismus doch optimistische Gedanken hindurch. Für den philosophischen Betrachter, den Weisen, erscheint, wie man anerkennen muß, das Leben, auch wenn es ein tatenreiches ist, doch im Ganzen als Leiden; aber, wenn dem auch so ist, wer vermag zu verkennen, daß die Menschen, welche sich illusorischen Genüssen und eingebildetem Glück hingeben - und das sind die meisten - die optimistische Seite des Lebens vertreten! Wenn also von HARTMANN den Pessimismus eine Kulturidee nennt, so ist dies der Optimismus ebensosehr. Die optimistische Lebensanschauung hat in der neueren Zeit von ROUSSEAU und LEIBNIZ an außerordentlich die Kulturentwicklung gefördert, wenn sie auch schließlich, wie gesagt, in Seichtigkeit und Halbheit verfallen ist, was, wenn sie einseitig festgehalten wird, notwendig erfolgt. Die Einseitigkeit dieses Standpunktes liegt darin, daß man die allgemeine sittliche Vervollkommnung des Menschengeschlechts und die Möglichkeit vollendeter Glückseligkeit in diesem Erdenleben annimmt. Gleichwohl ist der Optimismus für die Entwicklung überhaupt notwendig; er ist die List der Idee, durch welche das Kulturleben ebenso gefördert wird, wie durch den Pessimismus.

Die Idee der Sittlichkeit nötigt uns das Leben des vernünftigen Geistes als einen  Freiheitsprozeß  anzusehen und zwar in unendlicher Entwicklung in einem Reich der Zwecke. Da aber der kritische Idealismus nicht wie der absolute, Sein und Denken, Gottheit und Menschheit identifiziert, so entsteht nach der Kategorie der Substanz die Frage, wie das Urwesen, das schöpferische und erhaltende Prinzip in der Welt zu denken ist. Zwei Wege scheiden sich hier in der philosophischen Spekulation. Die Einen fassen das Absolute  transzendent,  die Anderen  immanent,  wobei ich ausdrücklich bemerke, daß ich von jenem transzendenten Gott des kirchlichen Dogmas gänzlich absehe, gegen welche Transzendenz mit Recht alle jene Einwürfe erhoben werden, welche man überhaupt gegen eine transzendente Gottheit erhebt. Nach PLATO ist das absolute Urwesen der Weltenbaumeister, der im Stoff, der ebenso ewig ist wie er, nach seinen göttlichen Gedanken oder Ideen die Welt als ein Abbild der Idealwelt erschaffen hat. ARISTOTELES, der die Ideen PLATOs als transzendente Hypostasen faßte, setzte dieselben als der Erscheinungswelt immanente Prinzipien, als Begriffe. Nun aber kam es darauf an, wie die einzelne Substanz zu denken ist, aus welcher sich die Dinge entwickeln. Man muß ihr alle Prädikate, welche der Erscheinungswelt zukommen, absprechen; die Substanz muß ein schlechthin einfaches Wesen sein, wie das Ich, wenn man es von allem Inhalt entleert. Aber wie kann sich aus einer so völlig leeren, abstrakten Substanz die Fülle des Daseins entwickeln, aus dem abstrakt Einfachen das konkret Mannigfaltige? Um dem Widerspruch zu entgehen faßte ARISTOTELES die Substanz als  dynamis,  als potentielles Sein, in welchem die platonischen Ideen als ruhende Möglichkeiten vielfacher Selbstbestimmungen gefaßt werden. Sobald nun dieses Sein in Bewegung gerät, entsteht mit Notwendigkeit die Fülle der Erscheinungen. Die Bewegung ist die formgebende Tätigkeit, energische Formierung (energeia) der ansich formlosen Substanz, bis sie sich ausgewirkt hat und finaliter (entelecheia) das geworden ist, was der Potenz nach oder dem Begriffe nach (to ti en einai) in ihr lag. Diese Potenztheorie ist von SPINOZA und zuletzt von HEGEL erschöpfend ausgebildet. HEGEL fand mit Recht im potentiellen Sein des ARISTOTELES den Widerspruch, daß die abstrakte Möglichkeit nicht gesetzt werden kann, da sie zugleich wirklich ist. Gegenüber der willkürlich frei gedachten Substanz des ARISTOTELES wies HEGEL die Notwendigkeit des Werdens durch den Widerspruch nach, der nie ruht, sondern die Substanz mit Notwendigkeit in ein räumlich-zeitliches Dasein ausschlagen läßt. Das  hen kai pan,  das Universum ist nach HEGEL ein unverseller Vernunft-Organismus, dessen Ansich in ewiger Besonderung als Anderssein zum konkreten Für-sich-Sein zurückkehrt und zwar in einem vernünftigen Bewußtsein. Es ist also die Übertragung des organischen Lebensprozesses auf das Universum; auch die Methode, die Dialektik, beruth auf den Bewegungsmomenten der organischen Entwicklung. Denn wie der Keim das Ansich, der Begriff ist in einen abstrakten Momenten, und in ungesonderter Einheit, sich dann durch Entwicklung besondert und zum An-und-für-sich-Sein kommt; so auch die Welt aus den abstrakten Begriff durch das Anderssein zum An-und-für-sich-Sein. Die Welt, sagt HEGEL, ist eine Blume, die aus einem Samenkorn ewig hervorgeht. Abgesehen davon, daß der HEGELsche  Pantheismus  unmöglichh dem sittlich-religiösen Bedürfnis genügen kann, und daß die Übertragung der Gesetze des organischen Naturprozesses auf die sittliche Welt unter den Gesetzen der Freiheit unangemessen ist, ist demselben noch der Vorwurf eines logischen Widerspruchs zu machen. Das Leere, Einfache, Abstrakte, Niedere soll aus sich den ganzen höheren Inhalt erzeugen. Wie kann aus dem Niederen das Höhere entstehen, und wie kann das Niedere das Schöpferische und das Höhere erhaltende Weltprinzip sein?

Wenn also in der ganz abstrakten Substanz der Urgrund weder des Entstehens noch des Bestehens ohne Widerspruch gedacht werden kann, so muß vielmehr die Daseinsfülle als ursprünglich gesetzt werden. Damit treten wir in eine andere Anschauung des Absoluten. Es ist unmöglich aus einer qualitativ einfachen Substanz das Viele herzuleiten: also ist das Viele das Ursprüngliche, es sind viele einfache Wesen, welche als das Beharrende und Unveränderliche der Erscheinungswelt zugrunde liegen. An die Stelle der einen Substanz sind das Leere und das Viele unter dem Namen  Atome  getreten. Wir haben die Atomistik in ihren verschiedenen Modifikationen von DEMOKRIT an bis auf HERBART und FICHTE. Gott ist hier entweder der Zufall oder die ewige Ordnung, sei es eine physikalische, logische oder moralische Weltordnung; es ist das formale Gesetz, welches die Welt zusammenhält. So tritt dem Pantheismus der absolute Formalismus gegenüber.

Gegen die dogmatischen Aussprüche der Philosophie, welche das Mögliche und Denkbare für das Wirkliche und Erkannte ausgibt und den Anspruch auf absolutes Wissen des Absoluten erhebt, nach welcher die Logik zu einer Erkenntnistheorie gemacht wird, während sie nur formale Erfahrungslogik und Theorie der Denktätigkeit ist, erhebt sich der kritische Idealismus aus den schon angeführten Gründen, daß erstens das bloße widerspruchslose Denken nicht schon die objektive Realität in sich involviert; daß das absolute Sein nicht identisch mit dem Denken ist, und daß aus dem Niederen nicht das Höhere als entstanden, geschweige denn jenes als dieses erhaltend gedacht werden kann. Aber derselbe hält gleichwohl das Denken nicht für ein willkürliches Phantasieren, wenn es sich auf die intelligible Welt richtet, sondern glaubt in dem von ihm aufgestellten Weltbild oder System annähernd die Wahrheit, je nach der zeitweiligen Stufe der Entwicklung des endlichen Geistes, zu haben, wenn dasselbe mit der phänomenalen Welt oder dem Gebiet der Erfahrung übereinstimmt, Spekulation und Empirie nicht im Widerspruch stehen. Somit ist also die Grundfrage die nach dem Absoluten, dem Weltwesen. Insofern nun die angegebenen Systeme gleichfalls von ihrem Standpunkt jene Frage beantwortet haben, so muß freilich deren Anspruch auf absolute Geltung ihrer Lösung zurückgewiesen werden, wohl aber sind in demselben Momente der Wahrheit. So ist jedenfalls die Substanz festzuhalten, aber nicht als positives, genetisches Prinzip, sondern als negative Bedingung für die Positionen des absoluten Prinzips, ebenso muß das Gesetz in seiner Notwendigkeit aufgenommen werden. Das Universum wird gedacht als ein mechanisch-dynamischer Organismus. Aber innerhalb dieses Organismus ist das Urwesen der  Wille  und zwar der  frei waltende Wille,  ganz ähnlich wie der waltende Geist des Menschen in seiner Leiblichkeit. Wie der Wille im Menschen durch die leiseste Regung auf die Zentralorgane wirkt, nach dieser Analogie denken wir uns den absoluten Geist im Kosmos tätig, als freies, schöpferisches, Weltbildendes und lenkendes Prinzip. Die Substanz ist die  materia pura  oder  prima,  in welcher der absolute Geist selbständiges Sein außer sich setzt, so daß die Substanz das Medium für den absoluten wie endlichen Geist bildet. Somit ist der absolute Geist nicht zu denken, als ein unbewußter oder blinder Wille, sondern als konkreter, selbstbewußter Geist, als zwecksetzender Wille, als positive Freiheit oder Liebe, welche schafft und wirkt, ohne sich im Schaffen zu verlieren, sondern sich erhält, und dieses Schaffen geschieht nicht durch Wunder gegen die Naturgesetze, sondern mittelbar durch eine unübersehbare Mannigfaltigkeit und eine komplizierte Reihe von Ursachen und Wirkungen. Damit ist zugleich die wahre Transzendenz ausgesprochen. Gott ist ein transzendent-immanentes Wesen. Daß das Absolute gedacht wird nach der Analogie des endlichen persönlichen Geistes, ist selbstverständlic. Denn wir haben nichts Unmittelbareres als unsere geistige Tätigkeit und sittliche Persönlichkeit. Keine Philosophie ist imstande das Absolute nach einer anderen Norm zu denken als nach dieser.

Wenn das höchste Realprinzip gewonnen ist, so hat die Philosophie von diesem aus zur Erklärung der phänomenalen Welt herabzusteigen, und das menschliche Leben in allen seinen Manifestationen, sowie das Leben im Universum, soweit die einzelnen Wissenschaften darüber Aufschluß geben, zu erklärenn, und somit ein universelles Weltbild oder eine universelle Weltanschauung zu geben. Das Beweisverfahren ist das  indirekte,  apagogische [negativer Beweis aus der Falschheit - wp], die einzig zulässige Methode, um vom Höchsten aus zum Niedersten, vom Übersinnlichen zum Sinnlichen zu kommen. Es wird nachgewiesen, daß, wenn dieses bestimmte Prinzip als Weltwesen spekulativ gesetzt wird, die Erfahrung, die empirischen Wissenschaften, kurz die ganze phänomenale Welt damit übereinstimmt, daß sich aus diesem bestimmten Prinzip Welt- und Selbstbewußtsein am besten erklären lassen; dabei behält diese Philosophie immer die Besonnenheit, ihr Prinzip durch die Erfahrung zu modifizieren, wenn wirklich Instanzen dagegen kommen. So regulieren sich Spekulation und Erfahrung. Auch ist diese Philosophie keine Theosophie, wie die HEGELsche, wenn sie vom Urgrund beginnt, sondern sie bleibt sich stets bewußt, daß das Weltbild, das System, das sie aufstellt, Produkt eines schöpferischen Ichs ist, während HEGEL sich selbst ins Absolute stellt. Auch ist dieselbe eine wahrhaft universelle Philosophie, während die Nachkantische Philosophie, namentlich HEGELs,  anthropologistisch  ist, indem sie diese Erde und diese Menschenwelt für den Mittelpunkt des Universums hält, außer Gott und Menschheit nichts anerkennt, ganz wie der naive Glaube der Völker, und wie der biblische Standpunkt ist. Die kritische Philosophie unterscheidet sich ferner auch vom empirischen Realismus, der die Philosophie als die allgemeinste und abstrakteste Wissenschaft an der Spitze aller Wissenschaften faßt, indem der Inhalt der einzelnen empirischen Wissenschaften stufenweise auf immer allgemeinere Gesetze gebracht wird; damit würde die Philosophie aufhören eine selbständige Wissenschaft zu sein, geschweige denn eine spekulative. Die kritische Philosophie mach nicht den Anspruch wie die Identitätsphilosohie, die Wahrheit erkannt zu haben, so daß diese gegeben ist, und nur durch methodisches Denken angeeignet zu werden braucht, sondern sie ist das lebendige Streben nach Wahrheit, Philosophie im ursprünglichen Sinne.



An diesen Vortrag schloß sich nachstehende Diskussion an:

Professor ADOLF LASSON sagte: Ein subjektiver Idealismus, der nicht das immer begrenzte und historisch bedingte Denken des Individuums, sondern das Denken als solches, das reine Denken, welches in der Reihe der Generationen sich als immanentes Prinzip im Denken der Individuen verwirklicht, für unfähig erklärt, das Sein zu begreifen, führt notwendig zum Skeptizismus, ohne irgendein zutreffendes Kriterium für den relativen Wahrheitsgehalt der Erkenntnis angeben zu können. Die Annahme einer intelligiblen Welt hat doch nur dann einen Sinn, wenn letztere dem Intellekt wirklich durchdringbar, d. h. mit der Vernunft des Menschen gleichartig ist. Das Sein dem Denken, das Denken dem Sein als vollkommen fremdartig gegenüberstellen, heißt jede wissenschaftliche Erkenntnis unmöglich machen, es ist ein Widerspruch, dann irgendetwas zu behaupten und dieser Dualismus von Denken und Sein widerlegt sich selbst, indem er ausgesprochen wird. Der Vortragende legt hohen Wert auf den indirekten Beweis, was sagt er damit anderes, als daß das im Denken Unvereinbare ebenso unvereinbar im Sein ist. Daraus folgt, daß das Denknotwendige auch das Seinsnotwendige ist, und das ist der Standpunkt des absoluten Idealismus. Der Vorwurf Dogmatismus zu sein, trifft diesen nicht, er ist vielmehr der rechte Kritizismus, nur, daß er in diesem nicht stecken bleibt, sondern ihn zu überwinden sucht. In der Tat erlangt das Unternehmen durch Denken die Grenzen und den Wahrheitsgehalt des Denkens auszumessen, einen Sinn nur durch das Vertrauen zum Denken, daß es sich der Wahrheit bemächtigen kann, und im logischen Sinne fortschreitend auch notwendig bemächtigt. Aus dem Leeren treibt der absolute Idealismus das Volle doch immer deshalb hervor, weil im Leeren das Volle schon enthalten ist. Sonst kann es überhaupt keine Entwicklung geben, weder im Denken noch im Sein. Höchst wertvoll ist das vom Redner Gebotene insbesondere dadurch, daß es wirklicher Idealismus ist, und durch die Betonung des  Primats der praktischen Vernunft In Vielem kann man auch vom Standpunkt des Idealismus mit demselben übereinstimmen. Der Satz von den Dingen als Erscheinungen und der Satz von der objektiven Wahrheit desselben sind nicht widersprechend; man muß nur den Begriff der  objektiven  Erscheinung festhalten. Kritizismus und subjektiver Idealismus sind ein notwendiges Moment in unserem durch KANT und die Physiologie der Sinne erzogenen Denken; aber das Letzte und Höchste sind sie nicht, weil das Vertrauen zur Vernunft und zur Denkarbeit des Seins ihre Voraussetzung und bei konsequentem Denken auch ihr Resultat ist.

JULIUS von KIRCHMANN sagt: KANT, der Begründer des kritische Idealismus erkennt zwar neben dem Wissen ein Seiendes an, das Ding-ansich; allein es ist nach ihm dem Menschen völlig unerkennbar. Alles, was der Mensch für ein Seiendes nimmt, sind nur Bestimmungen, welche er den Formen seines Wissens entnimmt und die Dingen-ansich überzieht. Dies gilt nicht bloß für die materiellen Eigenschaften der Farben, Töne, usw., worin ihm die moderne Naturwissenschaft beistimmt, sondern auch von der Gestalt, Größe und Bewegung der Dinge, sowie von Raum und Zeit überhaupt. Ja der Mensch erkennt sich selbst nicht einmal. Alles, was die innere Erfahrung ihm von sich und den Zuständen seines Wissens, Fühlens und Begehrens bietet, sind nur Erscheinungen, hinter denen uns das wahre Ansich, das wahre Ich verborgen bleibt. Ich halte es daher für bedenklich, SCHOPENHAUERs und HARTMANNs System zum kritischen Idealismus zu rechnen, wie der Herr Vortragende es getan hat. SCHOPENHAUER stimmt nur für die körperlichen Dinge mit KANT, dagegen ist ihm der Wille, womit er auch die Gefühle erfaßt, das wahre Ding-ansich und der Mensch kann deshalb das wahrhaft Seiende erkennen. Nach HARTMANN ist nur das unbewußte Alle-Eine raum- und zeitlos, aber durch seine Tätigkeit erzeugte es Raum und Zeit und Individuen, welche damit wirklich sind. Ich beschränke mich deshalb auf KANT, dessen Lehren der Redner auch wesentlich gefolgt ist. Hier ist zunächst zu rügen, daß KANT für das Dasein der sogenannten Dinge ansich gar keinen Beweis erbracht hat. Er setzt ein Sein außerhalb des Wissens als selbstverständlich voraus, wie dies auch alle Systeme vor ihm getan haben, und stellt sich zunächst zur Aufgabe, die Notwendigkeit und Allgemeinheit der in den Wissenschaften tatsächlich vorhandenen Gesetze zu erklären. Da KANT richtig erkannte, daß dies aus der Erfahrung unmöglich ist, weil diese immer nur Einzelnes bietet und auch die induktive Ableitung von Gesetzen daraus nie die wahre Allgemeinheit erweist, so suchte er, durch HUMEs Voranschreiten verleitet, die Erklärung dadurch zu gewinnen, daß er alle den Dingen anhaftenden Eigenschaften für die Zutaten der menschlichen Seele erklärte. Dies soll nicht bloß für den Raum und die Zeit mit ihren mannigfachen Gestaltungen gelten, sondern auch für die Grundbegriffe des Denkens; all das sind nur Formen der menschlichen Sinnlichkeit und des Denkens, mit welchen dieses die Dinge-ansich bekleidet. Nur daraus erklärt sich die Notwendigkeit und Allgemeinheit der in den Wissenschaften vorhandenen Gesetze. Weil der Mensch nach Erfahrung und Festigkeit im Geschehen verlangt, so benutzt er die in seiner Seele ursprünglich liegenden Kategorien der Substantialität, der usw., um das durch die Wahrnehmung gebotene Einzelne miteinander zu verbinden, gewinnt so die Allgemeinheit und Notwendigkeit, deren er zur Erfahrung nicht entbehren kann. Gegen diese Lehren lassen sich vorzüglich drei Gründe geltend machen. Erstens kann die Bestimmtheit und Gleichheit der einzelnen Erfahrungen, wie sie bei allen Menschen besteht, daraus nicht erklärt werden. Wenn das Ding-ansich mit all den Eigenschaften, welche der Mensch ihm beilegt, nicht das Mindeste zu tun hat; wenn zwischen beiden durchaus keine Verbindung besteht, sondern die Eigenschaften nur vom Menschen aus dem Vorrat seiner Seele, dem einzelnen Ding-ansich, wie ein Kleid überzogen werden, so ist es unbegreiflich, wie z. B. alle Menschen diese Billardkugel für rund und weiß erklären usw. Zweitens kann die strenge Allgemeinheit der mathematischen Lehrsätze aus KANTs Hypothese nicht abgeleitet werden, denn auch die bloß innerlich konstruierte Figur und die sogenannte  reine  Anschaung bleibt immer eine einzelne. Der an dieser einzelnen Figur geführte Beweis gilt daher auch, wenn der Raum nur eine Form der Sinnlichkeit ist, nur für diese Figur und nicht für alle, die unter denselben Begriff fallen. Drittens ist die Notwendigkeit, welche sich der Mensch nach KANT durch die Benutzung der Kategorien für die Erfahrung selbst zurecht macht und auferlegt, keine Notwendigkeit mehr. Denn was man sich selbst auflegt, um einem Wunsch zu genügen, kann man wieder beseitigen und es ist nicht jenes eiserne Band, was in der Notwendigkeit als für den Menschen unzerreißbar gedacht wird. Viele andere Bedenken gestattet die Zeit nicht zu erwähnen. Im Allgemeinen ist für den menschlichen Trieb nach Erkenntnis und Wahrheit kein System trostloser, als das des kritischen Idealismus KANTs. Der subjektive Idealismus FICHTEs ist es weit weniger; indem dieser das Ding-ansich beseitigte, verschwindet das Seiende völlig und der Mensch kann sich mit seinem Wissen begnügen. Aber KANT läßt eine wirklich seiende Welt bestehen, nur soll der Mensch nicht imstande sein, sie zu erkennen. KANT hat auch das Trostlose seiner theoretischen Philosophie selbst gefühlt, und deshalb Hilfe in seiner "praktischen" Vernunft gesucht, womit er aber nur in die gröbsten Widersprüche geriet.

Hierauf entgegnete Dr. FREDERICHS: Herrn Professor LASSON erwidere ich, daß, wenn der kritische Idealismus wirklich von solchen Voraussetzungen ausginge, wie er meint, so müsse allerdings das Resultat Skeptizismus sein. Allein es ist das eine nicht treffende Auffassung des kritischen Idealismus. Derselbe lehrt ausdrücklich die Identität des Denkens und des phänomenalen Seins: auch leugnet er keineswegs absolutes Wissen, ebensowenig die Erkennbarkeit des Absoluten, aber wohl die absolute Erkennbarkeit für uns Menschen. Das ist kein unvereinbarer Dualismus. Der kritische Idealismus hat zum Denken das größte Vertrauen, wenn es sich um Vertrauen handelt, denn das Denken ist für ihn ein schöpferisches. Was die Behauptung betrifft, der Kritizismus sei nur ein Moment des absoluten Idealismus, so ist das allerdings vom HEGELschen Standpunkt aus richtig. Aber ich habe von der ganzen nachkantischen Philosophie eine andere Ansicht; für mich ist namentlich die Philosophie HEGELs ein Rückfall in die Substanzlehre von ARISTOTELES und SPINOZA, welche der Kritizismus überwunden hat. Die Philosophie FICHTEs, SCHELLINGs und HEGELs sind einseitige Entwicklungen aus dem universellen Geist der Kantischen Philosophie; Beweisgründe für diese Behauptung habe ich in meinem Vortrag einige gegeben; aber ich gebe gern zu, daß dieselben nicht ausreichen; dazu bedarf es einer ausführlicheren Auseinandersetzung. - Von Herrn von KIRCHMANN hätte ich erwartet, daß derselbe auf meine Einwürfe gegen den Realismus geantwortet hätte. Er hat es aber vorgezogen KANT zu kritisieren und es bedenklich gefunden SCHOPENHAUER und HARTMANN zu den kritischen Idealisten zu rechnen. Das ist ein Mißverständnis: ich bin weit entfernt, SCHOPENHAUER noch viel weniger HARTMANN als kritische Idealisten anzusehen, von denen der Letztere den Kritizismus KANTs absoluten Jllusionismus genannt hat. Ich habe nur die Skizze einer philosophischen Weltanschauung aufgrund der Prinzipien des kritischen Idealismus gegeben und da bin ich wohl berechtigt, auf begründete Anschauungen hinzuweisen, welche aus dem Boden der Kantischen Lehre hervorgewachsen sind; der Pessimismus ist ein Moment in der universellen Anschauung des kritischen Idealismus. Was die Auslegung des Kantischen phänomenalen Idealismus durch Herrn von KIRCHMANN betrifft, so ist sie nach meiner Meinung nicht im Geiste KANTs, sondern ungefähr so, als wenn jemand von LOCKEs Standpunkt aus KANT kritisiert. Herr von KIRCHMANN vermißt in dem von KANT nachgewiesenen apriorischen Faktor unserer Erkenntnis die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, welche KANT daraus ableitete. Das ist richtig, wenn man das Anschauen wie das Denken als rein willkürliche Tätigkeiten betrachtet; aber beide Seiten des Geistes haben die Seite der Naturbestimmtheit an sich. Mit derselben Naturnotwendigkeit, wie sich die Sprache entwickelt, mit derselben Notwendigkeit erfolgt auch das ursprüngliche Anschauen und Denken, weil eben in allen dasselbe ursprüngliche, identische Ich ist. Was den Trost betrifft, den eine Philosophie verleiht oder nicht verleiht, so beginnt nach meiner Ansicht die Trostlosigkeit der nachkantischen Philosophie mit der Leugnung des Dings ansich durch FICHTE.

Hiermit schloß die Diskussion.
LITERATUR - Friedrich Frederichs, Die Prinzipien des kritischen Idealismus [Vortrag gehalten in der Sitzung vom 31. Oktober 1874] Verhandlungen der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin, Bd. 1, Erstes Heft, Berlin 1875