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JULIUS BAUMANN
Philosophie als Orientierung
über die Welt

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"Es ist in diesen philosophischen Dingen gerade wie in den moralischen; wer A sagt, muß auch B sagen, wer angefangen hat, ist nicht mehr Herr seiner Bewegungen und will er es sein, so muß er sich mit viel Mühe und Anstrengung wieder einen neuen Ausgangs- und Anfangspunkt gewinnen."

"So hat Spinoza seinen Begriff und sein Ideal von Wissen aus der Mathematik gezogen, und welche Wirkung hat er damit hervorgebracht? Es ist ein Weltbild entstanden von einer Art eiserner Ruhe, erhabener Notwendigkeit; die mathematische Stimmung: alles fließt notwendig aus der Natur des allgemeinen Raumes, wird umgewandelt in die: alles in der Welt fließt notwendig aus der Natur der allgemeinen Substanz. Diese Stimmung hat etwas sehr Anziehendes für das Gemüt, die Beweise etwas Überredendes für den Verstand, aber sobald man merkt, wie Spinozas Begriff von Wissen bloß mathematisch ist und auf andere Wissensgebiete ohne unerlaubte Gewalttätigkeit gar nicht paßt, schwindet alle Macht der Beweise und aller Zauber seines Grundgedankens dahin; die Beweise sind nichts, das Gefühl der Erhabenheit ist ein erborgter Flitterstaat."

"2, 2 x 2, 4 existieren somit nur in der Vorstellung und so oft sie vorgestellt werden, und außerdem existieren sie nicht, sie haben keinen von unserem Vorstellen unabhängigen Bestand, kein selbständiges Dasein. Die Zahlen sind bloße Vorstellungen, in der Natur, der äußeren, sind keine Zahlen, sondern höchstens zählbare Ding, Gegenstände, auf welche die Zahlen angewendet werden."


Zweites Kapitel
Der Begriff des Wissens und der sich
daraus ergebende Idealismus


Das Erste also, womit wir zu beginnen haben, ist den Begriff des Wissens zu gewinnen und festzustellen. Wir könnten dazu zwei Wege einschlagen. Wir könnten erstens die in der letzten Zeit aufgestellten Begriffe von Wissen aufnehmen und untersuchen, sie nach allen Seiten prüfend erwägen.

So wird es überhaupt gewöhnlich in der Philosophie gemacht; jeder hat an einen Vorgänger angeknüpft. KANT an LEIBNIZ mit dem Gedanken der allgemeinen und notwendigen Wahrheiten, welche nicht aus der Erfahrung stammen können; FICHTE an KANT mit der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins, welches die Quelle all unserer Erkenntnis sein sollte; SCHELLING an FICHTE mit dem Gedanken, daß alles, was ist, irgendwie aus der Natur des Ich muß hergeleitet werden können, zwar nicht des empirischen, aber des absoluten, aus diesem sind Natur und Geist gleichermaßen zu entwickeln; HEGEL an SCHELLING durch die Behauptung, SCHELLING habe sachlich das Wahre gesehen, aber nicht die Methode gefunden, welche die notwendige Entwicklung der Sache gibt. Unabhängig von dieser letzteren Reihe hat HERBART an KANT angeknüpft, indem er die Definition: Sein ist die schlechthinnige Position eines Dings, akzeptiert hat; BENEKE wollte KANT und FICHTE etc. verbessern dadurcht, daß er zurückgegangen ist auf den vorkantischen Gedanken, wonach in unserem unmittelbaren Bewußtsein ein Sein im Denken gegeben ist. TRENDELENBURG dagegen war von dem Gegensatz ausgegangen, der seit KANT zwischen Sein und Denken aufgetan war und dessen Kluft keine bisherige Philosophie geschlossen hat, um in der Bewegung, welche dem Sein und Denken gemeinschaftlich sein sollte, eine Brücke zu schlagen, auf der sie zueinander kommen können. In einem anderen großen Philosophen unserer Tage ist die beständige Beziehung auf HERBART unerläßlich, um seine Gedanken scharf und bestimmt aufzufassen.

Es scheint hiernach nichts natürlicher, als daß wir es auch so machen; dadurch wird ja augenfällig die Kontinuität, der geschichtliche Zusammenhang von einem Denken zum andern gewahrt. Wir werden es jedoch nicht so machen; denn bei dieser Art von Kontinuität ist eine Gefahr unvermeidlich. Indem man an irgendeinen Gedanken irgendeines Philosophen anknüpft, natürlich nicht an einen unwesentlichen, sondern an einen kapitalen und fundamentalen, läßt man sich nicht nur von diesem die Aufgabe stellen, sondern man nimmt auch viel mehr in Kauf, als man merkt. Man denkt, der und der Punkt befriedigt noch nicht, mit dem und dem Punkt läßt sich noch viel mehr machen; aber man müßte untersuchen, ob nicht bloß für den angefangenen Kurs des Denkens diese Betrachtungen gelten, die man benutzen will, sondern ob sie überhaupt für alles Denken gelten. Mit anderen Worten: man fängt an einem Punkt einer Kette an und macht ihn zum Ausgangspunkt, statt auf den Anfangspunkt jener Kette zurückzugehen. Ein Philosoph aber muß von vorne anfangen; er darf nicht einen Punkt des Anderen zu seinem Anfangspunkt machen; denn der Punkt des Anderen ist durch eine Menge Betrachtungen vorbereitet und gewonnen worden; von diesen hängt seine Güte, Wahrheit, Zuverlässigkeit ab.

Man müßte mindestens alle bis zu jenem Punkt hinleitenden Untersuchungen noch einmal durchgemacht haben, wenn man ohne Gefahr einen Punkt aus der Mitte herausnehmen will; dann aber ist es so gut, als ob man von vorne anfangen würde. Man darf auch nicht als erwiesen von KANT annehmen, daß Sein die schlechthinnige Position eines Dings ist; das ist von KANT erwiesen, aber in einem bestimmten Zusammenhang und mit Bezug auf eine bestimmte Frage, und es ist erst zu untersuchen, ob dieser Begriff von Sein wirklich der schlechthin allgemeine ist. Man darf nicht mit HEGEL an das Absolute SCHELLINGs anknüpfen und nur die dialektische Entwicklung dazu bringen wollen; denn das hat zur Folge, daß man es mit den Beweisen leichter nimmt, indem man denkt, die Sache sei ja schon gewiß durch anderweitig erbrachte Sicherstellungen, daß es auf die Exaktheit derselbe für die Wirklichkeit des Sachverhalts nicht so viel ankommt.

Hierin liegt ein Haupterklärungsgrund, warum es den Hegelianern so wenig Eindruck gemacht hat, als man ihne die Nichtigkeit und das Unzutreffende der hauptsächlichen Beweise ihres Meisters vordemonstriert hat; sie sind eben im Stillen von der Sache eher überzeugt, als die Beweise ihnen gebracht werden, gerade wie es bei HEGEL selbst der Fall war, obwohl der auf seine Methode ja alles gehalten hat und seine eigentliche epochemachende Entdeckung darin erkennen wollte. Man darf sich nicht als philosophische Grundfrage zuschicken lassen, die nach der Vereinigung der Gegensätze von Sein und Denken, von Ideal und Real; denn das sind sehr weitschichtige, viel umfassende Ausdrücke, von denen sich gar nicht ohne Weiteres behaupten läßt, daß das jedesmal Gegensätze sind, die es besondere Mühe kosten würde sie zusammenzuzwingen zur irgendeiner Eintracht; oder wer das nach gründlicher, allseitiger Prüfung dieser Begriffe dennoch behauptet, der tut eben unserer Forderung Genüge, er hat nicht die Sache bloß übernommen, sondern von Neuem durchgenommen von Grund auf. Soviel davon, daß man sich durch das gewöhnliche Verfahren die Aufgabe von Anderen stellen läßt; nun noch Einiges darüber, daß man dabei viel mehr in Kauf nimmt, als man merkt. Ein philosophischer Gedanke, der so aufgenommen wird, ist nicht ein Gedanke, sondern ein ganzer Schwarm von solchen; das ist das Schicksal unseres Denkens, daß es, je nachdem es sich so oder so entschieden hat, mit dieser Entscheidung eine Unmasse Konsequenzen nach sich zieht. Wenn ich sage: Ideal und Real sind Gegensätze, so sage ich damit: ideal ist nicht real, real ist nicht ideal, Sein ist nicht Denken, Denken nicht Sein. Was folgt daraus sofort? Die Alten folgerten daraus, daß die Welt aus Materie und Form zusammegensetzt ist; denn in jedem Ding scheint etwas zu sein, was ideal war, d. h. in unser Denken abbildlich aufgenommen werden kann, und etwas, das nicht in unser Denken eingeht, auch gar nicht eingehen kann, denn sonst wäre es auch ideal gewesen; dann aber wäre alles ideal gewesen und der Gegensatz von ideal und real ein bloßer Gegensatz des Scheins oder allenfalls des Grades.

Die Neueren folgerten daraus, daß die Welt aus einem obersten Gegensatz besteht, der darum doch wegen der durchgängigen Vereintheit beider Gegensätze eine letzte Einheit voraussetzt; diese ist Gott, die Indifferenz der Gegensätze, die Welt ist die der heraustretenden und sich immer mehr besondernden, spezifizierenden Gegensätze. Die antike Folgerung aus jenem uns so natürlichen Gegensatz ist jetzt meist aufgegeben, es gibt keine Materie ohne Form, die Trennung ist also höchstens eine logische, keine reale, wie sie doch dem Altertum in Bezug auf die Welt immer geworden ist. Die moderne Folgerung ist noch nicht ganz überwunden und kann es nicht werden, ohne daß man den Gegensatz ideal - real' selbst in Frage stellt und einer tieferen Untersuchung unterzieht. Es ist in diesen philosophischen Dingen gerade wie in den moralischen; wer A sagt, muß auch B sagen, wer angefangen hat, ist nicht mehr Herr seiner Bewegungen und will er es sein, so muß er sich mit viel Mühe und Anstrengung wieder einen neuen Ausgangs- und Anfangspunkt gewinnen.
    "Aber wir müssen doch irgendwie anfangen? wir können doch sonst nicht von der Stelle kommen, wir müssen doch sagen, was wir uns unter Wissen denken. Wir werden also zwar nicht davon ausgehen, was Kant und Andere Wissen nennen, dafür aber werden wir unser liebes Ich einsetzen und erklären: ich meine mit Wissen das und das. Denn ganz schöpferisch vermögen wir nicht zu beginnen; wir haben das Wissen nicht zu erschaffen, da es noch gar nicht da ist, wir können es auch nicht wie ein Taschenspieler aus der Pistole schießen, ohne daß es damit doch irgenwie natürlich zugeht."
Ich leugne nun gar nicht, daß wir das Wissen und seinen Begriff nicht zu erzaubern vermögen; aber ich behaupte, es ist ein großer Unterschied, ob wir sagen, KANT hat den und den Begriff von Wissen, oder ob wir sagen: wir gewinnen uns den Begriff von Wissen so und so. Sage ich, KANT, so erwecke ich ein bedeutendes günstiges Vorurteil für so einen Begriff; sage ich, wir gewinnen etc., so heißt das nichts weiter als: ich bin der Ansicht, daß wir so gewinnen, und fordere jedermann auf zuzusehen, ob er ihn auch so gewinnt. Ich stelle damit den Begriff nicht als problematisch, vorläufig, bloß so ungefähr hin, sondern als ganz gewiß, zunächst mir gewiß, aber mit der Aufforderung an Andere, zuzusehen, ob sie damit übereinstimmen. Wir dürfen keinen Begriff eines Philosophen aufnehmen bloß darum, weil er ihn gehabt hat, sondern es ist jedesmal der Begriff von Neuem zu begründen, es ist also so gut, als ob ihn der und der nicht gehabt hätte; nur die jedesmalige Begründung kann ihn empfehlen vor anderen Begriffen, die andere Leute etwa gehabt haben. Es gibt aber noch eine Vorsicht, welch wir anwenden müssen. Wir dürfen nicht damit anfangen zu definieren: "Wissen heißt das und das." Die Menschen werden nicht mit fertigen Definitionen des Wissens geboren, wir sind auch nicht seit Kindesbeinen mit einem eisernen Bestand unseres Begriffs von Wissen herumgegangen, sondern, er mag herkommen, wo er will (das geht uns hier nichts an, wo wir ihn noch nicht einmal haben), das steht uns fest, wir kommen erst durch mancherlei Überlegungen zum Begriff des Wissens in der Form einer Definition. Ja, noch mehr: die meisten Menschen, auch die wissenschaftlich gebildeten, würden etwas in Verlegenheit kommen, wenn sie ganz ex abrupto eine Definition von Wissen geben sollten. Sie werden es vorziehen, Beispiele zu geben und sagen so etwas wie: wissen, daß der Baum, vor dem wir gerade stehen, größer ist als der etwas weiter abstehenden usw.; und so werden sie noch mehrere Exempel vornehmen und sich schließlich aus verschiedenen einen allgemeinen Begriff des Wissens herausbilden, abziehen, abstrahieren, indem sie die Unterschiede fallen lassen und das Gemeinsame behalten.

Wir können getrost erklären, es ist das keine Schande, der Philosophi ist zu seinem Begriff von Wissen gar nicht anders gekommen, er konnte gar nicht anders dazu kommen. Denn er ist ein Mensch wie andere auch; er mag durch seine besondere philosophische Begabgung früher zu einem allgemeinen Begriff gelangt sein, er mag größere Gewandtheit und Leichtigkeit bei dieser Gewinnung zeigen, aber fertig damit auf die Welt gekommen zu sein wird er nicht behaupten, er ist irgendwie zumindest durch Veranlassungen zu seinem Begriff gediehen. Wir nehmen erheben daher keinen Anspruch, uns über den allgemeinen Begriff des Wissens an Beispielen erst gründlich zu belehren, ehe wir uns getrauen ihn zu formulieren. Eine Philosophie soll Untersuchung sein, nicht ein Orakel, welches vom hohen Dreifuß prophetische Weisheitssprüche in die Welt sendet, erwartend, daß die Menge sie gläubig und verehrend aufnimmt und in einem feinen Herzen bewahrt. Es wird aber auf die Beispiele sehr viel ankommen. Es wäre z. B. ganz verkehrt, Beispiele bloß aus einer Wissenschaft zu nehmen, etwa bloß aus der Logik, bloß aus der Mathematik, bloß aus den empirischen Naturwissenschaften, oder bloß aus den sogenannten Geisteswissenschaften. Denn vielleicht wandelt sich der Begriff des Wissens in jeder von diesen etwas ab, und würden wir einen Begriff von Wissen zugrunde legen, der bloß logisch oder bloß naturwissenschaftlich wäre, so würden wir sämtlichen anderen Wissensgebieten einen ungehörigen Zwang antun. Diese Sorge ist keine eingebildete; es läßt sich nachweisen aus der Geschichte der Philosophie, wie verhängnisvoll so eine unbewußte Einseitigkeit gewirkt hat.

So hat SPINOZA seinen Begriff und sein Ideal von Wissen aus der Mathematik gezogen, und welche Wirkung hat er damit hervorgebracht? Es ist ein Weltbild entstanden von einer Art eiserner Ruhe, erhabener Notwendigkeit; die mathematische Stimmung: alles fließt notwendig aus der Natur des allgemeinen Raumes, wird umgewandelt in die: alles in der Welt fließt notwendig aus der Natur der allgemeinen Substanz. Diese Stimmung hat etwas sehr Anziehendes für das Gemüt, die Beweise etwas Überredendes für den Verstand, aber sobald man merkt, wie SPINOZAs Begriff von Wissen bloß mathematisch ist und auf andere Wissensgebiete ohne unerlaubte Gewalttätigkeit gar nicht paßt, schwindet alle Macht der Beweise und aller Zauber seines Grundgedankens dahin; die Beweise sind nichts, das Gefühl der Erhabenheit ist ein erborgter Flitterstaat. Vor einer solchen Einseitigkeit müssen wir auf der Hut sein. Ihr zu entgehen nehmen wir Beispiele aus den verschiedenen Hauptwissenschaften. Diese Beispiele brauchen wir nicht besonders zu wählen; jeder Satz, von dem man in diesen Wissenschaften sagt: man weiß ihn, kann uns zu unserem Zweck dienen. Darum werden wir aber nicht die erstbesten nehmen, die uns einfallen; wir werden keine zu komplizierten nehmen, sonst geraten wir vom Hundertsten ins Tausendste. Wir nehmen möglichst einfache Fälle; denn nicht, was der Satz sagt, interessiert uns hier, sondern was es heißt, daß man von einem solchen Satz sagt: man wisse ihn. Wir beginnen mit einer ersten Beispiel und schlagen den Weg ein von den Geisteswissenschaften abwärts durch die Natur zur Logik aufwärts oder heimwärts.

Was heißt es also, wenn jemand sagt: "Ich weiß, daß Gott existiert!" Gewöhnlich beschäftigen wir uns gar nicht damit, was hier heißt: "ich weiß", sondern fahren sogleich fort mit der Frage, die uns viel mehr packt, wenn wir die Zuversicht jenes Ausspruchs vernehmen, mit der Frage: woher weißt du das? Wie setzen also voraus, daß wir über den Begriff Wissen beide einig sein müßten; nur über einen Punkt, der entweder zu demselben Begriff mitgehört oder außerhalb von ihm liegt - denn das ist bei unserer einwerfenden Frage noch nicht ersichtlich -, mit ihm vielleicht uneinig sind. Hier aber müssen wir Stand halten und Schritt für Schritt nicht fragen, woher weißt du das, sondern was denke ich unter dem Wort "Wissen", indem ich voraussetze, daß wir über seinen Sinn einig, nur über das Woher dieses Wissens möglicherweise uneinig sind. Wir denken uns also aus, was es heißt, wenn ich sage, ich weiß, daß Gott existiert. Ich finde darin folgende besondere Gedanken enthalten. Erstens: ich stelle mir Gott vor in Gedanken, ich denke unter seinem Namen ein allmächtiges, allgütiges, allheiliges Wesen, welches die Welt geschaffen hat. Also ich habe eine Vorstellung von Gott, einen Gedanken von ihm, wenn ich sage: "ich weiß, daß Gott existiert." Aber ist das schon genug? Ich besinne mich und sage: "Nein!" Wenn ich bloß das mit jenem Satz meine, so würde ich sagen: "Ich habe eine Vorstellung von Gott", aber nicht "ich weiß, daß Gott existiert."

Also die bloße Vorstellung von Gott haben ist in diesem Fall noch nicht ausreichend zum Wissen. Es fällt mir aber eine, daß ich einen Unterschied mache zwischen den Vorstellungen von Dingen, von denen ich sage: sie existieren bloß in meiner Vorstellung, und Dingen, von denen ich annehme, sie existieren unabhängig von meiner Vorstellung. Wenn ich einen Roman lese, so existiert alles, was ich lese, die ganze Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende, mit ihren Verwicklungen und Lösungen, ihren Freuden und Leiden, bloß in meiner Vorstellung. So sehr ich mich in das Ganze hineinversetze, so sehr es den Schein und die Empfindung der Wirklichkeit in mir erregt, so täuschend wahr und nach dem Leben alle Personen und Situationen geschildert sein, so reell meine Mitfreude und mein Mitschmerz ist, so wahr ich zittere, bebe für meinen Helden und mit ihm bange und bange in schwebender Pein, bis er wieder aus der ihn bedrängenden Gefahr gerettet ist: so existiert doch alles miteinander nur in meiner Vorstellung, meiner Phantasie. Wenn ich aber sage: "ich weiß, daß Gott existiert", so heißt das nicht, ich habe eine Vorstellung von Gott, ich denke mir das und das unter ihm. Wenn der, welcher so spricht, von Gott weiter redet, so betrachtet er seine Rede nicht wie einen Roman, bloß dazu gemacht, unsere Affekte und Empfindungen in leise, angenehme Bewegungen zu versetzen, unsere Phantasie lieblich zu beschäftigen, und dadurch unsere übrigen Geisteskräfte zu erfrischen und zu erholen, sondern er will sagen: Gottes Existenz ist unabhängig von meinem Vorstellen, er existiert, ob ich ihn vorstelle oder nicht; es ist ganz gleichgültig, ob ich ihn denke oder nicht, es hat das auf sein Sein gar keinen Einfluß. Die Dinge der Phantasie, das sind bloße Vorstellungen, die sind nicht unabhängig von meinem Vorstellen; wenn ich sie nicht vorstelle, sind sie nicht; ein Märchen aus Tausend und Eine Nacht war nicht, ist nicht, wird nicht sein außer in meinen Vorstellungen aber mit Gott ist das ein ganz anderes Ding. -

Hier haben wir zwei wesentliche Punkte bis jetzt erlangt. Erstens heißt in dem Beispiel: "ich weiß, daß Gott existiert", wissen soviel wie einen Gedanken von Gott haben; wer den nicht hätte, würde in der Sache ganz verloren sein; es wäre, als wenn man ihm sagen würde, daß Abrakadabra existiert; er würde erst fragen, was ist Abrakadabra, was meinst du damit? und wir müßten es ihm erst erklären; ebenso ist eine Vorstellung von Gott unerläßlich, wenn man den Satz: "ich weiß, daß Gott existiert", verstehen soll. Zweitens: diese Vorstellung von Gott tut es aber nicht, sondern es muß der weitere Gedanke hinzutreten, daß der Inhalt dieser Vorstellung, das, was durch sie, unter ihr gedacht wird, unabhängig von unserer Vorstellung existiert. Gewöhnlich nennen wir den Inhalt einer Vorstellung ihren Gegenstand, ihr Objekt. Vorstellung von Gott, verbunden mit der weiteren Vorstellung, daß der Gegenstand derselben unabhängig von unserem Vorstellen vorhanden ist, das sind die zwei Momente des Wissens, welche wir bisher durch die Zergliederung jenes Satzes erlangt haben. Aber damit sind wir noch nicht am Ende.

Heißt jener Satz nichts weiter als: ich habe die Vorstellung Gottes und stelle zugleich vor, daß der Gegenstand meiner Vorstellung nicht bloß in meiner Vorstellung existiert, vorhanden ist, so ist nicht einzusehen, warum man das ein Wissen nennt; man könnte es bis jetzt nicht von Einbildung oder Glaube unterscheiden. Die Einbildung und der Glaube können gerade so sprechen; man setzt einen eingebildeten Menschen, etwa eingebildet auf seine körperliche Schönheit, die er gar nicht hat nach dem Urteil der Anderen; er denkt auch: ich habe die Vorstellung von meiner schönen Gestalt und habe die Vorstellung, daß der Gegenstand dieser meiner Vorstellung unabhängig von meiner Vorstellung vorhanden ist. Somit drückt er sich ganz so aus, wie im obigen Fall der Ausdruck lautete, und doch werden wir das Einbildung nennen und nicht Wissen. Derjenige aber, welcher nicht sagt: "Ich weiß, daß Gott existiert", sondern ich glaube, daß Gott existiert, würde ganz dieselbe Erklärung geben können, wie oben, nämlich: "Ich habe eine Vorstellung von Gott und stelle mir weiter vor" usw., und doch nennt er seine Ansicht Glaube und nicht Wissen, und lehnt das Wissen über Gott vielleicht ab; auf alle Fälle unterscheidet er sehr bestimmt zwischen beiden Ausdrücken als nicht synonymen, sondern reell ganz etwas Anderes meinenden. Was muß denn aber zum obigen Ausdruck hinzukommen, damit er ein Wissen ist, damit man zugesteht, er weiß, daß Gott existiert, glaubt es nicht bloß, bildet es sich nicht nur ein, stellt es nicht allein vor? Das, was noch fehlt, ist bereits oben angedeutet in dem Hinweis, daß wir solchen Behauptungen gegenüber sofort mit der Frage kommen: woher weißt du das? Wir fordern den Grund seine Behauptung zu hören. Er soll nicht bloß sagen, ich weiß es; er soll das Wort Wissen in diesem Fall gar nicht in den Mund nehmen, er soll sagen: "Ich glaube"; und selbst dann erkundigen wir uns nach dem Grund seines Glaubens. Sagt er, ich habe keinen, ich nehme es bloß an, weil es mir gefällt, so werden wir ihm antworten: dann kannst du alles kunterbunt annehmen, aber deine Annahme hat dann weiter gar keinen Wert und Bedeutung; für dich mag sie von Folgen sein, aber wer sie nicht zugeben will, dem kannst dur auf sein einfaches Leugnen nichts erwidern, und wenn jemand käme und sagen würde: "Ich nehme an, daß die Welt von einem großen Elefanten getragen wird, den man nur nicht sieht", so ist das so gut eine Annahme wie die deinige; daß deine anderen Menschen plausibler erscheint als die letztere, ändert am wissenschaftlichen Wert beider Behauptungen nichts, es sind bloße willkürliche Annahmen.

Wenn du deinen Satz nicht bloß als Annahme ohne allen Grund, sondern als Glaube festhalten willst, so mußt du zumindest irgendeinen Grund beibringen. Du kannst etwa sagen: "Ich befinde mich bei dieser Annahme gemütlich viel ruhiger und getroster, ich sehe, daß sie einen heilsamen Einfluß auf mein Tun und Lassen hat"; das sind praktische Gründe. Oder: "Ich sehe nicht ein, wie die Welt so sein könnte, wie sie eingerichtet ist, wenn sie nicht von einem so und so beschaffenen Wesen herstammt"; das sind theoretische Gründe. Wo uns diese entgegengehalten werden, sprechen nicht bloß von einer Annahme, sondern von einem Glauben. Warum aber noch nicht von Wissen? Das wird davon abhängen, wieviel Gewicht wir jenen Gründen beilegen. Wir werden sie nämlich sofort abschätzen und einen Unterschied unter ihnen machen; aber welchen? Zunächst einen bloß gefühlsmäßigen, den, ob uns ein Argument befriedigt oder nicht. Befriedigt es uns, d. h. sagt es uns zu, bringt es dieselbe Wirkung auf uns hervor, wie auf den, der es vorträgt, regt sich kein Einwurd dagegen, steht kein Zweifel dagegen auf: so sind wir geneigt, unseren Satz nicht für Annahme, nicht für Glaube, sondern für ein Wissen zu halten. Aber hiermit sind wir noch immer nicht zu Ende. Es scheint zwar, als könnten wir jetzt folgende Zusammenfassung machen: wissen heißt
    1) etwas vorstellen,

    2) vorstellen, daß der Gegenstand der Vorstellung unabhängig von unserer Vorstellung existiert,

    3) einen befriedigenden Grund für diese zweite Annahme haben.
Kurz: wissen heißt eine begründete Überzeugung von der Existenz eines Gegenstandes haben. Aber hier ist noch eine klaffende Lücke. Wir haben gesagt: begründete Überzeugung, befriedigenden Grund. Wann ist denn eine Überzeugung gegründet, wann ist denn ein Grund befriedigend? Ist etwa der Umstand, daß wir auf einen Einfall kommen, schon ein Grund in dem Sinn, wie wir für Wissen Gründe verlangen? Ist ein Grund befriedigend, weil er mir, dir, einem Dritten zusagt? Man hat daher nicht bloß einen befriedigenden Grund für das Wissen verlangt, sondern einen zureichenden, eine ratio sufficiens, und näher noch einen nicht bloß subjektiv, sondern objektiv zureichenden Grund. Subjektive Gründe nennt man dann die, welche von besonderen Umständen abhängen, um eine Überzeugung hervorzubringen, oder auch von der Willkür; objektiv die, welch in allgemein vorhandenen Umständen fußen und nicht von unserer Wahl abhängen, oder man sagt auch, zureichend sind Gründe, wenn sie allgemein und wenn sie notwendig sind, d. h. wenn jeder Mensch als Mensch sie annimmt, sobald er sie nur hört, und gar nicht umhin kann ihnen zuzustimmen, sie als gültig zur Entscheidung der Frage: ob Wissen, ob Glaube, ob Willkürannahme, zuzulassen. Gar nicht von Belang ist vorderhand die Frage, woher diese Gründe stammen, ob von außen, aus der Erfahrung, ob von innen, aus dem Geist; auf jeden Fall müssen sie auf den Geist den nötigen Eindruck machen, sonst leisten sie nicht, was sie sollen. Wenn wir uns der Gewalt eines Grundes nicht zu entziehen imstande sind, wenn wir bei den übrigen Menschen dieselbe Erfahrung machen, daß sie ihn zulassen, sobald sie ihn verstehen, so erscheint er uns zureichend, objektiv zureichend, und das, wofür er geltend gemacht wird, wird dann nicht mehr Glaube, sondern Wissen genannt. Also das Wissen besteht im gegenwärtigen Fall aus folgenden drei Stücken:
    1) aus unserer Vorstellung von Gott,

    2) aus dem Gedanken, daß der Gegenstand derselben unabhängig von unserer Vorstellung vorhanden ist,

    3) aus einem objektiv zureichenden Grund für diese zweite Annahme oder Vorstellung.
Wenn diese drei Bedingungen erfüllt wären, und wo sie in ähnlichen Fällen erfüllt sein werden, da ist nicht Annahme, nicht Glaube, da ist Wissen. Hätten wir objektiv zureichende Gründe für jene Vorstellung von Gottes Existenz, so wäre diese ein Wissen, und als Wissen zugleich nicht bloß unser Besitz, sondern einem jeden mitteilbar, der unsere Aussage samit ihren Gründen hören und verstehen könnte. Und so haben es auch alle gemeint, welche jemals behauptet haben ein Wissen von Gott zu besitzen, sie haben das als etwas betrachtet, was notwendig von jedem Menschen angenommen werden muß. -

Hier ist nun noch vielerlei zu beachten. Erstens: wir müssen eine Vorstellung davon haben, was überhaupt gemeint ist mit dem Gegenstand unseres Wissens. Da entsteht die Frage: woher haben wir die, und wie sind wir davon überzeugt, daß wir sie haben? Zweitens, wir müssen eine Vorstellung haben von einem Sein unabhängig von unserem Vorstellen. Da entsteht wieder die Frage: woher haben wir die und wie sind wir gewiß, daß wir sie haben? Drittens, wir müssen eine Vorstellung haben von Gründen und ihrer verschiedenen Art, ihrem Wert, ihrer Wirkung auf das Gemüt. Woher haben wir diese und wie sind wir gewiß, daß wir sie haben? namentlich woher kommen wir nicht nur zu dem Gedanken, sondern zur Behauptung, es müsse Gründe geben, welche auf jeden Menschen und welche auf jeden zwingend einwirken? Haben wir alle Menschen durchprobiert, daß wir so etwas wissen, und falls wir das könnten, haben wir eine Gewähr dafür, daß immer, unter allen Umständen, in jedem Augenblick jene Gründe auf jeden einzelnen Menschen für sich und auf alle zusammen die beschriebene Wirkung tun? denn das müßte uns feststehen, wenn wir von objektiven, von allgemeinen und notwendigen Gründen sprechen. Und nicht einmal das genügt, wenn wir die Sache auf das Schärfste nehmen. Wir haben eine Vorstellung von Etwas, wir haben die Vorstellung von der Existenz dieses Etwas über unsere Vorstellung hinaus, wir haben die Vorstellung von der allgemeinen und notwendigen Vorstellung einer Existenz dieses Etwas, wenn wir von Gott z. B. ein Wissen haben. Diese müssen zusammen dasein, um von einem Wissen zu sprechen, aber das alles läuft letztlich zusammen in gewisse Vorstellungen, die wir haben, in besonders geartete und abgewandelte Vorstellungen, in Vorstellungen, die in uns sind, nichts außer uns, nichts unabhängig von unserem Vorstellen. Also auf dieses sind wir zuletzt zurückgeworfen, auf gewisse Vorstellungen in uns, Vorstellungen von Etwas, von Existenz, von Gründen eine solche Existenz zu behaupten. Das ist das Ergebnis, das uns hier entsteht. Wir behalten es uns als eine Aufgabe für fernere Untersuchungen vor, welche immer mehr in die Tiefe steigen und doch so klar bis jetzt sich uns aufdrängen. Vorderhand müssen wir noch ein anderes Beispiel nehmen, um uns zu versichern, ob derselbe Begriff von Wissen auch in anderen Wissenschaften existiert, oder ob vielleicht die Idee von Gottes Existenz, die Grundlage der Theologie, etwas Eigenes für sich bildet. Man wird sehr bereit sein zu antworten, daß analoge Fälle jedem viele bekannt sind, aber trotzdem müssen wir uns an eine solche Analyse begeben; vielleicht finden sich doch noch Unterschiede, die wir nicht erwartet haben.

Wir nehmen als zweites Exempel eines aus den Naturwissenschaften im weitesten Sinn, einen einfachen Fall, noch keinen der Naturerklärung, sondern der bloßen Naturwahrnehmung. Wir alle sagen: der Magnet zieht das Eisen an, und behaupten, das zu wissen. Was behaupten wir damit oder was meinen wir mit dieser Behauptung? Es ist Folgendes: erstens: wir haben eine Vorstellung von Magnet und Eisen. Aber diese Vorstellung ist unterschieden von anderen Vorstellungen; es ist nicht bloß eine Vorstellung, sondern genauer eine sinnliche Vorstellung. So unterscheidet sie sich von der Vorstellung Gottes. Wir haben von Magnet, von Eisen das, was wir ein Bild nennen; die Vorstellung von ihnen hat etwas Anschauliches: wir sehen Magnet und Eisen gleichsam vor uns, auch wenn wir bloß an sie denken. Es gibt aber auch Fälle, wo wir nicht bloß an sie denken. Durch solche Fälle sind wir überhaupt erst mit Magnet und Eisen bekannt geworden; sie sind Vorstellungen nicht wie die Vorstellung Gottes, sondern sie haben das Eigene, daß es Vorstellungen sind, welche, wie wir sagen, auf Wahrnehmung beruhen, d. h. wir sind überzeugt gewisse Organe zu haben, Sinnesorgane, diesen waren Magnet und Eisen einmal präsent, so daß wir sie sehen, fühlen, hören und schmecken konnten, allenfalls auch riechen, aber das alles nur, wenn man eine offene Nase hat, oder sie auf die Zunge bringt, oder mit einem harten Körper anschlägt; zum Betasten war unsere Hand erforderlich oder auch ein Teil unserer Haut, zum Sehen unser geöffnetes Auge, eine gewisse Helligkeit und eine bestimmte Entfernung von Eisen und Magnet von unserem Auge; falls diese Entfernung überschritten wurde, sahen wir jene nicht mehr, ihre Wahrnehmung hörte auf.

Hier tut sich eine ganze Welt neuer und eigentümlicher Vorstellungsarten auf, von denen wir vorhin nicht zu reden brauchten; hier aber werden wir ausdrücklich auf sie geführt. Weil wir die Wahrnehmung von Magnet und Eisen ursprünglich gehabt haben, darum haben wir nicht bloß eine Vorstellung von ihnen, sondern eine bestimmte Anschauung, und diese Anschauung bleibt auch nach dem Aufhören der Wahrnehmung noch, und dieses Anschauliche meinen wir, wenn wir sagen, wir haben ein Bild von Magnet und Eisen in unserer Vorstellung, nicht eine Vorstellung allgemeiner Art, wie bei der Vorstellung Gottes. Weiter aber nehmen wir nicht bloß Magnet und Eisen für sich wahr, sondern in einer bestimmten Entfernung oder Nähe voneinander, sie sind räumlich bestimmt. Das ist etwas, was in der früheren Vorstellung Gottes nicht ausdrücklich vorkommen ist. Und wenn wir sagen: "der Magnet zieht das Eisen an", so meinen wir, wir haben wahrgenommen, und es läßt sich wahrnehmen, daß das Eisen in einer gewissen Entfernung vom Magneten, zunächst kleine Eisen- oder Feilspäne plötzlich ihren Ort verlassen, sich auf den Magneten zubewegen und an ihm festhängen. Das ist eine Änderung, die wir da wahrnehmen, so gut und ebenso wahrnehmen, wie wir vorher Magnet und Eisen wahrgenommen haben. Wir behaupten nicht bloß beide und ihren Abstand wahrzunehmen, sondern auch die Veränderung dieses Abstandes, während sie geschieht, und das Resultat, nachdem es geschehen ist. Das ist das Erste; darin liegt eine ganze Masse bestimmter Arten von Vorstellungen. Und das Zweite, wird sich das auch so eigen und vielfach gestalten? Das Zweite war bei dem Gedanken Gottes, daß wir vorstellen, der Gegenstand desselben habe eine von unserem Vorstellen unabhängige Existenz. Beim Magneten und dem Eisen und der Annäherung des zweiten zum ersten, wie denken wir es da? Es wird hier nicht geschildert, wie die Sachen letztlich und abschließend sind, sondern wie wir sie alle nach der nächsten Wahrnehmung denken, d. h. in unseren Vorstellungen haben. Es ist uns hier noch ganz einerlei, ob sich das so bewähren wird bei einer eindringenderen Untersuchung, oder ob Änderungen vorgenommen werden müssen. Hier interessiert uns bloß, was wir meinen, wenn wir sagen: ich weiß, daß der Magnet das Eisen anzieht; der Satz kann falsch sein, der Inhalt; was wir aber damit meinen, wenn wir sagen, daß das ein Wissen ist, das steht uns fest.

Möglich, daß sich der Inhalt dieses Wissens korrigieren könnte, der formale Begriff desselben wird bleiben. Wir behaupten also damit nicht bloß, daß wir die Vorstellung von Magnet, Eisen und Anziehung haben, sondern wir behaupten damit, daß das Vorgestellte, das bei diesen Worten Gedachte, der Gegenstand jener Aussage nicht bloß Vorstellungen in uns sind, sondern auch unabhängig von unseren Vorstellungen existieren. Und wir haben hier einen eigenen Begriff von Existenz, nicht bloß den, daß sie unabhängig von unseren Vorstellungen ist, sondern daß sie außerhalb unseres Vorstellens stattfindet, an einem anderen Ort als dem, an welchem unser Vorstellen ist; wir behaupten damit eine äußere Existenz. Das ist noch etwas Anderes, als es bei der Vorstellung Gottes war. Diese kam uns nicht durch eine Wahrnehmung der Sinne; Unabhängigkeit von unserem Vorstellen war das Prädikat für seine Existenz, bei den Wahrnehmungsgegenständen verwandelt sich dies näher in eine äußere Existenz, und nicht bloß denken wir diese Gegenstände außerhalb von uns, sondern wir denken sie bestimmter im Raum und schreiben ihnen eine Bewegung und vieles Andere von daher zu. Hier haben wir also einen sehr viel näher bestimmten Begriff von Existenz als in unserem ersten Beispiel. - Nun aber das Dritte. Das war bei Gott die Frage nach dem Grund der Vorstellung von seiner Existenz. Ist diese Frage hier auch zu stellen? Stellen wir nicht in unserer Phantasie ganze Welten räumlicher Natur und äußerer Existenz vor, ohne zu behaupten, ohne nur einen Augenblick ernsthaft vorzustellen, es seien dies außerhalb von uns vorhandene wirkliche Dinge, nicht bloß Erzeugnisse unseres freien Denkens, d. h. des ästhetischen oder wissenschaftlichen Dichtens? Einen Grund für diese Unterscheidung müssen wir angeben, ein Merkmal haben, wonach wir bestimmt urteilen mögen, dies gehört zur gedachten äußeren Welt, dies zur wirklichen.

Aber nicht bloß einen Grund beliebiger Art; es genügt nicht zu sagen, das scheint mir so und das scheint mir anders. Das wäre Willkür oder eine subjektive Beschaffenheitsäußerung; dies nennt niemand ein Wissen. Auch genügt kein bloß ungefähres Unterscheidungsmerkmal; so eins wäre etwa wie das von HUME, demzufolge alle sehr lebhaften und starken Empfindungen - Empfindungen sind ja auch zunächst nichts als Vorstellungen in uns - uns veranlassen sie für real zu halten, d. h. für Abbilder oder Bezugspunkte realer Dinge, während alle schwachen Eindrücke für subjektiv, für Phantasie oder Erinnerungsbilder zu halten sind. HUME hat darum auch nicht gesagt, daß die Annahme der Außenwelt ein Wissen ist, sondern sie ist ein Glaube, sie beruth auf einem Glauben; denn starker und schwacher Eindruck läßt sich nicht scharf gegen einander abgrenzen, es gibt keine Skala dafür, wie beim Thermometer oder Barometer; es existiert kein solches Meßinstrument auf äußerer Realität für unsere Vorstellungen. Und nicht nur bei ein und demselben Menschen gibt es kein fixes Maß der Art, sondern noch viel weniger bei verschiedenen Menschen. Man denke nur an die Menschen nicht mit lebhafter, sondern gleichsam mit leiblicher Phantasie, denen alles gleich in die Muskeln und Gliedmaßen fährt, was sie bewegt und ergreift, die alle Vorstellungen, welche sie innerlich erfüllen, sofort äußerlich agieren, und alles, was sis sich vorstellen, gleich vor sich sehen, mit abwesenden Personen, an die sie denken, sich anfangen leise und auch laut zu unterhalten, als wären sie sinnlich gegenwärtig.

Wenn man also behauptet, ein Wissen von den äußeren Dingen zu haben, so genügt es nicht eine Vorstellung von ihnen zu haben verbunden mit der weiteren Vorstellung ihrer äußeren Existenz, sondern ein Wissen wird aus Meinen und Glauben erst, wenn ein zureichender Grund gefunden wird für die zweite Annahme, zureichend wiederum nicht bloß subjektiv, sondern objektiv, d. h. ein Grund, der allgemein und notwendig ist, allgemein d. h. für jeden gültig, der ihn hört und faßt, notwendig d. h. bei dem es nicht in der Wahl jemandes steht, ob er ihn will gelten lassen, er muß gar nicht anders können. Bei äußeren Dingen wäre somit der Begriff des Wissens der, daß wir eine Vorstellung haben von einem Gegenstand und seiner äußeren Existenz aus zureichenden Gründen. Identisch ist mit dem ersten Beispiel das zweite darin, daß
    1) zum Wissen eine Vorstellung von einem Gegenstand gehört, daß

    2) die von unserem Vorstellen unabhängige Existenz desselben aus objektiv zureichenden Gründen angenommen wird.
Verschieden ist in beiden Beispielen die Art der Existenz; bei Gottes Existenz wird bloß zunächst gedacht, sie sei unabhängig von unserem Vorstellen, bei derjenigen der Naturdinge, sie sei nicht nur dies, sondern vielmehr noch eine äußere Existenz. Wir müssen da untersuchen,
    1) was heißt Vorstellung von einem Gegenstand, und woher haben wir sie, wie sind wir ihrer gewiß?

    2) was heißt äußere Existenz und alles, was sich daran anhängt, Raum, Veränderung im Raum etc.?

    3) wie können wir überzeugt sein Gründe für die Annahme äußerer Existenz und dessen, was sich daran anschließt, zu haben, Gründe, die uns ein für allemal überzeugen, und nicht bloß uns, sondern alle Menschen, ja alle Geister; denn das meinen wir gewöhnlich, wenn wir sagen, wir wissen das und das, daß es für jedes Denken, also für jeden Geist verbindlich sein wird.
Dabei ist die Frage einfach gelassen, wie sie war, sie trägt aber unzählige Fragen in ihrem Schoß, die von realer Ursache, Kraft, Ortsveränderung, Gleichförmigkeit im Geschehen, also von Naturgesetzen, und was diese Vorstellungen alles enthalten und wie wir zu ihnen kommen, welches Recht wir somit auf sie haben. Und vielleicht sind wir mit all diesen Fragen noch nicht einmal zum Ende unseres Fragens gekommen, vielleicht überfällt uns, wenn wir erst soweit sind diese Fragen beantworten zu wollen, eine Art Schwindel, der uns alle Besinnung, alles Denken zu nehmen droht; vielleicht taucht schon jetzt die Ahnung auf: schließlich sind doch das Vorstellen überhaupt, die Vorstellung eines Gegenstandes, die Vorstellung von Gründen für die Annahme der Existenz desselben, alles nichts als Vorstellungen in uns, und am Ende wird uns selbst bei diesem Vorstellen bange und es erfaßt uns die grausige Frage: woher wissen wir denn, daß wir etwas vorstellen? vielleicht ist alles nur ein wüster Traum, vergleichbar einer banden entsetzlichen Fiebernacht, ein Ding, was zwischen Nichts und Etwas in der Mitte schwebt und sich selber foltert mit dem Zweifel, ob es mehr zu diesem oder zu jenem, zum Nichts oder zum Etwas gehört. Diese Gedanken werden über uns kommen, aber sie werden uns nichts anhaben, wir werden uns ihrer mit nicht zu großer Mühe und ehrlichen Waffen erwehren.

Wir wenden uns jetzt auch noch zu anderen Beispielen, um nachzusehen, ob der Begriff des Wissens derselbe ist, wie bisher, oder ob er auch Abweichungen an sich trägt, wie der Begriff der Existenz, diese als bloß unabhängig von unserer Vorstellung gedacht odder bestimmter als äußere Existenz gefaßt. Was werden wir für eine Art von Beispiel nehmen? Übersinnliche Dinge haben wir gedacht in der Vorstellung Gottes, sinnliche in der Vorstellung der Anziehung des Eisens durch den Magneten. Es fällt uns ein, daß man die Mathematik oft als ein Bindeglied zwischen Sinnlich und Übersinnlich gefaßt hat, als teilhabend an beiden Vorstellungsweisen; und überdies ist sie stets als ein Muster von Wissenschaft gepriesen worden. An ihr also werden wir uns des Begriffs von Wissen in vorzüglicher Weise zu bemächtigen imstande sein. 2 x 2 ist 4, ist ein beliebtes Exempel für ein unvergleichlich gutes und reelles Wissen. Was heißt da: "ich weiß das?:
    ich habe eine Vorstellung von 2; ich habe eine Vorstellung von 2mal, daß es nämlich besagt, nicht bloß einfach setzen, sondern doppelt; ich habe eine Vorstellung vom Ergebnis dieses Verfahrens, dem Produkt des Multiplizierens.
Somit scheint dieses mathematische Wissen ganz dasselbe erste Moment an sich zu haben, wie das Naturwissen. Aber im zweiten Punkt tut sich eine Verschiedenheit auf, schon vorbereitet dadurch, daß wir unwillkürlich bis jetzt bloß von einer Vorstellung der Zahlen usw. gesprochen haben, nicht von Wahrnehmung. Was stellen wir uns denn unter dem Gegenstand von 2 vor und seiner Existenz? Wir geraten in Verlegenheit. Die einen antworten: der Gegenstand der 2 ist bloß die Vorstellung 2, und seine Existenz ist bloß eine in der Vorstellung, zumindest braucht es keine andere zu sein; also sind die 2 und ihre Vervielfachung zu 4 bloß Vorstellungen, nichts von unseren Vorstellungen Unabhängiges, außer denselben Existierendes. 2, 2 x 2, 4 existieren somit nur in der Vorstellung und so oft sie vorgestellt werden, und außerdem existieren sie nicht, sie haben keinen von unserem Vorstellen unabhängigen Bestand, kein selbständiges Dasein. Die Meinungen über diese Ansicht werden geteilt sein; viele werden sagen: ja, so ist es; die Zahlen sind bloße Vorstellungen, in der Natur, der äußeren, sind keine Zahlen, sondern höchstens zählbare Ding, Gegenstände, auf welche die Zahlen angewendet werden. Noch mehrere werden behaupten: nein, ursprünglich stammen Zahl und Zählen von der Wahrnehmung, aber es kann sich von ihr loslösen, abstrakt werden; sobald man die Vorstellung von 1 und der Zusammenfassung mehrerer 1 hat, braucht man auf die äußere Natur und die Wahrnehmung keine Rücksicht mehr zu nehmen, sondern kann bloß im Kopf, bloß nach den Vorstellungen damit verfahren.

Das sind zwei sehr verschiedene Ansichten. Wir entscheiden uns hier noch für keine. Wir behalten uns diese Entscheidung vor für spätere eingehendere Untersuchungen. Wir nehmen hier bloß, was beide Ansichten Gemeinsames bestehen lassen. Dieses Gemeinsame ist, daß, wenn man einmal die Vorstellung der Zahl und des Zählens hat, man mit ihnen bloß als Vorstellungen weiter arbeiten kann, ohne auf die Erfahrung, d. h. die äußere Natur Rücksicht zu nehmen. Jede Arithmetik macht ihre Ansätze und Operationen bloß mit einer Zugrundelegung der Begriffe der Einheit und deren weiterer Zusammensetzung. Hier haben wir also ein Gebiet ganz eigener Art. Und welche Existenz haben diese so gefaßten und behandelten Zahlen? Sie haben zunächst keine unabhängig von der Vorstellung, keine äußere. Es kann sich finden, daß sie diese auch haben, nicht als Zahlen, sondern als Dinge, auf welche die Zahlen Anwendung erleiden, die zählbar sind; ihr Wert für unser sonstiges Wissen besteht gerade darin, aber für ihre Existenz als Zahlen ist das nicht notwendig. Diese Existenz ist zunächst eine bloß in der Vorstellung, keine von dieser unabhängige, die Zahlen sind etwas, auch wenn sie bloß in der Vorstellung, im Denken, im Geist oder wie man das ausdrücken will, angenommen werden. Ihre Existenz ist ihr Vorgestelltwerden, sie sind bloße Gegenstände der Vorstellung, zunächst bloß vorgestellte, gedachte, ideale Dinge, Wesenheiten; auf den Ausdruck kommt es hier nicht an, genug, daß sie Gegenstände der Vorstellung principaliter sind. Das ist eine ganz andere Existenz, als wir sie im ersten und zweiten Beispiel gedacht haben; bei Gott eine Existenz unabhängig von unserer Vorstellung derselben, bei den Naturdingen eine Existenz gleichfalls unabhängig von unserer Vorstellungf, aber näher bestimmt als äußere Existenz, bei den Zahlen eine Existenz wesentlich und zunächst in der Vorstellung. -

Von geometrischen Dingen läßt sich leicht dasselbe zeigen; eine gerade Linie ist nachweisbar bloß in der Vorstellung im Denken, im Begriff; in der äußeren Natur finden sich für die Wahrnehmung nur Annäherungen zu einer geraden Linie im strengen Sinn. Die Herleitung der strengen Vorstellung ist hier auch eine doppelte. Die einen lassen den Impuls zu ihrer Bildung aus der Wahrnehmung kommen, die andern aus dem Geist. Wir entscheiden hier die Streitfrage ebensowenig wie bei der Zahl; wir halten uns wieder an das beiden Ansichten Gemeinsame, daß nämlich die strenge Fassung etwas ist, was sich bloß im Geist findet; mit welchem Grund man sie doch in der Natur als existierend annimmt, ist einer späteren Entscheidung vorbehalten. Jene strenge Fassung der Vorstellung, des Denkens oder Geistes ist diejenige, welche der Geometrie zugrunde liegt; insofern trägt die Geometrie das Gepräge einer im Geist entwerfenden Wissenschaft, welche bloß in Vorstellungen verläuft. Es ist bekannt, daß die Geometer ihre Figuren bloß als Veranschaulichungen für Auge und Phantasie ansehen, nicht für die eigentlichen Objekte; diese sind das, was jene Figuren bloß andeuten, versinnbildlichen sollen, sie stehen bloß für die strengere Vorstellung, man hat aber das Bewußtsein, daß die strenge Vorstellung es ist, auf welche sich die Lehrsätze und Beweise beziehen, nicht der zufällig genauere oder ungenauere Umriß von Linien. Die Existenz der geometrischen Gegenstände ist also eine in der Vorstellung, im Denken, eine ideale, das Wort in dem Sinn genommen, daß es etwas wesentlich im Geist Gedachtes bedeutet. Sonach hätten wir zwei Merkmale des geometrischen Wissens,
    1) es ist ein Vorstellen, wie es das auch in den früheren Beispielen von Wissen war;

    2) es ist die Vorstellung eines Gegenstandes als existierend, aber dieser Gegenstand und seine Existenz sind nicht unabhängig vom Vorstellen, sie sind zunächst ideal.
Und das dritte Moment in den bisherigen Arten des Wissens, der Grund zur Annahme, daß dem so ist? Dieser Grund ist die Betrachtung der Natur dieser mathematischen Begriffe. Aber haben sie denn eine Natur? was soll bei ihnen das Wort Natur? Ihre Gegenständlichkeit ist ihr Vorgestelltwerden; vorgestellt wird aber alles, was sich nur irgendwie in unserem Geist vorfindet, uns irgendwie bewußt ist. Unterscheiden sie sich nun als Vorstellungen von anderen, etwa den phantastischen, abenteuerlichen, märchenhaften? Gerade dies, daß sie sich davon unterscheiden, gibt das Recht von einer Natur dieser Vorstellungen zu sprechen. Sie sind etwas Festes, Starres, Eigenartiges; wie sie auch in unseren Geist kommen mögen, sind sie einmal da, so lassen sie sich nicht drehen und wenden nach unserer Willkür, man kann nicht mit ihnen umspringen, wie man will. Eine gerade Linie kann ich nur in einer Weise denken; weiche ich von dieser ab, so ist es keine gerade Linie mehr, sondern eine krumme; diese Begriffe zerfließen nicht im Nebel, sie verschwimmen nicht in ein undeutliches nicht mehr zu erhaschendes Bild; so sind sie entweder, was sie sind, oder sind etwas anderes ganz Bestimmtes, oder sind gar nicht. Diese Festigkeit, unbesiegbare Sprödigkeit und Härte der mathematischen Vorstellungen macht, daß man von ihnen als Naturen, Wesen, Gegenständen, Objekten reden kann. Hier haben wir also ein Wissen, welches, zumindest von einem gewissen Punkt an (wenn man nämlich die ersten mathematischen Vorstellungen durch den Einfluß der äußeren Wahrnehmung erklärt), bloß in Vorstellungen verläuft, dessen Existenz wesentlich eine vorstellungsmäßige ist, aber eine vorstellungsmäßige fester, unwandelbarer Art; und der Grund für diese Annahme ist, daß die mathematischen Gebilde eben eine solche Festigkeit an sich haben und ihre Gesetze ebenso mit sich führen. Hier haben wir also ein Wissen übereinstimmend mit den früheren darin, daß es Vorstellung ist, daß es die Vorstellung eines Gegenstandes ist, aber abweichend in der Art der Existenz, welches keine äußere, keine vom Vorstellen unabhängig ist, und doch fester und sicherer Natur; und der Grund für die Annahme solcher Dinge als existenz liegt in der Festigkeit und Sicherheit der vorgestellten Gegenstände bloß als vorgestellter. Ist aber dieser Grund ein objektiv zureichender, ein allgemeiner und notwendiger? Es ist bekannt, daß die Mathematik stolz darauf hinweist, wie jeder ihrer Sätze auf die Zustimmung jedermanns Anspruch erhebt, der nicht abgewiesen werden kann. Denkt man eine gerade Linie, sagt sie, so denkt man sie so und so; denkt man sie anders, so denkt man sie gar nicht; hier ist keine Wahl, keine Willkür, hier gilt kein hin- und zerzerrendes Disputieren, kein Markten und Feilschen, kein Zugeben und Ablassen, ebensowenig findet dies statt bei den Beweisen; also hier scheinen wir in einer herrlichen Lage zu sein. Wir nehmen vorläufig bloß Notiz davon; es ist das alles eine notorische wissenschaftliche Tatsache, daß man in der Mathematik und über die Mathematik so denkt. Es ist das keine Philosophie der Mathematik, die steht uns noch bevor; es ist bloß damit die Beschaffenheit des Wissens beschrieben, wie es nach allgemeiner Aussage ist und gilt. Das mathematische Wissen hat also das Eigene an sich, daß es ganz in Vorstellungen beschlossen zu sein scheint; seine Gegenstände sind Vorstellungen, seine Gründe liegen im Vorstellen. Wir brauchen demnach hier nicht darauf hinzuweisen, wie bei den vorigen Arten des Wissens, daß alles bei ihnen zuletzt doch auf ein Vorstellen hinausläuft; hier zeigt sich dies von selbst, ohne allen besonderen Hinweis, und es tritt nur die neue Verwunderung ein, woher denn die starre, feste Natur dieser mathematischen Vorstellungen kommt, da doch sonst so viel Wechselndes, Schwankendes, Willkürliches in unseren Vorstellungen ist, und wie wir in aller Welt dazu gelangen, den mathematischen Vorstellungen Gültigkeit in der äußeren Welt beizulegen, da doch selbst die Ansicht, welche die mathematischen Vorstellungen letztlich aus der äußeren Erfahrung ableitet, zugibt, daß sie im Geist verändert, idealisiert werden, aber gerade diese idealisierten, d. h. exakten Vorstellungen legen wir der Natur alle Augenblicke unter; nicht nur bei jedem Hausbau verfahren wir so, daß wir davon ausgehen, daß die Natur mathematisch verfährt, die geraden Linien z. B. in ihr Realitäten sind, sondern auch die Bewegungen der Planeten konstruieren wir unter dieser Voraussetzung. Wenn die Mathematik ein einfaches Problem zu bieten scheint, weil alles in ihr Vorstellung ist, so entstehen gerade daraus mit Rücksicht auf das eben Berührte neue Schwierigkeiten.
LITERATUR - Julius Baumann, Begriff der Philosophie, Philosophie als Orientierung über die Welt, Leipzig 1872