ra-2ra-2p-4ra-2J. F. FriesR. OttoE. BoutrouxC. Güttler    
 
ERICH FRANK
Wissen - Wollen - Glauben

"Eines Gegenstandes bin ich mir eben nie bloß als Objekt des theoretischen Bewußtseins bewußt, in seinem Bewußtsein ist immer auch meine praktische Beziehung zu ihm enthalten. Bin ich mir im theoretischen Bewußtein dieses meines Gegenstandes als eines schlechthin gebenen, ohne mein eigenes Zutun, also passiv in der Anschauung so und so bestimmten Objekts bewußt, so ist das praktische umgekehrt das Bewußtsein meiner Aktivität: denn in ihm bin ich mir des Aktes bewußt, durch den ich die in der theoretischen Anschauung schlechthin gegebene Bestimmtheit des Objekts selbst bestimme, selbst gebe."

"Auf der Verwertung des aristotelischen Grundsatzes: daß wir nur das erkennen, was wir selbst hervorbringen beruth, wie dann Kant in seiner Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft eingehender auseinandergesetzt hat, aller Fortschritt der Wissenschaft: Sie begriffen eben, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurf hervorbringt."

"Glaube ist immer Vertrauen, Vertrauen ist aber immer Vertrauen auf Freiheit. Die Freiheit des Glaubens kann darum nie die Notwendigkeit eines Wissens und Wollens haben, nichts, wozu man jemanden zwingen kann."

1. Was unser Wissen, unser Erkennen eigentlich ist, diese Frage ist in der letzten Zeit völlig im Vordergrund allen philosophischenn Denkens gestanden. Aber nicht das Erkennen, sondern die Erkenntnistheorie wollen wir hier zum Problem machen und uns erst einmal auf die methodische Art besinnen, wie diese Disziplin sich das Bewußtein zum Gegenstand ihrer Untersuchung zu nehmen pflegt.

So sehr nun die verschiedenen Philosophen auch in dem, was sie für das Wesen unseres Erkennens halten, voneinander abweichen, in einem scheinen sie doch wenigstens seit KANT übereinzustimmen, nämlich in dem Glauben, daß man, um unser natürliches Bewußtsein objektiv zu erkennen, dessen naive Einstellung verlassen und gewissermaßen einen höheren Standpunkt über denselben einnehmen muß, von dem aus gesehen dieses gleichsam als Objekt in der Anschauung dann vor einem liegt. Darum das Bemühen all dieser Philosophen, den Leser zuerst einmal aus dem natürlichen Bewußtsein heraus zu ihrem Standpunkt hinaufzuführen - ein Bemühen, das man seit DESCARTES' Meditationen immer wieder beobachten kann. So handelt es sich bei KANT darum, vom naiven Dogmatismus des Bewußtsein, das ganz in seinem Objekt aufgeht, zur transzendentalen (kritischen) Einstellung dem natürlichen Subjekt gegenüber zu gelangen. Bei FICHTE und (wenigstens dem jüngeren SCHELLING ist es die intellektuelle Anschauung dieses transzendentalen Bewußtseins, die von uns gefordert wird und in der sich uns dann die Evidenz aller Sätze über das Bewußtsein von selbst ergeben soll. Bei HEGEL schließlich ist es die Phänomenologie des Geistes, die von einem gewöhnlichen Bewußtsein den Standpunkt der absoluten Wissenschaft des reinen Denkens zu führen hat.

Für alle, die die Frage nach der Wahrheit unseres Bewußtseins und unserer Erkenntnis bewegt, ist es daher von Wichtigkeit, sich darüber klar zu werden, wie weit wir auf dem Weg einer solchen transzendentalen oder phänomenologischen Einstellung, wie man in neuester Zeit eine solche erkenntnistheoretische Methode genannt hat, überhaupt Aussicht haben, zu einer wahren Erkenntnis unseres Bewußtseins zu gelangen.

Da fragt es sich in erster Linie, wie weit die Anschauung (Intuition), die wir in der transzendentalen Einstellung von unserem natürlichen Bewußtsein gewinnen, uns schon eine Erkenntnis gibt. Was ist diese transzendentale Einstellung überhaupt für ein Bewußtsein im Gegensatz zum natürlichen? Ist sie eine von unserer natürlichen Erkenntnis völlig verschiedene Erkenntnis- und Bewußtseinsart, oder auch in dieser zu finden? Allgemeiner gefaßt: ist es ein Problem, das sich überhaupt für jede Erkenntnistheorie ergibt, nämlich die Frage: Gilt der Begriff, den die Erkenntnistheorie vom Inbegriff unseres Erkennens aufstellt, nur von diesem ihrem Objekt oder auch von ihr selbst. So glaubt die "Kritik der reinen Vernunft" in unserer Erkenntnis nichts anderes zu erkennen, als den Akt, durch den das Mannigfaltige des sinnlichen Empfindungsmaterials (den Kategorien als den Begriffen dieser transzendentalen Synthesis gemäß) zur Einheit des Selbstbewußtseins gebracht und so geformt wird. Aber dann fragt sich sofort, was diese Erkenntnis der Kritik nun selbst bedeutet. Ist sie auch nur so eine kategoriale Formung sinnlicher oder sonst einer Materie oder absolute Erkenntnis, ein unmittelbars Selbstbewußtsein dieses Aktes selbst? Ist sie das letztere, dann gäbt es neben dem gewöhnlichen Erkennen noch eine von diesem in ihrem Wesen völlig verschiedene Erkenntnis die allein wirklich objektiv wäre und darum der eigentliche Gegenstand der Erkenntnistheorie werden müßte.

Was nun die sogenannte transzendentale Einstellung im Besonderen angeht, so können wir sie zunächst mit ganz allgemeinen, einfachen Worten als die Stufe des Bewußtseins beschreiben, auf der uns alles, auch unser eigenes Subjekt mitsamt seiner korrelativen Beziehung zu seinen Gegenständen, zum bloßen Objekt wird, wo wir also ganz Auge, reines Schauen, reines Denken, Wissen, bloßes Bewußtsein, reine theoria sind. Gewiß im natürlichen Leben findet sich dieses Bewußtsein nie in dieser Reinheit. Hier ist es die stürmische Bewegtheit des Praktischen, das die tiefe Meeresstille dieser reinen theoretischen Kontemplation immer wieder stört und uns nicht zu ihrer Ruhe kommen läßt.

Aber schließlich bleibe ich doch auch auf diesem transzendentalen Standpunkt noch immer dieses selbe Ich, mit dem natürlichen Bewußtsein durch die Einheit meines Selbstbewußtseins verbunden, also muß der Ansatz, die Möglichkeit zu dieser Einstellung doch schon in diesem sich irgendwie finden und in gegenseitiger Beziehung zu ihm stehen. Das Ganze unseres Bewußtseins ist eben nicht bloß das natürliche (naive) Bewußtsein der Erkenntnistheoretiker, sondern muß als die Einheit des natürlichen und transzendentalen Bewußtseins gefaßt werden. Diese Einheit gilt es in einem Selbstbewußtsein zu verstehen, und so ist das Problem: "Wie kommt das natürliche Bewußtsein überhaupt auf den Standpunkt des transzendentalen, und wie ist dann dieser in ihm?"

Die umgekehrte Frage ist leichter zu beantworten: denn daß in der transzendentalen Einstellung das natürliche Bewußtsein, wenn auch, wie man sich sehr treffend ausgedrückt hat, gewissermaßen "eingeklammert" enthalten ist, daran zweifelt wohl niemand. Hier abstrahier eben das natürliche Bewußtsein von sich selbst und reflektiert dann auf sich, auf dieses Abstrahierte, als auf sein Objekt.

Was bleibt dann aber auf dieser Stufe von unserem Bewußtsein überhaupt noch übrig? Offenbar nur dieses: sein Abstrahieren und Reflektieren selbst, nichts als diese Funktion des subjektiven sich auf sich selbst beziehen (und so für sich sein), sowie darin sich von allem anderen unterscheiden - also die bloß theoretische Funktion des Bewußtseins.

Die transzendentale Einstellung wäre somit nicht als eine besondere, dem natürlichen Bewußtsein fremde Erkenntnisart aufzufassen, sondern wäre nur das Selbstbewußtsein seiner abstrakttheoretischen Reflexion, sofern sie sich auf das Ganze des Bewußtseins richtet. Ist also das natürliche Bewußtsein gleichsam "eingeklammert" im Transzendentalen enthalten, so dieses auch umgekehrt im Natürlichen. Das transzendentale ist seine theoretische Seite, dieses ein abstraktes Moment des Bewußtseins, das freilich in der natürlichen Einstellung, in dieser künstlichen Abstraktheit gewissermaßen herauspräpariert, nie erscheint. Das transzendentale Bewußtsein wäre demnach eine bloße Abstraktion aus dem natürlichen, in ihm aber in dieser Reinheit deshalb unmöglich, weil dieses nie ein nur theoretisches, sondern immer zugleich auch ein praktisches ist.

Eines Gegenstandes bin ich mir eben nie bloß als Objekt des theoretischen Bewußtseins bewußt, in seinem Bewußtsein ist immer auch meine praktische Beziehung zu ihm enthalten. Bin ich mir im theoretischen Bewußtein dieses meines Gegenstandes als eines schlechthin gebenen, ohne mein eigenes Zutun, also passiv in der Anschauung so und so bestimmten Objekts bewußt, so ist das praktische umgekehrt das Bewußtsein meiner Aktivität: denn in ihm bin ich mir des Aktes bewußt, durch den ich die in der theoretischen Anschauung schlechthin gegebene Bestimmtheit des Objekts selbst bestimme, selbst gebe.

Das natürliche Bewußtsein ist immer eine Einheit des theoretischen und praktischen, mit einem Wort: Selbstbewußtsein. Weder das theoretische noch das praktische Bewußtsein sind für sich, als solche abstrakte Momente, wie sie die Philosophie unterscheidet, möglich. Das Praktische schon deshalb nicht, weil es überhaupt eine Negation des Bewußtseins ist. Denn alles Bewußtsein als solches ist ja irgendwie bestimmt. Vom Akt des reinen Bestimmens bloß als bestimmenden kann ich also kein bestimmtes, d. h. theoretisches Bewußtsein haben, da ich in jedem Bewußtsein, nicht mehr den des bestimmenden Aktes, sondern schon seine Erscheinung, seinen phänomenalen Ausdruck fasse. So sind diese beiden Seiten: das theoretische und praktische stets untrennbar eines im andern enthalten und selbst im reinen Denken und Wissen, in diesem reinen theoretischen Bewußtsein von etwas überhaupt, ist doch noch das praktische Bewußtsein des Aktes (des Denkens, Wissens), der es hervorbringt.

Auf diesem Moment, daß ich das Bewußtsein allein dadurch, daß ich es bloß denke auch in seiner Realität hervorbringe, beruth ja gerade die Evidenz und Selbstgewißheit der sogenannten "Tatsache des Bewußtseins". Auf diesem Prinzip des Selbstbewußtseins beruth aber, wenn man näher zusieht, überhaupt alle Evidenz und Gewißheit und alle Erkenntnis. Die bloße Gegebenheit, die bloß theoretische Anschauung des Gegenstandes gibt noch keine evidente Erkenntnis desselben. Erst wenn ich in einer bestimmten Anschauung desselben das Prinzip meines seine Bestimmtheit selbst bestimmenden Tuns erkannt habe, kann ich an ihm, an seiner Existenz und dieser seiner Bestimmtheit nicht zweifeln. Dann erkenne ich aber den äußeren Gegenstand in mir selbst, in meinem eigenen Bewußtsein; in dem mein eigenes Tun bestimmenden Gesetz werde ich mir gerade des inneren Gesetzes dieses Gegenstandes bewußt und nur auf diesem Weg kann ich ihn überhaupt erkennen.

Poiountes gignoskomen. "Wir erkennen nur, was wir selbst schaffen." Mit diesen Worten hat schon ARISTOTELES das Selbstbewußtsein als das eigentliche Prinzip unseres Erkennens ausgesprochen und dies am Beispiel der Mathematik, der einzig strengwissenschaftlichen Disziplin, die es damals schon gab, erläutert (Metaphysik, 1051 a). Von hier ist überhaupt ein Zugang zum Verständnis des innersten Grundgedanken seiner Philosophie, in dem er gerade über PLATO hinausging, nämlich, daß die Idee energeia, also das Selbstbewußtsein der absolut schöpferischen Tätigkeit und dadurch den von ihr bestimmten und nir in ihr ihre aktuelle Wirklichkeit (eben energeia) habenden Einzeldingen immanent, nicht choris ist.

Auf der Verwertung des Grundsatzes: "daß wir nur das erkennen, was wir selbst hervorbringen" im Verfahren der mathematischen Konstruktion und in der Experimentalmethode, beruth, wie dann KANT in seiner Vorrede zur zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" eingehender auseinandergesetzt hat, aller Fortschritt der Wissenschaft: "Sie begriffen eben, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurf hervorbringt."

Nur durch den praktischen Versuch erkenne ich die Wirklichkeit. Im Experiment gehe ich von der bloßen Anschauung und Betrachtung des Gegenstandes zur Erkenntnis desselben im eigenen Selbstbewußtsein über, und so beginnt das wirkliche Erkennen immer erst mit dem Verlassen der rein theoretischen Einstellung, der bloß deskriptiven Methode. Solange ich passiv bleibe, nicht nur auf die Beobachtung etwa des Wassers und die genaue Beschreibung seiner Erscheinung beschränke, habe ich noch keine Erkenntnis. Ich muß an die Wirklichkeit des Gegenstandes selbst herangehen, ihn selbst versuchen, um sein inneres Gesetz im Selbstbewußtsein meines davon bestimmten Tuns zu finden.

Selbst wenn wir uns anscheinend rein theoretisch, nur aufnehmend den Dingen gegenüber verhalten, bleibt in unserem Wahrnehmen immer noch ein aktiv-praktsches Element. Wenn wir etwa Musik hören und dabei auch nichts anderes tun wollen als hören, ganz Ohr sein, so sind wir doch dabei nicht bloß rezeptiv; sonst würden wir gar nicht wirklich etwas von ihr hören. Der Sinn, den wir Gehör nennen, besteht keineswegs allein in der Fähigkeit durch Tonempfindungen so oder so bestimmt (affiziert) zu werden, sondern vielmehr in dem Vermögen, diese unsere Tonempfindungen durch das, wenn auch nur innerliche Hervorbringen der ihnen entstprechenden Töne selbst zu bestimmen. Erst dadurch, daß ich in meinen Empfindungen die Töne wiederererkenne, wie ich sie selbst zu aktuieren vermag, nehme ich sie wirklich in meinem Selbstbewußtsein auf, apperzipiere, verstehe, erkenne ich sie. Ich höre immer nur soviel, als ich selbst davon nämlich in Gedanken (potentiell) hervorzubringen vermag. Mein "Gehör" ist so keine bloße Bestimmbarkeit durch spezifische Empfindungen, sondern das Vermögen diese ihre Bestimmtheit durch die entsprechende Produktivität selbst zu bestimmen - mit einem Wort: akustisches Selbstbewußtsein.

Und so ist es mit allen unseren Sinnen überhaupt. Das Auge des Malers wird in der Natur Farben und Formen wahrnehmen, von denen der ungeübte Beschauer gar nichts ahnt, auch wenn er jenen an bl0ß sensibler Rezeptivität übertreffen sollte. Man hat sich in der Psychologie allerdings früher mehr für die Sensibilität unserer Sinne, ihre spezifischen Empfindungen interessiert. Und docht zeigt unser sinnliches Bewußtsein daneben eine ebenso spezifische, sinnliche Aktivität und Produktivitität. Als Ganzes besteht unsere sinnliche Konstitution gerade in der Einheit, in einem Durch- und Ineinander dieser beiden Seiten, in einem spezifisch akustischen, visuellen, motorischen, taktilen oder dgl. Selbstbewußtsein.

Ich erkenne die Dinge in der bloßen Wahrnehmung und Anschauung der Sinne, weil ich sie im Sehen, Hören, Tasten usw., wenn auch bloß ihrer Sehbarkeit, Hörbarkeit, Tastbarkeit nach in Gedanken gleichsam hervorbring; und nur soweit wir dies tun, erkennen wir sie auch dabei. Auch durch die Sinne erkenne ich so die äußeren Dinge doch gewissermaßen in meinem Selbstbewußtsein. Auch das hat schon ARISTOTELES gesehen: "der Stein" sagt er ungefähr de anima 437 b "ist zwar nicht in der Seele, aber seine Form" (eidos) und (ebd. 425 b, 22) "das Sehende ist auch gleichsam gefärbt", nimmt gleichsam Farbe an, hat sich gefärbt.

Selbst mein Denken ist kein bloß kontemplatives Verhalten, in ihm werde ich mir gerade des allgemeinen Prinzips meiner Produktivität bewußt. In seinem schöpferischen Denken - und nur dieses, nicht das bloß reproduktive, das eigentlich nur Reflexion, Abstraktion und Komparation [Vergleich - wp] ist, verdient wirklich den Namen Denken - bringt der Mensch hervor, was noch nicht war, zwar noch nicht in seiner spezifisch sensiblen Bestimmtheit greifbar, aber doch seiner allgemeinen Bewußtbarkeit und praktischen Konstruierbarkeit nach, und nur, weil das Denken so schöpferisch, ja die Seele all unserer Produktivität ist, erkennen wir die Wirklichkeit durch unser Denken.

Verhält sich nun dies alles wirklich so, dann ist überhaupt das Ganze unseres theoretischen Bewußtseins, unser Weltbild, unsere Weltanschauung aufzufassen als der bloß phänomenale Ausdruck, die Erscheinung unserer eigenen produktiven Aktivität in unserem Leben. Sieht doch jede Zeit, ja in ihr wieder fast jeder einzelne Menschen die Welt mit anderen Augen an, und wir apperzipieren von der Wirklichkeit immer nur das, was wir selbst in unserem Leben irgendwie schon praktisch erfahren haben und so in uns selbst, in unserem Selbstbewußtsein finden. -

Nichts scheint im ersten Augenblick paradoxer als der Satz, daß alle Erkenntnis Selbstbewußtsein ist; denn das Erkenn bezieht sich ja gerade auf ein von unserem Selbst (Subjekt) unterschiedenes Objekt. Und doch lassen sich dafür, wie man sieht, gewichtige Gründe anführen. Ja wäre unsere Erkenntnis kein Selbstbewußtsein, sondern Bewußtsein von einem, von ihm selbst durchaus verschiedenen Gegenstand, so bliebe es für immer unerfindlich, wie unser Subjekt einen solchen je sollte erkennen können, das Problem der Außenwelt wäre unlösbar. Denn wir können doch nun einmal nicht aus unserem Bewußtsein heraus, um feststellen zu können, was es mit dem etwa außerhalb von existierenden Gegenstand für eine Bewandtnis hat; und ferner: die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit unserer Erkenntnis müßten dann - weit entfernt uns die Erkenntnis unseres Gegenstandes zu ermöglichen -, da sie von den inneren desselben nach der Voraussetzung durchaus verschieden sein sollen, sie geradezu vereiteln. Indem wir erkennen, würden wir uns gerade durch den Erkenntnisakt die Erkenntnis des Gegenstandes subjektiv bedingen und damit unmöglich machen. Nur wenn das Objekt der Erkenntnis mit dem Subjekt identisch, also selbst Erkenntnis, Selbstbewußtsein ist, fallen diese Schwierigkeiten weg und ist Erkenntnis überhaupt möglich. Dann ist sich das Bewußtsein in den subjektiven Bedingungen seiner eigenen Möglichkeit gerade der objektiven Bedingungen seines Gegenstandes bewußt, dann bringt es also den Gegenstand durch seinen Erkenntnisakt wie (z. B. beim Experiment) auch in seiner objektiven Realität hervor.

Nur wenn man annimmt, daß Erkenntnis Selbstbewußtsein ist, löst sich die sonst unentwirrbare dialektische Antinomie zwischen ihrer notwendigen Subjektivität und ihrer ebenso notwendigen Objektiven. Nurdann löst sich aber auch das Problem der Erkenntnistheorie. Jede Erkenntnistheorie, die das Wesen der Erkenntnis in der Reflexion (Intentionalität sieht, d. h. im Bewußtsein eines von ihm selbst unterschiedenen Objekts und die Erkenntnis darum irgendwie aus den bloß subjektiven Bedingungen ihrer Möglichkeit, aus irgendwelchen subjektiven (immanenten) sie konstituierenden Akte erklären und konstruieren will, wie es z. B. auch die kantische tut, widerspricht sich notwendig selbst. Denn sie nimmt für sich das Recht in Anspruch, die allgemeine Bedingtheit unserer Erkenntnis, selbst unabhängig von dieser Bedingtheit, nämlich absolut zu erkennen. Der wahre Begriff der Erkenntnis muß sich aber doch auf sich selbst anwenden lassen, ohne sich zu widersprechen, der Begriff, den die Erkenntnistheorie von einer Erkenntnis überhaupt aufstellt, muß auch von ihrer eigenen Erkenntnis gelten, d. h. muß ihr eigendes Selbstbewußtsein sein. Dies ist aber nur dann möglich, wenn dieser Begriff selbst eben das Selbstbewußtsein ist. Nur dann widersprechen sich Form und Inhalt der Erkenntnis nicht, sondern beides ist dann identisch. -

Zugegeben also, daß das schöpferische Selbstbewußtsein Quell und Ursprung aller wirklichen Erkenntnis ist, so liegt doch darin zugleich eine Schranke für unser Erkennen. Denn wir können ja die Dinge der Natur nie wirklich, ihrer eigentlichen Existenz nach schaffen, was wir können, ist nur dem schon Existierenden durch unser Tun eine neue Form zu geben. Wir mögen die Materie noch so sehr zerlegen, wir stoßen doch schließlich auf letzte Elemente, deren Inneres uns verschlossen bleibt, wie auch das der lebendigen Naturkräfte, denen wir immer nur eine neue Richtung geben, die wir aber nicht tatsächlich schaffen können. Darum bleiben uns die Dinge der Natur stets etwas uns selbst Fremdes, ein ewig "Anderes".

Die Natur können wir nur soweit streng wissenschaftlich erkennen, als wir sie selbst hervorbringen. Selbst hervorbringen können wir an ihr aber immer nur ihre äußere Form, die äußeren Bedingungen, unter denen ihre Gegenstände erscheinen, die bloße Zusammensetzung ihrer Teile und den bloße Mechanismus ihrer Kräfte. Ihr lebendiges Inneres, ihr eigentliches Selbst bleibt uns verschlossen. Die Naturwissenschaft erkennt nur gleichsam das Negativ der Wirklichkeit, die Außenseite, die die Dinge einander und auch uns zukehren, ihre absolute Relativität. Die Natur ist so gerade die Schranke unserer bestimmenden und schöpferischen Spontaneität, das, was wir selbst nicht bestimmen können, wodurch wir vielmehr selbst in unserem Tun notwendig bestimmt sind.

II. Wenn wir in der Natur so kein Selbst fassen können, so müssen wir es wohl in uns selbst suchen. Hier, im Praktischen sind wir ja selbst bestimmend und schöpferisch, nicht nur, wie im Reich der Natur in unserem Handeln bloß bestimmt. Gäbe es nur Natur für uns, d. h. wäre all unser Tun nur naturgesetzlich bestimmt, ohne Möglichkeit es selbst zu bestimmen, dann wäre unsere Erkenntnis dieser Naturgesetzlichkeit ja selbst naturnotwendig bestimmt, also bloßer Schein. Denn unsere Experimente können uns doch nur dann eine wirkliche Erkenntnis verschaffen, wenn wir dabei die Naturvorgänge in ihrem Ablauf selbst bestimmen. Andernfalls fiele die dadurch gewonnene Erkenntnis in nichts zusammen.

Die Möglichkeit einer objektiven Naturerkenntnis setzt also voraus, daß unser Selbstbewußtsein sein Tun selbst bestimmt, d. h. praktisch ist. Die Funktion des Bewußtseins, sein Tun selbst zu bestimmen, ist aber der Wille. Wenn ich sage "ich gehe", so heißt das: ich selbst gehe mit Willen, bin mit meinem ganzen Selbstbewußtsein dabei, sonst müßte ich etwa sagen: mein empirisches Ich, also ein anderes Ich in mir geht; nicht ich selbst gehe dann. Der Wille ist die aktiv bestimmende Seite des Selbstbewußtseins, so wie das theorertische Bewußtesin das Vermögen seiner bloß passiven Bestimmbarkeit ist. Darum ist mit dem Willen auch immer das Bewußtsein des freien Selbstbestimmens, der Freiheit verbunden. Und doch finde ich in mir, wenn ich darauf reflektiere, diesen oder jenen bestimmten Willen, etwa zu gehen, zu trinken und dgl. einfach faktisch vor, ohne daß ich mir bewußt bin, ihn selbst bestimmt zu haben. In dieser Reflexion des Willens auf sich selbst fragte ich mich: will ich auch wirklich, was ich da tatsächlich will? d. h. bin ich es selbst, der das alles will, oder ist in all dem mein Wille nicht selbstbestimmend , sondern bestimmt durch diese oder jene anderen Zwecke, ist er durch diese oder jene selbst, wieder notwendig bedingten Bedürfnisse, Vorstelleungen etwa naturnotwendig determiniert? Dann wäre ich es gar nicht selbst, der das alles will, wäre das gar nicht mein wahrer, eigentlicher Wille.

Das Problem, das der Wille in der praktischen Reflexion auf sich stellt, ist also: ob er in seinem faktischen, empirischen Willen seiner eigenen wahren Willen erkennen, ob er in jenem sich seiner selbst bewußt werden kann. Das ist aber offenbar nur dann der Fall, wenn er in seinem faktischen Wollen nicht durch seine bestimmten Gegenstände und Zwecke determiniert ist, sondern in ihnen und durch sie nur sich selbst, eben seinen wahren (ideellen) Willen will.

Diese Forderung des Willens, in allem Wollen sich stets seiner selbst bewußt werden zu können, ist aber nichts anderes als das Sittengesetz, wie es in dieser seiner reinen Allgemeinheit im Grunde schon KANT formuliert hat. Das Sittengesetz ist die Forderung des Selbstbewußtseins des Wollens. Sein Wollen zu wollen, das ist die reine Form und das innere Prinzip allen Wollens, und so ist das Selbstbewußtsein der oberste Grundsatz aller praktischen Erkenntnis, so wie der aller theoretischen. Die Frage, ob mein Wille frei ist, ist zunächst keine theoretische, sondern die praktische, die der Wille selbst in der Reflexion auf sich stellt, und diese praktische Reflexion ist eigentlich das Gewissen. Es ist also eine Gewissensfrage. Vor unserem Gewissen prüfen und entscheiden wir, ob unser Wille der wahre Wille unseres Selbst ist oder nicht. Das schlechte Gewissen ist der zerrissene Wille auf der Stufe der Reflexion (Intentionalität), auf der er nicht zum Selbstbewußtsein seiner selbst, nicht zur Einheit mit sich selbst gelangen kann. Immer wieder muß er hier erkennen, daß er ja eigentlich gar nicht will, was er will, - und so wird er ruhelos von einem zum andern fortgetrieben, ohne je eine wirkliche Befriedigung zu finden. Das Gewissen kann sich erst dort beruhigen, wo der Wille die Stufe des Selbstbewußtseins erreicht hat, wo er in all seinem Willen sich als ein und denselben, identischen weiß, der also in allem Wollen nichts als sich selbst, d. h. den wahren, guten Willen will. Da ist der Wille befriedigt. Denn er hat ja dann das, was er eigentlich will, hat also nichts mehr zu wollen. Der Wille will hier nichts mehr, hebt sich also selbst auf und kommt so endlich zum Frieden mit sich selbst.

III. Ist nun aber diese Stufe des vollkommenen Selbstbewußtseins für unseren Willen überhaupt je erreichbar oder ein bloßes Hirngespinst, das uns unseren Willen nur vortäuscht? Nie erreicht jedenfalls unser Wille als Ganzer und in jeder Einzelheit diese sittliche Höhe. Im Ganzen unseres Lebens bleiben wir stets auf der Stufe der Reflexion, auf der des zerrissenen, ruhelosen, nie befriedigten Willens außer vielleicht in seltenen Augenblicken besonderer mystischer Gnade (visio pacis).

Gibt es für uns also überhaupt einen freien, einen wahren Willen? Ist unser Selbstbewußtsein überhaupt irgendwo selbstbestimmend und schöpferisch oder überall nur bestimmt und reproduktiv? Mit anderen Worten: haben wir überhaupt ein Selbst? Oder sind wir nur ein Bündel von Wollungen, bestimmt bald von da, bald von dort, hin- und hergetrieben, wie die Blätter im Wind? Daß wir glauben, selbst zu wollen, daß unser Wollen in manchen Augenblicken das Bewußtsein des Friedens hat, ist noch kein Beweis, daß dem wirklich so ist. Dieses Bewußtsein kann sich später immer noch als Selbsttäuschung erweisen. Kein Wille ist so stark, daß er nicht schließlich dem Zweifel der Reflexion zum Opfer fallen könnte, nichts ist auch innerlich unwahrer als die künstliche Selbstsicherheit des Moralisten.

Haben wir aber kein Selbst, keine Freiheit, keinen eigenen Willen, dann schwankt alles unter uns, dann gibt es überhaupt nichts Festes in unserem Bewußtsein. Und das ist, vielleicht, in der Tat die letzte Wahrheit unseres Selbstbewußtseins, daß es nichts Festes, daß es am Ende ein leerer Abgrund ist; daß wir erst in der völligen Verzweiflung an uns selbst, die Wahrheit unseres Selbst finden; die Wahrheit, daß es für sich eben Nichts, kein Selbst ist, daß es alles, was es ist, nicht durch sich selbst, sondern nur durch ein Anderes ist. Dann ist aber unser Selbstbewußtsein eigentlich gar kein Bewußtsein meiner Selbst, sondern das Bewußtsein von etwas anderem, einem Glauben an das durch das ich erst ein Etwas, ein Selbst bin.

Wahrhaft frei wäre nur ein Selbstbewußtsein, das auch sich und sein eigenes Schaffen selbst schafft. Nur so ein absolut schöpferisches Selbstbewußtsein wäre ein absolutes Selbst, nur ein solches hätte auch eine absolute Erkenntnis, ein wirkliches Wissen (Idee). Der Mensch ist sich zwar seines Selbst, seiner Freiheit, und seiner Schöpferkraft bewußt, aber er findet dies alles einfach in sich so vor, ohne sich bewußt zu sein, es selbst so bestimmt oder geschaffen zu haben. Ja, dieses Bewußtsein der Inspiration und Intuition ist gerade das Merkmal aller wahren Freiheit und allen wirklich schöpferischen im Menschen, dieses Bewußtsein getragen zu sein von einem schöpferischen Strom, der gleichsam von anderswo kommt und aus unbekannten Tiefen in das Selbst eintritt, und den das Selbst gar nicht mit seinem Willen bewußt erzwingen kann.

Das ist die merkwürdige und tiefsinnige Dialektik der Freiheit, daß wir unsere wahre Autonomie so erst im Bewußtsein unserer Heteronomie [Ungleichartigkeit - wp] finden. Darum ist aber das Bewußtsein meines Selbst und meiner Freiheit nichts absolut Festes, nichts bestimmt Faßbares, sondern etwas ganz Schwankendes, also gr kein Wissen und keine Erkenntnis. Und das kann es auch gar nicht sein, wenn ich tatsächlich nur das erkenne, was ich selbst hervorbringe, denn mein Selbst bringe ich eben nicht selbst hervor. So kann auch mein Bewußtsein von meinem Selbst niemals ein Wissen sein, wie etwa ein mathematischer Lehrsatz oder ein experimentell zu erweisender Naturzusammenhang.

Wenn unser Selbstbewußtsein aber auch kein Wissen ist, so kann ich trotz allem an ihm nicht zweifeln, denn meines Selbst bin ich mir ja unmittelbar bewußt, als das, was in all meinem Wissen, Zweifeln, Wollen, Handeln eigentlich denkt, zweifelt, will und handelt. Dieses Selbst ist das eigentliche Zentrum und Subjekt meines Bewußtseins, gleichsam die Substanz, die seinem Wissen, wie seinem Wollen zugrunde liegt.

Wenn aber nicht Wissen, was für ein Bewußtsein ist dann dieses merkwürdige mit keine anderen zu vergleichende Bewußtsein von unserem Selbst. Ich möchte es hier "Glauben" nennen. Sowohl Wissen (Erkennen), wie auch Wille ist immer Bewußtsein von einem, von ihm selbst unterschiedenen Objekt, in dem es aufgeht; auch im Wollen will ich nur etwas, was ich nicht selbst bin. Denn hätte ich es, so würde ich es nicht mehr begehren. Dem Wissen Wollen gegenüber, ist aber das Selbstbewußtsein Bewußtsein nicht von einem bestimmten Objekt, sondern von einem absolut bestimmenden Subjekt, und ein solches Bewußtsein wollen wir hier Glauben nennen, indem wir allerdings meinen, daß es das ist, waas Eigentümliche all dessen ausmacht, was man im weitesten (nicht nur religiösen) Sinn Glauben zu nennen pflegtf. Dieser Begriff des Glaubens ist freilich ebenso zu unterscheiden von einem theoretischen Glauben, der ein bloßes Fürwahrhalten (doxein, putare), wie vom praktischen, der mehr ein für praktisch richtig und gut halten (ducere) ist. Dagegen ist das, was wir hier unter Glauben verstehen, soviel wie vertrauen (credere). Glaube ist immer Vertrauen, Vertrauen ist aber immer Vertrauen auf Freiheit. Die Freiheit des Glaubens kann darum nie die Notwendigkeit eines Wissens und Wollens haben, nichts, wozu man jemanden zwingen kann. Der Glaube ist also das eigentümgliche Bewußtsein der Freiheit, andererseits aber unser Bewußtsein der Freiheit. Nicht theoretische Erkenntnis, auch nicht praktische, wie etwa KANT meinte, sondern schlechthin Glauben, Vertrauen.

Obwohl im Glauben nichts objektiv Festes ist, obwohl ihm alle statische Bestimmtheit fehlt, er rein subjektiv, innerliche Bewegtheit ist, ist er doch ein Bewußtsein, an dem ich nicht zweifle. Denn nur soweit ich nicht zweifle glaube ich. Keineswegs also ist es ein Bewußtsein, das weniger Gewißheit hätte, als Wissen oder Wollen, sondern gerade unmittelbare Selbstgewißheit und die Quelle aller anderen Gewißheit in uns. Alles Beweisen geht ja schließlich darauf zurück, das Bewußtsein eines Objekts auf die Gewißheit meines Selbst zurückzuführen. Denn mein Selbst ist das einzig Gewisse, an dem ich nicht mehr zweifeln kann, nicht etwa, weil ich logisch-theoretisch daran nicht zweifeln könnte - das kann ich ja! Aber das ist nur äußerlich, bloßer Lippendienst. In Wahrheit glaube ich ja doch daran und widerspreche mir so selbst, wieder nicht etwa logisch, sondern faktisch. Denn ich glaube nicht wirklich, was ich dann sage und denke. An mein Selbst glaube ich eben, solange ich lebe. Dieser Glaube ist das Selbstbewußtsein meines Lebens und nur mit diesem auszurotten. So ist unser Selbstbewußtsein ein Beispiel für ein wahres Glaubensbewußtsein: in ihm bin ich meiner selbst unmittelbar bewußt, aber nicht als Objekt, sondern als frei bestimmendes d. h. als absolutes Subjekt, als Substanz, als frei schöpferische Seele, als Selbst.

So ist Glaube das eigentliche innere Wesen, der eigentliche Kern unseres Bewußtseins, theoretisches wie praktisches Bewußtsein sind seine bloß peripherischen Sphären. Denn im Erkennen wie im Wollen weiß sich unser Selbst nur auf von ihm unterschiedene Objekte bezogen, im Glauben dagegen auf sich selbst.

Um das Verhältnis von Erkenntnis, Wille und Glauben zueinander klar zu machen, kann man das von Empfindung, Trieb und Gefühl vergleichen. Diese Dreiheit zeigt jeder lebendige Organismus, schon das kleinste einzellige Tier. Im Gefühl ist das Lebendige nur auf sich selbst bezogen, ist sich darin unmittelbar seines eigenen Lebensprozesses bewußt: - Lebensgefühl, ein Bewußtsein, das, wenn es durch ein äußeres Objekt passiv bestimmt ist, zur Empfindung, dagegen zum Trieb wird, sofern es sich aktiv auf ein solches Objekt bezieht. Das Lebensgefühl des Organismus ist der jeweilige Ausgleich, die Resultante, die synthetische Einheit seines Trieb- und Empfindungslebens. Dieses Verhältnis von Empfindung, Trieb und Gefühl, zeigt eine auffallende Analogie zu dem von Wisen, Wollen und Glauben. Nur unterscheidet sich der Mensch von allen anderen Lebewesen durch die Form seines allgemeinen (aktuellen) Selbstbewußtseins. Die in die allgemeine Form des Selbstbewußtseins aufgenommene singuläre Empfindung wird bei ihm zur Allgemeinheit der Erkenntnis. Der singuläre Trieb wird durch die Form des Selbstbewußtseins zur Allgemeinheit des Willens. Unserem Lebensgefühl gibt aber das Selbstbewußtsein die Form des Glaubens. Glaube ist so die synthetische Einheit von Erkenntnis und Willen, theoretischem und praktischem Bewußtsein, ganz wie das Gefühl die von Trieb und Empfindung, von Aktivität und Passivität ist. Der Mensch ist das, was er glaubt, nicht das, was er bloß denkt oder will. Jeder Mensch hat seinen Lebensglauben, als das Prinzip seines ganzen Handelns und Denkens, ob er nun an Gott, an die Materie, an das Nichts oder an die Vernunft glaubt. Hier im Glauben bezieht sich der Mensch nur auf sich selbst, der Lebensglauben ist sein eigentlicher Schwerpunkt, inde er in sich ist, während sich im Wissen wie im Wollen nur seine Beziehug zur Umwelt seiner äußeren Objekte ausdrückt. Zugleich finden aber Denken und Wollen im Glauben ihr gegenseitiges Gleichgewicht, ihre synthetische Einheit.

Schon KANT hat die Notwendigkeit eingesehen, ein drittes in unserem Bewußtsein anzunehmen, worin die Einheit des theoretischen und praktischen zu setzen ist. KANT selbst hat bekanntlich dieses Dritte in der Urteilskraft zu finden geglaubt. Aber diese kantische Urteilskraft ist ja selbst doch nur wieder ein theoretisches Vermögen, bl0ß reflektierende Urteilskraft und ihre dann notwendige Beziehung zum Gefühl, erscheint darum so, wie sie KANT konstruiert, nur sehr gezwungen. Auch für HEGEL ist die absolute Erkenntnis die identische Einheit der theoretischen und praktischen Erkenntnis, indem er dieses Dritte aber wieder in ein absolutes Denken setzt, so behält es doch immer eine dem logischen, theoretischen verwandte und dem praktischen entgegengesetzte Struktur und Eigentümlichkeit. Die synthetisch (dialektische) Einheit des theoretischen und praktischen in uns muß aber ein Drittes, ganz neues, von beiden Momenten selbst völlig verschiedenes Bewußtsein sein, und für dieses wüßte ich keinen besseren Namen als Glauben. Glaube ist zwar nicht gleich Gefühl, wie manche Religionsphilosopen meinten, ebensowenig wie Empfindung schon Erkenntnis ist, aber es ist das zum Selbstbewußtsein seiner selbst gekommene Lebensgefühl.

Der Glaube selbst ist immer mehr als ein bloßes Gefühl, er hat nicht die Singularität desselben. In ihm ist das Bewußtsein eines Allgemeinen und diese Form der Allgemeinheit unterscheidet ihn vom bloßen Erlebnis. Andererseits ist freilich wo Glaube auch immer Gefühl, und nur im Gefühl hat der Glaube seinen eigentlichen Boden und sein eigentliches Leben. Der Glaube durchdring aber mit der allgemeinen Form seines Selbstbewußtseins innerlichst das Fühlen und formt es so um. Das Gefühl des Glaubens selbst ist dann wohl die Liebe. Denn wirklicher Glaube ist nur dort, wo Liebe ist, so wie andererseits alle Liebe den Glauben voraussetzt, und mit dem Glauben schwindet.

Der Glaube ist so der eigentliche Grund und das innere Wesen unseres Selbstbewußtseins. Glauben freilich nicht im Sinne HUMEs als ein theoretisches, bezweifelbares Fürwahrhalten, auch nicht im Sinne KANTs als ein praktischer Glaube oder als als Postulat der praktischen Vernunft, noch weniger im Sinne von FRIES oder JACOBI als ein unbestimmtes Ahnden, sondern Glauben im Sinne eines alles bestimmenden Vertrauens, einer unzweifelhaften Glaubensgewißheit.

So bleibt der Glaube als das eigentliche Absolute im menschlichen Bewußtsein; andererseits ist aber unser Bewußtsein von einem Absoluten eben Freiheit des Glaubens, nicht Notwendigkeit eines Wissens, zu dem man einen auch zwingen kann. Glaube ist immer nur soweit wirklich, als der Zweifel der Reflexion sich noch nicht an ihn herangewagt, nur in der Sphäre dieser Unreflektiertheit und Unbewußtheit. Glaube ist immer Glaube an ein Absolutes, sei es der Glaube an Gott oder an die Materie, ans Nichts oder an die Wahrheit. Aber die Stufe des vollkommenen Selbstbewußtsein erreicht er erst dort, wo er sich bewußt wird Glaube zu sein, wo er in all dem Besonderen, was er glaubt, doch nur den Glauben glaubt, wo er Glauben am Glauben wird, wo für ihn der Glaube das Absolute wird. Das Selbstbewußtsein der schöpferischen Freiheit ist die Idee, das Schauen (intellektuelle Anschauung, lumen gloriae). Der Mensch hat kein absolut schöpferisches Selbstbewußtsein, also hat er keine absolute Erkenntnis der Idee sondern nur Glauben an sie: "Der Mensch lebt nicht in der Idee (im Schauen), sondern im Glauben". Der Glaube ist eben die wahre Idee des Menschen, und darum findet der Mensch erst in seinem Glauben sein wahres Selbstbewußtsein, die vollkommene Identität von Subjekt und Objekt (pistis pisteos). Nur im Glauben ist der Mensch wirklich schöpferisch, und der Glaube so der eigentliche Ursprung all unserer Erkenntnis. Die Philosophie ist immer nur die theoretische Formulierung eines bestimmten Lebensglaubens, sein Ausdruck in der Sphäre des Gedankens. Man kann darum nie bloß theoretisch, logisch beweisen wollen, welche Philosophie die wahre ist. Objektiv betrachtet ist es die, welche die Philosophie des wahren Glaubens ist. Welches aber der wahre Glaube ist, diese an das Innerste unseres Lebens greifende Frage, wird nicht mehr in der Sphäre des theoretischen Bewußtseins, sondern in der des Glaubens entschieden. Das Leben des Glaubens ist das Ringen um den wahren Glauben des Lebens. Dieses Ringen ist der wahre Sinn und Inhalt der menschlichen Geschichte und der bloß theoretische Widerschein dieses gigantischen Rings im Reich des Gedankens ist die Geschichte der Philosophie.

LITERATUR Erich Frank Wissen - Wollen - Glauben, LOGOS, Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Bd. 8, Tübingen 1920