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JULIUS BAUMANN
Philosophie als Orientierung
über die Welt

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Der Mensch, wenn er zuerst diese Beweise hört und sich ihnen nicht entziehen kann, meint, alle Herrlichkeit der Welt sei damit zerstört. Alles ist Vorstellung, das ist ihm so viel wie: alles ist blaß und öde; er ist gewohnt die Vorstellung in einen Gegensatz zur Wirklichkeit, das Denken in einen Gegensatz zum Leben, die Theorie in einen Gegensatz zur Praxis zu stellen. Vorstellung ist ihm so viel wie: das ist ein leerer Gedanke, eine müßige Einbildung. Aber Realität, das ist, was alle Sinne belebt, alle Lebenskräfte anschwellen läßt; Wirklichkeit ist der Zauberklang, der Millionen zu sich lockt, die Gott danken, daß sie nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt sind. Denken, was ist das gegen das Leben? Denken ist so viel wie Brüten in sich selbst, Leben aber, das heißt die ganze Welt in sich aufnehmen, alle Seiten unseres Daseins hingeben an sie und sich erfüllen lassen von ihr.


Zweites Kapitel
Der Begriff des Wissens und der sich
daraus ergebende Idealismus

[Fortsetzung]

Gott, Naturwahrnehmung, Mathematik haben wir jetzt durchgegangen, fragend, was wir unter Wissen hierbei verstehen; es naht uns jetzt ein Gegenstand, welcher mit der Mathematik das gemein hat, daß er zunächst in Vorstellungen zuhause ist. Dieser Gegenstand ist die Logik. Ich nehme den einfachsten Satz der Logik, wie er sich ausdrückt im principium identitatis A = A. Was liegt darin, wenn man nicht bloß sagt, das ist ein Wissen, sondern auch noch sagt, das sei das Fundament allen Wissens, es sei der allgergewisseste, sicherste Grundsatz, den jedermann nicht bloß zugesteht, sondern den er sogar zugesteht, wenn er ihn leugnet. Denn wer einmal sagt: "ich leugne den Satz der Identität", was sagt er damit? Dieses, A ist nicht A; er sagt also, ich leugne, daß A ist A. Betrachten wir das Anfangswort: "ich leugne". Was heißt das? Ich verneine als wahr, ich behaupte als nicht wahr; er leugnet, verneint, behauptet eine Negation. Tut er damit nun eine oder zwei Sachen? Er will eins tun, er will verneinen, er will nicht verneinen und bejahen zugleich, er will bloß eins tun, sagen: A ist nicht A; er verfährt somit nach dem Satz der Identität, indem er behauptet gegen ihn zu streiten. Indem er ihn leugnet, hat er nicht vor ihn zu behaupten, indem er ihn verneint, meint er nicht ihn zu bejahen; das ist aber der Sinn des Satzes der Identität, daß man nicht in einem Atem Ja und Nein in Bezug auf etwas denken kann, daß, wenn ich sage: "Ja", dies nicht den Sinn hat: "Nein", wenn: nein, nicht: ja, wenn ich sage: "Ich denke", ich damit nicht meine, ich denke nicht, wenn: hell, dies nicht soviel ist wie: dunkel, weil hell und dunkel sich verhalten wie ja und nein. Kurz: der Satz der Identität heißt gar nichts anderes, als daß jeder Satz, jeder Gedanke den Sinn hat und haben soll, den ich damit verbinde, und keinen anderen. Daher ist es auch leicht aufzuzeigen, daß ein Mensch zwar Entgegengesetztes sagen kann, aber ohne es zu denken; wenn ich sage: "dieser Apfel ist schön, und derselbe Apfelt ist nicht schön, so scheine ich ja und nein zusammen auszusagen, aber ich meine etwa: dieser Apfel ist schön von Farbe, er ist nicht schön von Form. ja, selbst wenn ich ohne Erklärung sagen wollte: dieser Apfel ist schön und nicht schön zugleich, so würde der Satz der Identität gleichwohl seine Gültigkeit bewahren. Denn ich würde eben jene Aussage getan haben wollen und nicht zugleich ihr Gegenteil oder ihre Verneinung; ich würde nicht damit denken können gedacht zu haben, daß er nicht zugleich schön und nicht schön ist. Wie sich daher ein Mensch drehen und wenden will in seinen Gedanken, er kann sich dem nicht entziehen, daß sein Vorstellen eben ein Vorstellen ist, und vorstellt, was es uns vorstellt, und wie er es vorstellt, d. h. mit welcher Gewißheit, Realität und welchem Grund. Hier haben wir also wiederum ein Vorstellen, welches zwar allgemein ausgedrückt werden kann, aber in jedem einzelnen Vorstellen mit dabei ist und aus ihm herausgeschält wird. Also ein Vorstellen ist da; aber mit welcher Realität? Zunächst mit keiner wie bei Gott oder der Natur. Der Satz wird ausgesprochen als ein Denkgesetz, als die oberste, unerläßlichste Regel des Denkens, also zunächst für ein Vorstellen; seine Realität wurzelt zuerst und zuoberst in unserem Vorstellen, also ähnlich, wie es bei den mathematischen Sätzen ist, ja noch mehr. Denn bei den mathematischen Sätzen gab es doch solche, welche sie in ihren ersten Elementen aus der äußeren Erfahrung entlehnt wissen wollten, hier aber haben wir es ganz mit einem Satz unseres Vorstellens zu tun. Mag man auch jeden Inhalt desselben aus der Erfahrung entstanden sein lassen, das Vorstellen selbst, dem jener Satz anhaftet, ist eben ein Vorstellen und kein Gegenstand der äußeren Natur, sondern dieser Gegenstand mag machen, daß wir vorstellen, aber das Vorstellen, einmal da, hat dann bestimmte Verfahrensweisen, von denen jener Satz die oberste ist. Also Realität ist hier durchaus - Vorgestelltwerden, oder genauer ein Vorstellen, welches in jedem Vorstellen mit enthalten ist und schlechterdings dem Vorstellen als solchem anhaftet, abgesehen von jedem Inhalt, gleichviel ob er übersinnlich, sinnlich oder mathematisch ist. Und der Grund, welcher uns bewegt, dieses Gesetz der Identität anzuerkennen, es zum allgemeinen und notwendigen macht, so daß man mit dem Wunsch, aber nicht mit der Tat sich dagegen zu versündigen sich imstande ist, ein Gesetz nicht der Worte und des vagen Vorstellens, denn darin wird oft dagegen gefehlt, sondern des sich besinnenden und überlegenden Vorstellens, des Denkens, dem dieses sich nicht entziehen mag, und wenn es wollte, es auch nicht vermag? Der Grund scheint hier der bloße Zwang zu sein, eine bruta vis [Kraft der Gewalt - wp], ein fatum [Schicksal - wp], welches uns bei unserem Denken leitet. Nicht ein fester, unabänderlicher Gegenstand ist, der uns hier entgegentritt, wie dies bei den mathematischen Vorstellungen der Fall war, sondern ein bloßes Gesetz, eine Regel unseres Vorstellens, welche sich in jedem Vorstellen gewahrt findet oder zumindest als wider Willen gewahrt aufzeigen läßt.

So günstig wir nun beim logischen Wissen gestellt sind darin, daß es in unserem Vorstellen beschlossen und aus ihm allein erlernbar scheint, so hat es doch seine besonderen Schwierigkeiten. Einmal ist es schwer den genauen Ausdruck für dasselbe zu ermitteln, den zutreffenden, in welchem weder zuviel noch zu wenig liegt; sodann ist die ernste Frage zu beantworten, mit welchem Recht und wie weit wir befugt sind das Gesetz der Identität auf die Dinge anzuwenden. Denn zunächst ist es ein Gesetz unseres Denkens und nichts verbürgt uns, daß wir damit umgehen dürfen wie mit einem Weltgesetz. Bekanntlich ist das eine Frage, an deren verschiedene Beantwortung sich ganz abweichende philosophische Systeme knüpfen. HEGEL glaubte als Weltgesetz das Gesetz des Widerspruchs entdeckt zu haben; die Wirklichkeit besteht aus Gegensätzen, alles geht unmittelbar in sein Gegenteil über, das ist nach ihm die Logik der Vernunft; das Identitätsgesetz setzte er herunter zum Gesetz des schlechten, auf sich bestehenden, eigensinnigen Verstandes, der daher zur Erklärung der Welt sich als untauglich erwiesen hat. HERBART dagegen hält das Identitätsgesetz hoch als das unverbrüchlichste aller Gesetze, und wo wir in der Erfahrung oder in unseren Begriffen Verstöße dagegen finden, muß der Widerspruch beseitigt werden, er darf nicht bleiben; ihm ist daher die Philosophie die Korrektur der Widersprüche, die Lehre von der Begreiflichkeit der Erfahrung; begreiflich soll diese eben dadurch werden, daß es dem Denken gelingt die Widersprüche zu beseitigen; dies hat ihn nicht nur zu einem eigentümlichen System von Begriffen, sondern auch zu einer ganz eigenen Methode gebracht. Hier also tut sich uns wiederum eine eigentümliche Art von Wissen, von Realität desselben und von Begründung auf, mannigfach verschieden von den bisherigen, doch in den allgemeinen Formeln gleichlautend mit diesen. -

Es fehlt uns noch ein Hauptgebiet des Wissens, das ist die Moral. Wie steht es hier? Finden sich da dieselben Grundbegriffe, und mit welchen Besonderheiten treten sie auf? Es ist soviel Streit darüber, welches die wahre und richtige Moral ist, daß wir uns hier bei der vorläufigen Gewinnung ihres Wissensbegriffs nicht für eine bestimmte entscheiden dürfen. Gibt es denn gar nichts Gemeinsames? Kaum gibt es ein solches außer im bloß Formellen. Zwar haben die Alten gemeint, der Selbsterhaltungstrieb, der Wunsch zu sein und sich im Sein zu bewahren, sei ein solches, aber gegenüber unserer weiteren Kenntnis von Welt und Menschen dürfen wir das nicht mehr so behaupten. In Indien gibt es eine Denkweise, die buddhistische, welche sich als Ziel setzt, sich vom Sein zu erlösen, nicht bloß von diesem und jenem Sein, nicht vom materiellen Sein, das oft als Bürde, eine Beschwerde, ein Kerker betrachtet und empfunden worden ist, sondern von jedem Sein; einzugehen in das Nirwana heißt im strengen Buddhismus (die Volksauffassung desselben ist eine gelockerte, ungenaue) eingehen zum Nichts als der Erlösung von der Qual nicht dieses oder jenes, sondern jeglichen Seins. Aus diesem Grund können wir auch nicht mehr den aristotelischen Gedanken, den auch das ganze Altertum annahm, als allgemein wahr ansehen, daß nämlich alle Menschen von Natur nach Eudämonie, nach Glückseligkeit trachten; zwar von Natur, d. h. von Haus aus mag das so sein, aber der Buddhismus knüpft gerade an die erkennbare Unerreichbarkeit dieses Ziels an, um darauf seinen Schluß zu bauen, daß man keine Erlösung findet, außer im Nichtsein [fmpredi], daß aber dem Nichtsein kein Prädikat, also auch nicht das des Glücklichseins beigelegt werden kann. Aber ein Wissen hat er bei dieser Lehre, nämlich
    1) die Vorstellung, daß alles Sein elend ist, nicht bloß das mit der Materie verflochtene, sondern jedes, das wir kennen, also auch das Sein des Denkens;

    2) die Vorstellung, daß diese besondere Vorstellung wahr ist, als Realität hat, Gültigkeit für das Vorstellen; der Gegenstand der Vorstellung ist hier einmal das Elend des Seins, sodann das Nichtsein als einzige Erlösung von diesem Elend;

    3) hat er einen Grund für die Annahme von jenem Elend und dieser Erlösung; der Grund ist der, daß ihm bei der Betrachtung beider Gedanken die Verwerflichkeit des einen, die Vorzüglichkeit des anderen einleuchtet.
Wem das so nicht einleuchtet, der wird auch diese Lehre des Buddhismus nicht annehmen. Also drei Punkte sind es wieder:
    1) ein Vorstellen;

    2) ein Vorstellen von Etwas, von einem Gegenstand des Vorstellens und seiner Wirklichkeit;

    3) ein Vorstellen eines Grundes dafür, daß wir das Eine wählen, das Andere verwerfen.
Das Erste ist dasselbe, was wir bei allen Arten des Wissens gefunden haben; sie gingen alle auf ein Vorstellen zurück. Das Zweite, den Gegenstand des Vorstellens, haben wir auch überall gehabt, aber sehr verschieden; bei Gott wurde der Gegenstand als unabhängig von unserer Vorstellung gedacht, bei der Außenwelt als nicht bloß dies, sondern auch noch besonders als äußere Existenz im spezifischen Sinn; in der Mathematik war die Existenz der mathematischen Gegenstände zwar gleichbedeutend mit ihrem Vorgestelltwerden, aber die Begriffe hatten etwas Festes, Fixes, sie waren wie ewige, unwandelbare Naturen; in der Logik war das Identitätsgesetz eben ein Gesetz,, etwas in jedem Vorstellen, wenn man dies scharf aufs Korn nimmt, gleichförmig vorhandenes und wahrzunehmendes; hier in der Moral wie ist es da? Es ist gleich mit dem Vorgestelltwerden, aber es hat etwas Besonderes an sich, und zwar, daß es uns als ein Gut, ein Ziel, als etwas Wünschens- und Begehrenswertes erscheint, daß es uns als ein Gut dünkt und zwar als das letzte, höchste Gut, welches es für uns gibt unserer Meinung nach, daß es zugleich der Grund ist, warum wir dieses Gut erwählen und machen, daß es unser Gut nicht bloß in der Vorstellung, sondern für alle Seiten unseres Seins, für Fühlen und Wollen wird, warum wir, mit anderen Worten, an seiner Verwirklichung in uns streben. Daß es so in unserer Auffassung ist, daß diese drei Elemente sich finden, kann kein Moralsystem leugnen, es mag einen Inhalt haben, welchen es wolle. Man nehme den Materialismus. Er unterscheidet zwischen mancherlei Trieben unserer Natur, er läßt jeden Menschen denjenigen als sein Gut erfassen, der in ihm etwa der stärkste ist, und vielleicht stellt er auch Überlegungen darüber an, wie die Triebe harmonisch vereinigt werden können, damit die möglichst größte Summe von Glück, Wohlbefinden und Zufriedenheit erlangt wird. Ein Vorstellen, ein Vorstellen von Etwas, sogar von Mancherlei, ein Wertschätzen desselben, danach ein Vorziehen von diesem, ein Verwerfen von jenem ist immer da. Das harmonische Glück des Lebens ist hier die vorgestellte Realität, und daß dieses Glück, die Vorstellung desselben, uns bewegt es zu suchen und mit allen Mitteln zu erstreben, ist der Grund für die Annahme desselben, dafür daß wir uns zur Moral des harmonischen Lebensgenusses bekennen. Das Eigene ist also hier immer ein Vorziehen und Verwerfen, weil uns das und das als wünschenswert oder gut für unser Leben erscheint.

Verwandt in dieser Hinsicht mit der Moral ist die Ästhetik und ihr Wissen. Hier haben wir auch ein Vorstellen, ein Vorstellen von Etwas, von einem Gegenstand, einem äußeren oder inneren, denn auch unsere Gefühle, unsere Willensregungen, unsere Vorstellungen erscheinen uns als schön oder nichtschön, nicht bloß die Gegenstände für Auge und Ohr. Die Hauptsache dabei ist aber, daß sie uns schön erscheinen, d. h. in der bloßen Betrachtung ein Wohlgefallen erwecken, ein ruhiges, beschauliches; wir brauchen das Schöne nicht notwendig zu begehren, es genügt, daß es uns in der bloßen Betrachtung gefällt. Dieses Gefallen ist der Grund, warum wir überhaupt etwas schön nennen; dieses Gefallen ist bloß in unserem Vorstellen, nicht ein Vorziehen und Verwerfen, wie bei der Moral, wo das Vorziehen und Verwerfen stets soviel ist wie: diese Handlungsweise ist gut, ich würde sie wählen, sondern ein bloßes Gefühl bei der Auffassung und Beurteilung irgendeines inneren oder äußeren Gegenstandes ohne Beziehung auf den Willen. Bekannt ist und erklärt sich aus einer gewissen Verwandtschaft zwischen Moral und Ästhetik, daß die Moral vieler Menschen wesentlich eine ästhetische ist, d. h. daß sie die und die Handlungsweise für gut halten, ohne sie auf ihren Willen zu beziehen, d. h. ohne sie selbst zu befolgen, wie wir alle sagen: das Gemälde ist schön, der Mensch ist schön, ohne selbst ein schönes Gemälde machen zu wollen oder irgendeine Willensregung dabei zu spüren. Die Verwandtschaft besteht eben darin, daß in beiden Fällen an eine Auffassung sich ein besonderes Urteil knüpft, welches beidemale eine Befriedigung ausdrückt, nur daß die ästhetische Befriedigung wesentlich in einem befriedigenden Eindruck allein besteht, die moralische aber ihrem vollen Begriff nach durch die Befriedigung ein Motiv für den Willen werden sollte. Doch es ist damit vom Ästhetischen vorderhand genug gesagt.

Jetzt überblicken wir, was wir bei dieser Wanderung gefunden haben. Was ein Wissen von Gott, von den äußeren Dingen, von mathematischen logischen, moralischen, ästhetischen Gegenständen ist, haben wir uns näher besehen. Drei Stücke sind uns dabei aufgestoßen, welche jedesmal unter dem Begriff Wissen dabei mitgedacht wurden:
    1) ein Vorstellen,

    2) ein Vorstellen von einem Gegenstand und seiner Wirklichkeit,

    3) ein Grund für die Annahme des Gegenstandes und seiner Wirklichkeit.
Ganz gleich war der Sinn dieser drei Stücke jedesmal nicht; das Vorstellen war zwar immer und überall da, eine größere Verschiedenheit desselben haben wir bis jetzt bloß bei der Naturwahrnehmung gefunden, aber der Gegenstand der Vorstellung und die Existenz desselben wurden sehr verschieden gedacht. Bei Gott wurde der Gegenstand und seine Existenz als unabhängig von unserem Vorstellen gefaßt; bei den äußeren Dingen nicht nur als dieses, sondern auch noch bestimmter als äußerer Gegenstand im Vorstellen, aber von fester, unabändernlicher Beschaffenheit und nicht ohne Beziehung auf die äußere Natur; in der Logik war es ein Gesetz des Vorstellens, also eine jedesmal vorhandene Eigentümlichkeit desselben, welche der Inhalt war; in der Moral war es nicht so sehr der Gegenstand der Vorstellung, ob er ein äußerer oder ein bloß im Vorstellen enthaltener ist, als der Eindruck, welchen der Inhalt der Vorstellung auf unser Gemüt macht, so daß er ein Bestimmungsgrund des Willens wird, worauf es ankam; bei der Ästhetik war es wieder gleichgültig, ob der Gegenstand ein äußerer ist, oder ein bloß in der Vorstellung erhaltener; es kam auf den Eindruck an, den der so oder so gedachte Gegenstand auf unser Gefühl hervorbringt. Hier sind Unterschiede sehr wesentlicher Art. Sie lassen sich auf zwei zurückführen: auf Vorstellungen, deren Gegenstand im Vorstellen selbst beschlossen ist, und solche, deren Gegenstand als unabhängig vom Vorstellen gedacht wird. Was den Grund betrifft, der das dritte Stück war, so wurde er gleichfalls verschieden gedacht; es wurde nur das übereinstimmend verlangt, daß man sich ihm nicht entziehen kann, es wurde Allgemeinheit und Notwendigkeit gefordert, falls der Grund ein objektiv zureichender sein sollte. -

Wir scheinen so ziemlich unsere nächste Aufgabe gefunden zu haben; es sieht aus, als müßten wir jene drei Stücke, soweit sie denselben und soweit sie einen modifizierten Sinn nach den einzelnen Fällen haben, genau untersuchen, so hätten wir den Begriff des Wissens nach seinen Hauptmomenten, den gleichen und den verschiedenen. Aber da tritt ein gewaltiger Zweifel dazwischen und läßt uns noch lange nicht von der Stelle. Das Oberste im Begriff des Wissens ist ein Vorstellen, das ist das, was durch alles hindurchgeht; das Zweite ist der Gegenstand des Vorstellens und seine Existenz; das Dritte der Grund. Aber am Ende ist das alles ein und dasselbe, ist alles nichts weiter als ein Vorstellen. Gegenstand, Existenz, Grund - habe ich die anders denn als ein Vorstellen? Sind sie nicht alles wieder Vorstellungen, bloß von besonderer Art? Ich denke: der Baum dort existiert außerhalb von mir, aber das ist alles bloß eine Vorstellung und sonst nichts. Baum ist eine Vorstellung, dort ist eine Vorstellung, existiert, außerhalb von mir, alles ist meine Vorstellung, und doch meine ich damit zu sagen: der Baum ist nicht bloß meine Vorstellung, sondern unabhängig von derselben, und zwar nicht bloß unabhängig, sondern auch noch in der besonderen Weise der äußeren Existenz. "Gott existiert" heißt: ich habe eine Vorstellung von einem allgütigen, allmächtigen Wesen, diese Vorstellung ist nicht Gott, sie ist meine Vorstellung von ihm; ich habe die Vorstellung, daß Gott existiert, diese Vorstellung ist nicht seine Existenz selbst, sondern bloß die Vorstellung derselben, also wieder nichts weiter als eine Vorstellung. Bei Logik, Mathematik, Ästhetik, Moral ist schon zugegeben, daß das Wesentlichste an ihnen ein Vorstellen ist oder im Gemüt, in der Seele beschlossen ist. Sonach ist nach Punkt 2 schlechterdings auf Punkt 1 zurückzuführen, Gegenstand, Existenz sind Vorstellungen, die ich habe, Nuancen, Schattierungen der Vorstellung. Nicht der Gegenstand, die Existenz sind in meinen Vorstellungen, sondern Gegenstand, Existenz sind selber Vorstellungen. Meine letzte Rettungsaussicht wird da das Dritte im Begriff des Wissens, der Grund. Einen zureichenden Grund muß ich haben für die Annahme des Gegenstandes und seiner Existenz. Aber da finde ich mich noch verlassener; was ist ein Grund anderes als eine Vorstellung, eine Vorstellung, um derentwillen ich eine andere Vorstellung setze? Ich nehme etwa an, daß es reale Dinge, von mir selbst abgesehen, gibt und nehme es an aus dem Grund, weil mit gewisse Vorstellungen aufgenötigt werden, nicht aus mir, so oft ich will, erzeugt werden können. Aber das Aufgenötigtwerden ist eine Vorstellung, ich stelle mich bei einem gewissen Vorstellen nicht als frei, sondern als gezwungen vor; "ich bin frei" ist eine Vorstellung, "ich bin gezwungen" ist eine Vorstellung, was ich daraus folgere, sind Vorstellungen; es ist also eine Vorstellung für mich die Veranlassung etwas nicht für eine Vorstellung zu halten, wegen einer Vorstellung stelle ich vor, daß der Gegenstand einer Vorstellung, der selbst eine Vorstellung ist, keine Vorstellung ist. Wie will sich das reimen? Wie kann eine Vorstellung, die nachweisbar selber nichts ist als eine Menge von Vorstellungen, mich zu etwas führen, das nicht Vorstellung ist? Und überdies läßt sich nachweisen, daß alles, wozu sie mich wirklich führt, nichts sind als Vorstellungen: "genötigt sein" ist eine Vorstellung, nur als Vorstellung ist es in mir; wenn ich es nicht vorstelle, weiß ich gar nicht, daß ich genötigt werde; anders denn als Vorstellen ist das Genötigtsein für mich gar nicht vorhanden, das Freisein in anderen Vorstellungen auch nicht. Ich sage nicht, deshalb sind Freisein und Genötigtwerden dieselben Vorstellungen, oder es verwischt sich ihr Unterschied dadurch, daß sie das Merkmal, Vorstellung zu sein, gemeinhaben. Durchaus nicht. Die Vorstellung "frei sein" und die Vorstellung "genötigt werden" sind beides Vorstellungen, aber verschiedenen Inhaltes. Aber wie können sie etwas anderes sein wollen als Vorstellungen, wie können sie mein Vorstellen über die Vorstellungen hinausheben? Verschiedene Arten von Vorstellungen zu haben kann ich nicht in Abrede stellen, aber so verschieden sie sind, so sind es doch Vorstellungen, und wenn es auch Vorstellungen von Gegenständen und von Existenz unabhängig von meinem Vorstellen sind, so bleibt doch alles im Element des Vorstellens; ich komme dadurch, daß ich diese Vorstellungen habe, nicht über die Vorstellungen hinaus, sondern bleibe ganz und gar darin. Ich stelle vor in verschiedener Weise, das ist aber alles; alles Wissen löst sich auf in Vorstellungen, welche ich habe, "Gegenstand", "Existenz" kenne ich bloß als Vorstellungen, mein Wissen ist nichts als eine Reihe modifizierter Vorstellungen. Wenn ich sage: Vorstellungen sind Bilder der Dinge, die Dinge die Originale dazu, so muß ich, um dies mit Sinn zu sagen, die Dinge kennen, um das Verhältnis von Bild und Original überhaupt angeben zu können; aber ich kenne sie nicht anders denn als meine Vorstellungen, nicht als Dinge unabhängig von meinem Vorstellen. Der Sinn jenes Satzes ist, wenn einer, dieser: "Erinnerungsbilder sind entstanden durch Wahrnehmungsbilder" "Erinnerungsvorstellungen durch Wahrnehmungsvorstellungen", das sind aber nur zwei Arten von Vorstellungen, nichts anderes. Gegenstände, Sein habe ich nur in der Vorstellung, sie sind also nicht wirklich außerhalb derselben und unabhängig von derselben für mich, ich stelle sie bloß vor. Gott ist meine Vorstellung, bei der ich aber vorstelle, daß er unabhängig von derselben ist, und doch sehe ich klar, daß auch dies bloß mein Vorstellen ist. Die äußeren Dinge sind nicht außerhalb von mir, sondern die Dinge als Gegenstände sind Vorstellungen in mir, und äußere ist eine eine Modifikation von Gegenstand oder Existenz, eine besonders geartete Vorstellung, nichts weiter. Mit Logik, Mathematik, Moral, Ästhetik ist es ebenso bewandt; teils ist bereits gezeigt, daß deren Gegenstand und Existenz im Vorgestelltwerden besteht, teils folgt aus dem soeben Gesagten, daß, was noch an ihnen anders gedacht wurde, jetzt, wo die äußere Existenz, wo "Gottes Dasein" sich als bloße Vorstellung ausgewiesen hat, gleichfalls und aus denselben Gründen als bloße Vorstellung aufgefaßt werden muß. Vorstellungen, nichts als Vorstellungen sind Gegenstand, Existenz, Grund, und was wir bereits so gesichert gedacht haben durch die Analyse verschiedener Begriffsgebiete, das zerfällt jetzt unsicher und ohne Bestand in das Eine zusammen, daß es Vorstellungen sind, zwar verschiedenartige Vorstellungen, aber nichts als Vorstellungen. Und was hülfe es, sich etwa darauf zu berufen, daß es allgemeine und notwendige Gründe gibt, und wo diese sind, da sei mehr als Vorstellung. Denn wie will man wissen, daß ein Grund allgemein ist? Allgemein wäre er, wenn alle Vernünftigen ihm folgen würden, aber wie will man das ermitteln? Wird dabei nicht eine Realität der vernünftigen abgesehen von uns selbst vorausgesetzt, so daß man jenen Grund erst versuchen, ob er nur zutrifft, wenn man sich von dieser Realität überzeugt hat? Aber wie will man sich davon überzeugen, solange man sich nicht verhehlen kann, daß Realität unabhängig von unserer Vorstellung eben eine Vorstellung ist und weiter nichts? Mit der Notwendigkeit ist es ebenso. Daraus, daß ich nicht umhin kann, so und so vorzustellen, daß ich mich genötigt und nicht frei in einem Vorstellen vorstelle, kann da etwas Anderes folgen als die Vorstellung, daß ich genötigt bin, d. h. mich als genötigt vorstellen in meinem Vorstellen? Aber da ist das Genötigtsein eine Vorstellung in meinem Vorstellen; es ist alles Vorstellen, nicht etwas außerhalb und unabhängig von meinem Vorstellen, ich stelle vor, es wäre etwas, aber dieses "wäre und etwas" ist selbst wieder eine Vorstellung.

Es sind das nicht mutwillige Erfindungen eines spielenden Scharfsinns; es sind Überlegungen, denen man gar nicht entgehen kann, sobald man seine Gedanken darauf richtet. Wer will uns einen Gegenstand, eine Realität, einen Grund aufzeigen, der nicht Vorstellung ist und zunächst als Vorstellung existiert? Wenn ich in der freien Alpenlandschaft stehe, auf einer grünen Matte, neben mir einen Felsen mit Alpenrosen umzogen, unter mir ein Tal mit heraufschimmerndem Fluß, weißer Landstraße und lieblichen Dörfern, über mir schneebedeckte Kuppen und über diesen sich wölbend der blaue Himmel, so läßt sich Stück für Stück das überwältigende Bild zerpflücken, und da zeigt sich, daß es alles Vorstellungen in mir sind; nicht Berge, nicht Täler, nicht Menschen sind anders in meinem Geist denn als Vorstellungen, und anders als wie sie in meinem Geist sind, kenne ich sie nicht, und alle Freude über die herrliche Natur und alle Sehnsucht hier zu verweilen oder mich bis zu den schneeigen Kuppen und über die Wolkenregion zu erheben, es sind nichts als Vorstellungen in mir, von mannigfacher Art, nicht eine wie die andere, aber doch nur Vorstellungen. Denn die Vorstellung, es seien nicht bloß Vorstellungen, sondern außer diesen noch existierende Dinge, was die Sinne hier entzückt und das Herz erhebt, ist selber nichts als Vorstellung; diese Vorstellung, daß dem so ist, ändert nichts daran, daß alles Vorstellung und uns in anderer Weise nicht bekannt ist. -

Es ist mir bei diesen Erwägungen nicht um einen Skeptizismus zu tun gewesen; es kommt mir nicht darauf an, bloß für die äußeren Dinge die ihnen gewöhnlich zugeschriebene Realität in Zweifel zu ziehen, ich behaupte ganz allgemein, die bloße Betrachtung, daß alle Stücke im Begriff des Wissens sich in Vorstellungen auflösen, besagt, daß wir außer Vorstellungen nichts kennen, und sowie wir etwas kennen, ist es eine Vorstellung, und gerade indem es eine Vorstellung ist, zeigt es sich der Natur entkleidet, die wir als an ihm statthabend unabhängig von unserer Vorstellung gedacht haben; denn eben dieses "unabhängig von unserer Vorstellung" ist selbst ein Vorstellen, nicht etwas unabhängig von unserem Vorstellen, sondern in diesem gesetzt. Wir wir uns drehen und wenden, Vorstellen ist der magische Zauberkreis, in dem wir gebannt sind, aus dem wir nicht entrinnen können. Sagt mir jemand: ja, ich sehe doch so klar, daß dort ein Haus steht, also ist das doch nicht bloß ein Vorstellen, so antworte ich: du sagst freilich nicht, "ich stelle mir vor, daß ich klar sehe, daß dort ein Haus steht", sondern du drückst dich aus, als ob der Sinn ein ganz anderer wäre, aber wenn du dich besinnen willst, so wirst du finden, daß du nichts anderes meinst, als daß du dir das alles vorstellst. Ist denn Sehen etwas Anderes als Wahrnehmen mit dem Auge? und ist Wahrnehmen etwas Anderes als eine Art des Vorstellens, ein Vorstellen mit der Nebenvorstellung, daß der Gegenstand der Vorstellung auf ein Sinnesorgan wirkt und so die Vorstellung erregt? Aber ist der Gegenstand der Vorstellung in unserem Vorstellen, und ist nicht vielmehr bloß die Vorstellung von einem Gegenstand der Vorstellung in unserem Vorstellen? auch das Sinnesorgan ist nicht selbst in unserem Vorstellen, sondern die Vorstellung von einem solchen, und die Wirkung ist nicht in unserem Vorstellen anders denn als Vorstellung von einer Wirkung usw. In summa: Vorstellung ist alles und Arten von Vorstellung; darüber hinaus ist nichts in unserem Begriff von Wissen.

Ich habe dies absichtlich Stück für Stück so ausgeführt, mit Fleiß sämtliche Arten des Wissens erst an ausgezeichneten Beispielen analysiert und dann an den drei gemeinsamen Stücken, Vorstellen, Gegenstand und Existenz, Grund, nachgewiesen, daß sie nichts sind als Vorstellungen und Modifikationen von Vorstellungen. Diese Erkenntnis drängt sich so viel mächtiger auf, als wenn ich einen kürzeren und bequemeren Weg zu ihr eingeschlagen hätte. Dieser bequemere Weg hätte die Berufung auf die Logik sein können. Die Logik weist nach, daß alles Wissen zuletzt auf Unmittelbarkeit beruth. Nämlich das vermittelte Wissen sind die Beweise, die Beweise aber bestehen aus mindestens zwei Prämissen, diese Prämissen können selbst wieder aus früheren Beweisen hergeleitet sein. Daß z. B. der menschliche Leib aus vielen ineinander wirkenden Teilen besteht, läßt sich begründen aus den zwei Prämissen: der menschliche Leibt ist ein Organismus, Organismen bestehen aus vielen zusammenwirkenden Teilen. Daß der menschliche Leib ein Organismus ist, kann selbst eine Folgerung sein, etwa daraus, daß der menschliche Leib vom tierischen nicht wesentlich unterschieden ist und die tierischen Leiber Organismen sind. Daß die tierischen Körper Organismen sind, kann selbst wieder eine Folgerung sein, etwa daraus, daß sie lebendig sind; aber irgendwo hört das Ableiten auf. Die Schlüsse bestehen aus zwei Urteilen, aus denen ein drittes abgeleitet wird; jene Urteile müssen vorhanden sein vor den Schlüssen; sie können selbst aus Schlußsätzen bestehen, durch einen Schluß zustande gekommen sein, zuletzt aber müssen, damit überhaupt ein Schluß werden kann, einmal zwei Prämissen, d. h. zwei Urteile dagewesen sein, ohne selbst aus anderen Urteilen durch Schließen ihre Entstehung zu finden, d. h. zuletzt muß es nicht mehr durch Schlüsse vermittelte, somit unmittelbare Urteile geben. Diese unmittelbaren Urteile können aus der Wahrnehmung, also aus der äußeren Erfahrung, oder aus dem Geist selber stammen. Stammen sie aus dem Geist, so sind sie dadurch bereits als Vorstellung desselben gekennzeichnet; stammen sie aus der Wahrnehmung, so fragt sich, was ist Wahrnehmung, und darauf haben wir schon oben die Antwort. Wahrnehmung ist eine besondere Art von Vorstellen, aber alles Besondere daran ist nichts als Nuancen der Vorstellung; Sinnesorgan, äußerer Gegenstand, Einwirkung auf das Sinnesorgan sind nicht in uns, nur ihre Vorstellungen sind es. Also bliebe auch von hier aus nichts übrig als Vorstellungen.

Das sichere Resultat wäre nach allem: all unser Wissen ist ein Vorstellen, ist in Vorstellungen beschlossen, ist nichts als Vorstellungen. So eine Behauptung nennt man gewöhnlich Idealismus; wir wären also Idealisten geworden durch jene einfachen Überlegungen. Aber warum sträubt sich der Mensch so sehr gegen einen solchen Idealismus? Der Idealist weiß von nichts als von seinen Vorstellungen; wenn er sagt, daß er von Gott weiß, so meint er, er weiß von seinen Vorstellungen von Gott; wenn er etwas von der Sonne und vom Mond weiß, dann von seinen Vorstellungen von Sonne und Mond; von Natur, Realität, Sein, Leben, - von seinen Vorstellungen von all dem. Ist er da nicht wie das Tier, auf dürrer Heide von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, und rings herum ist schöne grüne Weide? Ja, aber woher weißt du, daß außer meinen Vorstellungen, außer meiner Vorstellungswelt eine schöne grüne Weide existiert? Du sagst es, aber was denkst du dabei? Du stellst dir vor, daß außer deinen Vorstellungen das alles ist, aber das ist selbst wieder eine Vorstellung, die du vorstellst, es ist eine Vorstellung in deinem Vorstellen, es ist nicht als dieses von deinen Vorstellungen unabhängige Sein in dir oder in deinem Vorstellen, sondern es ist als Vorstellung in dir. Du bist also gerade so wie ich, denkst gerade so wie ich, nur sagst du anders, du jagst einer Realität nach, die du nicht erhaschen kannst. So oft du kommst und sagst: hier habe ich sie, hier bringe ich sie in natura, ebenso oft kann ich dir zeigen, daß du gar nichts bringst, was ich nicht auch hätte, wir sind nur im Ausdruck verschieden, aber es läßt sich jedesmal zeigen, daß mein Ausdruck der sachgemäße ist. Denn die Betrachtungen, von denen aus ich zu meiner Ansicht gelangt bin, sind allgemein, erstrecken sich nicht auf dieses und jenes Wissen, sondern auf alles Wissen insgesamt, mag es welchen Namen auch immer haben; und sagst du mir, ich hätte es nur für einzelne Begriffe des Wissens bewiesen, gut, so berufe ich mich auf den nachgebrachten Beweis, welcher sich auf einen Satz aller Logik stützt und die Sache vielleicht nicht so anschaulich, aber unwiderleglich, ein für allemal abmacht. -

So zwingend diese Beweise auch sein mögen, einleuchtend sind sie für die meisten Menschen nicht;, sie werden mit Widerwillen angehört, mit Widerstreben angenommen, sie erfüllen den Geist nicht mit Licht, sie haben eher die Eigenschaft ihn dunkel und trübe über sich selbst zu machen. Gleichwohl vermögen wir bis jetzt nichts gegen diese Beweise. Wir können uns durch das Trauern und Klagen nicht stören lassen. Der Mensch, wenn er zuerst diese Beweise hört und sich ihnen nicht entziehen kann, meint, alle Herrlichkeit der Welt sei damit zerstört. Alles ist Vorstellung, das ist ihm so viel wie: alles ist blaß und öde; er ist gewohnt die Vorstellung in einen Gegensatz zur Wirklichkeit, das Denken in einen Gegensatz zum Leben, die Theorie in einen Gegensatz zur Praxis zu stellen. Vorstellung ist ihm so viel wie: das ist ein leerer Gedanke, eine müßige Einbildung. Aber Realität, das ist, was alle Sinne belebt, alle Lebenskräfte anschwellen läßt; Wirklichkeit ist der Zauberklang, der Millionen zu sich lockt, die Gott danken, daß sie nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt sind. Denken, was ist das gegen das Leben? Denken ist so viel wie Brüten in sich selbst, Leben aber, das heißt die ganze Welt in sich aufnehmen, alle Seiten unseres Daseins hingeben an sie und sich erfüllen lassen von ihr. Theorie und Praxis, welch ein Unterschied! "Das ist bloße Theorie", ist regelmäßig ein Vorwurf; und ist nicht die Praxis das wahre und gelobte Land, wo Tätigkeit und Genuß blühen, die Theorie jedoch, die sich nicht an die Praxis anlehnt, grau und welk verkümmert? Und der Mensch, der an diese Gegensätze gewöhnt ist, der soll sich auf einmal einreden lassen, er sei im Unrecht; Vorstellung sei alles, nur mit Unterschieden und Modifikationen; Realität gäbe es nicht als als in unserem Vorstellen; was er bisher für real, für wirklich gehalten hat, das seien nur besondere Arten von Vorstellungen, und dies alles sei eine unumstößliche Wahrheit, das sei bewiesen, und jedermann müsse auch bei sehr mäßigem Denken sich davon überzeugen, daß dem so ist? Was? ruft der Mann der Geschäfte und des Lebens aus, wenn ich an meinem Pult schreibe, so ist das alles nur eine Vorstellung; wenn ich einen Ballen Waren aus Amerika erhalte und durchmustere, so ist das nur eine Vorstellung; wenn ich in zwölf Tagen nach New York fahre, so sind Schiff, Passagiere, mein Auf- und Abgehen auf dem Schiff, meine Unterhaltung mit den Reisegefährten, meine Seekrankheit, meine Langeweile, das Meer um mich herum, der Himmel über mir, die Schiffe, die an uns vorüberfahren und mit denen wir Grüße wechseln, mein Essen, mein Trinken, das alles sind nichts als Vorstellungen, bloße Vorstellungen, nur verschieden modifiziertes Vorstellen, und modifiziert in dem Sinne, daß die eine Vorstellung eine Vorstellung ist mit der und der Nebenvorstellung, als Essen ein Vorstellen von Hunger, Magen, Mund, Speisen, die ich durch den Mund dem Magen zuführe und dadurch Sättigung hervorbringe; das alles ist bloß eine Reihe von so und so vielen Vorstellungen? Und wenn ich versichere, ich stelle das nicht bloß vor, es ist das etwas ganz Anderes als bloße Vorstellungf, so wollt Ihr mir weiß machen, ich hätte ganz Recht, daß das nicht bloß Vorstellungen sind, wenn ich nämlich eine gewisse Klasse und Art von Vorstellungen zum Maßstab erhebe. Wenn ich bloß diejenigen Vorstellungen mit diesem Namen belege, welche ich leicht jeden Augenblick in mir erwecken kann, die ich selbst bloß für flüchtige Einbildungen und wandelbare Gestaltungen etwa der Phantasie halte, so hätte ich Recht; dann wäre jenes Andere, das ich angeführt habe, mehr als eine Vorstellung. Ich hätte aber Unrecht mit dieser Unterscheidung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit; die wäre so für den populären Gebrauch ganz gut, so würdet Ihr Euch selbst im praktischen Leben und in Gesellschaft ausdrücken; da genüge es, daß jedermann empfindet, was gemeint ist. Aber da hindert nicht, daß sich nachweisen läßt und von Euch nachgewiesen ist, daß auch die sogenannte Wirklichkeit nichts ist als eine besonders modifizierte Vorstellungsweise, so daß, was ich Vorstellung nenne, ihr bloße Vorstellung nennt, und was mir Realität ist, Euch eine besonders geartete Vorstellung ist. Gut, Eure Beweise kann ich nicht widerlegen, ich gebe sie Euch zu, aber ich setze mich über sie hinaus; ich glaube an eine Realität unabhängig von unserer Vorstellung. -

Allein dem werden wir erwidern: was hilft das alles? Du entrinnst nicht. Du meinst den Knoten durchhauen zu haben, indem du sagst, du glaubst an jene Realität. Aber was denkst du denn, wenn du sagst du glaubst? Wenn du glaubst, so stellst du vor; glauben ist selbst eine Art des Vorstellens. Du stellst also vor, daß es Dinge außer deinen Vorstellung von Dingen gibt; aber indem du dir das vorstellst, indem die Vorstellungen von solchen Dingen, nicht die Dinge selbst in seinem Vorstellen sind, bis du genau in der Lage wir wir, d. h. du bist in lauter Vorstellungen gefangen, ihr Netz ist um dich, du glaubst zu entfliehen und siehe, du bist erst recht darin. Denn dein Glaube ist ein Vorstellen und zwar ein willkürliches Vorstellen, also gerade den Vorstellungen sehr nahe stehend, aus deren Gebiet du hattest die Realität entreißen wollen. Vorstellungen nanntest du die flüchtigen, wandelbaren, beliebig erweckbaren Vorstellungen; gerade weil Realität nicht flüchtig, nicht wandelbar, nicht beliebig erregbar ist, sollte sie keine Vorstellung sein; und nun willst du die Realität unabhängig machen von dem dir aufgezeigten Charakter jeder Vorstellung und meinst sie dadurcch sicher zu stellen, daß du sagst: ich kann Eure Beweise nicht als falsch aufzeigen, aber ich nehme sie darum doch nicht an, ich bleibe bei meiner früheren Meinung; gerade das Feste und Bestimmte willst du so begründen mit dem Unsicheren und Schwanken, was ein Glaube ist, der einem erweisbaren Wissen zum Trotz angenommen und festgehalten wird. Die Berufung auf den Glauben an Realität, daran, daß all unser Wissen nicht bloß in Vorstellungen beschlossen ist, kann sonach nichts helfen und nichts an der Sache ändern. Vorläufig müssen wir uns ergeben, so sauer es uns vielleicht ankommt; man muß sich nur vor den rohen Deutungen hüten, wie sie FICHTE z. B., der nicht bloß vorläufig, wie wir jetzt, sondern beständig und abschließend eine ähnliche idealistische Ansicht vertreten hat, entgegengesetzt wurden als Widerlegungen; wie die bekannte, wenn FICHTE einem schweren Heuwagen begegnet, so weicht er aus, hält ihn somit für mehr als eine Vorstellung, für eine Realität; denn einer bloßen Vorstellung braucht man ja nicht aus dem Weg zu gehen, die kann einem ja nichts tun. Aber ein Unterschied zwischen Vorstellung und Vorstellung wird auch von diesem Idealismus festgehalten; praktisch macht sich die Sache ganz gleich, ob man jene Meinung von Realität oder die idealistische Ansicht hat. Dadurch wird auch der Einwurf von NIKOLAI in sein Nichts zurückgeschleudert, der da meinte, beim Idealismus habe man es sehr bequem, eine Schweinskeule zu essen; man könne sich dieselbe aus seinen eigenen Vorstellungen zubereiten, da ja auch die Schweinshaxe, welche wir essen, nichts als eine Menge von Vorstellungen ist. Dieser Einwurf übersieht, daß der Idealismus durchaus nicht alle Arten von Vorstellungen bestehen läßt; das reelle Essen liegt in einer ganz anderen Reihe von Vorstellungen als die Einbildung, man ißt eine Schweinhaxe, oder der Wunsch danach.
LITERATUR - Julius Baumann, Begriff der Philosophie, Philosophie als Orientierung über die Welt, Leipzig 1872