p-4cr-2ra-1RickertMauthnerKuntzeCassirerCzolbeMoog     
 
RICHARD HÖNIGSWALD
Zum Streit über die
Grundlagen der Mathematik

[2/3]

"Der Begriff der reinen Anschauung teilt mit dem Prinzip des Widerspruchs die Funktion, objektive Gültigkeit zu begründen. Aber die reine Anschauung ist eine Determination dieser Funktion im Sinne der aus dem Prinzip des Widerspruchs nicht ableitbaren Erkenntnisforderungen der Mathematik. Was das Prinzip des Widerspruchs nur in negativer Hinsicht und wahllos für alle Erkenntnis ist, das bedeutet die reine Anschauung in positiver Bestimmtheit und Beschränkung für die mathematische Erkenntnis."

"Die Relationsstruktur als solche, nicht die absolute Beschaffenheit der Elemente macht den eigenglichen Gegenstand der mathematischen Betrachtungs- und Untersuchungsweise aus."

"Der Grundsatz des Widerspruchs oder das diesem adäquate positive Prinzip: der Grundsatz der Identität, bilden die oberste Bedingung, der das Urteil als solches genügen muß. Welches auch seine besondere Gestalt und sein besonderer Inhalt sein mag, es unterliegt der Voraussetzung, Vorstellungen miteinander gemäß der Norm des Prinzips der Identität zu verknüpfen."

"Es gibt kein analytisches Urteil. Denn es gibt kein Urteil, das nicht in der allgemeingültigen Setzung einer Beziehung zwischen Vorstellungen besteht. Das Urteil ist seinem Begriff nach Synthesis. Höchstens kann das Urteil analysierend sein, d. h. seinem Inhalt nach betrachtet, ein gegebenes Vorstellungssystem zerlegen wollen. Aber auch in diesem Fall ist das Urteil als Urteil synthetisch."


II.

1. Auf der Grundlage der bisher gewonnenen Einsichten kehren wir nun zur Frage nach dem analytischen oder synthetischen Charakter mathematischer Urteile zurück, indem wir zunächst eines festhalten: Die Begriffe "willkürlich", "rational" und "analytisch" decken sich, zumindest auf dem Boden der Mathematik, vielfach vertretenen Anschauungen entgegen nicht. Das Motiv, sie auf diesem Boden nebeneinander zu stellen, liegt ausschließlich in ihrem gemeinsamen, und zwar negativen Verhältnis zum Begriff des Erfahrungsobjekts. Aber jenes Motiv ist ein zureichender Grund weder für die wechselseitige funktionale Gleichsetzung der drei genannten Begriffe, noch auch für die Annahme, daß sie vermöge einer solchen Gleichsetzung schon geeignet erscheinen müßten, die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Mathematik einwandfrei und erschöpfend zu charakterisieren. Wie vor allen Dingen verhält sich das Begriffspaar "willkürlich" und "rational" zur These von der analytischen Natur der mathematischen Urteile?

Wäre es richtig, daß sowohl die absolute Erfahrungsfreiheit der Mathematik als auch die Willkür als letztes Prinzip ihrer anfänglichen Setzungen - selbst zwei nicht nur gänzlich auseinanderfallende, sondern geradezu gegensätzliche und einander ausschließende Momente - den analytischen Charakter mathematischer Urteile verbürgen, dann müßte jedes von ihnen an die Mathematik mit einer unmöglichen Forderung herantreten. Sie müßten, um es mit einem Wort zu sagen, die Mathematik zu völliger Inhaltslosigkeit verurteilen. Tun sie es nicht, dann entbehren sie auch jeglicher Beweiskraft zugunsten des analytischen Charakters mathematischer Urteile. Zu einem genaueren Verständnis dieses Satzes muß zunächst etwas näher auf den Begriff des Synthetischen in dessen Bedeutung für die Mathematik eingegangen werden. Und hierfür bietet wiederum derjenige der Willkür den geeigneten Anknüpfungspunkt dar.

Man setze den ansich, wie wir nunmehr wissen, unzutreffenden Fall, daß wirklich Willkür das Prinzip der anfänglichen Setzungen in der Mathematik darstellt. Was bedeutet das? Zunächst nichts anderes, als den Ausdruck der Überzeugung, daß jene anfänglichen Setzungen einen schlechthin beliebigen Inhalt haben können. Allein, unter dem Gesichtspunkt der uns hier beschäftigenden Frage knüpft sich hieran sofort eine weitere Erwägung. Auch die Setzung eines beliebigen Inhalts nämlich ist als Setzung, in der technischen Sprache der kritischen Philosophie ausgedrückt, eine Synthese. Es gibt keine Setzung irgendwelcher Art, und sei sie noch so willkürlich, die, sofern sie überhaupt als Setzung möglich werden soll, nicht in einer Verknüpfung von Vorstellungen zur Einheit des gedanklichen Zusammenhangs, einer neuen in sich wohl begrenzten Beziehung bestünde, und im Hinblick darauf eben eine "Neuschöpfung" bedeutet (1). Eine Frage für wird es bleiben, ob, inwiefern und weshalb einer solchen "Neuschöpfung" in einem gegebenen Fall wissenschaftlicher Wert zukommt; als Neuschöpfung ist sie Synthese, oder sie ist überhaupt nicht. Und wie man sich auch zu der sogleich näher zu erörternden Meinung POINCARÉs (2), daß nur die Abwesenheit des Widerspruchs das Kriterium der "Existenz" des mathematischen Objekts bildet, verhalten mag; - daß auch diese "Existenz", bedeute sie was auch immer, die Setzung von Zusammenhängen und Beziehungen involviert, die vorher nicht vorhanden gewesen waren, daß sie folglich im strengsten Sinne dieses Wortes eine Synthese einschließt, kann wohl kaum zweifelhaft sein. Hat man sich aber dieses eine mal klar gemacht, dann ist man auch schon zu der weiteren Einsicht vorgedrungen, daß für die Frage nach dem synthetischen Charakter mathematischer Urteile der Gegensatz zwischen einer willkürlichen und der in irgendeinem Sinn des Wortes "notwendigen" Setzung von Ausgangspunkten des mathematischen Verfahrens zunächst überhaupt nicht in Betracht kommt. Mit anderen Worten: Es gibt zwischen Setzungen und Setzungen erkenntnistheoretische und mathematische Wertunterschiede. Auch enthält Willkür kein Prinzip mathematischer Setzungen. Aber eine hiervon grundsätzlich abweichende Charakteristik für eine anfängliche Setzung, eine Charakteristik, die als Indikator für die "analytische" Natur der Setzung gelten könnte, gibt es nicht, weil jede Setzung ansich eine Synthese bedeutet. Mathematische Erkenntnis ist, schon weil sie unter der unerläßlichen Voraussetzung anfänglicher Setzungen irgendwelcher Art steht, allemal synthetisch. Und was von der "Setzung" im allgemeinen, das gilt auch im Besonderen von der Setzung durch Definition. Gerade sofern der wissenschaftliche Tatbestand der Mathematik auf den logischen Akt der Definition zurückweist, erscheint er durch die Bezeichnung "analytisch" nicht charakterisiert.

2. Von diesen Feststellungen aus fällt sodann auch, wie kaum bezweifelt werden kann, Licht auf die vielumstrittene Funktion des Prinzips vom Widerspruch in der Mathematik. Man hat zu unterscheiden zwischen der Widerspruchslosigkeit der anfänglichen Setzung und der Widerspruchslosigkeit als dem Prinzip der Folgerungen aus jener. Hinsichtlich der ersteren, die zunächst erwogen werden soll, ist festzustellen, daß sie kein positives Kriterium für das Recht der fraglichen Setzung repräsentiert. Wie einerseits jede Setzung als solche schon synthetisch ist, so ist andererseits Widerspruchslosigkeit eine Bedingung, der jede Setzung als solche, also gänzlich unabhängig von der Art ihrer Begründung, von ihrem mathematischen "Sinn" und ihrer mathematischen "Brauchbarkeit", unterliegt. Aus der Widerspruchslosigkeit der anfänglichen Setzung ansich folgt dann nicht nur nichts gegen den synthetischen Charakter der Mathematik; vielmehr setzt sie diesen, so gewiß sie selbst sich nur an einem inhaltlich bestimmten Tatbestand manifestieren kann, geradezu voraus. Bezeichnet man das Produkt der Setzung, um an oben Gesagtes wieder anzuknüpfen, als "Existenz" - das Wort in einem von empiristischen oder metaphysischen Nebenbedeutungen völlig freien Sinn verstanden -, dann darf man COUTURAT rückhaltlos zustimmen:
    "Der Widerspruch ist ein rein negatives Kriterium der Existenz: er ist das Kriterium der Nichtexistenz. Nicht das Fehlen des Widerspruchs ist es, was die Existenz eines Begriffs beweist, sondern umgekehrt ist es die Existenz eines Begriffs, die seine Widerspruchslosigkeit verbürgt." (3)
Und noch eines. Es bezeichnet ohne Zweifel den Sinn und die Voraussetzung jeder anfänglichen Setzung,
    "daß der Gedanke imstande ist, eine Regel, deren er sich einmal versichert hat, gegenüber allen Verschiedenheiten und Besonderungen ihrer Anwendung, wiederzuerkennen und in begrifflicher Identität festzuhalten." (4)
Aber nur unter der Bedingung, daß das so zu Fixierende eine vom Prinzip des Widerspruchs verschiedene Norm repräsentiert, ist jene Voraussetzung überhaupt erfüllbar.

Ja, ohne Schwierigkeit läßt sich an dieser Stelle noch eine weitere, die Rolle des Prinzips vom Widerspruch in der Mathematik klärende Erwägung einfügen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Versuche, die Widerspruchslosigkeit in besonderen Fällen zu "verifizieren", von der Frage nach der Bedeutung der Widerspruchslosigkeit als des Prinzips mathematischer Erkenntnis überhaupt streng zu unterscheiden sind. Aber andererseits ist nur dann ein Versuch des Beweises der Widerspruchslosigkeit einer bestimmten Beziehung möglich, wenn Widerspruchslosigkeit selbst nicht den einzigen Träger des Beweisverfahrens darstellt. Ein solcher Versuch impliziert daher auf dem Boden der Mathematik die Forderung einer im Prinzip des Widerspruchs sich nicht erschöpfenden Grundlegung mathematischer Urteile.

Gewiß, das Schwergewicht der Argumentation, die das Prinzip des Widerspruchs in den Vordergrund rückt, liegt auf einer eigenartigen und ganz bestimmten Wendung des Gedankens. Nicht darum handelt es sich, daß man im allgemeinen das negative Kriterium für die Geltung mathematischer Urteile, wie es das Prinzip des Widerspruchs darstellt, mit einem positiven verwechselt; sondern vielmehr um die Anschauung, daß positive Kriterien für die ursprünglichen Setzungen der Mathematik überhaupt nicht in Betracht kämen. Und gerade dieser letztere Umstand ist es, der dann im Begriff der "Willkür" als dem Prinzip mathematischer Setzungen seinen Ausdruck finden soll. Allein, auch in dieser Wendung wird sich die These vom analytischen Charakter mathematischer Urteile nicht halten lassen: sie würde das ganze System von Einwänden gegen das Willkürprinzip, als den angeblichen Repräsentanten jenes "analytischen" Charakters, nur aufs Neue provozieren.

Kein Prinzip vor allen Dingen, das in irgendeiner noch so versteckten Form das Mathematische als solches zur Geltung bringt, kann den "analytischen" Charakter der Mathematik bedingen; und zwar deshalb nicht, weil jeder Ausgangspunkt, den es setzt, eine Verknüpfung von Vorstellungen in einem zweifachen Sinn bedeutet: sie muß einerseits dem Grundsatz des Widerspruchs, andererseits den Forderungen der, gleichviel nach welchen Maximen, als Ausgangspunkt angesetzten "Ordnung" genügen. Bleiben diese Bedingungen unerfüllt, dann gäbe es überhaupt keinen als Ausgangspunkt mathematischer Folgerungen in Betracht kommenden Inhalt. Nur in diesem Fall aber könnte man den synthetischen Charakter mathematischer Urteile leugnen. Was also auch das Prinzip mathematischer Setzungen als solches sein mag, sofern dieses einen Inhalt oder, was dasselbe bedeutet, einen irgendwie bestimmten Sinn hat, sofern ist mathematische Erkenntnis synthetisch.

Und als Ergänzung hierzu nur noch eine kurze kritische Bemerkung: Der Satz vom Widerspruch setzt nicht nur Synthesis voraus; er selbst repräsentiert ein Prinzip der Synthesis. Er ist die auf eine theoretische Formel gebrachte Funktion derjenigen Verknüpfung, unter deren Bedingung das Ergebnis jeder anderen Art der Verknüpfung von Vorstellungen, soll es möglich sein, stehen muß. Das ist es, was der Satz vom Prinzip des Widerspruchs als dem negativen Kriterium der "Existenz" bedeutet. Nichts berechtigt daher dazu, ein Kriterium der "Existenz" - das Wort immer in dem von COUTURAT gemeinten Sinn verstanden - nur weil es, wie das Prinzip des Widerspruchs, negativ ist, als nicht-synthetisch zu bezeichnen. Jedes Kriterium der Erkenntnis, und "Existenz" bedeutet ja hier nichts anderes, unterliegt - es mag negativ oder positiv sein - der allgemeinsten Bedingung der Erkenntnis selbst. Diese aber ist unter allen Umständen eine Bedingung der Synthesis. Die These COUTURATs, der Grundsatz des Widerspruchs sei ein nur negatives Kriterium der "Existenz", beweist unter solchen Gesichtspunkten betrachtet nur dies, daß als Voraussetzungen der Erkenntnis in deren Gesamtbestand verschiedene Prinzipien der Synthesis in Frage kommen müssen.

3. Sofort knüpft sich an diese Einsicht eine Reihe näherer und entfernterer Konsequenzen. Zunächst folgt aus ihr eine klare Formulierung des erkenntnistheoretischen Grundproblems der Mathematik. Erweist sich in allen Punkten die Synthesis als die Bedingung mathematischer Erkenntnis, dann kann die Frage, ob die der Mathematik als Ausgangspunkte ihrer Folgerungen zugrunde liegenden Urteile überhaupt synthetisch sind oder nicht, in dieser Form gar nicht gestellt werden. An ihre Stelle tritt die Forderung festzustellen, was als der besondere und spezifische Grund des synthetischen Charakters mathematischer Urteile zu betrachten ist.

Sodann ergibt sich auch aus den bisherigen Betrachtungen schon eine Gruppe weiterer Folgerungen hinsichtlich des Begriffs der Synthesis selbst. Es sind dies Folgerungen, geeignet, die Stellung des erkenntnistheoretischen Problems der Mathematik innerhalb eines Systems der Erkenntniswissenschaft überhaupt zu beleuchten. Wir suchen zunächst die zuletzt genannten Folgerungen in ihrer Bedeutung kurz zu kennzeichnen.

Noch ist nämlich der Begriff der "Synthesis" als solcher, ungeachtet seiner fundamentalen Bedeutung für den der Erkenntnis, keineswegs schlechthin eindeutig. Noch bedarf er als erkenntnistheoretisches Grundprinzip besonderer Wissenschaften einer umfassenden Analyse und genauen Determination. Eine solche ausdrücklich vorzunehmen, überschritte, wie kaum begründet zu werden braucht, die Kompetenz der vorliegenden Abhandlung. Diese vermag nur zur Rechtfertigung der Behauptung von der Mehrdeutigkeit einer "Synthesis" an die Stelle rein theoretischer Erörterungen den Hinweis auf die bisherigen Ergebnisse ihrer Darlegungen treten zu lassen.

Der Grundsatz des Widerspruchs, selbst ein Prinzip der Synthesis,, fordert, so sahen wir, als negatives Kriterium mathematischer "Existenz" deren positiven Kriterien, d. h. die spezifische Bestimmtheit des synthetischen Charakters mathematischer Urteile. Man wird daher sagen müssen: Im mathematischen Urteil sind beide Prinzipien in unlösbarer Gemeinschaft wirksam. Spricht man mit anderen Worten schlechthin vom "synthetischen Charakter mathematischer Urteile", dann hat man in unanalysierter Form und implizit auch schon das Problem gestellt: Nach welchem Prinzip verbinden sich in einem mathematischen Urteil die beiden relativ zu ihrem Produkt elementaren Formen der Synthesis? Eine Frage, die, weil es sich bei ihr naturgemäß nicht um den zeitlichen Akt der Verknüpfung, sondern nur um die logische Struktur der letzteren handelt, gleichbedeutend ist mit jener anderen: Wie "konstituieren" jene relativ elementaren Formen der Synthesis das, was oben als "mathematischer Gegenstand" bestimmt worden war?

Es ist damit eine Frage formuliert, deren Gegenstück auf dem Gebiet einer nicht rein mathematischen Gesetzlichkeit, im Rahmen einer Theorie der Erfahrung, seit langem heimisch ist. Denn längst hatte man innerhalb des herkömmlichen Problemkreises der kritischen Philosophie das spezifische Prinzip der Synthesis des Erfahrungsobjekts in seinen positiven wie ganz besonders auch in seinen negativen Beziehungen zum Prinzip des Widerspruchs erkannt; längst hatte man den Grundsatz der Kausalität oder den der Substanz in seiner Abhängigkeit, vor allen Dingen aber auch in seiner Unabhängigkeit vom Grundsatz des Widerspruchs erfaßt. Ja, hierin gerade liegt nicht zuletzt die eigentümliche Leistung der kritischen Erfahrungstheorie KANTs. Der Satz des Widerspruchs oder der ihm gleichwertige Grundsatz der Identität beherrscht wohl die Urteile, durch die das Erfahrungsobjekt bestimmt wird, aber er beherrscht diese nur als deren negative Bedingung, er "konstituiert" sie nicht. Vielmehr fordern jene Urteile noch eine weitere und spezifische, letztenendes durch die "Wahrnehmung" determinierte, positive Art der Synthesis (5). Daß und inwiefern auch diese letztere eine Funktion des Prinzips der Identität darstellt, ist eine Frage für sich. Auf keinen Fall ändert sich dadurch etwas am dargelegten Verhältnis zwischen Erfahrungsurteil und Prinzip des Widerspruchs. Mit anderen Worten: Daß und wie die Begriffe von "Substanz" und "Kausalität" einerseits, der Satz des Widerspruchs andererseits auch ihrem Inhalt nach zusammenhängen, ob sie etwa als Formen der Synthesis mit ihm ihrem Inhalt nach zusammenhängen müssen, betrifft eine für die kritische Erfahrungstheorie im höchsten Maß bedeutsame, für das hier diskutierte Problem aber zunächst doch nur sekundäre Angelegenheit. Genug, daß auch für den Begriff des Erfahrungsobjekts das negative Kriterium der "Existenz", die Widerspruchslosigkeit, wenngleich es auch hier unerläßlich ist, so wenig ausreicht wie für das mathematische.
    "Von welchem Inhalt auch unsere Erkenntnis sei" - heißt es einmal bei Kant (6) - "und wie sie sich auf das Objekt beziehen mag, so ist doch die allgemeine, obgleich nur negative Bedingung aller unserer Urteile überhaupt, daß sie sich nicht selbst widersprechen; widrigenfalls diese Urteile an sich selbst (auch ohne Rücksicht auf das Objekt) nichts sind. Wenn aber gleich in unserem Urteil kein Widerspruch ist, so kann es dem ungeachtet doch Begriffe so verbinden, wie es der Gegenstand nicht mit sich bringt oder auch, ohne daß uns irgendein Grund weder a priori noch a posteriori gegeben ist, welcher ein solches Urteil berechtigte; und so kann ein Urteil bei all dem, daß es von allem inneren Widerspruch frei ist, doch entweder falsch oder grundlos sein."
Nicht, was sich bloß nicht widerspricht, ist Gegenstand der Erfahrung, sondern nur das, was außerdem noch den Bedingungen jener Ordnung im Nach- und Nebeneinander der Wahrnehmungen genügt, welche in der Funktion der Begriffe "Substanz" und "Kausalität" zur Geltung kommt. Das Prinzip des Widerspruchs würde sich ohne Zweifel auch mit der Aufhebung dieser Ordnungen vertragen. Im Begriff des Erfahrungsobjekts müssen sie daher zu jenem Prinzip, gleichviel, was es sonst noch für sie bedeuten mag, hinzukommen. Auch hier also handelt es sich grundsätzlich um jene Synthese von Prinzipien der Synthesis, die oben für die Struktur der Mathematik festgestellt werden konnte.

Nichts liegt diesen Darlegungen ferner als das Bestreben, aufgrund der eben gewonnenen Einsichten nun vielleicht doch wieder nach der Weise des Empirismus eine Identität der logischen Struktur von Erfahrung und Mathematik zu fordern. Von einer solchen kann so gewiß nicht die Rede sein, wie für die Mathematik der Faktor der Wahrnehmung und all das, was an synthetischen Prinzipien mit diesem Faktor zusammenhängt, also etwa Substanz und Kausalität, als Begründung überhaupt nicht in Frage kommt. Was hier aufgezeigt werden sollte, ist nur die Analogie, die zwischen "Erfahrungsobjekt" und "mathematischem Gegenstand" in negativer Beziehung, d. h. im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Prinzip des Widerspruchs vorhanden ist. Aber sofort leitet uns diese unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Theorie des Objekts fixierte Analogie wieder zurück zu einer wichtigen, die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Mathematik selbst betreffenden Angelegenheit. -

Die Wahrnehmung ist nicht der Grund der die positive Bestimmtheit des mathematischen Gegenstandes bedingenden Funktion der Synthesis. Eine solche positive Bestimmtheit aber muß, da der Satz vom Widerspruch nur das negative Kriterium des mathematischen Gegenstandes darstellt, vorhanden sein. Worauf nun gründet sie sich? Es ist die Frage, die, wie kaum noch betont zu werden braucht, den Ansatz zu einer Theorie des mathematischen Objekts in sich schließt. Dieser Ansatz aber ist in einem bedeutsamen Begriff der kritischen Philosophie bereits vollzogen: wir sind nunmehr in den Stand gesetzt, dessen logischen Ort und systematische Aufgabe zu bestimmen. Es ist dies der vielumstrittene kantische Begriff der "reinen Anschauung".

4. Wie kaum ein anderer Begriff der wissenschaftlichen Philosophie fordert er seitens der Mathematik Kritik und Ablehnung heraus. In seiner schwerfälligen sprachlichen Einkleidung involviert er scheinbar das Dilemma, entweder einen Widerspruch in sich selbst zu bedeuten oder aber alles zu negieren, was der Mathematiker mit Recht als die Grundpfeiler seines methodischen Verhaltens betrachtet. "Anschauungen", so wird geltend gemacht, seien allemal empirisch und kämen daher für die Grundlegung der Mathematik überhaupt nicht in Frage; der Begriff einer "reinen Anschauung" enthalte also entweder einen contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] oder aber den schlecht bemäntelten Versuch, den Empirismus in der Mathematik auf Umwegen doch wieder zur Geltung zu bringen. Allein, je schärfer man die methodische Absicht jenes Begriffs im systematischen Gesamtzusammenhang der kantischen Problemstellung ins Auge faßt, umso deutlicher wird es, daß solche und ähnliche Einwände den eigentlichen Kern der Aufgabe, die der Begriff der "reinen Anschauung" bezeichnen will, verfehlen. Diese Aufgabe herausstellen, heißt den Begriff der "reinen Anschauung" selbst - freilich nicht in seiner relativ zufälligen sprachlichen Form, sondern nur seinem methodischen Sinn nach - rechtfertigen. Diese Aufgabe aber ist keine andere wie die Fixierung und Lösung des auch in unserem Zusammenhang immer wieder exponierten Problems: desjenigen des "mathematischen Objekts". Schon durch die bloße Richtung auf diese Aufgabe hin ist der Begriff der "reinen Anschauung", er mag ihr sonst gerecht werden oder nicht, dem Bereich empiristischer Gefahren grundsätzlich entrückt; hat doch auch der Begriff des "mathematischen Gegenstandes" mit der mathematisch wie erkenntnistheoretisch so bedenklichen These einer logischen Abhängigkeit der Mathematik von irgendeiner Erfahrung nicht das Geringste zu tun. So kann dann im Hinblick auf das Problem des mathematischen Objekts der Begriff der "reinen Anschauung" frei von jedem Verdacht, empiristische Velleitäten [kraftloses Wollen - wp] auch nur mittelbar zu begünstigen, diskutiert werden.

Das Problem also, das sich im Begriff der "reinen Anschauung" verkörpert, ist im Grunde genommen das des "mathematischen Objekts". Im Sinne der bisherigen Ergebnisse dieser Untersuchung formuliert, bedeutet aber dies den Gedanken: Der Begriff der "reinen Anschauung" will die Antwort oder ein Teil der Antwort sein auf die Frage nach dem Grund jener spezifischen, sowohl vom Prinzip des Widerspruchs, wie von den synthetischen Grundsätzen der Erfahrung unterschiedenen Synthesis, wie sie als positive Bedingung mathematischer Urteile erkannt worden war. Er will der Ausdruck der Bedingungen sein, die dem mathematischen Objekt eine "Existenz" in der Definition und durch diese allein sichern. Er repräsentiert nach Maßgabe einer spezifischen, eben der kantischen, Problemstellung den oben begründeten, erkenntnistheoretischen Gedanken der Einheit von mathematischem Begriff und mathematischem Objekt.

Vielleicht ist es nicht unzweckmäßig, unter dem Gesichtspunkt dieser Feststellung noch einmal kurz auf den Gedanken einer solchen Einheit zurückzukommen. Es handelt sich in ihr um die Koinzidenz von anfänglicher "Setzung" und "mathematischen Objekt", also um die in diesem und nur in diesem Sinne objektive Bedeutung jener "Setzung"; oder, mehr im Hinblick auf die besonderen Gesichtspunkte der Geometrie formuliert: um den Umstand, daß die Axiome in die Definitionen "eingehen". Die Gründe für die Möglichkeit einer solchen Koinzidenz, mit anderen Worten: die Gründe dafür, daß der Schluß von der definitorischen Setzung auf das Axiom, also auf die mathematische "Existenz" des Definierten berechtigt ist, folglich die Fehler des ontologischen Arguments nicht in sich schließt (7), bezeichnen das an die Tatsache der Mathematik sich anknüpfende Problem der Erkenntniswissenschaft. Der Begriff der "reinen Anschauung" aber ist ein Ausdruck für dieses Problem, denn er will zumindest eine Formel liefern für jene Gründe. - Nun fehlt es ja freilich nicht an Erwägungen, scheinbar geeignet, die ganze Problemlage, wie sie soeben entwickelt worden war, wesentlich zu verschieben. Man hat versucht, die "Definition" als solche von der "logischen Existenz des definierten Begriffs" ausdrücklich zu unterscheiden, und man hat hieran die Forderung geknüpft, jede Definition müsse "begleitet" sein von einem Theorem der Existenz. Niemals sei "die Definition" - erklärt COUTURAT (8) - "das für ihre Konsequenzen Verantwortliche (wenn man überhaupt sagen kann, daß sie Konsequenzen hat), wohl aber das Existenzialurteil, das sie begleitet und rechtfertigt". Allein, eine solche Auffassung rechnet nicht mit naheliegenden Einwänden, wie sie sich aus den voranstehenden Betrachtungen von selbst ergeben. Vor allen Dingen aber ist es eines, was sich gegen den Satz COUTURATs geltend machen läßt: Entweder seine Auffassung beschränkt den Begriff der Definition im Sinne einer rein "nominalen" Funktion; dann bedarf es für die Bezeichnung der methodischen "Setzung" einer "logischen Existenz" nur eines anderen Ausdrucks. Oder aber es wird die Definition doch wieder, wenngleich mittelbar, in eine eindeutige Beziehung gesetzt zum sachlichen Tatbestand jener "logischen Existenz"; dann ist die Trennung zwischen Definition und mathematischem Objekt überhaupt nur eine scheinbare gewesen. Die Beziehung nun von der Definition auf die "logische Existenz" des mathematischen Objekts - das ist es, was im Begriff der "reinen Anschauung" seinen Ausdruck finden soll.

5. Somit konzentrieren sich in diesem Begriff die spezifischen Erkenntnisforderungen der Mathematik. Gerade deshalb aber ist es schlechthin unmöglich, nach empirischen Merkmalen einer "reinen Anschauung" auch nur zu fragen. Sie hat, in ihrer eigentlichen methodischen Tendenz betrachtet, nichts von "jenem Erdenrest von Sensualismus, der", nach dem Ausspruch WELLSTEINs, "dem kantischen Idealismus noch anhaftet". (9) Es ist unerläßlich, sich unter diesen Gesichtspunkten noch einmal und in etwas veränderter Beleuchtung die methodische Absicht klar zu machen, die sich im Prinzip der "reinen Anschauung" manifestiert. Der Begriff der "reinen Anschauung" teilt, so wird man sagen müssen, mit dem Prinzip des Widerspruchs die Funktion, objektive Gültigkeit zu begründen. Aber die "reine Anschauung" ist eine Determination dieser Funktion im Sinne der aus dem Prinzip des Widerspruchs nicht ableitbaren Erkenntnisforderungen der Mathematik. Was das Prinzip des Widerspruchs nur in negativer Hinsicht und wahllos für alle Erkenntnis ist, das bedeutet die "reine Anschauung" in positiver Bestimmtheit und Beschränkung für die mathematische Erkenntnis.

Ist aber erst einmal diese Einsicht gewonnen, dann sind im Wesentlichen auch schon die Voraussetzungen gegeben, um die zunächst so schwer verständliche Wortverbindung "reine Anschauung" in ihren sachlichen Motiven zu würdigen. Mit der Anschauung, das allein kann hier gemeint sein, teil die "reine Anschauung" das Moment der individuellen Bestimmtheit. Nicht als ob "reine Anschauung", bzw. Mathematik, auch nur das Geringste mit individueller oder bloß individuell gültiger Wahrnehmung, an die man hier sofort denken wird, zu tun hätten; sondern nur insofern, als zu den Voraussetzungen der Mathematik der Gedanken nicht nur der Geltung, sondern auch der des Gesetztwerdens ihrer Anfangsposition gehört. Dieses letztere Moment als solches ist es nun ohne Zweifel, um dessentwillen allein die kantische Terminologie "Anschauung" als die Grundlage der Mathematik bezeichnet. Die bestimmenden Motive hierfür sind auch ohne ausdrückliche Vertiefung in dieses spezielle Problem relativ leicht zu ergründen. Es gibt dem mathematischen Begriff allen anderen gegenüber ein ganz besonderes Gepräge, daß zwischen dem Geltungswert der durch ihn gesetzten Relation und dem logischen Akt dieser Setzung als solchem eine eigenartige und unlösbare Beziehung besteht. Nun ist es eben diese Beziehung, die, welches auch sonst ihre Struktur sein mag, psychologisch durch einen Tatbestand repräsentiert erscheint, den der Sprachgebrauch als "Anschauung" bezeichnet: nur in immer wieder neuen Akten, d. h. in der individuellen Bestimmtheit der Setzung, scheint die Beziehung, auf die es ankommt, möglich zu werden. Individuelle Bestimmtheit aber, zum Unterschied von empirischen Anschauungen, in einer unlösbaren Verbindung mit allgemeiner Gültigkeit, ja geradezu als Bedingung der letzteren - das sind, so will die Lehre von der "reinen Anschauung" sagen, die Merkmale des mathematischen Begriffs.

Wohl handelt es sich also auch in der Mathematik durchweg um individuell bestimmte "Gestaltungsweisen", aber mit einer schlechthin allgemeinen, d. h. derjenigen des Satzes vom Widerspruch gleichenden Geltungsqualität. Nicht zu Unrecht hat man dann auch unter solchen Gesichtspunkten von einer "konkreten Allgemeinheit" des mathematischen Begriffs gesprochen. Damit freilich findet auch das Moment der "Reinheit" als nähere Bestimmung der "Anschauung" seine ausreichende Erklärung. Jenes "Setzen" von Faktoren und Beziehungen bezeichnet, um es noch einmal zu sagen, das Moment, dem der Charakter der individuellen Bestimmtheit, eben das Merkmal des "Anschaulichen", anhaftet. Daß aber das Gesetzte ein eigentümliches, und zwar das "mathematische", Objekt definiert, daß es folglich in einer solchen Bedeutung, also zum Unterschied von anderen Anschauungen, notwendig gilt, das ist jene logische Besonderheit des mathematischen Begriffs, welche in der Forderung der "Reinheit" der ihm zugrunde liegenden "Anschauung" ihren Ausdruck finden soll; daß mithin, kantisch gesprochen, "die Handlung der Konstruktion" und die "Gegebenheit" ihrer Voraussetzungen (10) das Gesetz eben dieser Handlung in sich schließt.

Ja, eine der historisch interessantesten Bestimmungen der Eigenart des mathematischen Begriffs läßt sich ungezwungen in den Rahmen dieser Überlegungen einfügen. Das, was MAUPERTIUS, freilich mit einem unverkennbar empiristischen Akzent, in der Strutktur der Mathematik als die "Wiederholbarkeit" bezeichnet, das ist, in die Sprache der methodischen Analyse des Problems der Mathematik übertragen, die Forderung der allgemeinen Gültigkeit individueller mathematischer Setzungen als solcher oder des Begriffs der "reinen Anschauung". Im Hinblick auf die Gesamtheit der vorangegangenen Darlegungen aber formuliert, ist es der Ausdruck des Problems, den Begriff des Objekts im Sinne einer Bestimmung des "mathematischen Gegenstandes" zu erweitern. - Allein, wie dem auch sein mag, - die Berufung auf den richtig verstandenen Faktor der "reinen Anschauung" ist nichts weniger als ein Zugeständnis an den Empirismus in der Mathematik. Er hat mit "Wahrnehmen" und "Sehen" nichts zu tun (11). Mit Entschiedenheit fordert sie vielmehr dessen diametrales [diagonal gegenüberliegend - ] Gegenteil. Sie ist der Ausdruck der Einsicht einer durchweg rationalen Begründung der Mathematik. Nur verwechselt sie diese rationale Begründung nicht mit einer Reduktion auf das Prinzip des Widerspruchs. Der Begriff der "reinen Anschauung" ist der Träger des Gedankens von der selbständigen erkenntnistheoretischen Valenz, vom spezifischen, synthetischen Charakter mathematischer Urteile.

Es bedarf nach all dem kaum noch der Erwähnung, daß die hier vertretene Auffassung des Begriffs der "reinen Anschauung", gerade weil sie jede Beziehung auf die Erfahrung grundsätzlich ausschaltet, mit der Entwicklung der Mathematik nach der Richtung einer Lehre von den Relationen hin nirgends kollidieren kann. Es ist durchaus richtig:
    "Die Relationsstruktur als solche, nicht die absolute Beschaffenheit der Elemente macht den eigenglichen Gegenstand der mathematischen Betrachtungs- und Untersuchungsweise aus." (12)
Aber gerade die Spezifität dieser "Relationsstruktur" im Gegensatz zu derjenigen des Satzes vom Widerspruch ist das Objekt der erkenntnistheoretischen Analyse der Mathematik und der methodische Sinn des Begriffs der "reinen Anschauung". So widerspricht dieser Begriff dann auch in keiner Hinsicht den Grundsätzen etwa der von HILBERT zur Darstellung und Ableitung der geometrischen Axiome angewandten Methode. Ja, so darf man sagen, erst an den Problemen jener "reinen Beziehungslehre", wie WELLSTEIN (13) die Geometrie HILBERTs treffend bezeichnet, vertieft sich der Begriff der "reinen Anschauung" im Sinne der hier vertretenen Auffassung seiner eigentlichen Bedeutung.

Eines mag diesen Darlegungen über den Begriff der "reinen Anschauung" noch kurz hinzugefügt werden. Es muß, will man in unserem Problem klar sehen, zwischen zwei Fragen scharf unterschieden werden. Ein anderes ist es nämlich, sich darüber Rechenschaft zu geben, ob der Faktor "reine Anschauung" eine über die sonstige erkenntnistheoretische Analyse hinausreichende Klärung des Begriffs vom mathematischen Gegenstand zu bewirken vermag; und ein anderes ist es zu fragen, ob jener Faktor, richtig interpretiert, dem Sinn und der methodischen Absicht des mathematischen Verfahrens überhaupt zuwiderläuft. Die erstere Frage kann man verneinen, die zweite nicht. Man kann vielleicht bezweifeln, ob der Begriff der "reinen Anschauung" mehr enthält als eine abgekürzte und nur allzuleicht mißzuverstehende Bezeichnung für die Eigenart des mathematischen Objekts; - aber man kann nicht in Frage stellen, daß er seiner ganzen Begründung nach diese Eigenart umfassen will. Er repräsentiert die besondere, historisch und systematisch bedingte Form, in welcher der Kritizismus KANTs das Problem des "mathematischen Gegenstandes" exponiert [herausstellt - wp].

6. Aus dem Unterschied zwischen dem - synthetischen - Prinzip des Widerspruchs, als dem negativen Kriterium der "Existenz" und der "reinen Anschauung", als dem Ausdruck der spezifischen Synthesis mathematischer Erkenntnis, folgt noch ein weiteres: die prinzipielle Unableitbarkeit mathematischer Begriffe aus der Form des Urteils. Wenige Worte genügen, um diesen Satz verständlich zu machen. Der Grundsatz des Widerspruchs oder das diesem adäquate positive Prinzip: der Grundsatz der Identität, bilden die oberste Bedingung, der das Urteil als solches genügen muß. Welches auch seine besondere Gestalt und sein besonderer Inhalt sein mag, es unterliegt der Voraussetzung, Vorstellungen miteinander gemäß der Norm des Prinzips der Identität zu verknüpfen. Von diesem Prinzip erhält das "ist" im Urteil, oder das diesem gleichwertige Element, seine Funktion und seinen Sinn. Auf diesen Sinn bezieht sich die Bezeichnung "Form des Urteils". Wären nun die Prinzipien der Identität und des Widerspruchs die Quellen und ausschließlichen Kriterien mathematischer Erkenntnis, dann würde sich die Theorie der Mathematik auf diejenige der Form des Urteils reduzieren. Das aber ist im Hinblick auf den Begriff des mathematischen Gegenstandes, genauer auf die für ihn in einem positiven Sinn bedeutungsvollen Faktoren der Synthesis, oder, was dasselbe bedeutet, im Hinblick auf den Faktor der "reinen Anschauung", nicht der Fall.

Jeder Versuch einer restlosen Ableitung mathematischer Begriffe, etwa desjenigen der Zahl, aus der bloßen Form der urteilsmäßigen Beziehung muß an diesem Verhalten scheitern. Es ist dies die eigentliche Quelle der starken und wohlmotivierten Skepsis, mit der der Mathematiker etwa NATORPs (14) Begründung des Zahlbegriffs aus dem "reinen Denken" gegenübertreten wird. Es enthält auch die Gründe für die Opposition des Erkenntnistheoretikers gegenüber all jenen Bestrebungen, die darauf abzielen, das durch den Begriff der "reinen Anschauung" bezeichnete Problem, wie es sich völlig unabhängig vom vielleicht mißverständlichen Wort auf rein sachlicher Grundlage zur Geltung bringt, aus der Wissenschaftslehre zu eliminieren. Was die Marburger Schule des philosophischen Kritizismus mit ihrem Kampf gegen die Selbständigkeit des Prinzips der "reinen Anschauung" verfehlen muß, das ist, um es mit einem Wort zu sagen: der Begriff des "mathematischen Gegenstandes". Gewiß, es wird immer eine unabweisbare Aufgabe der Erkenntnistheorie sein, das Verhältnis auch zwischen "reiner Anschauung" und der Form der allgemeinsten Denkbeziehung, zwischen dem "mathematischen Objekt" und dem negativen Kriterium seiner "Existenz", und zwar ebenso nach seiner positiven wie nach seiner negativen Seite hin zu untersuchen. Und niemals wird sie sich gerade auch der mathematischen Erkenntnis gegenüber der Forderung entziehen können, zu der Frage Stellung zu nehmen: Inwiefern beherrscht die allgemeinste Form des Urteils auch die Beziehungen zwischen den Elementen seines Inhalts? Aber so wenig diese Frage, wie sie auch beantwortet werden mag, eine Aufhebung des Urteilsinhalts bedeuten kann, ebensowenig kann die allgemeine Denkbeziehung des Urteils eine Handhabe darbieten, um den Begriff der "reinen Anschauung" in seiner methodischen Funktion zu beseitigen. NATORP irrt dann auch (15), wenn er im Hinblick auf diesen Begriff nur die Alternative zwischen einer psychologisierenden Verfälschung und logizistischen Eleminierung gelten läßt. Denn eine solche Alternative übersieht die spezifische Erkenntnisaufgabe jenes Begriffs. Niemand, der diese Erkenntnisaufgabe erfaßt hat, wird es allerdings einfallen dürfen, im Begriff der "reinen Anschauung" "einen schlechthin denkfremden Faktor, etwas wie einen blinden Vorstellungszwang" zu suchen. Aber niemals wird auch aus der entschiedensten Ablehnung dieses Gedankens folgen, daß die mathematischen Begriffe, die spezifischen mathematischen Gesetzlichkeiten entsprechen, restlos aus der Form der Denkbeziehung zu deduzieren sind.

Wie es einerseits nicht bezweifelt werden kann, daß die "reine Anschauung" als methodischer Begriff in allen seinen Funktionen eine Forderung und damit eine "Setzung" des "Denkens" darstellt, ebenso sicher ist es andererseits, daß damit der Faktor der "reinen Anschauung" in keiner seiner Funktionen erschöpfend bestimmt erscheint. Die "Intention" auf die "reine Anschauung" hin, um eine gelegentliche Wendung NATORPs selbst (16) zu gebrauchen, ist es eben, die zur Bedingung der "Denksetzung" als solcher hinzukommt. Nicht geleugnet wird etwa hier die allgemeine erkenntnistheoretische Voraussetzung der Denkgemäßheit des mathematischen Begriffs. Gefragt wird nur, welches die Faktoren sind, die sich im mathematischen Begriff den Forderungen und Bedingungen jener Denkgemäßheit fügen. Gefragt ist nur: Ist und inwiefern ist "reine Anschauung" ein Element der begrifflichen Bestimmtheit mathematischer Setzungen?

7. Diese Erwägungen führen uns sogleich auch wieder weiter. Bleibt die Selbständigkeit des Begriffs der "reinen Anschauung" zumindest als Problem gewahrt, sind folglich die Grundlagen der Mathematik nicht in der Form der allgemeinsten Denkbeziehung allein zu entdecken, wie steht es dann, so wird man fragen, um die vielerörterte Angelegenheit der formalen Natur mathematischer Erkenntnisse? - Diese Frage und die auf sie zu erteilende Antwort ist für unser Problem von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung. Denn auch sie berührt einen jener Punkte, an welchen das Verhältnis zwischen der Struktur der Mathematik und dem Grundsatz des Widerspruchs nach prinzipieller Klärung drängt.

Folgt nicht notwendig, wenn einmal der formale Charakter der mathematischen Erkenntnis zugestanden wird, deren Übereinstimmung mit den ebenfalls "formalen" Prinzipien des Widerspruchs und der Identität? Jener formale Charakter aber kann nicht bezweifelt werden. Denn nirgends entscheiden in der Mathematik - so wenig, wie für das Prinzip des Widerspruchs - inhaltlich, d. h. empfindungsmäßig bestimmte Faktoren über Ausmaß und Charakter der Geltung; und dennoch tritt sie als angewandte Mathematik zu empfindungsmäßig bestimmten Faktoren in ein genau determiniertes wissenschaftliches Verhältnis: sie will von diesen Faktoren gelten, sie ist in weitem Umfang gleichsam nur "für sie" da. Alles scheint demnach unter dem Gesichtspunkt der formalen Natur mathematischer Erkenntnis dafür zu sprechen, daß deren Grundlagen nur in der letzten formalen Bedingung aller Erkenntnis, dem Prinzip des Widerspruchs, gesucht werden dürfen. - Ja, zu den eigentlichen sachlichen Erwägungen gesellen sich noch mehr historische und persönliche hinzu; vor allen Dingen die anscheinend einwandfreie Berufung auf die gewaltige Autorität KANTs. Nirgends wurde in der Tat so entschieden auf die streng "formale" Natur mathematischer Urteile verwiesen, wie im Rahmen des philosophischen Kritizismus. Man sagt nicht zuviel, wenn man behauptet, daß ein solcher Hinweis geradezu den Eckstein dieses großen philosophischen Systems bildet. Aber selbst dem Kritizismus fernstehende, ja ihn ausdrücklich bekämpfende Lehrmeinungen bekennen sich an den entscheidenden Punkten zu einer im Grunde genommen "formalistischen" Auffassung der Mathematik. Mag sich eine solche auch explizit nicht geltend machen, implizit ist sie doch immer vorhanden. Wie sehr man letzten Endes auch die Grundsätze der Mathematik auf "Erfahrung" basieren mag, - wo man auf das Verhältnis des Systems der mathematischen Forschungsarbeit selbst zu eben dieser Erfahrung zu sprechen kommt, da entfernt sich auch der gesinnungstüchtigste Empirist von einer formalistischen Auffassung der Mathematik weit weniger, als es die Prinzipien seiner Position eigentlich gestatten. Mit einer Fülle von Kautelen [Vorbehalte - wp] umgibt er in der Regel seine Theorie von den erfahrungsmäßigen Fundamenten der mathematischen Grundsätze. Bald ist es die ungeheure zeitliche Dauer der Beobachtungsmöglichkeit im Zusammenhang mit geheimnisvollen Kräften der Vererbung, bald die Einfachheit und Eindringlichkeit der Beobachtungen selbst, bald wiederum die relative "Klarheit", mit der angeblich gerade mathematische Beziehungen in der Beobachtung "erfaßt" werden, in vielen Fällen alle die genannten Umstände zusammen, was aus Erfahrung Mathematik soll werden lassen. Wie sehr aber auch solche Annahmen Kern des erkenntnistheoretischen Problems der Mathematik verfehlen mögen - sie sublimieren die Mathematik der Erfahrung gegenüber in einer Weise und in einem Umfang, wie es eben nur den Forderungen einer "formalistischen" Auffassung ihres Wesens entspricht.

In der Tat, die These von der "formalen" Natur mathematischer Erkenntnis kann für den nicht zweifelhaft sein, dem es einmal gelingt, den Geltungswert der mathematischen Einsicht von den sinnlichen Anlässen ihrer Entstehung und den sinnlich bestimmten Objekten ihrer Anwendung an allen in Betracht kommenden Punkten zu unterscheiden. Aber ebensowenig darf er dem verhängnisvollen Irrtum verfallen, die Relativität des Formbegriffs zu übersehen. Mathematische Erkenntnis, so wollen diese Bemerkungen sagen, ist dem Prinzip des Widerspruchs gegenüber material. Sie fällt mit ihm so wenig zusammen und folgt aus ihm in irgendeinem Sinn des Wortes so wenig, wie die physikalische oder die chemische. Gleich diesen steht sie vielmehr jenem Prinzip, als theoretisch wohlcharakterisierter Sachverhalt, mit dem vollen Anspruch eines eigentümlichen, und zwar inhaltlich determinierten Geltungswertes gegenüber.

Hält man hieran fest, so ergibt sich von selbst die Einsicht: Nur in einem ganz bestimmten und näher zu definierenden Sinn des Wortes ist Mathematik formal. Auch der Hinweis auf die formale Natur der Mathematik ändert aus diesem Grund nichts an dem oben dargelegten Verhältnis zwischen Mathematik und dem Prinzip des Widerspruchs, wie dann auch all das, was über den synthetischen Charakter mathematischer Erkenntnis gesagt worden war, von jenem ansich berechtigten Hinweis unberührt bleibt. Es ist, so darf man die Gesamtheit dieser Darlegungen überblickend, hinzufügen, ein ebenso verhängnisvoller Irrtum, aus einer im Übrigen wohlbegreiflichen Scheu vor dem Empirismus, die "formale" Natur mathematischer Erkenntnis ausschließlich auf das Prinzip des Widerspruchs zu basieren, um daraus vielleicht auch noch das Recht für die Behauptung des "analytischen" Charakters mathematischer Urteile herzuleiten; wie es im Grunde verfehlt ist, aus der Diskrepanz zwischen mathematischer Einsicht und dem Prinzip des Widerspruchs die empirische Natur der ersteren erschließen zu wollen. In dieser Gegenüberstellung erst, so darf man sagen, ist das eigentliche erkenntnistheoretische Problem der Mathematik enthalten. Es ist, wie man sieht, auf das Engste verknüpft mit der Frage der Relativität des Formbegriffs. Der Sinn dieser Relativität muß daher definiert sein, soll jenes Problem selbst mit voller Schärfe auch nur exponiert werden können.

8. Ehe wir uns aber der damit gestellten Aufgabe zuwenden, muß noch ein letztes und für viele vohl entscheidendes Argument zugunsten der ausschließlichen Herrschaft des Widerspruchsprinzips über die Grundlagen der Mathematik kritisch beleuchtet und eine Reihe von Folgerungen, die sich an seine Widerlegung knüpfen, begründet werden. - Ist auch, so könnte man sagen, der Grundsatz des Widerspruchs nicht das konstitutive Element der anfänglichen Setzungen der Mathematik als solcher, so repräsentiert er doch die einzige Bedingung und somit das bestimmende Prinzip zumindest für das System der mathematischen Folgerungen. Und da die Mathematik mit der Konsequenz dieser Folgerungen steht und fällt, so ist damit der Grundsatz vom Widerspruch doch wiederum als das allein herrschende Prinzip und als unabweisbare Grundlage mathematischer Erkenntnis erwiesen. - Allein, sieht man etwas genauer hin, so entdeckt man alsbald auch in diesem scheinbar so geschlossenen Beweisgang einen schon früher charakterisierten Fehler. Auch dieser Beweisgang identifiziert, nämlich, ohne sich hierüber Rechenschaft zu geben, folglich unkritisch, spezifische und nur in ihrer Besonderheit mathematisch bedeutungsvolle Folgerungen mit dem Prinzip jeglicher Folgerung überhaupt. Wir versuchen diesen Satz näher zu begründen.

Niemand wird bestreiten können, daß auch "die Schlüsse der Mathematiker alle nach dem Satz des Widerspruchs fortgehen" (17); denn es gibt keine Schluß, dessen Struktur nicht von der Bedingung dieses Satzes beherrscht sein müßte, dessen Elemente nicht durch das Prinzip vom Widerspruch miteinander verknüpft würden; - wie es ja auch kein Urteil geben kann, das sich der Herrschaft dieses Prinzips entzieht. Das aber, was den Schluß eben zu einem mathematischen macht, kann andererseits unmöglich der Grundsatz des Widerspruchs allein sein, wie es auch im Urteil nicht dieser Grundsatz allein ist, der seinen Sinn verbürgt. Denn man mache sich klar, daß der Grundsatz des Widerspruchs für die Folgerung nur das ansich völlig leere Prinzip eines schlechterdings unbegrenzten Fortschritts zunächst nach der durch die oberste Prämisse vorgezeichneten Richtung hin enthält. Nichts Mathematisches also ist dem Prinzip des Widerspruchs auch in seiner Funktion als Bedingung der mathematischen Folgerung eigen. Es liegt in ihm z. B., um deselben Satz konkreter zu formulieren, keinerlei Kriterium dafür, wann ein mathematischer Schluß als vollzogen gelten darf; er markiert lediglich eine Bedingung, die erfüllt sein muß, wenn ein mathematischer Schluß vollzogen wird. Das, was den mathematischen Schluß zu einem in sich "geschlossenen", methodisch abgegrenzten, d. h. eben zu einem mathematisch sinnvollen Gebilde gestaltet, ist nicht das Prinzip des Widerspruchs, sondern ein anderer, diesem Prinzip gegenüber materialer Faktor. Es wiederholt sich hier also, was oben für die als Ausgangspunkt mathematischer Folgerungen unerläßliche Setzung selbst erwiesen worden war: das Prinzip des Widerspruchs ist auch hier nur ein negatives Kriterium der mathematischen "Existenz", und diesem Kriterium steht auch hier die mathematische Erkenntnis als ein seiner besonderen positiven Beschaffenheit nach selbständiger, unableitbarer Faktor gegenüber. Mit der Synthesis der nach dem Grundsatz des Widerspruchs fortschreitenden Folgerung überhaupt verknüpft sich die spezifische Synthesis der mathematischen Folgerung - als Träger des Gedankens vom "mathematischen Objekt".

Die "Logizität" der Mathematik, so darf man sagen, erweist sich auf der ganzen Linie, d. h. sowohl in Bezug auf die anfänglichen Setzungen, wie auch hinsichtlich der auf sie gegründeten Folgerungen, als eine spezifische; d. h. in keinem der beiden Fälle erschöpft sie sich in den Forderungen des Prinzips vom Widerspruch. Ja, man könnte das wissenschaftstheoretische Problem der Mathematik geradezu in der Frage nach dem Grund einer Apodiktizität [Gewißheit - wp] in "Setzungen" und in "Folgerungen" erblicken, die mittels des Prinzips vom Widerspruch nur negativ definiert erscheint. Wird nun aber als dieser Grund, um auf früher Gesagtes unter anderen Gesichtspunkten wieder zurückzukommen, der Faktor der "reinen Anschauung" bezeichnet, so ist diese damit allein schon - sie mag sonst welchen positiven Wert auch immer haben - empiristischen, wie auf das Prinzip des Widerspruchs beschränkten "logizistischen" Bestrebungen gegenüber auf das Schärfste abgegrenzt.

9. Eine über das Gebiet unseres eigentlichen Problems allerdings weit hinausgreifende erkenntnistheoretische Grundfrage aber ist es, die sich im Verlauf all dieser Erwägungen umso dringender geltend macht, je konsequenter man die Argumente zugunsten des synthetischen Charakters mathematischer Erkenntnis zu Ende denkt. Worauf auch immer man seine Aufmerksamkeit richten mag, nirgends entdeckt man einen Anhaltspunkt für die These von der analytischen Natur mathematischer Urteile. Ja, selbst das Argument, dessen Beweiskraft zugunsten jener These am wenigsten bezweifelt zu werden pflegt, der Hinweis auf die Beziehung zwischen mathematischer Erkenntnis und dem Prinzip des Widerspruchs, versagt, und zwar in doppelter Hinsicht: einmal im Hinblick auf die Funktion des Prinzips vom Widerspruch als des bloß negativen Kriteriums mathematischer Erkenntnis, sodann aber und ganz besonders deshalb, weil das Prinzip des Widerspruchs als die Grundform aller Verknüpfung im Urteil und Schluß nichts weniger als der Ausdruck des angeblich analytischen Charakters mathematischer Erkenntnis sein kann.

Welches nun ist, so darf man nach all dem wohl fragen, das wissenschaftliche Recht, von analytischen Urteilen überhaupt zu sprechen? Gibt es und in welchem Sinn gibt es analytische Urteile? Unbeeinflußt durch jene Formeln, wie sie sich an die erste Exposition des Problems "vom Unterschied analytischer und synthetischer Urteile" bei KANT anzuknüpfen pflegen (18), darf man ohne Umschweife erklären: Es gibt kein analytisches Urteil. Denn es gibt kein Urteil, das nicht in der allgemeingültigen Setzung einer Beziehung zwischen Vorstellungen besteht. Das Urteil ist seinem Begriff nach Synthesis. Höchstens kann das Urteil analysierend sein, d. h. seinem Inhalt nach betrachtet, ein "gegebenes" Vorstellungssystem zerlegen wollen. Aber auch in diesem Fall ist das Urteil als Urteil synthetisch, wie auch die Analyse eines gegebenen Vorstellungssystems in der allgemeingültigen Setzung einer Beziehung besteht. Denn auch Beziehungen entdecken, und das soll doch wohl auch die "Analyse", heißt sie "setzen".

Mathematische Urteile können als Urteile nicht analytisch sein; auch sie sind höchstens analysierend. Und welche Rolle auch beim Vollzug der Analyse dem - selbst wieder synthetischen - Prinzip des Widerspruchs zufallen mag, der mathematische Sinn der Analyse hängt nicht ab von den Umständen ihres Vollzugs, sondern von ihrem sachlichen Gehalt. Dieser aber wird bestimmt durch den Inbegriff derjenigen allgemeingültigen Beziehungen, die als "mathematischer Gegenstand" bezeichnet worden waren. Alle mathematischen Urteile sind synthetisch, nicht nur als Urteile, sondern, und zwar nach Prinzipien, die sich von der allgemeinsten synthetischen Bedingung des Urteils unterscheiden, auch als mathematische Urteile. Den Prinzipien der Identität und des Widerspruchs gegenüber den "synthetischen" Charakter des mathematischen Urteils geltend machen, heißt also genauer: der urteilsmäßigen Synthesis als solchen gegenüber die Spezifität der mathematischen Synthesis erkenen. Denn so sollen, um mit KANT zu sprechen, im mathematischen Urteil die Begriffe miteinander verbunden werden, wie des "der Gegenstand" - der mathematische Gegenstand - "mit sich bringt". Es ist eine bedeutsame und oben schon angedeutete "relationstheoretische" Frage für sich, wie die beiden Arten der Synthesis zusammenhängen. Eine eindeutige Beziehung zwischen ihnen muß sie mittels des Begriffs der objektiven Geltung miteinander verbinden. Aber niemals kann die Eindeutigkeit dieser Beziehung eine Ableitbarkeit der mathematischen Synthesis aus der primären Relationsform des Urteils bedeuten.

10. Nun erst, nachdem die Unmöglichkeit einer schrankenlosen Reduktion der mathematischen Synthesis auf das Prinzip des Widerspruchs unter verschiedenen Gesichtspunkten begründet worden war, sind die Voraussetzungen erfüllt, um das Problem von der Relativität des Formbegriffs in seiner Bedeutung für die erkenntnistheoretische Fragestellung überhaupt aufs Neue aufzunehmen und weiter zu verfolgen.

Mathematische Erkenntnis, so wurde oben festgestellt, ist dem Grundsatz des Widerspruchs gegenüber material bestimmt, den sinnlichen Anlässen ihrer eigenen Entstehung gegenüber aber formal. Ja, sie ist das letztere, so dürfen wir hinzufügen, weil sie als "angewandte" Mathematik, als mathematische Naturwissenschaft, die naturwissenschaftliche Gesetzlichkeit jener Anlässe, d. h. deren Begriff und "Möglichkeit" selbst erst bestimmt. So involviert die im Hinblick auf die Mathematik gewonnene Einsicht in die Relativität des Formbegriffs ein bedeutsames Doppelproblem. Sie fordert einerseits die Beantwortung der Frage nach dem Grund des Verhältnisses zwischen Mathematik und "Natur", also der Frage nach dem Begriff der mathematischen Naturwissenschaft, und sie rückt diese Forderung andererseits in die Beleuchtung der weiteren Frage: Wie hängt der Begriff der mathematischen Naturwissenschaft zusammen mit der Beziehung zwischen mathematischer Synthesis und dem Prinzip des Widerspruchs? Was bedeutet für den Begriff der mathematischen Naturwissenschaft derjenige der Mathematik selbst? Oder anders ausgedrückt: Welches ist der Grund des spezifischen Erkenntniswertes der Mathematik ansich, und was bedeutet dieser Erkenntniswert für das Verhältnis zwischen Mathematik und "Natur"? - Mit dieser Frage erst erscheint die Stelle der Mathematik als einer "formalen Gesetzeswissenschaft" (19) im System der Wissenschaften zur Diskussion gestellt, wie sich erst von ihr aus der Zugang zur Gesamtheit der "transzendentalen", d. h. den Begriff des Erfahrungsobjekts und weiterhin den des Gegenstandes überhaupt betreffenden Gesichtspunkt eröffnet. Es wird das Ziel der erkenntnistheoretischen Forschungsarbeit am Problem der Mathematik sein müssen, den Inbegriff dieser Aufgaben in der Einheit einer umfassenden Fragestellung zum Ausdruck zu bringen und zu verknüpfen. Vorerst ist dieses Ziel, gleich dem durch den Begriff des "mathematischen Objekts" gesetzten, nur als Aufgabe zu exponieren. Denn so fundamentale, ja klassische Leistungen die erkenntnistheoretische Forschung seit der Erneuerung der Philosophie in der Renaissance und ganz besonders seit KANT aufzuweisen hat: noch fehlt es an jener umfassenden Form einer Theorie der Relationen, innerhalb deren allein das Problem erschöpft werden könnte. Ob die letzte Entscheidung in all diesen Fragen unter "logistischen" und "gegenstandstheoretischen" Gesichtspunkten im herkömmlichen Sinn dieser Worte erfolgen wird, das hängt allem Anschein nach ab vom Umfang, in dem diese Forschungseinrichtungen einerseits die allgemeinen und besonderen Bedingungen gegenständlicher Geltung überhaupt, andererseits deren Verhältnis zum Begriff der "Erfahrung" zu umspannen vermögen. Nur im Hinblick auf die Grundprobleme der kritischen Philosophie und nicht gegen diese, ja auch nur unabhängig von ihnen, kann jene Entscheidung fallen. Denn immer wird sie an der Frage nach der Struktur der Voraussetzungen, von welchen eine gegenständliche Geltung überhaupt und bestimmte gegenständlich gültige Werte im Besonderen abhängen, orientiert bleiben; nur im Hinblick auf jene Frage kann sich erst ihre eigene Richtung bestimmen (20).

Wie man sich aber auch zu diesen allgemeinsten Gesichtspunkten selbst stellen mag, hinsichtlich der Mathematik wird es sich innerhalb ihres Rahmens um zwei Grundprobleme handeln: Wie determiniert sich der Gedanke der mathematischen Synthesis zu der Besonderheit der synthetischen Funktion einer bestimmten mathematischen Beziehung, und welche Faktoren sind es, die den "formalen" Charakter der mathematischen Synthesis, also das Verhältnis zwischen Mathematik und "Natur" verbürgen? Betrifft die erste Frage den Begriff der "reinen", so exponiert die zweite den der "angewandten" Mathematik - aber, um eine Wendung des kantischen Sprachgebrauchs heranzuziehen, "beides aus Prinzipien", d. h. aus dem Begriff der mathematischen Synthesis selbst.

Nicht daß sich Mathematik auf Erfahrung gründet, bedeutet also die These vom synthetischen Charakter ihrer Urteile, sondern im Gegenteil, daß ihre Sätze, von jeglicher Begründung durch Erfahrung unabhängig, gegenständliche Bedeutung fordern und besitzen. Und zwar bedeutet sie das in einem doppelten Sinn: Die Sätze und Ergebnisse der Mathematik repräsentieren einmal in ihrer Gesamtheit, wie in allen ihren logischen Elementen von jeglicher Rücksicht auf "Erfahrung", von "Willkür" und von "Zufall" freie Geltungszusammenhänge; und sie beherrschen andererseits mittels ganz bestimmter Formen dieser Geltungszusammenhänge die "Natur" und deren Erkenntnis. Dabei müssen die Gründe, aus denen die letztgenannte Beziehung möglich wird, mit dem Begriff der Mathematik selbst gegeben sein - soll sich diese die methodische Selbständigkeit, die sie auch als angewandte Mathematik der sinnlich bestimmten "Natur" gegenüber tatsächlich besitzt, prinzipiell bewahren.

Die Gesamtheit dieser Erwägungen aber bestimmt, wie kaum näher begründet zu werden braucht, in einem wesentlich erweiterten Sinn die theoretische Tragweite und das eigentliche Ziel der kantischen Frage nach der "Möglichkeit" synthetischer Urteile a priori.

11. Erst auf diesem Hintergrund begrenzt sich das erkenntnistheoretische Problem der mathematischen Naturwissenschaft mit zureichender Schärfe. Es klären sich vor allen Dingen die Gründe, aus welchen an ihm in erster Linie der Mathematiker interessiert erscheint. Er ist es, der das methodische Gewicht und die ganze Schwierigkeit der Frage einer Union zwischen Mathematik und Erfahrung in der exakten Naturforschung am deutlichsten empfinden muß, weil er es ist, der die methodische Selbständigkeit der Mathematik gegenüber der "Erfahrung", also den ursprünglichen methodischen Dualismus beider am klarsten überschaut. Nur da kann, um die Frage sachlich zu wenden, die "prästabilierte [vorgefertigte - wp] Harmonie" zwischen Mathematik und Natur in einem tiefen Sinn des Wortes zum Problem werden, wo die Mathematik der primären Methode der Erforschung der Natur, der sinnlichen Erfahrung, mit voller grundsätzlicher Selbständigkeit gegenübertritt.

Daraus aber folgt für das erkenntnistheoretische Problem der angewandten Mathematik eine bemerkenswerte Beziehung der logischen Abhängigkeit, die Abhängigkeit nämlich von den eigentümlichen erkenntnistheoretischen Problemen der "reinen": es rücken die im engeren Sinn "transzendentalen", die Anwendbarkeit der Mathematik auf die Natur betreffenden Fragen in die Beleuchtung der erkenntnistheoretischen Interessen der Mathematik selbst. Freilich wird so auf der anderen Seite auch wieder die reine Mathematik unter den Gesichtspunkten der angewandten, genauer hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf die sinnlich bestimmte Erfahrung, zum Problem. Es gibt mit anderen Worten einen Rechtsnachweis für den empirischen Gebrauch der Mathematik nur im Hinblick auf die Eigenart ihres von jeder Rücksicht auf empirische Momente freien, beweisenden Verfahrens, und nur dann ist jener Rechtsnachweis erbracht, wenn sich durch ihn und in ihm zugleich die Eigenart des Verfahrens der Mathematik selbst begründet. (21)

Diese methodische Einheit ansich anscheinend verschiedener Fragen fordert in der Erkenntnislehre der Mathematik eine besondere Berücksichtigung. Erfährt sie eine solche nicht oder doch nicht ausdrücklich und nur implizit, dann wird sich nur allzuleicht eine Reihe störender Unklarheiten in der Abgrenzung der erkenntnistheoretischen Probleme oder, was dasselbe bedeutet, in der Bestimmung der erkenntnistheoretischen Grundbegriffe der Mathematik einstellen. Freilich, nur wenn die Verschiedenheit der Probleme klar zutage tritt, gewinnt auch der Gedanke ihrer methodischen Einheit, wie er oben exponiert worden war, seine eigentliche Bedeutung. Unverkennbar äußert sich dies am Begriff "synthetisch". Man hat, wo immer man sich im Rahmen unseres Problemkreises seiner bedient, zunächst auf die doppelte Bedeutung zu achten, die ihm eigen ist. Denn er bedeutet, wie sich aufgrund der vorangegangenen Erörterungen von selbst ergibt, hinsichtlich der Mathematik, abgesehen von der Funktion des Widerspruchsprinzips, zweierlei: einmal den Grund für die Möglichkeit ihres spezifischen Verfahrens, oder in der oben eingeführten Ausdrucksweise, einen ersten Ansatz zur positiven Bestimmung des "mathematischen Gegenstandes". Sodann aber bezieht sich der kritische Terminus "synthetisch" auf den Grund der apodiktischen Geltung gewisser Formen mathematischer Verhältnisse für die sinnlich bestimmte Erfahrung. Er weist also hin das eine Mal auf den Inbegriff derjenigen Momente, welche den von "Erfahrung" wie auch von "Willkür" freien Sinn der mathematischen Definitionen, Setzungen und Folgerungen, und zwar in positiver Hinsicht, bedingen; und er bezeichnet das andere Mal den positiven Grund der von aller "Erfahrung" und "Willkür" unabhängigen Geltung der Ergebnisse gewisser Definitionen, Setzungen und Folgerungen für sinnlich "Gegebenes", genauer für Urteile über sinnlich "Gegebenes", kurz des Tatbestandes der exakten Naturwissenschaft (22). Nur auf dem Umweg über diese Unterscheidung wird sich jener einheitliche erkenntnistheoretische Gesichtspunkt gewinnen lassen, in welchem sich beide Funktionen des Begriffs "synthetisch" in dessen spezifischer Bedeutung für die Mathematik vereinigen. Nur diese Unterscheidung wird, anders gesagt, den Begriff des "mathematischen Gegenstandes" in seiner vollen, also auch in seiner "transzendentalen" Funktion erkennen lassen, d. h. in derjenigen, mittels deren er in der mathematischen Naturwissenschaft das empirische Objekt allgemeingültig bestimmt.

Und durchaus entsprechend verhält es sich auch mit dem Begriff der "reinen Anschauung". Auch hier in der einen Beziehung und zwar in der oben ausschließlich in Betracht gezogenen, Bestimmung gemäß den Forderungen der "reinen", auf der anderen Seite Notwendigkeit einer Bestimmung im Hinblick auf die methodische Tatsache der angewandten Mathematik. Mit anderen Worten: Auch im Begriff der "reinen Anschauung" findet sich neben dem Motiv, das oben als ein erster Ansatz zu einer positiven Bestimmung des "mathematischen Gegenstandes" bezeichnet worden war, jenes zweite, das im Wesentlichen die Beziehung der Mathematik auf die Erfahrung in der Tatsache der exakten Naturwissenschaft zum Ausdruck bringt. Ja, diesem letzteren Motiv kommt ohne Zweifel die größere historische Bedeutung zu: in ihm äußert sich im Wesentlich das persönliche Verhältnis KANTs zum Problem der "reinen Anschauung". Denn für KANT selbst kommt diese letztere in Betracht ganz vorwiegend nur im Sinne des Begriffs einer "Form, unter welcher etwas angeschaut wird", als "die Form der sinnlichen Anschauung" (23). Wenn er freilich, allerdings wiederum in vorwiegender Rücksicht auf die Verhältnisse der euklidischen Geometrie, von der "reinen Anschauung" erklärt, "alle Begriffe" würden "in concreto und", zum Unterschied von der empirischen, "dennoch a priori dargestellt" (24), so kommt hierbei der Gedanke des "mathematischen Gegenstandes", wie er oben unabhängig von den Gesichtspunkten einer Theorie der Erfahrung exponiert worden war, zur Geltung. Ja, wenn KANT gelegentlich von einem "transzendentalen Grundsatz der Mathematik" spricht (25), welcher "die reine Mathematik in ihrer ganzen Präzision auf Gegenstände der Erfahrung anwendbar macht", so ist hier die Forderung, den logischen Tatbestand der "exakten Naturwissenschaft" im Begriff des mathematischen Objekts zu begründen, gewiß unverkennbar und klar zum Ausdruck gebracht. Im Mittelpunkt des Interesses aber steht dabei für ihn selbst doch wohl kein in dem hier gemeinten Sinn des Wortes gegenstandstheoretisches, sondern das bloß im Hinblick und in der Beschränkung auf die "Erfahrung" transzendentale Problem.
    "Es bedarf" in der Mathematik, so meint Kant (26), "keiner Kritik der Vernunft", weil "ihre Begriffe an der reinen Anschauung sofort ... dargestellt werden müssen, und jedes Ungegründete und Willkürliche alsbald offenbar wird".
Diese Beschränkung des Erkenntnisproblems nun ist es, die in einer kritischen Theorie des mathematischen Gegenstandes grundsätzlich überwunden werden muß. Der mathematische Gegenstand muß nicht allein als die Voraussetzung für die Möglichkeit des empirischen Objekts im Tatbestand exakter Naturforschung erwiesen, es muß vielmehr auch gezeigt werden, daß und wie beide, ungeachtet der zuerst genannten Beziehung, von der allgemeinsten Bedingung des Objektgedankens umspannt werden. Eine "Kritik der Vernunft" muß mit anderen Worten im vollen Umfang auch auf den Begriff der "reinen Anschauung" bei grundsätzlicher Anerkennung seiner methodischen Selbständigkeit ausgedehnt werden: auch ihr gegenüber ist die "transzendentale" Frage, die Frage nach der "Möglichkeit" des durch sie zu bestimmenden, des mathematischen "Objekts" zu stellen. Nicht die Lösung eines Problems involviert also der Begriff der "reinen Anschauung", sondern, von welcher Seite aus und welchen seiner Beziehungen auch immer man ihn ins Auge fassen mag, den Ansatz zur Exposition eines neuen kritischen Problems: eben desjenigen vom mathematischen Gegenstand. Zwei Fragen sind es daher, die, wie wir bereits wissen, der Theorie eines solchen als Aufgaben gestellt sind: wie sich die Bedingungen gegenständlicher Geltung überhaupt mit denjenigen einer spezifischen Gegenständlichkeit, wie sie hier vorliegt, verknüpfen, und welches das Prinzip ist, das aus einer solchen Verknüpfung die unbegrenzte Fülle gültiger Relationen erstehen läßt, aus welchen die Mathematik besteht. Zu diesen Fragen aber müßte sich als dritte dann sofort die hinzugesellen: wie folgt aus der spezifischen Gegenständlichkeit der Mathematik die "Möglichkeit", d. h. der Begriff einer mathematischen Naturwissenschaft?
LITERATUR - Richard Hönigswald, Zum Streit über die Grundlagen der Mathematik, Heidelberg 1912
    Anmerkungen
    1) Vgl. ERNST CASSIRER, Kant und die moderne Mathematik, Kant-Studien, Bd. XII, Seite 36f.
    2) Vgl. HENRI POINCARÉ, Wissenschaft und Hypothese, zweite Auflage, Leipzig 1906, Seite 45.
    3) siehe LOUIS COUTURAT, Pour la Logistique, Revue de Métaphysik, Bd. XIV, Nr. 2; März 1906; vgl. auch CASSIRER, a. a. O., Seite 41.
    4) CASSIRER, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Seite 44.
    5) Welchen Grades der Spezifikation die Synthesis je nach der Mannigfaltigkeit der Erfahrungswissenschaften fähig ist, und wodurch der Begriff einer solchen Spezifikation überhaupt definiert erscheint, betrifft eine besondere Frage. Sie ist, wie sich von selbst versteht, auf das innigste verknüpft mit dem Problem des Systems der Wissenschaften. Vgl. hierzu meine Abhandlung "Zur Wissenschaftstheorie und -systematik" in Kant-Studien, Bd. XVII.
    6) KANT, a. a. O., Seite 189
    7) Siehe FREGE, Über die Grundlagen der Geometrie, Jahresbericht der deutschen Mathematikervereinigung, Bd. XII, Seite 371, 1903. Vgl. auch COUTURAT, Die philosophischen Prinzipien der Mathematik, Leipzig 1908, Seite 43.
    8) COUTURAT, a. a. O., Seite 42.
    9) JOSEF WELLSTEIN, Enzyklopädie der Elementar-Mathematik, Bd. II, 1905, Seite 143.
    10) KANT, a. a. O., Seite 742. Vgl. auch CASSIRER, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. 2, Berlin 1907, Seite 549.
    11) Vgl. RIEHL, Der philosophische Kritizismus, Geschichte und System, Bd. 1, zweite Auflage, Leipzig 1908, Seite 457.
    12) CASSIRER, a. a. O., Seite 122
    13) WELLSTEIN, a. a. O., Seite 115.
    14) PAUL NATORP, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, Leipzig und Berlin 1910, Seite 99. Vgl. auch RICKERT, Das Eine, die Einheit und die Eins, Logos, Bd. II, 1911/12, Heft 1.
    15) NATORP, a. a. O., Seite 270. Vgl. auch NATORP, Logik in Leitsätzen zu akademischen Vorlesungen, Marburg, Seite 49.
    16) NATORP, Kant und die Marburger Schule, Kant-Studien, Bd. 17, 1912, Seite 203.
    17) KANT, a. a. O., Seite 14
    18) Eine besondere Aufgabe wird es naturgemäß bilden, die wissenschaftlichen Motive für die traditionelle Gegenüberstellung analytischer und synthetischer Urteile zu würdigen. Es sind die Motive, die vor allen Dingen KANTs fundamentale Frage: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" zugrunde liegen.
    19) Vgl. meine Abhandlung "Vom allgemeinen System der Wissenschaften", Philosophische Wochenschrift und Literaturzeitung, 1906.
    20) So bedeutsame Resultate eine von den Problemen der Erkenntnistheorie bewußt absehende "Ordnungslehre" (HANS DRIESCH, Ordnungslehre - ein System des nicht-metaphysischen Teils der Philosophie. Mit besonderer Berücksichtigung der Lehre vom Werden, Jena 1912) auch zeitigen mag, - den Aufgaben einer Relationstheorie im oben gemeinten Sinn des Wortes wird sie nicht gerecht werden können. - Eine Frage für sich wird es dabei bleiben, inwieweit die eigene, unerläßliche Gliederung einer "Ordnungslehre" der - expliziten oder impliziten - Rücksichtnahme auf erkenntnistheoretische Gesichtspunkte überhaupt wird entraten können. Ja, die bloße Konstatierung: "Es gibt jedenfalls ein philosophisches Gebiet - man mag es Logik im weitesten Sinn nennen, wir nennen es eben Ordnungslehre -, das die Frage nach einer eigentlichen Erkenntnis gar nicht berührt, das bestehen bliebe, selbst wenn es keine Erkenntnis gäbe und der Standpunkt des sogenannten Solipsismus endgültig wäre" (Seite 2), setzt den Begriff der Erkenntnis in einem Umfang und in einer Komplexion voraus, welche die oben entwickelte Forderung einer Relationstheorie aufs Neue und in erhöhtem Maße rechtfertigen.
    21) Vgl. RIEHL, a. a. O., Seite 459
    22) Vgl. auch meine oben zitierte Abhandlung "Über den Unterschied etc.", a. a. O., Seite 888.
    23) KANT, a. a. O., Seite 75
    24) KANT, Prolegomena [Ausgabe von VORLÄNDER], 1905, Seite 34.
    25) KANT, Kritik der reinen Vernunft B, Seite 206.
    26) KANT, a. a. O., Seite 739.