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WILHELM WINDELBAND
Die Prinzipien der Logik
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"Die psychologische Behandlung der logischen Probleme muß auf alle Fälle die erste Grundlage bilden. Denn zweifellos sind uns Erkennen und Wissen zunächst in der Form von seelischen Vorgängen bekannt, und wie auch immer die Philosophie ihnen ihre besondere Behandlungsweise zuwenden mag, so muß sie doch jene einem Jeden bekannten Erlebnisse in festen und genauen Bezeichnungen voraussetzen."

"Diese Eigenschaft des Vorstellungsinhaltes, das Gefühl der Billigung bei sich zu führen, wird als Evidenz, dieses Gefühl selbst mit feinen Bedeutungsabtönungen als belief (Glaube), als Überzeugungsgefühl, als Geltungsgefühl, als Geltungsbewußtsein etc. bezeichnet. Dieses Gefühl ist es, mit dem die wahren Vorstellungen vor den anderen anerkannt und als geltend behauptet werden."


Von den Prinzipien der Logik auf knapp begrenztem Raum zu handeln, ist ein nicht unbedenkliches Unterfangen. Denn es steht mit der Logik darin nicht anders als mit allen anderen Wissenschaften: die Prinzipien erhalten ihren Sinn und ihren Wert immer erst durch die Art, wie sie sich in der Begründung, Ordnung und Ausgestaltung des konkreten Lehrsystems ihrer Disziplin bewähren. Da sie selbst ihrem Begriff nach nicht ableitbar sind, so erwächst ihre Evidenz nur an ihrer Geltung für das Besondere und Mannigfaltige, das durch sie in einheitlicher und allgemeingültiger Weise bestimmt sein soll.

Eine gesonderte Heraushebung der Prinzipien ist aber verhältnismäßig noch leicht und ungefährlich bei einer Einzelwissenschaft, deren prinzipielle Struktur eine gewisse Festigkeit und allgemeine Anerkennung gewonnen hat. In dieser Lage wäre man der "Logik" gegenüber vielleicht noch vor etwa anderthalb Jahrhunderten gewesen, als sie sich auf dem aristotelischen Grundriß wie ein fest gefügtes Gebäude erhob, an dem sich nur in den einzelnen Ausführungen Verschiedenheiten der gliedernden Gestaltung oder des Ausbaus mehr oder weniger bevorzugter Teile mit der Zeit eingestellt hatten. Diese Lage ist nun bekanntlich durch KANT von Grund auf geändert. Die Erweiterung des logischen Problems durch den transzendentalen Gesichtspunkt, welche die kritische Philosphie mit sich brachte, war nur der Anfang einer totalen Verschiebung der Prinzipien, die sich seitdem in verschiedenen und zum Teil einander entgegengesetzten Richtungen vollzogen hat. Der heutige Bestand der Logik zeigt geradezu das Gegenteil einer einheitlichen und herrschenden Struktur: ihre Prinzipien sind im Fluß, die Gegensätze, die in ihr obwalten, betreffen viel weniger die einzelnen Lehren als die grundsätzlichen Standpunkte und die methodischen Probleme, und irgendeine Auffassung, die der Einzelne in diesen schwierigsten Fragen vertritt, kann nicht hoffen, sich durch eine allgemeine Diskussion durchzusetzen, wenn sie sich nicht in der fruchtbaren Gestaltung eines besonderen Forschungsmaterials erhärten kann.

Wenn ich mich trotzdem - nicht ohne Widerstreben - entschließe, eine kritische Musterung der logischen Prinzipien zu veröffentlichen, so liegt die Möglichkeit dazu in der Stellung, welche ich zu den verschiedenen Behandlungsweisen der Logik gewonnen habe. Sie sind im verstörten Durcheinander der gegenwärtigen philosophischen Bewegung jede an ihrem Ursprungspunkt mit einer gewissen Berechtigung entwickelt. Es wäre unverständlich, wenn nicht jeder zumindest ein Keim unanfechtbarer Sachgemäßheit zugrunde läge. Der Irrtum der Einseitigkeit beginnt nur immer erst da, wo das an seiner Stelle Berechtigte das einzig Gültige und die ganze Wahrheit sein wil, wo es das Übrige auschließen zu dürfen meint. Wer lange genug den Verhandlungen zwischen den verschiedenen Standpunkten zugesehen und sich wohl selbst daran beteiligt hat, der muß sich schließlich überzeugen, daß eine erschöpfende Lösung des großen Gesamtproblems der Logik einstmals erst aus der Vereinigung all der verschiedenen Behandlungsweisen erwachsen wird, die es vermöge der inneren und sachlichen Mannigfaltigkeit seines Wesens hat erfahren müssen. Aber freilich darf diese Vereinigung keine schwächliche Zusammenstellung, keine eklektische Unentschiedenheit sein, sondern es handelt sich um eine systematische Totalität, worin aus dem Grundproblem heraus die gegliederte Ordnung der verschiedenen Sonderaufgaben und ihrer durch diese Gegenstände verlangten Prinzipien der Lösung organisch entwickelt werden soll.

Dazu ist es allerdings erforderlich, die Aufgabe der Logik im weitesten Sinn des Wortes zu fassen, worin sie mit der theoretischen Philosophie überhaupt zusammenfällt - als philosophische Lehre vom Wissen, als Theorie der theoretischen Vernunft. Was die antike Einteilung der "Philosophie" als Physik bezeichnete, metaphysische und naturphilosphische Lehren, das gehört für das nachkantische Denken in den Bereich der Erkenntniskritik und der Wissenschaftslehre, und wenn wir diese als integrierende Bestandteile der Logik betrachten, so stellt damit die letztere den Inbegriff der gesamten theoretischen Philosophie dar. Eben deshalb aber kann ihr Gesamtproblem nicht auf die einseitigen Fragestellungen verengt werden, die von den verschiedenen Standpunkte je nach der von ihnen aufgefaßten Seite formuliert worden sind. Andererseits haben diese einzelnen Standpunkte ihr Sonderrecht und ihre geschichtliche Möglichkeit gerade darin, daß sie je an ihrer Stelle im systematischen Zusammenhang einer philosophischen Theorie des Wissens begründet sind.

Denn im Sinn der kritischen Methode, durch die allein der Philosophie eine eigene Aufgabe und ein eigenes Forschungsgebiet in genauer Abgrenzung gegen die übrigen Wissenschaften bestimmt werden kann, ist das philosophische Denken überall darauf gerichtet, die menschlichen Vernunfttätigkeiten, aus denen im Laufe der Geschichte die Gesamtgebilde des Kulturlebens erwachsen, daraufhin zu untersuchen, wieweit darin allgemeine, von den spezifischen Bedingungen der Menschheit unabhängige, rein sachlich in sich begründete Vernunftinhalte zum Bewußtsein und zur Geltung zu gelangen. Darum gibt es nur drei philosophische Grundwissenschaften: Logik, Ethik und Ästhetik, entsprechend den seelischen Grundtätigkeiten des Vorstellens, Wollens und Fühlens und den Kulturformen der Wissenschaft, der Sittlichkeit und der Kunst. Für jede dieser Disziplinen aber ist empirisch gegeben die Gesamtheit der ihr zugehörigen psychischen Funktionen und ihrer historischen Gestaltungen im Gesamtleben der Menschheit, und von dieser erfahrungsmäßigen Grundlage hat die kritische Besinnung der Philosophie zu der Entscheidung darüber aufzusteigen, ob und wieweit in den Leistungen dieser natürlichen und geschichtlichen Gebilde des Menschtums Vernunftinhalte von übergreifender Geltung zum Durchbruch gelangen. Wenn nun im Folgendem diser Weg vom Aposteriori zum Apriori für den theoretischen Teil der Philosophie, die Logik, in seinen prinzipiellen Hauptpunkten skizziert werden soll, so müssen sich, falls jene Voraussetzung zutrifft, die verschiedenen Standpunkte, von denen die Logik behandelt werden kann und behandelt worden ist, als die notwendigen Etappen dieses Fortschritts herausstelen, und dabei müssen aus dem systematischen Zusammenhang des Ganzen für jeden einzelnen dieser Standpunkte ebenso sein Recht wie die Grenzen dieses Rechts deutlich werden.


I. Phänomenologie des Wissens

Das empirische Material liegt für eine philosophische Diszplin formell in doppelter Form vor: einerseits als eine Fülle unmittelbarer Erlebnisse des vorwissenschaftlichen Bewußtseins, andererseits in geordneten Systemen von Begriffen, welche die empirischen Wissenschaften daraus bereits entwickelt haben. So arbeitet die Ethik mit den jedem Individuum geläufigen Erfahrungen des Willenslebens, seiner moralischen Beurteilung und seiner gemeinsamen Gestaltung in der Sitte und in den rechtlichen Verhältnissen, aber nicht minder auch mit dem, was die Psychologie über Vorgänge der Motivation, was die Jurisprudenz über historische und systematische Gestaltung der Rechtsbeziehungen, was Ethnographie und Geschichtswissenschaft über die Entwicklung der Sitte, über all die wechselnden Formungen des Verhältnisses zwischen Individualwille und Gesamtwille lehren.

Eine andere Doppelheit des empirischen Materials für die philosophische Theorie ist sachlich darin begründet, daß die menschlichen Vernunfttätigkeiten einerseits als naturgesetzmäßige und überall gleiche Funktionen des individuelen Bewußtseins, andererseits als Ergebnis des historischen Gesamtlebens der Gattung vorliegen. So bilden den gegebenen Stoff einer philosophischen Ästhetik auf der einen Seite die Vorgänge des Anschauens und Fühlens, des Genießens und Schaffens, auf der anderen Seite die Gebilde der Kunst bei allen Völkern und der geschichtliche Zusammenhang ihres Entstehens und ihrer Wertung.

Beide Unterscheidungen - das Gegebensein entweder im Erlebnis oder in der empirischen Theorie und das Gegebensein entweder in der gleichmäßigen seelischen Natur oder in den historisch differenzierten Formen der Menschheit - lassen sich, selbstverständlich mit einer gewissen Flüssigkeit der Grenzen, auf in der Phänomenologie des Wissens verfolgen. Wir verstehen unter dieser Bezeichnung den Inbegriff der empirischen Erscheinungen des Wissens, welche die gegebenen Voraussetzungen der Logik als der theoretischen Philosophie ausmachen. Wir finden sie zunächst in den bekannten Vorgängen des individuellen Bewußtseins, die wir alle mit dem unmittelbaren Erleben meinen, wenn wir von Wissen reden, und ebenso in den Theorien, welche die empirischen Wissenschaften, voran die Psychologie, zur Beschreibung und kausalen Erklärung dieser Vorgänge entwickelt haben. Weiterhin aber sind die Tatsachen, die der Logik zugrunde liegen, in der Gesamtheit der Wissenschaften selbst gegeben, welche die historischen Formen des menschlichen Wissens darstellen und in ihnen oder an ihnen haben sich schon im geschichtlichen Verlauf all die Versuche entwickelt, mit denen die logische Besinnung das Wesen, den Sinn und den Wert des Wissens und der Wissenschaft zu bestimmen bemüht gewesen ist.

Wollen wir nun diese verschiedenen Stufen der Phänomenologie des Wissens kritisch durchlaufen, so muß von der Fundamentaltatsache ausgegangen werden, die aller logischen Besinnung zugrunde liegt. Sie besteht darin, daß wir zwischen unseren Vorstellungen den Wertunterschied des Wahren und des Falschen machen. Aber wenn die Grundvoraussetzung der Logik in dieser sehr allgemeinen Fassung vielleicht überall Anerkennung finden mag, so zeigt sich sogleich, daß sie in ihren verschiedenen Momenten genauerer Bestimmung bedürftig ist. Denn einerseits fragt es sich, welche besonderen Vorstellungsgebilde es sind, auf die jener logische Wertunterschied von Wahr und Falsch anzuwenden ist; und andererseits mögen wir zwar in der Praxis leidlich darüber einig sein, was wir damit meinen, wenn wir gewissen seelischen Gebilden den Wert der Wahrheit zuerkennen oder absprechen: aber sobald man genauer zufassen und den Sinn dieser Wertung bestimmt formulieren will, sieht man sich in Schwierigkeiten verwickelt, die erst von den letzten und feinsten Problementwicklungen der Logik ihre Lösung erwarten dürfen. So zeigt sich von vornherein, daß schon diese phänomenologische Vorstufe nicht ohne den Ausblick auf jene letzten Fragen behandelt werden kann, und daß alle diejenigen Versuche unzulänglich sind, welche auf einer dieser empirischen Stufen beharren wollen.

Das gilt in erster Linie für die psychologische Behandlung der logischen Probleme. Sie muß auf alle Fälle die erste Grundlage bilden. Denn zweifellos sind uns Erkennen und Wissen zunächst in der Form von seelischen Vorgängen bekannt, und wie auch immer die Philosophie ihnen ihre besondere Behandlungsweise zuwenden mag, so muß sie doch jene einem Jeden bekannten Erlebnisse in festen und genauen Bezeichnungen voraussetzen. Diese Anforderung ist umso unerläßlicher, je unbestimmter in allen Sprachen die Ausdrücke für die einzelnen Arten und Phasen der seelischen Tätigkeit sind. Dieser Zustand der populären Redeweise ist angesichts der Feinheit und Zartheit, womit die Mannigfaltigkeiten des Seelenlebens abgestuft und ineinander verflochten sind, durchaus begreiflich und sogar unvermeidich: und das erste Verlangen, das deshalb die Logik (und analog auch Ethik und Ästhetik) an die Vorarbeit der Psychologie zu stellen hat, ist die Schaffung einer sicheren und eindeutigen Terminologie. Gerade für die Logik ist diese Erfordernis noch nicht in vollkommener Weise gelöst. Wenn z. B. oben gesagt wurde, es seien Vorstellungsgebilde, von deren Wahrheitswert in der Logik zu handeln ist, und man sich fragen muß,, welche, so ist dabei das Wort "Vorstellung" in einem allgemeinen Sinn (etwa dem von KANT oder HERBART) gebraucht, wonach es die Gesamtheit der theoretischen, interessefreien Funktionen des Bewußtseins bedeutet, im Unterschied von den interessierten Zuständen des Gemüts, wie sie entweder als Gefühle oder als Wollungen auftreten. Aber dieser weitere Sinn von "Vorstellung" ist weit davon entfernt, allgemein angenommen zu sein; viele auch unter den Psychologen und Logikern setzen das Vorstellen in einem engeren Sinn als anschauliches Vorstellen dem Denken gegenüber, - wie es etwa heißt, man könne sich etwas zwar denken, aber nicht vorstellen. Solche bedauerlichen Unstimmigkeiten, die natürlich auch logische Unsicherheiten nach sie ziehen, hängen sicherlich damit zusammen, daß die Psychologie so lange von Philosophen mit Zuspitzung auf ihre allgemeinen Probleme und Lehren getrieben worden ist. Erst wenn die Psychologie eine von der Philosophie völlig unabhängige empirische Disziplin geworden und damit in den kontinuierlichen Gang einer gemeinsamen Arbeit gekommen ist, erst dann ist zu hoffen, daß die Logik (und überhaupt die Philosophie) von den psychologischen Tatsachen, die sie aus der Erfahrungswissenschaft aufnehmen muß, mit derselben Exaktheit und Eindeutigkeit wird reden können, wie sie heute etwa aus der Mathematik oder Physik Begriffe übernehmen kann. Solange das nicht erreicht ist, muß jeder Logiker zur Sicherung des eigenen Forschens und des eindeutigen Verständnisses die psychologischen Grundbegrie, deren er bedarf, so scharf und klar als nur irgendwie möglich an die Spitze zu stellen.

Für den logischen Zweck handelt es sich dabei zunächst um die systematische Terminologie, welche die Sache der deskriptiven Psychologie ist. Aber eine solche formale Ordnung ist aus methodologischen Gründen in wissenschaftich befridigender Weise nur auf einem genetischen Weg zu gewinnen und zu begründen. Deshalb kann der Logik auch die theoretische Psychologie nicht gleichgültig sein, die von jeher darauf ausgegangen ist, zu untersuchen, wie und in welchen Etappen aus den elementaren Anfängen des Vorstellungslebens sich Erkennen und Wissen als die höchste und bedeutsamste Leistung entwickeln. Die prinzipielle Voraussetzung dieser psychogenetischen Forschungen ist die seit LOCKE fast als selbstverständlich geltende und nur selten in Frage gestellte Meinung, daß die letzten Bestandteile, worin wir die stets mannigfaltigen Inhalte unserer Bewußtseinserlebnisse zu zerlegen vermögen, als einfache Elemente ihrem Entstehen vorhergegangen sind. In diesem Sinn pflegen dann die Sinnesempfindungen als die psychophysische Grundlage allen Vorstellungslebens angesehen und dessen Theorie darauf angelegt zu werden, in welcher Stufenfolge und nach welchen Gesetzen aus solchen einfachen "Ideen" die zusammengesetzten und schließlich aus den konkreten die abstrakten werden. Am feinsten und sorgfältigsten ist dieser Aufbau des theoretischen Bewußtseins in seine Stufen gegliedert worden von der Ideologie des 18. Jahrhunderts, in der sich damals der an der Metaphysik gescheiterte Systemtrieb mit welchselnder Betätigung entschädigte. Dabei waltet nun die prinzipielle Kontroverse, ob eine soche Umbildung der niederen Gebilde in höhere, der elementaren in feinere Bewußtseinszustände sich von selbst nach einem psychischen Mechanismus oder psychischer Chemie vollzieht (wie es die Assoziationspsychologen wollen) oder ob dazu die einzelnen Kräfte und schließlich das einheitliche Wesen des Bewußtseins erforderlich sind. Der lange Streit über die eingeborenen Ideen lief doch zuletzt nur auf diese Frage hinaus. Allein die Entscheidung all dieser genetischen Probleme, die für die Ideologie freilich Lebensfragen sind, ist natürlich von großer Bedeutsamkeit für die theoretische Psychologie, aber ganz irrelevant für die Logik, die es nincht mit der Entstehung, sondern mit der Geltung, d. h. mit der Wahrheit der Vorstellungen zu tun hat. Die Logik hat an diesen psychogenetischen Untersuchungen nur so weit Interesse, als sie erforderlich oder geeignet sind, die einzelnen Typen des Vorstellungsprozesses gerade durch ihre Beziehungen zueinander klar und deutlich herauszustellen. Wenn man aber diese Entwickungsgeschichte des tatsächlichen Erkennens, wie es die Ideologen gewollt haben und zu Teil noch wollen, an die Stelle der Logik selbst setzt, so beweist man nur, daß man noch nicht einmal bis zu deren Problem vorgedrungen ist. Es gibt logische Prinzipien der Psychologie (wie jeder Wissenschaft), aber keine psychologischen Prinzipien der Logik.

Das Wichtigste bei der phänomenologischen Durchsichtung der psychologischen Vorbegriffe wird für die Logik immer die Frage sein, welcher Art die Vorstellungen sind, um deren Geltung es sich in ihr handelt, und was diese Geltung selbst bedeutet. Beide Fragen hängen nämlich, wie man sich leicht selbst überzeugen kann, auf das Engste zusammen; aber sie können deshalb auf dieser Stufe nicht entschieden werden. Das naive Bewußtsein ist freilich leicht damit bei der Hand, für Vorstellungen (oder auch "Ideen") jeder Art und jeder Provenienz [Herkunft - wp] die Wahrheit in dem Sinne in Anspruch zu nehmen, daß der vorgestellte Inhalt auch unabhängig von der Vorstellungstätigkeit wirklich ist, oder daß dem, was zunächst ein esse in intellectu [geistige Existenz - wp] besitzt, darüber hinaus noch ein esse in re [tatsächliche Existenz - wp] zukommt. Das meint man dann wohl für Begriffe und Urteile nnicht anders als für Sinneswahrnehmungen, an denen sich diese Auffassung im Zusammenhang mit einem naiven Weltbild erzeugt hat. Diesen Wahrheitsbegriff, den man als Übereinstimmung von Vorstellung und Wirklichkeit zu definieren plegt, nenne ich den transzendenten und die ihm zugrunde liegende Ansicht die Abbildtheorie; seine Meinung ist die, das Erkennen habe die Aufgabe, die Welt so vorzustellen wie sie ist, und diese Anforderung kann man natürlich auf jede beliebige Vorstellung anwenden, so einfach oder so zusammengesetzt, so primitiv oder so künstlich sie sein mag. Indessen bedarf es geringer Überlegung, um einzusehen, wie unvermeidlich sich die Anwendung dieses Wahrheitsbegriffs in die Schwierigkeit verstrickt, daß zur Prüfung jener Übereinstimmung tatsächlich die Vorstellung immer nur wieder mit Vorstellungen, niemals mit dem vermeintlichen "Gegenstand" verglichen werden kann: und dazu kommt die Tatsächlichkeit von Wahrheiten, z. B.. arithmetischer Sätze, bei denen auch nicht mit künstlichster Deutung auszuklügeln ist, welchen Sinn die Übereinstimmung ihres Inhalts mit irgendeiner "Wirklichkeit" haben sollte. So stellt sich neben jenen ersten Wahrheitsbegriff ein zweiter, der immanente, und es ist von selbst klar, daß diese Wahrheit nicht mehr die einzelne Vorstellung, sondern das Verhältnis zwischen verschiedenen Vorstellungen betrifft. Wie weit auch hierbei die Beziehung des Vorstellungsinhalts betrifft. Wie weit auch hierbei die Beziehung des Vorstellungsinhaltes auf die sogenannten "Gegenstände der naiven Weltansicht" mehr oder weninger deutlich im Hintergrund steht, ist an dieser Stelle noch nicht zu untersuchen. Hier ist vielmehr das Bedeutsame, daß damit unter den Vorstellungsarten diejenige, welche selbst wieder das Verhältnis von Vorstellungen betrifft, d. h. das Urteil in den Vordergrund des logischen Interesses tritt.

Die Psychologie des Urteils aber hat schon im Altertum neben dem Denkakt, den es zweiellos enthält, noch ein weiteres Moment entdeckt, das die Stoiker als synkatathesis [Anerkennung eines über die Wahrnehmung hinausgehenden Urteils - wp] bezeichnet haben: es ist die Bejahung oder Verneinung, die Annahme oder Zurückweisung, die Anerkennung oder Verwerfung des Urteilsinhalts. Nachdem dieses Moment vorübergehend durch DESCARTES wieder hervorgehoben war, ist es erst in der neuesten Logik und Psychologie zur vollen und ausdrücklichen Geltung gelangt, und noch heute kann man sagen, daß darüber in der Terminologie und vielfach auch in der Sache noch keine einheitliche und eindeutliche Entscheidung gefallen ist. Wenn das Urteil als seelische Tätigkeit betrachtet wird, so gehören doch zweifellos beide Momente, die man wohl als das theoretische und das praktische bezeichnet hat, gleichmäßig: ein gedachter Inhalt und die Stellungnahme zu seinem Wahrheitswert. In einem psychologischen Sinn ist dabei das zweite Moment so wesentlich, daß es geradezu den artbildenden Unterschied des Urteils unter den übrigen Arten des Vorstellens, bzw. des Denkens ausmacht. Die logische Betrachtung dagegen, der es auf die sachliche Geltung des Vorstellungsinhalts und nicht auf die tatsächlichen Anerkennungen von Seiten der empirischen Subjekte ankommt, wird geneigt bleiben, in der Weise wie es ARISTOTELES getan hat, das Urteil wesentlich durch seine theoretische Bedeutung zu bestimmen und danach das Zustimmen oder Verwerfen als empirische Nebenbestimmungen zu behandeln. Aber die große Schwierigkeit besteht nun eben darin, daß auch die reine (oder normative) Logik - wegen der Fundamentaltatsache der Unterscheidung von Wahr und Falsch - Bejahung und Verneinung nicht vom Wesen des Urteils zu trennen vermag. Daher rührt die entscheidende Bedeutung, welche die "Qualität" des Urteils für die prinzipielle Stellung jedes Logikers besitzt, und daher versteht man, weshalb die Theorie der Negation eine so wichtige Roll in der neueren logischen Literatur spielt.

Das Moment der "Zustimmung" bietet aber für die psychogenetische Untersuchung noch weitere, äußerst interessante Seiten dar: in seiner Verschiedenheit von einem theoretischen Denkakt stellt es sich teils als eine gefühlsmäßige, teils als eine willenhafte Funktion dar, und als solche wird es nach allgemeinen psychologischen Prinzipien in verschiedener Weise zu charakterisieren und seinem Ursprung nach zu erklären sein. Diese Eigenschaft des Vorstellungsinhaltes, das Gefühl der Billigung bei sich zu führen, wird als Evidenz, dieses Gefühl selbst mit feinen Bedeutungsabtönungen als belief (Glaube), als Überzeugungsgefühl, als Geltungsgefühl, als Geltungsbewußtsein etc. bezeichnet. Dieses Gefühl ist es, mit dem die "wahren" Vorstellungen vor den anderen "anerkannt" und als "geltend" behauptet werden. Anerkennung und Geltung können dabei den Nebensinn einer transzendenten oder immanenten Wahrheit haben, können aber auch davon frei sein und dann nichts weiter bedeuten, als die unmittelbare Denknotwendigkeit. Diesen letzteren Wahrheitsbegriff wollen wir den formalen nennen, weil er ansich gar keine Beziehung auf Gegenstände involviert. Es ist aber eine weite und interessante Aufgabe für die Psychologie, festzustellen, in welchen Fällen und nach welchen Gesetzen dieses Geltungsgefühl tatsächlich eintritt. In den Bereich dieser Untersuchung fällt das Meinen und das Glauben ganz ebenso wie das Erkennen und das Wissen; ja, die Aufgabe der Psychologie ist hier gerade, die Merkmale festzustellen, die das seiner Aufgabe nach rein theoretische Fürwahrhalten des Erkennens und Wissens von dem des Meinens und Glaubens unterscheiden. Mit vorbildlicher Feinheit hat DAVID HUME im Treatise die Analyse der Vorstellungsprozesse durchgeführt, durch die sich der belief vermöge der Assoziationen von den einen Vorstellungen auf die anderen überträgt: aber er vermochte gerade wegen des rein psychologischen Prinzips seiner Untersuchung keine Verschiedenheit der logischen Geltung zwischen den einzelnen Arten der Assoziation zu begründen.

Wenn weiterhin die "Anerkennung", die im Urteil enthalten ist, als eine willenhafte Handlung psychologisch bearbeitet wird, so muß nach ihrer Stellung in den teleologischen Zusammenhängen des Gemütslebens, d. h. nach ihren Zwecken und Motiven gefragt werden. Die Beurteilung der Vorstellungen als wahr oder falsch, die eine Billigung oder Mißbilligung darstellt, besteht nur entweder für ein absichtliches oder für ein das unabsichtliche beurteilendes Denken und setzt voraus, daß die Wahrheit einen Wert für das beurteilende Bewußtsein darstellt. Nun ist psychogenetisch die Wahrheit kein primärer Wert für den Menschen, sondern wie alle Kulturwerte erst durch mannigfache Vermittlungen dazu geworden und nach dem allgemeinen Gesetz der Übertragung aus einem stetig angewendeten Mittel in einen Selbstzweck übergegangen. Freilich ist sie ein solcher nur im Reich der Wissenschaft und auch da nur für einen sehr geringen Bruchteil der forschenden Menschen: für die große Masse bleibt die Wahrheit immer nur ein Mittel zur Erfüllung aller möglichen sonstigen Zwecke. Wenn man diese Entwicklungsgeschichte des Wahrheitswertes im Individuum wie in der Gattung verfolgt, wenn man sieht, daß die Wahrheit dem Menschen immer nur lieb geworden ist, weil sie ihm nützlich war und weil er sie für sein Handeln brauchte, daß deshalb die Richtung und das Gebiet, worin er Wahrheiten suchte, zu allen Zeiten durch seine einfacheren oder verwickelteren, niederen oder höheren Bedürfnisse bestimmt waren, so begreift man, daß vor dieser psychogenetischen und in letzter Instanz biologischen Betrachtung alle Arten des Fürwahrhaltens gleichmäßig zu praktischen Lebensäußerungen, zu Arten der Umsetzung sensibler in motorische Prozesse werden, und daß damit der sachliche Vorzug des Erkennens und Wissens vor dem Meinen und Glauben hinfällig wird. Dann kommt es nur noch auf die Stärke und die Leistungsfähigkeit des Geltungsgefühls an, und es ist begreiflich, daß die äußerste Konsequenz des Psychologismus in alter wie in neuester Zeit die gewesen ist, daß der Wahrheit, deren theoretische Begriffsbestimmung nicht eindeutig zu gewinnen wa, die Brauchbarkeit, der Erfolg der Vorstellungen untergeschoben wurde. Dies ist also in den phänomenologischen Vorhallen der Logik der Winkel, in den der Pragmatismus mit allen seinen Deklamationen gehört.

Schon mit diesen Untersuchungen über die Entwicklung des Wahrheitswertes überschreiten wir den Bereich des individuellen Seelenlebens und kommen zu den sozialpsychologische Voraussetzungen der Logik. Denn Erkennen und Wissen als empirische Funktionen sind durchaus sozialer Natur. Sie sind integrierende Bestandteile eines gemeinsamen Seelenlebens - das einsame Wahrheitsstreben des Einzelnen ist ein spätes Kulturprodukt, das doch immer in irgendeiner historischen Wissensgemeinschaft wurzelt und dahin wieder einzumünden neigt -, und zu den Merkmalen des Wahrheitsbegriffs ghört deshalb auch die Allgemeinheit der Anerkennung oder Geltung. Zwar kann das nicht die tatsächliche Allgemeingültigkeit sein; denn diese ist sogar in sehr engen sozialen Verbänden kaum je zu erreichen, und selbst wenn sie erreicht wäre, würde sie die Wahrheit nicht gewährleisten: aber der Anspruch auf Allgemeingültigkeit, den jede Wahrheitsbehauptung enthält, ist mit seiner Beziehung auf die Mehrheit urteilender Subjekte der durch den sozialen Zusammenhang bedingte Ausfluß und deshalb ein empirisches Kennzeichen der sachlichen Notwendigkeit, die im formalen Wahrheitsbegriff primär gemeint ist.

Der soziale Charakter des Erkennens zeigt sich nun vor allem darin, daß es seinen Ausdruck in der Sprache als dem wesentlichsten Vehikel der Lebensgemeinschaft findet. Die Zusammenhänge zwischen Denken und Sprechen bilden deshalb einen wichtigen Gegenstand der Phänomenologie des Wissens, und was Psychologie, Physiologie und Sprachwissenschaft darüber lehren, kann in seinen letzten Ergebnissen für die Logik nicht gleichgültig sein. Alles Erkennen und Wissen ist uns zunächst in einem sprachlichen Ausdruck gegeben, und es fragt sich deshalb, in welchem Umfang und in welcher Weise die inneren Vorgänge, die das logisch Wesentliche sind, in jener äußeren Form wirklich zur adäquaten Darstellung kommen. Nun gibt es freilich erfahrungsmäßig wohl kaum ein Denken ohne wenigstens den leisen Antrieb zum Sprechen, und wir haben keinen Grund zu der Annahme, daß all die Vorgänge des Bewußtseins, welche sich in Allgemeinvorstellungen oder gar in Begriffen und Gattungsbegriffen bewegen, empirisch je ohne die Hilfe der Wörter vorkommen; tatsächlich also lernt jeder Mensch das Denken, indem er in die Sprache hineinwächst. Aber so abhängig deshalb das Denken als wirkliche Funktion vom Sprechen sein mag, so ist es doch weder völlig daran gebunden noch sachlich damit identisch. Nicht nur pathologische Zustände, wie die der Aphasie, sondern ganze Strecken normaler Bewußtseinsbewegung in der Phantasie wie im Denken, wo die Vorstellung oder der Gemütszustand vergebens nach einem sprachlichen Ausdruck ringt, beweisen die Unabhängigkeit des Bewußtseinsinhalts vom Sprechen (wie andererseits die Sprache mechanisch ablaufen kann, ohne die entsprechende Vorstellungsbewegung im Bewußtsein bei sich zu führen): auf jeden Fall aber ist doch sachlich das Sprechen etwas anderes als das Denken. Man braucht nur die Mannigfaltigkeit der Sprachen zu beachten, um sich diese oft übersehene Verhältnis deutlich zu machen. Gerade darin besteht ja der didaktische Wert der Mehrsprachigkeit, daß die Möglichkeit des verschiedenen Ausdrucks für denselben Vorstellungsinhalt zu einem stetigen Erlebnis wird und damit die naivve Meinung, als sei die Sache im Wort notwendig und selbstverständlich gegeben, hinfällig wird. Vor allem aber muß festgestellt werden, daß die sprachlichen Beziehungsformen durchaus nicht etwa Nachbildungen von Formen der Vorstellungsbewegung und Vorstellungsverknüpfung, sondern ansich etwas ganz anderes, nämlich nur Zeichen dafür sind. In diesem symbolischen Charakter aber besitzen sie ihre staunenswerte Wandelbarkeit und Modulationsfähigkeit. Damit hängt es zusammen, daß die Beziehung zwischen Denkform und Sprachform keineswegs eindeutig ist, sondern daß, wie bei den Wörtern die Verhältnisse der Homonymität und der Synonymität obwalten, so auch bei den Beziehungen bald dieselbe Sprachform für verschiedene Denkformen eintreten, bald wieder dieselbe Denkform in verschiedenen Sprachformen auftreten kann. Und das eben ist das wunderbare Geheimnis des Sprachlebens, daß diese flüssige Unbestimmtheit, die übrigens einen großen Anteil am ästhetischen Reiz der Sprache ausmacht, im allgemeinen das gegenseitige Verständnis keineswegs beeinträchtigt. Dazu kommt endlich, daß für die Sprache, die zum lebendigen Ausdruck der gesamten geistigen Gemeinschaft mit allein ihren Interessen berufen ist, der Zweck der Erkenntnis nur eines unter den vielen Motiven ist, die zu ihrer Formbildung zusammenwirken: jedenfalls ist ihrer natürlichen Entwicklung nach die Sprache viel mehr der Ausdruck von unwillkürlichen Vorstellungsbewegungen, als von absichtlichen Erkenntnisvorgängen, und erst die Zucht des kritischen Denkens hat selbst zum Teil ihre Spuren der Formgestaltung der Kultursprachen aufgeprägt. Nach allen diesen Überlegungen wird es sich entscheiden, welche Bedeutung die Phänomenologie des Wissens der sprachlichen Erscheinung des Denkens und Erkennens beizumessen hat. Das logische Grundgebilde, das Urteil, hat seine sprachliche Erscheinung im Satz, und es ist deshalb historisch begreiflich, daß die ersten logischen Theorien sich an die Analyse des Satzes, an die Erforschung seiner Bestandteile, seiner Formen und Arten gehalten haben. Dies war der Ursprung der Anläufe zu logischen Untersuchungen bei den griechischen Sophisten, und davon finden sich Nachklänge bei ARISTOTELES und noch mehr bei den Stoikern: und diese Verquickung der Logik teils mit der Grammatik, teils mit der Rhetorik ist bekanntlich im Ramismus prinzipiell erneuert und auch später hie und da vertreten worden. Demgegenüber gilt es aus den angeführten Gründen, daß die logische Form wohl anhand der sprachlichen Form zu Bewußtsein gebracht, aber niemals mit dieser selbst verwechselt werden darf: vielmehr ist das Verhältnis das umgekehrte, daß die reifen Form der sprachlichen Bildung, soweit es sich um das Vorstellungsleben handelt, erst aus ihrer logischen Bedeutung begriffen werden können. Gewiß gibt es logische Prinzipien der Grammatik, aber keine grammatischen Prinzipien der Logik.

Die psychischen und die sprachlichen Erscheinungsformen des Wissens finden sich im ganzen Umkreis des Vorstellungslebens, wo und wie auch immer darin von einem, sei es absichtslos gewordenen, sei es absichtlich erworbenen Kennen und Erkennen die Rede ist: aber aus dieser weiten Masse heben sich nun zu voller Bedeutsamkeit diejenigen historischen Gebilde heraus, die als die Wissenschaften den engeren Gegenstand der logischen Forschung bilden. Denn unter Wissenschaft verstehen wir dasjenige Wissen, welches sich selbst als solches weiß, indem es seiner Ziele sich ebenso bewußt ist wie seiner Gründe, seiner Erkenntnisaufgabe ebenso wie seiner Erkenntnisweise. Darum gehört zwar in den Geltungsbereich der Logik auch all dasjenige Wissen, das im alltäglichen Leben durch Erfahrung und Nachdenken zustande gekommen sein will; aber ihrer eigensten Aufgabe nach ist die Logik doch die philosophische Theorie der Wissenschaft: und in diesem Sinne bilden die Wissenschaften, wie sie als geschichtlich gewordene Tatsachen bestehen, die empirische Grundlage, an der die Logik sich zu orientieren hat. Es muß von vornherein darauf hingewiesen werden, daß die Logik es sich nicht einfallen lassen darf, etwa in die Arbeit der einzelnen Wissenschaften hineinzureden (was ja auch wohl sehr selten versucht worden ist), daß sie an diesem Bestand in keiner Weise zu rütteln und sich ganz darauf zu beschränken hat, dieses tatsächliche Wissen in seiner philosophischen Bedeutung zu begreifen. Was das positiv besagen will, kann erst in der Logik selbst, teils bei der Methodologie, teils bei der Erkenntnistheorie, sachlich entwickelt werden. Für die phänomenologische Vorstufe kommt es nur darauf an, jeden unberechtigten Anspruch, den man etwa der Logik den anderen Wissenschaften gegenüber imputieren wollte, grundsätzlich abzulehnen. Aber ebenso erforderlich ist es auch, darüber Klarheit zu schaffen, daß die Logik sich auch nicht damit zu begnügen hat, die Verfahrensweisen der verschiedenen Wissenschaften einfach zu registrieren und zu diesem Zweck aus den sachlichen Einsichten, an denen sie sich betätigen, möglichst in abstracto herauszupräparieren. Es gibt ja selbstverständlich in jeder Wissenschaft schon eine eigene logische Besinnung; allerlei Anlässe bringen für jede Disziplin das Erfordernis, sich etwa bei neu auftauchenden Problemen über die Methode ihrer Behandlung zu verständigen oder für die lehrhafte Zusammenfassung ihrer Ergebnisse die systematische Form zu finden, oder ähnliches. Auf diese Weise steckt bereits in jeder Einzelwissenschaft, gleichviel ob schon eigens herausgearbeitet oder nicht, eine Methode und damit ein Stück Logik: und der moderne Positivismus ist (wie es COMTE ausdrücklich getan hat) geneigt, die "aufsteigende" Reihe dieser Methoden als Ersatz für eine eigene logische Wissenschaft anzusehen. Er bringt sich dabei nicht zu Bewußtsein, daß schon die Auswahl und die Anordnung der dabei herangezogenen Disziplinen auf allgemeineren Gesichtspunkten beruhen, die keiner dieser einzelnen Wissenschaften entnommen sein können: sobald man sich darüber klar wird, steht man auch schon wieder auf dem Boden der Logik als eigener, d. h. als philosophischer Wissenschaft.


Die Übersicht über die Phänomenologie des Wissens mußte hier deshalb meist polemisch ausfallen, weil es darauf ankam, zu zeigen, daß auf diesen Gebieten nur Materialien, aber keine Prinzipien der Logik zu finden sind, und daß deshalb alle Behandlungen der Logik, die in der einen oder der anderen oder auch in mehreren dieser Vorbereitungen stecken bleiben, der philosophischen Aufgabe dieser Wissenschaft nicht gerecht werden. Dagegen möchte ich zum Schluß noch einmal grundsätzlich hervorheben, daß alle diese phänomenologischen Vorarbeiten, die Fixierung der psychologischen Terminologie, das Verständnis der genetischen Prozesse, die das Geltungsbewußtsein hervorbringen, die Einsicht in die feinen Beziehungen zwischen dem Gedanken und seiner sprachlichen Form, die umfassende Kenntnis der Arbeitsformen in den verschiedenen Wissenschaften, - daß alle diese Vorarbeiten für jede logische Forschung und Lehre unerläßlich sind.

Diese selbst aber und ihre Gliederung wird vom allgemeinsten Charakter des theoretischen Bewußtseins ausgehen müssen. Wir finden ihn mit KANT in einem Prinzip der Synthesis. Jede Vorstellung, welcher Stufe auch immer, zeigt eine, wenn auch noch so geringe Mannigfaltigkeit von Momenten, die, voneinander unterschieden, doch miteinander durch irgendeine Art von Beziehung zu einer Einheit verbunden sind. Niemals hat das Bewußtsein nur einen einzigen, unteilbaren Inhalt: aber im unteilbaren Akt des Vorstellens macht die Mehrheit der Inhaltsmomente doch eine höhere - die synthetische - Einheit aus, die nur durch eine verknüpfende Form möglich ist. Hierauf beruth die fundamentale Unterscheidung zwischen Inhalt und Form der Vorstellung: sie darf nincht so verstanden werden, als wären beide etwa getrennte psychische Wirklichkeiten, die sich in der Funktion miteinander verbinden; wie man wohl gemeint hat, die Form sei das dauernd, der Inhalt das wechselnd Wirkliche im Bewußtsein. Vielmehr gibt es als seelische Tatsache schlechterdings keine Form, die nicht diejenige einer dadurch verknüpften Mannigfaltigkeit von Inhalten wäre, und schlechterdings keinen Inhalt, der nicht mehrgliedrig und nur durch eine Form zur synthetischen Einheit verbunden wäre. Nur das abstrahierende Denken kann Form und Inhalt voneinander sondern; aber indem es dabei die Form zum Inhalt (oder "Gegenstand") der Vorstellung macht, kann es nicht vermeiden, sie selbst wieder durch irgendeine Form zu denken, und indem es den Inhalt rein herauszustellen und von seiner Form zu scheiden sucht, muß es die einzelnen Momente wieder in einer anderen Beziehung, d. h. unter einer anderen Form denken. Aber bei dieser Abstraktion stellt sich nun wieder heraus, daß zwischen Form und Inhalt ein eigentümlich gemischtes Verhältnis obwaltet. Häufig genug kann dieselbe Form an sehr verschiedenen Inhalten, gelegentlich auch wohl derselbe Inhalt in verschiedener Form auftreten, und darauf beruth ja ihre Trennbarkeit in der Abstraktion: aber andererseits zeigt sich, daß nicht jede Form auf jede beliebige Mehrheit von Inhaltsmomenten anwendbar ist und nicht jeder Inhalt jede beliebige Art von Formung verträgt. Hierin steckt ein inneres und sachliches Verhältnis zwischen Form und Inhalt, dessen (bisher wenig beachtete) Untersuchung auf der Grenze zwischen Psychologie und Logik steht: denn dieses Verhältnis umfaßt die ganze Skala der Möglichkeiten von den eindeutig notwendigen Formungen des Inhalts zu den willkürlich bei ihm erlaubten und von da bis zu den (durch ihn selbst) verbotenen. Die genaueren Untersuchungen, welche dieses schwerste Problem des theoretischen Bewußtseins erforderlich macht, konnten hier natürlich nur im Allgemeinsten angedeutet werden. In gewissem Sinne kann man sagen, daß der Gang der logischen Theorie, wie er im Folgenden skizziert werden soll, eben darin besteht, von der Analyse der Form des Denkens systematisch zum Verständnis ihrer Beziehung auf den Inhalt fortzuschreiten.

Zunächst also wird es die Aufgabe sein, diejenigen Formen des Denkens, von welchen die Erfüllung des Wahrheitszwecks im Erkennen und Wissen abhängt, in der Abstraktion zu isolieren und in ihrer unmittelbaren Evidenz aufzuzeigen. Wir nennen diesen Teil der Untersuchung die formale oder reine Logik, insofern als dabei von jeder Beziehung auf irgendeinen besonderen Erkenntnisinhalt überhaupt (was unmöglich ist) abgesehen werden muß. Die so gefundenen Formen gelten für jede Art des auf Wahrheit gerichteten Denkens, für das vorwissenschaftliche ebenso wie für das wissenschaftliche, und weil dabei noch von keiner Hinsicht auf die besonderen Gegenstände die Rede ist, so handelt es sich um diejenige Wahrheit, die wir gerade deshalb als die formale bezeichnet haben.

Erst der zweite Teil der Logik, die Methodologie, nimmt auf die besonderen Erkenntnisinhalt und damit auf die Gegenstände Bedacht, indem er die Aufgabe hat, die planvollen Zusammenhänge von logischen Formen darzulegen, worin die einzelnen Wissenschaften mit Hinblick auf die formale und sachliche Natur ihrer Gegenstände ihren Erkenntniszweck erfüllen. Dabei muß sich erweisen, in wie verschiedener Art die einzelnen Disziplinen den systematischen Zusammenhang aller ihnen zu Gebote stehenden Wissensmomente herzustellen vermögen, und in diesem Sinne kommt für die Methodologie hauptsächlich die immanente Wahrheit in Betracht, de in der Übereinstimmung der Vorstellungen untereinander besteht.

Aus der Arbeit der Wissenschaften endlich erwächst das Weltbild, das gegen den subjektiven Meinungen und Überzeugungen der Individuen rein theoretisch begründet ist und dessen objektive Geltung von der philosophischen Kritik nicht in Frage gestellt werden darf. Diese hat vielmehr nur das letzte Problem aufzuwerfen, die Frage nämlich, wie sich jenes objektive Weltbild zur absoluten Wirklichkeit verhält, die nach den Voraussetzungen des naiven Bewußtseins ihren Gegenstand bildet. Die Erkenntnistheorie, der wir diese Aufgabe stellen, hat zu deren Lösung eine anderen Argumente als die, welche ihr von den besonderen Wissenschaften selbst und von den beiden ersten Teilen der Logik dargeboten werden. Nur von diesen aus wird sie schließlich entscheiden können, ob und wie weit und in welchem Sinn das menschliche Wissen jene transzendente Wahrheit gewährt, die als unbestimmte Voraussetzung allem vorphilosophischen Erkennen vorschwebt.
LITERATUR - ARNOLD RUGE (Hrsg.), Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften, Tübingen 1912