tb-1p-4cr-2L. NelsonO. MeyerhofFriesK. M. Pöschmann    
 
ALFRED KASTIL
Jakob Friedrich Fries' Lehre
von der unmittelbaren Erkenntnis

[ 3 / 4 ]

"Indem die Fries'sche Schule jede urteilsmäßige Behauptung für eine Willenshandlung hält, will sie Assertion zweifellos in dem weiteren Sinn verstanden sehen, der die Verwerfung mit umfaßt. Wie aber soll, frage ich, wenn jedes Negieren ein Negierenwollen wäre, es jemals zu einer ersten Negaton kommen können, da doch der Wille zum Negieren den Besitz des Begriffes davon voraussetzt. Diesem regressus in infinitum kann man unmöglich durch einen Rekurs auf die Wahrnehmungsbehauptung entgehen, da die Annahme negativer Anschauungen und Wahrnehmungen widersinnig ist."

"Wenn also ein wahrer Satz S ist P nicht die Existenz von S und P zum Inhalt hat, so ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, daß er kein bejahendes Urteil bedeutet."



II. Kritischer Teil
1. Abschnitt:Kritik der Fries'schen Lehre von der
unmittelbaren Erkenntnis a posteriori


1. Kapitel
[Fortsetzung]

§ 11. Man wird nun wohl fragen, worauf denn diese Psychologen das Recht stützen, am Urteilscharakter der äußeren Wahrnehmung festzuhalten, ohne deren Unmittelbarkeit preiszugeben? Wie kann man bei der allgemein anerkannten Natur des Urteils die Wahrnehmung als Urteil auffassen, da doch auf sie keines der charakteristischen Merkmale paßt, die das Urteil auszeichnen?

Weder vom deskriptiven, noch von einem genetischen Standpunkt scheint eine solche Subsumption der Wahrnehmungen unter die Urteile gerechtfertigt. Worin sollte sonst die deskriptive Verwandtschaft bestehen? Notwendig entweder in der Materie oder in der Form des psychischen Verhaltens. Aber der Form (1) nach gilt das Urteil doch als ein synthetischer Akt, als eine Prädikation, wogegen die Wahrnehmung von einer solchen Synthesis nichts erkennen läßt. Der Materie nach ist, wie wir hörten, jedes Urteil ein begriffliches Denken, während die Wahrnehmung Anschauung ist. Und was schließlich die Genesis betrifft, so klafft hier der Gegensatz zwischen den Urteilen als psychischen Betätigungen, die unserer Willkür unterliegen, sich in unserer Willensmacht befinden, und Wahrnehmungen als solchen, bei denen sich keine Spur jener Freiheit findet. Ja wer an all dem noch nicht genug der Unterschiede hat, um hier jede tiefere, geschweige denn generische Verwandtschaft für ausgeschlossen zu halten, den könnte vielleicht die Frage eines Besseren belehren, zu welcher Klasse von Urteilen denn die Wahrnehmung eigentlich gehören soll? Ist sie ein kategorisches oder ein hypothetisches oder ein disjunktives [unterscheidendes - wp] Urteil? Die Berechtigung dieser Frage ergibt sich klar aus dem Begriff des Urteils, die Unmöglichkeit, sie zu beantworten, ebenso klar aus dem der Wahrnehmung. Bedarf es noch mehr, um die Zugehörigkeit dieser Klasse der Urteile auszuschließen?

So kann es uns wohl nicht Wunder nehmen, wenn manche Psychologen nicht die geringste Verwandtschaft zwischen beiden Phänomenen, am wenigsten eine solche, die deren Unterordnung unter das gleiche Genus psychischer Betätigung rechtfertigen würde, gewahren können. Sie gleichwohl beide "Urteile" zu nennen, heißt darum, nach ihrer Überzeugung, nicht einen wertvollen Klassenbegriff prägen, sondern eine bloße Äquivokation [Gleichsetzung - wp] stiften, mit einer terminologischen Willkür, die nur Verwirrung bringen kann, weil sie grundlegende Differenzen von größter Tragweite verwischt.
    "Wer es vorzieht", bemerkt in diesem Zusammenhang Nelson (2), "die Wahrnehmung auch als Urteil zu bezeichnen, kann natürlich daran nicht gehindert werden. Nur wird er aus dieser Bezeichnung nicht schließen dürfen, daß der Wahrnehmung irgendeine Eigenschaft zukommt, die dasjenige Gebilde charakterisiert, das der sonst übliche Sprachgebrauch als Urteil bezeichnet. (3) Vielmehr wird er streng zwischen zwei gänzlich verschiedenen Klassen von Urteilen zu unterscheiden haben; nämlich zwischen solchen, die eine willkürliche Verbindung von Begriffen und eine zu dieser Verbindung hinzutretende Assertion [Behauptung - wp] enthalten, und solchen, die weder vom Willen abhängen, noch Begriffe enthalten und zu denen z. B. die Wahrnehmungen zu rechnen sind. - Es ist daber jederzeit ratsam, eine schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch liegende Unterscheidung nicht ungenutzt zu lassen, statt ohne Not zu Mißverständnissen und Verwechslungen Anlaß zu geben."
Und MEYERHOF wendet sich mit ähnlichen Bemerkungen speziell gegen BRENTANO:
    "Indem dieser das Fürwahrhalten für eine zur primären Vorstellung hinzukommende Qualität hält, muß er folgerichtig auch die Wahrnehmung als Urteil bezeichnen, während die Selbstbeobachtung klar die gänzliche Verschiedenheit einer Wahrnehmung und eines Urteils - nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch - zeigt." (4)
§ 12. Diesen Argumenten gegenüber wollen wir die doppelte Frage aufwerfen:

I. Ob sie wirklich als entscheidend gelten können, um die Zugehörigkeit der Wahrnehmung und dessen, was die Fries-Schule ein Urteil nennt, zur selben Grundklasse psychischen Verhaltens auszuschließen?

II. Falls dem nicht so wäre und es sich um eine einheitliche Klasse handeln sollte, welcher gemeinsame Name sich für diese wohl am besten empfehlen würde?

ad I. Vier Einwände liegen vor gegen die Einheit der Klasse für Urteilen im FRIES'schen Sinn und der des Wahrnehmens:
    1. Jenes ist eine Prädikation - dieses nicht;
    2. jenes der Materie nach begrifflich - dieses Anschauung;
    3. jenes willkürlich - dieses dem Einfluß des Willens entzogen;
    4. jenes umfaßt hypothetische, disjunktive, kategorische Behauptungen - dieses paßt in keine der drei Spezies.
ad 4. Mit dem letzten dieser Einwände wollen wir beginnen. Was er vorbringt, ist richtig. Die Wahrnehmung ist zweifellos weder ein kategorisches, noch ein hypothetisches, noch ein disjunktives Urteil. Aber dies beweist gegen die generische Verwandtschaft beider Phänomene schon darum nichts, weil diese Einteilung der Urteile unter dem Gesichtspunkt der Relation weder vollständig ist, noch wie KANT meinte, das Wesen des urteilenden Verhaltens, die sogenannte Urteilsform, angeht. Soweit es sich dabei nämlich überhaupt um eine Klassifikation der Urteile (und nicht bloß der Aussagen, d. h. ihres sprachlichen Ausdrucks) handelt, scheidet sie diese unter dem Gesichtspunkt der Materie. Die Beispiele, die dafür angeführt werden, stellen dies ganz außer Zweifel. Um einen echten Unterschied in der Urteilsform namhaft zu machen, muß man Beispiele wählen können, wo dieselbe Materie verschieden beurteilt wird. Dies ist unzweifelhaft der Fall, wenn ich z. B. einmal urteile "A ist", das andere Mal "A ist nicht". Aber während es sehr wohl Materien gibt, die man sowohl apodiktisch als auch assertorisch, sowohl bejahend als auch verneinend, sowohl evident als auch blind usw. beurteilen kann, - was alles Unterschiede der Urteilsform sind, - ist es unmöglich, bei Beispielen, die den Unterschied zwischen kategorischer, disjunktiver und hypothetischer Beurteilung verdeutlichen sollen, bei derselben Materie zu bleiben (wenn jener Unterschied mehr als ein solcher im sprachlichen Ausdruck sein soll). Die Materie ist dann etwa beim kategorischen Urteil "P seiendes S", beim hypothetischen "S ohne P" (5), beim disjunktiven "Eines von S oder P" und "non S" (6).

Wer dies beachtet, dem wird sofort verständlich, warum in der genannten Klassifikation der Urteile für die Wahrnehmung kein Platz ist. Keineswegs darum, weil die Form dieses Bewußtseinsvorganges von jener der Urteile generisch [die Gattung betreffend - wp] verschieden sein müßte, sondern weil die Einteilung nach der sogenannten Relation lediglich Urteile mit begrifflicher Materie ins Auge faßt. Darum bliebe die Wahrnehmung, deren Materie eine Anschauungsvorstellung sein muß, selbst dann von jener Einteilung ausgeschlossen, falls sie der Form nach mit allen übrigen Behauptungen zur selben Grundklasse einer psychischen Beziehung gehören sollte. Daß sie keine begriffliche Materie hat, schließt nicht ihre generische Verwandschaft mit diesen, sondern bloß ihre Mitteilbarkeit aus.
    "Mit der Forderung der Anschaulichkeit der dem Wahrnehmen zugrunde liegenden (7) Vorstellung", bemerkt Marty in diesem Sinne (8), "ist das Zugeständnis verknüpft, daß dieses nicht oder nur annähernd sprachlich wiedergegeben werden kann. Denn die Namen der Sprache bedeuten Begriffe."
Eben dies hat im Wesentlichen wohl auch FRIES im Auge, wenn er bei der Erörterung über das, was ein Begriff ist, u. a. sagt:
    "Die Vorstellung der Begriffe soll mitteilbar sein, und die Erkenntnis durch Begriffe macht auf Allgemeingültigkeit Ansprüche. ... Der Begriff gehört nicht zu einem einzelnen empirischen Bewußtsein, wie die Anschauung, und nicht nur einem einzelnen Subjekt, sondern er ist mitteilbar und kann in mehreren Geistern derselbe sein."
So bleibt dann - selbst wenn die Klassifikation der Urteile nach der Relation vollständig wäre für alle mitteilbaren Urteile - die Möglichkeit offen, die Wahrnehmung als ein unmittelbares Urteil zu fassen, so wie, ganz im Sinne BRENTANOs, HUGO BERGMANN sich diesen Sachverhalt denkt, wenn er gegen VOLKELT, der ihren Charakter als Urteil leugnet, bemerkt (9):
    "Soviel ist freilich richtig, daß die Wahrnehmung selbst nicht ihren adäquaten Ausdruck in der Sprache findet, - nicht weil sie kein Urteil, sondern weil sie ein Urteil über anschaulich Vorgestelltes darstellt, das die Sprache zu nennen nicht imstande ist - und daß wir, um doch die Wahrnehmung zu verdolmetschen, vom Wahrgenommenen allgemeinen Begriff prädizieren und nun diese Prädikationen in Worte kleiden ("dies ist rot"). Aber um so zuerkennen zu können, müssen wir doch erst anerkannt haben und, wäre die Wahrnehmung nicht selbst ein Urteil, könnte nie die Rede davon sein, daß die einem Urteil entsprechende sprachliche Form sie klarer zum Ausdruck bringt."
Doch dies wollen wir einstweilen offen lassen. Denn es gilt vorerst, die charakteristischen Merkmale, die uns für das Urteil gegeben worden sind, daraufhin zu prüfen, ob sie wenigstens für alle mitteilbaren Behauptungen zutreffen.

ad 2. Dies kann bezüglich des zweiten, der begrifflichen Materie, nicht in Zweifel gezogen werden. Denn auf ihr beruth ja die Mitteilbarkeit.

Dagegen scheinen mir die beiden anderen, Prädikationen und Willkürlichkeit, durchaus nicht für alle mitteilbaren Behauptungen - also für den ganzen Umfang der Klasse, die FRIES "Urteile" nennt - zuzutreffen.

ad 1. Sicherlich ist eine Wahrnehmung keine Prädikation, sondern ein einfaches Anerkennen; aber auch nicht alle mitteilbaren Urteile sind Prädikationen.

Was versteht man überhaupt unter einer solchen? Einfache Beispiele wie: "Dies ist rot", "Ich besinne mich", "Diese Blume ist eine Rose" lassen uns dies unschwer erkennen.
    "In diesen Fällen und in allen ähnlichen ist die Bedeutung des Satzes ein eigentümlich zusammengesetztes bejahendes Urteil, welches nicht in eine Summe einfacher Anerkennungen aufgelöst werden kann. Schon indem gesagt wird: Ich oder diese Blume, ist die Anerkennung eines Gegenstandes gegeben; aber auf diese Basis ist nun ein zweites Anerkennen gebaut, welches ohne das erste nicht denkbar wäre. Dieses zweite Anerkennen involviert gewissermaßen das erste; letzteres ist sein notwendiges Fundament, von dem es unlöslich ist. Man mag an dem so zusammengesetzten Urteil ein subjektivisches und ein prädizierendes Urteil oder Teilurteil unterscheiden. Denn es liegen in Wahrheit eben nicht zwei bloße Begriffe, sondern zwei Urteile vor, wobei nur das zweite, prädizierende von der Art ist, daß es das erste in ähnlicher Weise involviert, wie etwa der Gedanke Röte den Gedanken Farbe einschließt, so daß - wie dies ja hier der Fall ist - zwischen den beiden Elementen nur eine einseitige Abtrennbarkeit besteht." (10)
Schon mit dieser letzten Bemerkung ist angedeutet, daß es Urteile geben kann, die nicht einem Subjekt ein Prädikat zuerkennen. Und in der Tat gibt es solche. Wenn ich urteile "Keine Farbe ist ein Ton", so wäre es verfehlt, dies für eine Prädikation in einem strengen Sinn, für ein Doppelurteil (11) zu halten. Es fehelt ja die Basis, die Anerkennung. Ich brauche, indem ich dieses Urteil fälle, weder an die Existenz von Farben noch von Tönen zu glauben. Das Urteil ist rein negativ. Es leugnet, daß es Farben gibt, die Töne sind. Es ist eine einfache thetische Verwerfung, nicht aber eine synthetische Prädikation.

Daran darf uns auch nicht etwa irre machen, daß die Materie dieses Urteils (Ton seiende Farbe)
    "ein Begriffsgebilde ist, welches erst in Reflexion auf ein in jener eigentümlichen Weise kompliziertes Urteil entstehen konnte".
Sie ist ein auf ein denkbares Doppelurteil reflexes Vorstellen, aber nicht selber ein solches. Auch kann der synthetische Charakter der Materie sehr wohl fehlen. So wenn ich einfach urteile "Es gibt Farben". Zwar vermochten sich manche Psychologen und Logiker auch die sogenannten Existentialsätze nicht anders, denn als Prädikationen (mit dem Prädikatsbegriff Existenz) zu deuten (12). Aber diese Auffassung hat eine so gründliche Widerlegung erfahren, daß ich darauf wohl nicht weiter einzugehen brauche, sondern mich mit einem Hinweis auf die betreffende Literatur begnügen kann (13).

So ist es dann auch um diese vermeintlich für alle Urteile charakteristische Bestimmung, daß sie nämlich insgesamt Prädikationen sind, schlecht bestellt. Sie paßt nicht einmal auf alle mitteilbaren Urteile und würde darum noch weniger, als die vorhin erwähnte, ausschließen, daß wir es bei den Wahrnehmungen mit "unmittelbaren Urteilen" zu tun haben.

ad 3. Ist vielleicht wenigstens die dritte der gegebenen Bestimmungen, die Willkürlichkeit, auf alle mitteilbaren Urteile anwendbar? Das genetische Gesetz, dem mit dieser Behauptung unsere Urteile unterstellt werden, geht bekanntlich schon auf die scholastische Philosophie zurück und fand durch DESCARTES Eingang in die neuere. Diesem galt jedes Urteilen als eine auf eine prädikative und - soweit nicht eingeborene Ideen die Materie bildeten - vom Willen gestiftete Begriffsverbindung bezügliche Behauptung, die selbst wieder von ihm als actus a voluntate imperatus [Akt der gewollten Wirkung - wp] gefaßt wird. Das Unzulängliche dieser Urteilstheorie zu erörtern, hatte ich darum schon in meinem Descartes-Buch (14) Anlaß.

Ich vermag, wie ich eben zum vorigen Punkt bemerkte, nicht einmal das zuzugeben, daß bei jedem Urteil eine Vorstellungssynthese als Materie fungiert (15). Wo aber eine solche vorliegt, ist sie keineswegs immer vom Willen gestiftet. Alle (nicht ursprünglichen) Vorstellungssynthesen (16) als Produkte willkürlicher Tätigkeit zu fassen, erscheint mir nicht weniger unrichtig, wie die korrespondierende Behauptung vom willkürlichen Charakter aller Abstraktion.

Aber auch die Willkürlichkeit des Behauptungsaktes selbst, in solcher Allgemeinheit behauptet, scheint mir keine Tatsache. Unmöglich kann NELSON hier richtig sehen, wenn er die innere Erfahrung zum Zeugnis anruft (17). Denn die genetische Abhängigkeit jedes Urteils vom Wollen schließt sogar einen Widerspruch in sich. Was gewollt ist, muß nämlich notwendig auch vorgestellt sein. Woher aber sollten wir vor den ersten Behauptungen, die wir vornehmen, eine Vorstellung von der Behauptung nehmen? Folglich müßten zumindest die ersten ausgenommen werden, womit das vermeintliche Gesetz durchbrochen wäre.

Doch bedarf dieser Einwand NELSONs einer Ergänzung. Denn er könnte darauf hinweisen, daß eben nach FRIES unsere ersten Behauptungen gar keine Urteile, also auch nicht willkürlich, sondern von der Anschauung unabtrennbare, unmittelbare Erkenntnisse sind. Allein es genügt ein Hinweis auf den Doppelsinn von Behauptung [Assertion], um auch diese Position zu erschüttern. Der genannte Terminus bedeutet nämlich einmal den generischen Grundzug (18) für die einander entgegengesetzten Spezies von "Anerkennen" und "Verwerfen", dann aber auch wieder die erste dieser beiden Spezies selber. Indem die FRIES'sche Schule jede urteilsmäßige Behauptung für eine Willenshandlung hält, will sie "Assertion" zweifellos in dem weiteren Sinn verstanden sehen, der die Verwerfung mit umfaßt. Wie aber soll, frage ich, wenn jedes Negieren ein Negierenwollen wäre, es jemals zu einer ersten Negaton kommen können, da doch der Wille zum Negieren den Besitz des Begriffes davon voraussetzt. Diesem regressus in infinitum [Teufelskreis - wp] kann man unmöglich durch einen Rekurs auf die Wahrnehmungsbehauptung entgehen, da die Annahme negativer Anschauungen und Wahrnehmungen widersinnig ist. So bliebe nur noch der Ausweg, dem negativen Urteil den Rang einer dem positiven koordinierten Spezies abzusprechen und nach dem Vordenken von HOBBES, SIGWART u. a. die Verneinung als Bejahung mit negativer Materie zu fassen. Doch scheitert, wie schon MARTY (19) gezeigt hat, jeder solche Versuch an der Unmöglichkeit, von den negativen Begriffen anders als durch Reflexion auf ein vorausgegangenes Negieren Rechenschaft zu geben.

So kann ich es dann auch nicht für glücklich halten, wenn FRIES und seine Schüler in diesem Punkt auf die Urteilslehre zurückgreifen. Beiden hat ein äußerer Beweiszweck - die Erklärung des Irrtums (20) - die Unbefangenheit der inneren Erfahrung gegenüber geraubt. Diese zeigt uns in Wahrheit das Werden und Schwinden zahlloser Behauptungen und Prädikationen ohne eine Spur von Willensimpuls. Ich weise nur auf manche jener irrtümlichen Urteile hin, die man als Jllusionen bezeichnet. Wer wird im Ernst behaupten, wenn wir etwa vor einem im Dunklen lauernden Räuber, der in Wahrheit ein Holzpflock ist, erschrecken, daß dieses Fehlurteil notwendig aus einem Wollen oder auch nur aus dem Bedürfnis, eine fremdartige Erscheinung zu deuten, entsprungen ist? Wie dürftig wäre es um unser urteilendes Denken bestellt, wenn es nur als Nachdenken möglich wäre! (21)

§ 13. Doch selbst in dem Fall, daß die hier beanstandete Charakteristik der mitteilbaren Urteile in jeder Beziehung einwandfrei wäre, so genügte dies noch immer nicht, um die Behauptung zu rechtfertigen, daß es an aller Verwandtschaft zwischen ihnen und den Wahrnehmungen fehlt. Noch bliebe die Möglichkeit einer solchen Bziehung des Bewußtseins auf seinen Gegenstand, und gerade von dieser Art Verwandtschaft gesteht MEYERHOF zu, daß sie das entscheidende Kriterium für die Einheit einer Grundklasse bildet. Nicht darum handelt es sich ja in erster Linie, ob sich die Behauptung beim unmittelbaren Urteil auf eine anders geartete Materie bezieht oder anders entsteht als bei der Wahrnehmung, sondern ob sie überhaupt vorhanden ist. Und das wird von FRIES und APELT unzweideutig zugegeben und, soviel mir bekannt ist, auch von ihren neuen Schülern nicht bestritten.

APELT findet (22)
    "die alte und gewöhnliche Erklärung der Logiker: Urteil ist die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen einerseits fehlerhaft, andererseits mangelhaft. Fehlerhaft, weil sie zu weit ist ... Wenn ich sage der blühende Baum, so denke ich damit eine Verbindung von Begriffen, habe aber noch kein Urteil gefällt. (23) Mangelhaft ist die Erklärung darin, daß sie, was die Hauptsache ist, nicht angibt, worin dieses Verhältnis besteht. Dieses Verhältnis besteht aber darin, daß die Beziehung der Vorstellungen zueinander eine objektive ist, d. h. den Charakter der Erkenntnis an sich trägt." (24)
Letzteres ist wohl nicht ganz korrekt ausgedrückt, da doch auch eine bloße Vorstellungsverbindung, über die kein Urteil gefällt wird, objektiv gültig sein kann. Das Urteil kann eben nicht selbst die objektive Gültigkeit der Vorstellungsverbindung sein, sondern höchstens - wie SIGWART dies ausspricht - das Bewußtsein einer solchen objektiven Gültigkeit. Das aber meint wohl auch APELT, denn er fährt fort:
    "Wenn ich sage: dieser Körper ist schwer, so behaupte ich damit, daß diese beiden Vorstellungen im Objekt selbst verbunden sind." (25)
So ist für APELT das Urteil dann auch eine "Behauptung" und dies ist offenbar - da es hier nicht sprachlich gemeint sein kann - ganz dasselbe, was er sonst "Assertion" nennt, und was er, wie wir hörten, auch als notwendiges Merkmal jeder Wahrnehmung ansieht. An späterer Stelle, wo es sich um deren Analyse handelt, identifiziert er geradezu "objektive Gültigkeit" und "Assertion":
    "Die Assertion oder die objektive Gültigkeit (26) ist also ursprünglich bei den Vorstellungen (27) und verliert sich erst im Spiel der Assoziationen durch das Unbestimmtwerden der Erinnerungen von denselben." (28)
Noch deutlicher spricht sich FRIES selbst über diesen wichtigen Punkt aus.
    "Assertion ist es", erklärt er, "wodurch das Urteil als wirkliche Erkenntnis und nicht als problematische Vorstellung bestimmt wird."
Also ganz dasselbe, was er auch von der Wahrnehmung lehrt. Der Hauptunterschied der sogenannten Urteilsassertion von der Wahrnehmungsassertion findet er in ihrem Inhalt:
    "Ein Urteil enthält seiner Form nach nur die Assertion einer Unterordnung unmittelbar. Denn wenngleich es auch Sätze gibt, welche nur das Dasein eines Dings aussagen, so wird doch auch hier der Form nach dieses Dasein als ein Prädikat dem Ding als dem Subjekt beigelegt. Man kann daher sagen, so wie die Anschauung jederzeit das Dasein eines Dinges vorstellt, so sagt das Urteil das Vorhandensein einer Unterordnung in unseren Vorstellungen aus und damit zugleich eine Verbindung allgemeiner Begriffe." (29)
Ich will von einer Prüfung dieser Aufstellungen im Einzelnen absehen. Hier interessiert uns vorzüglich die Tatsache, daß beide, Wahrnehmung und mitteilbares Urteil, FRIES als Assertion gelten, jene als unmittelbare Assertion des Daseins, dieses als solche einer Unterordnung unter den Prädikatsbegriff.

Man sieht, diesen beiden Philosophen hat ihre Selbstwahrnehmung durchaus nicht "klar die gänzliche Verschiedenheit einer Wahrnehmung von einem Urteil gezeigt", sondern vielmehr eine tiefgreifende Verwandtschaft unter einem Gesichtspunkt, der, wie z. B. MEYERHOF zugesteht, bei der Bildung und Scheidung der psychischen Grundklassen der eigentlich ausschlaggebende ist.
    "So viel Grundvermögen wird es geben", bemerkt dieser (30), "als es Arten gibt, wie sich psychische Akte auf Gegenstände beziehen. ... Dies ist" - fügt er hinzu - "wie Brentano überzeugend nachgewiesen hat, nicht nur der seit ARISTOTELES tatsächlich allgemein befolgte Weg zur Auffindung der getrennten Vermögen, sondern auch der einzig richtige."
Nun wohlan, dann kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß, wer - wie FRIES und APELT - Wahrnehmungen und mitteilbare Urteile durch das Moment der Assertion verwandt denkt, ihre Zugehörigkeit zur selben Grundklasse psychischen Verhaltens damit zugestanden hat. Denn indem zwei Akte als Assertionen verwandt sind, mögen sie zwar immerhin in der Materie oder in ihrer Genesis beträchtliche Differenzen aufweisen, in der Weise der Beziehung des Bewußtseins auf seinen Gegenstand stimmen sie zweifellos wesentlich überein.

Oder sollten doch noch Bedenken bestehen? Um sie zu Wort kommen zu lassen, wollen wir überlegen, was es denn eigentlich heißt, zwei Bewußtseinsakte seien wesentlich dieselbe Weise der Beziehung auf das Objekt, oder ein und derselbe Akt beziehe sich in mehrfacher Weise auf seinen Gegenstand. Damit wird auf ein Gesetz hingedeutet, welches besagt,
    "es gehöre zum Wesen jeder psychischen oder Bewußtseinstätigkeit, ein Vorgang zu sein, der zur Folge hat, daß dadurch das psychisch Tätige primär etwas anderem als es selbst ideell konform wird. (Sekundär auch mit sich selbst, im sogenannten inneren Bewußtsein.) In diesem Verstand ist jedes Bewußtsein eine Beziehung des Ich zu einem Objekt, und wäre dies nicht, so hätte es überhaupt keinen Sinn, von einer Bewußtseinsbeziehung zu sprechen." (31)

    "In der Weise dieser möglichen oder wirklichen Konformität des Ich zu etwas anderem, die jeder psychischen Tätigkeit wesentlich ist, liegt auch der Gesichtspunkt der fundamentalen Scheidung derselben in Grundklassen."
Danach ist es sicher, daß das Vorstellen eine ganz andere Grundklasse psychischer Betätigung ist als das Urteil, und dieses wieder eine andere als das Interesse.
    Denn, "während das Vorstellen wesentlich eine Adäquation mit den Unterschieden des Was eines Objektes ist, ist das Urteilen eine Konfirmation zu dessen Sein oder Nichtsein, bzw. Dies- und Jenessein und Notwendigkeit oder Unmöglichkeit, kurz mit dem, was man den Urteilsinhalt nennen kann, das Interesse aber zu etwas, was in analoger Weise seinen Inhalt bildet: nämlich, wenn es sich um Lieben und Hassen handelt, der Wert und Unwert des Objektes, wenn um Vorziehen und Nachsetzen, der Mehr- oder Minderwert desselben." (32)
Aus diesem Gesetz ergeben sich wichtige Forschungsmaximen für den Psychologen.

1. Wenn einer eine neue Grundklasse statuiert, so hat er die Berechtigung dazu zu begründen, indem er außer den bereits bekannten eine fundamental neue Weise der Adäquation und einen dementsprechenden objektiven Inhalt des Bewußtseins aufzeigt.

2. "Aber auch wenn es sich dann um die besonderen Differenzen innerhalb jeder dieser fundamentalen Verhaltensweisen handelt, ist durch den obigen Begriff des Bewußtseins für die Statuierung objektiver Modi der Maßstab und die Richtschnur gegeben." (33) So wird, wer dem positiven, thetischen Urteilsmodus den negativen oder prädikativen an die Seite stellt, dies durch die Differenz in den beiden entsprechenden, objektiven Sachverhalten (der eine ein Sein, der andere ein Nichtsein, der dritte ein Identischsein) zu belegen haben.

3. Dieser Maßstab schützt aber auch davor, bloße spezifische Unterschiede zu generischen zu übertreiben. Gerade dies ist oft geschehen. So z. B. überall dort, wo die Einheit der Grundklasse für Gefühl und Willen verkannt wird. Man braucht sich nur zu Bewußtsein zu bringen, daß beide Phänomene, trotz unleugbarer spezifischer Unterschiede, zum Wert oder Unwert des vorgestellten Gegenstandes in analoger Beziehung stehen, wie sämtliche - untereinander gleichfalls vielfach differenzierbare - Urteile zu dessen Sein oder Nichtsein, oder sämtliche Vorstellungen zm Was des Objektes, um jeden Versuch, dort zwei Grundklassen von Bewußtseinstätigkeit zu statuieren, als aussichtslos zu erkennen. (34)

4. Endlich ist es dem letzterwähnten entgegengesetzten Fehlers zu gedenken, wahrhafte Gattungsunterschiede psychischer Beziehungen zu bloß spezifischen herabzudrücken. Ihn begehen alle, die etwa Wollen und Urteilen als dasselbe Genus fassen (die sogenannten Voluntaristen, die in beiden wesentlich dieselbe Stellungnahme des Ich zum Objekt zu erblicken glauben (35), oder - um einen häufiger vertretenen Fall heranzuziehen, - diejenigen Psychologen, welche, unbelehrt durch die Fülle zwingender Argumente BRENTANOs (36), Vorstellen und Urteilen zur selben Grundklasse der Bewußtseinsbeziehung rechnen (37). Am Maßstab der entsprechenden Sachverhalte gemessen, zeigt sich beides als gleich verfehlt. Zwar bildet ein Urteil mit dem ihm zugrunde liegenden Vorstellen einen psychischen Akt, und ebenso ein Wollen mit dem darin eingeschlossenen Urteilen und Vorstellen, aber diese einheitlichen Akte beziehen sich in mehrfacher, und zwar generisch verschiedener Weise auf ihren Gegenstand, der erste ist eine (wirkliche oder, beim falschen Urteil, bloß mögliche) Adäquation a) zu dessen Was, b) zu dessen Existenz (bzw. Nichtexistenz); der zweite außerdem noch c) zu dessen Wert.

§ 14. Diese Kriterien werden uns auch nicht im Stich lassen, wenn es gilt, die Frage zu beantworten, ob die Wahrnehmungsassertionen derselben Grundklasse psychischer Beziehung angehören wie das Urteil. Ich meine, es ist unverkennbar bei beiden eine mögliche oder wirkliche Adäquation an die Existenz (bei letzterem eventuell auch an die Nichtexistenz, Identität, Unmöglichkeit) des Gegenstandes gegeben. Nur darum hat das Prädikat "richtig" in seiner Anwendung auf ein Urteil und auf eine Wahrnehmung ganz denselben Sinn, dagegen bloß analogen bei Urteilen und Begehren. Dort bedeutet es "wahr", hier (sittlich) "gut".

Es fehlt allerdings bei FRIES nicht an Andeutungen, durch welche die Einheit des Wahrheitsbegriffs bei Urteil und unmittelbarer Erkenntnis und damit folgerichtig auch die Zusammengehörigkeit beider zum selben Genus von psychischer Beziehung in Frage gestellt scheint.

FRIES unterscheidet nämlich eine empirische Wahrheit von einer transzendentalen Wahrheit (38), und APELT bemerkt mit Rücksicht darauf geradezu:
    "Es gibt einen doppelten Begriff von Wahrheit: Die erste ist die empirische, die letztere ist die transzendentale Wahrheit. Nur diese geht auf die Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegenstand." Die andere "besteht nicht in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand, sondern in der Übereinstimmung der im Urteil ausgesprochenen (39) Behauptung mit der unmittelbaren Erkenntnis." (40)
Das klingt wörtlich genommen fast so, als handelt es sich hier bei Wahrheit um einen homonymen [gleiches Wort, verschiedene Bedeutung - wp] Ausdruck. Doch stellt sich nach Abzug der, namentlich bei APELT, schiefen und mißverständlichen Ausdrucksweise der Gedanke weit harmloser dar. Denn dieser läuft nicht eigentlich auf einen "doppelten Wahrheitsbegriff", sondern auf die ganz einwandfreie Feststellung hinaus, daß sich die Wahrheit unserer Urteile niemals durch einen Vergleich derselben mit ihren Gegenständen, wohl aber durch einen Rekurs auf unmittelbare Einsicht feststellen läßt.

Oder sollte etwa schon in der früher zitierten (siehe oben) Unterscheidung, wonach die Wahrnehmungsbehauptung jederzeit das Dasein ihres Gegenstandes, das Urteil aber seine Unterordnung unter Begriffe intendieren soll, eine fundamentale inhaltliche Differenz angedeutet sein, die der Einheit der Bewußtseinsbeziehung notwendig zuwiderläuft? Wir wollen auch das näher ins Auge fassen und uns zunächst den Sinn dieser Unterscheidung klar zu machen suchen.

a) Unstreitig gibt es Urteile, in denen über eine solche "Unterordnung" geurteilt wird. Aber ich kann darin keine eigentliche inhaltliche Differenz, sondern bloß eine solche in der Urteilsmaterie erblicken. Urteile ich: "Sokrates fällt unter den Begriff Mensch" oder "Schnee gehört in die Klasse der weißen Gegenstände", so ist selbstverständlich, wie bei jedem Urteil, auch hier Materie und Form zu unterscheiden. Der Materie nach decken sich diese Urteile nicht mit den Urteilen "Sokrates ist ein Mensch" "Schnee ist weiß", in welchen zwar die Begriffe dieser Gegenstände, nirgends aber der Begriff eines Begriffes und ebensowenig der Begriff des Umfangs eines Begriffs vorkommt. Schon daran erkennt man, daß der Unterschied eben in der Materie liegt. Die Urteilsform - das urteilende Verhalten selber, das sich nicht nach den Unterschieden des beurteilten Was, sondern des Daß, in Bejahen und Verneinen, apodiktisch [sicher - wp] und assertorisch [behauptend - wp], blind und evident usw. differenziert, - ist ebenfalls ein Faktor, der mit der Materie zusammen für die Gestaltung des Inhaltes in Betracht kommt. Darum haben beisipielsweise die Urteile: "A ist" und "A ist nicht" zwar die gleiche Materie, aber ihre Inhalte sind andere, beim anerkennenden die Existenz von A, beim verwerfenden die Nichtexistenz von A (denn jenes ist wahr, wenn A ist; dieses, wenn A nicht ist).

Versteht also FRIES unter jener Unterordnung des Gegenstandes unter Begriffe im Urteil eine derartige Reflexion über Klassenbildung und Begriffsumfang, so ist eine solche bei der Wahrnehmung selbstverständlich ausgeschlossen, aber sie begründet keinen wesentlichen Unterschied in der Art der Adäquation des Bewußtseins zum Objekt. Diese ist in beiden Fällen eine solche an das Dasein des Assertierten, nur einmal, um bei unserem Beispiel zu bleiben, des Sokrates selbst, das andere Mal des Begriffes von ihm bzw. vom Menschen (41).

b) Doch vielleicht hat FRIES das Wort "Unterordnung" weniger kompliziert, nämlich gleichbedeutend mit "Prädikation" verwenden wollen. In der Tat haben wir bereits oben gesehen, daß das Prädizieren eine gegenüber dem einfachen Anerkennen modifizierte Bewußtseinsweise ist. Dieses eine Konformation des Ich zum schlichten Sein des Gegenstandes, jenes eine solche zum Identischsein. (42) Aber so sicher etwa der Begriff des Was oder derjenige des Wertes toto genere [völlig - wp] verschieden ist von dem der Existenz, ebenso sicher gehören Identität und Nichtexistenz, jene als Modifikation, diese als kontradiktorischer Gegensatz von Existenz, mit ihr in dieselbe Grundklasse von objektiven Sachverhalten. Prädikation ist darum als synthetisches Anerkennen ("Zuerkennen") wohl ein besonderer Urteilsmodus, aber keine neue Grundklasse von Bewußtseinsbeziehung gegenüber dem einfachen (thetischen) Anerkennen.

Doch vielleicht würde FRIES diese Auffassung, wonach Prädikation nur ein spezifisch modifiziertes Anerkennen ist und beide nur wahr sein können, wenn der beurteilte Gegenstand existiert, gar nicht gelten lassen. APELT zumindest unterscheidet eine "modalische Bejahung" von einer "qualitativen".
    "Die qualitative Bejahung behauptet, daß ein Prädikat einem Subjekt zukommt, die modalische überhaupt, daß das Subjekt existiert." (43)
Er beruft sich auf Sätze wie: "Der Greif ist ein Vogel", worin in der Tat unter normalen Umständen nichts über die Existenz des Greifens ausgesagt sein soll. Er hätte sich mit demselben Recht auf alle mathematischen Axiome und Lehrsätze berufen können. Ist es doch z. B. von den geometrischen Wahrheiten allgemein zugestanden, daß ihre Geltung von der Existenz entsprechender räumlicher Gebilde ganz unabhängig ist.

Gleichwohl wäre die Annahme, daß hier Prädikationen vorliegen, deren Wahrheit das Dasein ihrer Subjektgegenstände nicht einschließt, absurd. Wie sollte wohl ein Subjekt, das gar nicht existiert, blau oder rund oder schwer, ein Vogel, ein Metall oder was auch immer sein? Es mag zutreffen, daß ein gewisses S nicht sein kann, ohne daß ihm ein bestimmtes Prädikat P zukommt; aber wer es ihm ungeachtet seiner Nichtexistenz gleichwohl zuspricht, würde notwendig irren.

Doch APELT würde wohl diese Deutung als ein Mißverständnis zurückweisen. Nicht auf individuelle, sondern lediglich auf universelle Materien denkt er die "modale Bejahung" gerichtet und hat darüber an der entsprechenden Stelle seiner Metaphysik gar keinen Zweifel gelassen: "Ich kann mit gleichem Recht sagen", heißt es dort (44),
    "Jeder Adler ist ein Vogel und jeder Greif ist ein Vogel. Hier behaupte ich nicht das Dasein der Dinge, die in der Sphäre des Subjektbegriffs gedacht werden, sondern nur die Notwendigkeit ihrer Einordnung in den Begriff Vogel, ganz abgesehen davon, ob der Subjektsvorstellung wirkliche Dinge entsprechen oder nicht: Das Urteil gilt mit Apodiktizität [Sicherheit - wp]. Dagegen wenn ich sage: der Münster in Straßburg ist der höchste Turm in Europa, oder: Einige Vögel sind Adler, so liegt zwar keine Apodiktizität, aber doch eine Assertion [Behauptung - wp] in diesen Urteilen: Es liegt darin die Behauptung des Daseins der Dinge, von denen das Urteil spricht. Im allgemeinen erkennen wir durch die assertorische Urteilsform das Dasein oder die Wirklichkeit der Dinge, durch die apodiktische Urteilform die Notwendigkeit allgemeiner Gesetze."
Wenn APELT dann die Bemerkung anschließt:
    "Für die Dialektik ist hier von großer Wichtigkeit, die modalische Bejahung und Verneinung von der qualitativen zu unterscheiden. Die qualitative Bejahung behauptet, daß ein Prädikat einem Subjekt zukommt, die modalische behauptet, daß das Subjekt existiert",
so ist in der Tat jeder Zweifel darüber ausgeschlossen, daß die Unabhängigkeit des Soseins vom Dasein nach ihm nur für universelle Wahrheiten, nicht für konkrete Tatsachen besteht.

Aber ich könnte die These, daß sich die qualitative Bejahung nur auf die notwendige Verbindung von S und P, nicht auf deren Existenz bezieht, auch in einem eingeschränkten Sinn nicht logisch einwandfrei finden. Vielmehr scheint sie mir mit dem logischen Axiom (45) in Widerspruch zu geraten, daß,
    "wer ein Ganzes anerkennt, jeden einzelnen Teil des Ganzen einschließlich (d. h. nicht explizit) anerkennt. Wer immer daher eine Verbindung von Merkmalen anerkennt, erkennt einschließlich jedes einzelne Element der Verbindung an." (46)
Wer anerkennt, daß es gelehrte Männer gibt, erkennt einschließlich an, daß es Männer gibt.

Damit soll keineswegs behauptet werden, daß wir nicht berechtigt über eine Verbindung urteilen könnten, ohne deren Elemente für wahr zu halten. Vielmehr ist dies sehr wohl möglich, aber dann ist ein solches Urteil keine Bejahung, weder eine "modale", noch eine "qualitative", weder eine prädikative, noch eine thetische, sondern eine einfache Verneinung. Wenn also ein wahrer Satz "S ist P" nicht die Existenz von S und P zum Inhalt hat, so ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, daß er kein bejahendes Urteil bedeutet.
    "In der Tat hat man schon oft betont: Sätze von der Art wie alle S sind P sagten bloß: Wenn es ein S gibt, so ist es P, das aber heißt gar nichts anderes, als es gibt ein S, das nicht P wäre, und das Urteil ist offenbar ein negatives. Das Wörtchen alle (und dasselbe gilt von jedes, immer und dgl., womit die fälschlich sogenannten allgemein bejahenden Aussagen konstruiert zu werden pflegen) enthält, wie schon Sigwart bemerkte, eine doppelte Negation: Alle sind da heißt: keiner ist nicht da. Von den zwei Negationen gehört die eine zur Kopula, die andere zum sogenannten Prädikat." (47)
Damit ist dann auch der Unterscheidung APELTs einer qualitativen von einer modalischen Bejahung das Urteil gesprochen. Sie ist nur verständlich als Ergebnis einer Verlegenheit, aus der es eben keinen anderen logisch einwandfreien Ausweg gibt als die Anerkennung des negativen Sinnes der mit Unrecht sogenannten "allgemein bejahenden Aussagen". (48)

Was APELT "qualitative Bejahung" nennt, ist gar keine Bejahung, sondern vielmehr eine Verneinung. Und wenn (was weder APELT noch FRIES behauptet haben) sogar alle bejahenden Urteile nur dem "qualitativen Modus" angehören würden, so wäre auch damit nicht das Geringste gegen ihre generische Verwandtschaft mit den Wahrnehmungen ausgesagt. Im Gegenteil, sie würden als Negationen so sicher mit ihnen (unter dem Gesichtspunkt der Beziehung des Bewußtseins zum Gegenstand) zur selben Grundklasse gehören, wie das Gesetz analytisch einleuchtet, daß, wo immer kontradiktorische Gegensätze möglich sind, ein und dieselbe Gattung sie beide als Spezies umfaßt.

§ 15. II. Wenn wir uns, nachdem die Einheit der Klasse für Wahrnehmungen und abstrakte Urteile gesichert ist, der zweiten, der terminologischen Frage nach einem passenden Klassennamen zuwenden, so wird vielleicht vorher ein Wort über die Grundsätze einer wissenschaftlichen Namengebung nicht unangebracht erscheinen. In allen Teilen der Philosophie spielt diese eine sehr wichtige Rolle. Hier entspringt eine ergiebig strömende Quelle von Irrtümern und Mißverständnissen, die, wie die Verständigung der Philosophen untereinander, so den Fortschritt unserer Wissenschaft selbst schon oft erheblich gefährdet haben. Umso wünschenswerter wäre es, über die Prinzipien einer gesunden Terminologie Klarheit zu schaffen, und NELSON leitet zweifellos ein richtiger Gedanke, wenn er am Schluß seines Buches über das Erkenntnisproblem, um einen "Vorschlag, durch eine geeignete Methode die philosophischen Streitigkeiten in wissenschaftliche Bahnen zu lenken" bemüht, in erster Linie den Maximen einer zweckmäßigen Terminologie seine Aufmerksamkeit zuwendet. In der Tat herrschen über diese unter den Philosophen vielfach recht unklare, ja entschieden irrtümliche Ansichten, was, zum Teil zumindest, einer Verwechslung oder ungerechtfertigten Vermengung von zwei wesentlich verschiedenen Fragen zuzuschreiben sein dürfte. Ich meine die Frage der Klassenbildung und diejenige der Klassenbenennung.

Was die erste anlangt, so sollte unter den Psychologen doch kein Zweifel darüber bestehen, daß sie diese Aufgabe ohne Rücksicht auf die Volkssprache zu erledigen haben. Das ergibt sich ja shcon aus den ganz verschiedenen Gesichtspunkten, von denen sich eine exakte theoretische Analyse des Bewußtseins und die Volkssprache bei ihren Klassenbildungen leiten zu lassen haben. In anderen Disziplinen ist dies längst eine methodische Selbstverständlichkeit geworden. Wohin käme z. B. ein Zoologe, der beim Studium der Gattung "canis" [Wölfe, Schakale - wp] statt sich an die Erfahrung und an die wesentlichen Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Natur zu halten, aus Respekt vor der populären Bedeutung des Namens "Hund" Wolf und Fuchs ausschließen, wohl aber den Seehund in diese Klasse einbeziehen wollte? Statt sich an diesem Verfahren anderer Disziplinen - die übrigens schon durch den Halt an den äußeren Anschauungen vor Begriffskonfusionen besser geschützt sind als die Philosophie - ein Beispiel zu nehmen, sind manche Philosophen geradezu am Werk, durch verkehrte Theorien über einen angeblichen strenten Parallelismus zwischen Sprechen und Denken den Weg zu einer gesunden Methode zu verstellen. Auch NELSON, fürchte ich, steht solchen Ansichten, die mehr als andere Irrtümer den traurigen Zustand, den auch er an der Philosophie beklagt, verschuldet haben, nicht so fern, als zu wünschen wäre, wenn er einer weitgehenden Anbequemung an die Volkssprache das Wort redet:
    "Die philosophische Erkenntnis", heißt es in dem erwähnten Vorschlag, "ist ihrem Wesen nach nicht-anschaulich, und er Psychologe kann sich zwar für die Richtigkeit seiner Sätze auf die Selbstbeobachtung berufen, die aber, eben weil sie eine Selbstbeobachtung ist, in jeder nur in sich selber findet, ohne ihren Inhalt einem anderen anders mitteilen zu können, als mittels der Sprache. Halten wir uns hier nicht auf das strengste an den allgemeinen Sprachgebrauch, so geben wir unbedacht das einzige Mittel der Verständigung preis. Dies geschieht aber notwendig, sobald wir, statt dem Sprachgefühl zu folgen, von willkürlichen Definitionen ausgehen."

    "Den allgemeinen Sprachgebrauch also gilt es zu achten. Gerade unsere Sprache ist so reich und bietet so feine Abstufungen, daß schon allein derjenige, der über ein gebildetes Sprachgefühl verfügt, vor allerlei Begriffsverwechslungen geschützt ist, denen ein anderer leicht zum Opfer fällt, der im bloßen Vertrauen auf seinen eigenen Scharfsinn in einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Privat-Terminologie philosophiert." (49)
Um einen solchen Optimismus auf das richtige Maß herabzustimmen, sollte es eigentlich genügen, auf die zahllosen Homonymien und Verschwommenheiten des sprachlichen Materials, auf die Fiktionen der figürlichen und konstruktiven inneren Sprachform (50), auf den fast durchgängigen Mangel im Parallelismus der grammatischen Syntax und der Struktur des Bewußtseins hinzuweisen und diese Mängel durch Beispiele (51) berühmter Irrwege zu beleuchten, die Philosophen gegangen sind, indem sie sich allzu vertrauensselig der Führung durch die Sprache überließen. So vermöchte ich dann ein Verdikt gegen die "willkürlichen Definitionen" und einen Appell an die Führung durch das Sprachgefühl, sofern sie auf eine Ablehung der berechtigten Emanzipation der psychologischen Analyse von der Volkssprache hinausliefen, keineswegs zu unterschreiben. Doch verkenne ich nicht, daß dabei häufig, und wahrscheinlich auch bei NELSON, gewisse richtige Gedanken mit im Spiel sind, die sich aber nicht eigentlich gegen die Priorität und Selbständigkeit der psychologischen Klassenbildung kehren, sondern sich vielmehr auf den zweiten Teil unserer Frage, auf die Grundsätze der Klassenbezeichnung, beziehen. Wenn nämlich der Psychologe auch gar nicht genug bedacht sein kann, sich bei seinen Analysen von sprachlichen Einflüssen frei zu halten, so ist er doch natürlich bei der Wahl der Termini, solange ihm keine szientifische Kunstsprache zu Gebote steht (52), d. h. wahrscheinlich für immer, auf das Material der Volkssprach angewiesen. Indem er in dieser nun für die natürlichen, durch eine unabhängige Selbstbeobachtung eruierten Klassen nach passenden Namen sucht, wird er in der Regel keinen finden, der sich seiner Bedeutung und damit auch seinem Umfang nach mit der zu bezeichnenden Klasse vollkommen deckt. Er ist mithin hier auf Kompromisse angewiesen. Diese dürfen aber nie so geschlossen werden, daß darunter die Schärfe und Eindeutigkeit seiner wissenschaftlichen Klassenbildung leidet. Es bleibt also kein anderes Mittel, als eine zweckentsprechende Anpassung, nicht seiner Begriffe an die populären, sondern umgekehrt der Bedeutung der entlehnten Namen an seine wissenschaftlich wohl fundierten Begriffe, und der erwähnte Kompromiß kann nur in der Richtung erfolgen, daß für eine festgestellte szientifische Klasse womöglich ein solcher Name gewählt wird, der sich in seiner Bedeutung nicht allzuweit von ihr entfernt und nicht mit allzu gefährlicher Vieldeutigkeit und ähnlichen Mängeln behaftet ist. Und soweit etwa NELSON unter dem "Sprachgefühl", dem wir uns anvertrauen sollen, einen in dieser Richtung ausgebildeten Takt und ein entsprechendes Geschick versteht, wird man ihm unbedenklich beistimmen können.

Natürlich gilt, was ich hier vom Verhältnis des Psychologen zur Volkssprache sagte, ebenso auch von seinem Verhältnis zur Geschichte der Terminologie seines Faches und zu deren gegenwärtigem Stand. Auch hier wird die Rücksicht auf die natürlichen Abgrenzungen und Einschnitte in den Phänomenen selbst nicht zu einem allzuängstlichen Respekt vor dem terminologisch Hergebrachten zum Opfer gebracht werden dürfen, sondern unter Umständen zu Eingriffen in den historischen Sprachgebrauch und zu Modifikationen desselben zwingen.

Machen wir von diesen Vorbemerkungen die Anwendung auf unseren Fall. Auch uns steht hier eine wissenschaftliche Klassifikation, unabhängig von jeder Rücksicht auf die Sprache gebildet, fest: Unter dem für die theoretische Ordnung des seelischen Geschehens in Grundklassen wesentlichsten Gesichtspunkte ihrer generischen Verwandtschaft, d. h. in der Weise der intentionalen Beziehung, bilden Wahrnehmungen und mitteilbare Urteile unzweifelhaft eine einheitliche Klasse. Es fragt sich nun, welche von den Bezeichnungen, die uns die Volkssprache, bzw. der Wortschatz des Psychologen dafür bieten kann, sollen wir als den zweckmäßigsten Klassennamen wählen?

§ 16. Um diese Untersuchung nicht über Gebühr auszudehnen, wollen wir uns auf den Besitzstand der FRIES'schen Terminologie beschränken, aus dem hier wohl nur die Namen Vorstellen, Erkennen, Assertion und Urteil in Frage kommen.

Der Name Vorstellen wird schon darum als Gattungsname für Wahrnehmung und mitteilbares Urteil nicht zu verwenden sein, weil er bereits für ein ganz anderes Genus fungiert, ohne daß dabei etwas zu beanstanden gewesen wäre. Er bedeutet - seinem in der Psychologie am Besten eingebürgerten Sprachgebrauch nach - den Gattungsbegriff für Begriff und Anschauung. Als solcher ist er der Name einer natürlichen, einheitlichen Klasse, und ich sehe keinen Anlaß, ihn in dieser Funktion zustören (53). Man müßte schon mit FRIES die Ansicht teilen, daß sich ein auf die Bejahung bzw. Verneinung ausgedehnter Sprachgebrauch dieses Terminus darum empfehlen würde, weil Assertionen mit Anschauungsvorstellungen und Begriffen eine einheitliche Klasse bilden. Aber das ist zweifellos ein Irrtum und, was zu ihm verführte, scheint unschwer nachzuweisen. FRIES erkannte richtig, daß unser psychisches Leben nicht mit bloßen Vorstellungen, sondern mit Wahrnehmungen beginnt. Dieses zeitliche Verhältnis verwechselt er mit demjenigen der entsprechenden Begriffe. Wenn nun aber, wie es scheint, der Begriff des bloßen Vorstellens später im Bewußtsein auftritt, als derjenige der Assertion, und dieser nicht etwa, wie manche meinen, durch Abstraktion oder Kombination aus jenem gewonnen ist, so mag der Gedanke nahe liegen, Vorstellen für den Gattungs-, Assertion für den Speziesbegriff zu halten, während sie in Wahrheit ganz verschiedenen Gattungen angehören. (54) Es differenziert sich nämlich nach FRIES - wenn ich ihn richtig verstehe (vgl. weiter oben) - die Gattung Vorstellen in eine privative und eine positive Spezies. Jene ist das sogenannte "problematische Vorstellen" (wofür jede Phantasievorstellung und jeder Begriff ein Beispiel ist), diese ist das "assertorische Vorstellen", wozu er u. a. die Wahrnehmung oder empirische Anschauung zählt. Allein bei dieser Klassenbildung ist offenbar eine Verwechslung von kategorialer und außerkategorialer Prädikation im Spiel. Zwar ist jeder Wahrnehmungsakt zugleich ein Vorstellungsakt, aber nicht wie alles Rote Farbe ist, sondern bloß so, wie alles Farbig räumlich bestimmt ist. Die Begriffe Assertion und Vorstellung bestimmen ein und denselben Akt von verschiedenen Seiten. Soweit er eine Adäquation an das Was seines Gegenstandes ist, heißt er Vorstellen; sofern er eine solche an dessen Sein ist, Assertion. Darum ist die Ausdrucksweise BRENTANOs entschieden vorzuziehen. Er sagt nicht wie FRIES, jede Assertion ist ein Vorstellen, sondern keine ist ohne ein Vorstellen (55). Diese beiden Weisen des Bewußtseins bilden, nach BRENTANO, aber nicht etwa zwei psychische Akte, sondern konstituieren ein und denselben Akt. Schließt doch jedes Urteilen ein Vorstellen ein. Inbezug auf dieses Verhältnis aber bieten die Wahrnehmungen gegenüber den mitteilbaren Urteilen keine andere Differenz, als daß bei jenen die Unablösbarkeit der beiden Momente eine gegenseitige ist. Aus diesen Gründen würde der Name Vorstellen, auf Assertionen ausgedehnt, die Grenze zwischen zwei der wichtigsten natürlichen Klassen auf psychischem Gebiet verwischen und kann darum nicht als zweckmäßiger Gattungsname für Wahrnehmungen und mitteilbare Urteile gelten.

Dem Namen Erkennen, der uns für diesen Platz gleichfalls vorgeschlagen wird, haftet der eben erwähnte Mangel nicht an. Eine Phantasievorstellung oder einen Begriff pflegt man nicht eine Erkenntnis zu nennen. Außer es stünde einer noch im Bann einer historischen Tradition, die dieses Wort als eine - recht unglückliche - Übersetzung für das aristotelische nous [Geist - wp] verwendet und auch bei KANT noch nicht überwunden scheint. Aber etwas anderes ist es, was diesen Terminus gleichfalls ausschaltet: In der Regel wird das Wort "Erkenntnis" im Gegensatz zu Irrtum, ja shcon zu blindem Glauben, gebraucht, und dieser Sprachgebrauch ist, auch bei Philosophen, die auf Sorgfalt in der Terminologie viel Wert legen, so tief eingewurzelt und erfüllt seinen Zweck so gut, daß ich es nur als ein gefährliches Wagnis ansehen könnte, hier durch einen viel allgemeineren Sprachgebrauch, der auch Irrtümer "Erkenntnisse" nennt, eine Äquivokation [gleiches Wort bei verschiedener Bedeutung - wp] zu schaffen. Ja nicht nur diese Gefahr besteht, der Terminus hat in einer solchen Doppelbedeutung schon erheblichen Schaden angerichtet. Gerade bei der FRIES'schen Lehre von der "unmittelbaren Erkenntnis" spielt sie eine verhängnisvolle Rolle. Nur im engeren Wortsinn gilt der Satz, eine unmittelbare Erkenntnis könne nicht falsch sein; FRIES aber wird er, wie wir um nächsten Kapitel sehen werden, unter der Hand zu einem Gesetz für den weiteren, in dem doch auch "unmittelbare Irrtümer" kein Widerspruch wären. Grund genug, namentlich in einer Arbeit über die FRIES'sche Philosophie, einem Sprachgebrauch (56), der alle Wahrnehmungen und mitteilbaren Urteile als Erkenntnisse zusammenfaßt, aus dem Weg zu gehen.

Viel weniger bedenklich scheint mir der Name "Assertion", der offenbar ganz ungezwungen Wahrnehmung und abstraktes Urteil umfaßt. Ich werde ihn in dieser Arbeit des öfteren so verwenden. Ihn für den allgemeinen Gebrauch in dieser Funktion zu empfehlen aber hätte ich Bedenken wegen der Mißverständnisse, die sich bei dem sonst üblichen doppelten, spezielleren Gebrauch des Wortes "assertorisch" daran knüpfen könnten, das einmal in der sogenannten Kategorie der Qualität den positiven Gegensatz zum Verneinen, dann wiederum in derjenigen der Modalität den privativen Gegensatz zu apodiktisch bedeutet.

Diesen Mängeln gegenüber erscheinen mir die dem Namen "Urteil" anhaftenden relativ unbedeutend. Zwar ist auch er nicht von Vieldeutigkeit frei, und wiederum besteht die Äquivokation in der Verbindung einer weiteren Bedeutung mit einer engeren. Letztere hält FRIES fest, indem er nur mitteilbare Bejahungen bzw. Verneinungen "Urteile" nennt. Wer aber mit uns erkannt hat, daß die Wahrnehmungen mit dem mitteilbaren Urteilen gerade in dem für unsere Klassenbildung ausschlaggebenden Momente übereinstimmten (beide sind eine mögliche oder wirkliche Adäquation ans Sein des Gegenstandes), während sich andererseits die vermeintlichen charakteristischen Merkmale der FRIES'schen Klasse "Urteil" bis auf eines als unbrauchbar erwiesen und dieses eine gar nicht die Urteilsform, sondern die Materie betrifft, der wird wohl kaum noch Bedenken tragen, hier den Satz "a potiori fit denominatio" [Die Benennung richtet sich nach der Hauptsache. - wp] anzwenden und dem Namen "Urteil" auch die mit allem, was er sonst bezeichnet, so wesentlich verwandten "Wahrnehmungen" zu unterstellen. Soweit ein Bedürfnis vorliegt, die beiden Unterklassen terminologisch zu scheiden, so wird ihm leicht Genüge geschehen, indem man dem Namen "Wahrnehmung" den zusammengesetzten, "mitteilbare Urteile" oder "abstrakte Urteile" gegenüberstellt.
LITERATUR - Alfred Kastil, Jakob Friedrich Fries' Lehre von der unmittelbaren Erkenntnis, Göttingen 1912
    Anmerkungen
    1) Unter der Materie des Urteils verstehe ich im Sinne BRENTANOs die dem Urteil zugrunde liegende Vorstellung des beurteilten Gegenstandes, unter der "Form" aber dessen anerkennenden oder verwerfenden (bzw. zuerkennenden) Charakter mit allen seinen inneren Modifikationen.
    2) NELSON, Erkenntnisproblem (EP) Seite 502
    3) von mir gesperrt
    4) MEYERHOF, Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen" (Abhandlungen der Fries'schen Schule, Bd. III, Seite 191).
    5) "Wenn S ist, ist P" = S ohne P ist nicht.
    6) Vgl. über den Sinn der hypothetischen und kategorischen Aussage MARTYs Artikelserie "Über subjektlose Sätze und das Verhältnis der Grammatik zur Logik und Psychologie", 7 Artikel, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. XIX, Seite 300f.
    7) Deutet nur auf begriffliche Unterscheidbarkeit des Vorstellungsmomentes vom Behauptungsmoment der Wahrnehmung hin. Vgl. oben § 10 über den Sinn der verwandten Redeweise, die Anerkennung kommt als wesentlich andere Art der Bewußtseinsbeziehung zum Vorstellen hinzu.
    8) ANTON MARTY, Sprachphilosophie I, Seite 433f.
    9) HUGO BERGMANN, Die Evidenz der inneren Wahrnehmung, Halle/Saale 1908, Seite 7f.
    10) MARTY, Über subjektlose Sätze, a. a. O., Bd. XIX, Seite 63f. Vgl. dessen Aufsatz "Grammatisches, logisches und psychologisches Subjekt und Prädikat", Archiv für systematische Philosophie, 1897. Ferner HILLEBRAND, Die neuen Theorien der kategorischen Schlüsse (Wien 1891), Seite 95, und MARTY, Sprachphilosophie I, Seite 293 und 352.
    11) So nennen BRENTANO und MARTY die Urteile von der zuvor geschilderten Art.
    12) So auch APELT, Metaphysik, Seite 110.
    13) BRENTANO, Psychologie, a. a. O., Seite 267f. Ders. "Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis", Seite 60f, 75f, 111-122. MARTY, Subjektlose Sätze, a. a. O., Bd. VIII, Seite 91f, 169f, 171f und öfter. Vgl. "Sprachphilosophie", Bd. I, die im Index unter dem Schlagwort "Existenz" bezeichneten Stellen.
    14) KASTIL, Studien zur neueren Erkenntnistheorie, Bd. I, Halle/Saale 1909. Über DESCARTES' Abhängigkeit von der scholastischen Urteilslehre vgl. ARTUR BUCHENAU, Philosophische Bibliothek, Bd. 27, Seite 229.
    15) Vgl. Anmerkung 13
    16) Über den wahren Ursprung der prädikativen Vorstellungsverknüpfung, vgl. MARTY, Subjektlose Sätze, a. a. O., Bd. XIX, Seite 64; Sprachphilosophie I, Seite 434f und 641.
    17) NELSON, EP 501.
    18) Das, was APELT, Metaphysik, § 29 "die Aussage" nennt.
    19) MARTY, Subjektlose Sätze, a. a. O., Bd. VIII, Seite 188f; BRENTANO, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, Seite 67f.
    20) Vgl. das folgende Kapitel.
    21) Damit will ich keineswegs jede Beeinflussung unseres Urteils durch den Willen bestreiten. Vgl. MARTYs Darlegungen über "Urteile auf Kündigung" in dem Artikel "Über Annahmen", Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 40 und Sprachphilosophie, Bd. 1, Seite 262f.
    22) APELT, Metaphysik, Seite 102f
    23) Vgl. BRENTANO, Psychologie, Seite 272
    24) APELT, Metaphysik, Seite 123
    25) APELT, Metaphysik, Seite 103
    26) Soll heißen "das Bewußtsein der objektiven Gültigkeit".
    27) Gemeint sind Wahrnehmungsvorstellungen.
    28) APELT, Metaphysik, Seite 502.
    29) FRIES, Neue Kritik, a. a. O., Bd. I, Seite 233.
    30) MEYERHOF, a. a. O., Seite 137; vgl. BRENTANO, Psychologie, 2. Buch, Kap. 5 und 6.
    31) MARTY, Sprachphilosophie I, Seite 425
    32) MARTY, a. a. O., Seite 425f
    33) MARTY, a. a. O., Seite 425
    34) Bei MEYERHOF, der BRENTANO nicht zugeben will, daß Fühlen und Wollen zur selben Grundklasse von Bewußtseinsbeziehungen gehören (a. a. O., Seite 138 und 191), ist die Quelle des Irrtums unverkennbar. Er unterscheidet die Frage nach der generischen Einheit nicht scharf genug von der nach der elementaren qualitativen Einfachheit (vgl. Seite 131 und 133f). Nur so ist es verständlich, daß er im Zugeständnis BRENTANOs, Fühlen und Wollen wiesen spezifische Unterschiede auf, einen Widerspruch gegen ihre Zuordnung zur selben Gattung von Bewußtseinsrelation erblicken konnte (Seite 191, Anm.). Der Fehler ist weniger auffallend, als wollte einer Rot und Blau als verschiedene Gattungen von Sinnesqualitäten (was in Wahrheit von Farben und Tönen gilt) hinstellen, aber es ist eben nicht weniger ein Fehler. Man mag Rotsehen und Blausehen zwei verschiedene "Grundvermögen" nennen, mit Rücksicht auf die elementare Einfachheit dieser auf einander unreduktiblen Inhalte. Aber in diesem Verstand gäbe es selbstverständlich weit mehr als drei psychische Grundvermögen und MEYERHOFs Klassifikation in Erkennen, Fühlen, Wollen (Seite 138) wäre dann erst recht unzulänglich. (Wie den Begriff "Grundklasse" bei BRENTANO hat MEYERHOF übrigens auch den des psychischen "Aktes" mißverstanden. Vgl. Seite 138).
    35) Vgl. meine "Studien zur neueren Erkenntnistheorie", Bd. I, Seite 9f.
    36) BRENTANO, Psychologie, Seite 266-306.
    37) So, wie eben erwähnt, auch wiederum MEYERHOF, noch dazu unter dem, wie wir sehen werden, hierzu ganz besonders ungeeigneten Namen "Erkennen".
    38) FRIES, Neue Kritik, Bd. 1, Seite 71; Bd. 2, Seite 344f.
    39) Soll wohl heißen "in der Aussage ausgesprochenen".
    40) APELT, Metaphysik, Seite 537.
    41) Oder - negativ - an die Unmöglichkeit, daß dem Begriff Mensch, falls er existiert, ein eventueller Sokrates nicht entspräche.
    42) Vgl. das weiter oben über das "Doppelurteil" Angedeutete.
    43) APELT, Metaphysik, Seite 122
    44) APELT, Metaphysik, Seite 122
    45) Ich darf es wohl ein logisches Axiom nennen, wenn es auch in den üblichen Lehrbüchern dieser Disziplin fehlt und erst von BRENTANO in seiner Bedeutung für die Logik gewürdigt worden ist. Es bildet einen der beiden Grundpfeiler seines vereinfachten Aufbaus der Syllogistik (Vgl. Psychologie, Seite 303 und HILLEBRAND, Die neuen Theorien der kategorischen Schlüsse)
    46) BRENTANO, Psychologie, Seite 276; vgl. MARTY, Subjektlose Sätze, a. a. O., Bd. VIII, Seite 175f.
    47) MARTY, a. a. O, Seite 176f.
    48) Das heißt freilich die Logik von einem alteingewurzelten Vorurteil befreien. Unterschied sie doch seit ARISTOTELES ein allgemein bejahendes von einem partikulär bejahenden, ein allgemein verneinendes von einem partikulär verneinenden Urteil, und schier ohne Widerspruch wurde diese viergliedrige Einteilung als eine solche der Urteilsform angesehen, bis BRENTANO (Psychologie, Seite 283) darauf aufmerksam machte, daß hier keineswegs dieselbe Materie in verfach verschiedener Weise beurteilt ist, sondern der Form nach gleiche Urteile je zweimal mit verschiedener Materie wiederkehren. Diese ist nämlich bald P seiendes S und wird als solche einmal anerkannt (im sogenannten partikulär bejahenden Satz "Einige S sind P"), das andere Mal verworfen (im sogenannten universell verneinenden Satz "Kein S ist P"). Und das gleiche wiederholt sich mit der variierten Materie non-P seiendes S im sogenannten allgemein bejahenden Satz "Alle S sind P") und im sogenannten partikulär verneinenden Satz ("Einige S sind non-P) und im songenannten partikulär verneinenden Satz ("Einige S sind non-P"). - - - BRENTANO hat auch schon darauf hingewiesen, daß in der Verkennung dieser einfachen Tatsachen tiefgreifende logische und metaphysische Irrtümer wurzeln. So verdankt er sprachlichen Suggestion, die verführte, die sogenannten allgemein bejahenden Aussagen für den Ausdruck positiver Urteile zu halten, u. a. die scholastische Lehre von den essentiae sine existentia [Wesen ohne Existenz - wp] ihren Ursprung, die sich uns, nach Abstreifung ihrer mittelalterlichen Tracht, auch heute noch in dem schlichten Widersinn der Lehre vom "Sosein ohne Dasein" präsentiert (z. B. bei MEINONG). Eine ausführliche Widerlegung dieser und ähnlicher Ausflüchte gibt MARTY (Sprachphilosophie I, Seite 340f). Dort findet sich auch die interessante Feststellung, daß das sogenannte ontologische Argument für das Dasein Gottes ohne die Beachtung des negativen Sinnes jener Aussageform nicht stringent zu widerlegen ist (Seite 246f). Vgl. dazu in meinen "Studien zur neueren Erkenntnistheorie", Bd. I, § 29 die Erörterung des Prinzips: "Was klar und deutlich im Begriff eines Gegenstandes enthalten ist, läßt sich von ihm aussagen" und ebenso Seite 63f.
    49) NELSON, EP 775
    50) MARTY, Sprachphilosophie, Bd. I, Seite 134f
    51) Die Kategorienlehre KANTs, der im Bemühen, die Urteilsformen zu analysieren, im wesentlichen die sprachliche Syntax abschrieb, ist als solches, neben der in dieser Hinsicht oft getadelten aristotelischen, zu wenig genannt. - Wie es in Wahrheit mit dem angeblichen durchgängigen Parallelismus von Sprache und Bewußtsein bestellt ist, dafür bieten MARTYs diesem Gegenstand mit Vorliebe zugewandte, sprachpsychologische Arbeiten eine Fundgrube der Aufklärung.
    52) Über die Aufgaben und die Möglichkeit künstlicher szientifischer Sprachen vgl. MARTY, Sprachphilosophie I, Seite 31f und 751f.
    53) Wie dies z. B. manche neuere Psychologen tun, die Begriffe nicht Vorstellungen nennen wollen.
    54) Am deutlichsten ist dieser Paralogismus bei APELT (Metaphysik § 98): "Da Erkenntnis eine besondere Art von Vorstellungen ist, so könnte es vielleicht scheinen, als ob sich die Erkenntnis aus der Vorstellung ableiten lassen muß. Dies ist von den Stoikern bis auf REINHOLD und FICHTE herab vielfach versucht worden. Allein die Arten sind nie in der Gattung, sondern unter ihr enthalten und lassen sich daher nie von jener ableiten, obgleich sie, wenn sie anderswoher bekannt sind, unter jene gefaßt, oder unter ihr begriffen werden können. ... Der bestimmteste Begriff von Erkenntnis ist daher: Erkenntnis ist Vorstellung vom Dasein eines Gegenstandes, oder von einem Gesetz, unter dem das Dasein der Dinge steht." - Auch die ältere Theorie, welche im Urteil ein zusammengesetztes Vorstellen sah, würde, wenn richtig, diesen Namen als Klassennamen rechtfertigen. Sie kann aber wohl seit BRENTANO als abgetan gelten.
    55) BRENTANO, Psychologie, Seite 266: "Wenn wir sagen, Vorstellung und Urteil sind verschiedene Grundklassen psychischer Phänomene, so meinen wir damit, sie sind zwei gänzlich verschiedene Weisen des Bewußtseins von einem Gegenstand. Dabei leugnen wir nicht, daß alles Urteilen ein Vorstellen zur Voraussetzung hat. Wir behaupten vielmehr, daß jeder Gegenstand, der beurteilt wird, in doppelter Weise ins Bewußtsein aufgenommen ist, als vorgestellt und als anerkannt oder geleugnet. So wäre dann das Verhältnis ähnlich dem, welches mit Recht, von der großen Mehrzahl der Philosophen, und von KANT nicht weniger als von ARISTOTELES, zwischen Vorstellen und Begehren angenommen wird. Nichts wird begehrt, was nicht vorgestellt wird; aber doch ist das Begehren eine zweite, ganz neue und eigentümliche Weise der Beziehung zum Objekt, eine zweite, ganz neue Art von Aufnahme desselben ins Bewußtsein. Nichts wird auch beurteilt, was nicht vorgestellt wird; aber wir behaupten, daß, indem der Gegenstand einer Vorstellung Gegenstand eines anerkennenden oder verwerfenden Urteils wird, das Bewußtsein in eine völlig neue Art von Beziehung zu ihm tritt." Dasselbe gilt natürlich auch dort, wo die Assertion, wie bei der Wahrnehmung, gar nicht fehlen kann.
    56) Bei manchen findet sich "Erkennen" auch auf Vorstellungen ausgedehnt, eine Terminologie, die den eben erwähnten Fehler mit dem an erster Stelle aufgedeckten vereinigt.