p-4A. ReinachGoedeckemeyerJ. GeyserWindelbandSigwart    
 
N. O. LOSSKI
Die logische und die psychologische Seite
der bejahenden und verneinenden Urteile


"Im Satz: S ist nicht P ist der Begriff P das Prädikat, dagegen gehört das nicht weder zum Prädikat noch zum Subjekt des Urteils, vielmehr steht es zwischen Subjekt und Prädikat und verleiht ihrem gegenseitigen Verhältnis Ausdruck, und zwar dem der Trennung im Gegensatz zur Verbindung, welche für das bejahende Urteil charakeristisch ist."

"Der psychische Bejahungsakt gehört nicht zur logischen Seite des Urteils und kann allein in psychologischer Hinsicht Interesse gewinen, sofern er nämlich die erkennende Person als ein bei der Stimmabgabe bedachtes oder unbedachtes, leidenschaftsloses usw. Individuum charakterisiert."

Das Problem der bejahenden und verneinenden Urteile ist fürwahr eine Krux und ein Skandal der Logiker. Ein Urteil, das den Definitionen der logischen Lehrbücher gemäß als verneinend gilt, wandelt sich mittels einer einfachen grammatischen Umgestaltung in ein bejahendes um (z. B. "6 dividiert durch 2 ergibt keinen Rest", "6 kann restlos durch 2 dividiert werden"). Das Urteil: "XY besitzt keine Matura" wird in jedem Lehrbuch der Logik ansich als verneinend betrachtet, mit anderen Worten: die Negativität wird ihm als ein absolutes Charakteristikum beigelegt. Indem nun die Lehrbücher diese Charakteristika für die Analyse der Vernunftschlüsse praktisch nutzbar machen, wird uns gesagt, daß es unstatthaft ist, aus den Prämissen: "Alle Personen, welche eine Matura besitzen, haben das Recht, auf einer Universität immatrikuliert zu werden; XY besitzt keine Matura" - über XY nach der ersten syllogistischen Figur schließen zu wollen, weil hierzu in der ersten Figur der positive Charakter des Untersatzes erforderlich ist. Nehmen wir aber an, daß dasselbe Urteil im folgenden Syllogismus den Untersatz vertritt: "Personen, welche keine Matura besitzen, haben nicht das Recht, auf einer Universität immatrikuliert zu werden; XY besitzt keine Matura, folglich hat er nicht das Recht auf einer Universität immatrikuliert zu werden"; so werden dieselben Lehrbücher zugeben, daß das fragliche Urteil bejahend ist. Welchen Wert hat aber dann die Kennzeichnung eines Urteils als verneinend, wenn es sich ohne jede sachliche Umformung als bejahend herausstellen kann?

Um darauf hinzudeuten, daß die Beispiele derartiger Unfolgerichtigkeiten und Unbestimmtheiten unzählige sind, wollen wir gleich noch einen anderen Fall anführen. Nach der dritten syllogistischen Figur ist es unstatthaft, bei einem negativen Untersatz überhaupt Schlüsse zu ziehen; indessen wird uns jedes Lehrbuch berechtigten, aus dem Prämissen: "Die Moslems sind Monotheisten", die "Moslems sind keine Christen", den Schluß zu ziehen: "Manche Nicht-Christen sind Monotheisten", indem es hinzufügen wird, daß hier der Satz: "Die Moslems sind keine Christen" den Charakter eines affirmativen [bejahenden - wp] Urteils hat.

In den angeführten Vernunftschlußbeispielen betrachtet die Logik die Bejahung und Verneinung offensichtlich als relative Urteilseigenschaften, so daß dasselbe Urteil in einer Hinsicht als bejahend, in anderer aber als verneinend gelten kann.

Wenn aber die Logik in dieser Weise, die "Urteilsqualität" bald absolut bald relativ aufzufassen sucht, so beweist dies, daß hier unter einer gleichen Bezeichnung verschiedenartige Elemente vermengt werden. Was aber in der Tat so leicht nicht auseinandergehalten werden kann, ist die grammatische, die psychologische und die logische Seite des Urteils. Wer in der logischen Analyse den Satz: "6 dividiert durch 2 ergibt keinen Rest" als negativ, den Satz: "6 kann restlos durch 2 dividiert werden" hingegen als affirmativ ansieht, der läßt sich dabei vom Vorhandensein oder Fehlen des Wörtchens "kein" leiten, d. h. setzt einen grammatischen Unterschied einem logischen gleich. Zweifelsohne ist aber die grammatische Form in diesem Fall, wie in jedem anderen nicht nur mit der logischen nicht identisch, sondern kann nicht einmal als irgendein zuverlässiger Hinweis auf die letztere dienen. Dies ist so offensichtlich, daß es nutzlos erscheint, sich mit der Frage noch weiter abzugeben. Viel schwieriger ist schon die Frage nach dem Unterschied zwischen der logischen und der psychologischen Seite der Bejahung und Verneinung. Dieser wollen wir uns nun auch mit aller Aufmerksamkeit zuwenden.

Es ist von vornherein zu erwarten, daß bei der Behandlung des Urteils im Zusammenhang der Schlußfolgerung die Logik wirklich auf die logische Seite des Urteils bedacht ist, da ja jede falsche Theorie sich selber sofort dadurch bloßstellt, daß sie ihre Unfähigkeit, alle Fälle der folgerichtigen Vernununftschlüsse zu umfassen, an den Tag legt. Dagegen gebricht es der an einem isolierten Urteil orientierten Untersuchung an einer solchen Kontrollinstanz, und es ist deshalb nur erklärlich, daß die Urteilslehren so oft eine unbewußte Vermengung des Psychologischen mit dem Logischen in sich bergen. In der weiteren Entwicklung des logischen Systems, mit dem Übergang namentlich von der Urteilslehre zur Theorie der Vernunftschlüsse rächen sich die begangenen Fehler, sofern man Vorbehalte, Berichtigungen und Ergänzungen zu Hilfe nehmen muß, welche streng genommen von der Ungenauigkeit, ja von der Falschheit der allgemeinen logischen Urteilslehre deutlich Zeugnis ablegen.

Im Nachstehenden wollen wir uns auch gerade dieses äußeren Kriteriums der richtigen Urteilslehre bedienen: sobald irgendeine Theorie die "Qualität" des Urteils für absolut erklärt und sich zugleich als unfähig erweist, die Negativität und Positivität der Prämissen voneinander zu unterscheiden, so liegt Grund genug vor, an ihrer logischen Richtigkeit oder zumindest an ihrer Vollständigkeit zu zweifeln.

Der weitesten Verbreitung erfreut sich bis zum heutigen Tag die Lehre, nach der die Bejahung und Verneinung im Urteil nichts anderes als ein Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat des Urteils bedeutet. Der Definition des ARISTOTELES zufolge ist "ein Urteil eine Aussage, in der etwas von etwas bejaht oder verneint wird", Wahrheit und Falschheit sind allein im Urteil zu finden, in der Verbindung oder in der Trennung. Danach fungiert im Satz: "S ist nicht P" als Prädikat der Begriff P, dagegen gehört das "Nicht" weder zum Prädikat noch zum Subjekt des Urteils, vielmehr steht es zwischen Subjekt und Prädikat und verleiht ihrem gegenseitigen Verhältnis Ausdruck, und zwar dem der Trennung im Gegensatz zur Verbindung, welche für das bejahende Urteil charakeristisch ist. Da nun dieses Verhältnis der Verbindung und Trennung innerhalb des Urteils besteht, so legen wir, indem wir ein Urteil in seiner Gesamtheit als bejahend oder verneinend bezeichnen, ihm eine absolute Charakteristik bei. Wie gesagt, reicht schon dieser Umstand allein aus, um Zweifel darüber aufkommen zu lassen, ob eine solche Lehre überhaupt noch logisch relevant ist.

Unterziehen wir diese Theorie einer ausführlichen Analyse. Ist die Bejahung und Verneinung im Urteil durch das Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat bedingt, so lautet die nächste Frage: wie ist dieses Verhältnis geartet? Über die Verhältnisse zwischen Begriffen und Urteilen, sofern sie im Vorhandensein der widersprechenden Elemente A und Non-A begründet sind, wissen wir genau Bescheid. Derartige Begriffe und Urteile heißen im Verhältnis zueinander gegensätzlich und werden in zwei Unterarten eingeteilt: in konträre und kontradiktorische. Auf dem Gegenpol sind jene Begriffe und Urteile gelegen, welche im Verhältnis zueinander identisch sind, wie auch diejenigen, deren Inhalte sich teilweise decken (Gattungs- und Artbegriffe, unterordnende und untergeordnete Sätze).

Das Verhältnis der Identität zwischen bereits feststehenden Urteilen und neu ausgesprochenen bildet den logischen Grund für den psychischen Akt der Zustimmung zu der neuen Aussage (für den Bejahungsakt). Das Verhältnis des Widerspruchs zwischen bereits gründlich feststehenden Sätzen und einem neuen Satz bildet den wichtigsten logischen Grund für den psychischen Akt der Verwerfung des neuen Satzes (für seine Verneinung). Die psychischen Akte der Bejahung (Zustimmung) und Verneinung (Verwerfung) sind von den logischen Verhältnissen der Identität und des Widerspruchs unendlich verschieden; sie bedeuten ganz verschiedene Elemente des Wissens; ein flüchtiger Blick auf jedes von ihnen insbesondere muß genügen, um klar zu Bewußtsein zu bringen, daß man es hier mit Sprößlingen verschiedener Weltsphären zu tun hat. Allerdings wird in unserem Wissen das logische Verhältnis der Identität und des Widerspruchs gar häufig von den psychischen Akten der Zustimmung und Verwerfung begleitet, wenn auch die Zahl dieser Fälle von uns erheblich überschätzt wird. Notwendigkeit ist die augenscheinlichste und unüberwindlichste für unser Denken. Aus vielen Gründen, auf die wir hier nicht eingehen können, bestand unter den Fachlogikern von jeher eine Vorliebe, die Notwendigkeit mancher oder gar aller Urteile auf einem Identitäts- und Widerspruchsverhältnis zu fundieren, d. h. ihnen einen durchaus analytischen Charakter beizulegen. Diese Vorliebe hat am ehesten dazu beigetragen, den Schein zu erwecken, als wäre der Bejahungsakt stets vom Verhältnis der Identität, der Akt der Verneinung stets vom Kontradiktionsverhältnis zwischen Subjekt und Prädikat begleitet. Hieraus erhellt sich die Möglichkeit der Vermengung so verschiedenartiger Elemente, wie es die psychischen Akte der Zustimmung und Verwerfung einerseits, die logischen Verhältnisse der Identität und des Widerspruchs andererseits sind. Es ist ohne weiteres klar, daß die Sprachformen dieser Vermengung nur entgegenkommen, indem sowohl die entschiedene Zurückweisung als auch der augenscheinliche Widerspruch durch dieselben Wörter: "Nein", "Nicht" ausgedrückt werden.

Der wichtigste Anlaß aber, diese psychischen Akte mit den logischen Urteilselementen zu verwechseln, liegt vielleicht im Folgenden: als Urteil wird das Ergebnis der Erkenntnistätigkeit bezeichnet, das Wahrheit oder Falschheit in sich enthält. Allein man kann jemanden als im Irrtum begriffen oder als für die Wahrheit eintretend nur dann anerkennen, wenn er zum objektiven Gehalt des ausgesprochenen Gedankens seine Zustimmung oder Zurückweisung, d. h. den Bejahungs- oder Verneinungsakt hinzufügt. Hieraus entspringt der Schein, als würden erst diese Akte dem Aussageinhalt den Wahrheits- oder Falschheitscharakter und infolgedessen scheint es, als bildeten gerade sie den wichtigsten logischen Bestandteil des Urteils. Tatsächlich ist aber die Wahrheit des Urteils, wie es sich ja von selbst versteht, nicht sowohl durch den Akt reiner Zustimmung, als vielmehr durch jene objektive Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat bedingt, welche mich zwingt, dem Urteil zuzustimmen, wenn ich überhaupt mit der Wahrheit in Einklang bleiben will. Folglich gehört der psychische Bejahungsakt gar nicht zur logischen Seite des Urteils und kann allein in psychologischer Hinsicht Interesse gewinen, sofern er nämlich die erkennende Person als ein bei der Stimmabgabe bedachtes oder unbedachtes, leidenschaftsloses usw. Individuum charakterisiert. Allein die Tatsache, daß die Verknüpfung von Subjekt und Prädikat ständig von den Akten der Bejahung und Verneinung begleitet ist, läßt diese verschiedenartigen Elemente in unserem Bewußtsein so miteinander verschmelzen, daß wir sie schwerlich voneinander zu unterscheiden vermögen, und nun erscheint es uns, als wäre die Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat selber irgendein affirmatives oder negatives Verhältnis unter ihnen. Es wurde jedoch bereits gezeigt, daß dieser Gedanke nur dann nicht ganz sinnlos ist, wenn zwischen Subjekt und Prädikat stets ein Identitäts- oder Widerspruchsverhältnis obwaltet, d. h. falls alle Urteile analytisch wären. Indessen ist aufgrund der Lehre KANTs nicht zu leugnen, daß alle unser Wissen erweiternden Sätze einen synthetischen Charakter aufweisen. In diesen besteht zwischen Subjekt und Prädikat (z. B. zwischen den Begriffe "6" und "ein restlos durch 2 Dividierbares") weder ein Identitäts- noch ein Widerspruchsverhältnis. Hält man das einmal fest, so muß man zugleich die Lehre aufgeben, nach der die "Qualität" des Urteils durch das Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat bedingt ist. Und wirklich, mit Ausnahme des Identitäts- und Widerspruchsverhältnisses ist es unmöglich, irgendein anderes logisches Verhältnis zwischen Begriffen ausfindig zu machen, in dem die Verneinung eine Rolle spielen könnte. Auch der Begriff der Trennung behebt die Schwierigkeiten nicht. Will man dabei auf das unklare Raumbild verzichten, so wird es gänzlich unbegreiflich. Welcher Sinn könnte dann dem Terminus "Trennung" überhaupt noch abgewonnen werden. Jedenfalls muß es unverständlich bleiben, welche logische Bedeutung er da haben kann, wo das Widerspruchsverhältnis aus dem Spiel bleibt. Und dann kommt noch ein anderes hinzu. Wäre diese Ansicht richtig, so müßte sich eine unüberbrückbare Kluft zwischen den bejahenden und verneinenden Urteilen auftun. Der erste Blick müßte dann verraten, welchem Typus jedes Urteil angehört und grammatische Umformungen von der Art: "6 kann restlos durch 2 dividiert werden" und "6 dividiert durch 2 ergibt keinen Rest" wären ganz ausgeschlossen; denn der logische Kern des ersten Satzes müßte offenbar in der zwischen Subjekt und Prädikat bestehenden Verknüpfung beschlossen liegen, folglich müßte man annehmen, daß nach der erfolgten grammatischen Umformung der zweite Satz, da er mit dem ersten gleichbedeutend ist, seinen logischen Inhalt behalten hat, d. h. daß er eine Verbindung und keine Trennung aufweist.

Sehen wir nun näher zu, welchen Charakter das Subjekt-Prädikatverhältnis im eben erwähnten Satz besitzt. Offensichtlich ist der Inhalt des Begriffes "6" unzertrennlich mit dem Inhalt des Begriffs "ein restlos durch 2 Dividierbares" verbunden; wo das eine ist, muß notwendigerweise auch das andere zutreffen; es besteht somit zwischen ihnen ein Verhältnis funktionaler Abhängigkeit; insofern dieses Verhältnis in den Urteilsgehalt eingeht und seine logische Einheit stiftet, kann es als ein Grund- und Folgeverhältnis bezeichnet werden. Zweifellos bleibt die Urteilseinheit gewahrt, auch wenn wir den erwähnten Satz mit den Worten: "6 dividiert durch 2 ergibt keinen Rest" wiedergeben; denn diese ist in einem Grund- und Folgeverhältnis begründet und allein seine wörtliche Form veranlaßt uns zu meinen, als bezöge sich die Rede nicht auf die Verbindung, sondern auf die Trennung der Begriffe.

Nun wollen wir den Grund aufhellen, wieso es uns gelingen konnte, denselben Satz sowohl durch das Wörtchen "kein", als auch ohne dasselbe auszudrücken. Dies ist im Übrigen keine besondere Seltenheit. Bekanntlich kann jedes Urteil einer derartigen Umformung unterzogen werden; statt: "Das Schnabeltier ist ein Vogel" kann man auch: "Das Schnabeltier ist kein Nicht-Vogel" sagen. Und mit Recht, denn jedes Urteil stellt einen bestimmten Sachverhalt fest. Die Bestimmtheit ist aber nur dann gesichert, wenn sie sowohl von der positiven als auch von der negativen Seite her festgestellt ist, d. h. sowohl in der Angemessenheit des Identitäts- als auch des Widerspruchsgesetzes, nämlich als irgendein A, das das Nicht-A ausschließt. "Ein jedes ist überhaupt, was es ist, nur dadurch, daß es sich unterscheidet." - sagt Natorp. Zutreffend stellt GABRILOWITSCH den Charakter dieser analytischen Bestimmtheit in seinem Artikel "Über Bedeutung und Wesen der Elementarbegriffe" dar - "Rot" ist das, was sich von "Grün" und von "Gelb" abhebt (mit denen zusammen es jedoch eine Einheit höherer Ordnung bildet). Gesetzt in einem gegebenen System fallen die Einheiten: "Gelb", "Grün", "Blau" aus, so würde auch der Begriff "Rot" seinen ursprünglichen Sinn verlieren.

Die Kategorie der Qualität äußert sich also in der Fixierung irgendeiner A-heit, wobei letztere die Fähigkeit besitzt, allein vermöge der Ausschließung aller Nicht-A-heit aus ihrem Gehalt bestimmt zu werden; mit anderen Worten: die Qualität ist stets positiv-negativer Natur. Die Verbindung von Positivität und Negativität bildet die logische Voraussetzung der Denkbarkeit der Qualität; wie alle anderen ideellen Grundlagen der Denkgegenstände, bestehen auch Positivität und Negativität nicht beziehungslos nebeneinander, sondern in einer organischen unzertrennlichen gegenseitigen Verknüpfung. Indem ich diese Doppelseitigkeit der qualitativen Bestimmtheit hervorhebe, fasse ich allein die logische Lehre von der Qualität ins Auge. Man könnte nun sagen, die Anerkennung einer unzertrennlichen Verknüpfung zwischen der Positivität und Negativität führt unvermeidlich zu einem Ontologisieren der Negativität. Um der Untersuchung dieser verwickelten Frage hier zu entgehen, will ich mich mit einem argumentum ad hominem [Polemik in Bezug auf die Person des Gegners - wp] begnügen, das aber gegenüber einer beträchtlichen Gruppe zeitgenössischer Philosophen geltend gemacht werden kann. Gewiß, die oben dargelegten Erwägungen müssen zu einem Ontologisieren der Negativität führen bei einer folgerichtigen Entwicklung all jener Theorien, denen zufolge das denkbare Sein das Sein selber bedeutet. Ob diese Lehre als eine Behauptung der Identität von Denken und Sein entwickelt wird, wie in manchen Lehren des modernen transzendentalen Idealismus, oder ob im Weg der Behauptung der Identität des Denkbaren (d. h. desjenigen, worauf sich der psychische Denkakt richtet) und des Seins, wie dies der Intuitivismus tut, - dies bleibt sich gleich: auf dem einen, wie auf dem anderen Weg muß man zugeben, daß die Positivität und Negativität gleichberechtigte und unzertrennlich miteinander verbundene Seiten der Qualität als Bestimmtheit bilden.

Bei den Urteilen äußert sich die geschilderte Natur der qualitativen Bestimmtheit darin, daß jedes Urteil eine Aussage über einen bestimmten Sachverhalt bedeutet, welche dadurch charakterisiert werden kann, daß die Fixierung dieses Verhaltes eine Ausschließung des widersprechenden Sachverhaltes einschließt. Hat man einmal die Natur des Urteils in dieser Beziehung erkannt, dieses gleichzeitige und unzertrennliche Ineinandersein von Positivität und Negativität in ihm, so muß auch begreiflich werden, wieso jedes Urteil zugleich in einer grammatisch-bejahenden und -verneinenden Form ausgedrückt werden kann und es muß zugegeben werden, daß ein von verschiedenen relativen Standpunkten aus betrachtetes Urteil in einer Hinsicht als positiv, in der anderen hingegen als negativ bezeichnet werden kann.

Was nun die psychologische Seite des Urteils anlangt, so äußert sich diese in der Sphäre der Bejahungs- und Verneinungsakte (Zustimmung und Verwerfung) darin, daß die Akte der Bejahung und Verneinung nicht nur logisch einander fordern, sondern auch in der Realität als psychische Prozesse öfters zugleich oder in unmittelbarer Aufeinanderfolge verwirklicht werden, je nachdem welcher Standpunkt in einem gegebenen Zeitpunkt gemäß dem Verlauf der Diskussion, der Untersuchung usw. uns vorwiegend interessiert. Demnach können auch die psychologischen Akte nicht für die absolute Affirmativität oder Negativität des Urteils maßgebend sein. So wird z. B. die ihrem logischen Gehalt nach identische Aussage: "29 kann nicht in Faktoren zerlegt werden" trotz der negativen Natur des grammatischen Satzcharakters häufig in Begleitung eines realen psychischen Bejahungsaktes ausgesprochen (d. h. mit Zustimmung dazu, daß die Inhalte der Begriffe "29" und "Unzerlegbarkeit in Faktoren" notwendig miteinander verbunden sind), es sind jedoch auch Fälle möglich, wo dasselbe Urteil in Begleitung eines realen psychischen Verneinungsaktes (d. h. mit einer Zurückweisung der notwendigen gegenseitigen Verknüpfung von "29" und "Zerlegbarkeit in Faktoren") verlautbart wird.

Achtet man nicht darauf, daß die Zustimmung logisch die Zurückweisung stets voraussetzt und umgekehrt (in dieser Beziehung fällt die Zustimmung unter das oben gekennzeichnete Gesetz, das alle qualitative Bestimmtheit beherrscht), und richtet man sein Augenmerk darauf, daß in einigen Fällen realiter mit der Urteilsaussage ausschließlich der Zustimmungsakt, in anderen Fällen hingegen real allein der Zurückweisungsakt verwirklicht wird, so liegt die Versuchung nahe, den Unterschied zwischen den bejahenden und verneinenden Sätzen gerade im Vorhandensein dieser psychischen Akte zu erblicken. Dieser Ansicht steht namentlich SIGWART sehr nahe, ohne sie vollständig zu teilen.

Wieviele andere unter den modernen Logikern, verwirft auch SIGWART die aristotelische Auffassung der "Urteilsqualität": er weist alle Theorien zurück, welche die Verneinung in die "Kopula" hineinlegen wollen.
    "Ein Band, welches trennt", sagt Sigwart, "ist ein Unsinn. Vielmehr hat im verneinenden wie im bejahenden Urteil die eigentliche Kopula (sprachlich die Verbalendung) genau denselben Sinn: die urteilsmäßige positive Beziehung von Subjekt und Prädikat, ein Hinsagen des Prädikats auf das Subjekt auszudrücken, den Gedanken zu erwecken, daß das Prädikat dem Subjekt zukommt."
Diese Bemerkungen, die das Wesen des Urteils als eine Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat, als eine Zugehörigkeit des Einen zum Anderen richtig treffen, rufen natürlicherweise die Erwartung hervor, daß SIGWART den Weg betreten wird, den wir oben vorgezeichnet haben: daß er nämlich die Verneinung von der "Kopula" auf das Prädikat übertragen wird. Indessen verzichtet SIGWART bekanntlich auf diesen Weg, denn sonst müßte er die Objektivität der Negativität anerkennen; nach der Meinung SIGWARTs ist aber den realen Dingen die Positivität allein eigen:
    "Was sie nicht sind, gehört niemals zu ihrem Sinn und Wesen; es ist nur vom vergleichenden Denken von außen an sie herangebracht, und es handelt sich nur darum, zu erkennen, warum wir dieser subjektiven Umwege bedürfen, um die Welt des Realen zu erkennen, in der kein Gegenbild unseres verneinenden Denkens existiert."
Diese die Negation subjektivierende und psychologisierende Bemerkung läßt es sofort klar werden, daß die negativen Urteile in der Logik SIGWARTs schlecht davon kommen werden und daß statt einer logischen Theorie der negativen Urteile eine psychologische Lehre auftauchen muß. Und in der Tat:
    "Die Verneinung", meint Sigwart, "richtet sich immer gegen den Versuch einer Synthesis, und setzt also eine irgendwie von außen herangekommene oder innerlich entstandene Zumutung, Subjekt und Prädikat zu verknüpfen, voraus. Objekt einer Verneinung ist immer ein vollzogenes oder versuchtes Urteil, und das verneinende Urteil kann also nicht als eine dem positiven Urteil gleichberechtigte und gleich ursprüngliche Spezies des Urteils betrachtet werden."
Die einfachsten, unmittelbaren, in der Evidenz der Anschauung, begründendeten Urteilsakte sind nach der Meinung SIGWARTs weder verneinend noch bejahend; vielmehr sind sie positiv. Erst mit dem Aufkommen von Urteilen, welche die Grenzen des Gegebenen überschreiten, entstehen auch die Versuche einer Synthese, die bei Erkenntnis ihrer Undurchführbarkeit, mit einer Verneinung enden. Folglich setzt sich das positive Urteil aus drei Elementen zusammen: "aus einem Subjekt, Prädikat und aus dem Gedanken ihrer Einheit", im negativen Urteil gesellt sich zu diesen dreien noch ein viertes - das "Nein!"
    "Das Urteil A ist nicht B bedeutet soviel wie: Es ist falsch, es darf nicht geglaubt werden, daß A B ist; die Verneinung ist also unmittelbar und direkt ein Urteil über ein versuchtes oder vollzogenes positives Urteil, erst indirekt ein Urteil über das Subjekt dieses Urteils."

    "Die Kopula ist nicht der Träger, sondern das Objekt der Verneinung; es gibt keine verneinende, sondern nur eine verneinte Kopula."
Somit bildet die Negation nach SIGWART ein Urteil über ein Urteil und zwar ein Urteil über die Falschheit eines versuchten positiven Urteils. Nur insofern es ein die Falschheit feststellendes Urteil ist, enthält es gleich den positiven Urteilen eine Affirmation. (Ja, es ist falsch, daß A B ist.)

Die dem negativen Urteil von SIGWART zuteil gewordene Charakteristik ist absolut und in der Tat ist es für SIGWART unmöglich zur selben Zeit zu behaupten, daß der Satz: "Die Moslems sind keine Christen" einerseits eine Ablehnung einer mißlungenen Synthese, andererseits aber eine glückliche Synthese der Begriffe "Moslems" und "Nicht-Christen" bedeutet, denn das hieße, seiner eigenen Lehre von den bejahenden Urteilen zufolge, die Negativität zugleich subjektiv und nicht subjektiv auffassen. Als eine absolute reicht diese Charakteristik nicht aus, die "Qualität" der Prämisen in den Schlußfolgerungen zu bestimmen. Aber was an dieser Lehre besonders mangelhaft erscheint, ist die Annahme, als bildeten die verneinenden Urteile im Vergleich zu den bejahenden gleichsam ein Sekundäres, Abgeleitetes.
    "So hängt", nach Sigwart, "die Negation in doppelter Weise von einem positiven Urteil ab: sie setzt als Objekt ein solches voraus, das mit der Erwartung seiner Gültigkeit gedacht wurde und weist eine versuchte Behauptung ab; und der Grund dieser Abweisung ist ursprünglich wieder etwas Positives - ein gegebenes Objekt, dessen Unterschied von meiner Vorstellung erkannt wird."
Den Grund zur Abweisung, d. h. zur Anerkennung der Falschheit gibt also die Unterschiedenheit des gegebenen Objekts gegenüber meiner Vorstellung. Sehen wir nun näher zu, worin diese Unterschiedenheit besteht und wählen wir dazu ein Beispiel, das zu dem von SIGWART dargestellten Prozeß des verneinenden Urteils passen soll. In der irrtümlichen Meinung, heute sei Kaisergeburtstag, schaue ich zum Fenster hinaus und vermute "die Häuser geflaggt" zu erblicken; es stellt sich aber heraus, daß "die Häuser nicht geflaggt sein". Nach SIGWART ist dieser Satz eine Abweisung eines versuchten positiven Urteils, d. h. die Anerkennung seiner Falschheit, wobei den Grund für die Abweisung eben die Unterschiedenheit des gegebenen Objekts von meiner Vorstellung desselben bildet. Betrachten wir also näher, worin denn diese Unterschiedenheit besteht. Zweifellos besteht sie gerade im Fehlen der Flaggen und einmal bemerkt - und bemerkt muß sie werden, um den Grund für die Abweisung eines positiven Urteils abgeben zu können - findet sie in der Form des Satzes: "Die Häuser sind nicht geflaggt" ihren Ausdruck. Im Besitz des als wahr anerkannten Satzes: "Die Flaggen sind nicht gehißt" gewinne ich nunmehr das Recht auf die Abweisung, d. h. auf die Anerkennung der Falschheit meiner ursprünglichen Vermutung. Die Prozeßordnung stellt sich mit anderen Worten nach SIGWART folgendermaßen dar: wir beginnen mit einer bejahenden Vermutung, finden die Unterschiedenheit des gegebenen Gegenstandes von unserer Vermutung heraus, und vollziehen sodann den Abweisungsakt hinsichtlich der bejahenden Vermutung ("Nein!"), was eben den Inhalt des negativen Urteils bildet. Mir scheint hingegen diese Ordnung eine andere zu sein: wir beginnen in dem eben angeführten Beispiel mit der Vermutung: "Die Häuser sind geflaggt", gehen dann aufgrund der Wahrnehmung (nicht nur zum Erlebnis der "Unterschiedenheit", sondern auch) zum Satz: "Die Häuser sind nicht geflaggt" und gewinnen erst dann, indem wir auf die ursprüngliche Vermutung zurückgreifen, das logische Recht auf die Abweisung, d. h. auf die Anerkennung der Falschheit unserer Vermutung; somit ist diese Abweisung ausschließlich eine Folge oder richtiger eine Seite des negativen Urteils und keineswegs sein Wesen.

Hat man einmal aus dem Gehalt des Denkens irgendein logisches Element verbannt, so wird man es nie und nimmermehr aus anderen zusammenfügen können; indem man es aus anderen Elementen zu konstruieren sucht, sieht man sich genötigt zu einer großen Anzahl solcher Bestimmungen seine Zuflucht zu nehmen und doch ergibt auch ihre Vereinigung nicht das, was angestrebt worden ist. In einer derartigen Lage befindet sich augenscheinlich SIGWART. Schon vor dem negativen Urteil findet er das Erlebnis der "Unterschiedenheit" und im negativen Urteil selber nicht drei Elemente, wie in den bejahenden Urteilen, sondern vier. Und doch kann ungeachtet dieses ganzen Materialaufwandes aus ihm die Wahrheit: "Die Häuser sind nicht geflaggt" nicht aufgebaut werden. Vor allem, was für eine "Unterschiedenheit" ist es, die das Abweisungsrecht gegenüber der Vermutung: "Die Flaggen sind gehißt", zu verleihen vermag? Die Tatsache, daß ich auf ein "Anderes" wie das Gesuchte gestoßen bin, kann für sich allein noch nicht hinreichend sein, um ein logisches Abweisungsrecht gegenüber dem Gesuchten zu begründen; ich bin ja tatsächlich einem "Anderen" begegnet; heißt das aber, daß auch ein sorgfältigeres Suchen neben diesem "Anderen" das ursprünglich Vermutete nicht entdecken würde? Ein logisches Recht zu behaupten, daß alle weiteren Nachforschungen vergebens wären, hätten wir nur in dem Fall, wenn das "Andere" nicht ein zufälliges "Anderes" sein würde, sondern ein solches, das im Verhältnis des Widerspruchs (oder des Gegensatzes) zum ursprünglichen Urteil stünde; im gegebenen Fall würde dies der Satz: "Die Häuser sind nicht geflaggt" sein, welcher erst mein Recht auf die Verwerfung (Anerkennung der Falschheit) des Satzes: "Die Flaggen sind gehißt" begründen könnte.

Um diesen Gedanken in allen seinen Richtungen zu verfolgen, wollen wir noch ein anderes Beispiel nehmen, das für SIGWARTs Theorie etwas günstiger ist. Nehmen wir an, ich trete an ein Gewicht, das ich in die Höhe heben muß, mit dem Gedanken heran: "Dieser Körper ist schwer"; indem ich mich ihm aber nähere, bemerke ich noch etwas "anderes" als die Schwere: ich sehe nämlich, daß der Körper "braun" ist. Obwohl das "Braunsein" mit dem "Nichtschweren" sich nicht deckt (wie jede andere qualitative Bestimmtheit schließt sich ja aus ihrem Gehalt die ganze Welt mit Ausnahme ihrer selbst aus), entsteht mir daraus noch kein Recht auf die Verwerfung der Vermutung: "Dieser Körper ist schwer": ein und dasselbe Subjekt (Körper) kann in verschiedener Hinsicht mit zwei Prädikaten verbunden sein, welche, was ihren eigenen Gehalt anlangt, sich gegenseitig ausschließen. Ohne Zweifel wird jeder Anhänger SIGWARTs diesem Gedankengang, welcher die Unzulänglichkeit der "Unterschiedenheit" allein beweisen will, zustimmen müssen; er wird aber dabei nicht stehen bleiben wollen und wird hinzufügen, daß man dennoch sehr wohl einen Unterschied ausfindig machen kann, welcher, obgleich ebenso positiv wie das "Braunsein", dennoch die "Schwere" als seinen direkten Gegensatz auszuschließen imstande wäre; so würde ich z. B., falls ich beim Versuch, das Gewicht in die Höhe zu ziehen, bemerken würde, daß "der Körper leicht ist" zugleich infolge dieser Unterschiedenheit das volle Recht erlangen, die ursprüngliche Vermutung zu verwerfen. Auf diese Weise wird der Parteigänger SIGWARTs daran festhalten, daß das negative Urteil etwas Abgeleitetes bietet, welches ausschließlich als eine Verwerfung (als Anerkennung der Falschheit) eines anderen Urteils hervortreten kann. Diese Erwägung ist jedoch nichts weniger als stichhaltig. Das logische Recht, die "Schwere" endgültig abzulehnen, kann nicht einzig und allein auf der von der letzteren unterschieden befundenen "Leichtigkeit" beruhen. In der Tat, die "Leichtigkeit" kann mit der "Schwere" ebenso koexistenz sein, wie das "Braune": es steht nichts Logisches im Weg, daß das in einer Beziehung "leichte" in anderer Beziehung "schwer" wäre. Ein logisches Hindernis tritt erst mit dem Auftreten eines Widerspruchs in den Weg. Dieser kann aber wiederum erst dann entstehen, wenn wir dem Körper in ein und derselben Beziehung sowohl die "Leichtigkeit" als auch die "Schwere" zuschreiben würden, d. h. wenn wir die "Leichtigkeit" des Körpers selber seiner "Schwere" gleichsetzen. Worin besteht aber hier der Widerspruch? Eigentlich setzt ein Widerspruch eine Negation voraus; hier sind uns aber zwei Positionen gegeben - wieso könnte also aus zwei Positionen allein ein Widerspruchsverhältnis entspringen? Gerade diesem Bedenken zu begegnen war die obige Qualitätslehre bestimmt. Die Qualität ist stets eine positiv-negative Bestimmtheit; die "Leichtigkeit" bedeutet eine bestimmte Qualität allein sofern sie den ziemlich dürftigen, beschränkten Inhalt des "Leichten und nicht Schweren" umschließt. Dank dieser ursprünglichen von mir behaupteten, in den Gehalt des Urteils: "Dieser Körper ist leicht" eingehenden Negativität gelange ich in der Tat zu einem Widerspruch, wenn ich jetzt auf die Vermutung: "Dieser Körper ist (in demselben Sinn) schwer" gedanklich zurückgreife und erlange damit zugleich zum ersten Mal das logische Recht, ohne weiteres dem Urteil: "Dieser Körper ist schwer" das "Nein" hinzuzufügen. Mit anderen Worten, der Aufhebung des positiven Urteils, welche Sigwart allein im Auge hatte und die im Objekt selber nichts bestimmt, geht die Behauptung des Urteils mit verneinendem Prädikat: "Der Körper ist nicht schwer" voran, welches im Gegensatz zu ersterem im Objekt selber eine gewisse Seite seiner Bestimmtheit hervorhebt.

Dies kann auch so ausgedrückt weren: in seiner Schilderung der verneinenden Sätze hat SIGWART in ihren Bestand ausschließlich das "Nein" eingeführt und sie durch ein dergestaltiges "Ja" ergänzt, das allein die Falschheit behauptet, während in Wahrheit auch in diesen wie überall das "Ja" und das "Nein" zugleich und unzertrennlich miteinander verknüpft enthalten sind.

Die zuerst gegen ARISTOTELES und dann gegen SIGWARTs Theorie hier ausgesprochenen Bedenken involvieren auch gewisse Einwände gegen die Lehre WINDELBANDs. Das Urteil - behauptet WINDELBAND - enthält in sich nicht allein Produkte der theoretischen, sondern zugleich auch der praktischen Tätigkeit des Geistes. Die theoretische Seite des Urteils bildet die Verknüpfung der Vorstellungen ohne Bewertung ihres Wahrheitsgehaltes. Rein ist sie ausschließlich in den problematischen Urteilen anzutreffen. Eine Ergänzung dieser theoretischen Seite der Bejahung oder Verneinung bildet die Funktion des praktischen Geistes, welche in der Gutheißung oder Verwerfung der Vorstellungsverknüpfung vom Standpunkt der Wahrheit ihren Ausdruck findet. Der Unterschied zwischen den bejahenden und verneinenden Urteilen besteht gerade in dieser praktischen Seite; im Fall der Gutheißung entsteht ein bejahendes, im Fall der Zurückweisung ein verneinendes Urteil.

Dazu ist nun Folgendes zu bemerken: Die praktische Funktion der Gutheißung oder Verwerfung bildet einen psychischen Akt. Somit ist die Einteilung der Urteile, welche sich auf eine Unterschiedenheit dieser Akte stützt, eine psychologische und keineswegs eine logische Klassifikation. Es ist in der Tat SIGWART zuzustimmen, wenn er sagt, daß wir
    "das Falsche zurückweisen, weil es falsch ist; nicht deshalb ist es aber falsch, weil wir es zurückweisen".
Die logischen Unterschiede sind in den Vorstellungsverknüpfungen selber und in ihren Verhältnissen zueinander enthalten, welche den Anlaß zur Gutheißung des Einen und zur Verwerfung des Anderen darbieten, keineswegs aber in diesen Akten der Gutheißung oder Verwerfung. Den logischen Anlaß zur Verwerfung der Aussage: "Dieser Körper ist schwer" kann, wie bereits oben erwähnt, allein das Vorhandensein einer ihr widersprechenden Vorstellungsverknüpfung: "Dieser Körper ist nicht schwer" darbieten.

Die Tradition des Subjektivierens der Negation hat sich dermaßen fest eingebürger, daß sogar logische Systeme, welche nachdrücklich die Lehre von der Identität des Denkens und Seins betonen, für die Negativität dennoch eine Ausnahme zulassen, indem sie nämlich diese in den Bestand des Seins nicht einzuschließen wagen und auf diese Weise sich in offensichtliche Inkonsequenzen verwickeln. Dieser Vorwurf kann z. B. gegen COHENs "Logik der reinen Erkenntnis" mit Recht erhoben werden. Denken ist Sein und Sein heißt Denken - lehrt COHEN. Das Denken ist eine Erzeugung, in der kein Unterschied zwischen dem Erzeugenden und dem Erzeugten besteht; die Erzeugung zwischen dem Erzeugenden und dem Erzeugten besteht; die Erzeugung selber bildet gerade den Inhalt, der erzeugt wird (die Erzeugung selber ist ein Erzeugnis). Somit wäre es falsch nach COHEN anzunehmen, das Denken sei die Erzeugung, das Sein aber Erzeugnis: vielmehr deckt sich das Eine mit dem Anderen. Was lehrt nun COHEN vom negativen Urteil? "Die Sicherung der Identität gegen die Gefahr des Non-A - das ist der Sinn der Verneinung", sagt COHEN.
    "Dem Urteil der Verneinung die Selbständigkeit abzusprechen, als käme das Nein hinterher, und gleichsam post factum hinzu, ist eine psychologische Verirrung."
Die Gefahr dieser Verirrung besteht in Folgendem:
    "Die Identität wäre die Anerkennung einer nackten Tatsache, wie man es zeitweilig geglaubt hat, geblieben, daß A ungeachtet aller bedrohlichen Veränderungen zumindest bis jetzt noch Kraft genug besitzt, sich zu behaupten. Die Identität wäre keine prinzipielle Forderung gewesen, daß A als ein Urteilserzeugnis identisch gewahrt bleibt, würde nicht diese Kompetenz durch den Widerspruch befestigt."
Ungeachtet dieser Bedeutung der Negation für die Identität lehnt COHEN dennoch ab, in der Verneinung ein Element, das den Dingen immanent ist, anzuerkennen und es in den Inhalt des Urteils einzufügen. Die Negation - sagt COHEN - "muß eher als eine Tätigkeit des Urteils aufgefaßt werden", während "die Kontinuität und die Identität die Inhaltlichkeit des Urteils betreffen". Diese Abgrenzung würde verständlich sein, falls COHEN im Denken selber die Erzeugung vom Erzeugnis unterschieden hätte; dann könnte die Negation eine Urteilstätigkeit bedeuten, im Produkt des Urteils, im Gegenstandsinhalt hingegen würde dann keine Negativität enthalten sein. Eine derartige Auslegung verbietet jedoch entschieden die Lehre der Kongruenz von Erzeugung und Erzeugnis, so daß die Urteilstätigkeit (selbstredend, was ihre logische Seite anbelangt und nicht in Anbetracht des ihr zugrunde liegenden individuell-psychologischen Vorganges), wenn man die Lehren COHENs folgerichtig entwickelt, uns selber als Urteilsinhalt entgegentreten muß.

In den gegen das Subjektivieren und Psychologisieren der verneinenden Urteile gerichteten kritischen Gedankengängen ist die vom Verfasser vertretene Theorie bereits angedeutet. Sie besteht in Folgendem: Alle Urteile sind in Anbetracht ihres inneren Gefüges und namentlich in Anbetracht der Elementenanzahl und des Verhältnisses zwischen Subjekt und Prädikat gleich, denn alle setzen sie sich aus einem Subjekt, Prädikat und einem notwendigen Folgen des Subjekts auf das Prädikat zusammen: der Sinn eines jeden Urteils besteht darin, daß der Begriffsinhalt S den Begriffsinhalt P fordert, wobei letzterer sowohl positiv (z. B. "Christ") als auch negativ ("Nicht-Christ") ausfallen kann. Man kann vereinbaren, die Urteile mit positivem Prädikat bejahend und die mit negativem Prädikat als verneinend zu bezeichnen. Dabei soll bemerkt werden, daß diese Charakteristik ebenso von absoluter, wie von geringster Bedeutung für die Logik ist. Und in der Tat, in der allgemeinen Urteilslehre ist von entscheidender Bedeutung die Frage nach dem Wesen des Subjekt-Prädikatsverhältnisses, ob aber das Prädikat positiv oder negativ ist, dies vermag an diesem Verhältnis nichts zu ändern. Ebensowenig spiegelt sich diese Prädikatseigenschaft in der Struktur der Schlußfolgerungen wieder. Einen bedeutsamen Wert erhält jedoch die absolute Einteilung der Urteile in bejahende und verneinende ausschließlich in methodologischer Hinsicht, z. B. bei der Untersuchung der Frage nach der Kompliziertheit und Schwierigkeit der Begründungsart mancher Urteile mit dem Prädikat Non-A, z. B. des Satzes: "Im Kaukasus ist kein Golderz zu finden."

Für die Logik hat eine entscheidende Bedeutung nicht nur die absolute, sondern auch die relative Affirmativität und Negativität der Urteile. Um ihr Wesen zu bestimmen, wollen wir ein obiges Beispiel rekapitulieren. Aus den Prämissen: "Personen, welche keine Matura besitzen, haben nicht das Recht auf der Universität immatrikuliert zu werden; XY besitzt keine Matura" kann man über XY einen Schluß nach der ersten Figur ziehen, weil der Untersatz in diesem Fall bejahend ist; dagegen kann man aus den Prämissen: "Personen, welche eine Matura besitzen, haben das Recht auf der Universität immatrikuliert zu werden; XY besitzt keine Matura" keinen Schluß nach der ersten Figur ziehen, weil in diesem Fall der Untersatz negativ ist. Offenbar handelt es sich hier um eine relative Bejahung und Verneinung, denn beide Charakteristika beziehen sich auf ein und dasselbe Urteil. Als Glieder dieses Verhältnisses fungieren einerseits ein ganzes Urteil: "XY besitzt keine Matura", andererseits aber entweder der Begriff: "Eine Person, welche eine Matura besitzt". Somit ist die hier untersuchte Affirmativität und Negativität nicht durch das Verhältnis von Subjekt und Prädikat des Urteils bedingt, sondern durch das Verhältnis zwischen einem ganzen Satz und einem Begriff, der mit dem Prädikat identisch oder ihm entgegengesetzt ist. Indem wir von einem relativ bejahenden oder relativ verneinenden Satz reden, haben wir eine Verknüpfung oder Trennung im Auge, aber im Unterschied von der aristotelischen Lehre denken wir dabei nicht an eine Verknüpfung oder Trennung innerhalb des Urteils, sondern zwischen dem Urteil in seiner Gesamtheit und einem Begriff.

Die Haupteigentümlichkeiten dieser Lehre können wir in folgende Punkte zusammenfassen:
    1. im System der Logik gewinnt eine entscheidende Bedeutsamkeit nicht nur die absolute, sondern auch die relative Affirmativität und Negativität des Urteils, welche nicht auf dem Verhältnis der Urteilsglieder zueinander beruth, sondern auf dem Verhältnis des Urteils in seiner Gesamtheit zum Begriff;

    2. die bejahenden Urteile, d. h. die absoluten wie auch die relativen, können keine Priorität den verneinenden Sätzen gegenüber beanspruchen;

    3. das Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat ist in allen Urteilen eine notwendige Verknüpfung zwischen dem Subjektinhalt und dem Inhalt des Prädikats;

    4. alle Arten der Negativität und der Affirmativität beruhen auf einem Identitäts- und Widerspruchsverhältnis und bedürfen nicht der Annahme irgendeiner anderen Trennungsform unter den Begriffen, als derjenigen, welche auf einem Widerspruchsverhältnis beruth.

LITERATUR - N. O. Losski, Die logische und die psychologische Seite der bejahenden und verneinenden Urteile, Logos, Bd. 3, Tübingen 1912