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Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit [Eine Theorie der Wissenssoziologie] [3/7]
II. Gesellschaft als objektive Wirklichkeit 1. Institutionalisierung a) Organismus und Aktivität Der Mensch hat eine eigenartige Stellung im Reich der Tiere (1). Im Unterschied zu den anderen höheren Säugetieren hat er keine artspezifische Umwelt (2), keine Umgebung, deren Struktur ihm sein eigener Instinktapparat sichert. Es gibt keine Welt des Menschen in dem Sinne, wie man von einer Welt des Hundes oder des Pferdes sprechen kann. Ungeachtet eines individuellen Spielraumes der Lernfähigkeit und Speicherungsmöglichkeit für Gelerntes haben der einzelne Hund oder das einzelne Pferd zu einer gemeinsamen Umwelt aller Artgenossen weitgehend fixierte Beziehungen. Daher sind Hunde und Pferde offenbar geographisch gebundener als der Mensch. Dennoch ist die Spezifität der Umwelt der Tiere weit mehr als eine geographische Begrenzung. Sie entspricht dem biologisch fixierten Charakter tierischer Umweltsbeziehung selbst bei geographischen Abweichungen. In diesem Sinne leben alle nichtmenschlichen Lebewesen in geschlossenen Welten, deren Strukturen durch die biologische Ausrüstung jeder Spezies im Voraus bestimmt sind. ![]() Im Gegensatz dazu ist die Umweltbeziehung des Menschen durch "Weltoffenheit" charakterisiert ![]() ![]() Verglichen mit dem Instinktapparat der anderen höheren Säugetiere kann der des Menschen als geradezu unterentwickelt bezeichnet werden. ![]() ![]() Biologisch entwickelt sich der Organismus des Menschen also noch, während er schon Kontakte zu seiner Umwelt hat. Mit anderen Worten: Der Vorgang der Menschwerdung findet in Wechselwirkung mit einer Umwelt statt. ![]() ![]() ![]() Obwohl der Vielfalt an Möglichkeiten der Menschwerdung in so einer zweifachen umweltlichen Wechselbeziehung offenbar physiologische Grenzen gesetzt snd, entfaltet der menschliche Organismus in seinen Reaktionen auf die Umweltkräfte, welche auf ihn einwirken, eine außerordentliche Elastizität. Besonders klar zeigt sich das in der Flexibilität seiner biologischen Konstitution gegenüber der Vielfalt kultureller Bedingungen, denen sie ausgesetzt ist. Für die Völkerkunde ist es ein Gemeinplatz, daß die Arten und Weisen, Mensch zu werden und zu sein, so zahlreich sind wie die menschlichen Kulturen. Menschsein ist sozio-kulturell variabel. Mit anderen Worten: Eine biologische Natur des Menschen, die als solche sozio- kulturelle Gebilde und ihre Mannigfaltigkeit bestimmt, gibt es nicht. Menschliche Natur gibt es nur in Form anthropologischer Konstanten - zum Beispiel Weltoffenheit und Bildbarkeit des Instinktapparates. Die anthropologischen Konstanten machen die sozio-kulturellen Schöpfungen des Menschen möglich und beschränken sie zugleich. Die jeweilige Eigenart, in der Menschenhaftigkeit sich ausprägt, wird umgekehrt aber bestimmt durch eben diese sozio-kulturellen Schöpfungen und gehört zu deren zahlreichen Varianten. So kann man zwar sagen: der Mensch hat eine Natur. Treffender wäre jedoch: der Mensch macht seine eigene Natur - oder, noch einfacher: der Mensch produziert sich selbst ![]() Die Prägbarkeit des menschlichen Organismus und seine Empfänglichkeit für gesellschaftliche Eindrücke stellt sich am besten an völkerkundlichem Material auf dem Gebiet der Sexualität dar (8). Die sexuellen Triebe des Menschen sind zwar mit denen der übrigen höheren Säugetiere vergleichbar. Jedoch ist für die menschliche Sexualität die besonders große Anpassungsfähigkeit charakteristisch. Sie ist nicht nur verhältnismäßig unabhängig von Rhythmen der Zeit, sondern auch flexibel in der Wahl ihres Objekts und den Modalitäten ihres Ausdrucks. Die Ethnologie hat bewiesen, daß der Mensch auf sexuellem Gebiet nahezu zu allem fähig ist. Zu welchen Gelüsten er seine Phantasie auch steigert - es ist unwahrscheinlich, daß er ein Bild beschwört, das nicht in einer anderen Kultur die Regel oder zumindest ein ganz geläufiges Vorkommnis wäre. Wenn der Begriff "normal" irgendetwas anthropologisch Fundamentales oder kulturell Universales bezeichnen soll, so kann weder dieser Begriff selbst noch sein Gegenteil auf die zahllosen Formen menschlicher Sexualität rechtens angewendet werden. Dabei wird die menschliche Sexualität natürlich in jeder Kultur gesteuert, ja, manchmal straff reguliert. Jede Kultur hat eine für sie bezeichnende Auffassung von Sexualität, mit eigenen Spielregeln für sexuelles Verhalten und eigenen "anthropologischen" Voraussetzungen. Die Relativität dieser Auffassungen, ihre große Vielfalt und ihr Reichtum an Erfindungen verweisen darauf, daß sie eher Produkte sozio-kultureller Schöpfungen als einer biologisch fixierten Natur des Menschen sind (9). ![]() ![]() Die generelle Entwicklung von Organismus und Selbst in einer gesellschaftlich bestimmten Umwelt hängt mit der eigenartigen Beziehung zwischen beiden zusammen. Diese Beziehung ist "exzentrisch" (11). Einerseits ist der Mensch sein Körper, ganz wie andere animalische Organismen. Andererseits hat er einen Körper. Das heißt, daß der Mensch sich selbst als Wesen erfährt, das mit seinem Körper nicht identisch ist, sondern dem vielmehr dieser sein Körper zur Verfügung steht. Die menschliche Selbsterfahrung schwebt also immer in der Balance zwischen Körper-Sein und Körper-Haben, einer Balance, die stets von Neuem wiederhergestellt werden muß. Diese Exzentrizität der Erfahrung des Menschen von seinem Körper hat gewisse Konsequenzen für die Analyse seiner Aktivität "im Benehmen" mit der konkreten Umwelt und als Externalisierung, das heißt Entäußerung von subjektiv gemeintem Sinn. Ein wirkliches Verständnis jedes menschlichen Phänomens muß beide Aspekte in Betracht ziehen, da es sich dabei um fundamentale anthropologische Fakten handelt. ![]() Damit dürfte deutlich geworden sein, daß die Behauptung, der Mensch produziere sich selbst, nichts mit einer prometheischen Vision vom einsamen Individuum zu tun hat. (12) Die Selbstproduktion des Menschen ist notwendig und immer eine gesellschaftliche Tat. Zusammen produzieren die Menschen eine menschliche Welt mit der ganzen Fülle ihrer sozio-kulturellen und psychologischen Gebilde. Keines dieser Gebilde darf als Produkt der biologischen Verfassung des Menschen aufgefaßt werden - die, wie gesagt, dem produktiven Tun des Menschen lediglich die äußeren Grenzen setzt. So unmöglich es dem Menschen ist, sich in völliger Vereinzelung zum Menschen zu entwickeln, so unmöglich ist es ihm auch, in der Vereinzelung eine menschliche Umwelt zu produzieren. Vereinzeltes Menschsein wäre ein Sein auf animalischem Niveau -, das der Mensch selbstverständlich mit anderen Lebewesen gemein hat. Sobald man spezifisch menschliche Phänomene untersucht, begibt man sich in den Bereich gesellschaftlichen Seins. Das spezifisch Menschliche des Menschen und sein gesellschaftliches Sein sind untrennbar verschränkt. Homo sapiens ist immer und im gleichen Maßstab auch Homo socius. ![]() Dem menschlichen Organismus mangelt es am nötigen biologischen Instrumentarium für die Stabilisierung einer menschlichen Lebensweise. Seine Existenz wäre, würde sie zurückgeworfen auf ihre rein organischen Hilfsmittel, ein Dasein im Chaos. Ein solches Chaos ist theoretisch vorstellbar, empirisch aber nicht nachweisbar. Empirisch findet menschliches Sein in einem Geflecht aus Ordnung, Gerichtetheit und Stabilität statt. Damit stellt sich die Frage, woher denn dann die Stabilität humaner Ordnungen kommt. Die Antwort kann auf zwei verschiedenen Ebenen gegeben werden. Einmal ist es ein unübersehbares Faktum, daß aller individuellen organischen Entwicklung eine Gesellschaftsordnung vorgegeben ist. Das heißt, daß auch Weltoffenheit, die zwar genuin zum biologischen Kostüm des Menschen gehört, immer schon seitens der Gesellschaftsordnung antizipiert worden ist. Man kann geradezu sagen, daß die ursprüngliche biologische Weltoffenheit der menschlichen Existenz durch die Gesellschaftsordnung immer in eine relative Weltgeschlossenheit umtransponiert wird, ja, werden muß. Diese nachträgliche Geschlossenheit erreicht zwar niemals die der animalischen Existenz - und sei es nur, weil sie vom Menschen hervorgebracht und daher "künstlicher Natur" (14) ist. Aber sie ist doch fähig, der menschlichen Lebensführung - im Wesentlichen jedenfalls und meistens - Richtung und Bestand zu sichern. Damit erreicht die Frage eine andere Dimension, nämlich: auf welche Weise entsteht gesellschaftliche Ordnung überhaupt? ![]() Die allgemeinste Antwort wäre, daß die Gesellschaftsordnung ein Produkt des Menschen ist, oder genauer: eine ständige menschliche Produktion. Der Mensch produziert sie im Verlauf seiner unaufhörlichen Externalisierung. Gesellschaftsordnung ist weder biologisch gegeben noch von irgendwelchen biologischen Gegebenheiten ableitbar. Auch in der natürlichen Umwelt des Menschen ist sie nicht angelegt, obgleich allerdings gewisse Merkmale der natürlichen Umwelt bestimmende Faktoren für gewisse Merkmale von Gesellschaftsordungen sein können - zum Beispiel für wirtschaftliche oder technische Einrichtungen. Gesellschaftsordnung ist kein Teil der "Natur der Dinge" und kann nicht aus "Naturgesetzen" abgeleitet werden. (15) Sie besteht einzig und allein als ein Produkt menschlichen Tuns. Will man ihre empirischen Erscheinungen nicht hoffnungslos verdunkeln, so kann ihr kein anderer ontologischer Status zugesprochen werden. Sowohl nach ihrer Genese (Gesellschaftsordnung ist das Resultat vergangenen menschlichen Tuns) als auch in ihrer Präsenz in jedem Augenblick (sie besteht nur und solange menschliche Aktivität nicht davon abläßt, sie zu produzieren) ist Gesellschaftsordnung als solche ein Produkt des Menschen. ![]() Zwar haben die gesellschaftlichen Produkte menschlicher Externalisierung ihrem organischen und umweltlichen Zusammenhang gegenüber einen Charakter sui generis [aus sich selbst heraus - wp]. Aber die Externalisierung ist schon als solche eine anthropologische Notwendigkeit (16). Menschliches Leben wäre nicht möglich im verschlossenen Raum schweigender Innerlichkeit. Es muß sich ständig äußern und durch Aktivität verkörpern. Diese Notwendigkeit beruth auf der biologischen Verfassung des Menschen (17). Die eingeborene Instabilität seines Organismus zwingt den Menschen dazu, sich eine stabile Umwelt zu schaffen, um leben zu können. Selbst muß der Mensch seine Triebe spezialisieren und richten. Diese biologischen Fakten sind die notwendigen Voraussetzungen für das Entstehen einer gesellschaftlichen Ordnung. Mit anderen Worten: wenngleich keine bestehende Gesellschaftsordnung biologisch abgeleitet werden kann, ist doch die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Ordnung überhaupt in der biologischen Verfassung des Menschen angelegt. ![]() Sucht man über biologische Konstanten hinaus nach Gründen für das Entstehen, den Bestand und die Überlieferung einer Gesellschaftsordnung, so muß man sich auf eine Analyse, die auf eine Theorie der Institutionalisierung hinausläuft, einlassen. Alles menschliche Tun ist dem Gesetz der Gewöhnung unterworfen. Jede Handlung, die man häufig wiederholt, verfestigt sich zu einem Modell, welches unter Einsparung an Kraft reproduziert werden kann und dabei vom Handelnden als Modell aufgefaßt wird. Habitualisierung in diesem Sinne bedeutet, daß die betreffende Handlung auch in Zukunft ebenso und mit eben der Einsparung an Kraft ausgeführt werden kann. Das gilt für nichtgesellschaftliche wie für gesellschaftliche Aktivitäten. ![]() Habitualisierte Tätigkeiten behalten natürlich ihren sinnhaften Charakter für jeden von uns, auch wenn ihr jeweiliger Sinn als Routine zum allgemeinen Wissensvorrat (18) gehört, zur Gewißheit geworden und dem Einzelnen für eine künftige Verwendung zuhanden ist. Gewöhnung bringt den psychologisch wichtigen Gewinn der begrenzten Auswahl. In der Theorie mag es hundert Möglichkeiten, ein Boot aus Streichhölzern zu basteln, geben. Die Gewöhnung verringert sie bis hinunter zu einer einzigen. Das befreit den Einzelnen von der "Bürde der Entscheidung" und sorgt für biologische Entlastung, deren anthropologische Voraussetzung der ungerichtete Instinktapparat des Menschen ist. Habitualisierung sorgt für eben die Richtung und Spezialisierung des Handelns, die der biologischen Ausstattung des Menschen fehlen und baut auf diese Weise Spannungen ab, welche von ungerichteten Trieben kommen (19). Dadurch, daß sie einen gesicherten Hintergrund bietet, vor dem sich menschliche Tätigkeit abspielen kann - meistens mit einem Minimum an Entscheidungen -, setzt sie außerdem Energien für gewisse Gelegenheiten frei, bei denen Entscheidungen nun einmal unumgänglich sind. Mit anderen Worten: vor dem Hintergrund habitualisierten Handelns öffnet sich ein Vordergrund für Einfall und Innovation ![]() Eingefahrene Bedeutungen, die der Mensch seiner Tätigkeit verliehen hat, erübrigen es, daß jede Situation Schritt für Schritt neu bestimmt werden muß (21). Eine Menge an Situationen läßt sich unter ihre Vorherbestimmung subsumieren. Was bei solchen Gelegenheiten getan wird, kann also antizipiert werden. Sogar für alternatives Verhalten gibt es noch Standardvorschriften. ![]() Habitualisierungsprozesse gehen jeder Institutionalisierung voraus und gelten ansich sogar noch ![]() Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok [wechselseitig - wp] typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution (22). Für ihr Zustandekommen wichtig sind die Reziprozität der Typisierung und die Typik nicht nur der Akte, sondern auch der Akteure. Wenn habitualisierte Handlungen Institutionen begründen, so sind die entsprechenden Typisierungen Allgemeingut. Sie sind für alle Mitglieder der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe erreichbar. Die Institution ihrerseits mach aus individuellen Akteuren und individuellen Akten Typen. Institution postuliert, daß Handlungen des Typus X von Handelnden des Typus X ausgeführt werden. Die Institution "Gesetz" kann zum Beispiel postulieren, daß das Köpfen nur auf bestimmte Weise ![]() ![]() ![]() Was wir heute an Institutionen erleben, stellt sich uns in Kollektiven dar, die eine beachtliche Menge Menschen umfassen. Theoretisch wichtig ist jedoch, daß ein Institutionalisierungsprozeß wechselseitiger Typisierung auch dann stattfinden könnte, wenn nur zwei Menschen wiederholt zusammen dasselbe tun. Institutionalisierung steht am Anfang jeder gesellschaftlichen Situation, die ihren eigenen Ursprung überdauert. Nehmen wir an, zwei Personen aus völlig verschiedenen Gesellschaften treten in Interaktion. Wir sagen "Personen" und setzen damit voraus, daß beide "sie selbst" sind, das heißt, in einem - wenngleich verschiedenen - gesellschaftlichen Prozeß geformt worden sind. Von Adam und Eva oder zwei "wilden" Kindern, die in einer Urwaldlichtung aufeinanderstoßen, sehen wir also für den Augenblick ab. Doch unterstellen wir, daß unsere beiden aus gesellschaftlichen Welten kommen, die in einer historischen Trennung voneinander entstanden sind, und daß ihre Interaktion in einer Situation stattfindet, welche für keinen von ihnen institutionell vorgeprägt ist. Denken wir etwa an "Freitag" und unseren Streichholz-Schiffsbauer auf der einsamen Insel und stellen uns die beiden als einen Papua und einen Amerikaner vor. ![]() Sobald A und B wie auch immer interagieren, produzieren sie sehr bald Typisierungen. A beobachtet genau, was B wie tut. Er unterstellt Bs Handlungen Beweggründe und typisiert diese, sobald er sieht, daß die Handlung wiederkehrt, ebenalls als wiederkehrend. Agiert B weiter, so ist A bald in der Lage, sich zu sagen: "Das wär's also wieder einmal." Gleichzeitig kann A dasselbe von B im Hinblick auf sich, A, annehmen. Von Anbeginn nehmen A und B die Reziprozität ihrer Typisierungen an. Im Verlauf des Verkehrs miteinander kommen ihre beiderseitigen Typisierungen in typischen Verhaltensmustern zum Ausdruck. Das heißt, A und B beginnen, ihre Vis-á-vis-Rollen zu spielen. Dazu muß es kommen, selbst wenn keiner von beiden von Handlungen abläßt, die anders sind als die des anderen. Die Möglichkeit, in die Rolle des anderen zu schlüpfen, taucht erst auf, wenn beide dieselben Handlungen vollziehen möchten. Das heißt, daß A sich innerlich Bs Rollen zu eigen macht und zum Vorbild für sein eigenes Rollenspiel nimmt. Bs Rolle zum Beispiel beim Zubereiten von Speisen wird nicht nur als solche von A typisiert, sondern sie hält Einzug in As eigene Rolle als Zubereiter von Speisen, und zwar als ein grundlegendes Element gewohnheitsmäßigen Verfahrens. So entsteht allmählich eine ganze Kollektion wechselseitig typisierter Handlungen, die sich zu einem Rollenspiel verdichten, wobei einige Rollen getrennt, andere wiederum miteinander gespielt werden (23). Diese wechselseitige Typisierung ist zwar noch keine Institutionalisierung, da bei nur zwei Personen keine Möglichkeit zu einer Typologie der Akteure besteht. Aber immerhin befinden wir uns im Vorhof der Institutionalisierung. ![]() Bei einem solchen Stand erhebt sich die Frage nach dem Gewinn, den unsere beiden aus dieser Entwicklung der Dinge ziehen. Das Wichtigste ist, daß jeder von ihnen nun befähigt ist, des anderen Handlungen vorauszusehen. Aus dem "Das wär's wieder einmal" wird: "Da wären wir wieder einmal". Das entlastet die beiden Personen von beträchtlichen Spannungen. Sie sparen Zeit und Kraft nicht nur für beliebige äußere Aufgaben, die sie getrennt oder gemeinsam haben, sondern für ihre ganze seelische Ökonomie. Ihr Zusammenleben hat nun in einer ständig sich erweiternden Welt der Routinegewißheit seine Form gefunden. ![]() Viele Tätigkeiten bedürfen noch eines geringen Grades an Achtsamkeit. Die einzelne Handlung des einen ist für den anderen nicht mehr Quelle der Verwunderung, ja, drohender Gefahr. Stattdessen nimmt so manches, was vor sich geht, für beide die Trivialität dessen an, was beider Alltagsleben sein wird. Auf diese Weise bauen zwei Personen einen Horizont in eben dem Sinne auf, von dem wir oben sprachen - einen Hintergrund, vor dem sich sowohl ihre getrennten als auch die gemeinsamen und wechselseitigen Handlungen stabilisieren können. Das Entstehen eines solchen Hintergrundes der Routine ermöglicht dann wiederum eine Arbeitsteilung und erschließt den Weg für Neuerungen, die einen höheren Grad geistiger Wachheit verlangen. Arbeitsteilung und Neuerungen führen zu neuen Habitualisierungen, die den gemeinsamen Hintergrund beider Personen wiederum erweitern. Mit anderen Worten: Eine gesellschaftliche Welt wird allmählich konstruiert, in der die Fundamente einer expansiven institutionalen Ordnung schon vorhanden sind. ![]() Grundsätzlich steckt in jeder ein oder mehrere Male wiederholten Handlung eine gewisse Neigung zur Habitualisierung. ![]() Die allgemeine Antwort lautet: Solche, die für A und B in ihrer gemeinsamen Situation relevant sind. Die Bereiche möglicher Relevanz sind natürlich für verschiedene Situationen verschieden. Einige ergeben sich aus der Auseinandersetzung von A und B mit ihrem bisherigen Lebenslauf, andere aus natürlichen, vorgesellschaftlichen Umständen der betreffenden Situation. Habitualisiert werden muß in jedem Fall der Vorgang der Kommunikation von A und B. Auch ihre Arbeit, Sexualität und Territorialität geben Anlaß zu Typisierung und Habitualisierung. Die Situation von A und B auf allen diesen Gebieten ist paradigmatisch für die Institutionalisierung im größeren gesellschaftlichen Rahmen. ![]() Treiben wir unser Schulbeispiel noch einen Schritt weiter und stellen uns vor, A und B hätten Kinder. Das verändert die Lage qualitativ. Das Auftauchen Dritter verwandelt den Charakter der ständigen gesellschaftlichen Interaktion zwischen A und B, der sich noch weiter wandeln wird, je mehr Personen dazukommen (24). Die institutionale Welt, in der ursprünglichen Situation von A und B noch in statu nascendi [im Zustand der Geburt - wp] wird nun an andere weitergereicht. Mit diesem Vorgang vollendet die Institutionalisierung sich selbst. Die gemeinsamen Habitualisierungen und Typisierungen von A und B, die bislang noch den Charakter von ad-hoc-[für diesen Zweck - wp]Konzeptionen zweier Individuen hatten, sind von nun an historische Institutionen. Durch die erreichte Historizität ergibt sich - oder genauer gesagt: vollendet sich - noch eine andere entscheidende Qualität, welche von Anfang an da war, seit A und B mit der reziproken Typisierung ihres Verhaltens begonnen hatten: Objektivität. Die Institutionen nämlich, welche sich nun herauskristallisiert haben - Vaterschaft zum Beispiel -, die die ersten Kinder bereits vorfinden, werden als über und jenseits der Personen, welche sie "zufällig" im Augenblick verkörpern, daseiend erlebt. ![]() ![]() Solange entstehende Institutionen lediglich durch die Interaktion von A und B aufrechterhalten werden, bleibt ihr Objektivitätszustand spannungsvoll, schwankend, fast spielerisch, obgleich sie schon durch ihr bloßes Zustandekommen einem gewissen Objektivitätsgrad erhalten. ![]() ![]() ![]() Jetzt erst wird es überhaupt möglich, von einer gesellschaftlichen Welt im Sinne einer in sich zusammenhängenden, gegebenen Wirklichkeit zu sprechen, die dem Menschen wie die Wirklichkeit der natürlichen Welt gegenübersteht. Nur so, als objektive Welt, können die sozialen Gebilde an eine neue Generation weitergegeben werden. In den Frühphasen seiner Sozialisation ist das Kind unfähig, zwischen der Objektivität natürlicher und gesellschaftlicher Phänomene zu unterscheiden (26). Um mit dem wichtigsten Gegenstand der Sozialisation zu beginnen: die Sprache erscheint dem Kind als zur "Natur der Dinge" gehörig. Es kann nicht erkennen, daß es sich um eine Übereinkunft handelt. Ein Ding ist, was es heißt, und es kann nichts anderes sein. Auch Institutionen wirken gegeben, unveränderlich und selbstverständlich. Sogar für unser - unwahrscheinliches - Beispiel des Elternpaares, das eine institutionale Welt neu begründet, gilt, daß die Objektivität dieser seiner Welt durch die Sozialisation ihrer Kinder stärker in Erscheinung tritt, weil die Gegenständlichkeit, wie sie ihre Kinder erleben, auf das elterliche Welterleben zurückreflektiert wird. Natürlich hat die institutionale Welt, die die meisten Eltern an ihre Kinder weitergeben, schon längst den Charakter historischer und objektiver Wirklichkeit. Der Prozeß der Weitergabe bekräftigt nur den elterlichen Wirklichkeitssinn, und sei es nur, weil man, wenn man oft genug sagt: "So macht man das", schließlich selbst daran glaubt. ![]() Eine institutionale Welt wird also als objektive Wirklichkeit erlebt. ![]() ![]() Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, daß die Gegenständlichkeit der institutionalen Welt, so dicht sie sich auch dem Einzelnen darstellen mag, eine von Menschen gemachte, konstruierte Objektivität ist. Der Vorgang, durch den die Produkte tätiger menschlicher Selbstentäußerung objektiven Charakter gewinnen, ist Objektivation, das heißt Vergegenständlichung (29). Die institutionale Welt ist vergegenständlichte menschliche Tätigkeit, und jede einzelne Institution ist dies ebenso. Mit anderen Worten: trotz ihrer Gegenständlichkeit für unsere Erfahrung gewinnt die gesellschaftliche Welt dadurch keinen ontologischen Status, der von jenem menschlichen Tun, aus dem sie hervorgegangen ist, unabhängig wäre. Das Paradoxon, daß der Mensch fähig ist, eine Welt zu produzieren, die er dann anders als ein menschliches Produkt erlebt, wird uns noch beschäftigen. ![]() ![]() Zu eben diesem Zeitpunkt bedarf die institutionale Welt der Legitimation, das heißt, sie braucht Weisen ihrer "Erklärung" und Rechtfertigung. Sie hat das nicht etwa nötig, weil sie nun weniger wirklich "wirkt". Wir wissen schon, daß sie an Wirklichkeitsdichte zunimmt, sobald sie vermittelt wird. Aber diese dichte Wirklichkeit ist nun geschichtlich und kommt auf eine neue Generation als Tradition eher denn als eigene Erinnerung zu. In unserem Schulbeispiel können A und B, die Schöpfer einer ursprünglich gesellschaftlichen Welt, die Umstände, unter denen ihre Welt mit allen ihren Teilen entstand, jeder Zeit rekonstruieren. Das heißt auch, daß sie den Sinn einer Institution erkennen können, wenn sie ihr eigenes Erinnerungsvermögen mobilisieren. Ihre Kinder sind aber in einer völlig anderen Lage. Was sie von der institutionalen Ordnung wissen, haben sie vom "Hörensagen". Der ursprüngliche Sinn der Institutionen ist ihrer eigenen Erinnerung unzugänglich. Dieser Sinn muß ihnen also mit Hilfe verschiedener, ihn rechtfertigender Formeln verständlich gemacht werden. Wenn die Auslegung von Sinn durch Formeln und Rezepte für die neue Generation überzeugend sein soll, so müssen diese übereinstimmen und einen der institutionalen Ordnung entsprechenden Zusammenhang ergeben. Dieselbe Geschichte muß sozusagen allen Kindern erzählt werden können. Die Folge ist, daß die sich weitende institutionale Ordnung ein ihr entsprechendes Dach aus Legitimationen erhalten muß, das sich in Form kognitiver und normativer Interpretationen schützend über sie breitet. Die neue Generation erlernt die Legitimation im gleichen Prozeß, durch den sie in die institutionale Ordnung eingeführt und auf sie abgestimmt wird. Mit diesem Prozeß der Sozialisation müssen wir uns noch auseinandersetzen. ![]() Auch die Entwicklung besonderer sozialer Kontrollmechanismen wird nötig, wenn Institutionen Geschichtlichkeit und Gegenständlichkeit gewonnen haben. Sobald sie nämlich dadurch Wirklichkeit geworden sind, entsteht auch schon die Möglichkeit der Abweichung von den institutionell "programmierten" Handlungsabläufen, die sich von der konkreten Relevanz ihres Ursprungs abgelöst haben. ![]() ![]() Im Prinzip kann jedes Gebiet allgemein relevanten Verhaltens institutionalisiert werden. In der Praxis laufen eine Menge entsprechender Vorgänge gleichzeitig ab. Nichts spricht dabei für einen "Funktionszusammenhang" a priori - von einem logisch-schlüssigen System ganz zu schweigen. Um das zu illustrieren, besetzen wir unser Schulbeispiel etwas anders, ![]() ![]() Nichtsdestoweniger bleibt die empirische Tatsache bestehen, daß Institutionen dazu tendieren "zusammenzuhängen". Will man dieses Phänomen nicht einfach hinnehmen, so muß man es erklären. Aber wie? Zunächst kann man feststellen, daß einige Relevanzen allen Gliedern eines Kollektivs gemeinsam sind, weite Verhaltensbereiche dagegen nur für bestimmte Typen Relevanz besitzen. ![]() ![]() Größte Vorsicht ist demnach im Hinblick auf alle Behauptungen über die angebliche "Logik" von Institutionen geboten. Die Logik steckt nicht in den Institutionen und ihrer äußeren Funktionalität, sondern in der Art, in der über sie reflektiert wird. Anders ausgedrückt: das reflektierende Bewußtsein überlagert die institutionale Ordnung mit seiner eigenen Logik. ![]() Die objektivierte soziale Welt wird von der Sprache auf logische Fundamente gestellt. Das Gebäude unserer Legitimationen ruht auf der Sprache, und Sprache ist ihr Hauptinstrument. Die "Logik", mit der die institutionale Ordnung auf diese Weise ausgestattet wird, ist ein Teil des gesellschaftlich zugänglichen Wissensvorrates und wird als solcher als Gewißheit hingenommen. Da der wohl-sozialisierte Einzelne "weiß", daß seine gesellschaftliche Welt ein stimmiges Ganzes ist, sieht er sich genötigt, ihre geglückten wie ihr mißglücketen "Funktionen" nach Maßgabe seines "Wissens" zu erklären. Das Resultat ist, daß der unbeteiligte Betrachter einer Gesellschaft einfach glaubt, ihre Institutionen wirken und greifen tatsächlich auf eben die Weise ineinander, die ihnen vorher "unterstellt" worden ist. ![]() Nun sind Institutionen aber de facto integriert. Diese Integriertheit ist jedoch kein Imperativ der Funktionen für die gesellschaftlichen Prozesse, die Integration zustande bringen. Die Integration ist vielmehr eine Art Derivat [Abkömmling - wp]. Einzelne Personen vollziehen im Kontext ihres Lebenslaufes einzelne institutionalisierte Handlungen. Der Lebenslauf wird als ein Ganzes gesehen, in dem die einzelnen Handlungen nicht als isolierte Ereignisse erscheinen, sondern als Teile eines mit subjektiv gemeintem Sinn erfüllten Universums, dessen Sinngehalte jedoch nicht spezifisch für die einzelne Person sind, sondern vielmehr gesellschaftlich geprägt, gegliedert und zugeteilt. Nur auf diesem Umweg über gesellschaftlich gemeinsamen, um nicht zu sagen "gemeinten" Sinn, gelangen wir zur Notwendigkeit der institutionalen Integration. ![]() Das hat weitreichende Folgen für jede Untersuchung gesellschaftlicher Phänomene. Wenn die Integration einer institutionellen Ordnung nur auf der Grundlage des "Wissens", das ihre Mitglieder über sie haben, ![]() ![]() Die Art von Wissen legt die Grundlagen für die Dynamik der Motivierungen bei institutionalisiertem Verhalten. Es bestimmt, welche Verhaltensgebiete institutionalisiert sind und bezeichnet alle Situationen, die sich darunter subsumieren lassen. Es schafft und bestimmt die Rollen, die im Kontext der jeweiligen Institution gespiegelt werden. Es kontrolliert das Verhalten und sieht es zugleich voraus. ![]() ![]() So entsteht z. B. durch Arbeitsteiligkeit ein Wissensbestand, der mit den Tätigkeiten im einzelnen zu tun hat. Als sprachliche Grundlage ist er unerläßlich allein für das institutionelle "Programmieren" der wirtschaftlichen Tätigkeiten. Es muß ein Wortschatz da sein, der etwa verschiedene Techniken der Jagd bezeichnet, Waffen, die benützt werden, Tiere, die erbeutet werden sollen, und so weiter. Bevor man richtig jagen kann, muß ein Rezeptwissen erworben werden. Dieses ist eine regulierende, kontrollierende Kraft, ein unerläßlicher Zusatz der Institutionalisierung dieses Verhaltensgebietes. Wenn die Jagd sich als Institution herauskristallisiert hat und die Zeiten überdauert, wird der zu ihr gehörige Wissensbestand dann ihre objektive, empirisch nachvollziehbare Beschreibung. Ein Ausschnitt der sozialen Welt wird durch dieses spezielle Wissen vergegenständlicht. Es entsteht eine objektive "Jagd-Wissenschaft", die der objektiven Wirklichkeit der "Jagd-Wirtschaft" entspricht. Wir brauchen nicht eigens darauf hinzuweisen, daß ein "empirischer Nachvollzug" und "Wissenschaft" hier nicht im Sinne moderner wissenschaftlicher Sprachregelungen zu verstehen sind, sondern als Wissen, das die Erfahrung bestätigen und in der Folge zu einem systematisch geordneten Wissensbereich werden kann. ![]() Wie andere wird auch dieser Wissensbereich der nächsten Generation übermittelt. ![]() ![]() ![]() Anmerkungen 1) Als neuere biologische Literatur zur Sonderstellung des Menschen im Tierreich vgl. JAKOB von UEXKÜLL und GEORG KRISZAT, Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen/Bedeutungslehre, Hamburg 1962; FREDERIK JACOBUS JOHANNES BUYTENDIJK, Mensch und Tier, Hamburg 1958; ADOLF PORTMANN, Zoologie und das neue Bild des Menschen, Hamburg 1962. Die grundlegenden Arbeiten zu einer philosophischen Anthropologie unter Berücksichtigung der biologischen Perspektive finden sich bei HELMUTH PLESSNER, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin 1965; ders., Conditio humana, in: "Propyläen-Weltgeschichte", Bd. 1, Berlin 1961, Seite 33f, und später auch bei ARNOLD GEHLEN, Der Mensch; Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt-Bonn 1966. GEHLEN hat später darauf eine soziologische Theorie der Institutionen aufgebaut, insbesondere in: "Urmensch und Spätkultur", Bonn 1956; vgl. dazu PETER LUDWIG BERGER und HANSFRIED KELLNER, Arnold Gehlen and the Theory of Institution, in: "Social Research, Bd. 32, 1965, Heft 1, Seite 110f. 2) Den Ausdruck "artspezifische Umwelt" hat UEXKÜLL, a. a. O., geprägt. 3) Die anthropologischen Folgerungen aus dem Begriff "Weltoffenheit" haben besonders PLESSNER und GEHLEN gezogen. 4) Die ontogenetisch begründete Eigenart des menschlichen Organismus hat vor allem PORTMANN a. a. O. in seinen Forschungen dargestellt. 5) Der Gedanke, daß die fetale Periode des Menschen sich über das erste Lebensjahr hin erstreckt, stammt von PORTMANN (das "extra-uterine Frühjahr"). 6) Den Ausdruck "significant others" hat GEORGE HERBERT MEAD geprägt (Mind, Self and Society, Chicago 1967; dt.: Geist, Identität und Gesellschaft, Ffm 1968). Eine gute Zusammenfassung der wichtigsten Schriften von MEAD bei ANSELM STRAUSS (Hg), George Herbert Mead on Social Psychology, Chicago 1964. Als Sekundärliteratur vgl. MAURICE NATANSON, The Social Dynamics of George Herbert Mead, Washington 1956. 7) Zwischen der Konzeption des Menschen als eines sich selbst produzierenden Wsens und der Idee einer "menschlichen Natur" besteht ein fundamentaler Widerspruch. Die Folge davon ist eine Differenz des anthropologischen Ansatzes nach MARX und den soziologischen Anknüpfungen an MEAD sowohl wie an FREUD. Eine Klärung dieser Unterschiede wäre für eine sinnvolle Diskussion zwischen heutiger Soziologie und Psychologie sehr wichtig. In der soziologischen Theorie kann man Positionen, die dem "soziologischen Pol" und solche, die dem "psychologieschen Pol" näherstehen, unterscheiden. Am nächsten zum "psychologischen Pol" steht in der Soziologie wahrscheinlich VILFREDO PARETO. An Annahme oder Ablehnung einer "menschlichen Natur" knüpfen sich übrigens auch interessante ideologische Folgerungen, auf die jedoch hier nicht näher eingegangen werden kann. Von besonderer Bedeutung ist hier PLESSNERs philosophische Anthropologie, die wesentlich dialektischen Charakters ist. Die Grundlage dafür, daß sich der Mensch selbst produziert, ist nach PLESSNER seine exzentrische Positionalität. 8) Vgl. hierzu die Arbeiten von BRONISLAW MALINOWSKI, RUTH BENEDICT, MARGARET MEAD, CLYDE KLUCKHOHN und GEORGE MURDOCK. 9) Was wir hier über die sexuelle Prägbarkeit des Menschen sagen, hat gewisse Beziehungen zu FREUDs Gedanken vom ursprünglich ungeformten Charakter der Libido. 10) Vgl. hierzu G. H. MEADs Theorie der gesellschaftlichen Genese des Selbst; ("Mind", Self and Society, a. a. O., Seite 135f) 11) Der Ausdruck "Exzentrizität" stammt von PLESSNER. 12) Den gesellschaftlichen Charakter der Selbstproduktion des Menschen hat MARX am schärfsten in seiner Kritik an STIRNER "Die deutsche Ideologie" formuliert. Vgl. dazu auch SARTREs Weg vom Existenzialismus von L'Etre et le Néant zum modifizierten Marxismus der Critique de la raison dialectique - ein eindrucksvoller Beleg für die Gewinnung der soziologisch entscheidenden Einsicht in der modernen philosophischen Anthropologie. Es wäre SARTREs Interesse an einer "Vermittlung" zwischen makro-soziologisch historischen Prozessen und dem individuellen Lebensweg nur gedient, wenn er die Sozialpsychologie von MEAD heranziehen würde. 13) Die unentwirrbare Verschränktheit von Menschenhaftigkeit und Gesellschaftlichkeit hat am schärfsten DURKHEIM herausgearbeitet - besonders in dem zusammenfassenden Abschnit von "Die elementaren Formen des religiösen Lebens", Ffm 1981. 14) Wir beziehen uns hier auf PLESSNERs Konzeption der "natürlichen Künstlichkeit", die in "Die Stufen des Organischen und der Mensch", a. a. O., entwickelt wird. 15) Wenn wir darauf bestehen, daß Gesellschaftsordnung nicht auf irgendwelchen "Naturgesetzen" beruth, so bejahen wir damit keineswegs eine metaphysische Konzeption im Sinne eines "Naturrechts". Unsere Behauptung bezieht sich nur auf Fakten, die der Empirie zugänglich sind. 16) Am entschiedensten hat DURKHEIM darauf bestanden, daß die Gesellschaftsordnung "eine spezifische Realität" sui generis darstellt; vgl.: "Die Regeln der soziologischen Methode", a. a. O. Seite 187. Die anthropologische Notwendigkeit der "Entäußerung" respektive "Vergegenständlichung" haben sowohl HEGEL wie MARX herausgestellt. (vgl. KARL MARX, "Die Frühschrifen", a. a. O., Seite 225f); (HELMUTH PLESSNER, "Über die Verkörperungsfunktion der Sinne", in: Studium Generale, 6. Jahrgang, Heft 7, 1953, Seite 410-416) 17) Über die biologischen Grundlagen der "Entäußerung" und ihre Beziehung zur Entstehung von Institutionen vgl. GEHLEN, Urmensch und Spätkultur, a. a. O. 18) Der Ausdruck "Wissensvorrat" (stock of knowledge) stammt von SCHÜTZ. 19) Darauf bezieht sich GEHLEN mit seinen Ausdrücken "Triebüberschuß" und "Entlastung". 20) Vgl. dazu GEHLENs Begriff der "Hintergrundserfüllung". 21) Den Begriff der "Situationsbestimmung" hat W. I. THOMAS geprägt und in seinen soziologischen Arbeiten entwickelt. Vgl. W. I. THOMAS, The Child in America, New York 1928, Seite 572; ders., Social Behaviour and Personality (Hg. VOLKART), New York 1951, Seite 80f (dt.: Person und Sozialverhalten, Neuwied 1965, Seite 46f). 22) Wir sind uns klar darüber, daß wir den Begriff "Institution" weiter fassen als die zeitgenössische soziologische Literatur, glauben aber, daß der weitere Begriff für eine umfassende Analyse fundamentaler gesellschaftlicher Prozesse sehr nützlich ist. Über "soziale Kontrolle" vgl. FRIEDRICH TENBRUCK im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft (1962) und HEINRICH POPITZ, "Soziale Normen", in: European Journal of Sociology, Bd. II, 1961, Seite 185-198. 23) "Taking the role of the other" ist eine Bezeichnung von MEAD. Wir halten uns hier an MEADs Paradigma der Sozialisation und wenden es auf das weitere Problem der Institutionalisierung an. Unsere Argumentation verbindet Gedanken von MEAD und GEHLEN zum Problem der Sozialisation bzw. Institutionalisierung. 24) Hier ist SIMMELs Analyse der Ausweitung von der "Dyade" zur "Triade" angesprochen. Wir versuchen im folgenden, eine Verbindung zwischen SIMMELs und DURKHEIMs Auffassungen der Objektivität der sozialen Wirklichkeit herzustellen. 25) In DURKHEIMs Sprache übertragen, hieße das, daß mit der Ausweitung von der Dyade zur Triade und weiter die ursprünglichen Gegebenheiten "soziale Fakten" werden, d. h. sie gewinnen "Sachcharakter", "Choséité". 26) Vgl. hierzu PIAGETs infantilen Realismus ("La construction du réel chez l'enfant", Neuchatel 1950 und "Biologie et connaissance", Paris 1967) 27) Zur Analyse dieses Sachverhalts in der Familie von heute vgl. PETER L. BERGER und HANSFRIED KELLNER, "Marriage and the Construction of Reality", in: Diogenes, Bd. 46, Seite 1f (dt.: Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit", in: Soziale Welt, Jahrgang 16, 1965, Seite 220f). 28) Wir halten uns hier an DURKHEIMs Analyse der sozialen Wirklichkeit, die der Vorstellung MAX WEBERs vom sinnhaften Charakter der Gesellschaft nicht widerspricht. Da gesellschaftliche Wirklichkeit immer aus sinnhaften Handlungen besteht, behält sie ihren Sinn auch, wenn er dem Individuum jeweils undurchsichtig ist. Der Hergang ist "rekonstruierbar", und zwar eben mit Hilfe dessen, was WEBER "Verstehen" nennt. 29) siehe Anmerkung 1, Kapitel I 30) Die heutige amerikanische Soziologie neigt dazu, das erste Moment außer acht zu lassen. Ihre Anschauung von der Gesellschaft hat etwas von dem, was MARX "Verdinglichung" genannt hat, das bedeutet ene undialektische Verzerrung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, deren Charakter als ständige Produktion des Menschen verdunkelt wird. Stattdessen werden "dingliche" Kategorien in sie hineingesehen, die, wenn überhaupt, nur zur Welt der Natur passen. Daß die dementsprechende "Enthumanisierung" durch Elemente aus einer größeren Überlieferung gemildert wird, ist zwar von moralischem Wert, theoretisch jedoch völlig irrelevant. 31) Hier ist vor allem an PARETOs Analyse der "Logik" von Institutionen zu denken. Zu ähnlichen Konsequenzen wie wir kommt auch FRIEDRICH TENBRUCK, a. a. O. Auch er besteht darauf, daß die Neigung zur Konsistenz im sinnhaften Charakter des menschlichen Handelns begründet ist. 32) Das ist natürlich die Schwäche jeder rein funktionalistisch orientierten Soziologie. Eine blendende Kritik an einer solchen findet sich bei CLAUDE LÉVI-STRAUSS, Tristes Tropiques, New York 1964 (dt.: Traurige Tropen, Köln-Berlin 1960, Seite 142f). 33) Der Terminus "Rezeptwissen" stammt von SCHÜTZ. 34) siehe Anmerkung 1, Kapitel I |