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Wirtschaft und Gesellschaft [ 2 / 2 ]
Kapitel II Begriff des sozialen Handelns 1. Soziales Handeln (einschließlich des Unterlassens oder Duldens) kann orientiert werden am vergangenen, gegenwärtigen oder für künftig erwarteten Verhalten anderer (Rache für frühere Angriffe, Abwehr gegenwärtigen Angriffs, Verteidigungsmaßregeln gegen künftige Angriffe). Die "anderen" können Einzelne und Bekannte oder unbestimmt Viele und ganz Unbekannte sein ("Geld" z. B. bedeutet ein Tauschgut, welches der Handelnde beim Tausch deshalb annimmt, weil er sein Handeln an der Erwartung orientiert, daß sehr zahlreiche, aber unbekannte und unbestimmt viele Andere es ihrerseits künftig in Tausch zu nehmen bereit sein werden). 2. Nicht jede Art von Handeln - auch von äußerlichem Handeln - ist "soziales" Handeln im hier festgehaltenen Wortsinn. Äußeres Handeln dann nicht, wenn es sich lediglich an den Erwartungen des Verhaltens sachlicher Objekte orientiert. Das innere Sichverhalten ist soziales Handeln nur dann, wenn es sich am Verhalten anderer orientiert. Religiöses Verhalten z. B. dann nicht, wenn es Kontemplation, einsames Gebt usw. bleibt. Das Wirtschaften (eines einzelnen) erst dann und nur insofern, als es das Verhalten Dritter mit in Betracht zieht. Ganz allgemein und formal also schon: indem es auf die Respektierung der eigenen faktischen Verfügungsgewalt über wirtschaftliche Güter durch Dritte reflektiert. In materialer Hinsicht: indem es z. B. beim Konsum das künftige Begehren Dritter mitberücksichtigt und die Art des eigenen "Sparens" daran mitorientiert. Oder indem es bei der Produktion ein künftiges Begehren Dritter zur Grundlage seiner Orientierung macht usw. 3. Nicht jede Art von Berührung von Menschen ist sozialen Charakters, sondern nur ein sinnhaft am Verhalten des andern orientiertes eigenes Verhalten. Ein Zusammenprall zweier Radfahrer z. B. ist ein bloßes Ereignis wie ein Naturgeschehen. Wohl aber wäre ihr Versuch, dem andern auszuweichen und die auf den Zusammenprall folgende Schimpferei, Prügelei oder friedliche Erörterung "soziales Handeln". 4. Soziales Handeln ist weder identisch a) mit einem gleichmäßigen Handeln mehrerer noch b) mit jedem durch das Verhalten anderer beeinflußten Handeln. a) Wenn auf der Straße eine Menge Menschen beim Beginn eines Regens gleichzeitig den Regenschirm aufspannen, so ist (normalerweise) das Handeln des einen nicht an dem des andern orientiert, sondern das Handeln aller gleichartig am Bedürfnis nach Schutz gegen die Nässe. - b) Es ist bekannt, daß das Handeln des einzelnen durch die bloße Tatsache, daß er sich innerhalb einer örtlich zusammengedrängten "Masse" befindet, stark beeinflußt wird (Gegenstand der "massenpsychologischen" Forschung, z. B. von der Art der Arbeiten Le BONs): massen bedingtes Handeln. Und auch zerstreute Massen können durch ein simultan oder sukzessiv auf den einzelnen (z. B. durch Vermittlung der Presse) wirkendes und als solches empfundenes Verhalten Vieler das Verhalten der einzelnen massenbedingt werden lassen. Bestimmte Arten des Reagierens werden durch die bloße Tatsache, daß der Einzelne sich als Teil einer "Masse" fühlt, erst ermöglicht, andre erschwert. Infolgedessen kann dann ein bestimmtes Ereignis oder menschliches Verhalten Empfindungen der verschiedensten Art: Heiterkeit, Wut, Begeisterung, Verzweiflung und Leidenschaften aller Art hervorrufen, welche bei Vereinzelung nicht (oder nicht so leicht) als Folge eintreten würden, - ohne daß doch dabei (in vielen Fällen wenigstens) zwischen dem Verhalten des einzelnen und der Tatsache seiner Massenlage eine zwischen dem Verhalten des einzelnen und der Tatsache seiner Massenlage eine sinnhafte Beziehung bestände. Ein derart durch das Wirken der bloßen Tatsache der "Masse" rein als solcher in seinem Ablauf nur reaktiv verursachtes oder mitverursachtes, nicht auch darauf sinnhaft bezogenes Handeln würde begrifflich nicht "soziales Handeln" im hier festgehaltenen Wortsinn sein. INdessen ist der Unterschied natürlich höchst flüssig. Denn nicht nur z. B. beim Demagogen, sondern oft auch beim Massenpublikum selbst kann dabei ein verschiede großes sondern oft auch beim Massenpublikum selbst kann dabei ein verschieden großes und verschieden deutbares Maß von Sinnbeziehung zum Tatbestand der "Masse" bestehen. - Ferner würde bloße "Nachahmung" fremden Handelns (auf deren Bedeutung GABRIEL TARDE berechtigtes Gewicht legt) begrifflich dann nicht spezifisch "soziales Handeln" sein, wenn sie lediglich reaktiv, ohne sinnhafte Orientierung des eigenen an fremdem Handeln, erfolgt. Die Grenze ist derart flüssig, daß eine Unterscheidung oft kaum möglich erscheint. Die bloße Tatsache aber, daß jemand eine ihm zweckmäßig scheinende Einrichtung, die er bei andren kennen lernte, nun auch bei sich trifft, ist nicht in unserem Sinn: soziales Handeln. Nicht am Verhalten des andern orientiert sich dieses Handeln, sondern durch Beobachtung dieses Verhaltens hat der Handelnde bestimmte objektive Chancen kennen gelernt und an diesen orientiert er sich. Sein Handeln ist kausal, nicht aber sinnhaft, durch fremdes Handeln bestimmt. Wird dagegen z. B. fremdes Handeln nachgeahmt, weil es "Mode" ist, als traditional, mustergültig oder als ständisch "vornehm" gilt oder aus ähnlichen Gründen, so liegt die Sinnbezogenheit - entweder: auf das Verhalten der Nachgeahmten, oder: Dritter, oder: beider - vor. Dazwischen liegen naturgemäß Übergänge. Beide Fälle: Massenbedingtheit und Nachahmung sind flüssig und Grenzfälle sozialen Handelns, wie sie noch oft, z. B. beim traditionalen Handeln (§ 2) begegnen werden. Der Grund der Flüssigkeit liegt in diesen wie anderen Fällen darin, daß die Orientierung an fremdem Verhalten und der Sinn des eigenen Handelns ja keineswegs immer eindeutig feststellbar oder auch nur bewußt und noch seltener: vollständig bewußt ist. Bloße "Beeinflussung" und sinnhafte "Orientierung" sind schon deswegen nicht immer zu scheiden. Aber begrifflich sind sie zu trennen, obwohl, selbstredend, die nur "reaktive" Nachahmung mindestens die gleiche soziologische Tragweite hat wie diejenige, welche "soziales Handeln" im eigentlichen Sinn darstellt. Die Soziologie hat es eben keineswegs nur mit "sozialem Handeln" zu tun, sondern dieses bildet nur (für die hier betriebene Art von Soziologie) ihren zentralen Tatbestand, denjenigen, der für sie als Wissenschaft sozusagen konstitutiv ist. Keineswegs aber ist damit über die Wichtigkeit dieses im Verhältnis zu anderen Tatbeständen etwas ausgesagt. § 2. Wie jedes Handeln kann auch das soziale Handeln bestimmt sein 1. zweckrational: durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als "Bedingungen" oder als "Mittel" für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke, - 2. wertrational: durch bewußten Glauben an den - ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden - unbedingten Eigen wert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg, - 3. affektuell, insbesondere emotional: durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen, - 4. traditional: durch eingelebte Gewohnheit.
2. Das streng affektuale Sichverhalten steht ebenso an der Grenze und oft jenseits dessen, was bewußt "sinnhaft" orientiert ist; es kann hemmungsloses Reagieren auf einen außeralltäglichen Reiz sein. Eine Sublimierung ist es, wenn das affektual bedingte Handeln als bewußte Entladung der Gefühlslage auftritt: es befindet sich dann meist (nicht immer) schon auf dem Weg zur "Wertrationalisierung" oder zum Zweckhandeln oder zu beiden. 3. Affektuelle und wertrationale Orientierung des Handelns unterscheiden sich durch die bewußte Herausarbeitung der letzten Richtpunkte des Handelns und konsequente planvolle Orientierung daran beim letzteren. Sonst haben sie gemeinsam: daß für sie der Sinn des Handelns nicht in einem jenseits seiner liegenden Erfolg, sondern in einem bestimmt gearteten Handeln als solchen liegt. Affektuell handelt, wer sein Bedürfnis nach aktueller Rache, aktuellem Genuß, aktueller Hingabe, aktueller kontemplativer Seligkeit oder nach Abreaktion aktueller Affekte (egal ob massiver oder sublimer Art) befriedigt. Rein wertrational handelt, wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt im Dienst seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung, Pietät oder die Wichtigkeit einer "Sache" egal welcher Art ihm zu gebieten scheinen. Stets ist (im Sinn unserer Terminologie) wertrationales Handeln ein Handeln nach "Geboten" oder gemäß "Forderungen", die der Handelnde an sich gestellt glaubt. Nur soweit menschliches Handeln sich an solchen Forderungen orientiert - was stets nur in einem sehr verschieden großen, meist ziemlich bescheidenen, Bruchteil der Fall ist - wollen wir von Wertrationalität reden. Wie sich zeigen wird, kommt ihr Bedeutung genug zu, um sie als Sondertyp herauszuheben, obwohl hier im übrigen nicht eine irgendwie erschöpfende Klassifikation der Typen des Handelns zu geben versucht wird. 4. Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mittel und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie schließlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt: also jedenfalls weder affektuell (und insbesondere nicht emotional) noch traditional handelt. Die Entscheidung zwischen konkurrierenden und kollidierenden Zwecken und Folgen kann dabei ihrerseits wert rational orientiert sein: dann ist das Handeln nur in seinen Mitteln zweckrational. Oder es kann der Handelnde die konkurrierenden und kollidierenden Zwecke ohne wertrationale Orientierung an "Geboten" und "Forderungen" einfach als gegebene subjektive Bedürfnisregungen in eine Skala ihrer von ihm bewußt abgewogenen Dringlichkeit bringen und danach sein Handeln so orientieren, daß sie in dieser Reihenfolge nach Möglichkeit befriedigt werden (Prinzip des "Grenznutzens"). Die wertrationale Orientierung des Handelns kann also zur zweckrationalen in verschiedenartigen Beziehungen stehen. Vom Standpunkt der Zweckrationalität aus aber ist Wertrationalität immer, und zwar je mehr sie den Wert, an dem das Handeln orientiert wird, zum absoluten Wert steigert, desto mehr: irrational, weil sie ja umso weniger auf die Folgen des Handelns reflektiert, je unbedingter allein dessen Eigen wert (reine Gesinnung, Schönheit, absolute Güte, absolute Pflichtmäßigkeit) für sie in Betracht kommt. Absolute Zweckrationalität des Handelns ist aber auch nur ein im wesentlichen konstruktiver Grenzfall. 5. Sehr selten ist Handeln, insbesondere soziales Handeln, nur in der einen oder der anderen Art orientiert. Ebenso sind diese Arten der Orientierung natürlich in gar keiner Weise erschöpfende Klassifikationen der Arten der Orientierung des Handelns, sondern für soziologische Zwecke geschaffene begrifflich reine Typen, denen sich das reale Handeln mehr oder weniger annähert oder aus denen es - noch häufiger - gemischt ist. Ihre Zweckmäßigkeit für uns kann nur der Erfolg ergeben.
2. Stets handelt es sich um den im Einzelfall wirklich oder durchschnittlich oder im konstruierten "reinen" Typus von den Beteiligten gemeinten, empirischen Sinngehalt, niemals um einen normativ "richtigen" oder metaphysisch "wahren" Sinn. Die soziale Beziehung besteht, auch wenn es sich um sogenannte "soziale Gebilde", wie "Staat", "Kirche", "Genossenschaft", "Ehe" usw. handelt, ausschließlich und lediglich in der Chance, daß ein seinem Sinngehalt nach in angebbarer Art aufeinander eingestelltes Handeln stattfand, stattfindet oder stattfinden wird. Dies ist immer festzuhalten, um eine "substanzielle" Auffassung dieser Begriffe zu vermeiden. Ein "Staat" hört z. B. soziologisch z. B. dann zu "existieren" auf, sobald die Chance, daß bestimmte Arten von sinnhaft orientiertem sozialen Handeln ablaufen, geschwunden ist. Diese Chance kann eine sehr große oder eine verschwindend geringe sein. In dem Sinn und Maß, wie sie tatsächlich (schätzungsweise) bestand oder besteht, bestand oder besteht auch die betreffende soziale Beziehung. Ein anderer klarer Sinn ist mit der Aussage: daß z. B. ein bestimmter "Staat" noch oder nicht mehr "existiert", schlechthin nicht zu verbinden. 3. Es ist in keiner Art gesagt: daß die an einem aufeinander eingestellten Handeln Beteiligten im Einzelfall den gleichen Sinngehalt in die soziale Beziehung legen oder sich sinnhaft entsprechend der Einstellung des Gegenpartners innerlich zu ihm einstellen, daß also in diesem Sinn "Gegenseitigkeit" besteht. "Freundschaft", "Liebe", "Pietät", "Vertragstreue", "nationales Gemeinschaftsgefühl" von der einen Seite kann auf durchaus andersartige Einstellungen der anderen Seite stoßen. Dann verbinden eben die Beteiligten mit ihrem Handeln einen verschiedenen Sinn: die soziale Beziehung ist insoweit von beiden Seiten objektiv "einseitig". Aufeinander bezogen ist sie aber auch dann insofern, als der Handelnde vom Partner (vielleicht ganz oder teilweise irrigerweise) eine bestimmte Einstellung dieses letzteren ihm (dem Handelnden) gegenüber voraussetzt und an diesen Erwartungen sein eigenes Handeln orientiert, was für den Ablauf des Handelns und die Gestaltung der Beziehung Konsequenzen haben kann und meist wird. Objektiv "beiderseitig" ist sie natürlich nur insoweit, als der Sinngehalt einander - nach den durchschnittlichen Erwartungen jedes der Beteiligten - "entspricht", also z. B. der Vatereinstellung die Kindeseinstellung zumindest annähernd so gegenübersteht, wie der Vater das (im Einzelfall oder durchschnittlich oder typisch) erwartet. Eine völlig und restlos auf gegenseitiger sinn entsprechender Einstellung ruhende soziale Beziehung ist in der Realität nur ein Grenzfall. Fehlen der Beiderseitigkeit aber soll, nach unserer Terminologie, die Existenz einer "sozialen Beziehung" nur dann ausschließen, wenn sie die Folge hat: daß ein Aufeinander bezogensein des beiderseitigen Handelns tatsächlich fehlt. Alle Arten von Übergängen sind hier wie sonst in der Realität die Regel. 4. Eine soziale Beziehung kann ganz vorübergehenden Charakters sein oder aber auf Dauer, d. h. derart eingestellt sein: daß die Chance einer kontinuierlichen Wiederkehr eines sinnentsprechenden (d. h. dafür geltenden und demgemäß erwarteten Verhaltens besteht. Nur das Vorliegen dieser Chance: - der mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit also, daß ein sinnentsprechendes Handeln stattfindet und nichts darüber hinaus - bedeutet der "Bestand" der sozialen Beziehung, was zur Vermeidung falscher Vorstellungen stets gegenwärtig zu halten ist. Daß eine "Freundschaft" oder daß ein "Staat" besteht oder bestand, bedeutet also ausschließlich und allein: wir (die Betrachtenden) urteilen, daß eine Chance vorliegt oder vorlag: daß aufgrund einer bestimmt gearteten Einstellung bestimmter Menschen in einer einem durchschnittlich gemeinten Sinn noch angebbaren Art gehandelt wird, und sonst gar nichts (vgl. Nr. 2 am Ende). Die für die juristische Betrachtung unvermeidliche Alternative: daß ein Rechts satz bestimmten Sinnes entweder (im Rechtssinn) gilt oder nicht, ein Rechts verhältnis entweder besteht oder nicht, gilt für die soziologische Betrachtung als nicht. 5. Der Sinngehalt einer sozialen Beziehung kann wechseln: - z. B. eine politische Beziehung aus Solidarität in eine Interessenkollision umschlagen. Es ist dann nur eine Frage der terminologischen Zweckmäßigkeit und des Maßes von Kontinuität der Wandlung, ob man in solchen Fällen sagt: daß eine "neue" Beziehung gestiftet sei oder: daß die fortbestehende alte einen neuen "Sinngehalt" erhalten habe. Auch kann der Sinngehalt, zum Teil perennierend [dauerhaft - wp], zum Teil wandelbar sein. 6. Der Sinngehalt, welcher eine soziale Beziehung perennierend konstituiert, kann in "Maximen" formulierbar sein, deren durchschnittliche oder sinnhaft annähernde Innehaltung die Beteiligten von dem oder den Partnern erwarten und an denen sie ihrerseits (durchschnittlich und annähernd) ihr Handeln orientieren. Je rationaler - zweckrationaler oder wertrationaler - orientiert das betreffende Handeln seinem allgemeinen Charakter nach ist, desto mehr ist dies der Fall. Bei einer erotischen oder überhaupt affektuellen (z. B. einer "Pietäts"-)Beziehung ist die Möglichkeit einer rationalen Formulierung des gemeinten Sinngehalts z. B. naturgemäß weit geringer als etwa bei einem geschäftlichen Kontraktverhältnis. 7. Der Sinngehalt einer sozialen Beziehung kann durch gegenseitige Zusage vereinbart sein. Dies bedeutet: daß die daran Beteiligten für ihr künftiges Verhalten (sei es zueinander sei es sonst) Versprechungen machen. Jeder daran Beteiligte zählt dann - soweit er rational erwägt - zunächst (mit verschiedener Sicherheit) normalerweise darauf, daß der andere sein Handeln an einem von ihm (dem Handelnden) selbst verstandenen Sinn der Vereinbarung orientieren wird. Er orientiert sein eigenes Handeln teils zweckrational (je nachdem mehr oder weniger sinnhaft "loyal") an dieser Erwartung, teils wertrational an der "Pflicht" auch seinerseits die eingegangene Vereinbarung dem von ihm gemeinten Sinn gemäß zu "halten". Soviel hier vorweg. Im übrigen vgl. § 9 und § 13. Eine tatsächlich bestehende Chance einer Regelmäßigkeit der Einstellung sozialen Handelns soll heißen Brauch, wenn und soweit die Chance ihres Bestehens innerhalb eines Kreises von Menschen lediglich durch eine tatsächliche Übung gegeben ist. Brauch soll heißen Sitte, wenn die tatsächliche Übung auf langer Eingelebtheit beruth. Sie soll dagegen bezeichnet werden als "bedingt durch Interessenlage" ("interessenbedingt"), wenn und soweit die Chance ihres empirischen Bestandes lediglich durch eine rein zweckrationale Orientierung des Handelns der einzelnen an gleichartigen Erwartungen bedingt ist.
2. "Sitte" soll uns eine im Gegensatz zu "Konvention" und "Recht" nicht äußerlich garantierte Regel heißen, an welche sich der Handelnde freiwillig, sei es einfach "gedankenlos" oder aus "Bequemlichkeit" oder aus welchen Gründen auch immer, tatsächlich hält und deren wahrscheinliche Innehaltung er von anderen diesem Menschenkreis Angehörigen aus diesen Gründen gewärtigen kann. Sitte in diesem Sinn wäre also nichts "Geltendes": es wird von niemandem "verlangt", daß er sie mitmacht. Der Übergang von da zu geltenden Konvention und zum Recht ist natürlich absolut flüssig. Überall ist das tatsächlich Hergebrachte der Vater des Geltenden gewesen. Es ist heute "Sitte", daß wir am Morgen ein Frühstück ungefähr angebbarer Art zu uns nehmen; aber irgendeine "Verbinddlichkeit" dazu besteht (außer für Hotelbesucher) nicht; und es war nicht immer Sitte. Dagegen ist die Art der Bekleidung, auch wo sie aus "Sitte" entstanden ist, heute in weitem Umfang nicht mehr nur Sitte, sondern Konvention. Über Brauch und Sitte sind die betreffenden Abschnitte aus Jherings "Zweck im Recht" (Band II) noch heute lesenswert. Vgl. auch Paul Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, 1914 und neuerdings: Ernst Weigelin, Sitte, Recht und Moral, 1919 (übereinstimmend mit mir gegen Stammler). 3. Zahlreiche höchst auffallende Regelmäßigkeiten des Ablaufs sozialen Handelns, insbesondere (aber nicht nur) des wirtschaftlichen Handelns, beruhen keineswegs auf Orientierung an irgendeiner als "geltend" vorgestellten Norm, aber auch nicht auf Sitte, sondern lediglich darauf: daß die Art des sozialen Handelns der Beteiligten, der Natur der Sache nach, ihren normalen, subjektiv eingeschätzten, Interessen so am durchschnittlich besten entspricht und daß sie an dieser subjektiven Ansicht und Kenntnis ihr Handeln orientieren: so etwa Regelmäßigkeiten der Preisbildung bei "freiem" Markt. Die Marktinteressenten orientieren eben ihr Verhalten, als "Mittel", an eigenen typischen subjektiven wirtschaftlichen Interessen als "Zweck" und an den ebenfalls typischen Erwartungen, die sie vom voraussichtlichen Verhalten der anderen hegen, als "Bedingungen", jenen Zweck zu erreichen. Indem sie derart, je strenger zweckrational sie handeln, desto ähnlicher auf gegebene Situationen reagieren, entstehen Gleichartigkeiten, Regelmäßigkeiten und Kontinuitäten der Einstellung und des Handelns, welche sehr oft weit stabiler sind, als wenn Handeln sich an Normen und Pflichten orientiert, die einem Kreis von Menschen tatsächlich als "verbindlich" gelten. Diese Erscheinung: daß Orientierung an der nackten eigenen und fremden Interessenlage Wirkungen hervorbringt, welche jenen gleichstehen, die durch Normierung - und zwar sehr oft vergeblich - zu erzwingen gesucht werden, hat insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet große Aufmerksamkeit erregt: - sie war geradezu eine der Quellen des Entstehens der Nationalökonomie als Wissenschaft. Sie gilt aber von allen Gebieten des Handelns in ähnlicher Art. Sie bildet in ihrer Bewußtheit und inneren Ungebundenheit den polaren Gegensatz gegen jede Art von innerer Bindung durch eine Einfügung in bloße eingelebte "Sitte", wie andererseits gegen eine Hingabe an wertrational geglaubte Normen. Eine wesentliche Komponente der "Rationalisierung" des Handelns ist der Ersatz der inneren Einfügung in eingelebte Sitte durch die planmäßige Anpassung an Interessenlagen. Freilich erschöpft dieser Vorgang den Begriff der "Rationalisierung" des Handelns nicht. Denn außerdem kann diese positiv in der Richtung einer bewußten Wertrationalisierung, negativ aber außer auf Kosten der Sitte auch auf Kosten affektuellen Handelns und schließlich auch zugunsten eines wertungläubigen rein zweckrationalen auf Kosten von wertrational gebundenem Handeln verlaufen. Diese Vieldeutigkeit des Begriffs der "Rationalisierung" des Handelns wird uns noch öfter beschäftigen. (Begriffliches dazu am Schluß!) 4. Die Stabilität der (bloßen) Sitte beruth wesentlich darauf, daß derjenige, welcher sein Handeln nicht an ihr orientiert, "unangepaßt" handelt, d. h. kleine und große Unbequemlichkeiten und Unzuträglichkeiten mit in Kauf nehmen muß, solange das Handeln der Mehrzahl seiner Umwelt nun einmal mit dem Bestehen der Sitte rechnet und darauf eingestellt ist. Die Stabilität der Interessenlage beruth, ähnlich, darauf, daß, wer sein Handeln nich am Interesse der anderen orientiert, - mit diesen nicht "rechnet" - deren Widerstand herausfordert oder einen von ihm nicht gewollten und nicht vorausgesehenen Erfolg hat und so Gefahr läuft, am eigenen Interesse Schaden zu nehmen.
2. Den Sinngehalt einer sozialen Beziehung wollen wir a) nur dann eine "Ordnung" nennen, wenn das Handeln an angebbaren "Maximen" (durchschnittlich und annähernd) orientiert wird. Wir wollen b) nur dann von einem "Gelten" dieser Ordnung sprechen, wenn diese tatsächliche Orientierung an jenen Maximen mindestens auch (also in einem praktisch ins Gewicht fallenden Maß) deshalb erfolgt, weil sie als irgendwie für das Handeln geltend: verbindlich oder vorbildlich, angesehen werden. Tatsächlich findet die Orientierung des Handelns an einer Ordnung naturgemäß bei den Beteiligten aus sehr verschiedenen Motiven statt. Aber der Umstand, daß neben den anderen Motiven die Ordnung mindestens einem Teil der Handelnden auch als vorbildlich oder verbindlich und also gelten sollend vorschwebt, steigert naturgemäß die Chance, daß das Handeln an ihr orientiert wird, und zwar oft in sehr bedeutendem Maß. Eine nur aus zweckrationalen Motiven innegehaltene Ordnung ist im allgemeinen weit labiler als die lediglich kraft Sitte, infolge der Eingelebtheit eines Verhaltens, erfolgende Orientierung an dieser: die von allen häufigste Art der inneren Haltung. Aber sie ist noch ungleich labiler als eine mit dem Prestige der Vorbildlichkeit oder Verbindlichkeit, wir wollen sagen: der "Legitimität", auftretende. Die Übergänge von der bloß traditional oder bloß zweckrationa motivierten Orientierung an einer Ordnung zum Legitimitäts-Glauben sind natürlich in der Realität durchaus flüssig. 3. An der Geltung einer Ordnung "orientieren" kann man sein Handeln nicht nur durch die "Befolgung" ihres (durchschnittlich verstandenen) Sinnes. Auch im Fall der "Umgehung" oder "Verletzung" ihres (durchschnittlich verstandenen) Sinnes kann die Chance ihrer in irgendeinem Umfang bestehenden Geltung (als verbindliche Norm) wirken. Zunächst rein zweckrational. Der Dieb orientiert an der "Geltung" des Strafgesetzes sein Handeln: indem er es verhehlt. Daß die Ordnung innerhalb eines Menschenkreises "gilt", äußert sich eben darin, daß er den Verstoß verhehlen muß. Aber von diesem Grenzfall abgesehen: sehr häufig beschränkt sich die Verletzung der Ordnung auf mehr oder minder zahlreiche Partialverstöße, oder sie sucht sich, mit verschiedenem Maß von Gutgläubigkeit, als legitim hinzustellen. Oder es bestehen tatsächlich verschiedene Auffassungen des Sinnes der Ordnung nebeneinander, die dann - für die Soziologie - jede in dem Umfang "gelten", wie sie das tatsächliche Verhalten bestimmen. Es macht der Soziologie keine Schwierigkeiten, das Nebeneinandergelten verschiedener einander widersprechender Ordnungen innerhalb des gleichen Menschenkreises anzuerkennen. Denn sogar der einzelnen kann sein Handeln an einander widersprechenden Ordnungen orientieren. Nicht nur sukzessiv, wie es alltäglich geschieht, sondern auch durch die gleiche Handlung. Wer einen Zweikampf vollzieht, orientiert sein Handeln am Ehrenkodex, indem er aber dieses Handeln verhehlt oder umgekehrt: sich dem Gericht stellt, am Strafgesetzbuch. Wenn freilich eine Umgehung oder Verletzung des (durchschnittlich geglaubten) Sinns einer Ordnung zur Regel geworden sind, so "gilt" die Ordnung eben nur noch begrenz oder schließlich gar nicht mehr. Zwischen Geltung und Nichtgeltung einer bestimmten Ordnung besteht also für die Soziologie nicht, wie für die Jurisprudenz (nach deren unvermeidlichem Zweck) eine absolute Alternative. Sondern es bestehen flüssige Übergänge zwischen beiden Fällen und es können, wie bemerkt, einander widersprechende Ordnungen nebeneinander "gelten", jede - heißt dies dann - in dem Umfang, als die Chance besteht, daß das Handeln tatsächlich an ihr orientiert wird. Kenner der Literatur werden sich an die Rolle erinnern, welche der Begriff der "Ordnung" in Rudolf Stammlers zweifellos - wie alle seine Arbeiten - glänzend geschriebenen, aber gründlich verfehltem und die Probleme verhängnisvoll verwirrendem, in der Vorbemerkung zitierten Buch spielt. (Vgl. dazu meine ebendort zitierte - im Verdruß über die angerichtete Verwirrung leider in der Form etwas scharf geratene - Kritik). Bei Stammler ist nicht nur das empirische und das normative Gelten nicht geschieden, sondern überdies verkannt, daß das soziale Handeln sich nicht nur an "Ordnungen" orientiert; vor allem aber ist in logisch völlig verfehlter Weise die Ordnung zur "Form" des sozialen Handelns gemacht und dann in eine ähnliche Rolle zum "Inhalt" gerückt, wie sie die "Form" im erkenntnistheoretischen Sinn spielt (von anderen Irrtümern ganz abgesehen). Tatsächlich orientiert sich z. B. das (primär) wirtschaftliche Handeln (Kap. II) an der Vorstellung von der Knappheit bestimmter verfügbarer Mittel der Bedürfnisbefriedigung im Verhältnis zum (vorgestellten) Bedarf und am gegenwärtigen und für künftig vorausgesehenen Handeln Dritter, die auf die gleichen Mittel reflektieren; dabei aber orientiert es sich natürlich außerdem in der Wahl seiner "wirtschaftlichen" Maßregeln an jenen "Ordnungen", welche der Handelnde als Gesetze und Konventionen "geltend" weiß, d. h. von denen er weiß, daß ein bestimmtes Reagieren Dritter im Fall ihrer Verletzung eintreten wird. Diesen höchst einfachen empirischen Sachverhalt hat Stammler in der hoffnungslosesten Weise verwirrt und insbesondere ein Kausalverhältnis zwischen "Ordnung" und realem Handeln für begrifflich unmöglich erklärt. Zwischen dem juristisch-dogmatischen, normativen Gelten der Ordnung und einem empirischen Vorgang gibt es ja in der Tat kein Kausalverhältnis, sondern nur die Frage: wird der empirische Vorgang von der (richtig interpretierten) Ordnung juristisch "betroffen"? soll sie also (normativ) für ihn gelten? und, wenn ja, was sagt sie als für ihn normativ gelten sollend aus? Zwischen der Chance aber, daß an der Vorstellung vom Gelten einer durschnittlich so und so verstandenen Ordnung das Handeln orientiert wird, und dem wirtschaftlichen Handeln besteht selbstverständlich (gegebenenfalls) ein Kausalverhältnis im ganz gewöhnlichen Sinn des Wortes. Für die Soziologie aber "ist" eben lediglich jene Chance der Orientierung an dieser Vorstellung "die" geltende Ordnung.
2. wertrational durch den Glauben an ihre absolute Geltung als Ausdruck letzter verpflichtender Werte (sittlicher, ästhetischer oder irgendwelcher anderer); 3. religiös: durch den Glauben an die Abhängigkeit eines Heilsgüterbesitzes von ihrer Innehaltung; II. auch (oder: nur) durch Erwartungen spezifischer Folgen, also: durch Interessenlage; aber: durch Erwartungen von besonderer Art.
b) Recht, wenn sie äußerlich garantiert ist durch die Chance (physischen oder psychischen) Zwangs durch ein auf Erzwingung der Innehaltung oder Ahndung der Verletzung gerichtetes Handeln eines eigens darauf eingestellten Stabes von Menschen. 1. Konvention soll die innerhalb eines Menschenkreises als "geltend" gebilligte und durch Mißbilligung gegen Abweichungen garantierte "Sitte" heißen. Im Gegensatz zum Recht (im hier gebrauchten Sinn des Wortes) fehlt der speziell auf die Erzwingung eingestellte Menschen stab. Wenn Stammler die Konvention vom Recht durch die absolute "Freiwilligkeit" der Unterwerfung scheiden will, so ist das nicht im Einklang mit dem üblichen Sprachgebrauch und auf für seine eigenen Beispiele nicht zutreffend. Die Befolgung der "Konvention" (im üblichen Wortsinn) - etwa: des üblichen Grüßens, der als anständig geltenden Bekleidung, der Schranken des Verkehrs nach Form und Inhalt - wird dem einzelnen als verbindlich oder vorbildlich durchaus ernsthaft "zugemutet" und durchaus nicht, - wie etwa die bloße "Sitte", seine Speisen in bestimmter Art zu bereiten, - freigestellt. Ein Verstoß gegen die Konvention ("Standessitte") wird oft durch die höchst wirksame und empfindliche Folge des sozialen Boykotts der Standesgenossen stärker geahndet als irgendein Rechtszwang dies vermöchte. Was fehlt, ist lediglich der besondere, auf ein spezifisches, die Innehaltung garantierendes Handeln eingestellte Stab von Menschn, (bei uns: Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte, Exekutoren usw.). Aber der Übergang ist flüssig. Der Grenzfall der konventionellen Garantie einer Ordnung im Übergang zur Rechtsgarantie ist die Anwendung des förmlichen, angedrohten und organisierten Boykotts. Dieser wäre für unsere Terminologie bereits ein Rechtszwangsmittel. Daß die Konvention außer durch die bloße Mißbilligung, diese (oft drastischen) Zwangsmittel anwendet, nicht: ein Stab von Menschen eigens dafür bereit steht. 2. Uns soll für den Begriff "Recht" (der für andere Zwecke ganz anders abgegrenzt werden mag) die Existenz eines Erzwingungs- Stabes entscheidend sein. Dieser braucht natürlich in keiner Art dem zu gleichen, was wir heute gewohnt sind. Insbesondere ist es nicht nötig, daß eine "richterliche" Instanz vorhanden ist. Auch die Sippe (bei der Blutrache und Fehde) ist ein solcher Stab, wenn für die Art ihres Reagierens Ordnungen irgendwelcher Art tatsächlich gelten. Allerdings steht dieser Teil auf der äußersten Grenze dessen, was gerade noch als "Rechtszwang" anzusprechen ist. Dem "Völkerrecht" ist bekanntlich die Qualität als "Recht" immer wieder bestritten worden, weil es an einer überstaatlichen Zwangsgewalt fehlt. Für die hier (als zweckmäßig) gewählte Terminologie würde in der Tat eine Ordnung, die äußerlich lediglich durch Erwartungen der Mißbilligung und der Repressalien des Geschädigten, also konventionell und durch Interessenlage, garantiert ist, ohne daß ein Stab von Menschen existiert, dessen Handeln eigens auf ihre Innehaltung eingestellt ist, nicht als "Recht" zu bezeichnen sein. Für die juristische Terminologie kann dennoch sehr wohl das Gegenteil gelten. Die Mittel des Zwangs sind irrelevant. Auch die "brüderliche Vermahnung", welche in machen Sekten als erstes Mittel sanften Zwangs gegen Sünder üblich war, gehört - wenn durch eine Regel geordnet und durch einen Menschenstab durchgeführt - dahin. Ebenso z. B. die zensorische Rüge als Mittel, "sittliche" Normen des Verhaltens zu garantieren. Erst recht also der psychische Zwang durch die eigentlichen kirchlichen Zuchtmittel. Es gibt also natürlich ganz ebenso ein hierokratisch wie ein politisch oder ein durch Vereinsstatuten oder durch Hausautorität oder durch Genossenschaften und Einungen garantiertes "Recht". Auch die Regeln eines "Komments" gelten dieser Begriffsbestimmung als "Recht". Der Fall des § 888 Abs. 2 der Reichszivilprozeßordnung (unvollstreckbare Rechte) gehört selbstverständlich dahin. Die "leges imperfectae" und die "Naturobligationen" sind Formen der Rechts sprache, in welchen indirekt Schranken oder Bedingungen der Zwangsanwendung ausgedrückt werden. Eine zwangsmäßig oktroyierte "Verkehrssitte" ist insoweit Recht (§§ 157, 242 BGB). Vgl. über den Begriff der "guten Sitte" (= billigenswerte und daher vom Recht sanktionierte Sitte) Max Rümelin in der "Schwäbischen Heimatausgabe für Theodor Häring" (1918). 3. Nicht jede geltende Ordnung hat notwendig generellen und abstrakten Charakter. Geltender "Rechtssatz" und "Rechtsentscheidung" eines konkreten Falles z. B. waren keineswegs unter allen Umständen so voneinander geschieden, wie wir dies heute als normal ansehen. Eine "Ordnung" kann also auch als Ordnung lediglich eines konkreten Sachverhalts auftreten. Alles Nähere gehört in die Rechtssoziologie. Wir werden vorerst, wo nichts anderes gesagt ist, zweckmäßigerweise mit der modernen Vorstellungsweise über die Beziehung von Rechtssatz und Rechtsentscheidung arbeiten. 4. "Äußerlich" garantierte Ordnungen können außerdem auch noch "innerlich" garantiert sein. Die Beziehung zwischen Recht, Konvention und "Ethik" ist für die Soziologie kein Problem. Ein "ethischer" Maßstab ist für sie ein solcher, der eine spezifische Art von wertrationalem Glauben von Menschen als Norm an menschliches Handeln legt, welches das Prädikat des "sittlich Guten" in Anspruch nimmt, ebenso wie Handeln, welches das Prädikat "schön" in Anspruch nimmt, und sich dadurch an ästhetischen Maßstäben mißt. Ethische Normvorstellungen in diesem Sinn können das Handeln sehr tiefgehend beeinflussen und doch jeder äußeren Garantie entbehren. Letzteres pflegt dann der Fall zu sein, wenn durch ihre Verletzung fremde Interessen wenig berührt werden. Sie sind andererseits sehr oft religiös garantiert. Sie können aber auch (im Sinn der hier gebrauchten Terminologie) konventionell, garantiert sein. Jede tatsächlich - im Sinn der Soziologie - "geltende" Ethik pflegt weitgehend durch die Chance der Mißbilligung ihrer Verletzung, also: konventionell, garantiert zu sein. Andererseits beanspruchen aber nicht (mindestens: nicht notwendig) alle konventionell oder rechtlich garantierten Ordnungen den Charakter ethischer Normen, die rechtlichen - oft rein zweckrational gesatzten - im Ganzen noch weit weniger als die konventionellen. Ob eine unter Menschen verbreitete Geltungsvorstellung als dem Bereich der "Ethik" angehörig anzusehen ist oder nicht (also "bloße" Konvention oder "bloße" Rechtsnorm ist, kann für die empirische Soziologie nicht anders als nach demjenigen Begriff des "Ethischen" entschieden werden, der in dem in Frage stehenden Menschenkreis tatsächlich galt oder gilt. Allgemeines läßt sich darüber für sie nicht aussagen.
b) kraft des affektuellen (insbesondere: emotionalen) Glaubens: Geltung des neu Offenbarten oder des Vorbildlichen; c) kraft wertrationalen Glaubens: Geltung des als absolut gültig Erschlossenen; d) kraft positiver Satzung, an deren Legalität geglaubt wird. Diese Legalität kann als legitim gelten α) kraft Vereinbarung der Interessenten für diese; β) kraft Oktroyierung aufgrund einer als legitim geltenden Herrschaft von Menschen über Menschen und Fügsamkeit. Alles Nähere gehört (vorbehaltlich einiger noch weiter zu definierender Begriffe) in die Herrschafts- und Rechtssoziologie. Hier sei nur bemerkt: 1. Die Geltung von Ordnungen kraft Heilighaltung der Tradition ist die universtellste und ursprünglichste. Angst vor magischen Nachteilen verstärkte die psychische Hemmung gegenüber jeder Änderung eingelebter Gepflogenheiten des Handelns und die mannigfachen Interessen, welche sich an eine Erhaltung der Fügsamkeit in die einmal geltenden Ordnung zu knüpfen pflegen, wirkten im Sinn ihrer Erhaltung. Darüber später in Kap. III. 2. Bewußte Neuschöpfungen von Ordnungen waren ursprünglich fast stets prophetische Orakel oder zumindest prophetisch sanktionierte und als solche heilig geglaubte Verkündigungen, bis herab zu den Statuten der hellenischen Aisymneten [altgriech. Beamte - wp]. Die Fügsamkeit hing dann am Glauben an die Legitimation des Propheten. Ohne eine Neuoffenbarung von Ordnungen, d. h. solcher, die als "neu" angesehen wurden, nur so möglich, daß diese als in Wahrheit von jeher geltend und nur noch nicht richtig erkannt oder als zeitweise verdunkelt und nunmehr wieder entdeckt behandelt wurden. 3. Der reinste Typus der wertrationalen Geltung wird durch das "Naturrecht" dargestellt. Wie begrenzt auch immer gegenüber seinen idealen Ansprüchen, so ist doch ein nicht ganz geringes Maß von realem Einfluß seiner logisch erschlossenen Sätze auf das Handeln nicht zu bestreiten und sind diese sowohl von einem offenbarten wie von einem gesatzten wie von einem traditionalen Recht zu scheiden. 4. Die heute geläufigste Legitimitätsform ist der Legalitäts glaube: die Fügsamkeit gegenüber formal korrekt und in der üblichen Form zustandegekommenen Satzungen. Der Gegensatz paktierter und oktroyierter Ordnungen ist dabei nur relativ. Denn sobald die Geltung einer paktierten Ordnung nicht auf einmütiger Vereinbarung beruth, - wie dies in der Vergangenheit oft für erforderlich zur wirklichen Legitimität gehalten wurde, - sondern innerhalb eines Kreises von Menschen auf tatsächlicher Fügsamkeit abweichend Wollender gegenüber Majoritäten - wie es sehr oft der Fall ist, - dann liegt tatsächlich eine Oktroyierung gegenüber der Minderheit vor. Der Fall andererseits, daß gewaltsame oder doch rücksichtslosere und zielbewußtere Minderheiten Ordnungen oktroyieren, die dann auch den ursprünglich Widerstrebenden als legitim gelten, ist überaus häufig. Sowei "Abstimmungen" als Mittel der Schaffung oder Änderung von Ordnungen legal sind, ist es sehr häufig, daß der Minderheitswille die formale Mehrheit erlangt und die Mehrheit sich fügt, also: die Majorisierung nur Schein ist. Der Glaube an die Legalität paktierter Ordnungen reicht ziemlich weit zurück und findet sich zuweilen auch bei sogenannten Naturvölkern: fast stets aber ergänzt durch die Autorität von Orakeln. 5. Die Fügsamkeit gegenüber der Oktroyierung von Ordnungen durch einzelne oder mehrere setzt, soweit nicht bloße Furcht oder zweckrationale Motive dafür entscheiden sind, sondern Legalitätsvorstellungen bestehen, den Glauben an eine in irgendeinem Sinn legitime Herrschafts gewalt des oder der Oktroyierenden voraus, wovon daher gesondert zu handeln ist (§§ 13, 16 und Kap. III). 6. In aller Regel ist Fügsamkeit in Ordnungen außer durch Interessenlagen der allerverschiedensten Art durch eine Mischung von Traditionsgebundenheit und Legalitätsvorstellung bedingt, soweit es sich nicht um ganz neue Satzungen handelt. In sehr vielen Fällen ist den fügsam Handelnden dabei natürlich nicht einmal bewußt, ob es sich um Sitte, Konvention oder Recht handelt. Die Soziologie hat dann die typische Art der Geltung zu ermitteln.
2. Jedes typisch und massenhaft stattfindende Kämpfen und Konkurrieren führt trotz noch so vieler ausschlaggebender Zufälle und Schicksale doch auf die Dauer im Resultat zu einer "Auslese" derjenigen, welche die für den Sieg im Kampf durchschnittlich wichtigen persönlichen Qualitäten in stärkerem Maß besitzen. Welches diese Qualitäten sind: ob mehr physische Kraft oder skrupelfreie Verschlagenheit, mehr Intensität geistiger Leistungs- oder Lungenkraft und Demagogentechnik, mehr Devotion gegen Vorgesetzte oder gegen umschmeichelte Massen, mehr originale Leistungsfähigkeit oder mehr soziale Anpassungsfähigkeit, mehr Qualitäten, die als außergewöhnlich oder solche, die als nicht über dem Massendurchschnitt stehend gelten: - darüber entscheiden die Kampf- und Konkurrenzbedingungen, zu denen, neben allen denkbaren individuellen und Massenqualitäten auch jene Ordnungen gehören, an denen sich, sei es traditionell sei es wertrational oder zweckrational, das Verhalten im Kampf orientiert. Jede von ihnen beeinflußt die Chancen der sozialen Auslese. Nicht jede soziale Auslese ist in unserem Sinn "Kampf". "Soziale Auslese" bedeutet vielmehr zunächst nur: daß bestimmte Typen des Sichverhaltens und also, eventuell, der persönlichen Qualitäten, bevorzugt sind in der Möglichkeit der Gewinnung einer bestimmten sozialen Beziehung (als "Geliebter", "Ehemann", "Abgeordneter", "Beamter", "Bauleiter", "Generaldirektor", "erfolgreicher Unternehmer" usw.). Ob diese soziale Vorzugschance durch "Kampf" realisiert wird, ferner aber: ob sie auch die biologische Überlebenschance des Typus verbessert oder das Gegenteil, darüber sagt sie ansich nichts aus. Nur wo wirklich Konkurrenz stattfindet, wollen wir von "Kampf" sprechen. Nur im Sinn von "Auslese" ist der Kampf tatsächlich, nach aller bisherigen Erfahrung, und nur im Sinn von biologischer Auslese ist er prinzipiell unausschaltbar. "Ewig" ist die Auslese deshalb, weil sich kein Mittel ersinnen läßt, sie völlig auszuschalten. Eine pazifistische Ordnung strengster Observanz kann immer nur Kampfmittel, Kampfobjekte und Kampfrichtung im Sinn der Ausschaltung bestimmter von ihnen regeln. Das bedeutet: daß andere Kampfmittel zum Sieg in der (offenen) Konkurrenz oder - wenn man sich (was nur utopistisch-theoretisch möglich wäre) auch diese beseitigt denkt - dann immer noch in der (latenten) Auslese um Lebens- und Überlebenschancen führen und diejenigen begünstigen, denen sie, gleichviel ob als Erbgut oder Erziehungsprodukt, zur Verfügung stehen. Die soziale Auslese bildet empirisch, die biologische prinzipiell, die Schranke der Ausschaltung des Kampfes. 3. Zu scheiden vom Kampf der einzelnen um Lebens- und Überlebenschancen ist natürlich "Kampf" und "Auslese" soziale Beziehungen. Nur in einem übertragenen Sinn kann man hier diese Begriffe anwenden. Denn "Beziehungen" existieren ja nur als menschliches Handeln bestimmten Sinngehalts. Und eine "Auslese" oder ein "Kampf" zwischen ihnen bedeutet also: daß eine bestimmte Art von Handeln durch eine andere, sei es der gleichen noder anderer Menschen, im Lauf der Zeit verdrängt wird. Dies ist in verschiedener Art möglich. Menschliches Handeln kann sich a) bewußt darauf richten: bestimmte konkrete, oder: generell bestimmt geordnete, soziale Beziehungen d. h. das ihrem Sinngehalt entsprechend ablaufende Handelns zu stören oder im Entstehen oder Fortbestehen zu verhindern (einen "Staat" durch Krieg oder Revolution oder eine "Verschwörung" durch blutige Unterdrückung, "Konkubinate" durch polizeiliche Maßnahmen, "wucherische" Geschäftsbeziehungen durch eine Versagung des Rechtsschutzes und Bestrafung), oder Prämierung des Bestehens der einen Kategorie zuungunsten der andern bewußt zu beeinflussen: Einzelne sowohl wie viele verbundene Einzelne können sich derartige Ziele setzen. Es kann aber auch b) der ungewollte Nebenerfolg des Ablaufs sozialen Handelns und der dafür maßgeblichen Bedingungen aller Art sein: daß bestimmte konkrete, oder bestimmt geartete, Beziehungen (d. h. stets: das betreffende Handeln) eine abnehmende Chance haben, fortzubestehen oder neu zu entstehen. Alle natürlichen und Kulturbedingungen jeglicher Art wirken im Fall der Veränderung in irgendeiner Weise dahin, solche Chancen für die allerverschiedensten Arten sozialer Beziehungen zu verschieben. Es ist jedermann unbenommen, auch in solchen Fällen von einer "Auslese" der sozialen Beziehungen - z. B. der staatlichen Verbände - zu reden, in dem der "Stärkere" (im Sinn des "Angepaßteren") siegt. Nur ist festzuhalten, daß diese sogenannte "Auslese" mit der Auslese der Menschen typen weder im sozialen noch im biologischen Sinn etwas zu tun hat, daß in jedem einzelnen Fall nach dem Grund zu fragen ist, der die Verschiebung der Chancen für die eine oder die andere Form des sozialen Handelns und der sozialen Beziehungen bewirkt, oder eine soziale Beziehung gesprengt oder ihre die Fortexistenz gegenüber anderen gestattet hat, und daß diese Gründe so mannigfaltig sind, daß ein einheitlicher Ausdruck dafür unpassend erscheint. Es besteht dabei stets die Gefahr: unkontrollierte Wertungen in die empirische Forschung zu tragen und vor allem: Apologie des im Einzelfall oft rein individuell bedingten, also in diesem Sinn des Wortes: "zufälligen", Erfolges zu treiben. Die letzten Jahre brachten und bringen davon mehr als zuviel. Denn das oft durch rein konkrete Gründe bedingte Ausgeschaltetwerden einer (konkreten oder qualitativ spezifizierten) sozialen Beziehung beweist ja ansich noch nicht einmal etwas gegen ihre generelle "Angepaßtheit". "Vergesellschaftung" soll eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckrational) motiviertem Interessen ausgleich oder auf ebenso motivierter Interessen verbindung beruth. Vergesellschaftung kann typisch insbesondere (aber nicht: nur) auf rationaler Vereinbarung durch gegenseitige Zusage beruhen. Dann wird das vergesellschaftete Handeln im Rationalitätsfall orientiert an a) wertrational am Glauben an die eigene Verbindlichkeit, - b) zweckrational an der Erwartung der Loyalität des Partners.
2. Vergemeinschaftung kann auf jeder Art von affektueller oder emotionaler oder aber traditionaler Grundlage ruhen: eine pneumatische Brüdergemeinde, eine erotische Beziehung, ein Pietätsverhältnis, eine "nationale" Gemeinschaft, eine kameradschaftlich zusammenhaltende Truppe. Den Typus gibt am bequemsten die Familiengemeinschaft ab. Die große Mehrzahl sozialer Beziehungen aber hat teils den Charakter der Vergemeinschaftung, teils den der Vergesellschaftung. Jede noch so zweckrationale und nüchtern geschaffene und abgezweckte soziale Beziehung (Kundschaft z. B.) kann Gefühlswerte stiften, welche über den gewillkürten Zweck hinausgreifen. Jede über ein aktuelles Zweckvereinshandeln hinausgehende, also auf längere Dauer eingestellte, soziale Beziehungen zwischen den gleichen Personen herstellende und nicht von vornherein auf sachliche Einzelleistungen begrenzte Vergesellschaftung - wie etwa die Vergesellschaftung im gleichen Heeresverband, in der gleichen Schulklasse, im gleichen Kontor, der gleichen Werkstatt - neigt, in freilich höchst verschiedenem Grad, irgendwie dazu. Ebenso kann umgekehrt eine soziale Beziehung, deren normaler Sinn Vergemeinschaftung ist, von allen oder einigen Beteiligten ganz oder teilweise zweckrational orientiert werden. Wie weit z. B. ein Familienverband von den Beteiligten als "Gemeinschaft" gefühlt oder als "Vergesellschaftung" ausgenutzt wird, ist sehr verschieden. Der Begriff der "Vergemeinschaftung" ist hier absichtlich noch ganz allgemein und also: sehr heterogene Tatbestände umfassend, definiert. 3. Vergemeinschaftung ist dem gemeinten Sinn nach normalerweise der radikalste Gegensatz gegen "Kampf". Dies darf nicht darüber täuschen, daß tatsächlich eine Vergewaltigung jeder Art innerhalb auch der intimsten Vergemeinschaftungen gegenüber dem seelisch Nachgiebigeren durchaus normal ist, und daß die "Auslese" der Typen innerhalb der Gemeinschaften ganz ebenso stattfindet und zur Verschiedenheit der durch sie gestifteten Lebens- und Überlebenschancen führt wie irgendwo sonst. Vergesellschaftungen andererseits sind sehr oft lediglich Kompromisse widerstreitender Interessen, welche nur einen Teil des Kampfgegenstandes oder der Kampfmittel ausschalten (oder: dies doch versuchen), den Interessengegensatz selbst und die Konkurrenz um die Chancen im ürbigen aber bestehen lassen. "Kampf" und Gemeinschaft sind relative Begriffe; der Kampf gestaltet sich eben sehr verschieden, je nach den Mitteln (gewaltsame oder "friedliche") und der Rücksichtslosigkeit ihrer Anwendung. Und jede wie auch immer geartete Ordnung sozialen Handelns läßt, wie gesagt, die reine tatsächliche Auslese im Wettbewerb der verschiedenen Menschentypen um die Lebenschancen irgendwie bestehen. 4. Keineswegs jede Gemeinsam keit der Qualitäten, der Situation oder des Verhaltens ist eine Vergemeinschaftung. Zum Beispiel bedeutet die Gemeinsamkeit von biologischem Erbgut, welches als "Rassen"-Merkmal angesehen wird, ansich natürlich noch keinerlei Vergemeinschaftung der dadurch Ausgezeichneten. Durch Beschränkung des commercium [Handel - wp] und connubium [Ehe - wp] seitens der Umwelt können sie in eine gleichartige - dieser Umwelt gegenüber isolierte - Situation geraten. Aber auch wenn sie auf diese Situation gleichartig reagieren, so ist dies noch keine Vergemeinschaftung, und auch das bloße "Gefühl" für die gemeinsame Lage und deren Folgen erzeugt sie noch nicht. Erst wenn sie aufgrund dieses Gefühls ihr Verhalten irgendwie an einander orientieren, entsteht eine soziale Beziehung zwischen ihnen - nicht nur: jedes von ihnen zur Umwelt - und erst soweit diese eine gefühlte Zusammengehörigkeit dokumentiert, "Gemeinschaft". Bei den Juden z. B. ist dies - außerhalb der zionistisch orientierten Kreise und des Handelns einiger anderer Vergesellschaftungen für jüdische Interessen - nur in relativ sehr geringem Maß der Fall, wird von ihnen vielfach geradezu abgelehnt. Die Gemeinsamkeit der Sprache, geschaffen durch gleichartige Tradition von Seiten der Familie und Nachbarumwelt, erleichtert das gegenseitige Verstehen, also die Stiftung aller sozialen Beziehungen, im höchsten Grad. Aber ansich bedeutet sie noch keine Vergemeinschaftung, sondern nur die Erleichterung des Verkehrs innerhalb der betreffenden Gruppen, also: der Entstehung von Vergesellschaftungen. Zunächst: zwischen den einzelnen und nicht in deren Eigenschaft als Sprachgenossen, sondern als Interessenten sonstiger Art: die Orientierung an den Regeln der gemeinsamen Sprache ist primär also nur Mittel der Verständigung, nicht Sinngehalt von sozialen Beziehungen. Erst die Entstehung bewußter Gegensätze gegen Dritte kann für die an der Sprachgemeinsamkeit Beteiligten eine gleichartige Situation, Gemeinschaftsgefühl und Vergesellschaftungen, deren bewußter Existenzgrund die gemeinsame Sprache ist, stiften. - Die Beteiligung an einem "Markt" (Begriff siehe Kap. II) ist wiederum anders geartet. Sie stiftet Vergesellschaftung zwischen den einzelnen Tauschpartnern und eine soziale Beziehung (vor allem: "Konkurrenz") zwischen den Tauschreflektanten, die gegenseitig ihr Verhalten aneinander orientieren müssen. Aber darüber hinaus entsteht Vergesellschaftung nur, soweit etwa einige Beteiligte zum Zweck eines erfolgreicheren Preiskampfs, oder: sie alle zu Zwecken der Regelung und Sicherung des Verkehrs, Vereinbarungen treffen. (Der Markt und die auf ihm ruhende Verkehrswirtschaft ist im übrigen der wichtigste Typus der gegenseitigen Beeinflussung des Handelns durch die nackte Interessenlage, wie sie in der modernen Wirtschaft charakteristisch ist.) Eine geschlossene soziale Beziehung kann monopolisierte Chancen den Beteiligten a) frei oder b) nach Maß und Art reguliert oder rationiert oder c) den einzelnen oder Gruppen von ihnen dauernd und relativ oder völlig unentziehbar appropriiert [in Besitz genommen - wp] garantieren (Schließung nach innen). Appropriierte Chancen sollen "Rechte" heißen. Die Appropriation kann gemäß der Ordnung 1) an die an bestimmten Gemeinschaften und Gesellschaften - z. B. Hausgemeinschaften - Beteiligten oder 2) an Einzelne und in diesem Fall a: rein persönlich oder b: so erfolgen, daß im Todesfall ein oder mehrere durch eine soziale Beziehung oder durch Geburt (Verwandtschaft) mit dem bisherigen Genießer der Chance Verbundenen oder der oder die von ihm zu bezeichnenden Anderen in die appropriierten Chancen einrücken (erbliche Appropriation). Sie kann schließlich 3) so erfolgen, daß der Genießer die Chance a). bestimmten oder schließlich b): daß er sie beliebigen anderen durch Vereinbarung mehr oder weniger frei abtreten kann (veräußerliche Appropriation). Der an einer geschlossenen Beziehung Beteiligte soll Genosse, im Fall der Regulierung der Beteiligten aber, sofern diese ihm Chancen appropriiert, Rechtsgenossen genannt werden. Erblich an Einzelne oder an erbliche Gemeinschaften oder Gesellschaften appropriierte Chancen sollen: Eigentum (der einzelnen oder der betreffenden Gemeinschaften oder Gesellschaften), veräußerlich appropriierte: freies Eigentum heißen.
1. a) Traditional geschlossen pflegen z. B. Gemeinschaften zu sein, deren Zugehörigkeit sich auf Familienbeziehungen gründet. b) Affektuell geschlossen zu sein pflegen persönliche Gefühlsbeziehungen (z. B. erotische oder - oft - pietätsmäßige). c) Wertrational (relativ) geschlossen pflegen strikte Glaubensgemeinschaften zu sein. d) Zweckrational typisch geschlossen sind ökonomische Verbände mit monopolistischem oder plutokratischem Charakter. Einige Beispiele beliebig herausgegriffen: Offenheit oder Geschlossenheit einer aktuellen Sprachvergesellschaftung hängt vom Sinngehalt ab (Konversatioin im Gegensatz zu intimer oder geschäftlicher Mitteilung). - Die Marktbeziehung pflegt primär zumindest oft offen zu sein. - Bei zahlreichen Vergemeinschaftungen und Vergesellschaftungen beobachten wir einen Wechsel zwischen Propagierung und Schließung. So z. B. bei den Zünften, den demokratischen Städten der Antike und des Mittelalters, deren Mitglieder zeitweise, im Interesse der Sicherung ihrer Chancen durch Macht, die möglichste Vermehrung, zu anderen Zeiten, im Interesse des Wertes ihres Monopols, Begrenzung der Mitgliedschaft erstrebten. Ebenso nicht selten bei Mönchsgemeinschaften und Sekten, die von religiöser Propaganda zur Abschließung im Interesse der Hochhaltung des ethischen Standards oder auch aus materiellen Gründen übergingen. Verbreiterung des Marktes im Interesse vermehrten Umsatzes und monopolistische Begrenzung des Marktes stehen ähnlich nebeneinander. Sprachpropaganda findet sich heute als normale Folge der Verleger- und Schriftsteller-Interessen gegenüber den früher nicht seltenen ständisch geschlossenen und Geheimsprachen. 2. Das Maß und die Mittel der Regulierung und Schließung nach außen können sehr verschieden sind, so daß der Übergang von Offenheit zu Reguliertheit und Geschlossenheit flüssig ist: Zulassungsleistungen und Noviziate oder Erwerb eines bedingt käuflichen Mitgliedsanteils, Ballotage [geheime Abstimmung - wp] für jede Zulassung, Zugehörigkeit oder Zulassung kraft Geburt (Erblichkeit) oder kraft jedermann freistehender Teilnahme an bestimmten Leistungen oder - im Fall der Schließung und Appropriation nach innen - kraft Erwerbs eines appropriierten Rechts und die verschiedensten Abstufungen der Teilnahmebedingungen finden sich. "Reguliertheit" und "Geschlossenheit" nach außen sind also relative Begriffe. Zwischen einem vornehmen Klub, einer gegen Billet zugänglichen Theatervorstellung und einer auf Werbung ausgehenden Parteiversammlung, einem frei zugänglichen Gottesdient, demjenigen einer Sekte und den Mysterien eines Geheimbundes bestehen alle denkbaren Übergänge. 3. Die Schließung nach innen - unter den Beteiligten selbst und im Verhältnis dieser zueinander - kann ebenfalls die verschiedenste Form annehmen. Zum Beispiel kann eine nach außen geschlossene Kaste, Zunft oder etwa: Börsengemeinschaft ihren Mitgliedern die freie Konkurrenz miteinander um alle monopolisierten Chancen überlassen oder ein jedes Mitglied streng auf bestimmte, ihm lebenslang oder auch (so namentlich in Indien) erblich und veräußerlich appropriierte Chancen, so z. B. Kundschaften oder Geschäftsobjekte, beschränken, einen nach außen geschlossene Markgenossenschaft dem Markgenossen entweder freie Nutzung oder ein streng an den Einzelhaushalt gebundenes Kontingent, ein nach außen geschlossener Siedlungsverband freie Nutzung des Bodens oder dauernd appropriierte feste Hufenanteile zubilligen und garantieren, all dies mit allen denkbaren Übergängen und Zwischenstufen. Historisch z. B. haben die Schließung der Anwartschaften auf Lehen, Pfründen und Ämter nach Innen und die Appropriation an die Inhaber höchst verschiedene Formen angenommen, und ebenso kann - wozu die Entwicklung der "Betriebsräte" der erste Schritt sein könnte (aber nicht: sein muß) - die Anwartschaft auf und die Innehabung von Arbeitsstellen sich vom closed shop bis zum Recht an der einzelnen Stelle (Vorstufe: Verbot der Entlassung ohne Zustimmung der Vertreter der Arbeiterschaft) steigern. Alle Einzelheiten gehören in die sachliche Einzelanalyse. Das Höchstmaß dauernder Appropriation besteht bei solchen Chancen, welche dem einzelnen (oder bestimmten Verbänden einzelner, z. B. Hausgemeinschaften, Sippen, Familien) derart garantiert sind, daß 1. im Todesfall der Übergang in bestimmte andere Hände durch die Ordnungen geregelt und garantiert ist, - 2. die Inhaber der Chance dieselbe frei an beliebige Dritte übertragen können, welche dadurch Teilhaber der sozialen Beziehung werden: diese ist also, im Fall so einer vollen Appropriation nach inne, zugleich eine nach außen (relativ) offene Beziehung (sofern sie den Mitgliedschaftserwerb nicht an die Zustimmung der anderen Rechtsgenossen bindet). 4. Motiv der Schließung kann sein a) Hochhaltung der Qualität und (eventuell) dadurch des Prestiges und der daran haftenden Chancen der Ehre und (eventuell) des Gewinnes. Beispiele: Asketen-, Mönchs- (insbesindere auch z. B. in Indien: Bettelmönchs-), Sekten-(Puritaner!), Krieger-, Ministerialen- und andere Beamten- und politischen Bürgerverbände (z. B. in der Antike), Handwerkereinungen; b) Knappwerden der Chancen im Verhältnis zum (Konsum-)Bedarf ("Nahrungsspielraum"): Konsumtionsmonopol (Archetypos: die Markgemeinschaft); c) Knappwerden der Erwerbschancen ("Erwerbsspielraum"): Erwerbsmonopol (Archetypos: die Zunft- oder die alten Fischereiverbände usw.). Meist ist das Motiv a mit b oder c kombiniert.
2. Der Tatbestand der "Solidarität" besteht typisch a) bei traditionalen Geburts- oder Lebensgemeinschaften (Typus: Haus und Sippe), - b) bei geschlossenen Beziehungen, welche die monopolisierten Chancen durch eigene Gewaltsamkeit behaupten (Typus: politische Verbände, insbesondere in der Vergangenheit, aber in weitestem Umfang, namentlich im Krieg, auch noch der Gegenwart), - c) bei Erwerbsvergesellschaftungen mit persönlich durch die Beteiligten geführtem Betrieb (Typus: Artjel [russische Genossenschaft - wp]). - Der Tatbestand der "Vertretung" besteht typisch bei Zweckvereinen und gesatzten Verbänden, insbesondere dann, wenn ein "Zweckvermögen" (darüber später in der Rechtssoziologie) gesammelt und verwaltet wird. 3. Nach "Merkmalen" zugewiesen ist eine Vertretungsgewalt z. B., wenn sie nach der Reihenfolgen des Alters oder nach ähnlichen Tatbeständen zuständig wird. 4. Alles Einzelne dieses Sachverhalts läßt sich nicht generell, sondern erst bei der soziologischen Einzelanalyse darlegen. Der älteste und allgemeinste hierher gehörige Tatbestand ist die Repressalie, als Rache sowohl wie als Pfandzugriff.
2. Die "Existenz" des Verbandes haftet ganz und gar am "Vorhandensein" eines Leiters und eventuell eines Verwaltungsstabes. Das heißt genauer ausgedrückt: am Bestehen der Chance, daß ein Handeln angebbarer Personen stattfindet, welches seinem Sinn nach die Ordnungen des Verbandes durchzuführen trachtet: daß also Personen vorhanden sind, die darauf "eingestellt" sind, gegebenenfalls in jenem Sinn zu handeln. Worauf diese Einstellung beruth: ob auf traditionalr oder affektueller oder wertrationaler Hingabe (Lehens-, Amts-, Dienst-Pflicht) oder auf zweckrationalen Interessen (Gehaltsinteresse usw.), ist begrifflich vorerst gleichgültig. In etwas anderem als der Chance des Ablaufs jenes, in jener Weise orientierten, Handelns "besteht", soziologische gesehen, der Verband also für unsere Terminologie nicht. Fehlt die Chance dieses Handelns eines angebbaren Personen stabes (oder: einer angebbaren Einzelperson), so besteht für unsere Terminologie eben nur eine "soziale Beziehung", aber kein "Verband". Solange aber die Chance jenes Handelns besteht, solange "besteht", soziologisch gesehen, der Verband trotz des Wechsels der Personen, die ihr Handeln an der betreffenden Ordnung orientieren. (Die Art der Definition hat den Zweck: eben diesen Tatbestand sofort einzubeziehen). 3. a) Außer dem Handeln des Verwaltungsstabes selbst oder unter dessen Leitung kann auch ein spezifisches an der Verbandsordnung orientiertes Handeln der sonst Beteiligten typisch ablaufen, dessen Sinn die Garantie der Durchführung der Ordnung ist (z. B. Abgaben oder leiturgische [dienstliche - wp] persönliche Leistungen aller Art: Geschworenendienst, Militärdienst usw.) - b) Die geltende Ordnung kann auch Normen enthalten, an denen sich in anderen Dingen das Handeln der Verbandsbeteiligten orientieren soll (z. B. im Staatsverband das "privatwirtschaftliche", nicht der Erzwingung der Geltung der Verbandsordnung, sondern Einzelinteressen dienende Handeln: am "bürgerlichen" Recht). Die Fälle a kann man "verbandsbezogenes Handeln", diejenigen der Fälle b verbands geregeltes Handeln nennen. Nur das Handeln des Verwaltungsstabes selbst und außerdem alles planvoll von ihm geleitete verbandsbezogene Handeln soll "Verbandshandeln" heißen. "Verbandshandeln" wäre z. B. für alle Beteiligten ein Krieg, den ein Staat "führt" oder eine "Eingabe", die ein Vereinsvorstand beschließen läßt, ein "Vertrag", den der Leiter schließt und dessen "Geltung" den Verbandsgenossen oktroyiert und zugerechnet wird (§ 11), ferner der Ablauf aller "Rechtsprechung" und "Verwaltung". (siehe auch § 14)
Ordnungen eines Verbandes können außer den Genossen auch Ungenossen oktroyiert werden, bei denen bestimmte Tatbestände vorliegen. Insbesondere kann ein solcher Tatbestand in einer Gebietsbeziehung (Anwesenheit, Geburt, Vornahme gewisser Handlungen innerhalb eines Gebietes) bestehen: "Gebietsgeltung". Ein Verband, dessen Ordnungen grundsätzlich Gebietsgeltung oktroyieren, soll Gebietsverband heißen, einerlei inwieweit seine Ordnung auch nach innen: den Verbandsgenossen gegenüber, nur Gebietsgeltung in Anspruch nimmt (was möglich ist und zumindest in begrenztem Umfang vorkommt).
2. Auch die formal "freien" Vereinbarungen sind, wie allgemein bekannt, sehr häufig tatsächlich oktroyiert (so in der Obschtschina). Dann ist für die Sozilogie nur der tatsächliche Sachverhalt maßgeben. 3. Der hier gebrauchte "Verfassungs"-Begriff ist der auch von Lassalle verwendete. Mit der "geschriebenen" Verfassung, überhaupt mit der Verfassung im juristischen Sinn, ist er nicht identisch. Die soziologische Frage ist lediglich die: wann, für welche Gegenstände und innerhalb welcher Grenzen und - eventuell - unter welchen besonderen Voraussetzungen (z. B. Billigung von Göttern oder Priestern oder Zustimmung von Wahlkörperschaften usw.) fügen sich dem Leiter die Verbandsbeteiligten und steht ihm der Verwaltungsstab und das Verbandshandeln zu Gebote, wenn er "Anordnungen trifft", insbesondere Ordnungen oktroyiert. 4. Den Haupttypus der oktroyierten "Gebietsgeltung" stellen dar: Strafrechtsnormen und manche andere "Rechtssätze", bei denen Anwesenheit, Geburt, Tatort, Erfüllungsort usw. innerhalb des Gebietes des Verbandes Voraussetzungen der Anwendung der Ordnung sind, in politischen Verbänden. (Vgl. den Gierke-Preußschen Begriff der "Gebietskörperschaft".)
2. Über den Begriff des "Verbandshandelns" siehe § 12, Nr. 3. Unter den Begriff der "Verwaltungsordnung" fallen alle Regeln, die gelten wollen für das Verhalten sowohl des Verwaltungsstabs, wie der Mitglieder "gegenüber dem Verband", wie man zu sagen pflegt, d. h. für jene Ziele, deren Erreichung die Ordnungen des Verbandes durch ein von ihnen positiv vorgeschriebenes planvoll eingestelltes Handeln seines Verwaltungsstabes und seiner Mitglieder zu sichern trachtet. Bei einer Absolut kommunistischen Wirtschaftsorganisation würde annähernd alles soziale Handeln darunter fallen, bei einem absoluten Rechtsstaat andererseits nur die Leistung der Richter, Polizeibehörden, Geschworenen, Soldaten und die Betätigung als Gesetzgeber und Wähler. Im allgemeinen - aber nicht immer im einzelnen - fällt die Grenze der Verwaltungs- und der Regulierungsordnung mit dem zusammen, was man im politischen Verband als "öffentliches" und "Privatrecht" scheidet. (Das Nähere darüber in der Rechtssoziologie.) Verein soll ein vereinbarter Verband heißen, dessen gesatzte Ordnungen nur für die krfaft persönlichen Eintritts Beteiligten Geltung beanspruchen. Anstalt soll ein Verband heißen, dessen gesatzte Ordnungen innerhalb eines anggebbaren Wirkungsbereiches jedem nach bestimmten Merkmalen angebbaren Handeln (relativ) erfolgreich oktroyiert werden.
2. "Verein" und "Anstalt" sind beide Verbände mit rational (planvoll) gesatzten Ordnungen. Oder richtiger: soweit ein Verband rational gesatzte Ordnungen hat, soll er Verein oder Anstalt heißen. Eine "Anstalt" ist vor allem der Staat neben all seinen heterokephalen Verbänden und - soweit ihre Ordnungen rational gesatzt sind - die Kirche. Die Ordnungen einer "Anstalt" erheben den Anspruch zu gelten für jeden, auf den bestimmte Merkmale (Geburt, Aufenthalt, Inanspruchnahme bestimmter Einrichtungen) zutreffen, einerlei ob der Betreffende persönlich - wie beim Verein - beigetreten ist und vollends: ob er bei den Satzungen mitgewirkt hat. Sie sind also in ganz spezifischem Sinn oktroyierte Ordnungen. Die Anstalt kann insbesondere Gebiets verband sein. 3. Der Gegensatz von Verein und Anstalt ist relativ. Vereinsordnungen können die Interessen Dritter berühren und es kann diesen dann die Anerkennung der Gültigkeit dieser Ordnungen oktroyiert werden, durch Usurpation und Eigenmacht des Vereins sowohl wie durch legal gesatzte Ordnungen (z. B. Aktienrecht). 4. Es bedarf kaum der Betonung: daß "Verein" und "Anstalt" nicht etwa die Gesamtheit aller denkbaren Verbände restlos unter sich aufteilen. Sie sind, ferner nur "polare" Gegensätze (so auf religiösem Gebiet: "Sekte" und "Kirche"). Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; Disziplin soll heißen die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden.
2. Der Begriff der "Disziplin" schließt die "Eingeübtheit" des kritik- und widerstandslosen Massen gehorsams ein.
2. Ein Verband ist vermöge der Existenz seines Verwaltungsstabes stets in irgendeinem Grad Herrschaftsverband. Nur ist der Begriff relativ. Der normale Herrschaftsverband ist als solcher auch Verwaltungsverband. Die Art wie der Charakter des Personenkreises, durch welchen und die Objekte, welche verwaltet werden und die Tragweite der Herrschaftsgeltung bestimmen die Eigenart des Verbandes. Die ersten beiden Tatbestände aber sind im stärksten Maß durch die Art der Legitimitäts grundlagen der Herrschaft begründet (über diese siehe unten Kap. III.). Hierokratischer Verband soll ein Herrschaftsverband dann und insoweit heißen, als zur Garantie seiner Ordnungen psychischer Zwang durch Spendung oder Versagung von Heilsgütern (hierokratischer Zwang) verwendet wird. Kirche soll ein hierokratischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und soweit sein Verwaltungsstab das Monopol legitimen hierokratischen Zwangs in Anspruch nimmt.
2. Es ist nicht möglich, einen politischen Verband - auch nicht: den "Staat" - durch Angeben des Zweckes seines Verbandshandelns zu definieren. Von der Nahrungsfürsorge bis zur Kunstprotektion hat es keinen Zweck gegeben, den politische Verbände nicht gelegentlich, von der persönlichen Sicherheitsgarantie bis zur Rechtsprechung keinen, den alle politischen Verbände befolgt hätten. Man kann daher den "politischen" Charakter eines Verbandes nur durch das - unter Umständen zum Selbstzweck gesteigerte - Mittel definieren, welches nicht ihm allein eigen, aber allerdings spezifisch und für sein Wesen unentbehrlich ist: die Gewaltsamkeit. Dem Sprachgebrauch entspricht dies nicht ganz; aber er ist ohne Präzisierung unbrauchbar. Man spricht von "Devisenpolitik" der Reichsbank, von der "Finanzpolitik" einer Vereinsleitung, von der "Schulpolitik" einer Gemeinde und meint damit die planvolle Behandlung und Führung einer bestimmten sachlichen Angelegenheit. In wesentlich charakteristischerer Art scheidet man die "politische" Zeitund, die "politische" Revolution, den "politischen" Verein, die "politische" Partei, die "politische" Folge von anderen: wirtschaftlichen, kulturellen, religiösen usw. Seiten oder Arten der betreffenden Personen, Sachen, Vorgänge, - und meint damit all das, was mit den Herrschaftsverhältnissen innerhalb des (nach unserem Sprachgebrauch:) "politischen" Verbandes: des Staats, zu tun hat, deren Aufrechterhaltung, Verschiebung, Umsturz herbeiführen oder verhindern oder fördern kann, im Gegensatz zu Personen, Sachen, Vorgängen, die damit nichts zu schaffen haben. Es wird also auch in diesem Sprachgebrauch das Gemeinsame im Mittel: "Herrschaft": in der Art nämlich, wie eben staatliche Gewalten sie ausüben, unter Ausschaltung des Zwecks, dem die Herrschaft dient, gesucht. Daher läßt sich behaupten, daß die hier zugrunde gelegte Definition nur eine Präzision des Sprachgebrauchs enthält, indem sie das tatsächlich Spezifische: die Gewaltsamkeit (aktuelle oder eventuelle) scharf betont. Der Sprachgebrauch nennt freilich "politische Verbände" nicht nur die Träger der als legitim geltenden Gewaltsamkeit selbst, sondern z. B. auch Parteien und Klubs, welche die (auch: ausgesprochen nicht gewaltsame) Beeinflussung des politischen Verbandshandelns bezwecken. Wir wollen diese Art des sozialen Handelns als "politisch orientiert" von dem eigentlich "politischen" Handelns (dem Verbands handeln der politischen Verbänder selbst im Sinn von § 12, Nr. 3 scheiden. 3. Den Staats begriff empfiehlt es sich, da er in seiner Vollentwicklung durchaus modern ist, auch seinem modernen Typus entsprechend - aber wiederumg: unter Abstraktion von den, wie wir ja gerade jetzt erleben, wandelbaren inhaltlichen Zwecken - zu definieren. Dem heutigen Staat formal charakteristisch ist: eine Verwaltungs- und Rechtsordnung, welche durch Satzungen abänderbar sind, an der der Betrieb des Verbandshandelns des (gleichfalls durch Satzung geordneten) Verwaltungsstabes sich orientiert und welche Geltung beansprucht nicht nur für die - im wesentlichen durch Geburt in den Verband hineingelangenden - Verbandsgenossen, sondern in weitem Umfang für alles auf dem beherrschten Gebiet stattfindende Handeln (also: gebietsanstaltsmäßig). Ferner aber: daß es "legitime" Gewaltsamkeit heute nur noch insoweit gibt, als die staatliche Ordnung sie zuläßt oder vorschreibt (z. B. dem Hausvater das "Züchtigungsrecht" beläßt, einen Rest einstmaliger eigenlegitimer, bis zur Verfügung über Tod und Leben des Kindes oder Sklaven gehender Gewaltsamkeit des Hausherren). Dieser Monopolcharakter der staatlichen Gewaltherrschaft ist ein ebenso wesentliches Merkmal ihrer Gegenwartslage wie ihr rationale "Anstalts"- und kontinuierlicher "Betriebs"-Charakter. 4. Für den Begriff des hierokratischen Verbandes kann die Art der in Aussicht gestellten Heilsgüter - diesseitig, jenseitig, äußerlich, innerlich - kein entscheidendes Merkmal bilden, sondern die Tatsache, daß ihre Spendung die Grundlage geistlicher Herrschaft über Menschen bilden kann. Für den Begriff "Kirche" ist dagegen nach dem üblichen (und zweckmäßigen) Sprachgebrauch ihr in der Art der Ordnungen und des Verwaltungsstabs sich äußernder (relativ) rationaler Anstalts- und Betriebscharakter und die beanspruchte monopolistische Herrschaft charakteristisch. Dem normalen Streben der kirchlichen Anstalt nach eignet ihr hierokratische Gebiets herrschaft und (parochiale) territoriale Gliederung, wobei im Einzelfall die Frage sich verschieden beantwortet: durch welche Mittel diesem Monopolanspruch Nachdruck verliehen wird. Aber derart wesentlich wie dem politischen Verband ist das tatsächliche Gebiets herrschaftsmonopol für die Kirchen historisch nicht gewesen und heute vollends nicht. Der "Anstalts"-Charakter, insbesondere der Umstand, daß man in die Kirche "hineingeboren" wird, scheidet sie von der "Sekte", deren Charakteristikum darin liegt: daß sie "Verein" ist und nur die religiös Qualifizierten persönlich in sich aufnimmt. (Das Nähere gehört in die Religionssoziologie.)
1) Über Konvention siehe neben JHERING, a. a. O., WEIGELIN, a. a. O. und TÖNNIES, Die Sitte (1909). |