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JULIUS BAUMANN
Ernst Machs philosophische Ansichten

"Wenn Ursache und Wirkung in der Wissenschaft die Voraussetzung eines notwendigen Zusammenhangs zwischen dem Dasein von a und der Abwandlung des b zu β ausdrückt, so kann dieses Denken der Notwendigkeit nur ein apriorisches Element im menschlichen Geist sein, da sich in der Wahrnehmung immer nur, heute wie einst, ein zeitliches Aufeinanderfolgen nachweisen läßt. Wo der Begriff der Ursache entstand, war immer etwas in ihm, was eben nicht in der Wahrnehmung liegt, also aus der über die Wahrnehmung noch hinausdenkenden Natur des Geistes stammen muß."

"Mir ist immer auffallend, wie die, welche die Mathematik durch idealisierende Abstraktionen entstehen lassen, das apriorische Element verkennen können, welches eben in diesem Idealisieren ansich liegt. Idealisieren heißt doch so denken, wie es in der Wahrnehmung nicht vorliegt, also muß diese Tätigkeit aus der Seite des Geistes stammen, welche in keiner Weise ein bloßes Abbild oder Abdruck der Wahrnehmung ist."

"Alles in der Wissenschaft sind unsere Vorstellungen, unsere Bewußtseinszustände. Auch wenn es jemals gelänge, die Atome wie die Zellen unter einem Mikroskop zu sehen, würde das, was wir sehen, unsere Empfindungen und somit Bewußtseinszustände sein. Es hängt das allem Wissen seinem Begriff nach an, daß es nicht die Dinge ist, sondern Vorstellungen."

Ich lege bei diesen Betrachtungen über MACHs philosophische Ansichten die beiden neuesten Schriften desselben zugrunde, die "populärwissenschaftlichen Vorlesungen" (1896) und die "Wärmelehre" (1896). Ich werde die Wärmelehre (bezeichnet als W) und die Vorlesungen (bezeichnet als V) als gleichwertig herbeiziehen, da sie im selben Jahr herausgegeben sind; oft stimmen Stellen beider Schriften wörtlich überein.

I. Eine Hauptaufstellung MACHs ist:
    "Der Vergleich ist das mächtigste innere Lebenselement der Wissenschaft. Theorie ist indirekte Beschreibung. - Es erscheint geboten, in dem Maße, als man mit den neuen Tatsachen vertraut wird, an die Stelle der indirekten die direkte Beschreibung treten zu lassen." (V)

    "Newton findet für die Keplerschen Bewegungen die Bedingungen, die erklärende Vorstellung, in der modifizierten Annahme der Schwere und die entfernteste Folge dieses Gedankens weiß er mit den Tatsachen zu vergleichen und an denselben zu bestätigen." (W)

    "Statt ganz neue Vorstellungen über die Bewegungen der Himmelskörper, über das Flutphänomen zu bilden - - ersetzen wir soweit als möglich die neuen Vorstellungen durch anschauliche, längst geläufige." (W)

    "Analogie ist ein wirksames Mittel, heterogene Tatsachengebiete durch eine einheitliche Auffassung zu bewältigen, der Weg zu einer allgemeinen, alle Gebiete umfassenden physikalischen Phänomenologie." (V)

    "Analogien sind der Weg, auf dem sich eine allgemeine, alle Gebiete umfassende physikalische Phänomenologie, eine hypothesenfreie Darstellung der Physik entwickeln wird." (W)

    "Die imposantesten Sätze der Physik, lösen wir sie in ihre Elemente auf, unterscheiden sich in nichts von den beschreibenden Sätzen des Naturhistorikers." (V)

    "Die Physik lebt und wächst wie jede andere Wissenschaft (Zoologie, physische Geographie, Sprachforschung) durch Vergleichung." (W)

    "Analogie ist keine Identität." (W)

    "Das Ziel der Forschung ist die vollständige Beschreibung der Tatsachen." (W)

    "Das Ideal ist ein vollständiges, übersichtliches Inventar der Tatsachen eines Gebietes." (W)

    "Was in mechanischer Physik wirklich geleistet worden ist, besteht entweder in einer Erläuterung physikalischer Vorgänge durch uns geläufigere mechanische Analogien, wofür die Theorien des Lichts und der Elektrizität, oder in der genauen quantitativen Ermittlung des Zusammenhangs mechanischer Vorgänge mit anderen physikalischen Prozessen, wofür die der Thermodynamik angehörigen Arbeiten Beispiele bieten." (V)

    "Klar ist uns eine Tatsache, wenn wir dieselbe durch recht einfache, uns geläufige Gedankenoperationen, etwa die Bildung von Beschleunigungen, geometrische Summation derselben usw. nachbilden können." (V, W)
Wie verhalten sich diese Aufstellungen zu den überkommenen Ansichten? Ein Hauptbeispiel wissenschaftlicher Erklärung war stets die NEWTONsche Übertragung der Schwere an der Erde auf das Verhältnis der Planeten zur Sonne und dann auf alle Weltkörper, ja auf jedes Teilchen der Materie im Verhältnis zu anderen. Aus der so vorausgesetzten Zentripetalkraft zusammen mit der Tangentialkraft erklärten sich die Bewegungen der Planeten natürlich, d. h. mit den in der Natur tatsächlich vorhandenen Kräften, während man sie bis dahin besonderen ihnen vorstehenden Intelligenzen zugeschrieben hatte. Der Ausgangspunkt war die Kenntnis der Schwere an der Erde; diese kannte man bloß als Tatsache, kam über eine Beschreibung derselben nicht hinaus, und auch durch die Voraussetzung der Schwere als allgemeiner Eigenschaft der Materie ist dies nicht geändert. Die Schwere ist noch immer eine Tatsache, die bloß beschrieben werden kann. Es ist also ganz richtig, daß auf Beschreibung zuletzt die erklärenden Wissenschaft (zunächst der Physik) zurückgeht. Aber ist deshalb die Erklärung mittels der Schwere bloß eine indirekte Beschreibung?

Nehmen wir andere Beispiele: Die Wogen des sturmbewegten Meeres werden mit Hilfe von Öl beschwichtigt. Es war das lange eine Tatsache, die als solche beschrieben wurde. Warum hält man sie für der Erklärung zugänglich, seit man darauf kam, daß dabei die Oberflächenspannung (Flüssigkeitshaut) eine Rolle spielt? Weil dann die Tatsache nicht mehr für sich steht, sondern mit anderen in vielen Fällen konstatierten Tatsachen in Zusammenhang gebracht ist. Dabei kann die Oberflächenspannung ansich immerhin eine bloß zu beschreibende Tatsache sein; sofern diese Tatsache als da vorhanden aufgezeigt wird, wo man zunächst nicht sie zu sehen glaubte, sondern etwas eigener Art, wird sie zum Erklärungsgrund derselben.

Die muschelführenden Schichten der sub-appeninischen Gebirge erregten nach LYELL vor mehr als zwei Jahrhunderten die Aufmerksamkeit der ältesten italienischen Geologen. Man kam auf allerlei Deutungen. Schließlich erforschte DONATI den Boden des adriatischen Meeres und fand die weitgehende Ähnlichkeit zwischen den neuen Ablagerungen, die sich dort bildeten, und denjenigen, welche Hügel von über 1000 m Höhe in verschiedenen Teilen der Halbinsel zusammensetzten. Hier hatte man eine Tatsache, auf welche man die erste Tatsache zurückführen konnte, was zugleich nötigte die sub-appeninischen Gebirge als im Meer entstanden anzusehen. - LISTER fand in fauligen Wunden eine unzählige Menge von Vibrionen (Lebewesen). Die Keime derselben konnten nur durch die Luft in die Wunde hineingetragen worden sein. Er bestäubte daher die Wunde mit verdünnter Carbolsäure, welche den Keimen besonders schädlich ist. Indem dann die Wundfäule nicht eintrat, war zugleich die Erklärung der bisher so häufigen Erscheinung der Wundfäule gegeben.

Rechenkünstler setzen oft in das größte Erstaunen, aber ihre wunderbar scheinenden Leistungen werden erklärbar, wenn konstatiert ist, daß 1) manche die Tafel mit Ziffern vor sich sehen (visuelles Gedächtnis), 2) anderes das Klangbild der Ziffern haben (akustisches Gedächtnis), 3) andere wohlgeübte Mnemotechniker sind und mit jedem Zahlzeichen von 1-10 einen Konsonanten verbinden, daraus dann Wörter zusammensetzen und es dadurch dazu bringen, eine aus 36 Zahlen bestehende Zahl in 5 Minuten zu lernen, indem sie sie aus den Wörtern zurückübersetzen.

Erklären heißt demnach, einen Tatbestand, der scheinbar eigenartig ist, als mit einem anderen bekannten Tatbestand gleichartig aufweisen, mit dem bestimmten Gedanken, durch die bekannten Eigenschaften dieses zweiten Tatbestandes die scheinbare Eigenartigkeit des ersten als nicht vorhanden aufgewiesen zu haben. Es handelt sich dabei wesentlich darum, aufzuzeigen, daß es mehr Identitäten in der Welt gibt, der natürlichen und der geistigen, als es zunächst den Anschein hat, keineswegs handelt es sich bloß um Analogien, Vergleichungen, wie MACH es darstellt. Wenn die NEWTONsche Schwerkraft nicht überall die gleiche ist, so erklärt sie die Himmelsbewegungen nicht; wenn das Öl nicht durch die Oberflächenspannung die Beruhigung des Meeres herbeiführt, so bleibt die Erscheinung unerklärt, ebenso in den anderen Fällen.

Freilich wird das, womit erklärt wird, als im Hintergrund der zu erklärenden Erscheinung vorhanden vorausgesetzt, und wenn wir nicht an die Erscheinungen gebunden wären, sondern uns in diesen Hintergrund hineinversetzen könnten, so würden wir, wie man die Schwere an der Erde als Tatsache konstatieren konnte, sie auch im Hintergrund jedes Partikelchens der Materie im Verhalten zu anderen konstatieren können. Wir würden dann unmittelbar haben, was wir jetzt bloß vermittelt erlangen, daß es mehr Identitäten in der Welt gibt, als es zunächst scheint. Diese Erkenntnis ist aber durchaus wertvoll, und ist doch etwas Anderes als die bloße Beschreibung des Naturhistorikers. Denn sofern dieser bloß beschreiben konnte, wie etwa vor der Aufhellung der Mineralogie durch die Chemie, vor der Zellentheorie, vor dem Darwinismus, sprach man mit Fug noch nicht von Erklären; nur weil in der Naturbeschreibung jetzt schon so viel an Erklären stattfindet, kann man Naturlehre und Naturbeschreibung immer mehr annähern. Man nehme zum Vergleich die Geschichtswissenschaft. Man kann da das Genie nicht erklären, soweit man es nicht mit den gewöhnlichen Eigenschaften der Menschen seiner Zeit auf eine Linie stellen kann, aber man nähert sich einer Erklärung, soweit man das kann, etwa bei SHAKESPEARE, bei NAPOLEON, immer zugebend, daß noch ein Rest unerklärbar ist, weil er nicht auf Gleichartiges zurückgeführt werden kann.

Der in den obigen Anführungen aus MACH zuletzt angegebene Gedanke ist eine besondere Art der Erklärung, die synthetische, wo eine Tatsache und ihre quantitative Steigerungsmöglichkeit bekannt ist, und wo beides zusammen dann einen zunächst für sich dastehenden Tatbestand verständlich macht.

II. Über die Ursache läßt sich MACH so aus:
    "Die Humesche Kritik des Ursachbegriffs bleibt aufrecht." (W)

    "Wo wir eine Ursache angeben, drücken wir nur ein Verknüpfungsverhältnis, einen Tatbestand aus, d. h. wir beschreiben." (W)

    "Es empfiehlt sich, den Begriff Ursache ganz aufzugeben und vielmehr die begrifflichen Bestimmungselemente einer Tatsache als abhängig voneinander anzusehen, ganz in demselben Sinn, wie das der Mathematiker, etwa der Geometer tut." (W, V)

    "Eine andere als eine logische Notwendigkeit, etwa eine physikalische, existiert eben nicht." (W)

    "Auf der Übung, die Vorstellung der Tatsachen mit jener ihres allseitigen Verhaltens fest zu verbinden, beruth die starke Erwartung eines bekannten Erfolges, der dem Naturforscher wie eine Notwendigkeit erscheint. Das Verhältnis, welches in der geometrischen Anschauung von selbst besteht, wird hier allmählich künstlich hergestellt." (W)

    "Alle Naturerkenntnis stammt in letzter Linie aus der Erfahrung. Die Erfahrung lehrt, daß die sinnlichen Elemente α β γ δ ..., in welche die Welt zerlegt werden kann, der Veränderung unterworfen sind, und sie lehrt ferner, daß gewisse dieser Elemente an andere Elemente gebunden sind, so daß sie miteinander auftreten oder verschwinden, oder daß das Auftreten der Elemente der einen Art an das Verschwinden der Elemente der anderen Art geknüpft ist. Man denkt sich diese gegenseitige Abhängigkeit am Besten so, wie man sich in der Geometrie etwa die gegenseitige Abhängigkeit der Seiten und Winkel eines Dreiecks vorstellt, nur weitaus mannigfaltiger und komplizierter." (V)

    "Was wir Ursache und Wirkung nennen, sind hervorstechende Merkmale einer Erfahrung, die für unsere Gedankennachbildung wichtig sind. Ihre Bedeutung verblaßt, sobald eine Erfahrung geläufig wird." (V)

    "Unser Forschen geht nach den Gleichungen, welche zwischen den Elementen der Erscheinungen bestehen." (V)

    "Sowie in der Ellipse nur gewisse der Gleichung entsprechenden Werte, so kommen in der Welt nur gewisse Wertänderungen vor." (V)

    "Der Glaube an die geheimnisvolle Macht, Kausalität, welche Gedanken und Tatsachen in Übereinstimmung hält, wird bei dem sehr erschüttert, der zum ersten Mal ein neues Erfahrungsgebiet, z. B. die sonderbare Wechselwirkung [Dialektik - wp] elektrischer Ströme und Magnete oder die Wechselwirkung von Strömen wahrnimmt, die so aller Mechanik zu spotten scheint. Er fühlt sich von seiner Prophetengabe sofort verlassen." (V)

    "Überlegen wir uns nun, was vorgeht, wenn der Beobachtungskreis, dem unsere Gedanken angepaßt sind, sich erweitert." (V)

    "Wirklich hat, wo die Tatsachen uns nach allen Seiten geläufig werden, die Frage warum? ihr Recht verloren." (V)

    "Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß manche Denkform nicht erst vom Individuum erworben wird, sondern durch die Entwicklung der Art vorgebildet oder doch vorbereitet ist." (V)

    "Die Wissenschaft hat teilweise vorliegende Tatsachen in Gedanken zu ergänzen, dies wird durch die Beschreibung ermöglicht; denn diese setzt eine Abhängigkeit der beschreibenden Elemente voneinander voraus, da ja sonst nichts beschrieben wäre." (V)

    "Die gegenseitige Abhängigkeit der verschiedenen Eigenschaften eines geometrischen oder Naturgebildes voneinander drängt sich mit Deutlichkeit auf. Die Notwendigkeit und Beständigkeit dieser Abhängigkeit wird bemerkbar. Die wenige Achtung vor den Begriffen Ursache und Wirkung bei den Vertretern der philologischen Fachgruppe (der Wissenschaften) mag sich daraus erklären, daß das ihnen geläufige Verhältnis von Motiv und Handlung lange nicht dieselbe sichtliche Einfachheit und Bestimmtheit darbietet." (V)
Zunächst bemerke ich, daß wir in den letzten Worten ein Beispiel zum Sinn von Erklären haben. Die Tatsache ist nach MACH, daß Naturwissenschaftler vor dem Begriff Ursache und Wirkung viel Achtung haben, dies aber bei den Vertretern philologischer Fächer vermißt wird. Diese Tatsache, die etwas für sich scheint, führt er darauf zurück, daß Ursache und Wirkung in den philologischen Fächern nicht in einfacher und bestimmter Weise vorkommen, sondern in der Form von Motiv und Handlung, wo Motiv eine Vorstellung etwa und ein Gefühl bedeutet, auf das bei dem einen eine Handlung folgt, bei dem anderen nicht, auch bei demselben Menschen manchmal folgt, manchmal nicht. Dadurch entsteht eine bloß ungefähre Regelmäßigkeit ("keine Regel ohne Ausnahme") und dies wird von den betreffenden Fachleuten dann auf die ganze Welt übertragen. HELMHOLTZ hat darauf hingewiesen, daß die angehenden Studenten bei Naturgesetzen immer an grammatische Regeln denken, also gerade die Ausnahmslosigkeit und die Folgerungen daraus für die konkreten Probleme verfehlten. Diese Erklärung, gewiß vielfach zutreffend, ist eine Rückführung der zunächst als solche für sich dastehenden Tatsache auf eine andere, eine Gleichsetzung der ersteren mit dieser zweiten, Identität, nicht Analogie oder bloße Vergleichung.

Über "Ursache" ist der allgemeine Sinn von MACHs Aussagen nicht zweifelhaft. Ursache als eine Macht, welche Gedanken und Tatsachen in Übereinstimmung hält, ist ihn an solchen Fällen zweifelhaft geworden, die sich nicht den angenommenen mechanischen Herleitungen fügen. Daraus hat er sich sofort den HUMEschen Gedanken angeeignet: Ursache ist eine gewohnheitsmäßige oder regelmäßige Verknüpfung zweier Tatsachen, und daher scheint es ihm besser, die Analogie des mathematischen Abhängigkeitsverhältnisses an die Stelle von Ursache und Wirkung zu setzen.

Nun kann man HUME durchaus darin Recht geben, daß in der Wahrnehmung sich bei Ursache und Wirkung stets nur eine zeitliche Aufeinanderfolge aufzeigen läßt, aber deshalb wird man doch daran festhalten, daß sich, durch die Erfahrung selbst angeregt, der Gedanke einer notwendigen Verknüpfung dazu gesellt (in anderer als der mathematischen Weise) und daß sich dieser Gedanke in derselben durch Folgerungen (quantitative Steigerung oder Minderung in der Ursache mit quantitativer Steigerung oder Minderung in der Wirkung) durchaus verifizieren läßt, nie so, daß wir hineinsehen in die letzte Seins- und Tätigkeitsweise der Dinge, aber so, daß wir Grund haben, den Gedanken einer notwendigen Verknüpfung für keinen leeren zu halten. Die Notwendigkeit ist dabei allerdings in unserem Denken, denn Notwendigkeit ist nichts anderes als die Undenkbarkeit des Gegenteils, aber sie erleidet eine reale Anwendung, indem wir mit Fug annehmen, daß, wenn die und die Elemente da sind, nur die und die Betätigungsweisen derselben stattfinden, etwa daß sich organische Keime ohne gewisse Temperaturbedingungen nicht entwickeln. MACH müßte eigentlich mit HUME die Assoziation der Erwartung ähnlicher Fälle an die Stelle des strengen Ursachbegriffs setzen, mit dem doch auch heute noch die reale Wissenschaft steht und fällt; er zieht es vor die Gleichungen der Geometrie heranzuziehen, womit er wieder etwas von Notwendigkeit hineinlegt und von einer Weise der Notwendigkeit, von der wir in den Erfahrungswissenschaften oft weit entfernt sind.

Aber bei dieser Heranziehung der geometrischen Gleichungen ist noch vergessen, daß dieselben sich nicht von selbst machen, sondern sie werden im Kopf gebildet, d. h. im Geist des Geometers, der doch auch eine und zwar höchst komplizierte Ursache ist. Die geometrischen Sätze sind ewige Wahrheiten in dem Sinn, daß, wenn sie gedacht werden, sie nur so und so gedacht werden können, aber es muß doch ein geistiges Wesen sein, das sie denkt, und die objektive Geometrie ist nicht als geometrisches Gebilde da, sondern als Körper, die auf uns wirken und von denen man die geometrischen Eigenschaften abstrahieren kann, wenn man sein Denken auf dieselben richtet. Daß, wenn wir eine Ursache angeben, wir ein Verknüpfungsverhältnis, einen Tatbestand ausdrücken, d. h. beschreiben, kann MACH nur sagen, weil schließlich alle Angabe in Worten "beschreiben" genannt werden kann. Die Abhängigkeit in der Geometrie und zwischen Ursache und Wirkung in der Erfahrung ist eine ganz verschiedene. Dort von der geometrischen Phantasie (Anschauung) abhängig, hier unsere wissenschaftliche Phantasie oft erst ganz konterkarierend [entgegenwirkend - wp] und doch als reale Abhängigkeit indirekt erweisbar. Die immanente Abhängigkeit der Seiten und Winkel eines Dreiecks voneinander, wie ist sie unvergleichbar etwa mit den physikalischen Ursachen unserer Empfindungen und den Empfindungen selbst. Die Frage nach dem Warum bei Tatsachen hat nur dann ihr Recht verloren, wenn zu den Tatsachen auch ihre Ursachen schon mitgerechnet werden, was gar nicht immer der Fall ist, wie die Beispiele lehren, wo wir diese Ursachen noch gar nicht kennen, was wohl oft der Fall ist. Die Andeutung, daß Kausalität vielleicht nicht vom Individuum jetzt erst erworben wird, sondern durch die Entwicklung der Art vorgebildet oder doch vorbereitet wurde, zeigt, wie leicht eine scheinbare Harmonisierung gegenüberstehender Ansichten, hier die SPENCERs, nachgesprochen wird. Wenn Ursache und Wirkung in der Wissenschaft die Voraussetzung eines notwendigen Zusammenhangs zwischen dem Dasein von a und der Abwandlung des b zu β ausdrückt, so kann dieses Denken der Notwendigkeit nur ein apriorisches Element im menschlichen Geist sein, da sich in der Wahrnehmung immer nur, heute wie einst, ein zeitliches Aufeinanderfolgen nachweisen läßt. Die Vererbung einer bloßen Wahrnehmungsassoziation kann zum wissenschaftlichen Begriff der Ursache nichts beitragen; wo er entstand, war immer etwas in ihm, was eben nicht in der Wahrnehmung liegt, also aus der über die Wahrnehmung noch hinausdenkenden Natur des Geistes stammen muß.

III. Wie sieht MACH die Mathematik selbst an? Er rühmt der Kirchhoffschen Formel, einfachste "Beschreibung der Bewegungen sei Aufgabe der Mechanik", nach, daß aus ihr der reine logisch-ästhetische Sinn des Mathematikers spreche". (V) Über Mathematik selbst findet sich wenig.
    "Auch in Bezug auf den uns gegebenen Raum haben bekanntlich mathematische und physiologische Untersuchungen gelehrt, daß derselbe ein wirklicher unter vielen denkbaren Fällen ist, über dessen Eigentümlichkeiten nur die Erfahrung uns belehren kann." (V)

    "Unsere instinktiven Kenntnisse treten uns eben vermöge der Überzeugung, daß wir bewußt und willkürlich nichts zu denselbenn beigetragen haben, mit einer Autorität und logischen Gewalt entgegen, die bewußt und willkürlich erworbene Kenntnisse aus wohlbekannter Quelle und von leicht erprobter Fehlbarkeit niemals erreichen. Alle sogenannten Axiome sind solche instinktiven Erkenntnisse." (V)

    "Die Mathematik operiert vorwiegend mit selbstgeschaffenen Konstruktionen, welche nur enthalten, was sie selbst hineingelegt hat. Die Physik muß abwarten, wie weit die Naturobjekte ihren Begriffen entsprechen." (W)

    "Unser Sehraum ist mit dem geometrischen nicht identisch; doch entspricht der erstere dem letzteren so, daß jedem Punkt des einen ein Punkt des anderen zugeordnet ist, und daß einer kontinuierlichen Verschiebung im einen eine ebensolche im anderen entspricht; - ohne den Gebrauch eines starren Maßstabes vorauszusetzen, können die Kongruenzsätze nicht aufgestellt werden." (W)

    "Die Geometrie idealisiert ihre Objekte ganz ebenso wie die Physik." (W)

    "Die gerade Linie ist eine Ideal." (W)

    "Bei Anwendungen erlaube ich mir dieselbe Freiheit, die ich mir bei Anwendung der Arithmetik erlaube, indem ich die physischen Einheiten als gleich ansetze." (W)

    "Von den Objekten, auf welche wir die Arithmetik anwenden, setzen wir nur voraus, daß sich dieselben gleich bleiben." (W)

    "Zählen ist nur eine eigene Ordnungstätigkeit." (W)

    "Die Untrennbarkeit und Einfachheit des sinnlichen Erfahrungsaktes, welcher gewissen mathematischen Erfahrungsakten zugrunde liegt (Unvorstellbarkeit des Gegenteils bei 2 x 2 = 4; wächst der Winkel eines Dreiecks, so auch zugleich die gegenüberliegende Seite) neben der Leichtigkeit, die Erfahrung zu wiederholen, gründet ein besonderes Gefühl der Sicherheit." (W)
Das Logische der Mathematik sieht MACH wohl in der Abstraktion, das Ästhetische in der Idealisierung dieser Abstraktionen. Mir ist immer auffallend, wie die, welche die Mathematik durch idealisierende Abstraktionen entstehen lassen, das apriorische Element verkennen können, welches eben in diesem Idealisieren ansich liegt. Idealisieren heißt doch so denken, wie es in der Wahrnehmung nicht vorliegt, also muß diese Tätigkeit aus der Seite des Geistes stammen, welche in keiner Weise ein bloßes Abbild oder Abdruck der Wahrnehmung ist." In den "Beiträgen zur Analyse der Empfindungen" (1886) hat MACH über mathematische Phantasie geschrieben:
    "Daß man in der bloßen geometrischen Phantasie Entdeckungen machen kann, wie es täglich geschiehtf, zeigt nur, daß auch die Erinnerung an die Erfahrung uns noch Momente zu Bewußtsein bringen kann, die früher unbeachtet blieben, so wie man am Nachbild einer hellen Lampe noch neue Einzelheiten zu bemerken vermag."
Allein in der Mathematik handelt es sich um das Exaktmachen der Abstraktionen aus der Erfahrung, wobei dieses Exakte eingestandenermaßen in der Erfahrung selbst nicht ist. So etwas findet nach MACH auch in der Physik statt; gewiß, aber eben darum kommt die Physik auch nicht ohne apriorische Begriffe oder Begriffselemente zustande, nur müssen diese apriorischen Elemente, um gültig zu sein (Ursachbegriff, geometrische, arithmetische Begriffe) einer indirekten Verifikation durch die Erfahrung unterzogen werden (siehe oben bei Ursache). Über das Raumproblem äußert sich MACH nur kurz; nach ihm ist unser Raum nur einer unter vielen denkbaren Fällen. Abgeschlossen sind diese Untersuchungen noch nicht. Axiome, also auch die mathematischen, sind ihm instinktive Erkenntnisse und deren Autorität und logische Gewalt scheint ihm den bewußten und willkürlich erworbenen überlegen. Aber solche instinktiven Erkenntnisse sind keineswegs immer haltbar, man denke an die animistische Auffassung, aus der heraus noch jede Magd spricht: Das Feuer will heute nicht brennen, obwohl ich alles so gemacht habe wie sonst. MACH leitet das Gefühl der Sicherheit bei elementaren mathematischen Vorstellungen aus der Untrennbarkeit und Einfachheit und leichten Wiederholbarkeit des Erfahrungsaktes ab, d. h. aus einer untrennbaren Assoziation. Wir haben aber viele ähnliche unlösbare Assoziationen, die wir, wenn unser Denken erst reifer wird, doch nicht ansehen wie die mathematischen Vorstellungen; wir halten sie im gegebenen Weltlauf für wirklich, aber nicht für notwendig, d. h. behaupten nicht die Undenkbarkeit des Gegenteils.

IV. Am Meisten kommt MACHs allgemeine wissenschaftliche Ansicht wohl zutage bei dem, was er über die Energie im modernen Sinn sagt.
    "Durch mechanische Arbeit können die verschiedensten physikalischen (thermischen, elektrischen, chemischen usw.) Veränderungen eingeleitet werden. Werden dieselben rückgängig, so erstatten sie die mechanische Arbeit wieder, genau in demselben Betrag, welcher zur Erzeugung des rückgängig gewordenen Teils nötig war. Darin besteht der Satz der Erhaltung der Energief. Für das unzerstörbare Etwas, als dessen Maß die mechanische Arbeit gilt, ist allmählich der Name Energie in Gebrauch gekommen." (V)

    "Es findet eine Konformität statt im Verhalten aller Energien, d. h. Übereinstimmung im Umwandlungsgesetz der Energien." (V)

    "Die substanzielle Auffassung der Arbeit (Energie) ist keineswegs eine notwendige. Ich sehe in derselben lediglich das formale Bedürfnis nach einer anschaulichen, übersichtlichen, einfachen Rechnung, welches sich im praktischen Leben entwickelt hat, und das man nun, so gut es geht, auf das Gebiet der Wissenschaft überträgt. - Es bleibt aber die Frage, wie weit die Natur demselben (diesem formalen Bedürfnis) entspricht, oder wie weit wir demselben entsprechen können. - Es scheint, daß die Substanzauffassung des Energieprinzips ... ihre natürlichen Grenzen in den Tatsachen hat, über welche hinaus sie nur künstlich festgehalten werden kann." (V)

    "Kann man denn nicht auch denken, daß ein DIng an einem Ort vergeht, und an einem anderen ein gleiches entsteht? Wissen wir denn im Grunde genommen mehr davon, warum ein Körper einen Ort verläßt und an einem anderen auftaucht, als wieso ein kalter Körper warm wird?" (V)
Dieser letzte Satz ist gegen die gerichtet, welche die Ortsveränderung für die einzig klare Vorstellung halten, oder die, welche alle qualitative Änderung auf quantitative zurückführen.

Es ist gewiß nichts dagegen zu haben, wenn Jemand bei der Energie und ihrer Umwandlung sich an die quantitativen aufstellbaren Gesetze derselben hält, es war das im Grunde auch der Sinn von NEWTONs "mathematischer" Naturphilosophie, welche die Schwere bloß nach ihren quantitativen Verhältnissen als Tatsache feststellte, die Ursachen noch dahingestellt sein ließ. Aber Gedanken können sich darüber hinaus aufdrängen, und daß dann eine substanzielle Grundlage der Energie im Allgemeinen vorausgesetzt wird, ist ein Ergebnis gerade der wissenschaftlichen Entwicklung. Nach dieser kann man nicht denken, daß ein Ding an einem Ort vergeht und an einem anderen ein gleiches entsteht. Alle Wissenschaft, auch die griechische, hat damit angefangen, zu erkennen teils nach Andeutungen der Erfahrung, teils nach Denküberlegungen, daß nichts schlechthin vergeht und nichts aus nichts entsteht. Von Ortsveränderung und überhaupt quantitativer Änderung wissen wir durchaus nicht, wie sie im letzten Grund gemacht wird, aber die genaue Erfahrung hat mehr und mehr darauf hingeleitet, schon die Alten und noch mehr die Neueren, daß eine Ortsveränderung und quantitative Änderung das Maßgebende bei den Naturvorgängen sind. MACH führt einmal die Atomistik DALTONs darauf zurück, daß dieser Schulmeister gewesen ist - was keine schöne Art des Streitens ist -, und halb widerwillig räumt er ein, daß der atomistischen Vorstellung durch die Stereochemie wieder Glauben zugewachsen ist. Es ist aber gewiß nur anzuerkennen, wenn die Chemie dem einseitigen Geltendmachen der Energiebetrachtungen gegenüber erklärt, sie könne sich ihre Atome nicht anders denn als reale Wesen denken, und dann sieht, wie weit sie für sich damit kommt. Es wird die Berechtigung dieser Vorstellungsweise nicht widerlegt durch die Bemerkung MACHs:
    "Auch bei Molekülen und Atomen suchen wir den dunklen Klumpen, den wir unwillkürlich (zu den nach Mach damit gemeinten instrumentalen und intellektuellen Operationen) hinzudenken, vergebens außerhalb unseres Denkens." (V)
Denn dieser Einwand beweist zu viel. Alles in der Wissenschaft sind unsere Vorstellungen, unsere Bewußtseinszustände. Auch wenn es jemals gelänge, die Atome wie die Zellen unter einem Mikroskop zu sehen, würde das, was wir sehen, unsere Empfindungen und somit Bewußtseinszustände sein. Es hängt das allem Wissen seinem Begriff nach an, daß es nicht die Dinge ist, sondern Vorstellungen, aber es kann zum Vorstellen mitgehören, daß dabei gedacht wird und mit Grund, d. h. Bewußtseinsgrund, gedacht wird, daß der Vorstellungsinhalt so ist, wie er ist, weil ein von unserem Bewußtsein Verschiedenes unser Bewußtsein bestimmt hat, denselben zu bilden. Gerade so haben wir die Überzeugung von der selbständigen Existenz unserer Nebenmenschen auch nach ihrer geistigen Seite, die wir gleichfalls nie direkt kennen, sonden als Vorstellungen in uns.

V. Es ist nach IV. zu erwarten, daß MACH überhaupt den Substanz- oder Dingbegriff nicht mag. Es ist das gewöhnlich mit der Abschwächung des Kausalbegriffs verbunden.
    "Körper oder Dinge sind abkürzende Gedankensymbole für Gruppen von Empfindungen, Symbole, die außerhalb unseres Denkens nicht existieren." (V)

    "Substanz ist das unbedingt Beständie, oder jenes, welches wir dafür halten." (W)

    "Es ist eine Beständigkeit der Verbindung der sinnlichen Elemente, um das es sich beim Körper (als Substanz) handelt." (W)

    "Ein Körper, den ich in einer gewissen Weise wahrnehme, muß auch von anderen in entsprechender Weise wahrgenommen werden, d. h. ähnliche Gleichungen, wie dieselben zwischen den enger zusammenhängenden Elementen bestehen, welche mein Ich darstellen, finden auch zwischen den Elementen anderer Iche, I1, I3, I3 statt, deren Vorstellung mein Weltverständnis erleichtert und es bestehen solche die Elemente aller I, I1, I2 umfassende Gleichungen." (W)

    "Materie = die beständige Beziehung der Einzeleigenschaften." (W)

    "Die Beziehungen zwischen Bedingungen und Bedingtem, die Gleichungen, welche größere oder kleinere Gebiete beherrschen, sind das eigentlich Bleibende, Substanzielle, dasjenige, dessen Ermittlung ein stabiles Weltbild ermöglicht." (W)
MACH stellt sich auf denselben isolierenden Standpunkt bei Ding oder Substanz, wie bei der Kausalität. In der Empfindung ist nur eine Verbindung von Empfindungseindrücken nachweisbar, und diese Empfindungen sind Bewußtseinszustände. Aber deshalb bleibt doch, wie bei der Kausalität, daß wir zu den Empfindungen von unserem Bewußtsein unabhängige Bedingungen hinzudenken, durch welche dasselbe gerade jetzt zur Vorstellung dieser Aufeinanderfolge, dieses Zusammens von Empfindungen bestimmt wird. Und man kann doch nicht schließen: alles, was über die Empfindungen als solche und ihr Nacheinander oder Zusammen im Denken hinausgeht, ist falsch, sondern höchstens: weil etwas über die Empfindung hinaus zur Empfindung hinzugedacht wird, so gilt es zuzusehen, vielleicht indirekt, ob unter der Voraussetzung, das Hinzugedachte sei richtig, dasselbe sich, etwa indirekt, verifizieren läßt. MACH drückt sich über die Annahme anderer Iche aus, daß dieselbe mein Weltverständnis erleichtert; dasselbe gilt aber auch von der Annahme realer Dinge, denn die anderen Iche kennen wir nur unter der Voraussetzung dieser, unmittelbar nehem wir sie als Iche gar nicht wahr, sondern als Körper, denen wir nur nach Analogie mit uns ein Ich beilegen. Damit ist über das Wesen der Körper und der Iche noch nichts vorweggenommen, es ist nur eine Bahn eröffnet für mehr als eine phänomenalistische Auffassung.

VI. Nach allem Bisherigen sollte man meinen, MACH kämpft für eine streng phänomenalistische Auffassung und enthält sich jeder metaphysischen Aussage. Weit gefehlt! Er entfaltet gelegentlich eine Willensmetaphysik, als sei sie das Selbstverständlichste von der Welt. So heißt es in (W):
    "Zwar stehen die Vorgänge der unorganischen Welt in einer gewissen Parallele zu jenen der organischen, doch werden dieselben der einfachen Umstände wegen viel elementareren Gesetzen unterliegen. Etwas einem Willen Analoges wird auch dort bestehen; der Schluß auf eine volle Persönlichkeit einem Baum oder Stein gegenüber erscheint aber auf unserer Kulturstufe unbegründet",
und in (V) lautet eine Stelle:
    "und bestätigt das Wort des großen Denkers vom Willen, der sich den Intellekt für seine Zwecke schuf."
MACH seint sich diesen monistischen Willen aber nach eigenem Ansatz zu denken, denn in den "Beiträgen zur Analyse der Empfindungen" (1886) heißt es Seite 37-38:
    "Die Erhaltung der Art ist überhaupt nur ein tatsächlicher wertvoller Anhaltspunkt für die Forschung, keineswegs aber der letzte und höchste. Arten sind ja wirklich zugrunde gegangen und neue wohl ebenso zweifellos entstanden. Der lustsuchende und schmerzfliehende Wille muß also wohl weiter reichen als bis zur Erhaltung der Art. Er erhält die Art, wenn es sich lohnt, er bildet sie um, wenn es sich lohnt, er vernichtet sie, wenn ihr Bestand sich nicht mehr lohnt. Wäre er nur auf die Erhaltung der Art gerichtet, so bewegte er sich, alle Individuen und sich selbst betrügend, ziellos in einem fehlerhaften Zirkel."
VII. Diese Metaphysik hängt bei MACH damit zusammen, daß ihm das Denken ohne weiteres eine Äußerung des Organismus ist.
    "Erkenntnis ist eine Äußerung der organischen Natur." (V)

    "Gedanken sind Äußerungen des organischen Lebens." (W)

    "Gedanken sind organische Prozesse. Die Änderung unserer Denkweise ist das feinste Reagens auf unsere organische Entwicklung, die uns, von dieser Seite betrachtet, unmittelbar gewiß ist." (W)

    "Diese ersten (Willens-)Funktionen wurzeln in der Ökonomie des Organismus nicht minder fest als Bewegung und Verdauung." (V)

    "Die Gedanken sind nicht das ganze Leben. Sie sind nur wie flüchtige, leuchtende Blicke, bestimmt die Wege des Willens zu erhellen." (V)

    "So erscheint uns die Gedankenumwandlung als ein Teil der allgemeinen Lebensentwicklung, der Anpassung an einen wachsenden Wirkungskreis." (V)

    "Wir fühlen, daß im wechselnden Inhalt des Bewußtseins die wahren Perlen des Daseins liegen, und daß die Person nur ist wie ein gleichgültiger symbolisher Faden, an dem sie aufgereiht sind." (V)

    "Die ganze Menschheit ist wie ein Polypenstock. Die materiellen organischen Verbindungen der Individuen - sind zwar abgerissen, allein ihr Zweck, der psychische Zusammenhang, ist durch die hierdurch ermöglichte reichere Ausbildung in viel höherem Maß erreicht worden." (V)

    "So wollen wir uns und jeden unserer Begriffe als ein Ergebnis und als ein Objekt zugleich der allgemeinen Entwicklung betrachten." (V)
Ein Phänomenalist würde heutzutage sagen: wir haben die unorganischen Phänomene und ihren quantitativen Zusammenhang (Energie und ihre Umwandlung); wir haben die organischen Phänomene, welche es noch nicht gelungen ist, völlig auf die unorganischen zurückzuführen; wir haben in gewissen organischen Wesen die psychischen Phänomene, welche als bloße Arten der organischen anzusehen gleichfalls noch nicht gelungen ist. Es gilt also die quantitativen Verbindungen und Zusammenhänge dieser verschiedenen Phänomene, soweit sie ermittelt sind, darzulegen, hypothesenfrei. Aber nun stellt sich heraus, daß der ganze Phänomenalismus MACHs ein verhülltes Willensevolutionssystem ist, das im Hintergrund seine Ansätze dirigiert, wie gleich seine Auffassung der Wissenschaft zeigen wird. Und welches sind die Beweise?
    "Wir fühlen, daß im wechselnden Inhalt des Bewußtseins die wahren Perlen des Daseins liegen, und daß die Person nur ist wie ein gleichgültiger symbolischer Faden, an dem sie aufgereiht sind."
Wir fühlen? Wer sind die "wir"? MACH und andere, die wie HUME vom Ich denken und es gleich einer Reihe von Gedanken setzen. Haben nicht andere das Ich, gerade das formale, die Einheit des "Ich denke", als eine übergreifende und zusammenhaltende Macht angesetzt, weil sie es fühlten, oder weil sie aus dem geistigen Tun des Menschen überzeugt waren es so ansetzen zu müssen? Das ist der krasseste Dogmatismus, der, wie er sich vorkommt, ohne weiteres die Welt ansetzt. Sind aber mit dem Darwinismus, mit dem doch wissenschaftlich gerechnet werden muß, nicht von selbst die MACHschen Ansetzungen gegeben? Im Darwinismus ist immer auch die Auffassung von WALLACE vertreten worden, daß der menschliche Geist sich nicht einfach organisch-evolutionistisch erklären läßt.

VIII. Aber MACH versichert die bloß quantitative Verschiedenheit des Menschen von der tierischen Intelligenz (V).
    "Ein bloßer Gradunterschied der Intelligenz (bei Mensch und Tier) erklärt alles." (W)

    "Die Ansicht, welche einen qualitativen Unterschied zwischen Tier- und Menschenintelligenz annimmt, ist Rest eines alten Aberglaubens. Je tiefer wir hinabsteigen, desto schwächer wird das individuelle Gedächtnis, desto schwächer werden die Assoziationsreihen, die dem Tier zur Verfügung stehen." (W)
"Erinnerung" und "Intelligenz" werden ohne weiteres gleichgesetzt (W 415).
    "Woraus soll sich denn die Menschensprache entwickelt haben anders als aus der Tiersprache unserer Vorfahren? Und daß eine Tiersprache existiert, kann dem Unbefangenen nicht zweifelhaft sein",
mit Hinweis auf Warnruf, Lockruf, Angriffsruf usw. (W)

Ich möchte nur bemerken, daß so kurzerhand die Sachen nicht abgemacht werden können. Eben weil die bloß phänomenalistische Auffassung der Wissenschaft den stärksten Einwendungen ausgesetzt ist, drängt sich immer wieder die Frage auf: wenn von menschlicher Wissenschaft sich nichts bei den Tieren aufweisen läßt, deutet das nicht auf mehr als einen bloß quantitativen Unterschied der Intelligenz beider hin?

IX. Jetzt erst verstehen wir, warum MACH Wissenschaft so ansetzt, wie er sie ansetzt.
    "Die Wissenschaft ist aus dem praktischen Leben hervorgegangen. Die Sinne sind nicht sowohl der Förderung der Erkenntnis als vielmehr der Wahrnehmung der wichtigsten Lebensbedingungen angepaßt." (W)

    "Die Wissenschaft ist aus einem Bedürfnis des praktischen Lebens, der Vorsorge für die Zukunft, aus der Technik hervorgegangen; aus der Feldmesskunst entwickelte sich die Geometrie, aus der Sternbeobachtung für wirtschaftliche und nautische Zwecke die Astronomie, aus der Metallurgie die Alchemie und Chemie. Der durch Arbeit in fremdem Dienst gestärkte Intellekt macht bald seine eigenen Bedürfnisse geltend." (W)

    "Um uns mit unserer Umgebung in irgendein Verhältnis zu setzen, bedürfen wir eines Weltbildes, und dieses auf ökonomische Weise zu erreichen, dazu treiben wir Wissenschaft." (W)

    "Die Möglichkeit der Mittteillung gründet sich auf die Vergleichung der Tatsachen. Die Mitteilung ist im Wesentlichen eine Anweisung zur Nachbildung der Tatsachen in Gedanken. Je umfassender das Erfahrungsgebiet wird, zu dessen Kenntnis wir durch die Mitteilung gelangen, desto sparsamer, ökonomischer werden die Mittel der Darstellung verwendet werden, um den Stoff mit einem mäßigen Aufwand an Gedächtnis und Arbeit zu bewältigen. Die Methoden der Wissenschaften sind darum ökonomischer Natur." (W)

    "Die Wissenschaft steht mitten in einem natürlichen Entwicklungsprozeß, den sie zweckmäßig zu leiten und zu fördern, aber nicht zu ersetzen vermag." (W)
Die Übereinstimmung von Gedanke und Beobachtung wird in (V) dementsprechend "Anpassung oder Auslese" genannt.
    "Überall, wo meine Gedanken den Tatsachen schon genügend angepaßt sind, werde ich die zwischen A und B einzuschaltenden Mittelglieder ebensogut in meinen Gedanken vorfinden wie im Experiment, sofern eben die Glieder C nicht ganz neue, erst in der Erfahrung zu findende sind." (W)

    "Alle unsere Bemühungen, die Welt in Gedanken abzuspiegeln, wären fruchtlos, wenn es nicht gelänge, in dem bunten Wechsel Bleibendes zu finden." (V)

    "Worauf in gleicher Weise reagiert wird, das fällt unter einen Begriff." (W)

    "Der Begriff ist eine Anweisung, eine vorliegende Vorstellung auf gewisse Eigenschaften zu prüfen oder eine Vorstellung von bestimmten Eigenschaften herzustellen." (W).

    "Alle physikalischen Gesetze und Begriffe sind gekürzte Anweisungen, die sehr oft wieder andere Anweisungen eingeschlossen enthalten, auf ökonomisch geordnete, zum Gebrauch bereit liegende Erfahrungen." (V)

    "Mehr als einen umfassenden und verdichteten Bericht über Tatsachen enthält ein Naturgesetz nicht, gewöhnlich nur die für uns wichtige Seite der Tatsache." (V)

    "Physik ist ökonomisch geordnete Erfahrung." (V)

    "Welche Menge geordneter, zum Gebrauch bereit liegender Gedanken faßt z. B. der Begriff Potential in sich." (V)

    "Hiermit ist aber auch die ganze rätselhafte Macht der Wissenschaft erschöpft." (V)

    "Wenn das Denken mit seinen begrenzten Mitteln versucht, das reiche Leben der Welt wiederzuspiegeln, von dem es selbst nur ein kleiner Teil ist, und das zu erschöpfen es niemals hoffen darf ..." (V)

    "Die Tatsachen werden (in der Wissenschaft) immer mit einem Opfer an Vollständigkeit dargestellt, nicht genauer als das unseren augenblicklichen Bedürfnissen entspricht. Die Inkongruenz zwischen Denken und Erfahrung wird also fortbestehen, solange beide nebeneinander hergehen; sie wird nur stetig vermindert." (V)

    "So, wie die Entstehung, so ist auch die Anwendung der Wissenschaft an eine große Beständigkeit unserer Umgebung gebunden. Was sie uns lehrt, ist gegenseitige Abhängigkeit. Absolute Prophezeiungen haben also keinen wissenschaftlichen Sinn, mit großen Veränderungen im Himmelsraum würden wir unser Raum- und Zeitkoordinatensystem zugleich verlieren." (V)

    "Das Gesetz erscheint uns (durch Assoziation) als eine fremde, von unserem Willen und der einzelnen Tatsache unabhängige Gewalt, welche Gedanken und Tatsachen treibt, beide in Übereinstimmung hält, beide beherrscht." (W)

    "Die Natur ist nur einmal. Nur unser schematisches Nachbilden erzeugt gleiche Fälle. Nur in diesem existiert also die Abhängigkeit gewisser Merkmale voneinander." (V)
So MACH! - Unzweifelhaft ist die Wissenschaft vorbereitet worden durch die praktischen Bedürfnisse, aber erwachsen ist sie aus der reinen Lust zu erkennen umd des Erkennens willen (Griechen). Sehr spät erst hat sich der Wert der Wissenschaft für die technische Praxis herausgestellt. Allerdings ist die Voraussetzung der Wissenschaft die Ermittlung von Bleibendem, das was man früher mit dem Allgemeinen und Notwendigen meinte, daher das erstreben von Begriffen und Gesetzen. Daß all das wieder vorwiegend praktische Gründe hat, die von MACH sogenannte ökonomische Natur der Wissenschaft, ist eine unrichtige Ansicht; diese praktische Abzweckung ist zwar ansich stets erwünscht, aber noch heute nicht ansich das Ziel der Wissenschaft. Nun kommt die gleichsam kritizisistische Wendung MACHs: aber diktiert von seiner monistischen Metaphysik. Wir sind nach ihm als denkende Wesen, d. h. als organische Wesen mit der Äußerung des Denkens, nur ein kleiner Teil der Welt, unser Denken kann sich also nie mit der Wirklichkeit decken. Dabei scheint MACH dieser Weltwirklichkeit eine Art absolutes Werden zuzuschreiben, Kausalität ist nur eine Assoziation in uns. Die gleichen Fälle, auf welche Wissenschaft, Gesetz, Begriff fußen, sind nur unsere schematischen Nachbilder, "Natur ist nur einmal", d. h. es gibt nichts wirklich Gleiches und sich Wiederholendes. Dies ist die Andeutung eines absoluten Werdens, welches alle Wissenschaft stets abgelehnt hat, nicht weil es dasselbe nicht wünscht, sondern weil das nähere Studium der körperlichen und geistigen Erscheinungen trotz aller Veränderlichkeit doch auf einem Gleichbleiben von Grundbestandteilen und Wirkungsweisen deutet, d. h. anleitet, Substanz- und Kausalitätsbegriff nicht zu streichen, sondern sie als formale Führer zu gebrauchen, natürlich mit immer neuen Versuchen zu größerer Genauigkeit.

X. MACH hat sich in seiner Antrittsrede in Wien zu der Auffassung bekannt, daß alle Philosophie nur in einer gegenseitigen kritischen Ergänzung, Durchdringung und Vereinigung der Spezialwissenschaften zu einem einheitlichen Ganzen bestehen kann, und hat sich zur besonderen Aufgabe gesetzt, die Beziehungen der Physik, Psychologie und Erkenntniskritik nahezulegen. Was er tatsächlich aber an Philosophie bietet, ist ein scheinbarer Phänomenalismus, scheinbar darum, weil er in Wirklichkeit von einem metaphysischen evolutionistischen Willensmonismus dirigiert ist, der neue Gründe keine neuen Gründe für diese Auffassung bietet.

XI. Über den Ursprung seiner Ansicht hat sich MACH in den "Beiträgen zur Analyse der Empfindungen (Seite 21) so erklärt:
    "Ich habe es stets als ein besonderes Glück empfunden, daß mir sehr früh (in einem Alter von 15 Jahren etwa) in der Bibliothek meines Vaters Kants «Prolegomena zu jeder Metaphysik» in die Hände fielen. Diese Schrift hat damals einen gewaltigen, unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht, den ich in gleicher Weise bei späterer philosophischer Lektüre nie mehr fühlte. Etwa 2 oder 3 Jahre später empfand ich plötzlich die müßige Rolle, welche das Ding-ansich spielt. An einem heiteren Sommertag im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend. Obgleich die eigentliche Reflexion sich erst später hinzugesellte, so ist doch dieser Moment für meine ganze Anschauung bestimmend geworden. Übrigens habe ich noch einen langen und harten Kampf gekämpft, bevor ich imstande war, die gewonnene Ansicht auch in meinem Spezialgebiet festzuhalten usw."
MACH ist ein klares Beispiel, daß man nicht bei einem Empfindungsmonismus stehen bleiben kann, wie dies schon ARISTOTELES angedeutet hat, und daß man durch eine Streichung des Substanz- und Ursachbegriffs erst recht in eine willkürliche Metaphysik gerät.
LITERATUR: Julius Baumann, Ernst Machs philosophische Ansichten, Archiv für systematische Philosophie, Neue Folge der Philosophischen Monatshefte, Bd. IV, Berlin 1898