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VIKTOR STERN
Die logischen Mängel
der Machschen Antimetaphysik

[und die realistische Ergänzung seines Positivismus]
[1/2]

"Der Positivist erforscht und beschreibt einfach die unverkennbare Stetigkeit in der Abhängigkeit der einzelnen Elemente voneinander und bemüht sich nicht, reale Tatsachen, die er feststellen kann, durch unkontrollierbare, unfaßbare, unerkennbare, erdichtete Tatsachen begreiflicher erscheinen zu lassen."

"Machs Auffassung erfordert keinen Verzicht auf ein Gesamtweltbild, nur ist dieses Weltbild durchgängig einheitlich, überall von derselben uns wohl vertrauten Art des Gegebenen. Nichts Wertvolles fehlt diesem Weltbild, nicht das fremde Ich, nicht die Welt, d. h. eine unendliche Mannigfaltigkeit von Elementen, nicht Ordnung und Gesetzmäßigkeit in dieser Welt, nicht die Realität dieser Welt, nicht ihre Entwicklung - nur eines, das völlig hypothetische, niemals zu uns in irgendeiner erkennbaren Beziehung stehende überdies in alle möglichen Widersprüche verwickelnde Ding-ansich."

So scheint der Positivismus Machs in sich völlig abgerundet zu sein, gefeit gegen jeden Angriff als die richtige Mittel zwischen Skeptizismus und Kritizismuus einerseits und dem Realismus andererseits, als die schönste Versöhnung des natürlichen Wirklichkeitssinnes mit philosophischer kritischer Besonnenheit und Genauigkeit des Denkens.

Der radikale Positivismus ist wohl besonnener, ruhiger, geschlossener, vor allem ergiebiger, scheinbar auch systematischer als der Skeptizismus, gleichwohl aber ebenso wie dieser nur eine Reaktion des philosophischen Denkens auf fehlgeschlagene metaphysische Versuche. Darum ist er im Grunde genommen fast so alt wie die Philosophie selbst, immer in Zeiten zwischen systemreichen Perioden, in den philosophischen Intermundien [von Göttern bewohnte Welten zwischen unendlichen Welten - wp] gleichsam, am einflußreichsten und wird endlich immer vom neuen durch große Systematiker der Philosophie für eine gewisse Zeit entthront, bis zunächst wieder eine Ermattung der Systeme schaffenden Kräfte folgt und bald darauf seine jedesmalige Auferstehung in anderer Form, oft unter anderem Namen in verjüngter Kraft. Dabei wirkt er selbst als philosophischer Stimulus, als Anreiz zu neuem Schaffen, als Erwecker neuer Kräfte, denn er ist bewußt unbefriedigend und kann nicht anders überwunden werden als durch positive Neuschöpfungen, die seine Negation ad absurdum führen. Es liegt beinahe eine Tragik im Schicksal des radikalen Positivismus; je mehr er an Einfluß gewinnt, desto gewisser ist sein Untergang. Sein Sieg besteht im Verdrängen der spekulativen Verirrungen früherer Perioden, die ihn erstehen ließen. Je mehr diese weniger werden, desto überflüssiger wird ihr Verdränger, desto deutlicher wird auch, wie er selbst, um jenen Verirrungen nur ja zu entgehen, zu anderen nicht viel geringeren Absurditäten führt.

I. Eine gegen kritische Angriffe denkbar geschützteste Form hat dieser radikale Positivismus bei ERNST MACH gewonnen. Die ernst zu nehmenden Einwände, welche bisher gegen ihn vorgebracht wurden, beruhen fast durchweg auf einer Verkennung seines Wesens und sind deshalb von seinem Standpunkt aus (1) leicht abzuwehren. Nur die charakteristischsten sollen hier ganz kurz herangezogen werden.

Ein Argument, das in allen möglichen Formen immer wieder vorgebracht wird, wirft dem MACHschen Positivismus vor, er sei unfähig, die Tatsache der Naturgesetzlichkeit zu "erklären". Darauf reduziert sich z. B. das Meiste, was angeführt wird, um die MACHsche Ersetzung des Kausalbegriffs durch den Funktionsbegriff zu kritisieren (2). Solchen Einwänden gegenüber hat MACH leichtes Spiel. Er prüft alles Erklären auf sein wahres Wesen und zeigt, wie sich für den tiefer dringenden Blick alles Erklären als ein bloßes Zurückführen des zu Erklärenden auf die vorausgesetzte oder einfach hingenommene Naturgesetzlichkeit entpuppt, die selbst nicht weiter erklärbar und nur erforschbar ist. Man kann gerade in diesem Punkt MACH leicht mißverstehen. Er will mehr zeigen, daß alles wirkliche Erklären von dieser Art ist, als daß es so sein soll (3). Naturgesetzlichkeit ist nur ein Ausdruck für die mannigfaltigen Abhängigkeiten aller Elemente voneinander. Eine Tatsache erklären, heißt nur aufzeigen, wie sich diese Tatsache bereits erkannten Abhängigkeiten ohne Widerspruch einfügen läßt. Neu entdeckte Abhängigkeiten selbst erklären, heißt sie als Spezialfälle allgemeiner Abhängigkeiten erkennen. In letzter Linie kann man (das Sollen ist nur eine Konsequenz des nicht mehr Können) nur solche Abhängigkeiten in möglichst allgemeiner Form beschreiben. Freilich gibt es Philosophen, welche sogar die Naturgesetzlichkeit selbst erklären zu können vorgeben. Aber sieht dieses "Erklären" aus? Sie erklärren die Naturgesetzlichkeit durch ein Zurückführen auf etwas völlig Unbekanntes, nach ihrem eigenen Geständnis Unvorstellbares, von ihrem eigenen Standpunkt aus Widerspruchsvolles, nämlich auf das Ding-ansich (4) und erreichen damit erst recht nichts, da sie schließlich doch auch dieses Ding-ansich als letzte nicht weiter erklärbare Tatsache hinnehmen müssen, als auch bei ihnen sich das Erklären als ein Zurückführen auf angenommene Tatsachen erweist. Der Positivist hingegen erforscht und beschreibt einfach die unverkennbare Stetigkeit in der Abhängigkeit der einzelnen Elemente voneinander und bemüht sich nicht, reale Tatsachen, die er feststellen kann, durch unkontrollierbare, unfaßbare, unerkennbare, erdichtete Tatsachen begreiflicher erscheinen zu lassen (5).

Aber gerade das wird MACH am leidenschaftlichsten vorgeworfen, was unstreitig sein großes Verdienst ist, daß er nämlich als letztes Ziel des wissenschaftlichen Denkens nur die Beschreibung und nicht auch eine Erklärung gelten läßt.

Man tut nun so, als ob MACH alles Erklären aus der Wissenschaft überhaupt verbannt hätte. Aber Beschreibung als letztes Ziel oder als wahres Wesen der Wissenschaft erkennen, das heißt noch keineswegs alles Erklären als überflüssig oder unmöglich auszuscheiden, sondern nur die wahre Natur des Erklärens wissenschaftlich erfassen und dem Erklärungstrieb vernünftige Schranken setzen, indem erkannt wird, daß es wohl ein Erklären gibt, dieses aber nichts anderes ist als der Nachweis (6), daß das zu Erklärende mit einer anerkannten Beschreibung (von Gesetzen) oder mit erst um Anerkennung ringenden Beschreibung (von Hypothesen) übereinstimmt. Dann begreift sich auch leicht die Tatsache, die jeder Forscher kennt, die aber mit anderen Auffassungen nicht gut vereinbar ist, daß nämlich im Fall eines unlösbaren Konflikt das zu Erklärende stärker ist als die zur Erklärung bis dahin verwendeten Prinzipien und so neue Tatsachen zur Abänderung der Gesetze führen können. Das wäre nicht begreiflich, wenn eben nicht alles Erklären nichts anderes wäre als ein Wiedererkennen allgemein beschriebener Beziehungen in einer Einzeltatsache.

Man hat auch versucht, MACH durch Taten zu widerlegen. So will PLANCK durch eine "Entanthropomorphisierung" der Naturwissenschaft, welche sich in ihrer geschichtlichen Entwicklung immer mehr verwirklicht, durch eine Ablösung aller subjektiven Elemente in der wissenschaftlichen Darstellung des Weltbildes, zur Erkenntnis einer unabhängig von uns existierenden Wirklichkeit gelangen, aus den übrig bleibenden rein objektiven Elementen ein Weltbild aufbauen und so zur Erkenntnis einer unabhängig von uns existierenden Wirklichkeit gelangen (7). Dem gegenüber kann MACH zeigen, daß gar keine rein objektiven Elemente übrig bleiben können. "Subjektiv", so könnte er sagen, heißt doch aus der metaphysischen in eine vernünftige positivistische Sprache übersetzt soviel, als von einem Nervensystem oder Leib oder zumindest dem Inbegriff gewisser Elemente (Fühlen, Vorstellen, Wollen usw.), vom sogenannten "Ich" abhängig. Nun ist alles von allem (8), also alles auch von jenen Elementen abhängig, demnach alles auch subjektiv, nichts rein oder nur objektiv, wie freilich auch nichts nur subjektiv ist, es kann also bei jener Loslösung alles Subjektiven nichts übrig bleiben. Verweist nun PLANCK (9) doch auf wirkliche derartige Beziehungen und Tatsachen, die sich als vom "Ich" im weitesten, das Körperliche mit einbeziehenden Sinn, ganz unabhängig erweisen, so behält MACH von seinem Standpunkt aus noch immer recht, denn er betont, daß alle solche Gesetze nur Abstraktionen, nur ein gedanklicher denkökonomisch sehr wertvoller Ausdruck für Abhängigkeitsbeziehungen sind, die in den wirklichen Elementen herrschen würden, wenn es nicht noch andere Abhängigkeiten gäbe, z. B. Abhängigkeiten vom sogenannten Ich. Auch das Energiegesetz beschreibt doch gewisse Beziehungen in den Elementen. Die sind aber in den mir wirklich gegebenen Elementen niemals rein verwirklicht und darin nur dann feststellbar, wenn ich von tausenderlei subjektiv bedingten, aber deshalb doch wirklichen Tatsachen abstrahiere. Oder glaubt jemand wirklich, daß die im Energiegesetz beschriebene Beziehung konkret erlebt werden kann, nicht immer aus dem Erlebnis unter vielerlei Abstraktionen erschlossen werden muß. Die ganze Unabhängigkeit des Energiegesetzes beschränkt sich darauf, daß es immer mit Hilfe der nötigen Abstraktionen erschlossen werden könnte, wenn wir die nötigen Beobachtungsmittel hätten. Das Gesetz s = g/2 t1 scheint etwas vom Ich ganz Unabhängiges zu sein, aber sein Sinn ist doch nur die Beschreibung dessen, wie Körper frei fallen, d. h. wie sich bestimmte Empfindungskomplexe in einer gewissen Hinsicht ändern. Diese Empfindungskomplexe und ihre diesbezügliche Änderung befolgen aber jenes Gesetz nie genau, weil immer auch noch andere Abhängigkeitsbeziehungen vor allem die Abhängigkeit vom Nervensystem mit in Betracht kommen, von welchen in jener Formel aus denkökonomischen Gründen mit vollem Recht abgesehen wurde. Aber ein Gesetz ist doch überhaupt keine Realität, sondern nur eine Beschreibung von Beziehungen realer Elemente. Diese Elemente aber erweisen sich immer als auch vom Ich abhängig. Daß ich diese Abhängigkeit übersehen, daß ich von ihr abstrahieren kann, schafft sie noch keineswegs aus der Welt, und wenn ich so zur Erkenntnis von Beziehungen komme, die unabhängig vom Ich zu gelten scheinen, so darf ich nicht glauben, nun schon eine vom Ich unabhängige Realität erkannt zu haben. Die Behauptung PLANCKs, kein Vernünftiger werde bezweifeln, daß das Energiegesetz auch unabhängig von jedem "Ich" richtig ist, trifft ja zu, aber das besagt nur, daß die Beschreibung von Tatsachen, die im Energiegesetz ausgedrückt ist, allgemein zutrifft, wodurch aber die beschriebenen Tatsachen noch lange nicht zu Dingen-ansich werden, noch weniger natürlich ist darum die Beschreibung selbst ein Ding-ansich. Der Satz: eine Terz konsoniert, eine Septime dissoniert, ist ebenso allgemein richtig, wie das Energiegesetz, wer wird aber hier glauben, daß in diesem Satz irgendeine vom Ich unabhängige Realität zum Ausdruck kommt. Ein allgemein gültiger Satz auf irgendeinem Wissensgebiet widerspricht dem Standpunkt MACHs so wenig, daß er auch von diesem Standpunkt aus das anzustrebende Ideal der Wissenschaft bleibt.

Wenn aber PLANCK gar Atome als ein vom Ich unabhängig Seiendes hinstellt (10), so braucht man, um dies zu entkräften, gar nicht auf MACHs Standpunkt zu bleiben. MACH freilich kann sich dem gegenüber damit begnügen zu zeigen, wie der wirklich erlebte Raum wegen seiner Abhängigkeit vom Ich und von den Nerven ebenso als Empfindung aufgefaßt werden kann wie jedes andere Element (11), also auch von PLANCK als "subjektiv" abgezogen werden müßte, der absolute Raum aber nichts anderes ist als ein denktechnisches Hilfsmittel der Beschreibung von Beziehungen in den wirklichen Elementen. Zieht man aber von den Atomen alle räumlichen Bestimmungen ab, dann bleibt von ihnen, die doch das "Reale" sein sollen, nicht viel übrig. Aber PLANCK hat gegen MACH auch Bedenken prinzipieller Natur. Seine Denkökonomie werde selbst zur Metaphysik, weil er ihre Geltung über "menschlich praktische Bedürfnisse hinaus" ausdehnt (12). Die Metaphysik, die darin besteht, daß man unter ökonomisch am Ende nicht nur Geld einbringend versteht, läßt sich noch ertragen. Oder, dem Weltbild MACHs sei die Forderung eines konstanten Weltbildes fremd (13). Ja, meint PLANCK, daß MACH die Tatsachen so beschrieben wissen will, daß die Beschreibung nur für einen Forscher oder gar nur für heute richtig sein soll, oder ist ihm eine Naturgesetzlichkeit, deren Ausdruck der mathematische Funktionsbegriff ist, nicht konstant genug, oder meint er gar am Ende, daß die Wissenschaft nicht fortschreiten soll, nicht eine ungenügende Beschreibung durch eine bessere ersetzen soll?
    "Dieses konstante, von jeder menschlichen, überhaupt jeder intellektuellen Individualität Unabhängige ist nun aber das, was wir das Reale nennen." (14)
Dieses Konstante fehlt aber bei MACH gar nicht. Jede richtig erkannte, d. h. wirkliche Abhängigkeit zwischen Elementen ist in diesem Sinn auch bei MACH konstant (15), er vollzieht aber nicht den logischen Sprung, von dieser Konstanz aus zu einer Realität ansich zu gelangen.

Versteckterweise und nur selten offen wird MACH vorgeworfen, sein Standpunkt führe konsequenterweise zum Solipsismus (16). Damit träfe man MACH sehr empfindlich. Sein Bestreben, seiner Weltanschauung alles Abstruse zu nehmen, ist ja unverkennbar. Auf diesen Vorwurf kann aber MACH erwidern, daß ihr gerade seine Auffassung derartige Konsequenzen vermeiden läßt. Wer einem metaphysischen Subjekt eine metaphysische Realität ansich gegenüberstellt, für den wird alle gegebene Wirklichkeit zu einem bloßen Inhalt des Subjekts, der sich dann auch vor die unmöglich zu lösende Aufgabe gestellt sieht, mit seiner Erkenntnis aus diesem Subjekt in logisch einwandfreier Weise in jene angeblich reale Außenwelt zu gelangen (17). Der Positivist hingegen, für den es gegebene, in durchgängiger funktionaler Abhängigkeit stehende Elemente gibt, kann durch Analogieschlüsse sehr wohl zu der Ansicht kommen, daß mit gewissen Elementen (Leib, Ausdrucksbewegungen des Nebenmenschen usw.) auch gewisse andere Elemente (Gefühle, Erinnerungen und dgl.) verknüpft sind. Freilich sagt MACH (18), alles ist meine Empfindung, aber das heißt nicht, alles ist nur meine oder auch nur Empfindung, es bedeutet lediglich: alles ist wegen der durchgängigen gegenseitigen Abhängigkeit aller Elemente auch von den Elementen abhängig, die "mein Nervensystem" heißen. Insofern aber alles auch von fremden Nervensystemen abhängig ist, kann es auch als Empfindung eines anderen aufgefaßt werden, und endlich wegen seiner Abhängigkeit von Elementen ganz anderer Art auch als etwas Physisches.

Geradezu spielend lassen sich im Sinne MACHs einige Argumente erledigen, die KÜLPE vorbringt (19). Den Unterschied zwischen Wahrnehmung und bloßer Vorstellung wahr auch MACH genügend. Wahrnehmungen stehen untereinander in mannigfaltigeren und dauernderen Abhängigkeitsverhältnissen als mit den Vorstellungen. Das genügt, selbst wenn man von den Intensitäts- und anderen Unterschieden, die ja auch in Betracht kommen, absieht, um eine wesentliche Differenzierung zu begründen. Daß Wahrnehmungsinhalte Pausen in der Wahrnehmung überdauern können, nötigttt nur zu Konstatierung einer tatsächlich feststellbaren relativen Konstanz von Empfindungskomplexen, nicht aber zur Annahme eines während der Pause existierenden Dings-ansich. Die Pause ist ja immer gekennzeichnet durch die zeitweilige Ausschaltung eines Elementes, an welches das Gegebensein jenes Komplexes funktionell gebunden ist. Ist dieses Element wieder da, so braucht uns auch das Wiederauftreten des Komplexes nicht zu wundern. Stellt sich der Komplex dann doch nicht ein, so wird man immer konstatieren können, daß irgendwelche andere ebenso notwendige Bedingungen entfallen sind. KÜLPE verweist ferner auf die gesetzmäßige Ordnung in den Wahrnehmungsinhalten und endlich auf die Möglichkeit von Voraussagen. Das ist im Grunde genommen nur ein Argument in zwei Fassungen und zwar eines, das wir schon erledigt haben, nämlich der Hinweis auf die "Naturgesetzlichkeit". Daß es eine solche gibt, und daß sie zu erforschen, zu konstatieren und zu beschreiben ist, gibt ja auch MACH zu, erklären kann sie aber auch KÜLPE nicht. Wollte er zu dieser Erklärung Dinge-ansich heranziehen, so müßte eer doch bei diesen als Tatsache stehen bleiben, ohne ihre Existenz erklären zu können, hätte also nichts gewonnen, er hätte ferner das Gegebene, Konstatierbare durch Unkontrollierbares, Unbekanntes erklärt und endlich würde durch diese Erklärung die gegebene Wirklichkeit, deren Realität wir doch so deutlich erfassen zum Schein herabgesetzt (20), dem als wahre Wirklichkeit leere, unvollziebare Phantasien gegenüberstehen. Was schließlich das Argument KÜLPEs betrifft, gerade vom Standpunkt der Denkökonomie ist "zumindest eine realistische Ausdrucksweise weit einfacher, bequemer und zweckmäßiger", so ist das eine Ansicht, die MACH wohl teilt (21). MACH bedient sich ja auch selbst einer solchen Ausdrucksweise. Was aber als Ausdrucksprinzip zweckmäßig ist, weil es etwa zu verwickelte Verhältnisse mit einfacheren Mitteln ausdrückt, kann als Forschungsprinzip sehr unzweckmäßig sein. Mit anderen Worten: es ist für die Wissenschaft ganz zweckmäßig von solchen Realitäten (Körper, Seele, Ich usw.) zu sprechen, aber nur, wenn man sich bewußt bleibt, daß eben nicht Realitäten, sondern nur gewisse Elementenbeziehungen damit gemeint sind. Solche "Realitäten" hingegen als wirklich anzunehmen, ist für die Forschung hemmend und unzweckmäßig.

Etwas tieferer Natur sind die Bedenken, welche KÜLPE an anderer Stele (22) gegen MACH vorbringt. Er verweist dort auf die selbständige Gesetzlichkeit der Gedanken. In den logischen Prinzipien und in der gedanklichen Leitung wissenschaftlicher Beobachtung, ohne die jedes Experiment sinnlos wird, zeigt sich, daß die Gedanken keineswegs "ihre einzige Norm in den Tatsachen finden, die sie abbilden sollen. Aber ganz abgesehen davon, daß die selbständigen Gesetze des Denkens vielleicht rein analytischer Natur sind, also Gesetze, denen selbstverständlich alles Sein unterworfen ist und auch ein von den Tatsachen ganz abhängiges Denken unterworfen sein könnte und müßte, so würden selbst synthetische selbständige Denknormen noch immer ihre Wurzel darin haben können, daß das Denken eine Anpassung an die Tatsachen ist. Jedes Werkzeug hat in gewissem Sinn seine selbständiige Gesetzmäßigkeit und ist doch nur Werkzeug. Die scheinbare Unabhängigkeit des Denkens aber von der Erfahrung, die sich darin zeigt, daß unser Denken die wissenschaftliche Erfahrung wenigstens leitet und vorbereitet, ist nur ein Entwicklungsprodukt. Experimente leiten und vorbereiten können wir nur aufgrund von Erkenntnissen, die selbst nichts anderes sind als aufgespeicherte Erfahrungen. Selbst in der Leitung der Erfahrung bleibt also unser wissenschaftliches Denken noch ein Anpassungsprodukt. Aber die Gedanken sollen nach KÜLPE auch eine selbständige Bedeutung haben, nicht bloß Nachbildung oder Verallgemeinerung, sondern oft eine Ergänzung der Erfahrung sein. Wir entwerfen Bilder vergangener Zeiten, stellen scheinbarer Größe, Gestalt und Dauer die "wirkliche" gegenüber usw. aber auch auf dem Standpunkt MACHs ist eine solche Ergänzung der Erfahrung möglich, die nur den Vorzug hat, sich in erlaubten Grenzen zu halten, sich vor gefährlichen Jllusionen zu hüten. Wer da glaubt, die Welt habe in vergangenen Zeit das Bild dargeboten, welches wir entwerfen, auch wenn die Bedingungen zur Wahrnehmung dieses Bildes (Nerven) nicht gegeben waren, wer glaubt, daß die "wirkliche" Größe eines Gegenstandes mehr ist, als die Tatsache, daß wir in diesem Gegenstand unter bestimmten Verhältnissen Erfahrungen machen würden, die seiner scheinbaren Größe widersprechen, wenn man das so nennen will, denn ein wirklicher Widerspruch ist natürlich nicht vorhanden, wer so Erfahrung "ergänzen" will, der gibt sich Jllusionen hin, die längst aufgedeckt wurden. KÜLPE fährt aber mit noch gröberem Geschütz auf. Er glaubt mit ein paar Bemerkungen die einzige Erkenntnisgrundlage, die MACH gelten läßt, erschüttern zu können. Empfindungen, meint KÜLPE, sind nur Produkte einer wissenschaftlichen Abstraktion, Sinneswahrnehmungen aber wieder etwas Gewordenes, in dem Erfahrungen mit momentanen Erregungen zusammen wirken, ohne daß es möglich ist, das Ursprüngliche von den Zutaten zu trennen. Allein mit solchen Erwägungen, seien sie auch noch so geistreich, noch so gewisse Erlebnisse der empirischen Psychologie, und das sind sie wohl, läßt sich ja doch nicht die Wirklichkeit erlebter Inhalte wegdisputieren. Mögen auch in diesen wirklich erlebten Inhalten niemals isolierte Elemente auftreten, mögen auch in ihnen Reproduktionen, Assoziationen, Apperzeption eine bedeutende Rolle spielen, was in ihnen alles steckt, was ihre Vorbedingung ist, das alles ist hier ganz gleichgültig, denn diese Inhalte sind jedenfalls wirklich (was in ihnen mitwirkt ist sicherlich auch wirklich) und können deshalb sehr gut ein fester Ausgangspunkt für Beobachtungen und Erfahrungen, ein fester Boden für eine immer höher fortschreitende Anpassungsentwicklung sein. Im Übrigen ist ja alles, was KÜLPE als Zutat zum Stofflich-Ursprünglichen diskreditieren will, selbst Anpassungsresultat.

Auch was KARL GERHARDs in dieser Zeitschrift (23) gegen MACH vorbrachte, ist zu seiner Widerlegung nicht ausreichend, so treffend auch dort die Eigenart MACHs gekennzeichnet wird und gewisse Mißverständnisse der MACHschen Philosophie aufgedeckt werden. Aus folgendem Satz MACHs z. B.:
    "Hierdurch gewinnt das Ergebnis der physikalischen Forschung Gültigkeit nicht nur für alle Menschen, sondern selbst für Wesen mit anderen Sinnen, sobald sie unsere Empfindungen als Anzeigen einer Art physikalischer Apparate betrachten. Dieselben würden nur für diese Wesen keine direkte Anschaulichkeit haben, sondern müßten hierzu in ihre Sinnesempfindungen übersetzt werden, etwa so, wie wir uns Unanschauliches durch eine graphische Darstellung veranschaulichen" (24),
soll sich nach GERHARDS (25) für das Objekt der physikalischen Forschung mit logischem Zwang ohne Unabhängigkeit vom Individuum nicht nur der Geltung, sondern auch der Existenz nach ergeben, welche eine unabhängige Existenz MACH doch leugnet. Aber dieser logische Zwang ist keineswegs vorhanden, und der hier zitierte Satz ist in Wirklichkeit mit MACHs sonstigem Standpunkt nicht nur vereinbar, sondern sogar seine natürliche Konsequenz. Objekt unserer physikalischen Forschung sind die Elemente, welche natürlich nicht unabhängig existieren, und die Gesetze, welche die Beziehungen zwischen diesen Elementen zum Ausdruck bringen. Diesen Gesetzen nun kommt allerdings eine vom Individuum unabhängige Geltung zu, aber natürlich keine unabhängige Existenz, da sie ja nur Abstraktionen sind, nur eine Beschreibung von Beziehungen im wirklich Seienden, in den Elementen. Ihre Geltung kann nun sogar von der menschlichen Sinnesorganisation überhaupt, also gleichsam vom Gattungsbewußtsein der Menschen unabhängig sein, und nur das ist in jenem Zitat zum Ausdruck gebracht, ohne daß sie mehr würden als eine bloße Darstellung von Wirklichkeitsbeziehungen, etwa gar eine selbständige Wirklichkeit. Nun glaubt aber GERHARDS (26), daß diese Gesetze nicht unabhängig von unserer Sinnesorganisation gelten können, wenn sie sich nicht auf etwas beziehen, was unabhängig von uns existiert, und in uns nur andere Empfindungen hervorruft als in jenen hypothetischen Wesen. Das ist in einem neuen Gewnd der alte wohlbekannte falsche Einwand, daß sich Naturgesetzlichkeit nur erklären läßt, durch eine zugrunde liegende Existenz ansich, wogegen MACH eben sagt, daß Naturgesetzlichkeit nicht zu erklären, sondern zu erforschen, zu konstatieren und zu beschreiben ist. Wenn ich finde, daß von mir richtig erkannte physikalische Gesetze auch für anders organisierte Wesen mutatis mutandis [unter vergleichbaren Umständen - wp] gültig bleiben, so liegt darin nichts Wunderbareres, als wenn sich diese Gültigkeit auch für andere gleichorganisierte Wesen, also für andere Menschen herausstellt, oder als in der Möglichkeit, optisch erkannte Gesetze auf haptische Elemente anwenden zu können. Gesetze richtig erkennen, hießt ja nichts anderes, als jene Beziehungen finden, die objektiv gültig sind und die Tatsache, daß es solche gesetzmäßige Beziehungen gibt, ist eben die Naturgesetzlichkeit. MACH hat dies alles sehr treffend dadurch ausgedrückt, daß er sagte, wir wären für solche Wesen gleichsam physikalische Registrierapparate, und so wenig die Tatsache brauchbarer physikalischer Apparate mehr beweist, als eben das Bestehen einer Naturgesetzlichkeit, so wenig läßt sich auch aus der Annahme anderssinniger Wesen, für die doch unsere Naturerkenntnis in entsprechender Weise gültig wäre, eine Realität ansich ableiten. Man braucht das alles nur auf einen konkreten Fall anzuwenden, um den Irrtum GERHARDS einzusehen. Gesetzt, wir hätten ein solches anderssinniges Wesen vor uns, etwa ein Tier mit einem magnetischen Sinn, wie es im betreffenden Zusammenhang von MACH erwähnt wird. Da liegt konkret dargestellt Folgendes vor. Immer, wenn gewisse Elementenbeziehungen (magnetische Vorgänge) bestehen, bemerken wir am Tier gewisse Äußerungen, die uns nach berechtigten Analogien nahelegen, das Tier erlebe Empfindungen. Wir stellen also eine Funktionalbeziehung zwischen jenen Vorgängen und dieser nicht uns, sondern dem Tier gegebenen Empfindung fest. Das ist noch nichts Auffallendsf und ganz dasselbe, wie wenn wir eine solche Funktionalbeziehung etwa zwischen gewissen brennenden Stoffen und gewissen Spektralfarben, die ja auch einem anderen Menschen gegeben sein können, feststellen. Nun wissen wir aber aus anderen Analogie, daß unter gewissen Bedingungen solche magnetischen Vorgänge auftreten werden, und können daraus schließen, daß in diesem Fall gesetzmäßig die betreffende Empfindung, von der wir gar keine anschauliche Vorstellung haben müssen, in dem Tier entsteht. Das heißt dann, unsere Physik gilt auch für dieses Wesen. Dazu ist nun gar nicht notwendig, daß ein und dieselbe Realität ansich auf die Menschen und auf jenes Tier einwirkt, es genügt, wenn mit menschlichen Empfindungen solche des Tieres funktional verknüpft sind und das ist ja eigentlich schon vorausgesetzt in der Annahme von Wesen, die auf unsere Wirklichkeit mit anderen Empfindungen reagieren als wir (27).

An einer anderen Stelle wirft GERHARDS MACH vor, er lehne eine physikalische Methode (Erklärung aus einem Prinzip ab), obschon er ihr eine historisch erprobte Nützlichkeit nicht absprechen kann und meint: "Wie kann ein Anhänger der Ökonmie eine erprobte Methode für falsch halten." (28) Dagegen ist zu sagen, daß auch eine falsche Methode, d. h. eine auf falschen Annahmen beruhende, noch immer nützlich zumindest nützlicher als das Fehlen jeder Methode sein kann und daß im Verhältnis auch zu einer erprobten Methode eine noch zweckmäßigere die richtige istf. Übrigens ist es sehr wohl möglich, daß MACH jene Methode in erster Linie deshalb falsch nennt, weil sie auf einer Selbsttäuschung beruth, scheinbare "Erklärungen" gibt, die im Wesen doch nichts anderes sind, als Berufungen auf "Tatsachen", allerdings auf vermeintliche Tatsachen.

Sehr verwunderlich ist es am Ende auch, daß GERHARDS, der das Wesentliche der Anschauungen MACHs stellenweise so treffend charakterisiert, es nicht unterläßt gegen MACH einen Vorwurf zu erheben, dessen Haltlosigkeit ganz klar zutage liegt, nämlich darauf hinzuweisen, daß MACH selbst fortwährend von Dingen spricht, die er doch leugnet.
    "Mach spricht von Substanzen, Materie. Nehmen wir diese Worte in ihrem natürlichen Sinn, so finden wir in ihnen die Substanzvorstellung des naiven Realismus wieder." (29)
MACH hat doch wahrlich oft genug betont, daß diese Worte eben nicht in ihrem natürlichen Sinn zu nehmen sind, hat doch oft genug ausgeführt, daß es zweckmäßig ist, solche Worte als sehr einfache Bezeichnungen für komplizierte Beziehungen und Tatsachenkomplexe zu benützen, daß es aber ein Fehler ist, in ihnen mehr zu sehen, ihnen eine metaphysische Bedeutung beizulegen. Man kann eben alle Vorteile, die im Gebrauch solcher Worte liegen, ausnützen, ohne die Nachteile mit in Kauf nehmen zu müssen, die der Glaube an ihnen entsprechende metaphysische, substanzielle Wesenheiten mit sich zieht.

Sehr merkwürdig mutet auf den ersten Blick das an, was WUNDT gelegentlich gegen MACH sagt (30):
    "... so ist nun aber das Prinzip der Ökonomie des Denkens vollends eine aprioristische Voraussetzung, welche die unmittelbar damit verbundene Forderung, daß die Wissenschaft die gegebenen Data der Sinnesempfindungen zu beschreiben habe, faktisch wieder aufhebt. Beschreiben läßt sich eine Summe von Phänomenen objektiv immer nur auf eindeutige Weise, nämlich so, daß die Phänomene nach den Verhältnissen der Koexistenz und der Sukzession, die sie wirklich darbieten, geordnet werden. Das Prinzip der Ökonomie des Denkens setzt aber nicht bloß formal, sondern material verschiedene Arten der Beschreibung voraus, indem es befiehlt, unter den möglichen Verknüpfungsweisen die einfachste als die richtige zu wählen. Eine solche Wahl schließt eine Deutung des Zusammenhangs der Erscheinungen ein; sie ist also tatsächlich keine bloße Beschreibung, sondern eine Erklärung und noch dazu eine solche, die unter einer ganz und gar aprioristischen Forderung steht, nämlich unter der, daß diejenigen Verknüpfungen, die für unser Denken am einfachsten auszuführen sind, auch die objektiv richtigen sind."
Davon abgesehen, daß von der zuletzt erwähnten aprioristischen Forderung im MACHschen Prinzip sicherlich keine Spur vorhanden ist, scheint der Fehler, den WUNDT da begeht, auf der Hand zu liegen. Die von WUNDT geleugnete Möglichkeit verschiedener objektiver Beschreibungsarten besteht ganz selbstverständlich. Man kann das Fallen von Körpern in speziellen Fallgesetzen für die Erde, für die Sonne, für den Mond, usw. separat, objektiv beschreiben, man kann aber auch alle diese Tatsachen viel einfacher in einem einzigen allgemeinen Fallgesetz ebenso objektiv darstellen. Indessen ergibt das, was WUNDT hier wirklich meint, aus seien ausführlichen Darlegungen an anderer Stelle viel deutlicher (31). WUNDT polemisiert dort gegen die Versuche, die Wissenschaft auf Beschreibung einzuschränken und das Erklären auszuschalten, und meint, das beruhe auf einer Mißdeutung des Begriffs "Erklären"; der müsse erst genau definiert werden. Da heißt es z. B. (32):
    "Wenn z. B. Kirchhoff in seiner Mechanik bemerkt, unter den erforderlichen, vereinfachenden Voraussetzungen ... sei die Bewegung fallender oder geworfener Körper «beschrieben durch den Ausspruch, daß auf die Körper in vertikal abwärts gekehrter Richtung eine konstante Kraft wirkt» (33), so würde diese Beschreibung, selbst wenn man in ihr das Wort Kraft durch das angeblich unverfänglichere Bedingung ersetzt, die Bedeutung von exakter Naturerklärung angenommen haben."
Und noch deutlicher:
    "Einen nicht geringen Anteil hat vielleicht schließlich an dieser augenfälligen, aber freilich bloß vermeintlichen Bevorzugung der Beschreibung vor der Erklärung der Umstand, daß man sich, ähnlich wie nach Machs Ausdruck, unter einer Ursache etwas fetischistisches, so unter der Erklärung ein mystisches Eindringen in die Geheimnisse der Natur oder eine Lösung des Welträtsels denkt, wie es nun einmal der wirklichen Wissenschaft unmöglich ist, und höchstens von den Systemen einer transzendenten Metaphysik erstrebt wird. Aber die Naturerklärung, wie überhaupt die Erklärung in jener allein haltbaren, die tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnisse der Dinge feststellenden (34) Bedeutung hat weder mit dem Welträtsel und seiner Lösung noch mit irgendeiner Metaphysik etwas zu tun."
Prüft man das alles genauer, so stellt sich heraus, daß WUNDT hier entweder um bloße Worte streitet, oder aber selbst die Ansichten MACHs bekräftigt und bestätigt, anstatt sie zu widerlegen. WUNDT gibt ja hier selbst zu, daß ein vernünftiges Erklären nichts anderes ist als ein Feststellen tatsächlicher Abhängigkeitsbeziehungen und nur das eben behauptet MACH. MACH will das Erklären in diesem Sinn gar nicht ausschalten, will nur, daß man sich dessen bewußt bleibt, daß alles vernünftige Erklären doch nur letztenendes auf einem Feststellen von Tatsachen beruth und in diesem Sinne eine Beschreibung ist. Man könnte die Sachlage kurz so darstellen: MACH meint, die Wissenschaft sei im Wesen nur Tatsachen feststellend, denn alles Erklären ist nur ein Einordnen in festgestellte Tatsachen. WUNDT entgegnet, daß die Wissenschaft auch erklärend ist, denn gewisse Feststellungen nennt man eben "Erklären". Hier liegt kein Gegensatz vor. Auch MACH wird das Wort "erklären" nicht abschaffen wollen (35), er hat nur eine bestimmte Meinung über das Wesen des Erklärens und diese Meinung, daß es auch auf ein Feststellen hinausläuft, wird, wie man sieht, von WUNDT geteilt. Ich finde, daß diese Angriffe WUNDTs für MACH gegen die landläufigen Behauptungen, die Wissenschaft müsse erklären, sprechen. Übrigens decken sich die Anschauungen WUNDTs und MACHs über das Erklären nicht ganz. Aber da ist es merkwürdigerweise MACH, der einen größeren Unterschied zwischen Feststellen und Erklären macht. Denn bei WUNDT ist hier Erklären einfach eine Art Feststellen, bei MACH nur der Nachweis, daß eine Tatsache mit bekannten Feststellungen in Einklang gebracht werden kann.

Genau so, nur in viel auführlicherer Weise kämpft WUNDT gegen die Ausschaltung des Kausalbegriffs. Wieder muß er im Wesen MACH recht geben, indem er den Kausalbegriff, den MACH ablehnt, als unwissenschaftlich bezeichnet, und das, was MACH anerkennt, den richtigen Kausalbegriff nennt. Aber auf die Benennung kommt es doch nicht so sehr an, wie auf die richtige Fassung des Begriffs. MACH lehnt auch jene Benennung ab, weil mit ihr der falsche Begriff zu sehr assoziiert ist.

Was hier von WUNDT gesagt wurde, gilt auch von RIEHLs Bemerkung (36):
    "... sie sind alle mitbeschrieben, wenn die Gesetze der Bewegung dargestellt, d. h. mathematisch entwickelt sind. Eine solche Beschreibung aber mit Hilfe mathematischer Begriffe ist Erklärung, und Erklärung kann nichts anderes sein als so eine Beschreibung." (37)
So einfach ist es also nicht, in MACHs Positivismus Widersprüche zu finden. Seine Stärke beruth darauf, daß er immer auf Gegebenes also Gewissesf hinweisen kann und über dieses Gegebene sowie über die Erforschng der darin wirksamen Gesetzmäßigkeit nicht ohne Not hinausgehen will. So kann er gegen alle Metaphysik Gründe ins Feld führen, die in ihrer Einfachheit fast mehr ins Gewicht fallen, als die tiefsten und kompliziertesten erkenntniskritischen Feststellungen (38):
    Die Metaphysik ist unmöglich. Sie will das vom Ich Unabhängige finden, aber alle auffindbaren Elemente sind von allen anderen abhängig, also auch von denen, die man gewöhnlich als "Ich" zusammenfaßt (39).

    Die Metaphysik ist unnötig, denn um die Beziehungen zwischen den Elementen aufzufinden, ja auch, um nicht wahrgenommene oder vergangene und kommende Elemente zu erschließen, reichen Analogien aus. Die Aufgabe aller Wissenschaft, die Tatsachen festzustellen und in Gedanken nachzubilden, wird sogar ohne Metaphysik praktischer und zweckmäßiger gelöst, weil der antimetaphysische Standpunkt, für den alle gegebenen Elemente gleichwertig sind, allen Forschungsgebiettten in gleicher Weise angepaßt ist, nicht geändert werden muß, wenn das Forschungsgebiet wechseltef oder sich erweitert. (40)

    Die Metaphysik führt zu Ungereimtheiten, insbesondere zu unsinnigen und unlösbaren Problemen, die sich aus dem Begriff des ganz unvorstellbaren und unerkennbaren, darum aber auch ganz gleichgültigen und überflüssigen Dings-ansich ergeben (41).

    Die Metaphysik beruth auf einem Denk- und Methodenfehler. Weil es auf manchen Gebieten praktisch und ökonomisch ist, gewisse Abhängigkeiten nicht zu berücksichtigen, glaubt man schließlich, sie sind gar nicht vorhanden. Die relative Selbständigkeit mancher Elementargruppen verführt zur Annahme ihrer absoluten Unabhängigkeit. Stellt sich diese bei näherer Untersuchung als Jllusion heraus, so verlegt man sie immer weiter auf andere in ihrer Abhängigkeit noch nicht erforschte Elemente (sekundäre, primäre Qualitäten, bis man schließlich, wenn auch schon alle Elemente als abhängig erkannt sind, von der alten Gewohnheit doch nicht lassen will und so zu dem Fehlgriff kommt, das absolut Unabhängige zu erdichten, es irgendwo außerhalb oder hinter den gegebenen Elementen als Ding-ansich zu vermuten und zu suchen. (42)
Der positivistische Standpunkt hingegegen wird durch eine anfangs wohl schwer durchzuführende und nicht leicht festzuhaltende radikale Loslösung von allen derartigen unvollkommenen Anpassungen (rudimentären Überbleibseln) an die Wirklichkeit gewonnen. Er erfordert keinen Verzicht auf ein Gesamtweltbild, nur ist dieses Weltbild durchgängig einheitlich, überall von derselben uns wohl vertrauten Art des Gegebenen. Nichts Wertvolles fehlt diesem Weltbild, nicht das fremde Ich, nicht die "Welt", d. h. eine unendliche Mannigfaltigkeit von Elementen, nicht Ordnung und Gesetzmäßigkeit in dieser Welt, nicht die Realität dieser Welt, nicht ihre Entwicklung, nur eines, das völlig hypothetische, niemals zu uns in irgendeiner erkennbaren Beziehung stehende überdies in alle möglichen Widersprüche verwickelnde Ding-ansich. Für dieses führen selbst seine begeistertsten Freunde eigentlich immer nur ins Feld, daß das Dasein unserer Welt erklärt und ihre Realität begründet. Aber die Realität unserer Welt ist für den Positivisten gar nicht in Frage gestellt, viel unzweifelhafter als die des Phantasieprodukts "Ding-ansich", und was die Erklärung des Daseins unserer Welt anlangt, so ist es töricht, dieses Dasein, das nun einmal eine völlig gewisse Tatsache ist, durch Dinge-ansich erklären zu wollen, für deren Dasein dann ebensogut eine weitere Erklärung gefordert werden dürfte und die selbst etwas viel Ungewisseresf und Undenkbareres sind als das, was durch sie erklärt werden soll.

So scheint der Positivismus MACHs in sich völlig abgerundet zu sein, gefeit gegen jeden Angriff als die richtige Mittel zwischen Skeptizismus und Kritizismus einerseits und dem Realismus andererseits, als die schönste Versöhnung des natürlichen Wirklichkeitssinnes mit philosophischer kritischer Besonnenheit und Genauigkeit des Denkens.
LITERATUR: Viktor Stern, Die logischen Mängel der Machschen Antimetaphysik und die realistische Ergänzung seines Positivismus, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie, Bd. 38, Neue Folge Bd. 13, Leipzig 1914
    Anmerkungen
    1) Womit noch keineswegs gesagt ist, daß alle Ansichten auch an und für sich von mir geteilt werden, die Mach von seinem Standpunkt aus ganz berechtigt seinen Kritikern entgegenhält.
    2) Julius Baumann im "Archiv für systematische Philosophie", Bd. 7, 1901, Seite 264 und Bd. IV (1898), Seite 57. Sowie Külpe, Einleitung in die Philosophie, fünfte Auflage Seite 152.
    3) Ernst Mach, Analyse der Empfindungen, vierte Auflage, Seite 29/30, 244f und 262.
    4) Auch das kantische "Bewußtsein" ist schließlich ein solches Ding-ansich.
    5) Mach, Analyse Seite 10
    6) Mach, Erkenntnis und Irrtum, zweite Auflage, Seite 449f, 232f.
    7) Max Planck, Die Einheit des physikalischen Weltbildes, in Physikikalische Zeitschrift, 10. Jhg, Seite 63f.
    8) Mach, Analyse, Seite 7; Erkenntnis und Irrtum, Seite 7 und an vielen anderen Stellen.
    9) a. a. O., Seite 72f.
    10) a. a. O., Seite 73.
    11) Analyse, Seite 6 und an vielen anderen Stellen.
    12) Planck, Zur Machschen Theorie der physikalischen Erkenntnis, Viertelsjahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie, Bd. 34, Seite 500.
    13) ebd.
    14) Planck, Einheit, Seite 73
    15) Mach, Erkenntnis und Irrtum, Seite 458.
    16) vgl. hierzu Analyse Seite 280-282.
    17) Analyse Seite 23
    18) Erkenntnis und Irrtum, Seite 9
    19) Oswald Külpe, Einleitung, fünfte Auflage, Seite 150-152.
    20) Analyse Seite 37.
    21) Analyse, Seite 25f.
    22) Külpe, Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland, dritte Auflage, Seite 23-26.
    23) Karl Gerhards, Kontroverse Mach-Planck, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 36, Seite 19-68.
    24) Erkenntnis und Irrtum, Seite 149.
    25) Gerhards, a. a. O., Seite 45
    26) Gerhards, a. a. O., Seite 49
    27) Das alles gilt auch mutatis mutandis gegen die Argumente, welche Külpe in seinem Vortrag: Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft, Seite 14, 20, 22f anführt.
    28) Gerhards, a. a. O., Seite 57
    29) Gerhards, a. a. O., Seite 51
    30) Wundt, Einleitung in die Philosophie, sechste Auflage, Seite 282.
    31) Wundt, Über naiven und kritischen Realismus, Philosophische Studien, Bd. 13.
    32) Wundt, a. a. O., Seite 102
    33) Mach, Mechanik, 1876, Seite 7.
    34) a. a. O., Seite 104f
    35) von mir gesperrt.
    36) vgl. Erkenntnis und Irrtum, Seite 180
    37) Alois Riehl, Philosophie der Gegenwart, Seite 259.
    38) Das Folgende ist ganz im Sinne Machs ausgeführt, ohne daß ich mich damit völlig identifiziere.
    39) Analyse Seite 13
    40) Analyse, Seite 24, Anm.
    41) Analyse, Seite 24 und an vielen anderen Stellen.
    42) Analyse Seite 5, 6, 9/10.