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MAX PLANCK
Zur Machschen Theorie
der physikalischen Erkenntnis

[Eine Erwiderung]

"In meiner Kieler Zeit zählte ich zu den entschiedenen Anhängern der Machschen Philosophie, die, wie ich gerne anerkenne, eine starke Wirkung auf mein physikalisches Denken ausgeübt hat. Aber ich habe mich später von ihr abgewendet, hauptsächlich, weil ich zu der Einsicht gelangte, daß die Machschen Naturphilosophie ihr glänzendes Versprechen, das ihr wohl die meisten Anhänger zugeführt hat: die Eliminierung aller metaphysischen Elemente aus der physikalischen Erkenntnislehre, keineswegs einzulösen vermag."

"Es würde mich gar nicht wundern, wenn ein Mitglied der Machschen Schule eines Tages mit der großen Entdeckung herauskommt, daß die Wahrscheinlichkeitshypothese oder die Realität der Atome eine Forderung der wissenschaftlichen Ökonomie ist. Dann wäre ja alles in schönster Ordnung, die Atomistik wäre glücklich gerettet und ein besonderer Vorteil wäre dabei noch der, daß ein jeder bei dem Wort Ökonomie sich immer das denken kann, was ihm gerade paßt."

"Um der physikalischen Forschung den Weg zu zeigen, nützt das Prinzip der Ökonomie, selbst wenn man es im weitesten Sinn faßt, nichts, schon aus dem einfachen Grund, weil man von vornherein niemals wissen kann, von welchem Standpunkt aus die Ökonomie am Besten und Dauerhaftesten gewahrt wird. Deshalb muß der Physiker, wenn er seine Wissenschaft fördern will, Realist sein, nicht Ökonom, d. h. er muß im Wechsel der Erscheinungen vor allem nach dem Bleibenden, Unvergänglichen, von den menschlichen Sinnen Unabhängigen forschen und dies herauszuschälen suchen."

In einem vor zwei Jahren zu Leiden gehaltenen Vortrag allgemein physikalischen Inhalts (1) hatte ich Veranlassung, mich gegen einige Punkte der MACHschen Erkenntnislehre zu wenden. Während meine Ausführungen auch in Kreisen, die ansich der Physik ferner stehen, so namentlich bei berufenen Vertretern der Transzendentalphilosophie, ein gewisses Interesse und gelegentlich direkte Zustimmung fanden, haben sie, wie nicht anders zu erwarten, von Seiten der Vertreter der MACHschen Richtung eine mehr oder weniger scharfe Zurückweisung erfahren.

Bisher hegte ich nicht die Absicht, auf diesen Gegenstand noch einmal zurückzukommen, da von meiner Seite nichts wesentlich Neues zu sagen war und ich außerdem die Empfindung hatte, meine Meinung in ihren wichtigsten Punkten hinreichend klar zum Ausdruck gebracht zu haben. In letzterer Beziehung bin ich aber zweifelhaft geworden seit dem Erscheinen eines Artikels von ERNST MACH (2), betitelt: "Die Leitgedanken meiner naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre und ihre Aufnahme durch die Zeitgenossen", der auch in die Physikalische Zeitschrift (3) übergegangen ist. MACH erklärt darin nicht nur seine Erkenntnistheorie für unwiderlegt, sondern er nimmt meine Einwendungen gegen sie gar nicht einmal ernst, und geht zum Schluß sogar so weit, mir die Befähigung zur Mitarbeit an der physikalischen Erkenntnislehre überhaupt abzusprechen.

Muß es nun auch einigermaßen auffallend erscheinen, daß MACH sich keinen stärkeren Gegner auszusuchen wußte - ich bin ja doch schließlich nicht der einzige Zeitgenosse -, so fühle ich mich durch diese eigentümliche Stellungnahme dann doch veranlaßt, meinen Standpunkt gegenüber der MACHschen Erkenntnistheorie noch etwas deutlicher darzulegen, als ich das bisher zu tun für geboten hielt. Dabei dürfte sich allerdings bald herausstellen, daß meine Herren Kritiker ihre Sache doch wohl etwas zu leicht genommen haben.

Die Berechtigung zu einer Meinungsäußerung über die MACHsche Theorie der physikalischen Erkenntnis glaube ich aus dem Umstand ableiten zu dürfen, daß ich mich mit dieser Theorie seit Jahren eingehend beschäftigt habe. Zählte ich mich doch in meiner Kieler Zeit (1885 - 1889) zu den entschiedenen Anhängern der MACHschen Philosophie, die, wie ich gerne anerkenne, eine starke Wirkung auf mein physikalisches Denken ausgeübt hat. Aber ich habe mich später von ihr abgewendet, hauptsächlich, weil ich zu der Einsicht gelangte, daß die MACHschen Naturphilosophie ihr glänzendes Versprechen, das ihr wohl die meisten Anhänger zugeführt hat: die Eliminierung aller metaphysischen Elemente aus der physikalischen Erkenntnislehre, keineswegs einzulösen vermag. Ein Beweis für diese Behauptung ist schon implizit in den Ausführungen meines Leidener Vortrags enthalten, ich will ihn aber hier noch etwas deutlicher zu machen suchen und gehe dabei am Besten von der Darstellung aus, die MACH in der genannten letzten Publikation selber von seiner Theorie gegeben hat.

Auf den ersten Seiten setzt MACH die bekannten Gedankengänge, die ihn zu der Auffassung führten, daß die Naturerkenntnis im Grunde eine biologisch-ökonomische ist, noch einmal ganz klar und einleuchtend auseinander. Wer aber nun meint, daß damit das Wesentliche der MACHschen Theorie gesagt ist, und daß die nun folgende Kritik meines Leidener Vortrags sich einfach als folgerichtige Anwendung des geschilderten Standpunkts ergibt, der würde sich irren. Die Hauptsache kommt noch, und diese besteht in einer zwar stillschweigend vorgenommenen, aber ganz wesentlichen Verschiebung der eingeführten Begriffe.

So heißt es gleich am Anfang der Besprechung meiner thermodynamischen Ausführungen, daß
    "die Denkökonoie in ihren Zielen durchaus nicht auf die Untersuchung menschlich - praktischer - ökonomischer Bedürfnisse beschränkt und gebunde"
ist. Das ist nun etwas ganz anderes, als was oben gesagt wurde. Die Denkökonomie ist in ihren Zielen nicht an menschlich-praktische Bedürfnisse gebunden! Ja, an welche Bedürfnisse denn sonst? Die Ziele der Denkökonomie sind doch gerade aus der Praxis des menschlichen Lebens abgeleitet bzw. abzuleiten. Wenige Seiten vorher hat MACH sogar betont:
    "Alle förderlichen Erkenntnisprozesse sind Spezialfälle oder Teile biologisch günstiger Prozesse."
Dient denn die Denkökonomie noch anderen Zwecken als der Förderung der menschlichen Erkenntnis? - Eine Antwort auf diese Frage sucht man vergebens. - Ich wage daher die Behauptung, daß mit dieser ohne weiteres vorgenommenen Verallgemeinerung der Begriff der Ökonomie seine ursprüngliche Bedeutung verliert und in einen metaphysischen umgewandelt wird.

Die Sache ist eben, kurz gefaßt, diese: Die wissenschaftliche Physik ist, wie von allen Seiten anerkannt wird, menschlich-praktischen Bedürfnissen entsprungen; also schließt MACH, ist die physikalische Erkenntnis im Grunde ökonomischer Art. Dieser letzte Satz wird nun von MACH für alles Folgende festgehalten. Nachden sich also herausgestellt hat, daß die wissenschaftliche Physik in ihrer tatsächlichen Entwicklung, wie wohl nicht direkt geleugnet werden kann, ihren menschlich-praktischen Charakter immer mehr abstreift, so wird weiter geschlossen - nicht etwa, daß die ökonomische Auffassung nicht ausreicht, sondern - daß die Denkökonomie nicht an menschlich-praktische Gesichtspunkte gebunden ist. Das ist nach meiner Meinung in kurzen Worten der Gedankengang der MACHschen Erkenntnistheorie.

Nun kann man ja niemandem verwehren, einen Begriff zu definieren, wie es ihm beliebt. Aber es geht doch nicht an, zuerst das Prinzip der Ökonomie durch eine ausdrückliche Berufung auf seine menschlich-praktische Bedeutung als Trumpf gegen die Metaphysik auszuspielen und dann nachträglich, wenn es so nicht mehr passen will, das menschlich-praktische an der Ökonomie ebenso ausdrücklich wieder in Abrede zu stellen. Mit diesem geschmeidigen Begriff der Ökonomie läßt sich natürlich alles machen, oder vielmehr: es läßt sich eben überhaupt nichts Bestimmtes machen. Jedenfalls aber darf MACH, wenn er sich von nun an der erweiterten Definition bedient, nicht mehr behaupten, daß er durch die Einführung dieses Begriffs die physikalische Erkenntnis von allen metaphysischen Elementen befreit hat, zumindest solange er von seiner eigenen Definition Gebrauch macht, wonach metaphysische Begriffe solche sind, bei denen man vergessen hat, wie man dazu gelangt ist. -

Vorstehende Erwägungen hatte ich im Sinn, als ich in meinem Leidener Vortrag die so scharf angegriffene Bemerkung machte, daß MACHs Erkenntnistheorie, wenn sie konsequent durchgeführt wird, zwar kein innerer Widerspruch nachzuweisen ist, daß sie aber im Grunde nur eine formalistische Bedeutung besitzt, weil ihr das vornehmste Kennzeichen jeder naturwissenschaftlichen Forschung: die Forderung eines konstanten Weltbildes, fremd ist.

Nun glaubt FRIEDRICH W. ADLER (4) mich dadurch schlagend zu widerlegen, daß er eine (mir übrigens wohlbekannte) Stelle aus MACHs "Prinzipien der Wärmelehre" zitiert, in welcher das Ziel der wissenschaftlichen Wirtschaft ein Weltbild von möglichster Stabilität bezeichnet wird. Letzteres ist auch ganz meine Meinung; aber was ich bestritten habe und noch bestreite, ist ja eben, daß die Stabilität des Weltbildes eine Forderung der MACHschen Denkökonomie bildet. MACH sucht zwar den Unterschied zwischen Stabilität und Ökonomie möglichst abzuschwächen:
    "Petzoldt spricht lieber von Stabilität als von Ökonomie. Ich zog den Ausdruck Ökonomie vor."
Als ob es nur eine untergeordnete Sache des Geschmacks wäre, wenn man den einen Ausdruck an die Stelle des anderen setzt. In Wirklichkeit sind doch diese beiden Begriffe himmelweit voneinander verschieden. Denn die Ökonomie ist von der Zweckmäßigkeit unzertrennlich, während der Begriff der Stabilität mit dem der Zweckmäßigkeit nicht das Allergeringste zu tun hat. Man könnte mit demselben Recht gerade umgekehrt die Variabilität, die Entwicklungsfähigkeit, als eine Forderung der Ökonomie hinstellen. Auch hier erhellt sich wieder deutlich, wie sich die Begriffe hinter den offiziell festgehaltenen Stichworten ganz sachte solange verschieben, bis das gewünschte Resultat ausgesprochen werden kann.

Doch ich bin nicht geneigt, diese Diskussion noch länger fortzusetzen. Meine Gegner darf ich doch nicht hoffen zu überzeugen; im Gegenteil muß ich mich auf den Vorwurf gefaßt machen, wiederum alles mißverstanden zu haben. Ich werde also die hereinbrechende Flut in Ruhe vorrüberrauschen lassen und warten, bis etwas sachlich Neues kommt. -

Wer wird nun aber in diesem Streit schließlich das ausschlaggebende Urteil sprechen? "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Es tut mir leid, aber ich weiß wirklich auch jetzt kein höheres Schiedsgericht vorzuschlagen. MACH ist zwar mit dieser Instanz, auf die ich mich mit ihm schiedlich und friedlich zu vereinigen gedachte, seltsamerweise gar nicht einverstanden und wittert dahinter ein verkapptes Christentum. Doch es wird alles nichts helfen, MACH und seine Erkenntnistheorie werden sich schließlich doch, wie schon so manche Theorie vor ihm, jenem Spruch beugen müssen, trotzdem er in der Bibel steht. Prüfen wir also einmal die Früchte; es liegen ja auf beiden Seiten schon einige vor.

Meinen Auseinandersetzungen über die Hauptsätze der Wärmetheorie erklärt MACH im allgemeinen zustimmen zu können. Ich bedauere, ihm bezüglich seines Werkes über die "Prinzipien der Wärmelehre" (5) nicht die analoge Erklärung abgeben zu können, und es wundert mich, daß er die in meinen Ausführungen enthaltene Kritik desselben gar nicht bemerkt hat. So bin ich dann genötigt, hier noch deutlicher darzulegen, daß das Studium seines sogenannten Werkes dem Leser auf alle Fälle nur eine oberflächliche [populärwissenschaftliche - wp] Vorstellung von den Prinzipien der Wärmelehre verschaffen kann.

Es ist in dem Buch sehr häufig vom perpetuum mobile die Rede, aber mit diesem Wort wird gar kein bestimmter physikalischer Sinn verbunden. Denn es wird dabei fortwährend das perpetuum mobile "erster Art" (Erzeugung von Arbeit aus nichts) verwechselt mit dem perpetuum mobile "zweiter Art" (kompensationslose Erzeugung von Arbeit aus Wärme). Wenn MACH z. B. sagt:
    "Der Satz vom ausgeschlossenen perpetuum mobile kann am klarsten und leichtesten auf rein mechanischem Gebiet erkannt werden und in der Tat hat er dort zuerst Wurzel geschlagen." (Seite 318),
so denkt er unzweifelhaft an das perpetuum mobile "erster Art". Wenn er aber andererseits sagt:
    "Ein umkehrbarer Kreisprozeß liefert das Arbeitsmaximum, welches der Überführung einer bestimmten Wärmemenge von höherer auf niedere Temperatur entsprechen kann. Dieses Maximum ist für alle Stoffe dasselbe, da sonst ein perpetuum mobile möglich wäre." (Seite 302),
so muß dabei, wenn der Gedankengang überhaupt einen Sinn haben soll, das perpetuum mobile "zweiter Art" vorausgesetzt werden. Daß die beiden Grundsätze, welche die Unmöglichkeit der beiden Arten des perpetuum mobile aussprechen, voneinander total verschieden sind, daß z. B. der erste sich auch umkehren läßt (Vernichtung von Arbeit ist unmöglich), der zweite aber nicht (kompensationslose Erzeugung von Wärme aus Arbeit ist keineswegs unmöglich), daß auf dem ersten Grundsatz das Energieprinzip (der erste Hauptsatz), auf dem zweiten das CARNOT-CLAUSIUSsche Prinzip (der zweite Hauptsatz) beruth, daß der zweite Grundsatz vollkommen äquivalent ist dem bekannten CLAUSIUSschen Satz vom Wärmeübergang aus tieferer in eine höhere Temperatur (6), daß dieser Satz die Existenz nicht umkehrbarer Prozesse zur Voraussetzung hat, daß ohne die Annahme nicht-umkehrbarer Prozesse ein Beweis für das CARNOT-CLAUSIUSsche Prinzip gar nicht zu führen ist - all das und noch manch anderes nicht weniger Wichtige wird in MACHs Buch nicht mit einer Silbe erwähnt, obwohl, wie ich besonders betone, zur Zeit der Abfassung desselben (1896) der Sachverhalt durch die Arbeiten von RUDOLF CLAUSIUS und WILLIAM THOMSON [später Lord Kelvin - wp] schon seit 40 Jahren vollkommen klargestellt war.

Stattdessen werden eingehende Betrachtungen angestellt über die Analogie zwischen Wärme und Elektrizität; namentlich wird ausgeführt, daß es "einen bloß historischen und ganz zufälligen formalen und konventionellen Grund" hat, wenn wir die Elektrizität nicht, wie die Wärme, als Bewegung auffassen, daß nämlich, wenn das RIESsche elektrische Luftthermomenter früher erfunden worden wäre als die COULOMBsche Drehwaage, die Elektrizität heute höchstwahrscheinlich als ein Bewegungszustand angesehen werden würde (Seite 323). Als ob das RIESsche Luftthermometer und die COULOMBsche Drehwaage die einzigen Instrumente wären, durch die wir etwas von der Elektrizität wissen. Als ob nicht auch FARADAY, FEDDERSEN, HERTZ gewisse Versuche mit Elektrizität angestellt hätten, welche die von MACH so in den Vordergrund gestellte Analogie als eine ganz äußerliche und formale erkennen lassen, schon deshalb, weil nach ihnen die Elektrizität, im Gegensatz zur Wärme, Trägheit besitzt.

Bezüglich des absoluten Nullpunktes der Temperatur wird bemerkt:
    "In der Tat hat man angenommen, daß eine Abkühlung unter diese Temperatur nicht denkbar ist, daß ein Körper von -273° Celsius gar keine Wärmeenergie enthält, usw. Ich glaube jedoch, daß diese Schlüsse auf einer unzulässigen allzu kühnen Extrapolation [Ableitung - wp] beruhen." (Seite 341)
Den Glauben an ein physikalisches Gesetz kann man so wenig erzwingen wie verbieten. Daß MACH aber mit dieser seiner Ansicht das CARNOTsche Prinzip für vereinbar hält, wie die unmittelbar folgenden Sätze zeigen, beleuchtet wiederum zur Genüge seine Auffassung von der Bedeutung des CARNOTschen Prinzips. -

Auf einem höheren Niveau als die "Prinzipien der Wärmelehre" steht MACHs "Mechanik" (7), welche insbesondere durch die Belebung des historischen Interessesf und auch als Gegengewicht gegen eine gewisse Dogmatik nützlich gewirkt hat, wie ich schon in meinem Leidener Vortrag nachdrücklich hervorgehoben habe. Aber es ist mir nicht gelungen, irgendein greifbares physikalisches Resultat, etwa einen physikalischen Satz oder auch nur eine für die physikalische Forschung wertvolle Anschauung aufzufinden, die man als eine für die MACHsche biologisch-ökonomische Erkenntnistheorie charakteristische bezeichnen könnte. Gerade im Gegenteil: Wo MACH im Sinne seiner Erkenntnistheorie selbständig vorzugehen versucht, gerät er recht oft in die Irre.

Hierher gehört der von MACH beharrlich verfochtene, aber physikalisch ganz unbrauchbare Gedanken, daß der Relativität aller Translationsbewegungen auch eine Relativität aller Drehbewegungen entspricht, daß man also z. B. prinzipiell gar nicht entscheiden kann, ob der Fixsternhimmel um die ruhende Erde rotiert oder ob die Erde gegen den ruhenden Fixsternhimmel rotiert. Der ebenso allgemeine wie einfache Satz, daß in der Natur die Winkelgeschwindigkeit eines unendlich entfernten Körpers um eine im Endlichen liegende Drehachse unmöglich einen endlichen Wert besitzen kann, ist also für MACH entweder nicht richtig oder nicht anwendbar. Das eine ist für die MACHsche Mechanik so schlimm wie das andere.

DIe physikalische Begriffsverwirrung, welche diese unzulässige Übertragung des Satzes von der Relativität der Drehbewegungen aus der Kinematik in die Mechanik schon gestiftet hat, hier näher zu schildern, würde zu weit führen. Natürlich hängt damit auch zusammen, daß die MACHsche Theorie unmöglich imstande ist, dem ungeheuren Fortschritt, der mit der Einführung der kopernikanischen Weltanschauung verbunden ist, gerecht zu werden, - ein Umstand, der allein schon genügen würde, um die MACHsche Erkenntnislehre in einem etwas bedenklicheren Licht erscheinen zu lassen.

Also mit den "Früchten" läßt sich einstweilen noch kein Staat machen. Aber vielleicht künftig einmal? Ich bin jederzeit gerne bereit, mich durch Tatsachen eines Besseren belehren zu lassen. MACH zweifelt an der Zurückführbarkeit des zweiten Hauptsatzes auf Wahrscheinlichkeit, er glaubt nicht an die Realität der Atome. Wohlan: vielleicht wird er oder einer seiner Anhänger einmal eine andere Theorie entwickeln, die leistungsfähiger ist als die jetzige. Das müssen wir abwarten.

Übrigens darf man nicht glauben, daß diese MACHschen Ansichten wirklich strenge Folgerungen seiner Erkenntnistheorie darstellen. Weit entfernt davon! Eine so formalistische Theorie vermag, wie ich schon oben betonte, überhaupt kein bestimmtes physikalisches Resultat zu zeitigen, weder ein richtiges noch ein falsches. Es würde mich gar nicht wundern, wenn ein Mitglied der MACHschen Schule eines Tages mit der großen Entdeckung herauskommt, daß die Wahrscheinlichkeitshypothese oder die Realität der Atome eine Forderung der wissenschaftlichen Ökonomie ist. Dann wäre ja alles in schönster Ordnung, die Atomistik wäre glücklich gerettet und ein besonderer Vorteil wäre dabei noch der, daß ein jeder bei dem Wort Ökonomie sich immer das denken kann, was ihm gerade paßt.

Trotz dieser verlockenden Aussichten meine ich doch, man sollte dem Begriff der Ökonomie einen wirklichen Sinn geben und ihm daher seine menschlich-praktische Bedeutung belassen. Dieselbe ist wichtig genug auch für die reine Wissenschaft. Denn ebenso wie die Uranfänge der Physik und wohl auch jeder anderen Naturwissenschaft auf praktischem Gebiet liegen, so empfäng auch gegenwärtig die wissenschaftliche Physik nicht nur ihren stärksten Ansporn, sondern auch ihre wirksamste Unterstützung immer wieder durch die Bedürfnisse des praktischen Lebens. Daher liegt es auch im eigensten Interesse der Wissenschaft, die Fühlung mit der Technik möglichst eng zu halten und immer weiter auszubilden.

Aber um der physikalischen Forschung den Weg zu zeigen, nützt das Prinzip der Ökonomie, selbst wenn man es im weitesten Sinn faßt, nichts, schon aus dem einfachen Grund, weil man von vornherein niemals wissen kann, von welchem Standpunkt aus die Ökonomie am Besten und Dauerhaftesten gewahrt wird. Deshalb muß der Physiker, wenn er seine Wissenschaft fördern will, Realist sein, nicht Ökonom, d. h. er muß im Wechsel der Erscheinungen vor allem nach dem Bleibenden, Unvergänglichen, von den menschlichen Sinnen Unabhängigen forschen und dies herauszuschälen suchen. Die Ökonomie des Denkens dient ihm hierbei als Mittel, nicht aber als Endzweck. Das ist stets so gewesen und wird auch, trotz ERNST MACH und seiner vermeintlichen Anti-Metaphysik, wohl immer so bleiben.
LITERATUR: Max Planck, Zur Machschen Theorie der physikalischen Erkenntnis,Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Soziologie und Soziologie, Bd. 34, Neue Folge Bd. IX, Leipzig 1910
    Anmerkungen
    1) Max Planck, Die Einheit des physikalischen Weltbildes, Leipzig 1909, Physikalische Zeitschrift, Bd. X, Seite 62, 1909.
    2) Ernst Mach, Scientia - internationale Zeitschrift für wissenschaftliche Synthese, Bd. VII, Nr. 14, Seite 225, 1910. Zu meinem Bedauern war die Redaktion der "Scientia" nicht in der Lage, meine vorliegende Erwiderung vor dem letzten Quartal des Jahres 1911 in Aussicht zu stellen.
    3) Ernst Mach, Physikalische Zeitschrift, Bd. XI, Seite 599, 1910.
    4) Friedrich W. Adler, Die Einheit des physikalischen Weltbildes, Naturwissenschaftliche Wochenschrift, Bd. VIII, Nr. 52, 1909 - eine Schrift, die sich übrigens durch ihren sachlichen Ton wohltuend von dem stark persönlich gefärbten Artikel Machs unterscheidet.
    5) Ernst Mach, Die Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch entwickelt, Leipzig 1896 (zweite Auflage 1900). Die folgenden Seitenzitate gelten für beide Auflagen.
    6) Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn Adler meint, daß der Clausius'sche Grundsatz keine anthropomorphen Elemente enthält.
    7) Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, Leipzig 1883.