ra-2F. SteppuhnK. JoëlM. WeberW. WindelbandB. RussellG. Landauer    
 
FRANZ STRUNZ
Die Natur als psychische Lebensmacht
im antiken Phantasie- und Geistesleben


"Es gibt keinen Baum, in dem nicht ein geisterhaftes Wesen wohnt, keinen Stein, keine Bergspitze, keine Wegkreuzung von denen nicht zauberkräftige Mächte Besitz genommen haben; im Wald schleichen sie wie die Stille, die man hört und doch wieder nicht hört, und in den großen Naturvorgängen reden sie wie Menschen zu Menschen, deren schlaffes Leben ein kindisches Gaukelspiel bedeutet. Naturbetrachten, -Erklären und -Reflektieren waren dem antiken Volksgeist - und auch dem Urtypus des Naturforschers - Erzählen von dem, was die Außenwelt belebt."

"Im babylonischen Nationalepos von Gilgamesch findet sich die babylonische Ursage von der Sintflut. Sie lag bestimmt schon um 2000 v. Chr. vor."

Unsere heutige Naturwissenschaft ist eine auf Tatsachen- und Ursachenprüfung ruhende Gesetzeswissenschaft. Sie ist Erfahrung und Erfindung, methodisches und geordnetes Durchproben der Phänomene mit der bleibenden Richtweisung nach einem exaktwissenschaftlichen Erkennen des  real  Wirksamen und  naturgemäß  Zusammenhängenden. Stets drängen die Fragen zur Oberfläche: Wie komme ich auf das Einfachste und Letzte der Wirklichkeit, auf den Quellgrund ihres einheitlichen Sinnes? Welche Wege muß ich einschlagen um die Wirklichkeit in ein logisch-mathematisches System zu bringen? Und es ist ja auch das Schibboleth [Erkennungszeichen - wp] der neuen Wissenschaft - der geistreiche Physiker HERTZ hat es geprägt - zu prüfen "ob die denknotwendigen Folgen des Bildes auch die Bilder der naturnotwendigen Folgen der Gegenstände selbst seien." Alles das schlug sich als kritischer Instinkt im modernen Geist nieder, als eine neue Erlebnisverarbeitung, die aus einem psychischen Apriori heraus geboren ist, das sich von dem der Vergangenheit wesentlich unterscheidet. Scharf tritt das hervor, wenn man sich die "Natur" der  Antike (1) zu vergegenwärtigen suchte. Ich meine "Natur" im allgemeinen Sinne als ein buntfarbiger Gesamtkomplex von Erscheinungen, wie ihn dann auch der gemeine Mann und Laie als Erlebnis unter seine Begriffe bringt.

Fassen wir die ältesten Kulturvölker ins Auge, so werden wir die mächtige und persönliche Wirkung erkennen, die die Natur als inneren Lebensfaktor ausstrahlt, und wer genauer hinsieht kann dann verfolgen, wie dieses Gefühl fortwirksam ist bis in die Tage der Renaissance hinein, ja noch weiter. Noch unsere Zeit - ich erinnere nur an die vulgäre Naturbetrachtung - hat genug Reste dieses antiken Fühlens, Wollens und Empfindens mit herübergenommen und je nach dem Volkscharakter individuell verarbeitet. Natürlich tritt dies bei den zivilisierten Stämmen mehr oder weniger zurück, wenn auch hier besonders religiöse Einwirkungen beteiligt waren und dem alten Vorstellungskreis wieder günstigen Boden verschafft haben. Aber die wilden Völker von heute, sind es nun südafrikanische Buschmänner, südamerikanische und malayo-polynesische Stämme, Melanesier, Mongolen oder die höher entwickelten Schwarzen, sie zeigen uns ganz besonders eine ähnliche Art von Naturwertung und "-reflexion" wie sie am Anfang der Geschichte des geschichtlichen Menschen steht. Freilich zielloser, zufälliger und ohne jede Spur von historischer Einordnung. Auch der sittliche Gehalt ist gleich Null, was z. B. bei unseren ältesten Kulturvölkern Vorderasiens keineswegs der Fall ist. Die "Natur" dieser wilden Stämme ist so roh und ungeistig, so stumpf und grausam wie ihre religiösen Triebe, die sozusagen die Bänder vorstellen, um das Wirklichkeitsbild zusammenzuhalten.

Aber wir wollen uns vorerst fragen, was eigentlich das älteste Naturgefühl und Naturbetrachten - in der bereits geschichtlichen Zeit - bestimmte? Unzweifelhaft Animismus, mythische Personifikationen, Dämonen und Naivität. Dabei ist immer der unkomplizierte Mensch selbst der Wertungsmaßstab, nach welchem die Natur geschätzt und erklärt wird. Die naive Naturbetrachtung steht also am Anfang. Später erst kommt die Natur, die Sinnbild des Geistigen ist, später auch sentimentale Schilderung, Stimmung und Idyll. Dann ist die Natur Selbstzweck und nicht der Mensch. Diese Reihenfolge zeigten nicht nur die griechischen - und dann die römischen Vorstellungen in Dichtung und Prosa, sondern auch die uralten vorderasiatischen Stämme können uns dessen belehren. Wer den Spuren babylonischer Naturforschung nachgegangen ist oder der feinen Naturpoesie Altisraels, den Ideenkreisen, die in Ägypten und im Parsismus lebendig waren, wird wiederholt auf Stufen der seelischen Verfassung gegenüber der Natur stoßen müssen. Ebenso in der tiefgründigen Dichtkunst der Inder (2) mit ihrer großen naturpoetischen und erotischen Gebärde. Klar ist, daß Differenzierungen des Naturfühlens und -wahrnehmens im Laufe der Zeit stattgefunden haben und die geistige und religiöse Kultur, wie auch ein zeitlich fixiertes Geschichtsbild, konnten da die nachhaltigsten Beeinflussungen hervorrufen. Wie riesenhafte, überirdische Mächte, die ursprünglich stumpfe und rohe Naturgewalten waren, allmählich verblaßten, d. h. anthropomorph wurden oder wie Gestirne, Feuer und Wasser nur noch den Namen für  persönliche  Götter hergaben, so geschah es auch mit der Natur als solcher, indem sie in steigendem Maße von der Peripherie menschlicher Einsicht mehr ins Zentrum, ins Intime, Vertraute, Subjektive rückte. Und das vollzog sich mit der feineren Kenntnis und Kultur der Seele, aber indem die Natur als mythische Totalerscheinung sich dabei immer rascher entselbstet, ziehen die unzähligen Götter herauf, angetan mit den Besten dieser untergegangenen Welt. Doch auch sie selbst müssen dann sterben als die Natur das  Sinnbild  des Geistigen wird und der individuelle und kritische Typus des Menschen an Festigkeit gewinnt. Das waren die frühesten Boten  der  Natur, die "nicht kalt staunenden Besuch erlaubt, sondern vergönnt in ihre tiefste Brust, wie in den Busen eines Freundes zu schauen." Dichtung und Wissenschaft gingen diese Wege, wenn auch nicht im gleichen Tempo. Ebenfalls die Kunst. FRIEDERICHS sagt irgendwo: "Die Natur muß  ent seelt werden von Göttern, um durch die Empfindung des Künstlers neu  be seelt zu werden."

Wir versuchen das  Wesen  der ältesten Naturbetrachtung genauer zu zeichnen. Also Animismus, mythische Personifikationen, Dämonen und Naivität bestimmen es im Allgemeinen. Es gibt keinen Baum, in dem nicht ein geisterhaftes Wesen wohnt, keinen Stein, keine Bergspitze, keine Wegkreuzung von denen nicht zauberkräftige Mächte Besitz genommen haben; im Wald schleichen sie wie die Stille, die man hört und doch wieder nicht hört, und in den großen Naturvorgängen reden sie wie Menschen zu Menschen, deren schlaffes Leben ein kindisches Gaukelspiel bedeutet. Naturbetrachten, -Erklären und -Reflektieren waren dem antiken Volksgeist - und auch dem Urtypus des Naturforschers - Erzählen von dem, was die Außenwelt belebt. Aber das Belebende war ein Seltsames, ein Märchenhaftes, und zwar nicht das Belebende der Menschen und Tiere allein, auch der Dinge, die scheinbar starr und tot sind: alltägliche Gegenstände und Erscheinungen, Vorgänge im Wetter, pandemische Krankheiten, geographische Örtlichkeiten, Bäche, Ströme, Seen, Grotten und Waldlichtungen, die Zeit des Tages, wo die Sonne ihren höchsten Stand hat, und wieder die schleichende Wendestunde der Mitternacht. Und warum auch die Menschen, die doch schon Lebenskraft und Lebensauswirkung in sich tragen? Die sind doch schon beseelt? Ja, dieses Belebtsein meinten die ältesten Naturbetrachter auch nicht; ihr schaffende Phantasie suchte hinter all den Dingen, um die sich eine Fülle von Vorstellungen gruppierte, also auch hinter dem Eigenen, dem Menschlichen, ein Geheimnis, das stille Fremde, das man nicht kennt und das doch da ist - wie ein scheues Schweigen und eine düstere Frage. Und sogar Krankheit und Tod waren viele, viele Jahrhunderte (3) hindurch belebt. So haben sich Naturbetrachtung und phantasiekräftiges Märchen auch hier gefunden. Der Geist des Menschen konnte beide auch dann nicht vergessen, als es anders wurde, als aus inniger, immer persönlicherer Naturbetrachtung - sie war es so, wie wir sagten, allerdings erst auf den Höhen einer gesteigerten Kultur - die exakte, mathematisch-logische Formulierung der Außenwelt hervorging. Aber Geschichte der Kulturvölker bleibt doch immer auch Geschichte sehender Menschen, sie bleibt immer eine Geschichte des menschlichen Auges. Später wird sie dann die Geschichte des kritischen Sehens. Und die erstere beginnt sich schon bei den Urvölkern Vorderasiens mit seltener Triebkraft abzuspielen. Ihre Naturwissenschaft, wenn man es so nennen darf, war lediglich Volksglaube. Aus den Kulturgeschichten und den Um- und Neubildungen, die uns sorgsame Priesterhände oder sonst irgendwelche Literaten hinterlassen haben, schöpfen wir heute das Wesentlichste. Die Kosmogonien, d. h. die Lehren von der Erschaffung oder Entstehung der Welt, mit ihren Göttern, denen die Wünsche und Freuden, der Schmerz und die Sorge der Menschen eigen sind, die Kosmogonien mit ihren Chaossymbolen und Urwesen, mit Zauberglaube und Tierdienst, sind die ersten Quellen, denen wir die Kindheitsgeschichte der frühesten Naturbetrachtung entnehmen. Ich sagte schon, Naturwissenschaft im modernen Sinne war das ja nicht. Es war lediglich schaffende Phantasie, welche die Erscheinungen der unendlichen Außenwelt sich wunderlich aufbaut und verknüpft und Gedanken über Universum, Zeit und Raum, über Anfang und Ende des Menschen auf zahllose, jeder ursächlichen Verknüpfung fernstehende Sinnesbilder überträgt. Und in ihnen schillerten Leben und Tod, Krankheit, Feindschaft und Friede, Opfer und Aussöhnung, tausendfarbig nuanciert. Anfänglich waren solche Schilderungen ganz und gar sinnlich, grob bildlich und ohne die Kunst der Reflexion. Immer und immer wieder finden wir es in der Tiefe jener Betrachtung: die Natur war belebt von unendlich vielen geisterhaften Wesen, von Dämonen mit zauberkräftigen Mitteln, so daß der Mensch der Natur gegenüber sich immer umlauert und belauscht glaubte. Ein Gleichklang von  Kindesseele  und  Urwesen der Naturbetrachtung! 
    "Die Sagen und die Märchenwelt, die, aus den Urquellen menschlicher Kultur schöpfend, solche Geschichtchen formt, wirkt darum heute noch so ergreifend insbesondere auf die Kinderseele, die hier die Urstadien menschlicher Geistesentwicklung in verkürzter Weise ebenso durchmacht wie der Embryo die Entwicklung der Art. Und dann noch auf das empfängliche Gemüt, welches sich selbsterkennend in seinem genetischen Werden zu begreifen sucht und darum in jene Tiefen der Vorwelt hinabsteigt." (4)
Es kann nicht die Aufgabe dieser Skizze sein auf das Nähere einzugehen oder Beispiele bzw. Proben zu bringen. Erst kürzlich haben wieder Fragen über babylonische Kultur und deren Ideenkreise die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erweckt. Auch Altisraels Geschichte stand im Vordergrund. Beide Kulturen weisen unsagbar viel auf, das für das Obige in Betracht kommt und sowohl die polytheistische Naturreligion der Babylonier als auch ihre inhaltliche Transformation in der israelitischen Religion zu einem monotheistischen Supranaturalismus bieten seltsame und eigenartige Wertungen. Da finden wir die Natur als mythische Personifikation (5), naive Kosmogonien bzw. Schöpfungsmythen, eingehende Dämonengeschichten, das Leben der Gottheiten wird in tausendfacher Art zur alltäglichen Wirklichkeit in Beziehung gebracht, ethnographische, ätiologische und etymologische Sagen treten ergänzend dazu. Weiter die astrologischen Bestrebungen und jenes weitschichtige Schrifttum über Zauberei. Allerdings keimte daneben schon eine kräftige und nüchterne Naturforschung. Besonders waren die Babylonier auf dem Gebiet der Astronomie, Mathematik und Maßkunde nachhaltig von Bedeutung. Und die Juden? Am Anfang stand auch hier der antike Volksglaube. Darin ist alles eingebettet. Wenigestens zuerst. Das, was der alte Jude von der "Natur" sich vor die Seele stellt, ist uralt. Unzweifelhaft gingen babylonische Begriffsbildungen in die kanaanäische Vätersage über, und aus dieser heraus kristallisierte sich langsam - allerdings mit neuen Richtungen und Größen - das akut israelitische Naturbild. Die Sintflutgeschichte, die noch in babylonischen Redaktionen vorliegt, die Turmbauerzählung, die eine babylonische Umgebung voraussetzt, die eranischen [iranischen - wp] Paradiesgeschichten - Parallelen, denen östliche Farbengebung eigen ist - sollen hier genannt werden. Selbstverständlich sind an erster Stelle neben der Sintflutgeschichte auch Schöpfungsgeschichte und Stammvätererzählung  zweifelsfrei  babylonischen Ursprungs. Nun erfuhr das Wesen des Überlieferten in Altisrael einen neuen Geist. Volkstum und Religion haben den Standort fixiert, von dem aus das Naturbild besehen wurde. Was da positiv "Naturphilosophisches" mit herübergegangen ist, wissen wir nur sehr ungenau, wahrscheinlich ein Sinn für naturalistische Kosmogonie, mystische Wunderastronomie und eschatologische Phantasien. Allerdings muß man beachten: die Naturvorstellungen, die wir aus den alttestamentlichen (6) wie auch einigen neutestamentlichen Schriften herauslesen können, läßt eine feine Deckfarbe stellenweise anders erscheinen, als sie tatsächlich waren. Doch sind diese historischen Übermalungen so alt und organisch in das Gesamtbild übergegangen, daß es heute oft herzlich schwer wird, die alten Konturen des ursprünglichen Naturgefühls bloßzulegen. Noch die Zeit Jesu ist voll von dieser nervösen Weltbeschauung, und wer die Apokalypsenliteratur kennt, wird diese zähe Beharrung uralter Vorstellungen bestätigt gefunden haben. Scheu und still lauscht ein Geheimnisvolles hinter der Natur, etwas, das dämonenhaft die kleine Erde belebt und die Menschen welk macht. Aber ein starker und gesunder Volkssinn hat dagegen gearbeitet. Und das Wesen der ältesten Ideenkreise, die eben so stetig nachwirkten? Man spürt es noch in den erwiesen ältesten Erzählungen der Genesis, wo oft eine ganz seltsame und wunderbare Nuance der Volksseele durch Neueres und Übermalungen hindurchschimmert, gewissermaßen Reste uralter Phantasie: wie die Episode vom Kampf  Jakobs  mit der Gottheit, von den "Nephilim" (den hebräischen "Titanen"), den  Mahanjim,  die Engelehen, auch die keineswegs einwandfreie Kasuistik und Spitzfindigkeit in manchen Erzvätergeschichten oder überhaupt die älteste Theophanie (Erscheinung Gottes im alten Testament) und anderes. Ja, es ist nicht zu zweifeln, daß Natur und Geheimnis für den Juden zusammengehörten, auch für den, der über dem theologischen Getriebe seiner Zeit stand, und der vornehmlich aus dem alten Volkssinn schöpfte, nicht aus dem Rabbinismus. Wenn auch in den Tagen, als das Judentum sich mit juristisch-nationalen Bildungen umgab und sich unnahbar machte, als der Gedanke von der göttlichen Haushaltung - die sich in erster Linie auf den Mittelpunkt der Welt, die Erde erstreckte - so eigenartige historische Maßstäbe gegeben, als Gesetz und juristische Theologie mehr galten als Leben, auch da ist das uralte Nachfühlen nie versiegt. Soviel wir heute wie sicher annehmen können, steht der altjüdische Wunderglaube der Naturbetrachtung, wie überhaupt sie selbst auf einem einst hell flammenden Animismus. Wir nannten diese Vorstellungsart bereits: der Einzelne legt sein Fühlen, Wollen und Empfinden in das Sein der Dinge. Ich halte ihn für das Wesen und Kernhafte. Immer war die Natur Geheimnis - Wachsen und Werden, Saat und Ernte, Welken und Tod - all das war Geheimnis, und nur die Naturpoesie umrankte es mit Bildern und Vergleichen, Allegorien und Parabeln. Wir modernen Menschen besitzen allerdings völlig andere naturwissenschaftliche Instinkte.  Natur  und  Wunder,  die gehörten damals zusammen, denn geheimnisvolle - wir berührten diesen Punkt schon oben im Allgemeinen - Gewalten und Mächte, Auswirkungen und Reize belebten Wüste und Hain, Höhlen und Bergspitzen, Bäume und Steine, machen "heilig" vergessene Winkel, Stätten der Arbeit und des Alltags, die Brunnen, aus denen die Menschen das Notwendigste holen und wieder teure Gräber ewig lebendiger Menschen.  Schedscharat el-Arbain,  die "Bäume der Vierzig" am Rücken des Karmelberges, die große Jordanquelle  Tell el-Kadi,  die Felsenschluchten unten am Ararat und andere sind solche Orte, von denen die "Dschinnen" Besitz genommen haben. Die  Elohim  beherrschen sie. Denn Elohim bedeuten wahrscheinlich ganz am Anfang "übermenschliche Kräfte", riesenhafte Naturmächte und -gewalten. Ja diese geheimnisvollen, heiligen Orte an denen sie wohnen, welche Überlieferung erzählt nicht davon? Wer vorsichtig und unbefangen die Genesis liest, findet noch Andeutungen, die einst Leben und Glut waren; heute sind es zarte, fein verhauchende Linien. Wer kennt es nicht, das wehmutsvolle Idyll von der  Hagar,  der ägyptischen Magd? An einem  Wasserbrunnen  hatte sie eine Erscheinung. Oder die märchenhafte Bethelgeschichte (der  heilige Stein = beth-el = "Gottes Haus") und andere. Allerdings haben sich diese Kultusgeschichten harte und pietätlose Umprägungen gefallen lassen müssen, und nur das geübtere Auge sieht dann noch heute stellenweise durch die jüngere Rezension wie durch ein Transparent den ursprünglichen Farbenglanz eines auf die Natur abzielenden Sinnes. Gerade dieser feine  Übergang  von animistischen Religionswucherungen zu einer straff monotheistischen Gottheitswertung - wann sich der vollzog, wissen wir nicht - ist ein lebendiges Problem zur Klarstellung altjüdischer Naturbetrachtung und "-reflexion". Komplizierter wird das Ganze, wenn man sich noch die Aufgabe stellt, zu untersuchen, wann überhaupt der alte Typus der semitischen Stammesreligion in die prophetische Religion, also in den prinzipiellen und bereits entnationalisierten Monotheismus übergeht. Nebenbei erwähnt: vor  Elias  dürfte dieser noch nicht rege gewesen sein, sondern vielleicht nur Monolathrie, d. h.  Dienst  eines Gottes. Sie besagt: Dieser Gott ist nur in Palästina heimisch und kann nur  hier  verehrt werden. Er gehört zu Israel. Das ist Monolathrie.
    "Noch im Deuteronomium (5. Buch Moses) wird ohne Arg die allerdings auf höherer Stufe stehende Anschauung vorgetragen, daß  Jahwe  die anderen Völker den übrigen Mächten des Himmels zur Verehrung überlassen und sich selbst nur das Volk Israel zu seinem Volk erwählt hat. Die immer wiederkehrenden Rückfälle in den Polytheismus, von denen uns die Geschichte berichtet, werden nur dann psychologisch begreiflich, wenn wir annehmen, daß noch kein prinzipiell-monotheistischer Glaube im Volk Israel lebendig war,  sondern daß Jahwe nur als ein Gott neben anderen galt,  aber allerdings als der mächtigste und für  Israel allein  in Betracht kommende (7). Das ist also die vorprophetische Monolathrie. Erwähnt sei noch, daß jener andauernde Konflikt zwischen jüdischem  Volks glauben, als einer niedrigeren Stufe der Religion und einem ethischen Jahwismus oder anders gesagt zwischen dem alten Polydämonismus (8) der Nomadenstämme und der feinsittlichen Religion seine besondere Geschichte hat. Erst als das Ethische der Jahwe-Religion immer mehr an Breite und Tiefe gewann, verblaßte das Licht der Volksreligion.  Spuren sind reichlich geblieben.  -
Ein vielfach anderes Bild zeigt uns die Naturbetrachtung im antiken Griechenland und Rom, wenn auch gemeinsame Züge der Entwicklungs art  ins Auge springen. Auch da kann ich nur andeuten. Das Allgemeine ist bereits berührt worden. Hier trifft also vor allem auch das zu, was wir schon oben sagten: Animismus, mythische Personifikation und Naivität stehen am Anfang. Der einfache Mensch ist die Wertskala für die Natur. Er gibt ihr den Sinn indem er seine seelische Gebärde in sie hineinlegt.
    "Kein Gebilde ist ja dem Menschen verständlicher als der Mensch selbst in seinem Tun und Leiden, und so deutet besonders der primitive Mensch jeden Vorgang in der Natur nach Analogie seines eigenen Körpers und seiner eigenen Seele. Die Metapher ist daher kein poetischer Tropus, sondern eine ursprüngliche, notwendige Anschauungsform des Denkens. Die  Mythen  bildende Phantasie setzt alle in Bewegung, die sie in der Natur wahrnimmt, um in Handlungen lebensvoller menschenähnlicher, ja übermenschlicher Wesen. Die Mythologie ist, wie  Vischer  sagt, das Augenaufschlagen über die großen Wunder der  Natur,  und so ist in der Tat auch die griechische Mythologie ein glänzendes Zeugnis des mächtigen Eindrucks, den die  Natur  auf den Griechen machte, des innigen Interesses, mit dem er die Vorgänge in der Natur belauschte und  menschlich  deutete." (9)
So sehen wir in dieser ersten Zeit des griechischen Naturbetrachtens bereits jene Gestalten - ob nun Dämonen oder höhere Götter - als "den plastisch-religiösen Ausdruck eines innigen Naturgefühls". Allerdings überwuchern Lokalzeichnungen, Naturvorgänge, Parabeln und Beiwörter die seelische Stimmung. Aus diesem naiven Geist heraus sind HOMERs  Ilias  und  Odyssee,  die Hymnen und HESIOD entstanden. Was die Schilderung der Farbe betrifft, so versuchte man in neuerer Zeit (10) diese alten Angaben auf mangelnden Farbensinn zurückzuführen, doch sind diese Einwände widerlegt worden: nicht das Auge war mangelhaft, sondern der Sprachausdruck! Dann kommt das Zeitalter, dem allmählich die Natur Sinnbild des Geistigen wird. Auf dem Weg über die subjektive Metapher der Lyrik und poetischen Beseelung. Das führte zu einem detaillierteren Stimmungsbild
    "in dem die Gemütsbewegung im Gegensatz oder im Einklang steht mit der Naturszene, bis schließlich - im Hellenisums - das Landschaftliche,  um seiner selbst willen  geschildert, den Menschen bloß zum  Figuranten in der Natur  herabdrückt." (11)
Das ist das Zeitalter der Lyrik und des Dramas, die Zeit der ersten zehn Olympiaden bis zu den Perserkriegen und noch weiter bis zum Ende des peloponischen Krieges. Die Elegiker, Lyriker, ÄSCHYLOS, SOPHOKLES, EURIPIDES, ARISTOPHANES, PLATON und ARISTOTELES sind durch diesen Geist gegangen. Und schon ziehen sie herauf die Meister der sentimentalen Schilderung, der innigen Stimmung, des Idylls, die Meister des Hellenismus und der Kaiserzeit. Idyll, Drama, Epigramm, Epos und Roman erhalten durch ein gesteigertes Naturgefühl, durch die Glut sinnlicher und erotischer Empfindsamkeit völlig neue Akzente. Die Natur wurde immer intimer, individueller, idyllischer. Natur ist Selbstzweck bei der Beobachtung und nicht der Mensch. Die zahllosen Kulturtriebe, die als Hellenismus seit ALEXANDER aufgingen, jenes farbenprächtige Gemisch aus Okzident und Orient mit seiner internationalen Weitherzigkeit gab dieser Naturbetrachtung Leben und Seele. Aber auch durch die  wissenschaftliche  Naturwertung der Griechen ging schon frühzeitig ein Zug vom Allgemeinsten, Unbekannten zur individuelleren Durchforschung und Schätzung. Schon die antike Metaphysik zielte auf Erkenntnis und Betrachtung des Wesens und des Alls der Wirklichkeit. Wenn auch die übliche, dem ARISTOTELES nachgeredete Auffassung, schon THALES und die Milesier hätten die Idee von der unzerstörbaren Substanz vertreten mit größter Vorsicht aufzunehmen ist. Neuerdings hat ERNST PEITHMANN gezeigt, daß diese Vorstellung nur ganz allmählich in der vorsokratischen Naturphilosophie durchbrach. HERAKLIT erst beginnt das Problem zu berühren, genauer dann PARMENIDES und in immer klarerer Herausarbeitung ANAXAGORAS, DIOGENES von APPOLONIA und schließlich DEMOKRIT. Man darf nämlich nie vergessen, daß ARISTOTELES die Vorsokratiker mit den Farben  seiner  naturphilosophischen Palette gemalt hat, mit seiner Prinzipienvorstellunge und Elementarlehre. Doch dies nur nebenbei. Das eine aber ist sicher, daß es frühzeitig die ältesten Fragen der Naturphilosophie waren:
    "Was ist der Urgrund und das Schicksal und die Bestimmung der Welt und der Dinge, die darinnen sind? Gibt es ein Nichtsein der Dinge? Ist diese Welt immer gewesen oder hat sie einen Anfang gehabt?"
Freilich sind das Probleme wissenschaftlicher Art und nicht der große Gefühlsstrom, der durch die Massen ging.

Und soll ich letztlich noch einen Typus des antiken Naturbetrachtens hervorheben, in dem eine psychische Lebensmacht Phantasie- und Geistesleben nachhaltig berührte, so ist das die Zeit der  synkretischen Systeme.  Unserer Kultur waren sie Richtweisung. Die hellenistische und römische Philosophie hat sie vorbereitet, der Neupythagoreismus leitet ein und der jüdische Alexandrinismus PHILOs, die Gnosis, der Neuplatonismus und die Kirchenväterphilosophie sind das Wesen. Das ganze Kapital der antiken Hervorbringungen kam hier in Mischung: hellenische Weltkultur und Römertum, nachplatonischer Internationalismus in der Religion und babylonische astrologische Kulte, ägyptische und persische Vorstellungen und die erstaunliche Propaganda der Juden. Ein großer universalistischer Zug geht durch das Ganze. Neben dem Wunderlichen, Seltsamen steht das Sehnen nach einem Reich der Güte und Treue. Was ist es da mit der Natur? Wieder sind wir auf dem alten Boden angelangt, aus dem die kleine jüdische Sekte, die spätere Christenreligion, wie ein kräftiger Trieb aufschoß. Mitten in diesem Frühlingssturm einer neuen geistigen Welt. Das Kernhafte in der Anschauung ist geblieben, aber auch das Wunderhafte und Geheimnisvolle, das Exorbitante und Visionäre, das Beschränkte und Enge. Unten, ganz unten am Grund der jüdischen Seele flammte ein Heiteres und Frohes. Aber wie eine stechende und bangende Traumangst lagen Politik und dogmatische Theologie auf dem Volk. Als in die politische Wirrsal, in den patriotischen Rausch, in die großen und kleinen Hoffnungen  Jesus  hineintrat, in das Utopische der heißen Sehnsucht und das Nervöse eines sterbenden Geschlechts, als er - fußend auf dem Geschichtsbild seines Volkes - vom einzelnen  Menschen  erzählt mit  ganz einfachen  und doch neuen Worten, im Sprachton der altprophetischen Ethik und DANIELschen Apokalyptik, da ist wieder in seiner Rede der ganze Schatz jüdischer  Naturbetrachtung  wach geworden. Eine hinreißende Naturpoesie von den alltäglichen Dingen hat sich in seiner Seele reflektiert, die großen Lebensrythmen seines Volkes wob er hinein mit goldigen Fäden, so daß Bildersprache und Natur ein Einheitsband zusammenhält. Fabel, (d. h. Parabel im engeren Sinne), Beispielerzählung und Gleichnis waren die Form und nur die sinnbildliche Darstellung, die verhüllende Allegorie wird man nicht finden. In diesem Rahmen stand die Natur. Als Freundin und Heimstätte der Dämonen.

Daß gerade letzterer Vorstellung eine eminent hohe Bedeutung im antiken Empfinden zukam, haben wir schon oben gesehen. Aber ganz besonders in dieser Zeit: Es ist interessant zu erörtern, wie dieser Vorstellungskomplex vom Dämonischen, diese Wahnideen mit ihren Schrecken und Freudenausbrüchen nach und nach mit neuen Beziehungen und Steigerungen vorwärts rückten. In der interessanten  Johannes-Apokalyps, die unter Kaiser DOMITIAN in die Öffentlichkeit kam, liegt unsagbar stimmungsecht diese Welt der Angstvision und Erwartung. Dämonenbeschwörer, Ärzte gegen Besessenheit, Magier, Zauberer gab es schon, nicht nur in den ältesten und neueren Zeiten der orientalischen Völker und in den Tagen der klassischen Antike, sondern auch in jener bunten Epoche der Religionsmischungen und der Vorboten eines neuen Lebensaufschwungs, im Synkretismus [Synthese religiöser Ideen - wp]. Ein breiter Stom solcher Dämonenvorstellungen floß in das damals junge Christentum und dessen Propaganda: Ekstatische unverständliche Rede und Niederschrift, Heilungen und Wunder, Magie, Krampfzustände und ethischer Heroismus, Gehörs- und Gesichtsvisionen, Fernsehen, unwillkürliche Bewegungen, Entrücktwerden und Doppelbewußtsein und anderes. Wir können die Evangelien aufschlagen, den Hirten de HERMAS, die Apologeten, JUSTIN, ORIGENES, TATIAN, CYPRIAN, MINUCIUS FELIX und ganz besonders TERTULLIAN - man wird sie immer wieder antreffen, die bösen Geister, die ausgetrieben werden, und gegen die  Jesus  kämpft, die Dämonen, die in die Herde Säue fahren und wieder andererseits von der Tochter der kanaanäischen Frau Besitz nehmen. Wohl selten hat diese nervöse Vorstellungswelt Menschen so erschüttert und im Tiefsten aufgewühlt wie im zweiten christlichen Jahrhundert. Man erlebte an  Jesus  den gewaltigen Gegner und Streiter - "er ließ die Dämonen nicht reden, denn sie kannten ihn" ... Mit Recht wies man erst wieder vor kurzem auf den "Apologeticus" TERTULLIANs; wer einmal hineinblickt in diese Schrift, wird jene eigentlich doch märchenhafte Stimmung ahnen, durch die das werdende Christentum und seine Erkenntnis von Natur und Leben gegangen ist. Diese Zeit hat ganz vorzüglich der Alchemie und Astrologie neue Nuancen gegeben, denn Natur und Luftraum waren ja besonders eine Wohnstätte und Heim der dämonischen Mächte.
    "Als Dämonenbeschwörer sind die Christen in die große Welt eingetreten, und die Beschwörung war ein sehr wichtiges Mittel der Mission und der Propaganda. Es handelte sich dabei um die Beschwörung und Besiegung der in den einzelnen Menschen wohnenden Dämonen, aber auch um die Reinigung des ganzen öffentlichen Lebens von ihnen. Denn das  Saeculum  steht unter der Herrschaft des Schwarzen und seiner Scharen (Barnabas)  keitai en ponero  [liegt im Bösen - wp] (Johannes). Das war keine blasse Theorie, sondern lebendigste Anschauung. Die ganze  Welt  und der  Luftraum,  der sie umgibt, ist von Teufeln erfüllt; alle Formen des Lebens - nicht nur der Götzendienst - ist von ihnen beherrscht. Sie sitzen auf den Thronen und umschweben die Wiege des Kindes. Die Erde ist recht eigentlich eine Hölle, obgleich sie Schöpfung Gottes ist und bleibt." (12)
Der Untergang der Menschen ist das Ziel ihrer Bosheit und Krankheiten und böse Zufälle der verschiedensten Art, seelische Ausbrüche und Raserei schütten sie über das Leben. Ein einziger Ort ist für sie die ganze Welt. Sie sind im Augenblick überall. -

Das war der Grundton, und so hat man ihn auch meist ohne Einschränkung empfunden. Und wenn wir von dieser Zeit absehen, auch von Neuplatonismus, Mystik, christlich-polytheistischen Bildungen und Angelogieen des Mittelalters und anderem - dieses Urwesen der Naturbetrachtung wucherte immer wieder durch, auch in Zeiten als bereits eine neue Wissenschaft und Naturbetrachtung sich geltend zu machen wußte, in der Aufklärung und Weltlichkeit der Renaissance. Ihre Voraussetzungen in den antiken und mittelalterlichen Stimmungen brachten es zuwege, daß die Liebe zur Schönheit und zum Körperlichen in ihren Tiefen fatalistische und abergläubische Stücke barg und vieles andere solcher Art, das über Frühgotik, Liebesromantik des Rittertum und provenzalische Poesie in die sonnige Zeit der neuen Menschheitsbildung eingeströmt war. Der religiöse universale Theismus und der neue Geist im Norden konnten nur stückweise den Kampf gegen den antiken Dämonismus in der Naturanschauung aufnehmen. Eine neue Zeit und ein neuer Wert reiften. Es sind feine Brücken und Traversen [Träger - wp], auf denen der Drang zum Schauen, zum "Licht der Natur" herüberging, herüber zu einer neuen Schwelle, die auf der einen Seite zur werdenden modernen Naturforschung und Medizin geführt hat, auf der anderen zu den rationalistisch-metaphysischen Systemen eines DESCARTES, SPINOZA und empirisch-positivistischen Kündern LOCKE, SHAFTESBURY, BERKELEY, HUME.

LITERATUR Franz Strunz, Die Natur als psychische Lebensmacht im antiken Phantasie- und Geistesleben, Zeitschrift für Naturwissenschaften, Bd. 76, Stuttgart 1903
    Anmerkungen
    1) Vgl. meine soeben erschienene Arbeit: Naturbetrachtung und Naturerkenntnis im Altertum. Eine Entwicklungsgeschichte der antiken Naturwissenschaften (Hamburg). In diesem Buch werden die hier nur angedeuteten Gedanken ausführlicher behandelt.
    2) Zum Beispiel in dem Epos "Der Tod des Sisupala" von MAGHAS oder in KALIDASAs "Sakuntala" und "Urwasi".
    3) Man denke an die grauenhaften Tage der Pest und Lustseuche und an deren Literatur: die furchtbare Beulenpest, wie sie in der Mitte des 14. Jahrhunderts durch zwei Jahrzehnte als "schwarzer Tod" ganze Länder entvölkert hat oder das gewiß epedemieähnliche Auftreten der Syphillis im 15. bis 16. Jahrhundert. Die Erscheinungen waren zu gewaltig, um da nicht ein Dämonhaftes herauszufinden. Eine ganz neue Literaturgattung ist damals entstanden, die nicht bloß wissenschaftliches Interesse in Anspruch nahm, sondern gerade auch volkstümlichen Zwecken dienen wollte, Zwecken der Aufklärung über Wesen, Behandlung und Vorbeugung der Epidemien. Diese Schriften redeten im Sprachton des gemeinen Mannes. Ich erinnere an das Arzneibuch des ORTOLFF von BAYRLANDT (etwa um 1400), an den viel älteren "Thesaurus pauperum", an den "Garten der Gesundheit" oder an die berühmten Volksbildungsmittel - die Kalender. Auch die damalige Syphillis hatte ihren großen Forscher und Schriftsteller, den Reformator der mittelalterlichen Medizin, PARACELSUS (1493-1541). Gerade er, der gewaltige Prediger vom "Licht der Natur" und induktive Forscher hat vielfach mit den Vorstellungen der Seele seiner Zeit gerechnet und das völlig Neue im Bild des Alten gesagt. Die Krankheit geht wie ein Landstreicher von Land zu land, von Stadt zu Stadt, wie ein Fahrender. Man kennt diese Personifizierungen auch aus den Werken der damaligen Malerei und erinnert sich wohl der oft krankhaften Wucherungen wilder Künstlerphantasie (Über Paracelsus vgl. meine Schrift: Theophrastus Paracelsus, sein Leben und seine Persönlichkeit. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte der deutschen Renaissance, Leipzig 1903
    4) EUGEN HEINRICH SCHMITT, Die Gnosis, Leipzig 1903
    5) Im babylonischen Nationalepos von  Gilgamesch  findet sich z. B. die babylonische Ursage von der Sintflut. Sie lag bestimmt schon um 2000 v. Chr. vor.
    6) Man darf nicht vergessen, daß das sogenannte mosaische Gesetz (d. i.  Pentateuch  und  Buch Josua)  aus verschiedenen  Quellenschriften  hervorgegangen ist. Ins 8. Jahrhundert etwa, also noch in die prophetische Epoche, fallen die ältesten Geschichtserzählungen "Jahwist" [J] und "Elohist" [E]. Die Benennungen kommen von der darin gebrauchten Wortanwendung  Jahwe  und  Elohim.  Daran kann man zeitlich die Gesetzesverordnung des Deuteronomium [D] anschließen. Sie fällt ins 7. Jahrhundert. Der Rest des Pentateuch stammt aus der Zeit des babylonischen Exils und der folgenden Epochen bis  Esra  (also die Gesetze der mittleren Bücher  Exodus, Leviticus,  und  Numeri).  Nachträgliche Zusätze erfolgten nun, so daß wir im 5. Jahrhundert die Quellenschrift Priesterkodex [P. K.] vor uns haben. Man vereinigte dann J. E. D. und P. C. - nach mannigfachem Umredigieren - zu den heutigen sogenannten fünf Büchern  Moses.  Andere Geschichtsbücher wie  Richter, Samuel, Könige  sind in der exilischen Zeit entstanden, der größte Teil der Psalmen ist nachexilisch. Vielleicht sind sie in die Makkabäerepoche (2. Jahrhundert) zu verlegen.
    7) WILHELM BOUSSET, Das Wesen der Religion, dargestellt an ihrer Geschichte, Halle 1903, Seite 114
    8) Polytheismus ist das nicht. "Denn die verschiedenen Objekte der Verehrung sind ihrer Art und ihrem Wesen nach zu wenig fest umschrieben, als daß sie auf den Namen von  Göttern  vollen Anspruch machen könnten. Doch sind sie auch nicht dasselbe wie die  späteren Dsjinns  (Dschinnen), wie wir sie bei den monotheistischen Arabern finden, denn ihnen wird ein wirklich göttlicher Charakter beigelegt. Die Ahnen sowohl wie Gegenstände am Himmel, auf Erden, unter dem Wasser, in Bäumen, Brunnen, Steinen, Bergen und dgl. mehr werden verehrt. Nicht das Objekt selbst wird als Gottheit angesehen, auch wird die besondere Offenbarung der göttlichen Macht nicht als solche personifiziert,  keine  Vergottung der  Natur,  keine  Natur religion ist es, was wir hier antreffen. Vielmehr ist es so: Die ins Auge fallenden  Naturereignisse  lassen vermuten, daß sich dort, ein  Dämon  offenbart." (G. WILDEBOER: Jahwedienst und Volksreligion in Israel in ihrem gegenseitigen Verhältnis, Freiburg i. Br. 1899, Seite 26). Gewiß haben auch die Kultusformen des Ahnenglaubens und  Totemismus  in der  alt semitischen Religion eine Rolle gespielt.
    9) ALFRED BIESE, Die Entwicklung des Naturgefühls bei den Griechen, Kiel 1882, Seite 9
    10) Ich erinnere an die Arbeiten von GLADSTONE, GEIGER und MAGNUS.
    11) BIESE, a. a. O., Seite 22
    12) ADOLF HARNACK, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1902, Bd. 1, Seite 95 und 96.