ra-2H. RitterNihilismusTolstoi    
 
FJODOR DOSTOJEWSKI
Die Beichte Stawrogins

"Trotz der russischen unflätigen Schimpfworte und aller sonderbaren Gespräche die Matrjoscha von den Windeln an gehört haben mußte, bin ich vollkommen davon überzeugt, daß sie nichts davon verstand. Zuletzt hatte sie sicher den Eindruck, ein ungeheures Verbrechen begangen zu haben, an dem sie die Todsünde trüge, als hätte sie  Gott ermordet. 

1

NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH [Stawrogin - wp] schlief diese ganze Nacht nicht, sondern saß auf dem Sofa, den unbeweglichen Blick auf einen Punkt in der Ecke neben der Kommode gerichtet. Die ganze Nacht brannte bei ihm die Lampe. Gegen sieben Uhr morgens schlief er im Sitzen ein und als ALEXEJ JEGOROWITSCH nach der ein für allemal eingeführten Sitte um punkt halb zehn Uhr mit einer Tasse Morgenkaffee bei ihm eintrat und ihn durch sein Erscheinen weckte, schien er, als er die Augen geöffnet, unangenehm erstaunt, daß er solange hatte schlafen können, und daß es schon so spät sei. Er trank schnell den Kaffee, kleidete sich schnell an und verließ eilig das Haus. Auf die vorsichtige Frage ALEXEJ JEGOROWITSCHs, "ob er nicht irgendwelche Befehle hätte, " gab er keine Antwort. Er ging durch die Straße, zu Boden blickend, tief nachdenklich und hob nur ab und zu den Kopf und zeigte eine unbestimmte, aber sehr große Unruhe. An einer Straßenecke, nicht weit von seinem Haus, durchkreuzte eine Gesellschaft von Bauern, etwa fünfzig Mann oder sogar noch mehr, seinen Weg; sie gingen fast schweigend, in auffallender Ordnung. Neben dem Laden, wo er eine Weile warten mußte, sagte jemand, es seien "die Schpigulinischen Arbeiter". Er schenkte ihnen kaum Beachtung. Endlich gegen halb elf erreichte er das Tor des Spasso-Jefimjewschen Muttergottesklosters, am Flußufer, am Rande der Stadt. Erst jetzt schien er sich plötzlich auf etwas zu besinnen, auf etwas Beunruhigendes und Schwieriges; er blieb stehen, betastete entwas in seiner Seitentasche und lächelte. Als er in die Klosterumfriedung eingetreten war, fragte er den erstbesten Klosterdiener, auf den er stieß, wie er zu dem in diesem Kloster im Ruhestand lebenden Bischof TICHON gelangen könne. Der Diener übernahm unter vielen Verbeugungen sofort die Führung. An der Treppe am Ende des langen zweistöckigen Klostergebäudes nahm ihn dem Diener schnell und gebieterisch ein dicker grauhaariger Mönch ab, der ihn durch einen langen, schmalen Korridor führte, ebenfalls unter fortwährenden Verbeugungen (obwohl er infolge seiner Dicke sich nicht tief verbeugen konnte, sondern nur oft und schnell mit dem Kopf nickte), ihn immer wieder auffordernd, ihm zu folgen, obwohl NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH ihm auch ohnehin folgte. Der Mönch stellte irgendwelche Fragen und sprach vom P. Archimandriten [Klostervorsteher - wp]; da er keine Antwort erhielt, wurde er immer ehrerbietiger. STAWROGIN merkte, daß ihn hier alle kannten, obwohl er, soweit er sich erinnerte, nur als Kind hier gewesen war. Als sie die Tür ganz am Ende des Korridors erreichten, stieß sie der Mönch mit einer herrischen Gebärde auf, erkundigte sich familiär beim herbeigeeilten Zellendiener, ob man eintreten dürfe, machte dann, ohne eine Antwort abzuwarten, die Tür weit auf und ließ unter einer Verbeugung den "lieben" Gast eintreten; als jener sich bedankt hatte, verschwand er schnell, wie fluchtartig. NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH trat in ein kleines Zimmer, und fast im gleichen Augenblick erschien ein großer, hagerer Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren in einer einfachen Soutane, dem Aussehen nach kränklich, mit einem unbestimmten Lächeln und einem seltsamen, gleichsam schüchternen Blick. Das war jener TICHON, von dem NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH zum erstenmal von SCHALOW gehört und über den er seitdem auch selbst nebenbei einige Auskünfte eingezogen hatte.

Die Auskünfte waren verschieden und sogar einander widersprechend, hatten aber alle auch etwas gemeinsames, nämlich, daß alle, die TICHON liebten und auch die ihn nicht liebten (denn es gab auch solche), sich über ihn irgendwie ausschwiegen; die Nichtliebenden wohl aus Geringschätzung, die Anhänger aber und selbst die glühendsten unter ihnen aus Bescheidenheit, als wollten sie etwas verheimlichen, irgendeine Schwäche von ihm, vielleicht, daß er einen Narren in CHRISTO spiele. NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH erfuhr, daß er schon seit etwa sechs Jahren im Kloster lebte und wie von Leuten aus den einfachsten Ständen, so auch von den vornehmsten Personen besucht werde; daß er selbst im fernen Petersburg glühende Verehrer und vorwiegend Verehrerinnen habe. Dafür bekam er auch von einem unserer sich vornehm gebärdenden "Klubgreise", sogar einem frommen Greise, zu hören, daß "dieser TICHON so gut wie verrückt sei und zweifellos trinke". Ich füge vorausgreifend hinzu, daß das letztere absoluter Unsinn ist; wahr ist nur, daß er eine veraltete rheumatische Krankheit in den Füßen und zeitweise nervöse Zuckungen hatte. NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH hatte auch erfahren, daß der im Kloster im Ruhestand lebende Bischof infolge Charakterschwäche oder einer "bei seinem Rang unverzeihlichen und unpassenden Zerstreutheit" es nicht verstanden habe, im Kloster selbst einen besonderen Respekt für sich zu wecken. Man sagte, daß der P. Archimandrit, ein rauher und in seinen Pflichten sehr strenger, außerdem wegen seiner Gelehrsamkeit berühmter Mann, ein gewisses feindseliges Gefühl gegen ihn hegte und ihm sogar (nicht offen, sondern indirekt) ein nachlässiges Leben und beinahe sogar Ketzerei vorwerfe. Die Klosterbrüderschaft verhielt sich aber zum kranken Bischof nicht gerade nachlässig, aber sozusagen familiär. Die beiden Zimmer, die die Zelle TICHONs bildeten, waren gleichfalls sonderbar ausgestattet. Neben klotzigen altertümlichen Möbeln mit durchgewetzten Ledersitzen standen auch mehrere höchst elegante Gegenstände: ein prunkvoller bequemer Lehnsessel, ein großer Schreibtisch von vortrefflicher Arbeit, ein schöner geschnitzter Bücherschrank, Tischchen, Etageren, natürlich lauter Geschenke. Es gab auch einen kostbaren bucharischen Teppich, daneben aber auch einfache Matten. An den Wänden hingen Stiche "weltlichen" Inhalts, auch mit mythologischen Sujets, gleich daneben aber stand in der Ecke ein großer Schrein mit gold- und silberfunkelnden Heiligenbildern, darunter einem sehr alten mit eingeschlossenen Reliquien. Man sagte, daß auch seine Bibliothek allzubunt und widerspruchsvoll zusammengestellt sei: neben den Werken der großen Kirchenlehrer und Helden der Christenheit befanden sich darin auch "Theaterstücke und Romane, vielleicht sogar noch viel schlimmere Sachen".

Nach den ersten Begrüßungsworten, die aus irgendeinem Grunde mit einer beiderseitigen Verlegenheit, schnell und sogar kaum verständlich gesprochen worden waren, führte TICHON den Gast in sein Kabinett, setzte ihn aufs Sofa vor dem Tisch und nahm selbst in einem geflochtenen Sessel daneben Platz. Seltsamerweise verlor hier NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH jede Fassung. Es sah so aus, als gebe er sich die größte Mühe, sich zu etwas Außergewöhnlichem und Unwiderlegbarem, dabei aber für ihn fast Unmöglichem zu entschließen. Er ließ seinen Blick etwa eine Minute im Kabinett schweifen, offenbar ohne etwas zu sehen; er wurde nachdenklich, wußte aber vielleicht selbst nicht, woran er dachte. Ihn weckte die Stille und es kam ihm plötzlich vor, als schlage TICHON die Augen wie vor Scham mit einem eigentümlichen, ganz überflüssigen Lächeln nieder. Dies rief in ihm sofort Abscheu und Protest hervor; er wollte aufstehen und weggehen; er war überzeugt, TICHON sei betrunken. Jener erhob aber plötzlich die Augen und sah ihn mit einem so festen und gedankenvollen Blick, zugleich aber mit einem so unerwarteten und rätselhaften Ausdruck an, daß er fast zusammenfuhr. Da hatte er plötzlich einen ganz anderen Eindruck: daß TICHON schon wisse, wozu er gekommen sei, daß er schon darauf vorbereitet sei (obwohl keine Mensch in der Welt den Grund wissen konnte), und daß er nur darum nicht als erster zu sprechen anfange, weil er ihn schone und ihn zu erniedrigen fürchte.

"Sie kennen mich?" fragte er plötzlich kurz. "Ich weiß nicht, ob ich mich beim Eintreten vorgestellt habe. Entschuldigen Sie, ich bin so zerstreut ..."

"Sie haben sich nicht vorgestellt, aber ich habe schon einmal vor vier Jahren das Vergnügen gehabt, Sie hier in diesem Kloster zu sehen ... zufällig."

TICHON sprach sehr langsam und gleichmäßig, mit einer weichen Stimme, und artikulierte die Worte klar und deutlich.

"Ich bin nicht vor vier Jahren hier im Kloster gewesen", entgegnete NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH mit einer ganz unnötigen Grobheit. "Ich bin hier nur als Kind gewesen, als Sie noch gar nicht hier waren."

"Vielleicht haben Sie es vergessen?" fragte TICHON vorsichtig und ohne darauf zu bestehen.

"Nein, ich habe es nicht vergessen; und es wäre lächerlich, wenn ich mich dessen nicht mehr erinnerte," bestand STAWROGIN mit übertriebenem Trotz auf dem seinen. "Vielleicht haben Sie von mir nur gehört und sich dann irgendeine Meinung über mich gebildet und glauben darum, daß Sie mich gesehen haben."

TICHON sagte darauf nichts. NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH merkte jetzt, daß über sein Gesicht zuweilen ein nervöses Zucken lief, das Zeichen einer veralteten Nervenschwäche.

"Ich sehe nur, daß Sie heute nicht ganz wohl sind", sagte er, "und daß es besser wäre, wenn ich wegginge."

Er erhob sich sogar von seinem Platz.

"Ja, ich fühle heute wie auch gestern einen heftigen Schmerz in den Beinen und habe nachts sehr wenig geschlafen ..."

TICHON hielt inne. Sein Gast verfiel plötzlich in eine eigentümliche Nachdenklichkeit. Das Schweigen dauerte lange, vielleicht zwei Minuten.

"Haben Sie mich eben beobachtet?" fragte er plötzlich unruhig und argwöhnisch.

"Ich sah Sie an und erinnerte mich dabei der Gesichtszüge Ihrer Frau Mutter. Bei aller äußeren Unähnlichkeit ist doch viel innere, geistige Ähnlichkeit vorhanden."

"Nicht die geringste Ähnlichkeit, am allerwenigsten eine geistige. Überhaupt keine!" regte sich NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH ganz unnötigerweise auf; er wußte selbst nicht, warum er so heftig widersprache. "Sie sagen es bloß ... aus Mitleid mit mir und meiner Lage!" platzte er plötzlich heraus. "Ach! Kommt denn meine Mutter zu Ihnen?"

"Ja."

"Das habe ich nicht gewußt. Habe es von ihr nie gehört. Kommt sie oft her?"

"Fast jeden Monat und auch öfter."

"Das habe ich wirklich niemals gehört. Niemals gehört! ..." Er schien durch diese Tatsache furchtbar beunruhigt. "Sie haben aber natürlich von ihr gehört, daß ich verrückt bin?" platzte er wieder heraus.

"Nein, ich habe nichts von Verrücktheit gehört. Wohl aber von dieser Absicht, doch nicht von ihr, sondern von anderen."

"Sie haben also ein gutes Gedächtnis, wenn Sie sich solchen Unsinn gemerkt haben. Haben Sie auch das von der Ohrfeige gehört?"

"Etwas habe ich wohl gehört."

"Das heißt alles. Sie haben furchtbar viel Zeit, um sich das alles zu merken. Auch das vom Duell?`

"Auch vom Duell."

"Das sind wirklich die Zeitungen überflüssig. Hat SCHATOW Sie auf mein Kommen vorbereitet?"

"Nein. Ich kenne übrigens Herrn SCHATOW, habe ihn aber schon seit langem nicht gesehen."

"Hm ... Was haben Sie hier für eine Karte? Ach es ist doch die Karte des letzten Krieges! Was brauchen Sie sie?"

"Ich habe die Landkarte mit dem Text verglichen. Eine überaus interessante Schilderung."
"Zeigen Sie her. Ja, die Schilderung ist nicht schlecht. Es ist aber eine sonderbare Lektüre für Sie."

Er rückte das Buch zu sich heran und blickte flüchtig hinein. Es war eine umfangreiche und talentvolle Schilderung der Umstände des letzten Krieges, talentvoll übrigens weniger in militärischer als in rein literarischer Beziehung. Er hielt das Buch eine Weile in den Händen und warf es plötzlich mit Ungeduld weg.

"Ich weiß absolut nicht, wozu ich hergekommen bin!" sagte er wie angeekelt, TICHON gerade in die Augen blickend, als erwartete er von ihm eine Antwort.

"Sie scheinen auch nicht ganz wohl zu sein."

"Ja, vielleicht."

Und er erzählte plötzlich, übrigens nur in wenigen abgerissenen Worten, so daß man einiges schwer verstehen konnte, daß er zuweilen, besonders nachts an gewissen Halluzinationen leide, daß er an seiner Seite manchmal irgendein boshaftes, spöttisches und "vernünftiges" Wesen sehe oder fühle: "in verschiedenen Gestalten und von verschiedenem Charakter, aber immer ein und dasselbe, ich ärgere mich aber!"

Wild und verworren waren diese Erklärungen und schienen wirklich von einem Verrückten zu kommen. NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH sprach aber dabei mit einer so sonderbaren Aufrichtigkeit, die man an ihm noch niemals wahrgenommen, mit einer solchen, ihm sonst so gar nicht eigenen Einfalt, daß der frühere Mensch in ihm plötzlich und unversehens verschwunden zu sein schien. Er schämte sich gar nicht, das Entsetzen zu zeigen, mit dem er von seiner Vision sprach. Aber all das war nur augenblicklich und verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war.

"Das ist alles Unsinn", unterbrach er sich schnell mit verlegenem Ärger. "Ich will zu einem Arzt gehen."

"Gehen Sie unbedingt hin", bestätigte TICHON.

"Sie sagen es so bestimmt ... Haben Sie schon solche Menschen wie mich gesehen, die solche Visionen haben?"

"Ich habe wohl welche gesehen, aber selten. Ich besinne mich auf einen einzigen Fall in meinem Leben, es war ein Offizier, der nach dem Tod seiner Frau, der für ihn unersetzlichen Lebensgefährtin, dasselbe hatte. Den anderen Fall kenne ich nur vom Hörensagen. Beide ließen sich dann im Ausland behandeln ... Leiden Sie schon lange daran?"

"Seit etwa einem Jahr, aber das alles ist Unsinn. Ich werde zum Arzt gehen. Es ist Unsinn, furchtbarer Unsinn. Das bin ich nur selbst in verschiedenen Gestalten und weiter nichts. Da ich soeben diese ... Phrase hinzugefügt habe, so glauben Sie sicher, daß ich immer noch zweifle und nicht ganz davon überzeugt bin, daß ich es bin und nicht wirklich der Teufel."

TICHON sah ihn fragend an.

"Und ... Sie sehen ihn wirklich?", fragte er, jeden Zweifel ausschaltend, daß es eine trügerische und krankhafte Halluzination sei, "sehen Sie wirklich irgendeine Gestalt?"

"Merkwürdig, daß Sie darauf bestehen, während ich Ihnen schon gesagt habe, daß ich eine sehe", sagte STAWROGIN, der nach jedem Wort noch mehr gereizt war. "Natürlich sehe ich ihn, ich sehe ihn, so wie ich jetzt Sie sehe ... manchmal sehe ich ihn aber und bin dabei nicht überzeugt, daß ich ihn sehe, obwohl ich ihn wirklich sehe ... manchmal weiß ich auch nicht, was wirklich ist: ich oder er ... All das ist Unsinn. Können Sie denn unmöglich annehmen, daß es in Wirklichkeit der Teufel ist!" fügte er lachend hinzu, allzuschnell in einen spöttischen Ton verfallend: "Das würde ja zu Ihrem Metier besser passen."

"Am wahrscheinlichsten ist es eine Krankheit, obwohl ..."

"Was, obwohl?"
"Teufel existieren zweifellos, aber die Auffassung von ihnen kann sehr verschieden sein."

"Sie haben eben Ihren Blick gesenkt"; fiel ihm STAWROGIN mit einem gereizten Lächeln ins Wort, "da Sie sich für mich schämten, weil ich an den Teufel glaube, Ihnen aber unter Vorspiegelung, daß ich an ihn nicht glaube, die listige Frage stelle, ob er in Wirklichkeit existiert?"
TICHON lächelte unbestimmt.

"Hören Sie also: ich schäme mich gar nicht, und um Ihre Grobheit heimzuzahlen, will ich Ihnen ernsthaft und frech sagen: ich glaube an den Teufel, ich glaube an ihn kanonisch, an den persönlichen Teufel, nicht an die Allegorie, und ich brauche niemand auszuforschen; da haben Sie alles."

Er lachte nervös und unnatürlich auf. TICHON sah ihn neugierig an, mit einem etwas scheuen, wenn auch milden Blick.

"Glauben Sie an Gott?" platzte plötzlich NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH heraus.

"Ich glaube!"

"Es steht doch geschrieben, wenn du glaubst und dem Berg befiehlst, von der Stelle zu rücken, so wird er von der Stelle rücken ... entschuldigen Sie übrigens den Unsinn. Aber ich möchte Sie dennoch fragen: werden Sie einen Berg versetzen können oder nicht?"

"Wenn Gott es befiehlt, werde ich ihn versetzen", sagte TICHON leise und zurückhaltend und fing an, seinen Blick wieder zu senken.

"Nun, das ist ja dasselbe, wie wenn ihn Gott selbst versetzte. Nein, Sie, Sie selbst zum Lohn für Ihren Glauben an Gott?"

"Vielleicht versetze ich ihn."

"Vielleicht? Nun, auch das ist nicht schlecht. Sie zweifeln übrigens immer noch?"

"Infolge der Unvollkommenheit meines Glaubens zweifle ich."

"Wie, auch Ihr Glaube ist unvollkommen?"

"Ja ... vielleicht ist er auch unvollkommen", antwortete TICHON.

"Das kann man Ihnen unmöglich ansehen!" Er musterte ihn plötzlich mit einem geradezu naiven Erstaunen, was mit dem spöttischen Ton der vorhergehenden Fragen gar nicht harmonierte.

"Aber Sie glauben immerhin, daß Sie, wenn auch mit Gottes Hilfe, den Berg versetzen werden, und das ist nicht wenig. Jedenfalls wollen Sie glauben. Auch den Berg fassen Sie buchstäblich auf. Das ist ein gutes Prinzip. Ich habe bemerkt, daß die Führenden unter unseren Leviten stark dem Luthertum zuneigen. Das ist immerhin mehr als das  tres peu  [blutwenig - wp] eines Erzbischofs, das allerdings unter einem Säbel gesprochen worden war. Sie sind natürlich auch Christ." STAWROGIN sprach schnell, die Worte fielen bald ernsthaft, bald spöttisch.

"Deines Kreuzes, Herr, werde ich mich nicht schämen", versetzte TICHON in einem sonderbaren, leidenschaftlichen Flüsterton, den Kopf tiefer senkend.

"Kann man an den Teufel glauben, ohne an Gott zu glauben?" fragte STAWROGIN lachend.

"Das kann man sogar sehr, man sieht es auf Schritt und Tritt." TICHON hob die Augen und lächelte.

"Ich bin auch überzeugt, daß Sie einen solchen Glauben immerhin für ehrenwerter halten als den völligen Unglauben ..." rief STAWROGIN und lachte auf.

"Im Gegenteil, vollständiger Atheismus ist ehrenwerter als die weltliche Gleichgültigkeit", antwortete TICHON scheinbar heiter und treuherzig.

"Oho, so denken Sie!"

"Der vollkommene Atheist steht auf der vorletzten höchsten Stufe vor dem vollständigen Glauben (ganz gleich, ob er den Schritt tut oder nicht), der Gleichgültige hat aber gar keinen Glauben mehr, nur eine üble Angst und auch die nur ab und zu, wenn er ein gefühlvoller Mensch ist."

"Hm ... Haben Sie die Apokalypse gelesen?"

"Gewiß."

"Erinnern Sie sich an die Stelle:  Und schreibe dem Engel der Gemeinde zu Laodicea ...?" 

"Gewiß."

"Wo haben Sie das Buch?" STAWROGIN wurde auf einmal seltsam ungeduldig und aufgeregt und suchte das Buch mit den Augen auf dem Tisch. "Ich möchte es Ihnen vorlesen ... Haben Sie eine russische Übersetzung?"

"Ich kenne die Stelle", sagte TICHON.

"Kennen Sie sie auswendig? Sagen Sie sie ..."

Er senkte schnell die Augen, drückte beide Hände gegen die Knie und wartete mit Ungeduld. TICHON zitierte wörtlich:

"Und schreibe dem Engel der Gemeinde zu Laodicea: Also spricht Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Kreatur Gottes: ich kenne deine Werke, daß du weder kalt, noch warm bist. Ach, daß du kalt oder warm wärest! Weil du aber nur lau bist, und weder kalt noch warm, werde ich die ausspeien aus meinem Mund. Du sprichst: ich bin reich, bin gar satt und bedarf nichts, und weißt doch nicht, daß du elend bist und jämmerlich, arm, blind und bloß ..."

"Genug", unterbrach ihn STAWROGIN. "Wissen Sie, ich liebe Sie sehr."

"Und ich Sie, antwortete TICHON halblaut.

STAWROGIN verstummte und versank plötzlich in seine frühere Nachdenklichkeit. Das kam wie ein Anfall schon zum drittenmal. Auch das "ich liebe Sie" hatte er zu TICHON wie in einem Anfall gesagt, jedenfalls ganz unerwartet für sich selbst. Es verging mehr als eine Minute.

"Zürnen Sie nicht", flüsterte TICHON, seinen Ellenbogen ganz leise mit dem Finger berührend, beinahe schüchtern.

Jener fuhr zusammen und runzelte böse die Brauen.
"Woran erkannten Sie, daß ich zürne?" fragte er schnell. TICHON wollte etwas erwidern, aber er unterbrach ihn plötzlich in unbegreiflicher Erregung.

"Warum haben Sie angenommen, daß ich unbedingt zürnen müsse?! Ja, ich war wohl böse geworden, Sie haben recht, und zwar gerade weil ich Ihnen gesagt habe, daß ich Sie liebe. Sie haben Recht, aber Sie sind ein roher Zyniker, Sie denken niedrig von der menschlichen Natur. Es hätte auch kein Zorn sein können, wenn an meiner Stelle ein anderer Mensch wäre ... Die Rede ist übrigens nicht vom anderen Menschen, sondern von mir. Sie sind immerhin ein Kauz und ein Narr in CHRISTO ..."

Er regte sich immer mehr auf und kümmerte sich seltsamerweise gar nicht um die Wahl der Worte:

"Hören Sie: ich kann Spione und Psychologien nicht leiden, jedenfalls solche nicht, die mir in die Seele dringen. Ich fordere niemand auf, mir in die Seele einzudringen, ich brauche niemand, ich werde mir auch selbst zu helfen wissen. Sie glauben, daß ich Sie fürchte", sagte er, die Stimme erhebend und ihn herausfordernd ansehend: "Sie sind vollkommen davon überzeugt, daß ich gekommen bin, um Ihnen ein  schreckliches  Geheimnis zu eröffnen, und warteten darauf mit der ganzen klösterlichen Neugier, deren Sie fähig sind. Hören Sie also: ich werde Ihnen nichts eröffnen, gar keine Geheimnisse, denn ich kann mich ausgezeichnet auch ohne Sie behelfen ..."

TICHON sah ihm fest ins Gesicht.

"Es hat Sie erschüttert, daß das Lamm den Kalten dem Lauen vorzieht", sagte er. "Sie wollen nicht nur lau sein. Ich ahne, daß Sie von einer außerordentlichen, vielleicht entsetzlichen Absicht besessen sind. Ich flehe Sie an, quälen Sie sich nicht und sagen Sie alles."

"Haben Sie denn genau gewußt, daß ich mit irgendetwas gekommen bin?"

"Ich ... ich habe es erraten", flüsterte TICHON, die Augen senkend.

NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH war etwas blaß, seine Hände zitterten ein wenig. Einige Sekunden blickte er unbeweglich und stumm, als fasse er einen endgültigen Entschluß. Schließlich zog er aus der Seitentasche seines Rockes irgendwelche bedruckte Blätter und legte sie auf den Tisch.

"Diese Blätter sind zur Veröffentlichung bestimmt", sagte er mit stockender Stimme. "Wenn sie auch nur ein Mensch liest, so können Sie versichert sein, daß ich sie nicht mehr verbergen werde, und daß alle sie lesen werden. Ich bedarf Ihrer nicht, gar nicht, denn ich habe schon alles beschlossen. Aber lesen Sie es ... Während Sie es lesen, sagen Sie nichts, und wenn Sie es gelesen haben, sagen Sie alles ..."

"Soll ich es lesen?" fragte TICHON zögernd.

"Lesen Sie, ich bin ruhig."

"Nein, ohne Brille kann ich es nicht entziffern, der Druck ist zu klein, wohl ausländisch."

"Hier ist die Brille!" STAWROGIN reichte sie ihm vom Tisch und warf sich in die Sofalehne zurück. TICHON sah ihn nicht an und versenkte sich in die Lektüre.


2

Es war tatsächlich ausländischer Druck - der drei bedruckte und zusammengeheftete Blättchen gewöhnlichen Briefpapiers in kleinem Format. Es war wohl in irgendeiner geheimen russischen Druckerei im Ausland gedruckt und die Blättchen glichen auf den ersten Blick einer Proklamation. Als Überschrift stand: "Von Stawrogin".

Dieses Dokument nehme ich in meine Chronik unverändert auf. Ich erlaubte mir nur, die orthographischen Fehler zu korrigieren, die ziemlich zahlreich waren und mich sogar in einiges Erstaunen versetzten, da der Autor immerhin ein gebildeter und sogar belesener Mensch war (natürlich nur relativ). Im Stil änderte ich dagegen nichts, trotz einiger Unregelmäßigkeiten. Jedenfalls ist es klar, daß der Autor vor allen Dingen kein Literat ist.

Ich erlaube mir noch eine Bemerkung, obwohl ich damit vorausgreife. Dieses Dokument ist meiner Ansicht nach eine krankhafte Sache, ein Werk des Teufels, der sich dieses Herrn bemächtigt hat. Man denkt an einen Menschen, der sich, von einem stechenden Schmerz gepeinigt, im Bett hin- und herwälzt, bemüht, eine Lage zu finden, in der er wenigstens für einen Augenblick Erleichterung finden könnte. Dabei ist es ihm natürlich nicht um die Schönheit oder Vernünftigkeit dieser Lage zu tun. Der Grundgedanke des Dokuments ist ein schreckliches, ungeheucheltes Bedürfnis nach einer Strafe, nach dem Kreuz, nach einer öffentlichen Hinrichtung. Und dieses Verlangen nach dem Kreuz empfindet ein Mensch, der an das Kreuz nicht glaubt, und schon das allein stellt eine "Idee" dar, wie sich STEPAN TROFIMOWITSCH einmal, übrigens bei anderer Gelegenheit, ausgedrückt hat. Andererseits ist dieses ganze Dokument etwas Rasendes und Wahnwitziges, obwohl es anscheinend mit einer anderen Absicht abgefaßt worden ist. Der Autor erklärt, daß es ihm unmöglich gewesen sei, es nicht zu schreiben, daß er dazu "gezwungen" worden sei, und das klingt recht wahrscheinlich: er wäre froh, diesen Kelch nicht zu trinken, wenn er es könnte, aber es war ihm anscheinend in der Tat nicht möglich, sich die Gelegenheit zu einer neuen Raserei entgehen zu lassen. Ja, der Kranke wälzt sich auf seinem Lager hin und her und will den einen Schmerz durch einen anderen ersetzen; der Kampf gegen die Gesellschaft erschien ihm als die leichteste Lage, und so wirft er ihr die Herausforderung zu.

Und in der Tat: schon die Tatsache dieses Dokuments läßt eine neue unerwartete und unverzeihliche Herausforderung an die Gesellschaft ahnen. Es ist das Verlangen, sobald als möglich auf irgendeinen Feind zu stoßen.

Wer weiß: vielleicht sind diese zur Veröffentlichung bestimmten Blätter nichts anderes als "das gebissene Gouverneursohrs", nur in einer anderen Form. Warum es jetzt, wo vieles sich schon geklärt hat, sogar mir in den Sinn kommt, vermag ich nicht zu erklären. Ich führe auch keine Beweise an und behaupte durchaus nicht, daß das Dokument gefälscht, d. h. vollkommen aus der Luft gegriffen und frei erfunden sei. Die Wahrheit wird am ehesten in der Mitte liegen. Ich habe aber schon zu weit vorgegriffen; richtiter wäre es, zum Dokument selbst zurückzukehren. TICHON las also folgendes:

Von STAWROGIN.

Ich, NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH, Offizier a. D., lebte im Jahre 186* in Petersburg, der Unzucht ergeben, in der ich keinen Genuß fand. Eine Zeitlang hatte ich drei Wohnungen. In der einen, die ich möbliert, mit Verpflegung und Bedienung mietete, wohnte ich selbst; in dieser wohnte auch MARJA LEBJADKINA, meine jetzige legitime Gattin. Die anderen Wohnungen hielt ich mir monatlich für meine Intrigen: in der einen empfing ich eine Dame, die mich liebte, und in der anderen ihr Dienstmädchen: eine Zeitlang beschäftigte mich sehr der Plan, die beiden zusammenzuführen, so daß die Dame und die Dirne sich bei mir begegneten. Da ich die Charaktere der beiden kannte, erwartete ich von diesem Scherz ein großes Vergnügen.

Als ich auf diese Begegnung nach und nach hinarbeitete, mußte ich eine dieser beiden Wohnungen, die sich in einem großen Hause in der Gorochowaja befand, öfter aufsuchen, da das Dienstmädchen hierher zu kommen pflegte. Hier hatte ich nur ein Zimmer im vierten Stock, das ich bei einer russischen Kleinbürgersfamilie mietete. Die Leute selbst wohnten nebenan im anderen Zimmer, das so eng war, daß die Tür zwischen den beiden Zimmern immer offen stand, und das war mir gerade erwünscht. Der Mann war in irgendeinem Kontor angestellt und vom Morgen bis zum Abend nicht zu Hause. Die Frau, eine etwa vierzigjährige Person, schnitt etwas zu und nähte alte Sachen zu neuen um; auch sie ging oft aus dem Hause, um ihre Näharbeit abzuliefern. Ich blieb dann allein mit ihrer Tochter, die noch ganz wie ein Kind aussah, in der Wohnung. Sie hieß MATRJOSCHA. Die Mutter hatte sie lieb, schlug sie aber oft und schrie sie schrecklich an, wie es solche Menschen zu tun pflegen. Dieses Mädchen bediente mich und räumte bei mir hinter der spanischen Wand auf. Ich erkläre, daß ich die Nummer des Hauses vergessen habe. Jetzt weiß ich, nach Erkundigungen, daß das alte Haus abgebrochen worden ist, und daß anstelle von zwei oder drei alten Häusern ein neues, sehr großes steht. Ich habe auch den Familiennamen meiner Kleinbürger vergessen (vielleicht habe ich ihn auch damals nicht gewußt). Ich erinnere mich nur, daß die Kleinbürgerin STEPANIDA, ich glaube, MICHAILOWNA hieß. Seiner erinnere ich mich nicht mehr. Ich denke, daß man, wenn man ordentlich suchen und die nötigen Erkundigungen bei der Petersburger Polizei einziehen wollte, die Spuren leicht auffinden könnte. Die Wohnung befand sich im Hofe, in einer Hausecke. Dies alles war im Juni. Das Haus war von hellblauer Farbe.

Einmal verschwand von meinem Tisch ein Federmesser, das ich gar nicht brauchte, und das nur so herumlag. Ich sagte es der Wirtin, dachte aber dabei nicht im entferntesten, daß sie die Tochter mit Ruten züchtigen würde. Die Frau hatte aber soeben die Kleine wegen irgendeines verlorengegangenen Lumpens ausgeschimpft und sogar an den Haaren gezerrt, weil ich sie im Verdacht hatte, ihn gestohlen zu haben. Als aber dieser selbe Lumpen sich unter dem Tischtuch fand, wollte die Kleine kein Wort des Vorwurfs sagen und blickte nur schweigend vor sich hin. Ich sah es und merkte mir bei dieser Gelegenheit zum erstenmal ordentlich das Gesicht der Kleinen, das ich bisher nur flüchtig mit den Blicken gestreift hatte. Sie war hellblond und hatte viele Sommersprossen, das Gesicht war gewöhnlich, es war aber viel Kindliches und Stilles, außerordentlich Stilles darin. Der Mutter mißfiel es, daß die Tochter ihr wegen der unverdienten Strafe kein Wort sagte, und hob über sie die Faust, schlug sie aber nicht. Da kam gerade die Geschichte mit meinem Federmesser. Die Frau wurde wütend, weil sie das Kind zuerst ungerechterweise geschlagen hatte; sie lief zum Besen, riß mehrere Ruten heraus und züchtigte das Mädchen vor meinen Augen so, daß es rote Striemen bekam, obwohl das Kind schon beinahe zwölf Jahre alt war. MATRJOSCHA schrie während der Rutenstrafe nicht, wahrscheinlich, weil ich zugegen war, schluchzte aber sonderbar bei jedem Schlag. Dann schluchzte sie noch eine ganze Stunde später sehr laut.

Vorher hatte sich aber dieses ereignet: im selben Augenblick, als die Wirtin sich zum Besen stürzte, um Ruten daraus zu reißen, fand ich das Federmesser auf meinem Bett, auf das es irgendwie vom Tisch gefallen war. Mir kam sofort der Gedanke, es ihnen nicht zu sagen, damit die Kleine ihre Ruten bekomme. Dieser Entschluß war in mir augenblicklich gereift; in solchen Fällen stockt mir immer der Atem. Aber ich will das allein in bestimmteren Worten berichten, damit nichts mehr verborgen bleibe.

Jede schändliche, maßloß erniedrigende, gemeine und vor allem lächerliche Lage, in der ich mich in meinem Leben befand, erregte in mir immer neben einem grenzenlosen Zorn auch einen grenzenlosen Genuß. Ebenso war es auch in den Augenblicken, wenn ich ein Verbrechen beging oder mich in Lebensgefahr befand. Hätte ich etwas gestohlen, so würde ich beim Verüben des Diebstahls einen Rausch in der Erkenntnis der Tiefe meiner Gemeinheit empfunden haben. Ich liebte nicht die Gemeinheit (meine Vernunft blieb dabei immer intakt), aber mir gefiel der Rausch, den ich im schmerzvollen Bewußtsein meiner Niedrigkeit fand. Ebenso hatte ich diese selbe schändliche und tolle Empfindung, so oft ich an der Barriere in der Erwartung des Schusses eines Gegners stand; einmal war es ganz besonders stark. Ich gestehe, daß ich dieses Gefühl oft selbst suchte, denn es war für mich stärker als alle ähnlichen. Wenn ich eine Ohrfeige bekam (in bin in meinem Leben zweimal geohrfeigt worden), so hatte ich auch dann, trotz des schrecklichen Zornes, dasselbe Gefühl. Wenn ich aber dabei den Zorn zurückhielt, so übertraf der Genuß alles, was man sich vorstellen kann. Ich habe es noch keinem Menschen erzählt, selbst andeutungsweise nicht, ich habe es immer als eine Schmach und Schande verheimlicht. Als man mich einmal in einer Petersburger Kneipe fürchterlich prügelte und an den Haaren herumzerrte, hatte ich dieses Gefühl nicht, sondern empfand nur, ohne betrunken zu sein, eine maßlose Wut und wehrte mich gegen die Schläge. Hätte mich aber im Ausland jener französische Vicomte, der mich einmal geohrfeigt hat und dem ich dafür den Unterkiefer weggeschossen habe, bei den Haaren gepackt und niedergedrückt, so würde ich einen berauschenden Genuß und dabei vielleicht gar keinen Zorn empfunden haben. So schien es mir damals.

Das alles sage ich, damit jedermann wisse, daß dieses Gefühl mich niemals gefangen nahm und daß ich vielmehr immer bei vollstem Bewußtsein blieb (alles beruhte ja auf dem Bewußtsein). Es bemächtigte sich meiner zwar bis zum Wahnsinn, oder sozusagen bis zum Trotz, aber niemals bis zur Bewußtlosigkeit. Wenn es in mir sogar in hellen Flammen stand, konnte ich es dennoch vollständig beherrschen und selbst auf seinem höchsten Punkt zum Stillstand bringen; allein ich wollte es niemals zum Stillstand bringen. Ich bin überzeugt, daß ich mein ganzes Leben wie ein Mönch leben könnte, trotz der tierischen Lüsternheit, mit der ich begabt bin, und die ich auch in den anderen immer weckte. Wenn ich will, bin ich immer Herr meiner selbst. Ich erkläre also, daß ich meine Verbrechen weder durch das Milieu noch durch Krankheiten zu rechtfertigen suche.

Als die Exekution zu Ende war, steckte ich das Messer in meine Westentasche, ging, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Haus und warf es, als ich mich weit vom Haus entfernt hatte, auf die Straße, damit es kein Mensch erfahre. Dann wartete ich zwei Tage ab. Die Kleine war, nachdem sie sich ausgeweint hatte, noch schweigsamer geworden; gegen mich hegte sie aber, ich bin davon überzeugt, kein feindseliges Gefühl. Es war übrigens wohl auch einige Scham dabei, daß man sie auf diese Weise in meiner Gegenwart bestraft hatte. Aber auch für diese Schande machte sie, da sie noch ein Kind war, sicher nur sich selbst verantwortlich.

Damals, in diesen zwei Tagen, stellte ich mir einmal die Frage, ob ich imstande sei, einen gefaßten Entschluß aufzugeben, und ich fühlte sofort, daß ich dazu wohl imstande sei und es in jedem Augenblick tun könne. Um jene Zeit trug ich mich auch mit Selbstmordgedanken herum, infolge einer krankhaften Gleichgültigkeit; ich weiß übrigens selbst nicht, warum. An einem dieser zwei oder drei Tage verübte ich (da ich unbedingt abwarten wollte, daß die Kleine alles vergesse), und wohl auch, um mich von den mich verfolgenden Gedanken abzulenken, oder auch nur zum Spaß, in meiner Pension einen Diebstahl. Es war der einzige Diebstahl meines Lebens.

In dieser Pension nisteten viele Leute. Unter anderem wohnte hier mit seiner Familie in zwei möblierten Zimmerchen ein Beamter von etwa vierzig Jahren, nicht dumm, von anständigem Aussehen, aber arm. Ich verkehrte mit ihm nicht, und er fürchtete die Gesellschaft, die mich dort umgab. Er hatte soeben seinen Gehalt von fünfunddreißig Rubel bekommen. Vor allem bewegte mich dazu, daß ich in jenem Augenblick tatsächlich Geld brauchte (obwohl ich nach vier Tagen welches mit der Post erhielt), so daß ich gleichsam aus wirklicher Not und nicht zum Spaß den Diebstahl beging. Ich machte es frech und offen: ich trat einfach in sein Zimmer, als er, seine Frau und die Kinder in der anderen Kammer zu Mittag aßen. Auf dem Stuhl dicht neben der Tür lag zusammengefaltet sein Uniformrock. Dieser Gedanke hatte mich schon im Korridor durchzuckt. Ich steckte die Hand in die Tasche des Rockes und zog ein Portemonnaie hervor. Der Beamte hörte aber das Geräusch und sah aus der Kammer heraus. Er hatte es, glaube ich, sogar gesehen, jedenfalls etwas davon; da er aber nicht alles gesehen hatte, so traute er natürlich seinen Augen nicht. Ich sagte, daß ich aus dem Korridor in sein Zimmer hineingeschaut hätte, um auf seine Wanduhr zu sehen. "Sie steht", antwortete er, und ich ging hinaus.

Um jene Zeit trank ich viel und hatte in der Pension eine ganze Kumpanei, zu der auch LEBJADKIN gehörte. Das Portemonnaie mit dem Kleingeld warf ich fort und behielt mir nur die Banknoten. Es waren zweiunddreißig Rubel, drei rote und zwei gelbe Scheine. Ich ließ sofort einen roten Schein wechseln und Champagner bringen; dann schickte ich auch den anderen roten Schein wechseln und nach ihm den dritten. Nach etwa vier Stunden, es war schon Abend, fing mich der Beamte im Korridor ab.

NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH, "als Sie vorhin zu mir hereinkamen, haben Sie da nicht zufällig meinen Rock vom Stuhl geworfen? ... er lag neben der Tür."

"Nein, ich kann mich nicht erinnern. Lag denn ein Rock da?"

"Gewiß."

"Auf dem Fußboden?"

"Erst auf dem Stuhl und dann auf dem Fußboden."

"Haben Sie ihn aufgehoben?"

"Gewiß."

"Was wollen Sie dann noch?"

"Nun, in diesem Falle nichts ..."

Er wagte nicht zuende zu sprechen, wagte auch nicht, es jemand in der Pension zu erzählen, so scheu sind diese Menschen oft. In der Pension hatten vor mir übrigens alle große Angst und einen tiefen Respekt. Später liebte ich es, ihm mit den Blicken zu begegnen, an die zweimal im Korridor. Bald wurde ich aber dessen überdrüssig.

Nach drei Tagen kehrte ich in die Gorochowaja zurück. Die Mutter war eben im Begriff, mit einem Pack Sachen fortzugehen; der Kleinbürger war natürlich nicht zu Hause; so blieben nur ich und MATRJOSCHA in der Wohnung. Die Fenster standen offen. Im Haus wohnten lauter Handwerke und den ganzen Tag hörte man in allen Stockwerken hämmern und singen. Wir waren schon eine Stunde zusammen. MATRJOSCHA saß in ihrer Kammer auf einem Schemel mit dem Rücken zu mir und machte etwas mit einer Nadel. Plötzlich fing sie leise zu singen an, sehr leise, wie sie es manchmal zu tun pflegte. Ich zog die Uhr aus der Tasche, es war zwei. Mein Herz fing an zu klopfen. Ich stand auf und schlich mich an sie heran. Sie hatten auf den Fensterbrettern viele Geranientöpfe stehen, und die Sonne schien schrecklich grell herein. Ich setzte mich leise auf den Boden neben sie. Sie fuhr zusammen und erschrak im ersten Augenblick furchtbar und sprang auf. Ich nahm ihre Hand und küßte sie leise; dann zwang ich sie wieder auf den Schemel und fing an, ihr in die Augen zu schauen. Daß ich ihr die Hand geküßt hatte, kam ihr als einem Kind plötzlich komisch vor, aber das dauerte nur eine Sekunde, denn sie sprang gleich wieder auf, diesmal so sehr erschrocken, daß ihr durchs Gesicht ein Krampf lief. Sie sah mich mit entsetzlich unbeweglichen Augen an, ihre Lippen zuckten, als wollte sie weinen, aber sie schrie dennoch nicht auf. Ich küßte ihr wieder die Hand und nahm sie auf den Schoß. Da rückte sie plötzlich mit ganzem Körper weg und lächelte wie vor Scham, es war aber ein eigentümliches schiefes Lächeln. Ihr ganzes Gesicht glühte vor Scham. Ich flüsterte ihr immer etwas zu, wie betrunken. Schließlich geschah etwas so Seltsames, was ich niemals vergessen werde, und was mich in Erstaunen setzte: die Kleine umschlang meinen Hals mit den Armen und fing plötzlich selbst an, mich wahnsinnig abzuküssen. Ihr Gesicht drückte vollkommenes Entzücken aus. Ich war nahe daran, aufzustehen und wegzugehen, - so unangenehm war es mir an dem kleinen Geschöpf, aus Mitleid, das ich plötzlich spürte.

Als alles zu Ende war, wurde sie verlegen. Ich versuchte gar nicht, ihr etwas auszurden und liebkoste sie nicht mehr. Sie sah mich an und lächelte scheu. Ihr Gesicht kam mir auf einmal dumm vor. Schließlich bedeckte sie das Gesicht mit den Händen und stellte sich unbeweglich in die Ecke, mit dem Gesicht zur Wand. Ich fürchtete, sie würde wieder wie vorhin erschrecken, und ging schweigend aus dem Haus.

Ich glaube, sie hat das Vorgefallene zuletzt mit Todesgrauen, als etwas grenzenlos Häßliches aufgenommen. Trotz der russischen unflätigen Schimpfworte und aller sonderbaren Gespräche die sie von den Windeln an gehört haben mußte, bin ich vollkommen davon überzeugt, daß sie nichts davon verstand. Zuletzt hatte sie sicher den Eindruck, ein ungeheures Verbrechen begangen zu haben, an dem sie die Todsünde trüge, als hätte sie "Gott ermordet".

In der folgenden Nacht hatte ich die Prügelei in der Kneipe, die ich schon flüchtig erwähnt habe. Aber ich erwachte am nächsten Morgen in meiner Pension; LEBJADKIN hatte mich heimgebracht. Mein erster Gedanke nach dem Erwachen war: ob sie es gesagt hatte oder nicht. Es war der Augenblick einer wirklichen Angst, wenn auch keiner allzu großen. Ich war sehr heiter an jenem Morgen und ungewöhnlich gut gegen alle, und die ganze Kumpanei war mit mir sehr zufrieden. Ich verließ sie aber und ging in die Gorochowaja. Ich traf sie schon unten im Flur. Sie kam eben aus dem Laden, wohin man sie nach Cichorie geschickt hatte. Als sie mich erblickte, schoß sie in unsagbarer Angst die Treppe hinauf. Als ich eintrat, hatte ihr die Mutter bereits eine Ohrfeige gegeben, weil sie "wie verrückt" in die Wohnung gestürzt sei, und das verdeckte die wahre Ursache ihres Schreckens. Also war vorläufig alles ruhig. Sie hatte sich irgendwohin verkrochen und kam, während ich in der Wohnung war, nicht zum Vorschein. Ich blieb eine Stunde da und ging.

Gegen Abend fühlte ich wieder Angst, aber schon unvergleichlich stärker. Natürlich hätte ich alles leugnen können, aber man könnte mir das Verbrechen dennoch nachweisen und mir schwebte schon das Zuchthaus in Sibirien vor. Ich habe in meinem ganzen Leben, außer diesem einen Fall, weder vorher noch nachher Angst gehabt. Am allerwenigsten vor Sibirien, obwohl ich schon mehr als einmal verschickt werden konnte. Diesmal war ich aber wirklich erschrocken und empfand eine wirkliche Angst, ich weiß selbst nicht warum, zum erstenmal in meinem Leben, ein sehr qualvolles Gefühl. Außerdem überkam micht am Abend in meiner Pension ein solcher Haß gegen sie, daß ich mich entschloß, sie zu töten. Mein Haß beruhte vor allen Dingen auf der Erinnerung an ihr Lächeln. In mir wuchs eine Verachtung, verbunden mit einer grenzenlosen Abscheu, bei der Erinnerung daran, wie sie sich nach dem Vorgefallenen in die Ecke gestürzt und das Gesicht mit den Händen bedeckt hatte; meiner bemächtigte sich eine unbeschreibliche Wut, darauf folgte ein Schüttelfrost, und als ich gegen Morgen Fieber bekam, fühlte ich wieder Angst, diesmal mit einer solchen Qual, wie ich sie vorher nie gekannt habe. Ich haßte aber nicht mehr das Mädchen, jedenfalls erreichte der Haß nicht mehr den Paroxysmus [Ausbruch - wp] wie am Abend. Ich habe bemerkt, daß eine große Angst den Haß und Rachedurst vollkommen vertreibt.

Ich erwachte gegen Mittag, gesund, und wunderte mich sogar über die Kraft meiner gestrigen Eindrücke. ich war jedoch schlechter Laune und mußte, trotz meines Abscheus, wieder in die Gorochowaja gehen. Ich erinnere mich noch, daß ich damals ein großes Verlangen spürte, unterwegs einen Streit mit irgendjemand zu haben, aber nur einen ernsthaften. Als ich in die Gorochwaja kam, traf ich in meinem Zimmer NINA SSAWELJEWNA an, das Dienstmädchen, das schon seit etwa einer Stunde auf mich wartete. Dieses Mädchen liebte ich gar nicht und sie hatte darum ein wenig gefürchtet, daß ich ihr wegen des unerwarteten Besuchs zürnen würde. Aber ich freute mich plötzlich, sie bei mir zu sehen. Sie war gar nicht übel, aber bescheiden und hatte Manieren, wie sie den Kleinbürgern gefallen, so daß meine Wirtin sie mir schon seit langem lobte. Ich traf sie beide beim Kaffeetrinken an, meine Wirtin war mit der angenehmen Unterhaltung außerordentlich zufrieden. In der Ecke ihrer Kammer bemerkte ich MATRJOSCHA. Sie stand da und sah ihre Mutter und den Besuch regungslos an. Als ich eintrat, versteckte sie sich nicht mehr wie damals und lief auch nicht davon. Mir schien bloß, daß sie sehr abgemagert sei und Fieber habe. Ich war freundlich zu NINA und schloß die Tür zur Wirtin, was ich schon lange nicht getan hatte, so daß NINA sehr erfreut wegging. Ich begleitete sie selbst hinaus und kam dann zwei Tage nicht mehr in die Gorochowaja. Es langweilte mich schon. Ich hatte mich entschlossen, allem ein Ende zu machen, die Wohnung zu kündigen und Petersburg zu verlassen.

Als ich aber kam, um die Wohnung zu kündigen, traf ich die Wirtin in Unruhe und Kummer an: MATRJOSCHA war schon den dritten Tag krank, hatte jede Nacht Fieber und phantasierte. Natürlich fragte ich, worüber sie phantasiere (wir sprachen ganz leise in meinem Zimmer), und die Wirtin flüsterte mir zu, es seien "schreckliche Dinge": "sie hätte Gott ermordet". Ich schlug ihr vor, auf meine Kosten einen Arzt zu holen, aber sie wollte es nicht: "So Gott will, wird es auch so vorübergehen; sie liegt ja auch nicht immer zu Bett, am Tag geht sie aus und ist vorhin sogar unten im Laden gewesen". Ich entschloß mich, MATRJOSCHA allein anzutreffen, und da mir die Wirtin verraten hatte, daß sie gegen fünf Uhr auf der Petersburger Seite zu tun habe, nahm ich mir vor, am Abend wiederzukommen.

Ich aß in einem Gasthaus zu Mittag. Punkt fünf und ein Viertel kam ich wieder. Ich pflegte die Wohnung immer mit meinem eigenen Schlüssel zu öffnen. Außer MATRJOSCHA war niemand da. Sie lag in der Kammer hinter der spanischen Wand, und ich sah, wie sie herausblickte; aber ich tat so, als merkte ich es nicht. Alle Fenster standen offen. Die Luft war warm, es war sogar heiß. Ich ging eine Weile auf und ab und setzte mich dann aufs Sofa. Ich erinnere mich noch an alles bis zum letzten Augenblick. Es verschaffte mir einen ausgesprochenen Genuß, MATRJOSCHA nicht anzusprechen, sondern sie verschmachten zu lassen; ich weiß selbst nicht, warum. Ich wartete eine ganze Stunde, und plötzlich sprang sie selbst hinter der spanischen Wand heraus. Ich hörte, wie ihre beiden Sohlen auf den Boden stießen, als sie aus dem Bett sprang, dann recht schnelle Schritte, und da stand sie schon an der Schwelle meines Zimmers. Sie stand da und sah mich schweigend an. Ich war so gemein, daß mein Herz vor Freude darüber erzitterte, daß ich mich beherrscht und abgewartet hatte, daß sie den ersten Schritt mache. In diesen Tagen, als ich sie seit damals kein einziges Mal in der Nähe gesehen hatte, war sie wirklich entsetzlich abgemagert. Ihr Gesicht war wie ausgetrocknet und der Kopf sicher heiß.

Die Augen waren groß geworden und sahen mich unverwandt an, mit einer stumpfen Neugier, wie es mir anfangs vorkam. Ich saß da, sah sie an und rührte mich nicht. Da spürte ich wieder den Haß. Aber ich merkte sehr bald, daß sie mich gar nicht fürchtete, höchstwahrscheinlich war es das Fieber. Aber es war auch kein Fieber. Sie fing plötzlich an, mir sehr schnell mit dem Kopf zuzunicken, wie es naive Menschen ohne Manieren zu tun pflegen, wenn sie jemand etwas vorwerfen; plötzlich erhob sie gegen mich ihre kleine Faust und begann mir, ohne näher zu kommen, zu drohen. Im ersten Augenblick erschien mir diese Bewegung komisch, aber dann konnte ich sie nicht ertragen. Ihr Gesicht drückte solche Verzweiflung aus, wie man sie im Gesicht eines Kindes unmöglich sehen kann. Sie schwang immer ihre kleine Faust drohend gegen mich und nickte vorwurfsvoll mit dem Kopf. Ich stand auf, rückte erschrocken zu ihr heran und begann vorsichtig, freundlich und nicht allzu laut zu sprechen, merkte aber, daß sie mich nicht verstehen würde. Dann bedeckte sie plötzlich das Gesicht genau wie damals schnell mit beiden Händen, ging weg und stellte sich ans Fenster mit dem Rücken zu mir. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und setzte mich ebenfalls ans Fenster. Ich kann unmöglich begreifen, warum ich damals nicht weggegangen sondern geblieben bin, als wartete ich auf etwas. Bald hörte ich wieder ihre schnellen Schritte: sie trat durch die Tür auf die hölzerne Galerie, von der die Treppe hinunterführte, ich aber lieft sofort zu meiner Tür, machte sie etwas auf und konnte noch sehen, wie MATRJOSCHA in die winzige Kammer ging, die an einen Hühnerstall erinnerte und sich neben einem anderen Ort befand. Ein interessanter Gedanke ging mir plötzlich durch den Sinn. Ich kann auch heute nicht begreifen, warum er mir zuerst in den Sinn kam; folglich ging alles darauf hinaus. Ich schloß die Tür und setzte mich wieder ans Fenster. Natürlich durfte ich dem Gedanken, der mich durchzuckte, noch nicht glauben; "aber immerhin" ... (ich erinnere mich an alles, mein Herz klopfte sehr stark).

Nach einer Minute sah ich auf die Uhr und merkte mir so genau wie möglich die Zeit. Wozu ich diese Genauigkeit brauchte, weiß ich nicht, aber ich hatte die Kraft, es zu tun und wollte mir in jenem Augenblick überhaupt alles merken. So erinnere ich mich an alles, was ich mir gemerkt hatte und sehe es deutlich vor Augen. Der Abend rückte heran. Über mir summte eine Fliege, die sich mir immer wieder aufs Gesicht setzte. Ich fing sie ein, hielt sie eine Weile in den Fingern und ließ sie dann zum Fenster hinaus. Unten fuhr geräuschvoll ein Wagen in den Hof. Sehr laut (und zwar schon seit langem) sang ein Handwerker, ein Schneider, im Fenster in einem Winkel des Hofes sein Lied. Er saß bei der Arbeit, und ich konnte ihn sehen. Es fiel mir ein, daß, da mich niemand gesehen hatte, als ich ins Tor eingetreten und die Treppe hinaufgegangen war, - es natürlich auch gar nicht nötig sei, daß mir jemand begegne, wenn ich hinuntergehen würde; so rückte ich meinen Stuhl vorsichtig vom Fenster weg, damit mich die Hausbewohner nicht sähen. Ich griff nach einem Buch, legte es aber weg und fing an, eine winzige rote Spinne auf einem Geranienblatt zu beobachten; darin fand ich Vergessen. Ich erinnere mich an alles bis zum letzten Augenblick.

Plötzlich zog ich wieder die Uhr aus der Tasche. Es waren genau zwanzig Minuten vergangen, seitdem sie das Zimmer verlassen hatte. Meine Hypothese erschien immer wahrscheinlicher. Aber ich entschloß mich, noch genau eine Viertelstunde zu warten. Mir kam auch der Gedanke, daß sie schon zurückgekehrt sei, und ich es vielleicht überhört habe; aber es konnte nicht sein: es herrschte eine Grabesstille, und ich konnte das Summen jeder Fliege hören. Plötzlich klopfte mir wieder das Herz. Ich zog die Uhr: es fehlten noch drei Minuten; ich wartete sie ab, obwohl mein Herz so klopfte, daß es weh tat. Da erhob ich mich, setzte den Hut auf, knöpfte den Mantel zu und sah mich im Zimmer um, ob nicht irgendwelche Spuren meiner Anwesenheit geblieben seien. Ich stellte den Stuhl näher ans Fenster, wie er früher gestanden hatte. Schließlich öffnete ich leise die Tür schloß sie mit meinem Schlüssel ab und ging zu der Kammer. Die Tür war angelehnt, aber nicht geschlossen; ich wußte, daß sie sich gar nicht absperren ließ, wollte aber nicht öffnen, sondern stellte mich nur auf die Fußspiten und blickte durch eine Ritze hinein. In dem Augenblick, als ich mich auf die Fußspitzen stellte, erinnerte ich mich, daß ich, als ich am Fenster gesessen und die kleine rote Spinne beobachtet, schon daran gedacht hatte, wie ich auf die Fußspitzen stellen und mein Auge an die Ritze drücken werde. Indem ich hier dieses kleine Detail eintrage, will ich unbedingt beweisen, bis zu welchem Grad ich meiner geistigen Fähigkeiten mächtig war und daß ich alles verantworte. Ich sah lange durch die Ritze, denn es war darin sehr dunkel, aber doch nicht ganz dunkel, so daß ich schließlich das sah, was ich wollte ...

Endlich entschloß ich mich fortzugehen. Auf der Treppe traf ich niemand. Nach etwa drei Stunden saßen wir alle beisammen ohne Röcke in der Pension, tranken Tee und spielten mit alten Karten; LEBJADKIN las Verse vor. Man erzählte sehr viel, zufällig waren es lauter gelungene und komische Erzählungen, und nicht so dumme wie immer. Auch KIRILOW war damals da, Niemand trank, obwohl eine Flasche Rum auf dem Tisch stand; nur LEBJADKIN allein machte von ihr Gebrauch.

PROCHOR MALOW bemerkte, daß "wenn NIKOLAI WSEWOLODOWITSCH zufrieden sei und keine Grillen fange, auch alle andern lustig seien und klug sprechen". Ich merkte mir dies schon damals, folglich war ich damals lustig, zufrieden und fing keine Grillen. Das war aber nur äußerlich so. Aber ich erinnere mich, gewußt zu haben, daß ich ein niedrier und gemeiner Feigling bin, weil ich mich so über meine Befreiung freute, und niemals mehr edel sein werde.

Aber schon gegen elf kam die Kleine des Hausknechtes aus der Gorochowaja zu mir mit der Nachricht von der Wirtin gelaufen, daß MATRJOSCHA sich erhängt habe. Ich ging mit der Kleinen mit und sah, daß die Wirtin selbst nicht wußte, weshalb sie nach mir geschickt hatte. Sie schrie und warf sich hin und her, es war eine Menge Leute da, auch die Polizei. Ich blieb eine Weile und ging dann weg.

Man belästigte mich während der ganzen Zeit fast gar nicht und stellte an mich nur die notwendigsten Fragen. Aber außer dem, daß das Kind krank gewesen sei und phantasiert habe, so daß ich vorgeschlagen hätte, auf meine Kosten einen Arzt zu holen, sagte ich nichts aus. Man fragte auch etwas wegen des Federmessers; ich sagte, die Wirtin hätte sie deswegen mit Ruten gezüchtigt, aber das habe nichts auf sich. Daß ich am Abend dagewesen war, wußte niemand.

Acht Tage lang ging ich nicht hin. Ich kam wieder, als man sie schon längst beerdigt hatte, um die Wohnung zu kündigen. Die Wirtin weinte noch immer, machte sich aber schon wieder wie früher mit ihren Lumpen und der Näharbeit zu schaffen. "Ich habe sie damals wegen Ihres Messer so gekränkt", sagte sie mir, aber ohne großen Vorwurf. Ich rechnete mit ihr ab, unter dem Vorwand, daß ich doch in dieser Wohnung nicht länger bleiben könne, um NINA SSAWELJEWNA zu empfangen. Zum Abschied lobte sie die NINA SSAWELJEWNA noch einmal. Ich schenkte ihr fünf Rubel außer dem, was ich für die Wohnung schuldete.

Vor allen Dingen langweilte mich das Leben zum Verrücktwerden. Den Vorfall in der Gorochowaja hätte ich, nachdem die Gefahr vorüber war, gänzlich vergessen, ebenso wie alle anderen Erlebnisse jener Zeit, wenn ich mich nicht nach einiger Zeit mit Wut daran erinnerte, wie feige ich damals war.

Ich ließ meine Wut an jedem aus, an dem ich nur konnte. Um jene Zeit kam mir, aber nicht aus irgendeinem bestimmten Grund, der Gedanke, mein Leben irgendwie zu verunstalten, und zwar möglichst abscheulich. Schon vor einem Jahr hatte ich mich einmal erschießen wollen; nun bot sich mir etwas Besseres.

Als mein Blick einmal auf die lahme MARJA TIMOFEJEWNA LEBJADKINA fiel, die uns in unseren Zimmern manchmal bediente, und die damals noch nicht verrückt, sondern bloß eine begeisterte Idiotin war, heimlich in mich verliebt (wie es die unsrigen ausgekundschaftet hatten), faßte ich den plötzlichen Entschluß, sie zu heiraten. Der Gedanke an die Verheiratung STAWROGINs mit diesem letzten aller Geschöpfe reizte meine Nerven. Etwas Häßlicheres war gar nicht auszudenken. Jedenfalls heiratete ich sie nicht nur wegen einer Wette nach einem Trinkgelage. Der Trauung wohnten KIRILLOW und PJOTR WERCHOWENSKIJ bei, der zufällig in Petersburg war; dann auch LEBJADKIN selbst und PROCHOR MALOW (jetzt ist er tot). Sonst erfuhr niemand etwas davon, diese gaben mir aber das Wort zu schweigen. Dieses Schweigen kam mir immer als eine Gemeinheit vor, aber es ist bis heute noch nicht verletzt, obwohl ich die Möglichkeit hatte, es publik zu machen; jetzt gebe ich es mit allem anderen bekannt.

Nach der Trauung fuhr ich in die Provinz zu meiner Mutter. Ich fuhr zur Zerstreuung. In unserer Stadt ließ ich den Eindruck zurück, daß ich verrückt sei, einen Eindruck, der auch heute noch besteht und mir zweifellos schadet, was ich weiter erklären werde. Dann fuhr ich ins Ausland und blieb dort vier Jahre.

Ich war im Orient, auf dem Berg Athos, wo ich Abendgottesdiensten von acht Stunden Dauer stehend beiwohnte, in Ägypten, hielt mich in der Schweiz auf, war sogar auf Island, und absolvierte ein ganzes Jahr in Göttingen. Im letzten Jahr befreundete ich mich mit einer vornehmen russischen Familie in Paris und mit zwei russischen jungen Mädchen in der Schweiz. Vor zwei Jahren ging ich einmal in Frankfurt an einer Schreibwarenhandlung vorbei und sah zwischen den zum Verkauf ausgestellten Photographien das Bild eines hübschgekleideten kleinen Mädchens, das aber große Ähnlichkeit mit MATRJOSCHA hatte. Ich kaufte mir sofort das Bild und legte es, ins Hotel zurückgekehrt, auf den Kaminsims. Hier blieb es an die acht Tage unberührt liegen, ich sah es keine einziges Mal an, und als ich Frankfurt verließ, vergaß ich es mitzunehmen.

Ich trage dies ein, um zu zeigen, in welchem Maß ich die Erinnerungen in meiner Gewalt hatte und wie gefühllos ich gegen sie geworden war. Ich wies sie alle als ganze Masse zurück, und die ganze Masse verschwand gehorsam, sobald ich es nur wollte. Es war mir immer langweilig, an das Vergangene zu denken, und ich konnte auch niemals vom Vergangenen sprechen, wie es fast alle Menschen tun, umsomehr als es mir, wie alles, was mit mir zusammenhing, verhaßt war. Was aber MATRJOSCHA betrifft, so habe ich sogar ihr Bild auf dem Kaminsims vergessen. Als ich im vorigen Jahr, im Frühling durch Deutschland reiste, verpaßte ich aus Zerstreutheit eine Station, auf der ich umsteigen mußte, um mein Reiseziel zu erreichen, und kam so auf eine andere Strecke. Man setzte mich auf der folgenden Station aus dem Zug; es war die dritte Nachmittagsstunde, der Tag war heiter. Es war ein kleines deutsches Städtchen. Man zeigte mir einen Gasthof. Ich mußte warten. Der nächste Zug ging erst um elf Uhr abends. Ich freute mich sogar über das Abenteuer, denn ich hatte keine Eile. Der Gasthof war klein und schlecht, lag aber ganz im Grünen und von Blumenbeten umgeben. Ich bekam ein enges Zimmerchen. Ich aß gut zu Mittag und schlief, da ich die ganze Nacht unterwegs gewesen war, um vier Uhr nachmittags prachtvoll ein.

Ich hatte einen für mich durchaus unerwarteten Traum, dergleichen hatte ich noch nie geträumt. In der Dresdner Galerie hängt ein Bild von CLAUDE LORRAIN, das nach dem Katalog, glaube ich "Acis und Galatea" heißt; ich pflegte es aber, ich weiß selbst nicht warum, "Goldenes Zeitalter" zu nennen. Ich hatte es auch schon früher gesehen und es mir vor drei Tagen, als ich durch Dresden kam, wieder gemerkt. Ich war sogar eigens zu diesem Zweck in die Galerie gegangen, um es zu sehen; vielleicht hatte ich auch nur wegen dieses Bildes den Abstecher nach Dresden gemacht. Dieses Bild sah ich nun im Traum, aber nicht als ein Gemälde, sondern als Wirklichkeit.

Es war ein Winkel des Griechischen Archipel; freundliche, blaue Wellen, Inseln und Felsen, ein blühender Strand, ein zauberhaftes Panorama in der Ferne, eine untergehende, lockende Sonne - mit Worten kann man es gar nicht wiedergeben. Hier hatte sich die Menschheit ihre Wiege gedacht, hierher versetzte sie die ersten Szenen der Mythologie, hier war ihr irdisches Paradies ... Hier lebten herrliche Menschen. Beim Erwachen und Einschlafen waren sie gleich glücklich und unschuldig; die Gehölze widerhallten von ihren freudigen Liedern, der große Überfluß unverbrauchter Kräfte wandelte sich in Liebe und einfältige Freude. Die Sonne übergoß mit ihren Strahlen diese Inseln und das Meer und freute sich ihrer schönen Kinder. Ein herrlicher Traum, eine erhabene Täuschung! Ein Traum, unwahrscheinlicher als alle, die die Menschheit je gehabt, dem sie aber ihr ganzes Leben lang alle ihre Kräfte hingab, dem sie alles opferte, dem zuliebe ihre Propheten an Kreuzen starben und getötet wurden, ohne den die Völker nicht leben wollen werden und selbst nicht sterben können. Diese ganze Empfindung durchkostete ich gleichsam in diesem Traum; ich weiß nicht genau, was ich alles träumte, aber die Felsen und das Meer und die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne glaubte ich auch dann noch zu sehen, als ich erwachte und die Augen öffnete, die zum erstenmal in meinem Leben voller Tränen waren. Das Gefühl einer mir noch unbekannten Freude durchdrang mein Herz so, daß es sogar weh tat. Es war schon Abend; ins Fenster meines kleinen Zimmers drang durch das Grün der auf dem Fensterbrett stehenden Blumenstöcke eine ganze Garbe greller, schräger Strahlen der untergehenden Sonne, die mich mit ihrem Licht überflutete. Ich beeilte mich, die Augen wieder zu schließen, als wollte ich den entschwundenen Traum zurückrufen, aber inmitten des unsagbar grellen Lichts sah ich plötzlich einen winzigen Punkt. Dieser Punkt fing plötzlich an, Gestalt anzunehmen, und plötzlich sah ich vor mir eine winzige rote Spinne. Ich erinnerte mich ihrer sofort, wie sie auf dem Geranienblatt gesessen, als die Strahlen der untergehenden Sonne ebenso hereinfluteten. Etwas bohrte sich in mich, ich erhob mich und setzte mich aufs Bett ...

(Das ist alles, wie es damals geschah!)

Ich sah vor mir - (oh, nicht im Wachen! wenn es doch eine wirkliche Vision gewesen wäre!) - ich sah MATRJOSCHA, abgemagert, mit fiebernden Augen, genauso wie damals, als sie bei mir auf der Schwelle stand, mir zunickte und ihr kleines Fäustchen gegen mich erhob. Mir ist noch nichts so qualvoll erschienen! Die elende Verzweiflung eines hilflosen Geschöpfs mit noch unfertigem Verstand, das mir drohte (womit? was hätte es mir tun können? - mein Gott!), das aber natürlich nur sich allein anklagte! Dergleichen hatte ich noch nie erlebt. Ich saß bis zum späten Abend da, ohne mich zu rühren und dachte nicht an die Zeit. Ob man das Gewissensbisse oder Reue nennt, weiß ich nicht und könnte es auch jetzt nicht sagen. Unerträglich ist mir aber nur dieses eine Bild, wie sie an der Schwelle mit der erhobenen und drohenden kleinen Faust gestanden hatte, nur ihr damaliges Aussehen, nur jener Augenblick, nur das Nicken mit dem Kopf. Das ist es, was ich nicht ertragen kann, denn es erscheint mir auch jetzt noch jeden Tag. Es erscheint nicht von selbst, sondern ich rufe es selbst und es ist mir unmöglich, es nicht zu rufen, obwohl ich damit nicht leben kann. Oh, wenn ich sie doch nur einmal im Wachen sehen könnte, und sei es auch nur in einer Halluzination!

Warum erregte keine der anderen Erinnerungen meines Lebens in mir etwas Ähnliches? - ich hatte aber ihrer viele, die vor dem Gerichtsstuhl der Menschen noch schlimmer erscheinen mögen.

Höchstens den Haß, der aber von meiner jetzigen Lage hervorgerufen ist; früher konnte ich ihn aber kaltblütig vergessen und von mir weisen.

Nachher trieb ich mich fast ein ganzes Jahr herum und bemühte mich, eine Beschäftigung zu finden. Ich weiß, daß ich MATRJOSCHA auch jetzt von mir weisen könnte, wenn ich es wollte. Ich bin noch immer vollständig Herr meines Willens, genau wie früher. Das ist aber die Sache, daß ich es niemals habe tun wollen, es selbst nicht will und auch nicht wollen werde. So wird es bleiben, bis ich wahnsinnig werde.

Zwei Monate später, in der Schweiz, überkam mich wieder solch ein Anfall von Leidenschaft, wie ich sie nur einst, in der ersten Zeit, erfahren hatte. Ich fühlte eine schreckliche Versuchung zu einem neuen Verbrechen und zwar zur Bigamie (denn ich bin schon verheiratet); aber ich floh davon auf Rat eines anderen Mädchens, dem ich alles eröffnet und sogar gestanden hatte, daß ich jene, die ich so begehrte, gar nicht liebte und auch niemals lieben können würde. - Dieses neue Verbrechen würde mich außerdem niemals von MATRJOSCHA erlösen.

So entschloß ich mich denn, diese Blätter drucken zu lassen und in dreihundert Exemplaren nach Rußland einzuführen; wenn die Zeit kommt, schicke ich sie der Polizei und den lokalen Behörden; gleichzeitig schicke ich sie an die Redaktionen aller Zeitungen mit der Bitte um Veröffentlichung und an die vielen Leute in Petersburg und ganz Rußland, die mich kennen. Gleichzeitig wird es im Ausland in Übersetzung erscheinen. Ich weiß, daß man mich juristisch vielleicht nicht behelligen wird, jedenfalls nicht fühlbar; ich klage mich selbst an und habe keinen anderen Ankläger, außerdem gibt es gar keine oder nur sehr wenige Beweise. Schließlich hat sich überall die Ansicht festgesetzt, daß ich geistesgestört sei, und meine Verwandten werden sich das zunutze machen und jede für mich gefährliche juristische Verfolgung im Keim ersticken. Das erkläre ich u. a., um zu zeigen, daß ich jetzt bei vollem Verstand bin und meine Lage wohl begreife. Mir bleiben aber diejenigen, die alles wissen werden; sie werden auf mich sehen, und ich auf sie. Ich will, daß alle auf mich sehen. Ob es mich erleichtern wird, weiß ich nicht. Ich greife danach als nach dem letzten Mittel.

Noch einmal: wenn man bei der Petersburger Polizei ordentlich nachforschen wollte, so könnte man vielleicht alles finden. Die Kleinbürger können auch jetzt noch in Petersburg leben. Auf das Haus wird man sich natürlich besinnen. Es war von hellblauer Farbe. Ich aber werde nirgends verreisen und mich einige Zeit (ein Jahr oder zwei) ständig in Skworeschniki, dem Gut meiner Mutter, aufhalten. Wenn man mich aber ruft, will ich überall erscheinen.

NIKOLAI STAWROGIN


3

Das Lesen dauerte etwa eine Stunde. TICHON las langsam und überflog vielleicht einige Stellen zweimal. STAWROGIN saß die ganze Zeit schweigend und unbeweglich. Seltsam: der Ausdruck von Ungeduld, Zerstreutheit und einer Art Delirium, den sein Gesicht diesen ganzen Morgen gezeigt hatte, war fast ganz verschwunden und hatte dem Ausdruck von Ruhe und einer Art Aufrichtigkeit Platz gemacht, was ihm fast würdiges Aussehen verlieh. TICHON nahm die Brille ab, wartete eine Weile, richtete auf ihn schließlich seinen Blick und begann als erster mit eineriger Vorsicht:

"Könnte man nicht in diesem Dokument einiges korrigieren?"

"Wozu? Ich habe es aufrichtig geschrieben", antwortete STAWROGIN.

"Ein wenig den Stil ..."

"Ich vergaß, Sie darauf aufmerksam zu machen", sagte er schnell und scharf, sich mit dem ganzen Rumpf vorbeugend, "daß alle Ihre Worte vergebens sein werden; ich werde meine Absicht nicht aufgeben; bemühen Sie sich nicht, sie mir auszureden. Ich werde es veröffentlichen."

"Sie haben nicht versäumt, mir es schon vorher, vor dem Lesen zu sagen."

"Ganz gleich", unterbrach ihn STAWROGIN scharf, "ich wiederhole noch einmal: wie groß auch die Kraft Ihrer Einwände sein mag, ich werde meine Absicht nicht aufgeben. Merken Sie sich auch, daß ich Sie mit dieser ungeschickten oder geschickten Wendung - denken Sie sich, was Sie wollen - durchaus nicht provozieren will, damit Sie schneller mit Ihren Einwänden und Bitten kommen."

"Ich könnte Ihnen gar nichts einwenden und noch viel weniger Sie bitten, daß Sie Ihre Absichten aufgeben. Diese Idee ist groß, und der christliche Gedanke kann gar nicht vollständiger zum Ausdruck kommen. Die Reue kann gar nicht weiter als zu der wunderbaren Tat, die Sie planen, gehen, wenn es nur ..."

"Wenn was?"

"Wenn es nur wirklich Reue und ein christlicher Gedanke wäre."

"Ich habe es aufrichtig geschrieben."

"Sie wollen anscheinend sich selbst mit Absicht roher hinstellen, als es Ihr Herz möchte ..." fuhr TICHON immer kühner fort. Das "Dokument" hatte auf ihn wohl einen starken Eindruck gemacht.

"Mich hinstellen? - Ich wiederhole: ich will mich als nichts  hinstellen  und am allerwenigsten Komödie spielen."

TICHON senkte schnell den Blick.

"Dieses Dokument kommt direkt aus dem Bedürfnis eines tödlich verwundeten Herzens, - ich verstehe Sie doch richtig?" sagte er eindringlich mit ungewöhnlichem Feuer. "Ja, es ist die Reue und das natürliche Bedürfnis nach Reue, das Sie besiegt hat, und Sie haben einen großen Weg betreten, einen unerhörten Weg. Aber Sie scheinen schon im voraus alle zu hassen und zu verachten, die das hier Beschriebene lesen werden, und sie zum Kampf herauszufordern. Wenn Sie sich nicht schämen, das Verbrechen zu gestehen, warum schämen Sie sich dann der Reue?"

"Ich schäme mich?"

"Sie schämen sich und fürchten."

"Ich fürchte mich?"

"Bis zur Todesangst. Sollen sie nur auf mich sehen, sagen Sie; nun, und Sie selbst, wie werden Sie auf sie sehen? Gewisse Stellen Ihrer Schilderung sind durch den Stil unterstrichen; Sie scheinen Ihre Psychologie zu bewundern und klammern sich an jede Kleinigkeit, nur um den Leser durch die Gefühllosigkeit in Erstaunen zu setzen, die Ihnen gar nicht eigen ist. Was ist es denn, wenn nicht eine hochmütige Herausforderung des Schuldigen an den Richter."

"Wo ist denn die Herausforderung? Ich habe ja alle persönlichen Betrachtungen ausgeschaltet."

TICHON sagte nichts. Seine blassen Wangen röteten sich sogar.

"Lassen wir das", brach STAWROGIN scharf ab. "Gestatten Sie auch mir, eine Frage zu stellen: wir sprechen schon fünf Minuten darüber (er wies mit einer Kopfbewegung auf die Blätter), und ich sehe an Ihnen keinerlei Ausdruck von Abscheu oder Scham ... Sie scheinen nicht heikel zu sein ..."

Er kam nicht weiter.

"Ich will vor Ihnen nichts verheimlichen: ich entsetzte mich vor der großen müßigen Kraft, die mit Absicht zu Gemeinheiten verschwendet worden ist. Und was das Verbrechen selbst betrifft, so begehen viele dieselbe Sünde, leben aber in Frieden mit ihrem Gewissen und in Ruhe und sehen es sogar als unvermeidliche Vergehen der Jugend an. Es gibt auch Greise, die ebenso sündigen, sogar mit Genuß und Frivolität. Die ganze Welt ist voll solcher Schrecken. Sie haben aber die ganze Tiefe erkannt, was in diesem Maß sehr selten vorkommt."

"Haben Sie mich vielleich nach dieser Lektüre zu achten angefangen?" fragte STAWROGIN mit einem schiefen Lächeln.

"Darauf gebe ich keine direkte Antwort. Aber ein größeres und schrecklicheres Verbrechen als Ihre Tat an der Kleinen ist natürlich unmöglich."

"Wir wollen nicht mit Ellen messen. Vielleicht leide ich wirklich nicht so sehr, wie ich es hier beschrieben habe, vielleicht habe ich auch vieles über mich erlogen", fügte er ganz unerwartet hinzu.

TICHON sagte darauf wieder nichts.

"Und das junge Mädchen", fing TICHON von neuem an, "mit dem Sie in der Schweiz gebrochen haben, wo befindet sie sich jetzt, wenn ich fragen darf ... in diesem Augenblick?"

"Hier."

Er sagte wieder nichts.

"Vielleicht habe ich über mich sehr viel gelogen"; wiederholte STAWROGIN eindringlich. "Was macht es übrigens, daß ich die Leute durch die Roheit meiner Beichte herausfordere, wenn Sie die Herausforderung bereits bemerkt haben?! Ich werde sie zwingen, mich noch mehr zu hassen, das ist alles. Aber davon würde mir nur leichter werden."

"Das heißt, der Haß gegen Sie wird in Ihnen einen Gegenhaß wecken, und wenn Sie hassen, wird es Ihnen leichter sein, als wenn Sie ihr Mitleid annehmen."

"Sie haben recht. Wissen Sie", sagte er plötzlich lachend: "man wird mich nach diesem Dokument vielleicht einen Jesuiten und einen frommen Heuchler nennen, ha ha ha! Nicht wahr?"

"Es wird unbedingt auch diese Ansicht geben. Hoffen Sie Ihre Absicht bald auszuführen?"

"Heute, morgen, übermorgen, woher soll ich es wissen? Aber sehr bald. Sie haben recht, es wird gerade so kommen, daß ich es ganz plötzlich veröffentliche und zwar gerade in einem Augenblick von Haß und Rachedurste, wo ich sie am meisten hassen werde."

"Beantworten Sie mir eine Frage, aber aufrichtig, nur mir allein", sagte TICHON mit einer ganz anderen Stimme: "Wenn Ihnen jemand beim Lesen Ihrer schrecklichen Beichte dies da (TICHON zeigte auf die Blätter) vergeben würde, und zwar nicht einer von denen, die Sie achten oder fürchteten, sondern ein Fremder, ein Mensch, den Sie niemals kennen lernen werden, stumm vor sich hin, - würde Ihnen bei deisem Gedanken leichter werden, oder wäre es Ihnen ganz gleich?"

"Es wäre mir wohl leichter", antwortete STAWROGIN halblaut. "Wenn Sie mir verziehen, so wäre mir viel leichter", fügte er hinzu, die Augen senkend.

"Auf daß auch Sie mir ebenso verzeihen!" versetzte TICHON mit bewegter Stimme.

"Das ist eine üble Demut. Wissen Sie, diese mönchischen Formeln sind so gar nicht hübsch. Ich werde Ihnen die ganze Wahrheit sagen: ich möchte, daß Sie mir verzeihen. Zugleich mit Ihnen auch ein anderer, ein dritter, aber alle zusammen sollen mich lieber hassen. Das möchte ich, um es mit Demut zu tragen ..."

"Das allgemeine Mitleid würden Sie aber nicht mit Demut tragen können?"

"Vielleicht könnte ich es nicht. Warum ..."

"Ich fühle den Grad Ihrer Aufrichtigkeit, und es ist natürlich meine große Schuld, daß ich an die Menschen nicht richtig heranzutreten verstehe. Ich habe es immer als einen Mangel empfunden", sagte TICHON aufrichtig und aus tiefem Herzen, STAWROGIN gerade in die Augen blickend. "Ich sagte das nur, weil ich für Sie fürchte", fügte er hinzu: "Vor Ihnen gähnt ein fast unüberbrückbarer Abgrund."

"Ich werde es nicht aushalten? Ich werde ihren Haß nicht ertragen können?" fuhr STAWROGIN auf.

"Nicht den Haß allein."

"Was denn noch?"

"Auch ihr Lachen", brachte TICHON mühevoll im Flüsterton hervor.

STAWROGIN wurde verlegen; sein Gesicht zeigte Unruhe.

"Ich habe es vorausgeahnt", sagte er. "Folglich erscheine ich Ihnen nach der Lektüre meines  Dokuments  als eine sehr komische Figur. Seien Sie unbesorgt, und genieren Sie sich nicht, ich habe es erwartet."

"Das Entsetzen wird allgemein und natürlich mehr geheuchelt als aufrichtig sein. Die Menschen entsetzen sich nur vor dem, was ihre persönlichen Interessen direkt bedroht. Ich spreche nicht von den reinen Seelen: diese werden nur innerlich erschaudern und sich selbst anklagen; da sie aber schweigen werden, wird man sie nicht merken. Das Lachen wird aber allgemein sein."

"Ich muß mich wundern, daß Sie so schlecht und mit solchem Abscheu von den Menschen denken", sagte STAWROGIN mit einiger Gehässigkeit.

"Glauben Sie mir: ich habe eben mehr an mich selbst gedacht als an die Menschen!" rief TICHON aus.

"Wirklich? Ist denn auch in Ihrer Seele etwas, was sich an meinem Unglück belustigt?"

"Wer weiß, vielleicht ist so etwas in ihr. Vielleicht ist es wirklich so!"

"Genug. Zeigen Sie mir nun, wo ich in meinem Manuskript lächerlich bin! Ich weiß selbst, wo ich es bin, aber ich will, daß Sie es mir mit Ihrem Finger zeigen. Und erklären Sie es mir möglichst zynisch, mit der ganzen Aufrichtigkeit, zu der Sie fähig sind. Ich aber sage Ihnen noch einmal, daß Sie ein merkwürdiger Kauz sind."

"Schon in der Form Ihrer großen Beichte selbst ist etwas Lächerliches enthalten. Glauben Sie nur nicht, daß Sie nicht siegen werden!" rief er plötzlich beinahe begeistert. "Selbst diese Form (er zeigte auf die Blätter) wird siegen, wenn Sie sich nur aufrichtig ins Gesicht schlagen und anspeien lassen. Alles hat immer damit geendet, daß das schändlichste Kreuz zu einem großen Rum und einer großen Kraft wurde, wenn die Demut der Tat wirklich aufrichtig gewesen ist. Vielleicht werden Sie schon bei Ihren Lebzeiten getröstet sein! ..."

"Sie finden also vielleich nur in der Form allein etwas Lächerliches?" drang STAWROGIN in ihn ein.

"Und im Wesen selbst. Die Häßlichkeit wird Sie morden", flüsterte TICHON, die Augen senkend.

"Die Häßlichkeit! Was für eine Häßlichkeit?"

"Des Verbrechens. Es gibt wahrhaft häßliche Verbrechen. Jedes Verbrechen, wie es auch sein mag, ist umso eindrucksvoller und sozusagen malerischer, je mehr Blut und Schrecken dabei ist; aber es gibt, abgesehen von jedem Schrecken, auch beschämende, schmähliche, sogar allzu unschöne Verbrechen ..."

TICHON sprach den Satz nicht zu Ende.

"Das heißt", fiel ihm STAWROGIN erregt ins Wort, "Sie finden also, daß ich höchst lächerlich war, als ich dem schmierigen Mädel die Hände küßte. Ich verstehe Sie vollkommen, und Sie verzweifeln an mir nur deshalb, weil es unschön und ekelhaft, nein, nicht ekelhaft, sondern beschämend und lächerlich war, und glauben, daß ich gerade dies am wenigsten ertragen werde."

TICHON sagte nichts.

"Ich verstehe, warum Sie sich nach dem Fräulein aus der Schweiz erkundigt haben, ob sie hier ist."

"Sie sind nicht vorbereitet, Sie sind nicht abgehärtet", flüsterte TICHON schüchtern, die Augen senkend: "Sie sind vom Boden losgerissen, Sie glauben nicht."

"Hören Sie, P. TICHON: ich will mir selbst verzeihen und das ist mein Hauptziel, mein einziges Ziel!" sagte plötzlich STAWROGIN mit einem düsteren Entzücken im Blick. "Ich weiß, daß die Vision nur dann verschwinden wird. Darum suche ich auch das maßlose Leid, darum suche ich es selbst. Erschrecken Sie nicht, sonst gehe ich in Bosheit zugrunde."

Diese Aufrichtigkeit war so unerwartet, daß TICHON sich erhob.

"Wenn Sie glauben, daß Sie sich selbst verzeihen und diese Selbstverzeihung in dieser Welt durch Leid ertragen können, wenn Sie sich in dieses Ziel gläubig setzen, so glauben Sie schon an alles!" rief TICHON begeistert. "Wie können Sie nur sagen, daß Sie nicht an Gott glauben?"

STAWROGIN gab keine Antwort.

"Gott wird Ihnen Ihren Unglauben verzeihen, denn Sie verehren den Heiligen Geist, ohne ihn zu kennen."

"Wird mir übrigens CHRISTUS verzeihen?" fragte STAWROGIN mit einem schiefen Lächeln und in einem veränderten Ton, in dem etwas wie Ironie lag.

"Es steht in der Schrift:  Wer aber ärgert dieser geringsten einen.  Sie erinnern sich doch. Nach dem Evangelium gibt es kein größeres Verbrechen ..."

"Sie wollen einfach keinen Skandal und stellen mir eine Falle, mein guter P. TICHON", sagte STAWROGIN wegwerfend und ärgerlich durch die Zähne und wollte schon aufstehen. "Kurz, Sie wollen, daß ich solide werde, vielleicht auch heirate, mein Leben als Mitglied des hiesigen Klubs beschließe und an jedem Feiertag Ihr Kloster besuche. Sie werden mir höchstens eine Kirchenbuße auferlegen! Nicht wahr?! Vielleicht ahnen Sie als Herzenskenner schon voraus, daß es zweifellos gerade so kommen wird, und es bleibt nur noch, mich jetzt, des Anstandes halber, ordentlich zu bitten, da ich doch selbst nur danach lechze, nicht wahr?!"

Er lächelte unnatürlich.

"Nein, es ist nicht diese Kirchenbuße, ich habe für Sie eine andere bereit!" fuhr TICHON mit Feuer fort, ohne dem Lachen und der Bemerkung STAWROGINs auch die geringste Beachtung zu schenken.

"Ich kennen eine STAREZ, nicht hier, aber nicht weit von hier, einen Einsiedler und Asketen von so tiefer christlicher Weisheit, wie wir beide sie nicht begreifen werden. Er wird auf meine Bitten hören. Ich werde ihm alles von Ihnen sagen. Gehen Sie zu ihm, unterwerfen Sie sich seiner Leitung für fünf oder sieben Jahre, soviel Sie in der Zukunft selbst als nötig erachten werden. Leisten Sie ein Gelübde, und mit diesem großen Opfer werden Sie alles erkaufen, wonach Sie lechzen, und selbst was Sie nicht erwarten, den Sie können jetzt gar nicht begreifen, was Sie gewinnen werden."

STAWROGIN hörte ihn mit ernster Miene an.

"Sie schlagen mir vor, in jenes Kloster als Mönch einzutreten?"

"Sie brauchen gar nicht im Kloster zu sein und die Mönchsweihen zu empfangen; werden Sie bloß heimlicher, kein offizieller Noviz; Sie können dabei sogar ganz in der Welt leben ..."

"Lassen Sie das, P. TICHON", unterbrach ihn STAWROGIN angeekelt und erhob sich von seinem Stuhl. Auch TICHON stand auf.

"Was ist mit Ihnen?" schrie er plötzlich auf, TICHON fast erschrocken ansehend. Jener stand vor ihm, die Hände wie im Gebet gefaltet, und ein krankhafter, wie vom höchsten Entsetzen hervorgerufener Krampf durchzuckte sein Gesicht.

"Was ist mit Ihnen? Was ist mit Ihnen?" wiederholte STAWROGIN, sich zu ihm stürzend, um ihn zu stützen. Er glaubte, daß jener umfallen würde.

"Ich sehe ... ich sehe ganz deutlich", rief TICHON mit einer herzdurchdringenden Stimme und mit dem Ausdruck der tiefsten Trauer, "daß Sie, armer, verlorener Jüngling einem neuen, noch größeren Verbrechen noch nie so nahe gewesen sind wie in diesem Augenblick."

"Beruhigen Sie sich!" beschwichtigte ihn STAWROGIN, der um ihn aufrichtig besorgt war. "Vielleicht werde ich es noch aufschieben ... Sie haben recht ..."

"Nein, nicht nach der Veröffentlichung, sondern vorher, einen Tag, vielleicht eine Stunde vor dem großen Schritt werden Sie sich in ein neues Verbrechen stürzen, werden danach als nach einem Ausweg greifen und werden es einzig zu dem Zweck verüben, um die Veröffentlichung dieser Blätter zu vermeiden."

STAWROGIN erbebte sogar vor Wut und fast vor Schreck.

"Verfluchter Psychologe!" rief er plötzlich wie rasend und ging, ohne sich umzusehen, aus der Zelle.
LITERATUR Fjodor Dostojewski, Die Teufel, München 1922