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LUCINDA PEARL BOGGS
Über John Deweys
Theorie des Interesses

- und seine Anwendung in der Pädagogik -

"Dewey macht das Interesse zum Hauptprinzip des geistigen und moralischen Lebens."

"Der psychologische Standpunkt, wie er sich jetzt entwickelt hat, ist folgender: Alles, was ist, ist für ein Bewußtsein oder Wissen."

"Die Logik ist anerkanntermaßen Abstraktion und deswegen nicht geeignet, die Natur des Konkreten zu erklären. Die Logik kann nie etwas Individuelles vollständig auffassen, sie kann nur darauf hinweisen."

"Interesse bedeutet den Wert, den ein Gegenstand oder eine Idee für das Selbst hat, es ist die Gefühlsseite des Bewußtseins. Es entsteht aus Gefühl und ist eine Art des Gefühls."

"Das Interesse bezeichnet die eigentümliche Tatsache, daß ein Etwas in Beziehung zum Selbst steht. Es bedeutet, daß nicht alle Gegenstände gleich wichtig für das Selbst sind, sondern daß einige größeren Wert haben als andere und infolgedessen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es ist demnach ein Hauptfaktor in der intellektuellen Entwicklung. Keine Ideenverbindungen sind so dauerhaft wie diejenigen die durch dieselben Emotionen verknüpft sind."

"Weder das absolut Bekannte, noch das ganz Neue zieht die Seele an, sondern das Alte tut es nur innerhalb des Neuen und das Neue nur innerhalb des Alten."

"Wenn eine gestellte Aufgabe nicht mit dem spontanen Interesse des Kindes übereinstimmt, so kann dieses nicht unterdrückt werden; infolgedessen eignet sich der Schüler eine Art geistigen Betruges und innerlicher Unaufmerksamkeit an."

"Kein Handelnder wird jemals durch ein schlechtes Motiv bestimmt, sondern er betrachtet seine Tat während der Ausführung stets als gut, wenn er dieselbe später auch als böse anerkennt. Diese Tatsache erklärt die Wahl böser Ideale, und man bedarf daher nicht wie  Kant der Annahme eines angeborenen Hangs zum Bösen."


Einleitung

In den letzten Jahren ist die Theorie des Interesses in der Erziehung der Gegenstand vielfältigen Nachdenkens und vielseitiger Erörterung in den pädagogischen Kreisen Amerikas gewesen. Fast jede Lehrerversammlung hat diesem wichtigen Gegenstand einen Platz auf dem Programm gegeben, während alle pädagogischen Zeitschriften auch ihren Teil an dem Streit nahmen, welcher geführt wurde. Auf der einen Seite standen die Vertreter der HERBARTschen Theorie des Interesses, welche von Professor CHARLES de GARMS, Professor CHARLES McMURRY und anderen eifrigen Schülern des deutschen Philosophen und Pädagogen geführt wurde, auf der anderen Seite befanden sich die Verfechter der Willensfreiheit und "formal discipline", zu welchen der "United States Commissioner of Education" Dr. WILLIAM J. HARRIS gehört. So wurde das Problem sehr tiefgreifend, indem es sich an Fundamentalprinzipien der Philosophie anknüpfte, sowohl der Ethik und der Metaphysik wie der Psychologie.

Während dieser Debatte trat JOHN DEWEY, Professor der Philosophie an der "University of Chicago" mit einem Artikel hervor, betitelt "Interest in Relation to the Training of the Will", welcher für die Erörterung der Konferenz der "Nationa Herbart Society" am 20. Februar 1896 verfaßt war. Dieser Beitrag wurde von beiden Seiten als ein großer Fortschritt begrüßt, sowohl was die Formulierung als auch die Lösung des Problems betrifft. - Dr. HARRIS bezeichnete diese Abhandlung als die wertvollste, welche bis jetzt über diesen Gegenstand erschienen wäre. Er sagt:
    "Die eindringliche Analyse und scharfe Kritik an gegensätzlichen Auffassungen in Bezug auf das Interesse und eine Theorie der Anstrengung, die Lehre von der Disziplin, in Bezug auf Ableitung und Stimulation von Energie oder die Richtung der Aufmerksamkeit des Kindes auf seine unmittelbare Umgebung oder auf eine kontinuierliche Untersuchung, die ihr Material zur Prüfung gesammelt hat, wobei alles Störende weggelassen wurde, ein Interesse auf der Grundlage von Vergnügen und echter intellektueller Einsicht - dies alles ist sehr lehrreich."
Diese verhältnismäßig kurze Schrift, welche das Problem nach der psychologisch-pädagogischen Seite eingehend behandelt, ist jedoch durchaus nicht eine beiläufige Äußerung, denn DEWEY macht das Interesse zum Hauptprinzip des geistigen und moralischen Lebens. Da wir beabsichtigen, sein System in dieser Abhandlung darzustellen, so ist es vielleicht angebracht, einen kurzen Bericht über sein Leben und Wirken vorauszuschicken.

JOHN DEWEY wurde 1859 in Burlington, Vermont geboren. Seine erste Schulbildung erhielt er in der öffentlichen Schule und später auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt. 1879 wurde er von der "University of Vermont" absolviert und war dann drei Jahre als Lehrer tätig. 1882 bezog er die "University of Johns Hopkins" zu Baltimore, wo er nach zweijährigem Studium die philosophische Doktorwürde erlangte. Er wurde in demselben Jahr Dozent der Philosophie an der "University of Michigan". 1886 wurde er "Associate Professor" genannt und zwei Jahre später folgte er einem Ruf nach der "University of Minnesota" als ordentlicher Professor der Philosophie, kehrte aber nach einem Jahr zur "University of Michigan" zurück, wo er bis 1894 blieb. Seitdem ist er als Professor der Philosophie und der Pädagogik an der "University of Chicago" tätig gewesen. Hier begründet er die experimentelle Schule, deren Schulplan und Leitung so viel Aufsehen in Amerika erregt hat. Seit einigen Jahren ist DEWEY Präsident der "American Psychological Association" und ist ein Herausgeber der Monatsschrift "The Psychological Review".

DEWEY gehört der neuen HEGELschen Schule an, welche in England unter der Leitung von GREEN entstand, und welche in Amerika bald viele Anhänger an sich zog. Er ist ein Evolutionist vom ausgeprägtesten Typus und stellt das Prinzip der Entwicklung, die er auch Selbstverwirklichung nennt, an die Spitze seiner ganzen Philosophie. Von seinen amerikanischen Zeitgenossen ist er auch beeinflußt worden, namentlich von G. STANLEY HALL, dessen Zuhörer er war; und von WILLIAM JAMES. Aber vor allen Dingen haben der Geist des neunzehnten Jahrhunderts und die Ideale der demokratischen amerikanischen Nation auf ihn gewirkt. Dies zeigt sich am klarsten in seiner Theorie der Erziehung.

Der Zweck der amerikanischen Staatsverfassung ist dieser: der Staat soll den Bürgern dienlich sein und diesem Prinzip gemäß soll der Staat, das heißt, der geschichtliche Staat, in der Schule reproduziert werden, um als Mittel zur Erziehung der Kinder, der zukünftigen Bürger, zu dienen. Als Männer und Frauen sollen sie verstehen, den Staat sich und ihren Mitbürgern nützlich zu machen. Das Wort  Staat  im alten Sinn verschwindet und macht dem Wort "Nation" Platz, welches allerdings einen anderen Begriff enthält.

Ähnlich ist die Befreiung von den alten deutschen Traditionen, daß der Schüler für den Unterricht existiert. Statt dessen wählt er den Unterrichtsstoff, welcher dem jugendlichen Geist am besten paßt. Freilich hat LOCKE diesen Gedanken in seiner Schrift über Erziehung von Jahrhunderten ausgesprochen. ROUSSEAU führte diese Idee in seinem pädagogischen Roman bis zur Übertreibung aus, aber sehr langsam hat all das auf den Lehrkörper und die Schulgestaltung gewirkt. PESTALOZZI, HERBART und vor allen Dingen FRÖBEL haben gleichfalls die Rechte des Zöglings gegenüber den Rechten des Unterrichtsstoffs betont. Nun aber hat DEWEY versucht, dieser Theorie eine neue Begründung durch seine Lehre vom Interesse zu geben, und dieselben an die verwickelten und künstlichen Bedingungen des 19. Jahrhunderts anzupassen. Das ist das Neue und Wertvolle in seinem System.

Irgendeine eingehende Kritik von DEWEYs metaphysischen Voraussetzungen wird nicht beabsichtigt; erstens, weil diese Abhandlung mit seiner pädagogischen Leistung hauptsächlich zu tun hat; und zweitens, weil der Psychologismus nicht etwas Neues in der Geschichte der Philosophie ist, und, so oft er erschienen ist, widerlegt worden ist.



I.
Deweys Weltanschauung

Bewußtsein, sagt Professor DEWEY, ist alles, was existiert, und die Psychologie als die Wissenschaft des Bewußtseins ist die höchste Art des Erkennens.
    "Der psychologische Standpunkt, wie er sich jetzt entwickelt hat", so lauten seine eigenen Worte, "ist folgender: Alles, was ist, ist für ein Bewußtsein oder Wissen. Die Aufgabe der Psychologie besteht darin, einen genetischen Bericht über die verschiedenen Elemente innerhalb dieses Bewußtseins zu geben, dabei ihre Plätze zu bestimmen, ihren Wert zu zeigen und zu gleicher Zeit anzugeben, was die wahre und ewige Natur dieses Bewußtseins ist. Wie Erfahrung geworden ist, werden wir nie wissen können aus dem Grund, weil die Erfahrung immer ist. Wir werden nie über dieselbe Auskunft geben können, indem wir sie auf etwas anderes zurückführen, denn dieses andere ist immer nur für die Erfahrung und in der Erfahrung; warum sie ist, werden wir nie entdecken, da sie ein Ganzes ist. Aber wie die Elemente innerhalb des Ganzen werden, können wir erfahren und zur Darstellung bringen, indem wir dieselben aufeinander und auf das Ganze beziehen; dabei erfahren wir auch, warum sie sind." (1)
Das erste Problem der Psychologie ist das Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem Objekt. Die beiden bedeutendsten Versuche, dieses Problem zu lösen, sind der umgestaltete Realismus, der seine Hauptvertreter in der letzten Zeit in KANT und seinen Schülern gefunden hat, und der subjektive Idealismus, der die Theorie vertritt, daß sich das Bewußtsein in eine subjektive und eine objektive Welt zerlegen läßt; nach der letzteren Theorie ist das Subjekt dasjenige, was übrig bleibt, nachdem man von der objektiven Welt abstrahiert hat. Von einem rein psychologischen Standpunkt aus aber gibt es kein Subjekt und kein Objekt außerhalb ihrer Verhältnisse im Bewußtsein. Besteht doch das Bewußtsein gerade in der Einheit des Subjekts und des Objekts. Es ist aber andererseits nicht zu leugnen, daß im Bewußtsein eine Unterscheidung zwischen dem Individuum und der Welt existiert. Diese Unterscheidung ist aber nur eine Form, in der sich das Bewußtsein differenziert. DEWEY sagt (2):
    "Wir haben gesehen, daß der Versuch, über die Entstehung der Erkenntnis Auskunft zu geben, in erster Linie auf der Tatsache beruth, daß sich das individuelle Bewußtsein  wird,  und daß dieses  Werden  nur widerspruchslos durch das Postulat eines universellen Bewußtseins erklären läßt."
Wie alles Bewußtsein relativ ist, so ist auch das individuelle Bewußtsein relativ zum universellen Bewußtsein.
    "Wir haben die Natur des Subjekts und des Objekts, des Individuellen und des Universellen, wie es sich in der bewußten Erfahrung darstellt, zu erklären. Die bewußte Erfahrung zeigt in ihrem ersten Anfang, daß mein individuelles Selbst ein Übergang, ein Prozeß des Werdens ist. Sie bezeugt aber auch, daß dieses individuelle Selbst sich des Übergangs bewußt ist, daß es den Prozeß erkennt, durch den es geworden ist. Kurz, das individuelle Selbst kann den Standpunkt des universellen Selbst einnehmen und von aus seine eigene Entstehung erkennen. Dadurch erfährt es, daß es seinen eigenen Ursprung in Prozessen hat, die nur für das allgemeine Selbst existieren, und daß infolgedessen das allgemeine Selbst nie geworden ist. Das Bewußtsein läßt uns erkennen, daß Bewußtsein ein Resultat ist, aber das Resultat von Bewußtsein; das Bewußtsein ist das sich auf sich Beziehende. Positiv ausgedrückt heißt das, das Bewußtsein zeigt, daß es in sich einen Prozeß des Werdens enthält und daß dieser Prozeß sich seiner bewußt wird. Dieser Prozeß ist das individuelle Bewußtsein; da es sich aber seiner selbst bewußt wird, wird es sich auch des allgemeinen Bewußtseins bewußt. Kurz, alles Bewußtsein ist Selbstbewußtsein, und das Selbst ist das allgemeine Bewußtsein, aus dem jeder Prozeß entsteht und infolgedessen immer ist. Das individuelle Bewußtsein ist nur der Prozeß der Realisation des Allgemeinbewußtseins durch sich. Betrachtet man es als Prozeß, als Realisation, so ist es individuelles Bewußtsein. Betrachtet man es dagegen als produziert oder realisiert, als sich des Prozesses bewußt, das heißt sich seiner selbst bewußt, so ist es das Allgemeinbewußtsein."

    "Nur aufgrund der Tatsache, daß das Universum im Individuum realisiert ist, kann das Individuum über das Universum philosophieren; ein Universum hat keine Existenz außer seiner Realisation im Individuum. Es ist zum Teil zum Menschen realisiert, daher hat dieser eine partielle Wissenschaft. Im Absoluten ist es vollständig realisiert, und Gott hat daher eine vollkommene Wissenschaft. Da dies alles allein Sache des Bewußtseins ist, so ist die Psychologie unsere einzige Erkenntnisquelle. Daher ist ein letzter Dualismus, wie ihn die kantische Schule annimmt, zu verwerfen. Die Metaphysik kann nie etwas anderes sein als eine Behandlung des Bewußtseins durch das Bewußtsein selbst. Der Mensch ist nicht zu gleicher Zeit Gegenstand einer rein objektiven und einer rein subjektiven oder metaphysischen Wissenschaft. Dieser Unterschied entsteht deshalb, weil der Mensch in seiner Entwicklung durch verschiedene Stufen hindurchgeht. Auf der einen betrachtet er sich als ein durch Raum und Zeit bedingtes Wesen, auf einer späteren Stufe als "die unbedingte ewige Synthesis des Ganzen".
Nicht nur das individuelle Bewußtsein, sondern auch das absolute ist Gegenstand der Psychologie, obgleich nur insoweit, als es in einem individuellen Bewußtsein realisiert ist (3).
    "Das absolute Selbstbewußtsein muß diese Manifestation und Offenbarung in sich als organisches Glied seines Wesens und seiner Tätigkeit enthalten. Sein Wesen muß diese Manifestation und Offenbarung sein".
Als die Wissenschaft der Realisation des Absoluten im Menschen ist die Psychologie mit der Philosophie identisch. Durch diese Annahme, daß die Psychologie anstelle der Philosophie den höchsten Rang einnimmt, schafft man viele Schwierigkeiten aus dem Weg, unter anderen die oben erwähnte, daß der Mensch ein durch Raum und Zeit bedingtes Wesen ist. Nach der Psychologie sind Raum und Zeit nur Funktionen der Realisation, die zu einem individualisierten Universum gehören. Der Fehler aller früheren Systeme der Philosophie besteht darin, daß man irgendein Element abstrahierte und es dann das Unerkennbare nannte. Stattdessen sollte man anerkennen, daß nur das Selbstbewußtsein erkennbar ist, und daß infolgedessen dieses allein Gegenstand der Philosophie sein kann oder richtiger gesagt der Psychologie, die in ihrem organischen Ganzen die Philosophie der Natur und der Logik enthält.

Die verschiedenen Schulen der Empiristen, wie z. B. die Evolutionisten, machen sich dieses Fehlers schuldig, indem sie etwas vom Ganzen des Selbst abstrahieren und dann versuchen, das Selbst vom Standpunkt des Abstrahierten zu erklären. Denselben Fehler machen diejenigen Denker, die behaupten, die Logik sei die Methode der Philosophie; sie abstrahieren die Form von der letzten Tatsache und können deshalb nie die Realität erreichen, da die Form nur ein Prozeß innerhalb des ganzen Inhalts ist, nämlich der Gedanke, insofern er die Idee bestimmt. Es läßt sich nie ein Übergang von der Form zur Tatsache finden, vielmehr ist die Tatsache die Grundlage für die Form.
    "Fragen wir, zu einem bestimmten Fall übergehend, wie der Übergang der Kategorie der Qualität zu der der Quantität zustande gekommen ist. Er findet nicht statt kraft der Kategorie der Qualität ansich, sondern kraft der Tatsache, daß die ganze Idee vollständig im Prinzip der Qualität enthalten ist, und daß sie zum Ausdruck kommen muß. Dies tut sie, indem sie die Qualität als einen inadäquaten Ausdruck ihrer eigenen Natur in die Quantität als einen vollkommeneren Ausdruck umwandelt". (4)
Aber die Logik ist anerkanntermaßen Abstraktion und deswegen nicht geeignet, die Natur des Konkreten zu erklären. Die Logik kann nie etwas Individuelles vollständig auffassen, sie kann nur darauf hinweisen.
    "Sie kann die einheitliche Auffassung des Universums als ein Bewußtsein, als notwendig behaupten, sie kann ihr aber nie Realität geben."
Sie macht die Idee zur einzigen Realität. Diese aber verschwindet in der Folge, weil das ganze organische System, das die Stufen der Ideen ausmacht, sich auflöst.
    "Nur eine lebendige, wirkliche Tatsache kann in ihrer Einheit das organische System in seiner Differenzierung, kraft deren sie lebt und ihr Wesen hat, bewahren."
Die Psychologie fängt mit dieser Tatsache an, die in Wirklichkeit die Voraussetzung in allen Systemen der Philosophie bildet, und so ermöglicht sie eine sichere Basis für alle anderen Wissenschaften.

Professor DEWEYs Grundprinzipg ist also die Selbstaktivität, die Selbstverwirklichung; das Ziel des ganzen Lebens ist nach ihm die Realisation des Absoluten im Besonderen, ist Selbstrealisation. Diese Tätigkeit erscheint im Menschen zuerst als primitiver Impuls, als der HEGELsche Trieb; von da aus entwickelt sich der Trieb und differenziert sich allmählich, bis seine drei Faktoren, Wissen, Fühlen und Wollen entstehen. Diese dürfen nicht als Vermögen der Seele betrachtet werden, sondern als drei Seiten  eines  Prozesses. Das Gefühl ist die subjektive Seite, das Wissen die objektive und der Wille die Tätigkeit, welcher die beiden ersten zur Einheit im individuellen Bewußtsein zusammenfaßt.

Diese Selbsttätigkeit in seiner weiteren Entwicklung nennt er  Interesse so gelangen wir zum Hauptthese seines Systems: Nur das Interesse oder die Tätigkeit, die mit der vollen Kraft des ganzen organischen Systems nur eine Richtung verfolgt, kann die höchste geistige Vollkommenheit und die wahre moralische und religiöse Tätigkeit hervorbringen. Unsere nächste Aufgabe wird darin bestehen, dieses Interesse seinem innersten Wesen nach zu betrachten, alsdann werden wir es in seiner besonderen Anwendung auf die Pädagogik zu erörtern haben.


II.
Die Entstehung, das Wesen und die
Arten des Interesses.
    "Jeder Zustand des Bewußtseins hat eine emotionale Seite, das heißt er hat Wert, Bedeutung,  Interesse Es ist die eigentümliche Tatsache des Interesses, welche die emotionale Seite des Bewußtseins ausmacht; damit ist gesagt, daß das Interesse ein besonderes Verhältnis zum Ich besitzt, daß es nicht eine bloße Tatsache, Erkenntnis ist, sondern eine Weise, in der das Selbst affiziert wird." (5)
An anderer Stelle definiert DEWEY das Interesse als "das Gefühl, das mit der einheitlichen Richtung der Tätigkeiten auf ein Ziel entsteht". Das Interesse ist ungestörte Tätigkeit, konzentrierte Tätigkeit, einheitliche Tätigkeit und jedes Interesse ist als Interesse gleich interessant. (6)
    "Das Interesse ist in erster Linie eine Form der selbstrealisierenden Tätigkeit. Wenn wir diese Tätigkeit von der Seite des Inhalts der Realisation untersuchen, erhalten wir die objektiven Merkmale, die Ideen, die Objekte etc., von denen das Interesse abhängig ist. Wenn wir anerkennen, daß diese Tätigkeit Selbstrealisation ist, daß sich das Selbst in diesem Inhalt findet, in sich reflektiert wird, so erhalten wir die Affekt- oder Gefühlsseite. Jede Beschreibung des wahren Interesses muß dasselbe bezeichnen als eine sich nach außen richtende Tätigkeit, die einen intellektuellen Inhalt hat und einen gefühlten Wert in sich reflektiert."

    "Das Wesen des Interesses besteht in der Erkenntnis, daß eine Tatsache oder eine beabsichtigte Tätigkeit mit dem Selbst identisch ist. Es liegt in der Richtung der Tätigkeit, die das Selbst verwirklicht, und es ist infolgedessen dann dringend notwendig, wenn der Handelnde sein Selbst bewahren will." (7)
Offenbar haben wir es hier zu tun mit der HEGELschen Tätigkeit, die zu gleicher Zeit Wissen, Fühlen und Wollen ist, und die keinen Faktor isoliert erscheinen läßt.
    "Die Unterscheidung der Intelligenz vom Willen hat oft den unrichtigen Sinn, daß beide als eine fixe, voneinander getrennte Existenz genommen werden, so daß das Wollen ohne Intelligenz oder die Tätigkeit der Intelligenz willenlos sein könne". (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Seite 445)
Daß DEWEY aber einerseits Interesse Gefühl nennt und es andererseits auch als die ganze Tätigkeit betrachtet, von der es doch nur die wesentlichste Begleiterscheinung sein sollte, das ist eine Ungenauigkeit im Ausdruck. Durch diese gewinnt sein System eine scheinbare Stärke, in Wirklichkeit aber ist sie eine Schwäche. Doch werden wir uns hier dabei nicht länger aufhalten, sondern jetzt zur Darstellung seiner Theorie übergehen.
    "Interesse bedeutet den Wert, den ein Gegenstand oder eine Idee für das Selbst hat, es ist die Gefühlsseite des Bewußtseins. Es entsteht aus Gefühl und ist eine Art des Gefühls. Es unterscheidet sich vom einfachen Gefühl dadurch, daß dieses durch künstliche Analyse isoliert oder ohne Zusammenhang mit den übrigen psychischen Vorgängen betrachtet werden kann. Das Interesse dagegen bezeichnet die eigentümliche Tatsache, daß ein Etwas in Beziehung zum Selbst steht. Es bedeutet, daß nicht alle Gegenstände gleich wichtig für das Selbst sind, sondern daß einige größeren Wert haben als andere und infolgedessen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es ist demnach ein Hauptfaktor in der intellektuellen Entwicklung. Keine Ideenverbindungen sind so dauerhaft wie diejenigen die durch dieselben Emotionen verknüpft sind." (8)
Nicht weniger Einfluß hat es auf alle Arten der Willensvorgänge, denn es bestimmt die Richtung der Aufmerksamkeit und der Tätigkeit des Selbst.
    "Das Interesse entsteht aus Gefühl."
Die Art seiner Entstehung erkennt man am besten aus der Entwicklung des Gefühls von seiner niedrigsten Form bis zu seiner höchsten Ausbildung.

Das Gefühl bezeichnet nicht eine besondere Klasse psychischer Phänomene, wie z. B. das Gedächtnis oder die Phantasie, sondern es bildet eine Seite und zwar die innere Seite des ganzen seelischen Lebens. Die Tatsache, daß irgendeine Erkenntnis als  unsere  Erkenntnis wahrgenommen wird, beweist, daß sie auch eine Gefühlsseite hat.
    "Das Gefühl ist eine Begleiterscheinung der Aktivität. Es ist das Selbst, insofern es seine eigene Natur in jeder Aktivität findet." (9)
Die erste Form desselben ist das sinnliche Gefühl; dieses ist allein von der Empfindung abhängig. Ansich betrachtet ist jede Empfindung Gefühl, und ihr Gefühlscharakter ist von ihrer Intensität und Qualität abhängig. Die zweite Form des Gefühls heißt  formales Gefühl.  Das formale Gefühl hat nichts mit dem Inhalt der Gefühlserreger zu tun, es ist allein von der Form der Tätigkeit der Seele abhängig. So sind z. B.  Furcht, Erstaunen, Freude  von der Anpassung neuer eben empfangener Elemente an die frühere Erfahrung abhängig. Es sind drei Typen zu unterscheiden:
    - erstens handelt es sich um die gegenseitige Anpassung verschiedener Elemente einer gleichzeitigen Tätigkeit, wie z. B. bei den Gefühlen eines Konflikts oder einer Zusammenstimmung, oder

    - zweitens um die Anpassung einer neuen Erfahrung an eine frühere, wie bei den Gefühlen der Vertrautheit, des Gegensatzes, der Neuheit oder

    - drittens um eine Anpassung an die Zukunft, wie z. B. bei den Gefühlen der Hoffnung und der Angst.
Jede gelungene Anpassung verursacht Lust, jedes Mißlingen derselben Unlust.

Das qualitative Gefühl ist mit einem Gegenstand verknüpft, insofern er einen besonderen Inhalt hat, und es läßt die Tätigkeit des Selbst nach verschiedenen Richtungen hin erkennen. Es kann demnach so viele qualitative Gefühle geben, als es Gegenstände der Erfahrung gibt, denn jeder Gegenstand hat einen Gefühls- sowie einen intellektuellen Wert. Diese Klasse der Gefühle ist identisch mit dem Interesse, und die beiden Worte sind daher austauschbar, wenn von qualitativen Gefühlen die Rede ist.
    "Wir können also zwischen einfachen und entwickelten Gefühlen unterscheiden, jene sind Gefühlsvorgänge in ihrer Isolierung, diese dagegen Gefühlsvorgänge, insoweit sie aus ihrer Isolierung genommen und in Beziehung zu den Gegenständen der Erkenntnis oder zu den Idealen des Handelns gestellt werden; die letzteren bilden das Interesse." (10)
Die Entwicklung der einfachen Gefühle zu qualitativen Gefühlen oder Interessen findet nach zwei Richtungen hin statt. Sie werden einerseits allgemeiner, andererseits bestimmter. Die ersten Gefühle sind rein individuell und an den körperlichen Organismus gebunden; sie werden universell, indem sie weiter und tiefer werden. Die Gefühle, die mit irgendeinem Faktor eines apperzipierenden Vorgangs verknüpft sind, können auf alle anderen Faktoren des Vorgangs übertragen werden. Auf diese Weise werden die Gefühle allmählich vom Selbst auf die Gegenstände übertragen, die das Selbst täglich umgeben, und dann von einem Gegenstand auf einen anderen. Durch diesen Prozeß der Übertragung werden gewisse Gegenständen zu Symbolen gewisser Gefühle, so erweckt z. B. der Anblick des Kreuzes manche Gefühle und Affekte in einem Christen. Nach der Stufe der symbolischen Gefühle kommt diejenige, die durch das universelle Reich der Erfahrung bedingt wird, in der das Selbst seine inneren Verhältnisse entwickeln und sich finden muß, damit es überhaupt ein Selbst ist.

Die universellen Gefühle oder Interessen sind abhängig von den Beziehungen des Selbst einerseits zu Gegenständen, andererseits zu Persönlichkeiten. Im ersteren Fall sind sie entweder intellektuell oder ästhetisch. Im zweiten Fall sind sie in soziale, moralische und religiöse Gefühle einzuteilen.

Es ist bemerkenswert, daß diese allgemeinen Gefühle vertieft werden können. Das Kind ist ebenso schwankend in seinen Gefühlen wie in seiner Aufmerksamkeit: aber mit der Wiederholung gewisser Gefühle erhält es einen emotionalen Charakter, wie es durch die Wiederholung bestimmter Erkenntnisse einen intellektuellen Charakter erwirbt.

Gleichzeitig mit dem Wachstum nach Breite und Tiefe gewinnt das Gefühl an Bestimmtheit. Diese entsteht durch die Verknüpfung des Gefühls mit dem Willen, mit den Zielen des Handelns. Jedes Objekt bekommt einen bestimmten Gefühlston, je nachdem es das Selbst in seiner Tätigkeit fördert oder hindert. Liebe und Haß sind die beiden großen Klassen, die, durch zahlreiche Nuancen unterschieden, den zur aktiven Erfahrung des Selbst gehörenden Objekten entsprechen.

Das absolut universelle Gefühl ist Liebe; sein einziges vollkommenes Objekt ist das absolut ideale Selbst, die absolut universelle Persönlichkeit, die Gott ist. Es ist ein vollständiges Aufgaben des eigenen Selbst und zu gleicher Zeit seine vollständige Objektivierung. Streit entsteht, wenn die besonderen Interessen sich den universellen nicht anpassen lassen, denn die universellen Interessen bezeichnen eine Erweiterung des ganzen Selbst, während die besonderen Interessen die Entwicklung irgendeines besonderen Gefühls auf Kosten des vollen Seins des Ganzen fördern. Alles Wachstum des Selbst wird von Glückseligkeit begleitet, während jede Behinderung desselben Unglückseligkeit erzeugt; Glückseligkeit ist ein Zeichen des Wohlseins, das Merkmal der wahren Realisation des Selbst zum Individuum.
    "Ein Interesse ist in erster Linie eine Form der Selbsttätigkeit."
In ihm sind drei Faktoren zu unterscheiden:
    - Erstens es ist aktiv, fortschreitend. Das Selbst ist immer und zwar in einer bestimmten Richtung tätig.

    - Zweitens es ist objektiv, weil die Tätigkeit sich nicht in sich verschließen kann, sondern sich zu einem Gegenstand wenden muß.

    - Drittens es ist subjektiv, denn es bewirkt ein Gefühl der Zufriedenheit in Verbindung mit der Aktivität.
Was die Entstehung des Interesses anbetrifft, so ist es entweder natürlich oder erworben. Ein Objekt hat ein natürliches Interesse oder einen Wert nach der Quantität und nach der Art der Reize ohne Rücksicht auf die apperzipierenden Elemente. Unter sonst gleichen Umständen würden die Reize die Seele nach dem Verhältnis ihrer Quantität, das heißt ihre Intensität, Dauer und Mannigfaltigkeit erregen. Aber jede Empfindung hat eine angenehme oder unangenehme Qualität, die vielleicht mehr Einfluß als die Quantität ausübt. Die Fortschritte im psychischen Leben hängen in hohem Maße von der Fähigkeit ab, Reize im Licht früherer Erfahrungen zu schätzen. Jede Empfindung hat einen Wert, wenn ihre Beziehung zum Selbst anerkannt wird. Diesen Wert nennen wir erworbenes Interesse. Die Verknüpfungen neuer Erreger mit den früheren Vorstellungen hängen von der Bekanntheit oder Ähnlichkeit der Objekte, andererseits auch von ihrer Unähnlichkeit ab. Erst die Wiederholung eines Vorgangs verleiht ihm ein besonderes Interesse im Leben des Kindes, sie zerstört bei ihm die Eintönigkeit der ersten Monate. Auch in späteren Jahren ist es das Bekannte, welches das Bewußtsein reizt und beschäftigt; es erwirbt gewisse Neigungen zur Interpretation neuer Erfahrungen, die sozusagen Apperzeptionsorgane werden. Das Neuerlebte hat in seinen Elementen eine größere Kraft des Interesses und befreit etwas von der Knechtschaft, der man durch das Gesetz der Ähnlichkeit unterworfen ist. Unähnlichkeit wirkt demselben entgegen und verschafft dem psychischen Leben eine Veränderung und Abwechslung, die sonst fehlen würden. Allerdings zieht weder das absolut Bekannte, noch das ganz Neue die Seele an, sondern das Alte tut es nur innerhalb des Neuen und das Neue nur innerhalb des Alten.

In Beziehung auf seine Äußerung ist das Interesse  unmittelbar  oder  mittelbar.  Diese beiden Formen sind Typen der Selbstrealisation, die von der Gleichzeitigkeit des Ziels und der Mittel der Realisation abhängig sind. In den Fällen, in denen die Selbstrealisation unmittelbarer Art ist, strebt sie nach keinem anderen Ziel als nach bloßer Entfaltung der ihr eigentümlichen Tätigkeit. Hierher sind das Spiel und gewisse Fälle des ästhetischen Genusses zu rechnen. So haben wir es z. B. mit einem unmittelbaren Interesse zu tun, wenn jemand entzückt einem Musikstück zuhört, ohne auf den Stil der Komposition und auf die Art des Vortrags Acht zu geben. Der Wert liegt in dem, was vorhanden ist. Wenn aber ein Zeitmaß vorhanden ist, an das man den Trieb der Selbstentfaltung anzupassen hat, das heißt, wenn die Tätigkeit sich nicht nur nach dem Ziel, sondern auch nach den Mitteln, die zur Erreichung des Zieles nötig sind, richten muß, dann ist das Interesse ein mittelbares. In Fällen, wo die Mittel als mühselige Plage betrachtet werden, der man sich unterziehen muß, um zum Ziel zu gelangen, ist das Interesse noch nicht mittelbar geworden. Wenn aber das Interesse am letzten Ziel so groß ist, daß es alle Mittel, die zur Erreichung desselben nötig sind, zu Zielen mit eigenen Interessen macht, dann wird es vollständig mittelbar. So muß z. B. ein Bildhauer, der das Ideal einer schönen Form zu verwirklichen strebt, an jeder Formung des Tons, an jedem Schlag des Meissels um des Ideals willen ein selbständiges Interessen haben.
    "Ein wahres Interesse an einem Ziel setzt notwendigerweise ein gleiches Interesse an allen Bedingungen seiner Verwirklichung voraus, von der richtigen Vermittlung des Interesses hängt der glückliche Erfolg jedes Unternehmens, sei es intellektuell oder moralisch, ab."
Aus dem Mißverständnis dieser beiden Typen, glaube DEWEY, entstehen die beiden entgegengesetzten Theorien des Interesses. Schließlich ist das Interesse, wenn man es vom Standpunkt des Inhalts betrachtet, unpersönlich oder persönlich. Das erstere ist einzuteilen in intellektuelles und ästhetisches, das letztere in soziales, moralisches und religiöses Interesse. Diese verschiedenen Arten des Interesses sind fortschreitende Stufen des universellen Werdens, des qualitativen Gefühls, von dem oben gesprochen wurde.

Ein unpersönliches Interesse ist dasjenige, welches aus dem Verhältnis des Selbst zur Welt der Dinge entsteht. Im intellektuellen Interesse geht man über die unmittelbare Empfindung hinaus, über die mehr oder weniger zufälligen Verhältnisse der Objekte zum Selbst in diejenigen Bewußtseinsvorgänge, die aus der Verknüpfung einiger Objekte zu anderen entspringen. Dies sind seelische Vorgänge, die mehr aus der Entwicklung der universellen als der individuellen Seite entstehen. Das Gefühl einer erworbenen Erkenntnis ist das Gefühl, sich selbst zu besitzen und als Besitzer des Selbst frei zu sein. Aber während sich das Gefühl der erworbenen Erkenntnisse uns zuerst befriedigt, entsteht ein Gefühl der Unzufriedenheit, wenn Unwissenheit über irgendeinen Punkt entdeckt wird. Es erfolgt ein Kampf, um wieder einen Zustand der Zufriedenheit herzustellen; auf diese Weise machen wir Fortschritte auf intellektuellem Gebiet. Das intellektuelle Gefühl nimmt die Form des Interesses an Objekten an. Es findet seine Befriedigung nur in einer sich nach außen richtenden Tätigkeit des Selbst, und in dieser Hinsicht ist die Verwunderung die erste Bedingung des Lernens. Das Streben der Gefühle, in einem Erkennen zum Ausdruck zu kommen, ist das Vorgefühl oder die Ahnung. Die ganze intellektuelle Tätigkeit strebt nach einem unsichtbaren Ziel, auf das man, wenn es auch unsichtbar ist, doch seine Gedanken richten muß. Denn dieses Ziel ist in den Gefühlen der Seele eingeschlossen; diese kontrollieren die Wahl des passenden Materials und die Verwerfung des unpassenden. Diese Tatsache, daß die intellektuellen Prozesse durch das Gefühl geleitet werden, wird in der Regel übersehen, sie ist aber von fundamentaler Bedeutung. Diese Fähigkeit zu fühlen, in welcher Richtung die Wahrheit liegt, dieses unbestimmte Vorhersagen ihrer allgemeinen Natur, ist das Zeichen des Genies. Es kann aber niemand einem anderen lehren, ein Genie zu sein, denn das Gefühl muß auf seinen logischen Ausdruck gebracht werden, bevor es lehrbar ist. Abnorm ist das intellektuelle Interesse dann, wenn das Wissen nicht um des Wissens willen, sondern wegen des damit verknüpften Genusses gesucht wird.

Ästhetische Gefühle  entspringen aus der Betrachtung des idealen Wertes einer Erfahrung, in der eine Idee dargestellt wird. Eine edle Wahrheit oder ein schönes Bild sind edel und schön, weil sie ein in der Seele schon vorhandenes Ideal zum Ausdruck bringen. Bei einer gewissen Intensität wird das ästhetische Gefühl zum Interesse und damit zu einer Quelle schöpferischer Tätigkeit. Die Kunst ist die allgemeine Verwirklichung des Ideals; sie macht sich ihre eigenen Gesetze und ist frei. Die Schönheit ist das Universelle in der Kunst, weil sie die höchste Entwicklung des Ideals ist; sie hängt mehr vom Geist als von der Materie ab. Die bedeutendsten Faktoren der ästhetischen Gefühle sind die Harmonie, die gegenseitige Anpassung und Anordnung. Die schönen Künste sind die Produkte des ästhetischen Interesses. Die Baukunst ist die erste und niedrigste Form der Kunst, denn sie ist am meisten vom Material abhängig. Die Plastik und die Malerei sind weniger von diesem abhängig; eine noch höhere Stufe unter den Künsten nimmt die Musik ein. Die höchstes Kunstform ist die Poesie, die sich im Reiche des reinen Ideals bewegt. Ein Mißbrauch der ästhetischen Gefühle besteht darin, daß man dieselben statt der Objekte zum Ziel geistiger Tätigkeit macht.

Im ästhetischen Interesse gelangt die Seele auf eine höhere Stufe; sie fühlt die Beziehungen, die irgendeine Erfahrung zu einem universellen, dauernden Ideal hat, zu einem Ideal, das weit über die persönlichen Triebe hinausgeht. "Das Selbst findet sich realisiert in einem Etwas, das zuerst als ein Nicht-Ich erscheint." (11) Der Fortschritt macht sich auch darin geltend, daß die Seele sofort den Wert fühlt, der unmittelbar in allen ästhetischen Erscheinungen gegenwärtig ist; dies ist bei intellektuellen Vorgängen nicht der Fall. Auf einer noch höheren Stufe stehen die sozialen Gefühle, vermöge derer der Mensch sein Privatleben mit dem Leben der Gesellschaft verschmilzt und sich in der breitesten Weise realisiert.

Persönliche Interessen  entspringen aus den Beziehungen zwischen bewußten Wesen. Die erste Form derselben ist das soziale Interesse, das durch die Gefühle, die das Selbst für sich und die es für andere hat, bestimmt wird. Die beiden Elemente desselben, der Egoismus und der Altruismus, können nicht getrennt von einander existieren, sie sind vielmehr Faktoren aller persönlichen Gefühle und sind nur durch Abstraktion zu unterscheiden. Das erstere läßt sich noch weiter in die beiden Typen  Sympathie  und  Antipathie  trennen; diese sind die Resultate einer Identifizierung des Selbst mit einem anderen. Im altruistischen Gefühl kann man Demut und Stolz unterscheiden. Die moralischen Interessen sind nur ein Auswuchs des sozialen Gefühls.
    "Das Gefühl der Sympathei als die Grundlage der Identifizierung der Individuen ist auch die Quelle aller moralischen Gefühle."
Der wesentlichste Bestandteil des moralischen Gefühls ist das Gefühl des Guten oder der Harmonie zwischen persönlichen Taten und einer idealen Persönlichkeit. Das Gefühl des Müssens ist dem moralischen Interesse eigentümlich; es besteht in der Anerkennung eines universellen Selbst als unseres wahren Wesens, und wir können dieses realisieren, weil wir es nicht mit einem uns fremden Material, sondern mit uns selbst zu tun haben und wir ganz und gar unter unserer eigenen Kontrolle stehen.

Der im moralischen Gefühl vorkommende Streit zwischen dem Aktuellen und dem Ideal wird im religiösen Gefühl aufgeboben, denn hier wird das Selbst vollständig objektiviert und mit Gott identifiziert. Dieses Gefühl heißt Glaube, und obgleich es in jeder Art der Realisation nötig ist, in der intellektuellen, der ästhetischen und der moralischen, so erreicht es doch seine vollkommene Universalität erst in der Religion.
    "In der Religion", so lauten  Deweys  eigene Worte, "nehmen wir das Universum der Objekte in uns auf. Bei der ästhetischen Wahrnehmung und Schöpfung eignen wir uns das Universum der idealen Werte an; im sozialen Leben machen wir das Universum der persönlichen und geistigen Verhältnisse zu Elementen unseres eigenen Lebens. Schließlich findet das Gefühl seinen absolut universellen Ausdruck im religiösen Affekt; in diesem findet oder realisiert sich das Selbst in einer vollständig realisierten Persönlichkeit, wird also Gott. Diese vereinigt in sich die Wahrheit oder die vollkommene Einheit der Beziehungen aller Objekte, die Schönheit oder die vollkommene Einheit aller Werte und das Recht oder die vollkommene Einheit aller Personen. Das Gefühl, das das religiöse Leben begleitet, ist dasjenige, das unsere vollendetste Tätigkeit begleitet. Das Selbst wird realisiert und findet sein wahres Leben in Gott."
So haben wir die Entstehung, das Wesen und die Arten des Interesses nach der Theorie unseres Verfassers dargestellt. Er unterscheidet nun zwischen Interesse und Affekt und zwischen Interesse und Gefühlston (das Wort "Gefühlston" hat er aus dem Deutschen genommen). Er macht sich die DARWINsche und die JAMES-LANGEsche Theorie der Affekt zu eigen und versucht beide zu vereinigen.
    "Ein Affekt ist psychologisch die Anpassung von Gewohnheiten an Ideale. Viele Gewohnheiten waren einst vollkommene Tätigkeiten, sie sind aber jetzt nur eine Tendenz zur Tätigkeit. Der Affekt ist im ganzen genommen eine zweckmäßige Art des Handelns, das heißt eine solche, die einen intellektuellen Inhalt hat, und die sich im Gefühl als subjektive Wertschätzung dessen, das objektiv im Ideal oder im Zweck ausgedrückt wird, reflektiert." (12)
Das Interesse ist Selbsttätigkeit, das Funktionieren des Selbst, in dem die Mittel zur Erreichung eines Zieles sich in einer simultanen und umfassenden Bewegung organisieren. Der Gefühlston bezeichnet die vollkommene Vereinigung einer großen Zahl von schon erreichten Zielen mit der organischen Gewohnheit oder Koordination.

"Er ist ein rückwärts zu lesendes Interesse" und bezeichnet die vollkommene Identifizierung der Gewohnheiten mit gewissen Zielen und Zwecken. DEWEY faßt die ganze Sache kurz so zusammen:
    "Gewisse Bewegungen, die früher ansich nützlich waren, werden zu Bewegungstendenzen, zu Stellungen reduziert. Als solche dienen sie, wenn sie instinktiv zur Tätigkeit erregt werden, als Mittel, um das Ziel zu erreichen. Aber insoweit die Anpassung der organischen Aktivität in der Forrm oder Gewohnheit an diejenige, welche die Idee oder das Ziel ausführen will, Schwierigkeiten macht, entsteht ein vorübergehender Kampf und eine partielle Inhibierung [Hemmung - wp]. Dies kommt als Gefühlserregung oder Affekt zum Ausdruck. Findet die Vereinigung der zum Ziel notwendigen Vorgänge in  einer  Handlung statt, nicht in einer sukzessiven Reihe von gegenseitig ausgeschlossenen Reizen, so haben wir Interesse. Ist diese Vereinigung dagegen völlig gewohnheitsmäßig und erblich geworden, so haben wir Gefühlston." (13)
DEWEY legt besonderes Gewicht auf die Beziehungen des Interesses zu Willensvorgängen. Um dies auseinandersetzen zu können, müssen wir kurz auf DEWEYs Willenstheorie eingehen. Der sinnliche Impuls ist der Anfang des Wollens; eine vollkommene Willenshandlung erfordert außerdem erstens die Kenntnis des Zieles der Handlung und der Mittel, welche nötig sind, um dieses Ziel zu erreichen, zweitens ein Gefühl der Lust oder Unlust, das in Verbindung mit dem vorgesetzten Ziel gegeben sein muß. So entwickelt sich der Trieb zum Begehren, wenn das Selbst sich des Zwecks bewußt wird, auf den die Tätigkeit hinzielt. Wenn verschiedene Zwecke gleichzeitig als wünschenswert angesehen werden, dann entsteht ein Streit innerhalb des Selbst. Dieser ist identisch mit dem Vorgang des Wählens; derselbe wird dann beendet, wenn das Selbst sich für eine bestimmte Richtung entscheidet und durch ein Motiv nach einer Seite hin bestimmt wird. Dieses Motiv ist immer ideal, denn das Selbst stellt sich immer, durch das Gefühl der Unzufriedenheit bestimmt, einen idealen Zustand des Seins vor.

Die erste Form der Willenshandlung ist die Beherrschung physischer Vorgänge. Der sinnliche Trieb ist zuerst unbestimmt, aber durch Versuche und Differenzierung wird er allmählich bestimmt und richtet sich auf bewußte Zwecke. Dies ist z. B. der Fall beim Gehen, Sprechen etc. Der Wille, soweit die physische Beherrschung in Betracht kommt, ist der Körper, insofern er bereit ist, die von ihm verlangte Tätigkeit zu vollbringen. Die nächst höhere Form der Willenshandlung, die verstandesgemäße Beherrschung, umfaßt alle diejenigen Handlungen, die mit Rücksicht auf einen Vorteil oder Nachteil getan werden. Innerhalb dieser entwickelt sich das Begehren, indem drei Faktoren zu unterscheiden sind: Unzufriedenheit in der Gegenwart, Erinnerung an frühere Zufriedenheit und Hoffnung auf zukünftige Zufriedenheit. Sind verschiedene Arten des Begehrens in Konflikt geraten, so hängt die Wahl von persönlichen Charakterzügen und von der Erkenntnis ab. Es lassen sich drei Formen der verstandesgemäßen Beherrschung unterscheiden: die intellektuelle, die mit der Aufmerksamkeit identisch ist, zweitens die praktische, das ist diejenige Form, bei der alle Handlungen äußerlich auf irgendeinen Vorteil gerichtet sind, drittens die emotionale, in der das Gefühl ein Reiz zum Wissen oder Wollen wird.

Der moralische Wille, die dritte Stufe in der entwicklung des Willens, läßt sich von den früheren dadurch unterscheiden, daß er mehr vom Standpunkt des Motivs als des Resultats gemessen wird, denn die Motive liegen innerhalb der Kontrolle des Handelns, und er fühlt eine Verantwortlichkeit für das Resultat, wenn es der direkte Erfolg eines Motivs ist. Wenn aber die Resultate außerhalb seiner Kontrolle liegen, so kann er sich nur über den Verlauf seiner Handlung freuen oder ihn bedauern, zum Motiv aber nimmt er eine unveränderte Stellung ein. Das durch ein gutes Motiv bestimmte Handeln überwindet den Dualismus zwischen dem Selbst und dem Ideal nur für diesen Augenblick. Um eine vollkommene Identifizierung des Selbst und des Ideals zu erreichen, ist der religiöse Wille notwendig. Dieser identifiziert das Selbst und das Ideal für das ganze Leben und für alle Handlungen. Aufgrund dieser Versöhnung erkennt das Selbst, daß der vollkommene Wille die einzige Realität in der Welt ist. Während die moralische Tätigkeit dahin führt, das Wirkliche mit dem Ideal übereinstimmend zu gestalten, versucht die religiöse Tätigkeit, das Ideal in die Wirklichkeit einzuführen. Dieses ist eine Sache des Glaubens und nicht der Erkenntnis, denn es schreitet über die Erkenntnis hinaus. Hierauf beruth auch der Zustand der rationalen Freiheit, in dem die Seele völlig durch sich selbst bestimmt ist. Die Liebe ist das Motiv, das zur Tätigkeit um einer Sache selbst willen führt und die Liebe, die sich auf moralische und religiöse Ziele richtet, steht am höchsten, denn sie bedeutet, daß das Selbst, das Individuum, universell geworden ist.

Die wichtigste Frage, die von großer praktischer Bedeutung für alle diejenigen ist, die sich mit dem Problem der Erziehung des Willens beschäftigen, ist diese: Ist eine Willenshandlung ohne Interesse möglich oder wünschenswert? Gibt es Willenshandlungen aus einem bloßen Bewußtsein des Müssens? Die beiden entgegengesetzten Theorien, die von KANT und HERBART, welche sich über die Lösung dieses Problems streiten, sind aus Irrtümern in Bezug auf die Willenstheorien entstandn. Wie in den meisten Fällen, wo sich zwei Ansichten scharf gegenüberstehen, wird ein gemeinsames Prinzip vorausgesetzt. Hier ist es der Dualismus, der die Objekte oder Vorstellungen vom Selbst trennt und von diesem zu überwinden ist. Daraus gewinnt man den Gedanken, daß Objekte dem Kind interessant gemacht werden müssen oder auf der anderen Seite, daß das Kind die Willenskraft anstrengen muß, um das Selbst auf das fremde Objekt hinzulenken. Eine große Gefahr, die dann entsteht, wenn die Tatsachen nicht mit dem Selbst identisch sind, besteht darin, daß das Kind, obgleich es mit seiner Aufgabe scheinbar beschäftigt ist und die verlangten Resultate vorführen kann, doch gleichzeitig an etwas anderes denkt, woran es ein lebhaftes Interesse hat. Wenn eine gestellte Aufgabe nicht mit dem spontanen Interesse des Kindes übereinstimmt, so kann dieses nicht unterdrückt werden; infolgedessen eignet sich der Schüler eine Art geistigen Betruges und innerlicher Unaufmerksamkeit an. Wenn man versucht, ein Objekt interessant zu machen, so ist dies nur eine Zuflucht der Liebe des Kindes, die es am Vergnügen hat. Nun gibt es zwei Arten des Vergnügens. Das eine ist statthaft; es wird stets als Begleiter der Tätigkeit gefunden, wo immer ein Selbst sich realisiert. Das andere entspringt aus der Berührung mit der äußeren Welt, seine Reize sind wesentlich äußerlich; da sie nur künstlich anziehend gemacht werden, führen sie zur Passivität statt zur Aktivität. Dadurch werden abwechselnde Zustände der Aufregung und der Langeweile hervorgerufen, die ebenso schädlich sind wie der vorher beschriebene Zustand der psychischen Unaufmerksamkeit. Indem Professor DEWEY die Selbstrealisation als das Ziel der Erziehung hinstellt, hält er es nicht für nötig, das Interesse im Gegensatz zum Streben zu betrachten. Er hält im Gegenteil das Streben für ein Resultat des Interesses und bezeichnet es als
    "ein dauerndes Ausströmen der Tätigkeit nach einem Ziel, das als wertvoll gefühlt wird, während das Interesse das Bewußtseins des Wertes dieses Ziels und der zum Erreichen desselben nötigen Mittel ist." (14)
Das  Begehren  ist der Bestandteil des Interesses, der als Korrelat des Strebens anzusehen ist. Beide sind gegenwärtig, wenn das zu erreichende Ziel entfernt ist, d. h. wenn ein Widerstand zwischen dem wirklichen Zustand der Dinge und dem Ideal liegt. Der Wille, diesen Widerstand zu überwinden, heißt Streben, wenn man die Ideale und die zum Realisieren derselben nötigen Veränderungen ins Auge faßt. Er heißt Begehren, wenn man seine Aufmerksamkeit auf die Kräfte mit ihrer Tendenz sich nach vorwärts zu drängen, um das Ideal in das Wirklich umzugestalten, richtet. In der Tat können die beiden Arten des Willens nicht auseinandergehalten werden, eine Unterscheidung existiert nur in den Theorien der Psychologen, sie sind beide Begleiter der Selbstrealisation, wenn das Ziel entfernt ist und es sich also um das mittelbare Interesse handelt. Auf der anderen Seite läßt sich das Begehren vom Trieb unterscheiden, denn der Trieb ist eine Tätigkeit ohne einen bewußten Zweck. Auch unterscheidet es sich vom Affekt, der dann entsteht, wenn das Ziel und die Mittel einander nicht angepaßt werden können. Das normale Begehren ist vielmehr ein Affekt, der durch das Bewußtsein des Zwecks bestimmt wird; es ist intellektualisierter Trieb. Ein Merkmal des Affekts ist große Energie, und so wird das Begehren ein Reiz zu größerer Tätigkeit. Wenn ein Ziel ohne Begehren erstrebt wird, so liegt eine Heuchelei zugrunde, und es fehlt dem betreffenden Charakter an Wahrhaftigkeit. Eine Gefahr liegt im Begehren dann, wenn es zur Selbstverwöhnung führt; wenn das Vergnügen, das eigentlich nur ein Begleiter des Begehrens sein sollte, anstatt bloß die Wirkung des Vorgangs zu verstärken, selbst zum Ziel des Begehrens wird und damit das Objekt, das das Begehren zuerst erweckt, verschwindet.

Ist das Begehren eines Zieles gerade so groß, daß die Triebe in der Ausströmung ihrer Kräfte kontrolliert werden, dann haben wir es mit einem normalen Begehren oder mittelbarem Interesse zu tun. Durch diese Entwicklung des Begehrens vom ursprünglichen Trieb zum Interesse wird der Gegensatz, der nach der Meinung anderer Philosophen, so z. B. KANTs, zwischen den Trieben und Idealen besteht, überwunden. Das Ideal ist jetzt nicht mehr etwas den Trieben Fremdes, sondern es entsteht aus diesen; die Triebe streben ihrer Natur nach zum Ideal hin. Das Ideal ist die Interpretation, die das Selbst seinen eigenen Impulsen gibt. Infolgedessen hat es dynamische Qualitäten, die ihm als Motiv aufzutreten erlauben.
    "Das Motiv ist das Interesse an dem ein Ideal mit Impulus und Gewohnheit verbunden ist."
Wenn aber das Ideal nicht als Motiv tätig ist, dann ist es kein klar bestimmtes Ideal, und das Selbst ist sich seiner noch nicht bewußt. Erst wenn es klar und bestimmt ist, wird es eine Kraft, die Aktivität erzeugt.
    "Das normale Streben ist eben diese selbstrealisierende Tendenz des Ideals, dieser Kampf, der darauf hinzielt, in das Motiv überzugehen."
Wenn die Arbeit als Anstrengung und Spannung empfunden wird, dann ist das Ziel ein äußerliches und sollte nicht als eine Form der Selbstentwicklung anerkannt werden. Die Spannung ist eine künstliche und nur möglich aufgrund der Hoffnung auf eine Belohnung, der Furcht vor Strafe oder irgendeines anderen künstlichen Reizes.

Auch in der Ethik tritt das Interessante als rein wesentliches Moment der Willensprozesse auf.
    "Keine Tat bildet einen Teil des ethischen Handelns, wenn sie nicht ein Teil eines Systems von Plänen und Interessen ist."
Das ethische Handeln besteht in der Vereinigung verschiedener Elemente in einer Situation, in der der Handelnde sich zu einer Tat genötigt fühlt, zu einer Einheit von Ziel und Interesse. DEWEYs ethisches Postulat ist folgendes:
    "Die Handlung, die erforderlich ist, damit der Handelnde sich wahrhaft behauptet, ist zu gleicher Zeit diejenige Handlung, die erforderlich ist, um die Umgebung, in der er handelt, zu fördern; umgekehrt ist auch die Handlung, die zur Umgebung paßt, diejenige, die den Handelnden fördert." (15)
Bei der Analyse des ethischen Handelns findet man zunächst den Trieb. Der Trieb muß in der allmählichen Entwicklung des Menschen durch die Verbindung mit früheren Erfahrungen idealisiert werden. In dieser Weise gewinnt er einen gewissen Wert und darf  Willensakt  im eigentlichen Sinne des Wortes heißen. Der Wert eines Triebes ist die ganze Reihe von Erfahrungen, die er vermutlich verursachen wird. Der Wert einer Handlung macht das ethisch Gute oder Böse aus; also ist der Wert das erste Element einer Handlung. Wenn die erwartete Erfahrung dem ganzen System der früheren Erfahrungen zu widersprechen scheint, dann fühlt man, daß man den Trieb modifizieren muß. Dieses Gefühl ist das der Pflicht. Die Kontrolle einer Handlung durch die Pflicht ist das zweite Element, das sich in derselben unterscheiden läßt. Das dritte ist die Freiheit, denn die Idee des Müssens trägt die Idee der Freiheit in sich.

Das ethische Handeln und der Charakter bilden die Gegenstände des moralischen Urteils. Das Prädikat des moralischen Urteils wird gefunden durch die Frage: Wie weit ist irgendein Impuls mit dem ganzen Selbst verwandt? Die gute Tat verlangt eine vollkommene Wechselwirkung zwischen dem Impuls und der übrigen Erfahrung; die böse Tat dagegen ist partiell, sie drückt nicht den ganzen Organismus des Menschen aus. Die Entstehung eines Ideals des Handelns wurde schon beschrieben. Die letzte Stufe des Handelns ist die Wahl; diese bedeutet, daß eine Tat Beifall findet, und daß sie mit dem Selbst übereinstimmt. Ein Mensch, der mit sich selbst übereinstimmt, ist glücklich, und Glück darf daher mit dem ethischen Gut identifiziert werden. Das Glück ist die Befriedigung irgendeines Begehrens der Seele. Es wird durch Tätigkeit geschaffen, es erweckt dieselbe aber nicht. Das Gefühl beeinflußt also nicht, wie es der Hedonismus annimmt, das Motiv, wohl aber tut es das Gefühl im Sinne des alltäglichen Lebens, nämlich
    "ein lebhaftes Interesse für gewisse Zwecke, wobei das Interesse als Ausdruck der leitenden Richtungen der Tätigkeit zu verstehen ist." (16)
Die Motive eines Menschen sind wie seine Interessen, sie entstehen aus dem Menschen selbst. Kein Handelnder wird jemals durch ein schlechtes Motiv bestimmt, sondern er betrachtet seine Tat während der Ausführung stets als gut, wenn er dieselbe später auch als böse anerkennt. Diese Tatsache erklärt die Wahl böser Ideale, und man bedarf daher nicht wie KANT der Annahme eines angeborenen Hangs zum Bösen.

Fortschritt im moralischen Leben wird bewirkt durch die Entstehung neuer Impulse und Ideale, sowie durch die Versöhnung derselben mit den alten. Die so entstehende Anschauung und Wiedervereinigung des Selbst wird als Pflicht empfunden.
    "Der Sinn der Majestät und der Unverletzlichkeit der Pflicht ist das Bewußtsein des Bewegens, des Funktionierens des Selbst gegen eine partielle Gewohnheit." (17)
Dadurch erklären sich, ohne daß man eine höhere und niedrigere Natur anzunehmen braucht, die moralischen Phänomene der Pflicht.



LITERATUR - Lucinda Pearl Boggs Über John Deweys Theorie des Interesses, Halle/Saale 1901
    Anmerkungen
    1) The Psychological Standpoint, Mind, Bd. XI
    2) ebd.
    3) DEWEY, Psychology as Philosophical Method, Mind XI.
    4) ebd.
    5) DEWEY, Psychology, 3. Auflage, Seite 16
    6) Theory of Emotion. Psychological Review, Bd. 2, New York
    7) DEWEY, Interest as related to Will, Herbart Year Book 1895, Seite 22
    8) DEWEY, Psychology, Seite 106
    9) DEWEY, Psychology, Seite 274
    10) DEWEY, Psychology, Seite 276
    11) DEWEY, Psychology, Seite 282
    12) DEWEY, Theory of Emotion, Psychological Review, Bd. II
    13) ebd.
    14) DEWEY, Interest as related to Will.
    15) DEWEY, Study of Ethics, Seite 5
    16) DEWEY, Study of Ethics, Seite 55
    17) DEWEY, Study of Ethics, Seite 110