p-4K. MarbeF. HillebrandC. GüttlerJ. EisenmeierH. Cornelius    
 
GEORG ANSCHÜTZ
Über die Methoden
der Psychologie

[2/3]

"Ein Hauptmoment, welches zu einer wesentlichen Irrtumsquelle werden kann, ist die Deutung oder Interpretation der einzelnen Angaben der Beobachter. Eine erste Frage, welche in dieser Richtung geht, wäre diejenige danach, ob und wie weit denn der Beobachter überhaupt selbständig aussagt und wie weit er nicht etwa durch die Fragestellung beeinflußt ist. Daran schließt sich unmittelbar jene andere an, ob sich bei ihm nicht irgendwie unbewußtermaßen eine Einstellung herausgebildet hat, eine Art von Erwartung oder ein unbemerktes Vorurteil. Endlich aber kommt die sehr wesentliche Frage - wesentlich, weil sie oft schwer zu entscheiden ist -, welche danach fragt, ob und wie weit der Beobachter in seinen Äußerungen einen reinen, ungetrübten Eindruck wiedergibt oder inwieweit dieser wiedergegebene Eindruck nicht etwa ein solcher ist, der bereits eine mehr oder weniger deutliche Kritik von seiten der Reflexion erfahren hat."


III. Die mittelbaren Methoden und das
Problem der exakten Forschung

[Fortsetzung]

Jene ihr charakteristische Voraussetzung von Zusammenhängen eigener Art im Bewußtsein und deren Deutbarkeit aufgrund des Experiments läßt sich noch näher bezeichnen. Die gemeinten Zusammenhänge sind z. B. in den Regeln des Assoziierens, Auswendiglernens und Behaltens, Aufmerkens usw. ausgedrückt. Daß die Probleme, welche sich hier eröffnen, unzählig sind, ist allgemein bekannt. Zugleich zeigt sich auch zwischen ihnen und der Praxis des Lebens ein enger Zusammenhang. Sie verkörpern ein selten konkret faßbares Gebiet der Psychologie. Man denke nur an den hohen Prozentsatz unter allen psychologischen Experimenten, der auf den Gedächtnisversuch fällt. Nächst diesem Gebiet hat dasjenige der Assoziation wesentliches Interesse gefunden. Das der Aufmerksamkeit war bis vor kurzem noch ziemlich unbearbeitet, bis in neuerer Zeit z. B. OTTO KLEMM (1) ausgedehntere Untersuchungen in dieser Richtung angestellt hat. Wegen des großen Umfangs jener Probleme ist auch ihre Einteilung etwas erschwert. Jedenfalls aber kann eine ganz allgemeine in dem Sinne aufgestellt werden, daß man die einfacheren Erscheinungen den komplizierteren gegenüberstellt. Die experimentelle Psychologie aber wird analog jeder anderen Wissenschaft naturgemäß vom Einfachen zum Komplizierteren übergehen, da sich dieses letztere in gewissem Sinne auf jenes aufbaut. Sie verfolgt dabei insbesondere den analogen Weg wie auch die Psychophysik, die, mit den einfachsten Reizen und Empfindungen und deren Wechselbeziehungen beginnend, zu immer komplizierteren Fragen fortschreitet. Welches nun die "Elemente" des Seelenlebens sind, diese Frage ist zumeist zugunsten der Empfindungen entschieden worden, ein Standpunkt, der dann als berechtigt gelten darf, wenn die Empfindungen als Elemente nich in dem Sinne genommen werden, wie sie auf naturwissenschaftlicher Seite (2) gern verstanden werden, nämlich als grundlegende, eventuell gar konstituierende Elemente des Bewußtseinslebens, sondern lediglich im Sinne der elementarsten, d. h. der einfachsten Bewußtseinserscheinungen.

Mit jener Behauptung, die Empfindungen seien die Elemente des Seelenlebens, ist aber noch nichts Wesentliches gesagt, und eine präzisere Aufstellung und Abgrenzung der für die experimentelle Psychologie in Betracht kommenden psychischen Erscheinungen ist eine Aufgabe von selten großer Tragweite für die Erkenntnis der psychischen Tatsachen. Bei einer derartigen Erwägung müssen wir von vornherein viele der inneren Wahrnehmung überhaupt nicht zugänglichen Objekte ausschalten, nämlich die absolut originellen und streng genommen nur erlebbaren Erlebnisse. Auf der anderen Seite fällt unser Blick sogleicht auf andere Tatsachen, die nur dem Experiment zugänglich sind, nämlich diejenigen, welche lediglich an einer Menge von Fällen beobachtbar sind, mögen nun diese Fälle an einem Individuum, oder aber an mehreren, oder schließlich an ganzen Volksmassen stattfinden. Dann bleibt uns noch das nunmehr allgemein abgegrenzte, aber immer noch ungebeuer weite Gebiet derjenigen psychischen Erlebnisse, die auch der inneren Wahrnehmung zugänglich sind und deren Erkenntnis das Experiment in gewisser Hinsicht vervollständigen soll. Nehmen wir aber auch hier auf die Forderung Rücksicht, daß mit dem relativ Elementaren begonnen werden soll, und sehen wir von den bereits erwähnten Empfindungen selbst ab, so können also solche nur diejenigen in Betracht kommen, welche in den sinnlichen Empfindungen impliziert stecken und zunächst einer Explikation zum Zweck einer Untersuchung unterzogen werden müssen. Dergleichen allgemeinere psychische Phänomene aber sind sehr geläufig.

Ein paar Beispiele für die Heraussonderung und Aufstellung von Problemen aus einzelnen komplexeren psychischen Erscheinungen wird das Gemeinte zu veranschaulichen imstande sein. Eine komplexere psychische Tatsache haben wir z. B. dann, wenn jemand, der einer Versammlung beiwohnt und mit seinen Gedanken abwesend ist, durch einen Freund, der ihm auf die Schulter klopft, aufgeweckt wird und aufmerkt, oder wenn ein Musiker beim Anhören einer Symphonie sich ganz in diese verliert, bis ihn ein falscher Ton im Orchester oder das Mitpfeifen seines Nachbarn aufstört, oder wenn ein Politiker in zufälligerweise und gleichgültig ergriffenen Zeitung auf die Meldung eines interessanten diplomatischen Aktes aufmerksam wird usw. Aller derartigen psychischen Phänomene sind psychologische Probleme, aber die experimentelle Psychologie greift sie nicht in jener "unbeschnittenen" Form auf, sondern sie läßt ihrer Untersuchung eine genaue, womöglich sehr weitgehende Abgrenzung und Beschränkung des zu erforschenden Tatbestandes vorangehen. Sie richtet ihr Augenmerk, um auf die angeführten Beispiele zurückzugreifen, nicht auf das Aufmerken des Versammlungsmitgliedes, des Musikers oder Politikers, sondern auf das Aufmerken schlechthin, sofern es sich an Empfundenes, an sinnliche Eindrücke optischer, akustischer oder anderer Art anschließt oder bereits in diesen zum Ausdruck kommt. Es wird freilich niemals die Aufgabe unternommen werden können, derartige Phänomene in ihrer Isolierung greifen zu wollen, sondern jederzeit in einem gewissen, nunmehr aber willkürlichen und planmäßigen, d. h. nach bestimmten Prinzipien herbeigeführten Zusammenhang. Während so gewissermaßen eine Verallgemeinerung der Aufgabe für die experimentelle Psychologie eingetreten ist, müssen wir auf der anderen Seite stets eine Spezialisierung vornehmen, die freilich nicht in der Gesamtheit des Problems, wohl aber in den einzelnen Etappen seiner Behandlung liegen soll. Denn da nun einmal ein Aufmerken usw., wenn es sich um ein sinnliches handelt, stets auf ein bestimmtes Empfindungsgebiet bezogen ist und auf einem bestimmten Sinnesorgan beruth, da mit anderen Worten psychische Individuen nicht überhaupt, sondern mit Hilfe der Sinnesfunktionen in Verbindung mit der Welt der äußeren Reize stehen, so scheint die Bemerkung fast überflüssig, daß auch das psychologische Experiment auf jene Tatsache Rücksicht nehmen und zunächst das Aufmerken nur untersuchen soll, sofern es in einer Empfindung von ganz bestimmtem Charakter zum Ausdruck kommt. Außer dieser natürlich gegebenen Motivation für die Art der Versuche ist aber noch ein tieferen Sinn aufzeigbar. Denn da das psychologische Experiment die Erforschung der Aufmerksamkeit, sofern sie im Hören, Sehen, Tasten usw. zum Ausdruck kommt, nicht als Endzweck ihrer Untersuchung betrachtet, sondern jene Spezialisierungen ihrer Fragen nur als natürlich gegebene Mittel zur Erreichung eines anderen allgemeineren ansieht, nämlich der exakten Erkenntnis seelischer Tatsachen überhaupt, so werden wir ihr, da sie einmal jederzeit auf irgendwelche Vermittlungen der psychischen Objekte angewiesen ist, in den einzelnen Gebieten der Sinne sogar willkommene Varianten zuerkennen müssen, mit Hilfe derer sie später imstande ist, von den gefundenen Tatsachen des optischen, akustischen und taktilen Aufmerkens die nur zufälligen und unwesentlichen Elemente jener Phänomene auszuscheiden und die allgemeinen Tatsachen des sinnlichen Aufmerkens herauszufinden. Die Zufhilfenahme der exakten Untersuchung der einzelnen Sinnesgebiete in dieser Hinsicht ermöglicht ihr also ein wesentliches Vordringen über die bloßen Empfindungen hinaus aufgrund exakter Methoden. Von diesem Gesichtspunkt aus aber ist absolut deutlich, wie die experimentelle Psychologie eine ganz ausgeprägt empirische Wissenschaft ist. Im Vergleich zur Physik könnte sie fast als noch empirischer erscheinen, da bei ihr das Moment der Erfahrung - wovon später noch zu reden sein wird - eine praktisch bedeutsamere Rolle spielt. Denn während sich die physikalische Betrachtung oft mit wenigen Fällen begnügen und die weitere Beobachtung nichts Neues mehr bringen kann, gilt vom psychologischen Experiment die Behauptung, es sei umso vollkommener, d. h. es nähere sich dem von ihm angestrebten Ziel der genaueren Erkenntnis des Seelenlebens umso mehr, je mehr Fälle die Erfahrung aufzuweisen hat. Natürlich gilt diese Behauptung nur in einem bestimmten Sinn. Aber es ist in der Tat ein eigenartiges Moment, das sich nur in der Historie und in der Nationalökonomie wiederfindet, nämlich daß eine Mehrzahl von Fällen in gewissem Sinne auch eine bessere Erkenntnis zu vermitteln imstande ist. Der Gedanke der Erfahrung kann daher im psychologischen Experiment, von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, gar nicht genug Anwendung finden, da, sobald er vernachlässigt oder eingeschränkt wird, auch die Erkenntnis der Tatsachen eine lückenhafte wird.

Was wir hier unter einer möglichst weitgehenden Anwendung des Gedankens der Erfahrung verstehen, bezeichnet man auch mit dem Prinzip der Variation der Fälle. Diese Variation muß also jedenfalls angewandt werden, wo sie überhaupt möglich ist. Die Möglichkeiten dazu aber sind natürlicherweise unbegrenzt. Zunächst weist schon das einzelne als Beobachter herangezogene Individuum große Varianten in seiner Disposition oder allgemeinen Zuständlichkeit während der verschiedenen Versuche, die ja zu verschiedenen Zeiten stattfnden, auf; es beobachtet somit stets unter natürlich abgeänderten Bedingungen. Zu dieser allgemeinen und natürlich gegebenen Variation kommt dann jene, die man in verschiedenen Versuchsreihen betreibt, bei denen besonders die Gegenstände einer planmäßigen Veränderung und Umwandlung in mehrfacher Hinsicht unterzogen werden. Es sei nur wieder daran erinnert, daß sie in einem optischen, akustischen oder taktilen Eindruck gegeben oder endlich sogar in einem zugerufenen Wort bestehen können. Ferner aber sind die Gegenstände in sich selbst weitgehend zu variieren, indem sie bald einfachere, bald kompliziertere Gestalt annehmen. Eine weitere Variation gegenüber der der Gegenstände besteht in der Heranziehung verschiedener Versuchspersonen, in deren Reihe das Prinzip planmäßiger Abänderung weit mehr angewendet werden sollte, als es bisher geschehen ist. Mit Recht bemerkt RIBOT (3), daß in der fast ausschließlichen Heranziehung von Studenten oder sogar von Fachpsychologen ein Fehler gemacht wird, da in diesen Leuten trotz einer mit aller Energie betriebenen Abstraktion eine Menge von Begriffen wirksam sind, die naturgemäß, wie an alle Dinge, so auch in gewissem Maß an die zu beobachtenden Gegenstände herangebracht werden. Die subjektive Überzeugung einer vollkommenen Abstraktion von diesen und die vollkommener Unbefangenheit kann hier den Schaden nur vergrößern. Es ist zwar keineswegs der Vorteil zu verkennen, den gerade auch die Heranziehung von Fachpsychologen zur Rolle des Beobachters bei psychologischen Experimenten darstellen kann, da diese in der Selbstbeobachtung eine bessere Schulung zu haben pflegen als der erste Beste aus der Masse. Aber es kann nur von Vorteil für die psychologische Erkenntnis sein, deren Interesse doch nicht nur im Seelenleben der Psychologen, sondern in dem des Menschen überhaupt liegt, wenn zu den Versuchen Leute verschiedenen Alters, Geschlechts und wenn möglich verschiedener Nation herangezogen werden. Dann kommt die Variation hauptsächlich insofern wesentlich mehr in Betracht, als auch in hervorragendem Maße verschiedene Interessen und verschiedene Temperamente wirksam sind (4).

Wenn wir schließlich noch eine ganz spezielle Art der Variation treiben wollen, so kann die Rolle des Experimentators gelegentlich mit der des Beobachters vertauscht werden. Daß man hierbei mit größter Vorsicht vorgehen muß, ist natürlich, und von einem gewissen Gesichtspunkt aus wäre sogar die Behauptung nicht unberechtigt, daß der Experimentator selbst die allerschlechteste Versuchsperson bei seinen eigenen Untersuchungen ist. Zweifellos treten bei seinen Beobachtungen die bereits bei anderen Leuten vorhandenen Fehlerquellen möglicher Voreingenommenheit und Befangenheit wesentlich in den Vordergrund. Aber wenn er sich einmal dieser Tatsache ausdrücklich bewußt ist und von ihr weitgehend zu abstrahieren sucht, ferner aber diese Rollenvertauschung erst dann einführt, wenn bereits gewisse Resultate vorliegen, und endlich die eigenen Beobachtungen nicht denen der anderen an die Seite stellt oder sie sogar mehr wertet als jene, sondern sie lediglich dazu benützt, um gewisse Dunkelheiten und Unklarheiten in den Äußerungen seiner anderen Beobachter zu beheben - ein Moment, das von ganz wesentlicher Bedeutung ist -, dann dürfte dieser Griff eine günstige Vervollkommnung des Gesamtversuches bedeuten. Sieht man aber von diesen Vorteilen ab, so bleibt noch ein anderes Interesse, als dann allerdings von der engeren Problemstellung bei den entsprechenden Versuchen etwas abweichen wird, nämlich dasjenige, wie weit gegebenfalls die Differenz in den Ergebnissen der relativ unbefangen beobachtenden Versuchspersonen und des von seiner natürlichen Befangenheit weitgehend abstrahierenden Experimentators in der Rolle des Beobachters gehen kann, bzw. wie weit sie auf ein Minimum reduzierbar ist. Derartige Untersuchungen sollten bei allen Versuchen experimenteller Art einen Bestandteil bilden. Sie würden nicht nur zur Auffindung und Klärung bisher weniger bekannter Tatbestände beitragen, die sich in Bezeichnungen wie "die Suggestibilität der Versuchspersonen" oder "die Beeinflussung der Resultate durch suggestive Momente fassen ließen, sondern auch jede einzelne Untersuchung vor etwaigen Schäden bewahren können, die sich in dieser Hinsicht mit ungeahnter Leichtigkeit einzuschleichen imstande sind. Wie keine erkenntnistheoretische Betrachtung über die "Erkenntnis" ohne eine wesentliche Berücksichtigung des "Irrtums" auskommt, wie die Logik nicht nur das richtige Urteilen und Schließen, sondern auch bloße vermeintliche Urteile und Trugschlüsse zu behandeln hat, wie weiterhin die Ästhetik auch vom Häßlichen und die Ethik auch vom Schlechten zu reden hat, und wie auf der anderen Seite auch die Arithmetik gut tut, Trugformeln, und die Astronomie, subjektive Beobachtungsfehler aufzuweisen, so hat auch eine Betrachtung der psychologischen Forschung, zumal, soweit sich diese auch des Experimentes bedient, die ihr eigentümlichen Irrtumsquellen zu finden. Natürlich aber hat sie an dieser Untersuchung kein rein theoretisches Interesse, sondern sie treibt dieselbe nur, weil jede Erkenntnis eines Irrtums den ersten Schritt zu dessen Beseitigung bedeutet. Daß nun in der experimentellen Psychologie die Irrtumsquellen in großer Zahl auftreten, daß sie sowohl im Beobachter, wie auch in den beobachteten Gegenständen, schließlich aber auch in der ganzen Versuchsanordnung und nicht weniger in der Registrierung der Resultate durch den Experimentator und in dessen Verwertung derselben liegen, bedarf nicht von Neuem der besonderen Hervorhebung, und des soll hier nur unsere Aufgabe sein, auf einige Mittel zu ihrer Fernhaltung und Eliminierung hinzuweisen.

Ein allgemeines und bereits angedeutetes Mittel liegt in einer genaueren Spezialisierung und Abgrenzung des zu behandelnden Problems, welche sowohl auf den Wert der Resultate als auch auf deren Klarheit und Verständlichkeit von weittragendem Einfluß ist. Es ist eine ganz natürliche und fast notwendige Folge, daß sich aus einer zu weiten Fassung des Problems analoge Schwierigkeiten ergeben wie aus der Aufstellung eines zu umfassenden Begriffsumfangs in jeder Wissenschaft. In der Mathematik würde der Begriff der Linie, wenn nicht aus ihm der der Strecke als des Begrenzten herausgenommen würde, ein zu weiter sein. Vor allem tut die Psychologie nicht gut, ihre Begriffe zu weit zu fassen. Wenn jemand die Apperzeption und die heute sogenannte Assoziation unter den allgemeineren dieser letzteren zusammenfaßt, indem er auf das Gemeinsame beider blickt, so ergeben sich die bekannten, fast unüberwindbaren Schwierigkeiten. Die Forderung, die HANS CORNELIUS (5) aufstellt, nämlich die, daß die Psychologie mit möglichst wenig Begriffen auszukommen trachten muß, ist daher mit Rücksicht auf die sich ergebenden, gewissermaßen praktisch zu nennenden Schwierigkeiten nicht anzuerkennen. Speziell beim psychologischen Experiment aber zeigen sich die Konsequenzen insofern in besonders schroffer Form, als auch die Ergebnisse eine entsprechend weite und wenig klare Gestalt haben werden, ein Umstand, der an das Interpretationsvermögen des Experimentators zu hohe Anforderungen stellt, denen dieser zumeist gar nicht vollkommen genügen kann. Wenn man z. B. das Problem der Assoziation ins Auge faßt und im Zusammenhang experimentell-ästhetischer Untersuchungen komplizierte Gemälde als zu beobachtende Gegenstände wählt, an die nun assoziiert werden soll, so tritt, abgesehen davon, daß allen experimentell-ästhetischen Versuchen, weil sie noch sehr in den Anfängen sind, einiges Mißtrauen entgegengebracht werden muß, eine fast unlösbare Aufgabe in der Deutung der betreffenden Aussagen der Beobachter auf, auch wenn man exakte Zeitmessungen vornimmt. Die zu findenden Tatbestände werden wegen der großen Bedeutung, die bei ihrer Aufstellung der Interpretation des Experimentators zufällt, selten über vorher bekannte oder speziell vom Versuchsleiter hypothetisch aufgestellte Thesen hinausgehen. Erst wenn einmal entsprechende einfachere Phänomene bekannt sind, etwa die Assoziation bei einfachen Farben und Farbenzusammenstellungen, bei einfacheren und komplizierteren geometrischen Figuren und skizzierten Gegenständen der Erfahrung, endlich auch bei Tönen und Tonschritten, einzelnen Wörtern und Begriffen, kann ein Fortschreiten zu Versuchen der angegebenen Art als möglich gelten. Aber auch hier muß das Elementarere stets im Auge behalten werden, und man darf ferner die Tatsache nicht übersehen, daß elementare und andere elementare Phänomene in ihrem Zusammenhang nicht etwa als eine Summe aus beiden gelten dürfen, sondern daß sowohl am Gegenstand für den Betrachter, als auch in diesem selbst eine Komplexion und die mit ihr koinzidierende Relation hinzukommt (6). Die an einem Gesamtgegenstand entgegentretende "Gesamt- oder Gestaltqualität", gleichgültig, wie man diese des Näheren definieren mag, hat im beobachtenden Subjekt ein Korrelat, das natürlicherweise die Äußerungen beeinflußt.

Der Weg vom Einfachen zum Komplizierten wird aber nicht überall gleich deutlich zu ersehen sein. Wo es sich freilich um derartige Erlebnisse handelt, die ihrer Natur nach mit den Empfindungen und Wahrnehmungen, diesen "Randphänomenen" des Bewußtseinsgebietes, in einem engen Konnex stehen, wie etwa die Tatsachen des Aufmerkens, Assoziierens usw., da ist jener Weg leichter erkenntlich. Wenn aber solche Phänomene in Betracht kommen, die einen abstrakteren Charakter haben und nicht ebenso eng mit den Empfindungen zusammenhängen, wie z. B. das Urteilen, die gedanklichen Trennungen und Kombinationen, Willensakte, gegenstandslose Gefühle, Stimmungen usw., da ist die Trennung des Einfacheren vom Komplizierteren für eine experimentelle Untersuchung nicht ebenso einfach, wie ja überhaupt diese Erscheinungen einer exakteren Erforschung größere Schwierigkeiten bieten. Mit einem gewissen Recht kann man auch in der experimentellen Psychologie eine analoge Scheidung machen wie in der Psychophysik, indem man einerseits von solchen psychologischen Experimenten spricht, die sich auf relativ äußere, auf Randphänomene beziehen, und andererseits von solchen, die es mit den zentraleren Bewußtseinstatsachen zu tun haben, eine Analogie, die auch mit Rücksicht auf die relative Schwierigkeit einer genauen Erkenntnis gelten kann. Daß man im allgemeinen die Phänomene der Empfindung, Wahrnehmung und Vorstellung als relativ periphere den abstrakteren und zentraleren des Denkens, Fühlens und Wollens gegenüberstellt, wird mit Rücksicht auf den Umstand als berechtigt erscheinen, daß jene Einteilung lediglich dem Zweck größerer methodischer Klarheit im psychologischen Experiment dient und daß damit keineswegs etwa eine fest fixierbare Grenze angegeben sein soll, wie ja überhaupt im Bewußtsein strenge Abteilungen nicht zu machen sind.

Der Gedanke einer klaren Fragestellung, einer bestimmten Abgrenzung bei einer Aufgabe und der mit ihm zusammenhängende des Ausgehens vom Einfachen zum Komplizierten kann nun so verstanden werden, als sollte die experimentelle Psychologie zunächst überhaupt nur die "Randerscheinungen" der gesamten Bewußtseinssphäre untersuchen. Diese Forderung wird zweifellos so gut berechtigt sein, wie auch die Psychophysik zunächst die Gesetzmäßigkeit in den Beziehungen zwischen Empfindung und Reiz festzustellen hat, ehe sie an die problematische Aufgabe der Feststellung von gesetzlichen Beziehungen zwischen höheren seelischen der geistigen Phänomenen und Körperwelt herantreten kann. Aber da nun einmal jene Grenze wie für die Psychphysik, so auch für die experimentelle Psychologie keine fest zu ziehende ist, so kann auch jene Forderung keine allgemeine schlechtweg zu erfüllende sein. Zwar müssen wir auch in der experimentellen Psychologie immerhin eine gewisse Kenntnis von der genaueren Beschaffenheit der Randphänomene haben, ehe wir an die weiteren Aufgaben herantreten. Aber da nun einmal an vielen Punkten der Zusammenhang zwischen relativ inneren und relativ äußeren Phänomenen ein sehr enger ist, so werden wir von vielen Untersuchungsgebieten in der Randsphäre wie von seolbst auf Grenzgebiete und weiterhin auf zentralere Sphären hingeleitet. Es sei nur an die tausendfältigen Formen erinnert, die das Gefühlslehen aufweist. Das Elementargefühl der Lust etwa kann von der einfachsten Lust an einer ganz primitiven sinnlichen Empfindung, z. B. einer Farbe, einem Ton, seine Gestalt so weit verändern, daß es nicht nur ästhetische und ethische Lust an Kunstwerken, Handlungen und der Erscheinung von Persönlichkeiten ist, sondern daß es schließlich in einer ganz gegenstandslosen Bewußtseinslage, einer ganz innerlichen Stimmung erscheint und somit trotz aller realiter möglichen Zwischenstufen in einen ausdrücklichen Gegensatz zur sinnlichen Lust an Empfindungen zu stellen ist. Nicht umsonst bezeichnet auch die Sprache mit dem einen Wort "Schmerz" die zahlreichen Phänomene, welche sich von der einfachsten Schmerzempfindung in mannigfachen Übergängen z. B. durch ein "schmerzlich-Berührtsein" durch Worte, ja womöglich nur durch grelle Eindrücke optischer oder akustischer Art bis zu dem inneren Schmerz, etwa dem tiefen Weltschmerz, in ihrer Qualität abstufen. In solchen Tatsachen aber liegen die natürlichen Fingerzeige aus der Welt bloßer Randphänomene in die der innersten Gedanken- und Gemütsbewegungen. Und wenn auch die experimentelle Psychologie die unbegrenzte Verfolgung der seelischen Phänomene zunächst nur als ein Ideal in nebelhafter Ferne zu betrachten hat und vielleicht zu allen Zeiten wird betrachten müssen, so kann man ihr doch den Versucht, unsere exakten Erkenntnisse soweit wie möglich in die Welt des Seelenlebens auszudehnen, nicht verübeln; ja man wird in ihm nur ein konsequentes Weitergehen von den natürlich gegebenen Ausgangspunkten zu erblicken haben. Es ist kein bloßer Zufall, daß das exakte psychologische Experiment, welches zunächst aus dem psychophysischen hervorgewachsen ist, in neuester Zeit eine Erweiterung erfahren hat, die sich die experimentelle Forschung der komplexeren Phänomene als ideales Ziel gesetzt hat (7).

Ein zweiter sehr wesentlicher Faktor, welcher zur Verhütung von Fehlerquellen, hauptsächlich soweit diese in der Verfassung der Beobachter zu suchen sind, dient, besteht in der Aufgabenstellung, die diesem letzteren beim Versuch erteilt wird. Der Begriff der Aufgabe hat in der experimentellen Psychologie naturgemäß einen ganz anderen Sinn als in der Physik, Chemie, Botanik, Physiologie usw. Während bei diesen die Aufgabe den Experimentator angeht, nicht aber seine Hilfsmittel, mit denen er manipuliert, spielt die Aufgabenstellung im psychologischen Experiment eine wesentlichere Rolle, als sie unmittelbar zur Auffindung der gesuchten Erkenntnis dienen soll und somit ein wesentlicher Faktor beim Versuch ist. Sie wirkt eben in denjenigen Hilfsmitteln, die die psychologische Erkenntnis fördern und ergänzen sollen nämlich in den Beobachtern, und liefert zur Gewinnung brauchbarer Resultate einen wervollen Beitrag. Die Aufgabenstellung leistet somit zwei wesentliche Dienste. Einerseits ist sie der Grund für ein gewisses Interesse beim Beobachter und gibt diesem sogar eine Einstellung in ganz bestimmter Richtung; andererseits aber dient sie einem ähnlichen Zweck wie das oben genannte oszillierende Vergleichen; sie wirkt dem Aufkommen zufälliger und unberechenbarer Bewußtseinselemente entgegen und sorgt somit gewissermaßen für eine Konstanz in der Disposition. Wenn aber einmal der Wert der Aufgabe erkannt ist, so besteht die natürliche Konsequenz in ihrer ausdrücklichen Betonung. Diese aber wird nicht nur in Form wiederholter mündlicher Erteilung bestehen, sondern auch in ihrer Einübung mit Hilfe einer eventuelle sehr großen Reihe von Vorversuchen, die übrigens wegen vieler anderer Vorteile von großem Wert sind.

Daß wir in der Aufgabenstellung ein ganz fundamentales und zugleich natürlicherweise nahegelegtes Hilfsmittel zu sehen haben den aus der unsteten und unkontrollierbaren Disposition sich ergebender Fehlerquellen entgegenzuarbeiten, zeigt schon die Tatsache, daß im Bewußtseinsleben jederzeit eine Menge teils offenkundig bewußter, teils halb- oder unklar bewußter Elemente wirken, die auch in jeder Einzeläußerung direkt oder indirekt zum Ausdruck kommen. Denn wenn die Aufgabe und die Aufmerksamkeit des Beobachtenden nicht in ganz bestimmter und ausgeprägter Weise wirksam wären, wo würden all jene vielleicht nur potentiell oder latent im Bewußtsein vorhandenen Elemente zur Aktualität erwachen können, ein Geschehen, das aber der Experimentator nicht direkt beobachten kann und auf das er nur durch gelegentliche Fragen an den Beobachter und die entsprechenden Äußerungen derselben aufmerksam gemacht werden kann. Es ist vor allem zu bedenken, daß jedes Individuum ohne Rücksicht auf seine speziellere Konstitution gewisse persönliche Anlagen, Interessen und bewußte oder unbewußte Neigungen oder Abneigungen, Intentionen oder Absichten an die Versuche ebensogut wie an alles, was ihm im Leben begegnet, heranbringt, und daß diese Tatsache von sehr großer Tragweite ist, ja daß ohne ihre Berücksichtigung alle psychologische Erkenntnis, die sich prinzipiell im Experiment anderer Individuen bedient, nur eine lückenhafte sein kann, so interessant ansich die Beobachtung sein mag, wie auf gleiche Eindrücke von verschiedenen Individuen, zumal wo es sich um komplizierte Versuche handelt, in gänzlich anderer und oft ganz origineller Weise reagiert wird. In derartigen Fällen aber wäre wieder der Interpretation ein sehr weites Feld zugestanden, und die mannigfachsten spekulativen Hypothesen gewännen von Neuem Eingang. Mit der Aufgabenstellung in unmittelbarem Zusammenhang steht die Erteilung einer gewissen Instruktion, die in einer möglichst vollkommenen Gestalt als ein vortreffliches Mittel gelten darf, um die Disposition des Beobachters in bestimmte Bahnen zu lenken und so zur Herbeiführung ihrer Konstanz wesentlich mitzuwirken. Die Instruktion erschöpft sich nicht in einer ausführlichen Darlegung der Aufgabenstellung, sondern sie enthält direkte und indirekte Anweisungen bezüglich des gesamten Verhaltens während des Versuches. Zunächst kann in allgemeiner Weise auf die zu beobachtenden Objekte im Voraus hingewiesen werden, und zwar in der Weise, daß der Versuch weder etwas ganz Neues und Unerwartetes, noch aber etwas Erwartetes bieten wird. Die Instruktion soll also möglichst neutral gehalten sein. Außerdem kann sie sich aber auch auf das speziellere Verhalten bei den Einzeleindrücken beziehen. Bei einfachen Versuchen wird sie z. B. dahin lauten, daß der Beobachter möglichst gleich antworten und nicht reflektieren soll; bei Versuchen, deren jeder aus mehreren Eindrücken besteht, kann etwa verlangt werden, der Beobachter soll während der Zwischenzeit den ersten Eindruck möglichst gut festzuhalten versuchen, damit er dieses Festhalten später genauer beschreiben kann, oder er soll während ihres Verlaufes seine Gedanken nach Möglichkeit abstellen und seine Einstellung für den folgenden Eindruck möglichst neutral gestalten.

Im allgemeinen kann die Behauptung aufgestellt werden, daß eine Instruktion umso bessere Dienste leistet, je mehr sie - natürlich bis zu einem gewissen Grad - die Aufmerksamkeit während des ganzen Versuches in Anspruch nimmt. Denn gerade auf diese Weise ist die meiste Gewähr geleistet, daß fremdartige Elemente, die den Wert des Versuches in ungünstigem Sinne beeinflussen können, an ihrem Aufkeimen verhindert werden. Vor allem aber ist auch einem nicht gewollten Assoziieren an das zu Beobachtende entgegengearbeitet. Jedermann kennt die Tatsache, daß die Aufmerksamkeit nicht bei einem bestimmten Gegenstand stehen zu bleiben, sondern von ihm unwillkürlich auf anderes überzugehen strebt, so daß sogar eine Tendenz, vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen vorliegt, die sich auch bis zu einem gewissen Grad realisiert, wenn ihr keine abstrahierende und konzentrierende Bewußtseinstätigkeit entgegenwirkt. Die Erscheinungen der Ideenflucht, so pathologisch auch ihr Aspekt sein mag, verkörpern in der Tat eine jederzeit und bei jedermann vorhandene Tendenz, die nur mehr oder weniger durch die entsprechende Gegentendenz neutralisiert sein kan. Diese Neutralisation aber wird beim psychologischen Experiment dann am meisten erreicht sein, wenn die Instruktion im Beobachter so wirkt, als wäre sie eine selbstgegebene. Von diesem Gesichtspunkt aus stellen hypnotische Versuche ein Ideal dar, da im Zustand der Hypnose das Individuum die Instruktion des Suggestors unmittelbar nicht nur als selbst gegeben, sondern bereits sogar als realisiert erlebt.

Da aber mit hypnotisierten Individuen aus zahlreichen Gründen nicht immer und sogar nur selten experimentiert werden kann, so ist es erforderlich, die Instruktion so zu gestalten, daß sie vom Beobachter möglichst gut angeeignet wird. Das natürliche Mittel hierzu liegt in der Wachrufung des Interesses, das sich entweder auf die Gegenstände oder besser auf den Versuch selbst bezieht. Dabei braucht die Versuchsperson gar nicht vom genauen Gang und dem Ziel des Versuches zu wissen; ein diesbezügliches Wissen würde sogar die Unbefangenheit wesentlich beeinflussen und somit eine notwendige Vorbedingung aller psychologischen Experimente verkennen. Aber die Weckung des Interesses ist auch möglich, ohne daß dem Beobachter speziellere Angaben gemacht werden. Entsprechende Zwischenversuche, die aus der eigentlichen Reihe herausfallen, aber auch Zwischenbemerkungen werden den monotonen Charakter, den die meisten psychologischen Experimente in den Laboratorien für die Versuchsperson haben, günstig zu modifizieren fähig sein. Es scheint fast eine selbstverständliche Tatsache, daß man mit gähnenden Leuten oder mit solchen, die das Ende der Versuchszeit innerlich herbeiwünschen, ja endlich auch mit denen, die so mitmachen, weil sie einmal angefangen haben, aber ebensogut auch wieder aufhören würden, keine brauchbaren Resultate erzielen kann, da nicht das Seelenleben des Gelangweilten untersucht werden soll. In der Tat aber können auch Bemerkungen, die den Beobachter scheinbar in den Gang der Versuche einweihen, so neutral gehalten sein, daß von einer Befangenheit in keinem Sinn gesprochen werden darf. Versuche einfacher Art können davon Zeugnis ablegen. Vor allem ist dabei zu bedenken, daß auch eine planmäßig erzielte Unwissenheit beim Beobachter vielfach in dem Sinne schädlich wirkt, als jener, gleichsam auf Selbsthilfe angewiesen, sich selbständig eine Vorstellung zu machen sucht, worin denn nun eigentlich der Zweck der Sache liegt und worauf die Versuche hinauslaufen. Es ist aber ein bekannter Umstand, daß sich die Versuchspersonen auch mit allgemeinen Angaben abfinden lassen, und wenn sie auch die einzelnen Versuche nicht mit jenen in einen Zusammenhang bringen können, so doch meinen, sie müßten wohl mit dem Angegebenen zu tun haben; und sowohl ihre Angaben wie auch die Beobachtungen deuten darauf hin, daß in der Tat aus einer allgemeinen Bekanntheit mit dem Problem keine Befangenheit, sondern nur ein gesteigertes Interesse erwächst. Allerdings ist bei allen derartigen Dingen eine weitgehende Vorsicht am Platz.

Bei jeder Instruktion ist schließlich noch auf ein Moment zu achten, nämlich auf eine gegebenenfalls in ihr liegende Suggestion, die unbedingt vermieden werden muß. Entweder kann diese in der Frage und in den sonstigen Worten und Bemerkungen natürlicherweise liegen, so daß sie also für jedes beliebige Individuum in Betracht käme. Oder aber die Formulierung ist zwar ansich neutral, aber der Beobachter sieht in ihr aus irgendwelchen, in der Regel nicht aufweisbaren Gründen etwas, das zur suggestiven Beeinflussung Anlaß geben kann, so daß sich also ungewollte und oft auch schwer kontrollierbaren Tendenzen einstellen. Häufig meint der Beobachter, es müsse einmal anders kommen", oder es müsse "noch ebenso kommen", wie eine nachträgliche, seitens des Experimentators gestellte Frage aufzeigen kann, und doch kann für derartige Phänomene im Einzelnen kein Grund und Anlaß aufgezeigt werden. Solche Fälle unwillkürlicher oder selbstgegebener Einstellung sind daher so gut wie jede ausgeprägte Autosuggestion ein schlimmer Feind jeder psychologischen Untersuchung experimenteller Art, zumal gerade hier die Kontrolle sehr schwer ist und der Beobachter von derartigen Tatbeständen oft selbst nichts weiß oder ihm zumeist nichts derartiges auffällt. Es muß daher die Forderung aufgestellt werden, seine Einstellung von Zeit zu Zeit durch ganz allgemeine Fragen, die sich auf seine Gedanken und seinen augenblicklichen Bewußtseinsinhalt einschließlich seiner Gefühle und Tendenzen beziehen, zu neutralisieren, da auf solche Weise am ehesten die Herbeiführung einer gleichmäßigen und weitgehend bekannten Disposition möglich ist. Solche Zwischenfragen oder Zwischenbemerkungen werden natürlich nur in gleichgültiger und beiläufiger Weise gestellt werden, damit nicht etwa durch sie erst der suggestive Faktor eingeführt und eine etwa bereits vorhandene günstige Einstellung des Beobachters beeinträchtigt wird. In jedem Fall aber kann eine eingehende nachträgliche Befragung, die nicht nach jedem Einzelversuch, wohl aber nach jeder Einzelreihe stattfindet, eine gute Kontrolle für suggestive Momente und ungewollte Einstellungen sein und somit ein Mittel darbieten, um unbrauchbare Äußerungen als solche zu erkennen und daher zu eliminieren.

Es muß hier noch eine andere Frage Beachtung finden, nämlich die Art, wie denn im Einzelnen der Experimentator zu einem Wissen von den psychischen Tatsachen im Beobachter kommt. Diese Frage aber ist keineswegs so zu verstehen, als wenn von Grund auf das Problem aufgeworfen werden sollte, wie wir überhaupt zu einem solchen Wissen von der Außenwelt, speziell vom fremden Individuum und seinen Erlebnissen kommen. Diese Frage mag man zugunsten der Einfühlung (8) oder zugunsten des Analogieschlusses entscheiden. Unbeschadet einer diesbezüglichen Lösung aber, die man der eigentlichen Erkenntnistheorie zuschreiben mag, bleibt noch die engere methodische Frage bestehen, die auf einzelne charakteristische Hilfsmittel das Augenmerk richtet. Als solche kommen nun die sogenannte Ein- und Ausdrucksmethode in Betracht und die jene beiden verbindende und ergänzende Reaktionsmethode, über die hier nicht ausführlich die Rede sein soll. Es sei nur gesagt, daß die erstere darin besteht, daß möglichst eindeutige Veränderungen des psychischen Zustandes durch physikalisch-chemische Reize hervorgerufen werden, daß weiterhin bei der zweiten gewisse körperliche Symptome als Repräsentanten seelischer Tatsachen geprüft werden, und daß die letztere insofern eine Vereinigung beider bedeutet, als sie mit Hilfe eines Eindruckes gewisse psychische Tatbestände hervorruft und diese dann wiederum in ihrem körperlichen Ausdruck untersucht. Mit diesen Arten ist aber keineswegs ein erschöpfendes Schema aufgestellt; auch wenn WUNDT (9) die psychischen Maßmethoden hinzufügt, so damit die Reihe noch nicht vollendet. Daß endlich die sogenannte Fragemethode nicht als etwas in sich eindeutig bestimmtes anzusehen ist, dürfte einleuchten. Bei all jenen sogenannten Methoden aber spielt wiederum die Interpretation eine große Rolle. Das zeigen vor allem die Ergebnisse, die bei der Ausdrucksmethode mit Hilfe des Dynamometers, des Sphygmographen, des Pneumatographen und des Plethysmographen gefunden werden (10).

Von all diesen Methoden wollen wir hier eine solche herausgreifen, die man diejenige der einfachen Reaktion nennen kann, da sie gewisse bedeutende Vorzüge bietet. Gemeint sind hier solche Versuche, bei denen das, was der Beobachter zu leisten hat, auf ein Minimum eingeschränkt ist. Man denke an solche Versuche, bei denen auf den Eindruck hin mit einem einfachen "ja" oder "nein", einem einfachen "größer", "kleiner", "früher", "später" usw. reagiert werden soll. Diese Versuche bieten insofern einen wesentlichen Vorteil, als die Gesamtzeit des Versuches im Gegensatz zur Fragemethode auf ein Minimum reduziert ist, wodurch das Auftreten einer die Unmittelbarkeit des Ausdruckes und die Unbefangenheit des Beobachters störende Reflexion möglichst eingeschränkt ist. Die psychischen Phänomene geben sich in solchen Fällen viel unmittelbarer, sie geben der jene Unmittelbarkeit störenden und vernichtenden Selbstkritik des Beobachters keine Gelegenheit zu ihrem schädlichen Eingreifen. Nehmen wir aber einmal an, daß die Reflexion des Beobachters, die sich damit abgibt, ob denn das Beobachtete überhaupt möglich ist oder ob nicht eine Täuschung vorliegen könnte, ob etwa gar die Erinnerung schuld sein kann an einer etwaigen Täuschung, bewußtermaßen ausgeschaltet oder zumindest bedeutend eingeschränkt werden kann, so besteht doch noch die oft unwillkürlich sich verändernde Disposition als störendes Moment bei allen über eine gewisse Zeitspanne sich erstreckenden Versuchen, ein Übelstand, der also bei der einfachen Reaktion, soweit es sich um den Einzelversuch handelt, nicht in Betracht kommt. Zu diesen beiden entschiedenen Vorzügen kommt endlich noch ein dritter, der in der bedeutend erleichterten Interpretation bei derartig einfachen Versuchen besteht. Auf diese drei offenkundigen Vorzüge muß also jederzeit Rücksicht genommen werden, wenn man aus irgendeinem Grund von jeder Reaktionsmethode Abstand nehmen will.

Da nun allerdings in solchen einfachen Reaktionen eine ganz wesentliche Beschränkung liegt, da insbesondere das Gebiet der zu untersuchenden Probleme ein relativ enges ist und da endlich auch die Erforschung komplexerer Bewußtseinsphänomene (11) angestrebt werden muß, so ist man natürlicherweise auf andere Methoden angewiesen, die uns jene Erkenntnis komplexerer oder zentralerer psychischer Phänomene zu vermitteln imstande sind. Hier aber bietet sich die Fragemethode als ein Mittel dar, das entsprechend der größeren Schwierigkeit der Aufgabe auch an die Selbstbeobachtung der Versuchspersonen in höherem Maße appelliert. Sie ist insofern als den entsprechend schwierigeren Problemen adäquat zu bezeichnen, als bei ihr auch auf scheinbar nebensächliche Bewußtseinselemente, die während des Versuches auftreten, Rücksicht genommen werden kann. Es sei nur daran einnert, daß z. B. die Sicherheit in den Aussagen einer wesentlichen Kontrolle zugänglich ist und daß eventuelle suggestive Momente möglicherweise erkannt werden können.

In vielen Punkten kann man diese Methode als ein brauchbares Hilfsmittel der experimentellen Psychologie ansehen, da sie nämlich die Methode der Selbstbeobachtung und die der objektiven Kontrolle in weitgehendem Maß vereint; indem sie nämlich einerseits die Selbstbeobachtung der Versuchsperson heranzieht und diese Selbstbeobachtung sogar von verschiedenen Individuen, und zwar nach dem Prinzip der Variation betrieben wird, steht auf der anderen Seite noch der Experimentator, der eigentliche Forscher, der den Problemen sowohl aufgrund seiner eigenen Introspektion als auch aufgrung der von ihm genau kontrollierten Aussagen der Versuchsperson näher zu treten und sie zu lösen sucht.

Daß auf der anderen Seite die Fragemethode ihre großen Schwierigkeiten mit sich bringt, muß zugegeben werden; aber man wird diese Schwierigkeiten als etwas ganz Natürliches betrachten, da die von ihr zu lösenden Probleme wesentlich schwierigere sind als die, welche bei der einfachen Reaktion in Betracht kommen. Es handelt sich eben um die genauere Erkenntnis sehr komplexer seelischer Probleme, daß aber höhere Aufgaben zu ihrer Lösung auch größere Schwierigkeiten bieten, ist natürlich. Ein Hauptmoment, welches gegebenfalls zu einer wesentlichen Irrtumsquelle werden kann, ist die Deutung oder Interpretation der einzelnen Angaben der Beobachter. Eine erste Frage, welche in dieser Richtung geht, wäre diejenige danach, ob und wie weit denn der Beobachter überhaupt selbständig aussagt und wie weit er nicht etwa durch die Fragestellung beeinflußt ist. Daran schließt sich unmittelbar jene andere an, ob sich bei ihm nicht irgendwie unbewußtermaßen eine Einstellung herausgebildet hat, eine Art von Erwartung oder ein unbemerktes Vorurteil. Endlich aber kommt die sehr wesentliche Frage - wesentlich, weil sie oft schwer zu entscheiden ist -, welche danach fragt, ob und wie weit der Beobachter in seinen Äußerungen einen reinen, ungetrübten Eindruck wiedergibt oder inwieweit dieser wiedergegebene Eindruck nicht etwa ein solcher ist, der bereits eine mehr oder weniger deutliche Kritik von seiten der Reflexion erfahren hat. Der Beobachter kann, auch wenn die ihm zur Verfügung stehende Zeit eine relativ kurze ist, bereits die mannigfachsten Erwägungen und Überlegungen angestellt haben, so fragmentarisch und unausgeprägt diese auch sein mögen, ob das, was er beobachtet hat, wohl auch dem wirklichen Tatbestand entspricht, oder ob es eigentlich aus diesen oder jenen Gründen gar nicht so sein kann. In den Aussagen aber kommen derartige Tatbestände nicht immer zum Ausdruck, und erst eine genaue diesbezügliche Einübung ist bis zu gewissen Grenzen imstande, das unmittelbar Erlebte von den Produkten der Reflexion zu sondern.

Die Unterscheidung, welche wir hier bei den Äußerungen der Versuchspersonen machen, kommt im Grunde auf diejenige hinaus, welche auch LIPPS (12) zwischen Kundgabe und unmittelbarem Ausdruck einerseits und Urteil andererseits macht. Diese Scheidung, die schon ohne Rücksicht auf das psychologische Experiment unbedingt aufgestellt werden muß, wenn es auch zahlreiche Zwischenstufen geben mag (13), ist von ungeheurer Tragweite für die Wertung der Aussagen. Es ist zweifellos, daß, so groß auch der Wert sein mag, der einem offenkundigen Urteil, ja unter Umständen sogar der Reflexion zukommt, doch die unmittelbare Kundgabe, der ganz unvermittelt, urteils- und reflexionslos sich gebende Ausdruck eines inneren Erlebnisses von ungleich höherem Wert für die experimentelle Psychologie ist, insbesondere wenn wir an die Deutung der Ergebnisse herangehen, in denen sich oft solche unmittelbaren Elemente unzweideutig aufweisen lassen. Den Wert, der in allen solchen unmittelbar, d. h. hier ohne Vermittlung einer urteilsmäßigen Verarbeitung gemachten Äußerungen liegt, erkennt auch RIBOT (14) an, wenn er die Forderung aufstellt, die wahren psychischen Tatsachen, wenn man sie bei anderen sucht, dürften nicht eigentlich dort gesucht werden, wo die Reflexion durch künstliche Bedingungen wachgerufen wird. Auch MÜNSTERBERG legt zwanglos sich gebenden Äußerungen einen besonderen Wert bei.

In dieser Richtung hat die Interpretation die Aussagen der Beobachter vor allem zu untersuchen, und sie hat zugleich die Aufgabe, eine allgemeine Auslese unter den erhaltenen Antworten zu vollziehen, indem sie alle solchen, die offenkundig unter dem Einfluß einer Reflexion stehen, streicht, und denen, die einen unmittelbaren Ausdruck zu enthalten scheinen, den Vorzug gibt. Dabei kann aber natürlich nicht alles, was die äußere Form des Urteils trägt, eliminiert werden, da einmal unmittelbare Ausdrücke die Form des Urteils tragen können und dann auch jedes Urteil einen mehr oder weniger brauchbaren Ausdruck enthält. Es ist beachtenswert, daß auch nicht selten das Auftreten einer Reflexion und eines die Reflexion wiedergebenden Urteils auf eine Eigenat des unmittelbaren Eindrucks zurückgeht, die wir somit aus jenem zu ersehen imstande sind.

Zur Interpretation der Äußerungen oder, allgemeiner, der Verhaltensweisen der Versuchspersonen gehört aber, sofern es sich um Aussagen von größerem Umfang und größerer Tragweite handelt und die Selbstbeobachtung der Versuchspersonen wesentlich herangezogen wird, mehr als die Deutung der unmittelbar vorliegenden Worte. Diese stehen zwar im Vordergrund und bieten stets den ersten Anhaltspunkt. Aber wenn wir bedenken, daß die gesamte Anlage und der Charakter des Beobachters ein wesentliches Moment bei jeder etwas komplizierteren Aussage spielt, so ist für den Experimentator eine wenn auch allgemeine Feststellung dieser Umstände eine unerläßliche Aufgabe. Hier aber muß er sich vor einer einseitigen Information hüten. Er tut vielmehr gut, eine solche zunächst vom Beobachter selbst, dann von einem oder mehreren Dritten einzuholen und endlich seine eigene Kritik wirken zu lassen. Auf solche Weise ist er imstande, wesentliche Faktoren aufzufinden, die gewisse Verhaltensweisen der Beobachter aufklären können. Auch hierin müssen wir also ein Mittel sehen, vorhandene Fehlerquellen zu beseitigen.

Trotz aller bisher angeführten Mittel, die zur Vermeidung von Fehlerquellen dienen, ist es aber nicht möglich, zu solchen Resultaten zu gelangen, die ein für allemal als mustergültig anzusehen sind. Es treten stets noch vereinzelte Fälle auf, in denen auch unser Interpretationsvermögen versagt oder täuscht, ohne daß es hierfür ein direktes Kriterium gäbe. Hier setzt zun ein neues methodisches Verfahren des Experiments ein, das auf eigentümliche Weise solche Fehler zu eliminieren sucht. Da ist jenes bereits erwähnte Prinzip, welches sich auf die Menge von Fällen stützt und in dieser Masse die vereinzelten Fehler gleichsam totzuschweigen sucht, nämlich die statistische Zusammenstellung der erhaltenen Resultate.

Dieses Verfahren hat zugleich einen weiteren bedeutungsvollen Vorzug. Wie im sozialen Leben gewisse Erscheinungen nicht immer am Einzelnen auftreten, sondern nur an der Gesamtheit der Bevölkerung, wie der Charakter eines Monats nicht immer in einem einzelnen Tag, sondern erst in einem Zusammen aller dreißig Tage erscheint, so gibt es auch zahlreiche psychische Phänomene, die erst an eine Menge von Fällen als ein Gesamtcharakter vieler Bewußtseinserlebnisse auftritt. Solche Tatsachen aber lassen sich lediglich mit Hilfe jener Statistiken feststellen. Auch hier aber genügt wiederum die Statistik allein nicht, sondern es bedarf erst noch des Interpretierenden, der die zahlenmäßigen Bestimmungen reden macht und allgemeine psychische Tatbestände aus ihnen ersieht.

Jene allgemeinen psychischen Tatbestände sind zunächst nicht im gleichen Sinn allgemein, wie allgemeine Naturgesetze. Sie lassen sich vielmehr wiederum den allgemeinen Tatsachen des sozialen Lebens vergleichen, oder der allgemeinen Tatsache, daß ein Monat eine gewisse Durchschnittstemperatur hat und ein gewisses Mittel von sonnenlosen Tagen. Wenn wir also jene allgemeine Tatsache auf das einzelne psychische Individuum anwenden wollen, so ist dies zunächst nicht im gleichen Sinne möglich, wie etwa das Fallgesetz auf den einzelnen Körper Anwendung findet, sondern es kann sich hier vorerst nur um Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten handeln, deren Charakter sich nach Maßgabe der zugrunde liegenden Statistik bestimmt. Was wir also aus jenen allgemeinen Tatsachen ableiten können, ist zunächst nicht das allgemeine Gesetz, sondern die Regel, bei der der allgemeine Fall nur einen gewissen approximativen Grad von ausnahmsloser Allgemeinheit erreicht.

Wir können zum Zweck einer weiteren Betrachtung der Allgemeinheit von experimentell gefundenen psychischen Tatsachen bei dem soeben indirekt berührten Beispiel bleiben, da die Tatsachen es gestatten. Wie nämlich rein theoretisch die Wahrscheinlichkeit immer mehr wachsen kann, bis wir sie endlich in einer Art Asymptote mit der vollen Gewißheit zusammenfallen sehen, so ist es auch bei den Regeln, die wir auf experimentelle Weise über das psychische Leben finden. Die experimentell-psychologische Methode steht insofern in einem gewissen Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Auffindung von allgemeinen Tatsachen und Gesetzen. Der Physiker braucht gar keine hohe Anzahl von Fällen zu sammeln. Er beobachtet das entsprechende Phänomen in einem einzigen Fall, eventuell in einigen wenigen, um mögliche Irrtumsquellen aufzufinden, und findet auf seine eigentümlich naturwissenschaftlich-induktive Weise seine Gesetze, die für ihn aufgrund eines gleichsam unvermittelten Sprungs allgemeine Gültigkeit besitzen, die er auch in Bezeichnungen wie "Notwendigkeit" oder "Unverbrüchlichkeit" zum Ausdruck bringt. Demgegenüber ist die Weise, wie die experimentelle Psychologie zu ihren allgemeinen Tatsachen gelangt, empirisch betrachtet eine völlig andere, so gleichartig sie auch auf den ersten Blick erscheinen mag. Für die experimentelle Psychologie ist die Beobachtung einer hohen Anzahl von Fällen von großer Bedeutung. Man kann im allgemeinen sagen, daß sich innerhalb einer bestimmten Sphäre die experimentelle Psychologie einer vollen Gewißheit umso mehr nähert, als die Zahl der von ihr aufgestellten Fälle wächst.

Daß die Induktion, welche die experimentelle Psychologie zu treiben hat, mit der naturwissenschaftlichen in ihren einzelnen Etappen nicht zusammenfällt, daß sie insbesondere im Gegensatz zur Naturwissenschaft ein Interesse an einer hohen Anzahl vorliegender Fälle hat, dieser Umstand hat seinen Grund darin, daß ihr die Gegenstände ihrer Untersuchung nicht in gleicher Weise gegeben sind, sondern daß eine ihrer Aufgaben, bis zu einem gewissen Grad sogar ihr Ziel, erst die klare Heraussonderung von Gegenständen aus dem Gesamten des psychischen Lebens ist. Diese bei jeder Einzeluntersuchung zuvor oder zugleich mit zu lösende Aufgabe wird in der möglichst weitgehenden, in bestimmter Richtung gehenden Einübung der Beobachter erfüllt. Aufgrund dieser Einübung werden erst die zu erforschenden psychischen Gegenstände, die allgemeinen und speziellen Seiten oder Richtungen im Bewußtseinsleben herauskristallisiert, so daß sie dann in dieser Isolierung später von der Vermischung mit fremdartigen Elementen möglichst frei sind und einer Erforschung zugänglich gemacht werden können.

In dieser Heraussonderung der zu betrachtenden psychischen Objekte besteht also der erste Schritt aller experimentellen Psychologie. Das äußere Kriterium, welches uns jene Isolierung verrät, ist die relative Konstanz in der Art der Äußerungen, wobei natürlich sowohl auf die Einzelaussagen als besonders auf den Charakter der aus den Versuchsreihen sich ergebenden Statistiken zu achten ist. Eine vollkommene Heraussonderung oder Isolierung aber wird auch hier, theoretisch betrachtet, im Gegensatz zur Naturwisesnschaft nicht möglich sein. Ganz genaue Untersuchungen würden daher zeigen müssen, daß in der Tat jene vollkommene Isolierung, also jene vollkommene Einübung keine ideale wird, sondern daß sie nur eine approximative [ungefähre - wp] ist. Rein praktisch aber scheint diese Tatsache ebenfalls einleuchtend, da es zwar nicht als bewiesen, wohl aber als etwas in der Weise einer Evidenz Zugestandenes gelten darf, daß ein absolut losgelöstes Bewußtseinselement nicht vorkommt. Von derartigen Erwägungen kann jedoch Abstand genommen werden, und wir können jedenfalls praktisch damit rechnen, daß eine Konstanz psychischer Tatbestände im Gesamten einer entsprechend angeordneten experimentellen Untersuchung als Tatsache anzusehen ist.

Ist aber jene Vorbedingung bei der experimentellen Psychologie erfüllt, so näher sie sich nunmehr in ihrem Verfahren wesentlich der naturwissenschaftlichen Methode. Sie bedarf jetzt nur einiger Fälle, um auf ihnen in analoger Weise nicht nur bloße Wahrscheinlichkeiten, sondern ebenfalls allgemeine Tatsachen und Gesetze aufzubauen. Diese ihre allgemeinen Tatsachen und Gesetze sind also letztenendes ebenfalls solche, die auf voll induktivem Weg gefunden sind. Die wissenschaftliche Forschung in der experimentellen Psychologie gelangt also zu ihnen auch nur aufgrund jenes Sprungs, den auch die physikalische Betrachtungsweise macht, wenn sie von ganz wenigen Fällen auf allgemeine Gesetze schließt. Daß sich im letzten Grund die Methode der experimentellen Psychologie, sofern sie sich in jenem induktiven Charakter offenbart, hinsichtlich dieses letzteren von der naturwissenschaftlichen nicht wesentlich unterscheidet, zeigt schon ein rein mathematisches Kalkul, nämlich dasjenige, welches uns sagt, daß eine Anzahl von Fällen gegenüber einer unendlich großen Anzahl von solchen stets verschwinden klein bleibt, daß also der Sprung aus dem Endlichen der Erfahrung in das Unendliche der allgemeinen Gesetze stets der gleiche ist. Trotzdem aber wird die experimentelle Methode in der Psychologie niemals einer naturwissenschaftlichen zu identifizieren sein. Zu dieser Erkenntnis führt uns schon die einfache Betrachtung der Tatsache, daß dieselbe nur die eigentliche innere Wahrnehmung oder Selbstbeobachtung zu ergänzen hat.

Fragen wir uns nun nach dem eigentlichen positiven Resultat, welches das gesamte Experiment zu liefern vermag, so müssen wir vor allem auf den entschieden günstigen Einfluß hinweisen, den dasselbe, sowohl was die Klärung der Begriffe, als auch was die präzisere Aufstellung von Problemen bestrifft, auf die gesamte Psychologie auszuüben imstande ist. Dazu kommt endlich das Moment der objektiven Kontrolle. Es scheint in der Tat sehr wohl möglich, zahlreiche Hypothesen aufgrund des Experiments auf ihren Wert hin zu untersuchen. Daß aber das Experiment zumeist nur ein Mittel ist, vorgefaßte Meinungen zu bekräftigen, ist eine Behauptung, die, wenn sie auch in vereinzelten Fällen Recht haben mag, so doch nur von solchen geltend gemacht werden kann, die selbst noch kein ernsthaftes Experiment betrieben haben und die zweifellos die sehr reiche Anregung noch nicht erfahren haben, die auch der apriorisch noch so feinsinnige Denken aus ihm erfahren kann. Der größte Vorteil aber, den das Experiment mit sich bringt, ist zweifellos der, daß es den Psychologen, der es ernsthaft betreibt, auf das engere Gebiet hinweist, welches er sein eigen nennen darf, und daß es ihm verbietet, seine Spekulationen in eine äußerlich wissenschaftliche Form zu kleiden.


IV. Die Hilfsmethoden

Die Frage, wo eine methodische Forschung in der Psychologie überhaupt beginnt und wie weit sie reicht, läßt sich nicht mit voller Bestimmtheit beantworten. Die Psychologie zeigt also auch hinsichtlich des ihr zugehörigen Gebietes gegenüber der Physik eine Differenz. Denn wenn wir auch die Selbstbeobachtung und die mannigfachen Arten experimenteller Untersuchungen als ihre Hauptmethoden nennen können, so gibt es doch noch ein weiteres Gebiet wissenschaftlicher Forschungen, welche als Grenzgebiete der Psychologie von dieser nicht unbeachtet gelassen werden dürfen. Ja diese Gebiete können sogar als Hilfsdisziplinen in Anspruch genommen werden, und aus ihnen erwachsen alsdann der eigentlichen Psychologie im engeren Sinne eine Reihe von Hilfsmethoden. Diese Hilfsmethoden kann man allgemein dadurch charakterisieren, daß man sie als von der allgemeinen Grundmethode der Selbstbeobachtung relativ weit abliegend bezeichnet. Entsprechend aber gewinnen auch sie umso größere Bedeutung, je mehr sie sich in einzelnen Teilen dieser letzteren nähern. Zu ihnen gehören vor allem die Kinderpsychologie [koffka], die Psychopathologie, die Völker- und die Tierpsychologie.

Die Kinderpsychologie ist erst relativ jungen Ursprungs; vor allem ist man erst neuerdings zu ihrer Verwertung für die Psychologie geschritten, während sie in ihren Anfängen fast nur in den Dienst der Pädagogik gestellt wurd. Es braucht kaum an die bekannten Arbeiten von SIGISMUNS (15), KUSSMAUL (16), PREYER (17), COMPAYRÉ, (18), MEUMANN (19), BINET (20) u. a. erinnert zu werden.

Die Hauptaufgabe dieser Hilfsmethode ist die Auffindung der Genese psychischer Phänomene, wie sie beim Erwachsenen durch Selbstbeobachtung und Experiment bereits festgestellt sind. Daß eine Verfolgung seelischer Tatbestände bis zu ihren überhaupt auffindbaren Anfängen ungeahnte Vorzüge bietet, bedarf kaum der Hervorhebung. Als derartige Probleme kommen hauptsächlich solche in Betracht, wie die Entwicklung und Ausbildung des Ichbewußtseins und des Persönlichkeitsgefühls. Weiterhin ist die Beobachtung wesentlich, wie sich die Begriffe aus den ersten allgemeinen Ansätzen bilden und speziellere Formen annehmen, wie Willensvorgänge und Affekte entstehen, wie sich Denken und Sprechen in gegenseitigen Beziehungen entwickeln. Der Kinderpsychologie kann daher MÜNSTERBERG mit einem gewissen Recht eine analoge Bedeutung für die Psychologie zuschreiben, wie sie die Embryologie für die Anatomie besitzt.

Trotzdem würde der Wert, den die Kinderpsychologie überhaupt besitzt, kein allzu großer sein, wenn nicht auch die Psychologie ihrerseits die ihr im Experiment zur Verfügung stehenden Mittel benützen würde, um die Bedingungen, unter welchen die Beobachtungen an Kindern gemacht werden, willkürlich und planmäßig abzuändern. Es ist zwar zunächst nicht abzuleugnen, daß gerade eine Beobachtung von Kindern unter natürlichen Bedingungen unschätzbare Werte besitzt und daß jede Einspannung in den engen Rahmen einer experimentellen Untersuchung für das Seelenleben des Kindes etwas ähnliches bedeutet, wie die Beschneidung der natürlichen Formen der Pflanze, und man wird daher der Beobachtung von Kindern in einem natürlichen Milieu ihre Bedeutung stets zuerkennen. Aber wo es sich um die Untersuchung des kindlichen Empfindens und Wahrnehmens, der Reaktionen auf sinnliche Eindrücke, endlich sogar seiner Entwicklung hinsichtlich konkreter und abstrakter Begriffe (21) handelt, da wird man zweifellos dem Experiment die gebührende Stellung zugestehen. Zu derartigen Beobachtungen kommen dann noch solche, die sich auf natürliche Defekte und deren Einwirkung auf die psychische Entwicklung beziehen. Hier handelt es sich aber nicht nur um blinde und taubstumme Kinder und um solche, die etwa blind und taub zugleich sind, sondern vor allem um solche Fälle, in denen durch einen operativen Eingriff jene Funktionen wachgerufen sind. Dazu kommen endlich solche abnorme Erscheinungen wie Hörstummheit und vor allem Seelenblindheit.

Die letzteren Beispiele greifen schon der zweiten wesentlichen Hilfsmethode vor, nämlich der Heranziehung pathologischer Erscheinungen zur Erforschung des normalen Seelenlebens. Es ist ein seit langem aufgegebener Standpunkt, daß das sogenannte krankhafte Seelenleben gegenüber dem normalen ein völlig heterogenes [ungleichartiges - wp] ist, und man ist heutzutage im allgemeinen der Ansicht, daß es krankhafte Bewußtseinselemente als solche eigentlich gar nicht gibt, sondern daß geistige Krankheit nur eine Bezeichnung für eine Gesamtverfassung der Seele ist, in welcher das normale Gleichgewicht durch das Hervor- oder Zurücktreten gewöhnlicher Bewußtseinserscheinungen gestört ist. Dieser Standpunkt ist der Grund für die neuerliche Annäherung von Psychologie und Psychiatrie, welche in dem Sinne erfolgt ist, daß einerseits die Psychiatrie aus dem Studium des normalen Seelenlebens einen Nutzen zieht, andererseits aber die Psychologie pathologische Fälle nutzbar verwendet, um an ihnen allgemeine psychische Tatsachen, Tendenzen, Vorstellungen, Affekte usw. zu studieren, die im normalen Bewußtsein mehr im Hintergrund stehen und oft latent sind, in den Fällen geistiger Erkrankung jedoch deutlich zutage treten.

Vor einer kurzen Besprechung ausgesprochener geistiger Erkrankung muß jedoch auch solcher pathologischer Fälle gedacht werden, die vorübergehend am Normalen auftreten. Diese haben vielfach insofern ein besonderes Interesse, als der Betreffende, der sich in jenem Zustand befindet, später selbst wertvolle Angaben machen kann, wenn er die pathologischen Phänomene mit den normalen vergleicht. Wenn wir von der Erscheinung des Schlafes und der mannigfachen Halbwachzustände absehen, so ist es vor allem die jedermann bekannte Tatsache des Traumes, die uns in vielem Aufklärung zu geben vermag. Es soll hier nur daran erinnert sein, daß das im Zustand des Traumes befindliche Bewußtseinsleben die sonderbarsten Erscheinungen aufweist, wie diejenigen, daß oft eine eigentliche Kritik der Erlebnisse vollkommen fehlt, daß Gegenstände Furcht und Gefühle mannigfacher Art wecken, die uns im gewöhnlichen Leben gleichgültig sind oder umgekehrt, vor allem aber, daß Traumbilder und Halbschlafphantasien in den sonderbarsten Weisen in unserem Leben nachwirken, daß sie vielleicht sogar Willensentscheide oder das Gegenteil herbeiführen können, eine Tatsache, die uns in nachträglicher Betrachtung ganz klar erscheinen kann, während sie im Erlebnis selbst verschleiert ist. Die Kenntnis des sogenannten Unterbewußtseins (22) erhält durch derartige Untersuchungen eine wesentliche Förderung. Auf der anderen Seite bieten sich uns solche Fälle dar, wie Störungen des Bewußtseins durch Läsionen [Verletzungen - wp, Krankheiten (Fieber), sogar durch Schreck, übermäßige Freude usw. Endlich aber sei an solche Störungen erinnert, die durch Alkohol und die mannigfachsten Medikamente planmäßig oder unwillkürlich herbeigeführt werden. KRAEPELIN (23), dessen Verdienst überhaupt auf dem Gebiet der Psychopathologie hervorragend ist, hat auch diesen Dingen eine spezielles Studium gewidmet. Die Tatsachen solcher Art haben den großen Vorzug, daß sie noch mehr als der Traum einer genauen experimentellen Untersuchung zugänglich sind, und daß der Experimentator imstande ist, was auch von KRAEPELIN durchgeführt wurde, selbst die Rolle des unmittelbaren Beobachters zu übernehmen.

Vor allem muß bei den vorübergehenden pathologischen Erscheinungen der Hypnose gedacht werden. Sie besitzt den außerordentlichen Vorteil, daß bei ihr die Versuchsperson die Aufträge des Suggestors in sich aufnimmt, als wären es ihre eigenen Gedanken, und daß die willkürlich und planmäßig herbeigeführten Suggestionen somit unmittelbar im Gesamtbewußtseinsleben zu wirken imstande sind. Das genaue Studium der Hypnose (24) wird somit ganz wesentliche Dienste zur Erforschung der Willensphänomene und der Vorstellungen leisten. Es zeigt uns vor allem jene bei jedermann, in jedem Moment in irgendeiner Weise und sei es auch nur in einem minimalen Grad wirkende Suggestion in einer klaren und ausgeprägten Form. Die Bedeutung der Suggestion in einer klaren und ausgeprägten Form. Die Bedeutung der suggestiven Momente für die gesamte Psychologie aber liegt auf der Hand; ohne sie wäre, wie auch MÜNSTERBERG sagt, keine Erziehung, keine Überzeugung, keine Kunst, fügen wir hinzu, überhaupt kein Zusammenleben psychischer Individuen möglich. Von diesem Gesichtspunkt aus wird ein eingehendes experimentelles Studium der Hypnose für die Psychologie eine wesentliche Bereicherung bedeuten können.

Nicht ganz so bedeutsam wie diese willkürlich herbeiführ- und variierbaren pathologischen Zustände, aber doch in vielen Punkten lehrreich für die Normalpsychologie ist das Studium ausgesprochener geistiger Erkrankungen. Auch in den verwickeltsten Fällen dieser Art lassen sich psychische Tatsachen verfolgen und in ihren durch ihre relative Isoliertheit oft zu bizarren Formen verzerrten Erscheinungsweisen auf solche des normalen Bewußtseins zurückführen. Die einzelnen Arten bieten jeweils einen interessanten Anhaltspunkt für die Kenntnis einzelner Tatbestände. So wird der, welcher die Assoziation untersuchen will, sein Augenmerk auf die Ideenflucht richten, die durch einen raschen Wechsel von Vorstellungen charakterisiert ist, bei dem der innere Zusammenhang und das Mitwirken der aktiven, auswählenden und fixierenden Apperzeption fehlt (25). Die Untersuchungen über die Aufmerksamkeit finden eine Förderung durch den verlangsamten Verlauf derselben, insbesondere der Reaktionen, bei Manisch-Depressiven (26). Auch Fälle von fixen Ideen sind insofern heranzuziehen, als durch sie die Wirksamkeit von Vorstellungen und Gedanken im Gesamten des Seelenlebens untersucht werden können. Eine der interessantesten Studien wird endlich das der Hysterischen sein, bei denen die Affekte besonders deutlich hervortreten. Ein hervorragendes Verdienst bei derartigen Forschungen kommt RIBOT (27) zu. Die Frage, wie weit bei Geisteskranken ein eigentliches Experiment zulässig ist, hat MAX DESSOIR (28) in seiner Arbeit über "Experimentelle Psychopathologie" behandelt.

Zu den genannten Hilfsgebieten kommt noch ein weiteres in der Völkerpsychologie. Der Vorteil, den diese der engeren Psychologie bieten kann, besteht in der Aufzeigung solcher psychischer Phänomene, welche nicht am Einzelnen, sondern erst an der Gesamtheit auftreten. Derartige Tatsachen können in solche geschieden werden, welche sich in der Geschichte offenbaren, und solche, die an der sozialen Masse als solcher ohnr Rücksicht auf ihre zeitlich sich folgenden Entwicklungsstufen sich offenbaren. Es ist klar, daß bei derartigen Untersuchungen das statistische Moment eine große Rolle spielt. Von jener Seite her entrollen sich eine Menge interessanter Aufgaben von großer Tragweite. Es sei nur des Beispiels halber an die Statistik der Selbstmorde erinnert, die auf ein eigenartiges periodisches Wiederkehren allgemeiner diesbezüglicher Zahlenverhältnisse hinweist. Weiter aber kommt die Entwicklung von Sitten, Gebräuchen usw., das Auftreten und der Ablauf von Massensuggestionen, Begeisterungen, Paniken und anderes als Gegenstände hinzu, welche ein weittragendes Interesse darbieten und der Psychologie beim Studium sozialer Phänomene im Einzelnen ganz wesentlich behilflich sein können. Schließlich aber weist uns die gesamte Völkerpsychologie auf eine beachtenswerte Tatsache hin, die im Seelenleben des einzelnen niemals als solche auffindbar ist, nämlich auf ein Nationalbewußtsein, zu dem sich die psychischen Individuen zusammenschließen. Aufgrund eines solchen Völkerbewußtseins aber wird mancher dunkle und zunächst unerklärbare Zug im individuellen Seelenleben für die psychologische Forschung eine Aufhellung erfahren, nicht zum mindesten die noch wenig erforschten und schwer erkundbaren Gebiete unbewußter Triebhandlungen und dumpfer Instinkte.

Wie sich aber die psychologische Forschung als solche nicht auf die Kultur- und schließlich auf die Naturvölker beschränt, sondern sogar ins Tierreich übergreift, so wird umgekehrt die engere Psychologie wiederum auch von der Tierpsychologie einige Unterstützung erwarten dürfen. Auch hier sind es vornehmlich die "sozialen Instinkte", schließlich aber auch einige als primitive Denkvorgänge zu betrachtende Erscheinungen, welche in Betracht kommen. Hier treten jedoch noch weit mehr als bei der Völkerpsychologie einer genauen Untersuchung große Hindernisse entgegen. Ist schon das Verständnis und die Deutung sozialer Erscheinungen, noch dazu bei Naturvölkern, als problematisch, aber nicht als wirkliche Tatsache in Anspruch zu nehmen, so gilt dies in noch weit höherem Maß bei der Tierpsychologie, und es läßt sich häufig sehr darüber streiten, mit welchem Recht man bei primitiven Tieren von einem Willen (29), von sozialen Instinkten bei Ameisen, Bienen usw. sprechen kann. Schließlich ist die Frage nach den Grenzen der Bewußtseinsphänomene in der belebten Welt überhaupt eher einer metaphysisch-spekulativen Betrachtung zuzuweisen, und sie darf nicht einer exakt-wissenschaftlichen Beantwortung für fähig erachtet werden. Trotzdem wird die Tierpsychologie, sofern sie sich zunächst auf eine möglichst einfache Beschreibung von Tatsachen beschränkt und von willkürlichen und bestreitbaren Hypothesen bewußtermaßen abstrahiert, der Psychologie im engeren Sinne zahlreiche wertvolle Anregungen geben können, die uns teils auf Analogien mit unserem Bewußtseinsleben, teils auf Differenzen mit demselben hinzuweisen imstande sind. Schließlich muß sogar mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß wir auf solche WEise auf gewisse ganz dunkle und verschwommene Tatsachen im Hintergrund des eigenen Bewußtseins hingewiesen werden können. Wollen wir unsern Weg, der uns von unmittelbaren Tatsachen immer weiter in das Gebiet bloßer mittelbarer leitete, zu Ende gehen, so müssen wir als ein letztes Hilfsgebiet der Psychologie sogar die Physiologie ansehen, insbesondere sofern diese Gehirn und Nervensystem zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht. Hier könnte das viel besprochene und umstrittene Gebiet des "Unbewußten" das Verbindungsglied darstellen. Daß natürlich vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus alles Physiologische schlechterdings gegenüber dem Psychischen etwas absolut Heterogenes ist, wird niemand bestreiten dürfen. Daß aber jenes Postulat einer gesetzlichen Wechselwirkung zwischen physiologischem und psychologischem Geschehen wesentliche Dienste zu leisten imstande sein kann, zumal wo es sich um Unbewußtes und Unterbewußtes handelt, das ist nicht zu abzuleugnen. Und jenes prinzipielle Mißtrauen, welches die reine Betrachtung des Bewußtseins aller physiologischen Forschung lange Zeit entgegengebracht hat und zum Teil heute noch entgegenbringt, dürfte nur eine Reaktion auf die unberechtigten und voreiligen Übergriffe einzelner Physiologen und überhaupt Naturwissenschaftler in das Gebiet der Psychologie sein und somit zwar als motiviert, aber nicht als ein für allemal begründet erscheinen. Eine Beschränkung auf die natürlichen und notwendigen Grenzen ist auch hier die Vorbedingung einer gedeihlichen Annäherung und Aussöhnung.

Wenn wir am Schluß unserer Untersuchungen auf die eingangs gemachten Erörterungen über den Begriff der Methode zurückzugreifen und uns zugleich erinnern, daß ihrer engeren Fassung der Begriff des bloßen Verfahrens gegenüberzustellen ist, schließlich aber unter "Methoden" beides entsprechend dem natürlichen Sprachgebrauch verstanden ist, so können wir noch eine, wenn man will, fundamentale Unterscheidung aller Methoden vornehmen, die mit Psychologie zu tun haben, indem wir uns an WUNDT (30) anschließen und der reinen Psychologie eine praktische, d. h. angewandte, dementsprechend aber der reinen, d. h. wissenschaftlichen Methode in der Psychologie eine angewandte gegenüberstellen, die wir dann weiterhin in eine praktisch-technische, eine praktisch-theoretisch und eine rein theoretisch einteilen können. Über diese Frage finden sich in der betreffenden Abhandlung von WUNDT die näheren Angaben, und wir dürfen daher auf diese verweisen.
LITERATUR Georg Anschütz, Über die Methoden der Psychologie, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. XX, Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) Vgl. WUNDTs "Psychologische Studien", Bd. 2
    2) Vgl. ERNST MACH, a. a. O.
    3) "Sur la valeur des questionnaires en psychologie". Journal de Psychologie, Bd. I, 1904.
    4) Daß die Aussagen von Nichtpsychologen oft viel wertvoller sind, als die von geübten Psychologen, ist bekanntlich von MEUMANN experimentell bewiesen worden.
    5) CORNELIUS, Einleitung in die Philosophie
    6) Vgl. MEINONG, Über Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 21
    7) Dieser Gedanke ist insbesondere von OSWALD KÜLPE, aber auch von WILHELM WIRTH betont und zum Teil realisiert worden.
    8) Vgl. LIPPS, Leitfaden der Psychologie, zweite Auflage
    9) WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, sechste Auflage, Seite 23f.
    10) Vgl. KÜLPE, Grundriß der Psychologie, Seite 229
    11) Vgl. die neueren Arbeiten von WILHELM WIRTH, insbesondere "Die experimentelle Analyse der Bewußtseinsphänomene".
    12) LIPPS, Inhalt und Gegenstand, Psychologie und Logik.
    13) vgl. MEINONG, Über Annahmen
    14) RIBOT, a. a. O., Seite 7
    15) BERTHOLD SIGISMUND, Kind und Welt, 1856
    16) KUSSMAUL, Untersuchungen über das Seelenleben des neugeborenen Menschen, 1859
    17) WILHELM PREYER, Die Seele des Kindes, 1882
    18) GABRIEL COMPAYRÉ, Die Entwicklung der Kinderseele, 1900
    19) MEUMANN, Die Sprache des Kindes, 1903
    20) ALFRED BINET, Les idées modernes sur les enfants, 1910
    21) vgl. die mehrfachen Arbeiten von BINET.
    22) vgl. z. B. MAX DESSOIR, Das Unterbewußtsein, Rapport au VI. Congrés internationale de psychologie, Genéve, 1909
    23) Vgl. Wundts "Philosophische Studien", Bd. I, "Über die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel", 1892. Vgl. außerdem: WILHELM SPECHT, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. XII ?
    24) vgl. die Arbeiten von CHARCOT, FOREL u. a.
    25) vgl. KRAEPELIN, Psychiatrie, fünfte Auflage; WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Bd. 3, fünfte Auflage, Seite 570, 578f und 674.
    26) vgl. die Untersuchungen von MAX JSSERLIN im Journal für Neurologie und Psychiatrie.
    27) "Les maladies de la volonté" usw. Vgl. auch BINET, "Les altérations de la personalité", 1892.
    28) MAX, DESSIOR, Experimentelle Psychopathologie, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 15, 1891.
    29) Vgl. LOEB, Rapport au VI. Congrés internationale de psychologie, Genéve 1909, "Die Tropismen".
    30) WILHELM WUNDT, Über die Einteilung der Wissenschaften, Philosophische Studien, Bd. V, 1910, Seite 1f.