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JULIUS BERGMANN
Die Anforderungen des Willens
an sich selbst


"Den Gegenstand einer sittlichen Beurteilung bildet niemals eine Handlung für sich betrachtet. Auf eine Handlung kann sie sich nur in der Weise beziehen, daß sie die Übereinstimmung derselben mit dem Wollen, durch das sie unmittelbar hervorgebracht wurde (die Übereinstimmung der wirklich ausgeführten Handlung mit der beabsichtigten, ihr Gelungensein), voraussetzt und zum eigentlichen Gegenstand dieses Wollen hat."

"Das Wollen ist nicht deshalb moralisch oder unmoralisch, weil es dem Gefühl gefällt oder mißfällt, sondern umgekehrt gefällt oder mißfällt es dem Gefühl, weil es moralisch oder unmoralisch ist; und dann kann sich natürlich das Gefühl des Gefallens oder Mißfallens an einem Wollen erst einstellen, nachdem das Verhältnis dieses Wollens zu den moralischen Anforderungen erkannt ist, und deshalb kann eine moralische Beurteilung das Kriterium, mittels dessen sie Gut und Schlecht unterscheidet, nicht dem Gefühlsvermögen entnehmen.

"Die mathematischen Erkenntnisse schöpft die Vernunft aus der Betrachtung des Raumes und der Zeit und diese Formen findet sie nicht in sich selbst, dem Vermögen des Urteilens und Schließens, sondern in einem von ihr verschiedenen, nach Kant sogar nur zufällig mit ihr verbundenem Vermögen der sinnlichen Anschauung."


I. Die technische, die pragmatische
und die ethische Beurteilung

1. Zum Gegenstand einer Beurteilung oder Kritik kann eine Handlung zunächst hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Wollen, durch das sie hervorgebracht wurde, gemacht werden, indem gefragt wird, ob sie diesem Wollen gemäß ausgefallen ist, oder ob sie mehr oder weniger von der beabsichtigten Handlung abweicht. Eine solche Beurteilung ihrer Handlung betrifft bloß sie selbst, nicht zugleich das sich in ihr kund gebende Wollen. Ob dieses mit den Anforderungen, die etwa an den Willen des Handelnden gestellt werden konnten, im Einklang gewesen ist, läßt sie unbestimmt. Wird z. B. ein Schütze gelobt, daß er gut gezielt hat, oder wird von dem Versuch, einen Berg zu ersteigen, gesagt, daß er gelungen ist, oder wird die Richtigkeit einer Abschrift geprüft, so werden damit nur die wirklich ausgeführten Handlungen des Zielens, des Steigens, des Abschreibens mit denen, die von ihren Urhebern beabsichtigt waren, verglichen; der Wert jener Absichten selbst kommt dabei nich in Betracht.

2. Ist eine Handlung, die wir ausgeführt haben, so ausgefallen, wie sie sollte, so kann sie uns weiter hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Zweck, um den es uns zu tun war, ein Gegenstand der Beurteilung sein, ob sie nämlich zur Verwirklichung desselben geführt hat oder nicht, oder, was dasselbe ist, hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Wollen ihres Zwecks, ob sie demselben entsprochen hat oder nicht. Und in analoger Weise betrachten wir bloß gedachte Handlungen, wenn wir uns vorhalten, was wir hätten tun müssen, um den Zweck, den wir verfehlt haben, zu erreichen, oder wenn wir überlegen, welches Verhalten ein uns gegenwärtig am Herzen liegender Zweck von uns fordert. Mit einer in diesem Sinne beurteilten Handlung wird immer zugleich das auf sie gerichtete Wollen beurteilt, nämlich ebenfalls hinsichtlich seines Verhältinsses zum Wollen des Zwecks. Denn stimmt eine Handlung, die dem Wollen, durch das sie hervorgebracht wurde, gemäß ausgefallen ist, weiter auch mit dem Wollen des Zwecks, auf den sie berechnet war, überein, so tut dies auch das erste Wollen selbst, und fehlt jene Übereinstimmung, so auch diese. Erfüllt z. B. eine von Anfang bis Ende nach Wunsch verlaufene chirurgische Operation ihre Aufgabe, den Kranken von seinem Leiden zu befreien, gelang sie mit anderen Worten nicht bloß als Handlung für sich betrachtet, sondern erwies sie sich auch als richtiges Mittel, so war auch der Entschluß des Arztes, sie vorzunehmen, richtig in Bezug auf das Wollen des Zwecks; erwies sich umgekehrt eine richtig ausgeführte Operation als zweckwidrig, so stellte sich damit auch die Unrichtigkeit des Wollen, das sich in ihr betätigte, in Bezug auf das Wollen des Zwecks heraus. Eine Beurteilung dieser Art betrifft aber nicht zugleich das Wollen des Zwecks selbst. Wie wir, wenn wir eine Handlung mit dem Wollen, durch das sie hervorgebracht wurde, vergleichen, ob sie ihm entsprechend ausgefallen ist, die Angemessenheit dieses Wollens dahingestellt sein lassen, so auch, wenn wir das Wollen einer Handlung mit dem Wollen des ihr gesetzten Zweckes vergleichen, die Angemessenheit des letzteren Wollens oder, was auf dasselbe hinausläuft, den Wert des Zwecks. Der Entschluß des Arztes, die Operation vorzunehmen, die sich als erfolgreich erwies, wäre in Bezug auf den erreichten Zweck auch dann richtig gewesen, wenn diser, die Heilung des Kranken, selbst ein verwerflicher, also das auf ihn gerichtete Wollen ein verkehrtes gewesen wäre.

Eine Beurteilung der zweiten Art kann übrigens immer in eine solche der ersten verwandelt werden, nämlich dadurch, daß das auf den Vorgang, der zuerst als Handlung aufgefaßt wurde, folgende Geschehene bis zur Verwirklichung des Zwecks, oder, wenn diese mißlang, bis zu ihrem Mißlungensein mit zur Handlung gerechnet wird. Zum Beispiel das Urteil über eine Operation, daß sie ihrem Zweck, der Heilung des Kranken, entsprochen hat, kann man, indem man nicht das Operieren für sich allein, sondern dasselbe zusammen mit der von ihr erwarteten Reihenfolge von Wirkungen, also das Heilen als die vom Arzt gewollte Handlung auffaßt, durch das andere ersetzen, daß diese Handlung gelungen ist. Oder angenommen, es glückt mir bei einer Wanderung ein Sprung über einen Bach, der meinen Weg durchschneidet, so kann ich als die von mir ausgeführte Handlung den ganzen Sprung, einschließlich meiner Ankunft auf der anderen Seite, aber auch das bloße Abspringen betrachten, und es läuft auf dasselbe hinaus, ob ich von dem in dieser bestimmten Richtung mit dieser bestimmten Kraftanwendung ausgeführten Abspringen und dem sich darin betätigenden Wollen urteile, es habe meinem Zweck, mich auf der anderen Seite des Baches zu befinden, oder dem Wollen dieses Zweckes entsprochen, oder vom ganzen Sprung, er sei so ausgefallen, wie er beabsichtigt gewesen ist. In vielen Fällen läßt sich gar nicht oder doch nicht ohne starke Künstelei, das ganze, mit dem Entschluß, einen Zweck zu verwirklichen, beginnende und mit dem vollendeten Erfolg oder Fehlschlag endende Geschehen in zwei Teile zerlegen, deren erster die ganze Handlung wäre, und deren zweiter aus einer Wirkung der Handlung oder einer sich an die Handlung anschließende Kette von Ursachen und Wirkungen bestände, ist es also nicht bloß möglich, sondern notwendig, die Realisierung des Zwecks in die Handlung einzurechnen, sei es in der Weise, daß der Anfang der Handlung auch schon der Anfang der Realisierung ist (wie dies z. B. beim Zeichnen einer Figur, die keinen anderen Zweck als das Dasein des gezeichneten Bildes hat, der Fall ist), sei es in der anderen, daß die Realisierung erst an einem späteren Punkt der Handlung beginnt (wofür das Hauen mit einem Beil zum Zweck der Spaltung eines Holzscheites als Beispiel dienen kann). Eine solche ihren Zweck in sich selbst habende Handlung kann nur einer Beurteilung der ersten Art unterzogen werden. Von einer Handlung und dem Wollen, dessen Inhalt sie bildet, und durch das sie hervorgebracht wurde, zu sagen, daß sie dem Zweck, zu dem sie unternommen wurde, entsprochen oder nicht entsprochen hat, hat nur dann einen Sinn, wenn die Verwirklichung dieses Zwecks nicht völlig mit ihr oder einem Abschnitt von ihr zusammenfällt, sondern noch ein weiterer Vorgang, sei es wiederum eine Handlung, sei es ein vom Wollen unabhängiges Geschehen, hinzukommen mußte. Wird von einem Zweck, dessen ganze Verwirklichung in einer bloßen Handlung bestand, z. B. dem Singen eines Liedes, gesagt, er sei erreicht worden, so wird nicht das Wollen dieser Handlung in Bezug auf das Wollen eines Zwecks, sondern nur die Handlung selbst in Bezug auf das Wollen, dem sie zur Ausführung dienen sollte, beurteilt.

Wird ein Zweck nicht seiner selbst wegen gewollt, sondern deshalb, weil der Wollende glaubt, seine Realisierung werde die eines seiner selbst wegen gewollten von selbst nach sich ziehen, oder sie werde eine weitere Handlung ermöglichen, die diesen Erfolg verspricht, mit einem Wort: deshalb, weil der Wollende ihn für ein Mittel zu eine Endzweck hält, so kann das ihn setzende Wollen, welches, wie oben bemerkt wurde, bei der Beurteilung der Handlung, in der es sich betätigt, und des diese Handlung hervorbringenden Wollens unbeurteilt bleibt, selbst wieder beurteilt werden, nämlich hinsichtlich seiner Angemessenheit zum Wollen des Endzwecks. Eine solche Beurteilung des Wollens eines Zwecks kann auch als Beurteilung aller möglichen ihm entsprechenden Handlungen aufgefaßt werden. Was dagegen vom Endzweck selbst oder dem auf ihn gerichteten Wollen zu halten ist, läßt sie unbestimmt.

3. Endlich kann auch das Wollen eines Endzwecks und der denselben realisierenden Handlung wieder einer Kritik unterzogen werden. Denn es kann in ähnlicher Weise wie das auf ein Mittel gerichtete mit Anforderungen verglichen werden, die der Wille desselben Subjekts durch ein anderes Wollen, nämlich ein einem höheren Endzweck zugewandtes, an sich stellt. Es habe z. B. Jemand sich vorgenommen, eine Geldsumme, in deren Besitz er unverhofft gelangt ist, zur möglichst gr0ßen Förderung des Wohles seiner Mitbürger zu verwenden, und verbraucht sie vollständig durch die Veranstaltung eines Volksfestes, während er durch ihre Verteilung an die Notleidenden seiner Absicht weit besser gedient haben würde, so wird er sich später sagen müssen, daß er zwar einen von ihm gewollten Endzweck verwirklicht hat, nämlich das Vergnügen der von ihm Bewirteten, daß derselbe aber ein verkehrter gewesen ist, sofern seine Verwirklichung derjenigen eines höheren, nämlich so viel Glück zu schaffen, als es mit den zur Verfügung stehenden Mitteln möglich gewesen wäre, Bedenken erregt hätte. Oder, um noch ein Beispiel hinzuzufügen, eine Lust, die ich mir zu verschaffen bemüht bin, ist mir Endzweck eines Wollens, welches in Bezug auf einen höheren Endzweck unrichtig ist, wenn seine Befriedigung nicht ohne Schädigung meiner Gesundheit möglich ist, denn die Gesundheit ist mir mehr wert als ein flüchtiger Genuß; und ebenso kann ein Wollen, dessen Ziel im Freibleiben von einem drohenden Schmerz besteht, aus einem höheren Endzweck entspringenden Anforderungen widersprechen, denn das Übel des Schmerzes kann die Befreiung von einem größeren Übel oder den Gewinn eines größeren Gutes zur Folge haben.

Es erhebt sich hier die Frage, in welchem Verhältnis zwei Endzwecke zueinander stehen müssen, damit dem einen die Bedeutung des höheren, einen Maßstab zur Beurteilung des anderen hergebenden zukommt. Ein Endzweck α, antworte ich, steht zu einem anderen A in dem Verhältnis des niedrigeren zum höheren sicherlich dann und, wie mir scheint, nur dann, wenn es einen dritten a gibt, der sich zu α wie das Allgemeine zum Besonderen und zu A wie der Teil zum Ganzen verhält. Denn alsdann ist zwar in allen Fällen die Verwirklichung von α auch eine der vielen möglichen Arten der Verwirklichung des allgemeineren a und folglich an und für sich ein Beitrag zur Verwirklichung des umfassenderen A, aber es ist möglich, daß die Verwirklichung von α und a dadurch, daß sie die Verwirklichung von etwas anderem ausschließt, sowie auch dadurch, daß sie die Verwirklichung von etwas anderem mit sich führt oder nach sich zieht, mit einem Wort: durch ihre negativen und positiven Folgen für die Verwirklichung von A einen Verlust bedeutet, der größer ist als jener Beitrag, und das Bestehen dieser Möglichkeit ist gleichbedeutend mit dem Bestehen von Anforderungen, die der Wille dadurch an sich stellt, daß er sich auf den Endzweck A richtet. Zur Erläuterung können die oben angeführten Beispiele dienen. Der Zweck α, die Mitbürger durch die Veranstaltung eines Festes zu erfreuen, stand zu dem anderen a, ihnen überhaupt einen glücklichen Tag, als sie sonst verlebt haben würden, zu bereiten, in einem Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen, und dieser zu dem dritten A, das Wohl der Mitbürger in möglichst hohem Grad zu fördern, im Verhältnis des Teils zum Ganzen. Obwohl nun der erste dieser drei Zwecke an und für sich mit dem dritten zusammenstimmte, hatte doch seine Verwirklichung dadurch, daß sie eine der Beförderung des Wohles der Mitbürger dienlichere Verwendung der zur Verfügung stehenden Geldsumme ausschloß, zur Folge, daß der dritte, sofern er nicht in der Förderung des Wohles überhaupt, sondern in einer möglichst großen bestand, vereitelt wurde. Zum zweiten Beispiel ist zu bemerken, daß in jeder Lust zwar natürlich nicht die vollständige, mit ihr gleichzeitige Gesundheit des Genießenden, aber eine Seite derselben wie das Allgemeine im Besonderen enthalten ist, und daß dieser allgemeine Endzweck zu dem der vollständigen und nicht bloß die Zeit jenes Genießens, sondern die ganze künftige Lebenszeit hindurch dauernden Gesundheit im Verhältnis des Teils zum Ganzen steht.

Das Wollen eines Endzwecks kann noch in einer etwas anderen Weise als der eben beschriebene Gegenstand einer Wertbeurteilung sein. Wir verlangen nämlich von einem Zweck, den wir uns setzen, nicht nur, daß seine Verwirklichung keine einem höheren feindliche Folgen hat, sondern auch, daß sie überhaupt möglich ist, und weiter, daß wir, um sie herbeizuführen, keine Opfer zu bringen genötigt sind, die seinen Wert übertreffen würden. Erkennen wir, nachdem wir uns eine Zeit lang um die Verwirklichung eines Endzwecks bemüht haben, daß alle weiteren Versuche vergeblich sind oder doch nur einen unvollkommenen Erfolg haben würden, so liegt darin das Urteil, daß das Wollen desselben ganz oder zum Teil verfehlt gewesen ist; und dasselbe Urteil trifft auch im anderen Fall zu, daß wir einsehen, daß das erstrebte Ziel zwar erreichbar ist und daß die Befriedigung, es erreicht zu haben, uns auch durch keine unerwünschten Folgen in das Gegenteil verkehrt wird, aber andererseits bemerken, der Erfolg würde der Anstrengungen, die er uns kosten würde, der Leiden und Entbehrungen, die wir auf dem Weg zu ihm würden auf uns nehmen müssen, nicht wert ist. Aber auch die Beurteilungen dieser Art bestehen doch ebenfalls in der Vergleichung entweder des ganzen Endzwecks, den wir ins Auge gefaßt haben, oder desjenigen Teils desselben, dessen Verwirklichung uns möglich erscheint, mit einem höheren. Wenn wir nämlich von einem uns vorschwebenden Endzweck deshalb Abstand nehmen, weil uns die Beschwerden des Weges, der zu seiner Verwirklichung führen würde, zu groß erscheinen, so ist der höhere, mit dem wir ihn vergleichen, ein solcher, zu welchem das Freisein von jenen Beschwerden gehört, etwa der, möglichst viel Lust und möglichst wenig Unlust zu haben; wir finden, daß wir durch das Erdulden jener Beschwerden in Bezug auf diesen höheren Zweck mehr verlieren als durch die Verwirklichung des in Frage stehenden gewinnen würden. Und wenn wir von einem Endzweck erkennen, daß wir nur einen Teil von ihm zu verwirklichen imstande sein würden, und uns nun fragen, ob der erreichbare Erfolg die Anstrengung, die er fordert, und das Erdulden der etwa noch zu dieser Anstrengung hinzukommenden Unannehmlichkeiten lohnen wird, so vergleichen wir in derselben Weise den Teil desselben, dessen Verwirklichung wir als möglich erkannt haben, mit einem höheren Endzweck. Auch dann endlich, wenn wir finden, daß uns auch nicht einmal die Verwirklichung eines Teils eines uns lockenden Endzwecks gelingen könnte, blicken wir auf einen anderen; wir stehen vom ersteren ab, weil das Freisein von erfolgloser Anstrengung oder quälender Ratlosigkeit uns mehr wert ist als das, was wir zu erreichen vermöchten, nämlich als Nichts. Der Unterschied zwischen diesen Arten der Beurteilung und der zuvor beschriebenen ist hiernach nur der, daß es dort ein sich an die vollendete Verwirklichung eines Endzwecks Anschließendes oder ihr Folgendes war, was der Verwirklichung eines höheren Zwecks Abbruch tat, hier ein dem Gelingen oder Mißlingen des Versuchs der Verwirklichung Vorhergehendes. Gemeinsam ist ihnen, daß sie prüfen, ob nicht etwa die Wirkungen, die das ihren Gegenstand bildende Wollen eines Endzwecks noch außer dessen Verwirklichung hat, dem Wollen eines höheren Zwecks mehr Nachteil bringen wird als die Verwirklichung des niedrigeren Vorteils.

Der höhere Endzweck A, mit dem ein niedrigerer α verglichen wird, kann sich selbst wieder zu einem anderen wie der niedrigere zum höheren Verhalten. Meine Gesundheit z. B., die mir in Bezug auf ein kurzes Vergnügen ein höherer Endzweck ist, ist mir ein niedrigerer in Bezug auf ein in jeder Hinsicht möglichst glückliches Leben, so daß ich in Lagen kommen kann, in denen mir die Klugheit rät, etwas meiner Gesundheit Schädliches zu tun. Solange nichts über die Natur der Beziehung zwischen zwei Endzwecken bestimmt ist, die den einen zum niedrigeren, den anderen zum höheren macht, ließe sich denken, daß es überhaupt keinen Endzweck gibt, über den kein anderer mehr stünde. Denn wie zwei Personen wechselseitig im Verhältnis des Vorgesetzten und des Untergebenen stehen können (das täten z. B. ein Kaufmann, der Leutnant der Landwehr, und sein Buchhalter, der Hauptmann wäre), so könnte auch das zwischen zwei Endzwecken A und B bestehende Verhältnis des Niedrigeren zum Höheren ein wechselseitiges sein, und dann würde sich die Reihe der Endzwecke, der A und B angehören, nach oben hin ins Unendliche erstrecken, indem auf A B folgt, dann auf B wieder A und so fort. Anders aber verhält es sich, wenn die oben über die Natur der zwischen einem niedrigeren Endzweck α und einem höheren A bestehenden Beziehung dargelegte Ansicht richtig ist. Ihr zufolge muß jede aufsteigende Reihe von Endzwecken ein letztes Glied haben, denn wenn sich α zu einem Teil von A wie das Besondere zum Allgemeinen verhält, so kann sich nicht umgekehrt auch A zu einem Teil von α so verhalten. Gibt es also Endzwecke, deren Wert davon abhängt, welche Folgen ihre Verwirklichung für einen anderen hat, bedingte Endzwecke, so gibt es auch mindestens einen, dessen Wert nicht von dieser Art ist, einen unbedingten, absoluten. Das auf einen solchen gerichtete Wollen nun kann überhaupt nicht wieder Gegenstand einer Beurteilung sein, welche, wie die bisher betrachteten, die Verwirklichung des Gewollten (einer Handlung oder eines durch eine Handlung hervorzubringenden Zweckes, der selbst wieder Mittel zu einem Zweck ist, oder eines bedingten Endzweckes) mit den Folgen, die sie für die Befriedigung eines anderen Wollens hat, vergleicht.

Ob ein wollendes Wesen mehrere absolute Endzwecke nebeneinander haben kann oder zu jeder Zeit nur einen, und das Letztere angenommen, ob sein Wille hinsichtlich seines absoluten Endzwecks veränderlich ist, oder ob alle Veränderungen, deren ein Wille fähig ist, nur seine bedingten Endzwecke und die Mittel zu deren Verwirklichung betreffen, wie dies z. B. der Fall sein würde, wenn alle Wünsche, Neigungen, Begehrungen, die in der Seele eines Menschen von seiner Geburt bis zu seinem Tod auftreten können, in dem einen Ziel, daß sein ganzes Leben möglichst reich an Freude und möglichst frei von Leid sein mag, zusammenstimmen: diese Fragen sowie die, worin der Eine absolute Endzweck (wenn es einen solchen überhaupt gibt) besteht, lasse ich einstweilen beiseite, um zunächst eine andere Art der Wertbeurteilung des Wollens als die eben erörterten, zu betrachten, - die sittliche.

4. Den Gegenstand einer sittlichen Beurteilung bildet niemals eine Handlung für sich betrachtet. Auf eine Handlung kann sie sich nur in der Weise beziehen, daß sie die Übereinstimmung derselben mit dem Wollen, durch das sie unmittelbar hervorgebracht wurde (die Übereinstimmung der wirklich ausgeführten Handlung mit der beabsichtigten, ihr Gelungensein), voraussetzt und zum eigentlichen Gegenstand dieses Wollen hat. Halte ich mir vor, ich hätte nicht tun sollen, was ich getan habe, denn es ist schlecht, so etwas zu tun, so tadle ich nicht mein Tun, sofern es ein Geschehen war, wie es auch wohl ungewollt hätte stattfinden können, sondern meinen Willen, daß er es gewollt hat; und ebenso ist es die Entscheidung meines Willens, was ich billige, wenn ich finde, es sei recht gewesen, das zu tun, was ich tat. Die erste Art der im Vorstehenden betrachteten Beurteilungen (die technische, wenn ich sie mit dem Beiwort bezeichnen darf, mit welchem KANT diejenigen Imperative, die Regeln der Geschicklichkeit sind, denen, die Ratschlägt der Klugheit sein sollen und die er pragmatische nannte, gegenüberstellt) unterscheidet sich also von der ethischen schon dem Gegenstand nach und kommt daher für den Versuch, die der letzteren eigentümlicherweise, ihren eigentümlichen Gesichtspunkt, zu bestimmen, nicht in Betracht. Nur mit denjenigen von den oben beschrieben ist zu diesem Zweck die ethische zu vergleichen, deren Gebiet ebenfalls durch die Willenstätigkeiten gebildet wird, und Handlungen nur insofern in sich faßt, als in ihnen ein Wollen seine Ausführung gefunden hat.

Mit der Beurteilung nun, die das Wollen einer auf einen Zweck berechneten Handlung mit dem Wollen dieses Zweckes, oder das Wollen eines Zwecks als Mittel zu einem entfernteren Zweck mit dem Wollen des letzteren, oder das Wollen eines Endzwecks mit dem eines höheren, sei es selbst wieder bedingten, sei es unbedingten Endzwecks vergleicht, mit der pragmatischen, hat die ethische dieses gemein, daß es sich bei ihr um das Gewollte handelt. Es ist allerdings wahr, daß es für den sittlichen Wert eines Wollens auf die Gesinnung, die den Willen dazu bestimmt, die Triebfeder, das Motiv, ankommt. Aber das Motiv eines Wollens gibt ihm doch eine Bestimmtheit, durch die es sich von jedem aus einem anderen Motiv entspringenden Wollen unterscheidet, und diese Bestimmtheit betrifft das Gewollte, sie ist enthalten in derjenigen, daß das Wollen einen bestimmten Inhalt hat, Wollen eines gewissen Gewollten ist. Wissen wir z. B., daß ein Wollen zum Motiv das Mitleid hat, so wissen wir auch, daß sein Endzweck den allgemeinen, fremdes Leid zu vermindern, enthält. Ist das Motiv Ruhmgier, so ist der Endzweck ein Gewinn an Ruhm in einer besonderen Gestalt. Besteht, wie KANT lehrte, die Triebfeder jedes sittlich guten Wollens in der Achtung vor einem Gesetz, dem zu gehorchen die reine Vernunft dem Willen gebietet, so ist das Gewollte jedes sittlich guten Wollens die Übereinstimmung einer Handlung mit jenem Gesetz. Die Beurteilung eines Wollens hinsichtlich seines Motives ist also immer auch eine Beurteilung desselben hinsichtlich des Gewollten, während allerdings nicht auch umgekehrt eine Beurteilung hinsichtlich des Gewollten eine solche hinsichtlich des Motivs zu sein braucht.

Wodurch aber unterscheidet sich die sittliche Beurteilung von der pragmatischen? Die letztere bezieht, wie gezeigt wurde, in allen ihren Arten das Wollen, das ihren Gegenstand bildet, auf ein anderes, dem seine Ausführung zugute kommen soll, - entweder das Wollen einer Handlung auf dasjenige ihres Zwecks, indem sie fragt, ob es zur Verwirklichung des letzteren führt oder nicht, oder in derselben Weise das Wollen eines Zwecks, der das Mittel der Verwirklichung eines anderen Zwecks, sei es wieder eines als Mittel gedachten, sei es eines Endzwecks, sein sollte, auf das Wollen dieses entfernteren Zwecks, oder das Wollen eines niedrigeren Endzwecks auf das eines höheren, sei es eines bedingten, sei es unbedingten, um zu bestimmen, ob der Beitrag, den es zu dessen Befriedigung liefert, nicht von den üblen Wirkungen, die es etwa hat, überwogen wird. Sie alle halten sich also an die Folgen des zu beurteilenden Wollens, - bestimmter, wenn es sich um ein wirklich gewordenes und zur Ausführung gelangtes Wollen handelt, an diejenigen Folgen, von denen der Urteilende weiß oder zu wissen glaubt, daß sie eintreten werden. Umgekehrt gehört jede Beurteilung, der es auf den Erfolg ankommt, zu einer der beschriebenen Arten der pragmatischen; denn wenn wir uns des Wortes Mittel in einem weiteren Sinn bedienen, daß wir auch eine Handlung in Bezug auf einen Zweck, der durch sie verwirklicht werden soll, so nennen, so gibt es keinen anderen Grund für die Möglichkeit, daß sich die Wertbeurteilungen eines Wollens auf seine Folgen bezieht, als die beiden Verhältnisse des Mittels zum Zweck und des niedrigeren Endzwecks zum höheren. Wenn folglich, wie vorausgesetzt wurde, die sittliche Beurteilung eines Wollens keine Art der pragmatischen, sondern ihr entgegengesetzt ist, so besteht ihre Eigentümlichkeit, der letzteren gegenüber, darin, daß ihr die wirklichen Folgen des beurteilten Wollens gleichgültig sind, daß es ihr also nur auf die Beschaffenheit ankommt, die das berurteilte Wollen insofern besitzt, als es diesen bestimmten Inhalt hat und damit die Erwartung gewisser Folgen einschließt. Die Selbstbeobachtung bestätigt diese Ansicht und damit auch die Voraussetzung, daß die sittliche Beurteilung sich der Art nach von der pragmatischen unterscheidet. Niemand wird meinen, daß er ein Wollen in sittlicher Hinsicht beurteilt, wenn er nichts anderes feststellt, als daß die gewollte Handlung dem Zweck, den sie zu verwirklichen bestimmt war, entsprochen, also die vom wollenden Subjekt erwarteten Folgen wirklich gehabt hat, oder daß der gewollte Zweck, der ein Mittel wirklich gehabt hat, oder daß der gewollte Zweck, der ein Mittel zu einem entfernteren Zweck sein sollte, sich wirklich als ein solches erwiesen hat, oder daß der gewollte Endzweck mit einem gewissen höheren in Einklang oder in Mißklang steht. Niemand hält eine Absicht für deshalb für sittlich gut, weil sie gelang, oder für böse, weil sie mißlungen ist. Niemand glaubt, daß er erst den Erfolg eines Vorhabens anwarten muß, ehe er sagen kann, ob es in sittlicher Hinsicht Lob oder Tadel verdient. Für den Gemütszustand freilich, den die sittliche Selbstbeurteilung hervorruft, ist es von großer Bedeutung, ob die beabsichtigte Tat gelang oder mißlang, und auch ihre nicht beabsichtigten Folgen fallen hierfür ins Gewicht. Weit strenger ertönt die strafenden Stimme des Gewissens, wenn die in der Leidenschaft beschlossene Übeltat zur vollendten Ausführung gelangte, als wenn sie vereitelt würde, und Anderen Verderben brachte als dem, der getroffen werden sollte. Aber die Verwerflichkeit des bösen Wollens kann doch nicht dadurch vermindert werden, daß ein Zufall die Ausführung verhindert, und nicht dadurch erhöht, daß das beabsichtigte Unheil sich weiter erstreckt, als erwartet war. Und folglich ist der sittliche Wert auch der Handlung unabhängig davon, wie sie wirklich ausfiel, und welche Folgen sie wirklich hatte, denn das über die Handlung ausgesprochene Urteil will in ihr nur das Wollen treffen, durch das sie hervorgerufen wurde.

5. An die Unterscheideung der sittlichen und der pragmatischen Beurteilung kann sogleich eine nähere Bestimmung über das Objekt der ersteren geknüpft werden. Ein Wollen, dessen Gewolltes keine Handlung, sondern ein durch eine Handlung Hervorzubringendes ist dabei ein an und für sich Gleichgültiges, etwas, was für sich allein weder ein Begehren noch ein Verabscheuen hervorzurufen vermag, dessen Wirklichkeit oder Unwirklichkeit also nicht ihrer selbst, sondern nur der erwarteten Folgen wegen gewollt werden kann, - jedes derartige Wollen ist an und für sich in sittlicher Hinsicht selbst etwas Gleichgültiges, weder löblich noch tadelnswert. Doch kann auch ein solches ansich sittlich gleichgültiges Wollen Gegenstand einer sittlichen Billigung oder Mißbilligung sein, nämlich insofern, als es mit der Erwartung gewisser Wirkungen verbunden ist, die dem Wollenden nicht wieder an und für sich gleichgültig sind, oder, was dasselbe ist, als die Billigung oder Mißbilligung des mit ihm verbundenen Wollens gewisser Wirkungen zugleich es selbst betrifft. Dagegen kann - es ist dies eine Tatsache der sittlichen Erfahrung - ein Wollen, dessen Gewolltes eine Handlung gewisser Art ist, die in einem an und für sich gleichgültigen, nur durch seine Wirkungen interessierenden Vorgang besteht, sowie auch ein solches, dessen Gewolltes das Unterlassen einer Handlung gewisser Art ist, ansich, unabhängig von seinen Wirkungen, Gegenstand einer sittlichen Beurteilung sein. Das Lügen ist z. B. eine Handlung, die begehen zu wollen, das Worthalten eine solche, die unterlassen zu wollen wir ansich, ohne Rücksicht auf den Zweck, der durch das Begehen der einen, das Unterlassen der anderen erreicht werden soll, tadelnswert finden. Soviel ich sehe sind diese sittlichen Beurteilungen alle Mißbilligungen. Allerdings steht jedem in der angegebenen Weise tadelnswerten Tunwollens einer Handlung ein löbliches Lassenwollen, z. B. dem Lügenwollen das Nichtlügenwollen und ebenso jedem tadelnswerten Lassenwollen ein löbliches Tunwollen, z. B. der Absicht, sein Wort nicht zu halten, die, es zu halten, gegenüber. Allein das Nichtlügenwollen verdient Lob doch nur dann, wenn es zum Motiv den Widerwillen gegen das Lügen, also zum Endzweck das Unterbleiben der Lüge, und das Worthalten nur dann, wenn es zum Motiv den Abscheu vor dem Wortbruch, also zum Endzweck das Unterbleiben des Wortbruchs hat. Die löblichsten Handlungen dieser Art werden also nicht, wie die entsprechenden tadelnswerten, ohne Rücksicht auf ihr Motiv oder ihren Endzweck beurteilt.

Es läßt sich hiernach bestimmter angeben, worauf die sittliche Beurteilung eines Wollens, welches aus dem eines Endzwecks, dem eines Mittels zu diesem Endzweck, und dem einer dieses Mittel verwirklichenden Handlung zusammengesetzt ist, ihr Augenmerk zu richten hat. Der sittliche Wert eines so zusammengesetzten Wollens hängt zunächst von dem des Wollens des Endzwecks ab. Ist dieser unsittlich, so ist es auch das ganze zusammengesetzte Wollen; die moralische Qualität des Wollens des Mittels und desjenigen der Handlung können daran nichts ändern; niemals können die Handlung und das Mittel den Zweck heiligen. Das ganze Wollen kann also nur dann gut sein, wenn das des Endzwecks es ist. Dazu, daß das Wollen des Endzwecks gut ist, gehört aber nicht nur, daß es ansich gut ist, sondern auch, daß sein Urheber nicht voraussieht, daß seine Ausführung für die Verwirklichung eines höheren Endzwecks, den nicht zu wünschen unsittlich wäre, mehr Verlust als Gewinn zur Folge haben wird. Wer z. B. einen Freund aus einer unangenehmen Lage befreien will, obwohl er erwarten müßte, daß demselben aus der Verbesserung seines Zustandes ein größeres Unglück erwachsen wird, würde nicht Lob sondern Tadel verdienen. Während, wenn das Wollen des Endzwecks unsittlich ist, auch das ganze Wollen es ist, ist das letztere nicht schon darum gut, weil das erstere es ist, sondern es fragt sich dann weiter, welches Prädikat in sittlicher Hinsicht dem Wollen des Mittels zukommt. Ein Mittel nämlich kan so beschaffen sein, daß es nicht zu den ansich gleichgültigen Dingen gehört, sondern zu denen, die ein Begehren oder Verabscheuen hervorrufen imstande sind, und mithin kann das Wollen eines Mittels nicht bloß zweckmäßig und unzweckmäßig, sondern auch recht und unrecht sein. Ferner kann das Wollen eines Mittels auch im Hinblick auf die Folgen, die der Wille außer der Verwirklichung eines Endzwecks von seiner Ausführung erwartet, Lob oder Tadel verdienen. Erweist sich das Mittel als ein so beschaffenes, daß das auf seine Verwirklichung gerichtete Wollen sittlich zulässig ist, so ist im vorausgesetzten Fall, daß das Wollen des Endzwecks gut ist, auch dessen Verbindung mit dem Wollen des Mittels gut. Zeigt sich dagegen, daß das Wollen des Mittels in der einen oder anderen Weise sittlich verwerflich ist, so bleibt zu erwägen, ob auch die Verbindung des guten Willens des Endzwecks mit ihm verwerflich ist, oder ob die miteinander verbundenen sich so zueinander verhalten, daß das Wort, der Zweck heiligt das Mittel, Anwendung findet. Ob man z. B. einem Menschen gegen seinen Willen ein Leid zufügen darf, um einen anderen vor Unglück zu bewahren, ist eine Gewissensfrage, deren Entscheidung von den Umständen Falles abhängig gemacht werden muß. Oder wer in die Lage käme, zu überlegen, ob er zu dem Zweck, einem Freund aus der Not zu helfen, sein ganzes Vermögen aufs Spiel setzen soll, würde, obwohl ein solcher Endzweck ohne Zweifel ansich schön ist, doch, wenn er einsähe, daß er Gefahr laufen würde, durch die Anwendung dieses Mittels seine eigene Familie unglücklich zu machen, oder sich fernerhin der Möglichkeit eines segensreichen Wohltuns zu berauben, in sittlicher Hinsicht zu bedenken haben, ob auch die Verbindung des schönen Endzwecks mit dem ansich tadelnswerten Herbeiführen jener Gefahr recht ist. Ist endlich nicht bloß das Wollen des Endzwecks, sondern auch das aus ihm und dem Wollen des Mittels zusammengesetzte Wollen schließlich dasjenige der bloßen Handlung in Betracht, und zwar in analoger Weise wie zuvor das Wollen des Mittels; denn abgesehen von der Möglichkeit, daß vorauszusehende Nebenwirkungen der Handlung sie tadelnswert machen, lassen sich sowohl solche Fälle denken, in denen der Wille von einem guten Endzweck abstehen muß, weil derselbe nur durch eine ansich unsittliche Handlung erreicht werden könnte, als auch solche, in denen eine ansich unsittliche Handlung, eine Lüge, ein Diebstahl, der Bruch eines Versprechens, durch die Güte des Endzwecks gerechtfertigt wird.

Es könnte scheinen, daß die sittliche Beurteilung eines Wollens nicht bloß diejenigen von seiner Ausführung er warteten Folgen zu erwägen hat, die zu wollen löblich oder tadelnswert sein würde, sondern auch die sittlich gleichgültigen. Oder sollte in keinem Fall eine Handlung, die ansich eine geringfügige sittliche Verfehlung wäre, durch die Größe des Nutzens, die sie dem Handelnden zu bringen, oder die Größe des Schadens, vor dem sie ihn zu bewahren verspricht, gerechtfertigt werden können? Lügen ist z. B. ansich niedrig und verächtlich, aber sollte nur ein Zweck von großem sittlichen Wert sein, zu dessen Verwirklichung es einer Lüge bedarf, ihr jenen Charakter nehmen können, sollte nicht unter Umständen eine ganz unwichtige Niemandem schädigende Lüge auch zu dem Zwecke, sich aus großer Bedrängnis zu retten, erlaubt sein? Allein angenommen, das Gewissen berücksichtigt bei seinen Geboten und Verboten in gewissem Maß die außersittlichen Interessen, so würde das Urteil, welches die Erlaubnis einer ansich tadelnswerten Handlung zu einem sittlich gleichgültigen Zweck ausspricht, zwar das Ergebnis einer auf den Gegensatz des Sittlichen und des Unsittlichen bezüglichen Überlegung sein, aber doch nicht unter den Begriff derjenigen Beurteilung fallen, die im Vorhergehenden als sittliche bezeichnet wurde, denn es enthielte weder eine sittliche Billigung noch eine sittliche Mißbilligung, vielmehr weist es die Handlung dadurch, daß sie ihr und ihrem Zweck das Prädikat Erlaubt! gäbe, der pragmatischen Beurteilung zu.

Statt des Endzwecks kann auch das Motiv als dasjenige bezeichnet werden, wovon der sittliche Wert des Wollens in erster Linie abhängt, wenn unter dem Motiv eines Wollens die dem Inhalt nach eigentümliche Art des Begehrens oder Verlangens oder Wünschens, bzw. des Verabscheuens oder Abgeneigtseins, aus welchem dieses Wollen stammt, oder, was auf dasselbe hinausläuft, des Triebes, dessen Erzeugnis ist ist, verstanden wird, so daß z. B. Liebe, Haß, Freundschaft, Rachsucht, Eitelkeit, Wißbegierde, Todesfurcht, Streitlus Motive sind. Denn mit dem Motiv eines Wollens ist, wie schon oben bemerkt wurde, die Art seines Endzwecks bestimmt, und umgekehrt gibt sich auch in einem Endzweck das Motiv zu erkennen. Das Motiv einer Handlung z. B., die das Wohl des Vaterlandes seiner selbst wegen zum Zweck hat, ist der Patriotismus; wer bei der Unterstützung eines Armen nichts weiter als die Linderung der Not desselben will, handelt aus Mitleid; den Verkleinerer einem Anderen zuteil gewordener, ihm selbst versagt gebliebener Erfolge, treiben Neid und Mißgunst. Unrichtig aber wäre es zu sagen, daß die sittliche Beurteilung eines Wollens sich nur um das Motiv desselben zu kümmern hat. Denn, wie oben bemerkt wurde, zur Güte eines Wollens genügt nicht die Güte seines Endzwecks; es kommt auch auf das Mittel und die Handlung an. Doch ist auch erforderliche Berücksichtigung des Mittels und des Handelns immer eine Berücksichtigung von Motiven. Wenn nämlich ein Wollen trotz seines guten Endzwecks wegen der sittlichen Unzulässigkeit des Mittels oder der Handlung tadelnswert ist, so sind gewisse sittlich gute Motive, die sein Unterbleiben gefordert haben würden, nicht zur Geltung gekommen. Das Urteil z. B., daß der heilige CRISPINUS Unrecht daran getan hat, den Reichen das Leder zu stehlen, um den Armen Schuhe daraus zu machen, kann sich nur darauf gründen, daß der Abscheu vor dem Diebstahl ein gutes Motiv ist, und daß seine Unterdrückung zu rechtfertigen in diesem Fall der gute Endzweck nicht ausreichend gewesen ist. Man kann demnach die sittliche Beurteilung einer Handlung bestimmen als diejenige, welche sich auf das Motiv derselben und die nicht zur Geltung gelangten Gegenmotive beziehen. Das Wort Handlung ist hier, wie überhaupt im Vorhergehenden in einem weiteren Sinn genommen, in welchem es diejenigen Unterlassungen, die Inhalte eines Wollens sind, mit bezeichnet. Werden Handlungen und Unterlassungen unterschieden, so betrifft die sittliche Beurteilung einer Handlung das positive Motiv derselben und die negativen d. h. auf ihr Unterlassen hinwirkenden Gegenmotive, diejenige einer Unterlassung das negative Motiv und die positiven Gegenmotive.

6. Die pragmatische und die ethische Beurteilung, die im Vorstehenden miteinander verglichen wurden, haben beide zum Gegenstand ein Wollen und mit ihm die gewollte Handlung, von der die zur Ausführung gelangende mehr oder weniger abweichen kann. Der Beurteilung einer Handlung als Willensinhaltes überhaupt, der praktischen Beurteilung (wenn ich unter dieser Bezeichnung die pragmatische und die ethische zusammenfassen darf), aber ist, wie schon hervorgehoben wurde, entgegengesetzt diejenige, die ein Handeln als wirklichen Vorgang zum Gegenstand hat und also nicht zugleich eine Beurteilung des verursachenden Wollens ist, die erste der in der gegenwärtigen Untersuchung beschriebenen, die technische. Zur weiteren Klärung des Begriffs der sittlichen Beurteilung wird es nun erforderlich sein, auf den allgemeinen Begriff derjenigen Wertbeurteilung oder Kritik, deren Arten die technische und die praktische, letztere mit den Unterarten der pragmatischen und der ethischen, sind, zurückzugehen, und von ihm aus die Begriffe jener Arten und Unterarten nochmals zu betrachten.

Der Gegenstand der technischen Beurteilung, das Handeln, und der der praktischen, das Wollen, haben das Gemeinsame, ein aus einem Willen entspringendes Tun zu sein. Das Wollen entspringt aus einem Willen unmittelbar, das Handeln mittelbar, nämlich mittels eines Wollens. Der allgemeine Begriff, welchem die Begriffe der technischen und der praktischen Beurteilung untergeordnet sind, ist also der der Wertbeurteilung eines aus einem Willen entspringenden Tuns überhaupt. Eine solche Wertbeurteilung nun bezieht das beurteilte Tun auf gewisse Anforderungen; sie fragt, ob überhaupt und inwieweit es so beschaffen ist, wie es sein soll. Alle Anforderungen aber gehen von einem Willen aus; was von der einen Seite betrachtet ein Sollen ist, ist stets von der anderen betrachtet ein Wollen. Die in Rede stehende Wertbeurteilung denkt sich also einen Willen, der eine gewisse Beschaffenheit des beurteilten Tuns will. Es kann sogleich hinzugefügt werden, daß dieser Wille stets derselbe ist, dem das beurteilte Tun entspringt, daß, mit anderen Worten: das Subjekt des beurteilten Tuns auch das Subjekt des Willens ist, dessen Inhalt die Anforderungen bilden, in Bezug auf welche das Tun beurteilt wird. Denn es können zwar Anforderungen an einen Willen hinsichtlich des aus ihm entspringenden Tuns von einem anderen Willen ausgehen, aber die Beurteilung dieses Tuns in Bezug auf diese Anforderungen setzt dann voraus, daß der Wille, an den die Anforderungen ergehen, denselben nachkommen will und sie durch dieses Wollen zu den seinigen habe. Würde ein Tun beurteilt in Bezug auf Anforderungen, die nicht vom Urteilenden vorgestellt werden als vom Willen eines Subjekts, an das sie sich richten, selbst ausgehende, so würde es nicht als ein aus einem Willen entspringendes Tun beurteilt werden, sondern in der Weise, wie wir einen durch blinde Kräfte verursachten Naturvorgang daraufhin beurteilen, ob er mit gewissen Wünschen übereinstimmt oder nicht. Hiernach hat der Wille, den sich die Beurteilung eines Tuns als den Urheber der Anforderungen denkt, auf die sie sich bezieht, notwendig ein wirkliches Dasein (vorausgesetzt natürlich, daß es sich um ein Tun nicht eines erdichteten, sondern eines wirklich daseienden Wesens handelt). Und wenn die Beurteilung keine bloß hypothetische ist, die es dahingestellt sein läßt, ob jene Anforderungen wirklich bestehen, sondern ihr wirkliches Bestehen voraussetzt, so muß der wirklich daseiende Wille, den sie als den fordernden denkt, auch wirklich ein so beschaffener sein, daß ihm die Anforderungen entnommen werden können. Dieselben brauchen in ihm jedoch nicht die Gestalt eines eigentlichen Wollens zu haben. Sie können auch in derjenigen bloßer Konsequenzen eines ihm eigenen Wollens oder ihm eigener Begehrungen, Neigungen, Triebe in ihm enthalten sein und nur von der Beurteilung als ein wirkliches Wollen vorgestellt werden.

Vergleichen wir nunmehr mit dem allgemeinen Begriff der Wertbeurteilung eines aus einem Willen entspringenden Tuns die besonderen der technischen und der praktischen, so ist ohne weiteres klar, daß bei der ersteren das die Bedeutung eines Sollens habende, fordernde Wollen dasjenige ist, welches unmittelbar die beurteilte Handlung hervorbrachte, daß, mit anderen Worten: die Anforderungen, auf welche die technische Beurteilung das ihren Gegenstand bildende Handeln bezieht, vom Handelnden eben dadurch gestellt werden, daß er diese bestimmte Handlung will. Daß z. B. ein Schuß die Scheibe treffen soll, heißt nichts anderes, als daß der Schütze sie treffen will; der Schütze fordert etwas von seinem Schießen, indem er die Scheibe treffen will, und der Schuß wird als gelungen oder mißlungen beurteilt, je nachdem er dieser Forderung entspricht oder nicht. Bei der praktischen Beurteilung dagegen ist das fordernde Wollen nicht mit dem Wollen der Handlung identisch. Seinen Inhalt bildet nicht eine gewisse Beschaffenheit der Handlung als eines wirklichen Vorgangs, sondern ein solche des Wollens der Handlung. Denn hier ist nicht der wirkliche Vorgang der Handlung, sondern das auf die Handlung gerichtete Wollen das Tun, welches beurteilt wird.

Die beiden Arten der praktischen Beurteilung, die pragmatische und die sittliche, verhalten sich aber im Hinblick auf das fordernde Wollen wieder verschieden.

Bei der ersteren sind die Anforderungen Konsequenzen des höchsten Zweckwollens, mit welchem (wie dies früher dargelegt wurde) das beurteilte Wollen von ihr verglichen wird, also Konsequenzen entweder des Wollen eines Zweckes, der selbst wieder als Mittel zu einem Zweck, oder eines Endzwecks, dessen Verwirklichung als ein Beitrag zur Verwirklichung eines höheren Endzwecks, oder eines Endzwecks, der ohne Rücksicht auf einen höheren gewollt wird. Das fordernde Wollen braucht demnach bei der pragmatischen Beurteilung gar kein wirkliches zu sein; es ist nicht nötig, daß das Subjekt, dessen Wollen beurteilt wird, sich selbst darauf besinnt, daß es mit dem Wollen des Zwecks die Anforderung an sich stellt, das zur Verwirklichung des Zwecks erforderliche Mittel zu wollen, und so ein forderndes Wollen in sich erzeugt, sondern es reicht aus, daß der Beurteiler, indem er die im Wollen eines Zwecks implizit enthaltene Anforderung an das Wollen des Mittels zum Maßstab seiner Beurteilung mach, sich ein diese Anforderung explizit stellendes Wollen denkt. Selbst das Wollen des Zwecks braucht, wenn darunter ein solches Begehren des Zwecks verstanden wird, welches den Entschluß, ihn zu verwirklichen, hervorgerufen hat, kein wirkliches Dasein zu haben; es genügt, wenn statt seiner ein dem Zweck zugewandtes bloßes Begehren oder ein bloßer Trieb nach ihm wirklich in einem Willen, dessen Wollen beurteilt wird, besteht. Man kann ja offenbar das Wollen einer Handlung auch mit einem bloßen Begehren oder Verabscheuen, einer Neigung oder Abneigung, einem positiven oder negativen Trieb vergleichen, ob es damit übereinstimmt oder nicht.

Daß das fordernde Wollen kein wirkliches zu sein braucht, gilt, wie die Erfahrung lehrt, auch von der sittlichen Beurteilung. Bei dieser ist es aber nicht, wie bei der pragmatischen, das Wollen eines Zwecks, inwiefern es das Wollen eines gewissen Mittels oder eines gewissen Beitrags zu seiner Verwirklichung zur Konsequenz hat, sondern dasjenige einer gewissen Beschaffenheit, die dem Wollen, welches zum Zweck eine gewisse Beschaffenheit des Willens hat, die demselben insofern zukommt, als sein Gewolltes von gewisser Art ist, und die Forderungen, die es stellt, gehen dahin, daß das Gewollte von dieser Art ist. Wenn ich hier voraussetzen darf, was ich später (bei dem Versuch, das Prinzip der pragmatischen Beurteilung zu bestimmen) näher begründen werde, daß ein Wollen in keiner anderen Weise als vermöge eines in ihm enthaltenen Begehrens die Quelle einer Anforderung an den Willen sein kann, so ist es die Natur des Willens, daß er sich nicht in einem Begehren und Wollen außerhalb von ihm liegender Zwecke, Mittel und Handlungen erschöpft, sondern einen Trieb enthält, der auf eine gewisse Beschaffenheit seines Wollens gerichtet ist, einen Trieb, vermöge dessen er eine gewisse Beschaffenheit seines Wollens begehrt, eine andere verabscheut, jene billigt, diese mißbilligt, an jener Wohlgefallen, an dieser Mißfallen findet, als gewisse Anforderungen an sein Wollen hinsichtlich des Gewollten stellt. Und diese Anforderungen denkt sich die sittliche Beurteilung, indem sie das ihren Gegenstand bildende Wollen auf dieselben bezieht, als Inhalt eines fordernden, befehlenden, gesetzgebenden Wollens.

7. Indem ich den Unterschied der pragmatischen und der sittlichen Anforderungen darin setzt, daß jene aus dem Wollen eines äußeren Zwecks entspringen, diese nicht, jene also ein Wollen deshalb fordern, weil sein Inhalt zu demjenigen eines anderen im Verhältnis des Mittels oder des Beitrags zum Zweck stehen, diese, weil es ansich, durch die Beschaffenheit, die es als Wollen dieses bestimmten Inhaltes oder Zwecks hat, wertvoll ist, stimme ich mit KANT überein. KANT nennt, weil sie sich in dieser Weise unterscheiden, die pragmatischen Anforderungen hypothetische, die sittlichen kategorische.
    "Alle Imperative", erklärt er (Grund. z. Meta. d. Sitten, Seite 38), "gebieten entweder hypothetisch oder kategorisch. Jene stellen die praktischen Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es will), zu gelangen vor. Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Bezug auf einen anderen Zweck, als objektiv notwendig vorstellt. Wenn die Handlung etwa als Mittel gut sein würde, so ist der Imperativ hypothetisch, wird sie als ansich gut vorgestellt, so ist er kategorisch. Der hypothetische Imperativ sagt also nur, daß die Handlung zu irgendeiner möglichen oder wirklichen Absicht gut ist. Im ersten Fall ist er ein problematisch-, im zweiten assertorisch-praktisches Prinzip. Der kategorische Imperativ, der die Handlung, ohne Bezug auf irgendeine Absicht, d. h. auch ohne irgendeinen anderen Zweck für sich als objektiv notwendig erklärt, gilt als ein apodiktisch (praktisches) Prinzip."
Offenbar versteht hier KANT unter Handlung nicht einen bloßen vom Willen zwecks Verwirklichung eines Zwecks bewirkten Vorgang ohne die beabsichtigte Wirkung, sondern die ganze Verwirklichung eines Zwecks bewirkten Vorgang ohne die beabsichtigte Wirkung, sondern die ganze Verwirklichung eines Zwecks, so daß z. B. die Handlung eines Arztes, dem es gelang, seinen Patienten zu heilen, nicht in der bloßen Reihe der von ihm zu diesem Zweck vorgenommenen Verrichtungen, Gehen, Sprechen, Hören, Nachdenken, Schreiben usw., sondern in dem seinen Zweck in sich schließenden Heilen bestand. Er meint nicht, daß die sittlichen Anforderungen sich überhaupt nicht auf Zwecke, die der Wille setzen oder nicht setzen soll, beziehen, sondern daß sie nicht deshalb einen gewissen Zweck zu verwirklichen gebieten oder verbieten, weil er sich zu einem anderen als Mittel verhält oder ihn widerstreitet.

Ein Mißverständnis wäre es ferner, wenn man der Bezeichnung der pragmatischen Imperative als hypothetischer die Deutung gäbe, KANT habe dieselben sämtlich für bedingte erklären wollen, wenn unter einer bedingten Anforderung eine solche verstanden wird, die aus einem Zweck entspringt, welcher sich zu einem anderen wie der niedrigere zum höheren verhält und je nach den Umständen mit demselben übereinstimmt oder ihm widerstreitet, also eine solche, die unter Umständen aus einem höheren Zweck entspringenden Anforderungen widerstreiten kann und nur unter der Bedingung zu gelten beansprucht, daß solche Umstände nicht vorliegen. Offenbar wäre diese nähere Bestimmung des Begriffs der pragmatischen Anforderung unrichtig; denn sie enthielte die Behauptung, daß es entweder keinen absoluten Endzweck gibt oder daß, wenn es einen solchen gäbe, derselbe keine Quelle von Anforderungen an das Wollen sein kann. Daß sie aber auch nicht der Meinung KANTs entsprechen würde, zeigt eine Erläuterung, die er der Unterscheidung der problematischen und der assertorischen Imperative hinzufügt.
    "Es ist", lautet dieselbe, "ein Zweck, den man bei allen vernünftigen Wesen ... als wirklich voraussetzen kann, und also eine Absicht, die sie nicht etwa bloß haben können, sondern von der man sicher voraussetzen kann, daß sie solche insgesamt nach einer Naturnotwendigkeit haben, und das ist die Absicht auf Glückseligkeit. Der hypothetische Imperativ, der die praktische Notwendigkeit der Handlung, als Mittel zur Beförderung der Glückseligkeit, vorstellt, ist assertorisch. Man darf ihn nicht bloß als notwendig zu einer ungewissen, bloß möglichen Absicht vortragen, sondern zu einer Absicht, die man sicher und a priori bei jedem Menschen voraussetzen kann, weil sie zu seinem Wesen gehört. Also ist der Imperativ, der sich auf die Wahl der Mittel zur eigenen Glückseligkeit bezieht, d. h. die Vorschrift der Klugheit, noch immer hypothetisch; die Handlung wird nicht schlechthin, sondern nur als Mittel zu einer anderen Absicht geboten."
Hiernach machen auch nach KANT alle hypothetischen Imperative, die sich auf den absoluten Endzweck (den er demjenigen der eigenen Glückseligkeit gleichsetzt) beziehen, auf unbedingte, alle aus Zwecken, die sich zu einem absoluten Endzweck wie die besondere Gestaltung eines Teils zum allgemeinen Ganzen verhalten, entspringenden nur auf eine bedingte Gültigkeit Anspruch. Seiner Meinung, daß die ersteren identisch sind mit den assertorischen, d. h. den aus wirklichen, die letzteren mit den problematischen d. h. den aus möglichen Absichten des Subjekts, an welches sie sich richten, stammenden, kann ich allerdings nicht beistimmen. Denn während die bedingten (im angegebenen Sinn des Wortes) und die unbedingten pragmatischen Imperative Arten der wirklich bestehenden, in wirklichen Willensentscheidungen oder Begehrungen gegründeten sind, bezieht sich die Unterscheidung der problematischen und der assertorischen auf die gedachten überhaupt, betrifft also gar nicht die Imperative selbst, sondern nur den Erkenntniszustand dessen, der sich einen Imperativ denkt; derselbe Imperativ ist ja assertorisch oder problematisch, je nachdem der, der ihn denkt, weiß oder nicht weiß, daß er aus einem wirklichen Wollen des Subjekts, an das er sich richtet, stammt. Der Zweifel, den eine bedingte Anforderung enthält, bezieht sich nicht darauf, ob der Zweck, dessen Konsequenz sie ist, wirklich gewollt wird oder nicht, sondern darauf, ob dieser Zweck unter den gegebenen Umständen mit dem absoluten Endzweck in Übereinstimmung und daher von Wert ist oder nicht, er richtet sich nicht gegen die Wirklichkeit der Anforderung, sondern gehört als die Form, in der sie ergeht, zu ihr selbst; und darum können die pragmatischen Anforderungen in bedingte und unbedingte eingeteilt werden. Der mit einer problematischen Anforderung verbundene Zweifel dagegen ist ein Zweifel an ihrem wirklichen Bestehen oder, was dasselbe ist, an der Wirklichkeit des Wollens oder Begehrens, aus dem sie entspringt, und die Einteilung der pragmatischen Anforderungen in problematische und assertorische ist daher ebenso unzulässig, wie es diejenige der Pflanzen in solche, von denen man nicht weiß, ob sie existieren, und solche, von denen man dies weiß, sein würde.

Wenn ich KANT die Ansicht zuschreibe, daß nicht bloß die ethischen oder kategorischen, sondern auch diejenigen pragmatischen oder hypothetischen Anforderungen, die sich auf den absoluten Endzweck des Begehrens beziehen, auf eine unbedingte Gültigkeit Anspruch erheben, so bestreite ich damit nicht, daß er nur den ersteren das Beanspruchte zugestanden hat. Unbedingte Gültigkeit besitzen wirklich nur diejenigen Anforderungen, die von einem Vermögen ausgehen, welches mit keiner gesetzgebenden Macht von höherer Autorität in Konflikt geraten kann. Ein solches Vermögen ist nach KANT die reine Vernunft, die ihm als Quelle des Sittengesetzes gilt, nicht aber das Begehrungsvermögen, von dem die pragmatischen Anforderungen ausgehen, und zwar soll die höhere Autorität, mit der das Begehrungsvermögen in Konflikt geraten kann, eben die reine Vernunft sein. Daher schreibt er den ethischen Anforderungen eine unbedingte Gültigkeit oder Verbindlichkeit zu, während die einer jeden pragmatischen an die Bedingung gebunden sein soll, daß sie keiner ethischen widerstreitet. Ich selbst lasse die Frage nach der Art der Verbindlichkeit der verschiedenen Klassen von Anforderungen einstweilen beiseite. In einem späteren, von einem Zusammenbestehen der ethischen und der pragmatischen Anforderungen handelnden Abschnitte gedenke ich auf sie zurückzukommen.

Zur kantischen Einteilung der hypothetischen Imperative in problematische und assertorische habe ich noch zu bemerken, daß sie zwar die ersteren als Regeln der Geschicklichkeit und die letzteren als Ratschläge der Klugheit beschreibt, und dementsprechend jene als technische, dieses als pragmatische bezeichnet, daß sie sich aber, wie ohne weiteres aus dem eben über sie Gesagten hervorgeht, keineswegs mit der oben erörterten Einteilung deckt, die sich jene Bezeichnungen aneignen zu dürfen glaubte. Auch die Imperative, die KANT technische nennt, gehören zur Klasse derer, die im Wollen eines Zweckes ihren Ursprung und das Wollen einer zu diesem Zweck erforderlichen Handlung zum Inhalt haben, also zu den pragmatischen nach meiner Terminologie. Die von mir technisch genannten, die zum Inhalt nicht das Wollen einer Handlung, sondern ihre Beschaffenheit haben, und nicht aus dem Wollen des Zwecks dieser Handlung, sondern dem der Handlung selbst stammen, kommen in den Ausführungen KANTs überhaupt nicht vor.

8. Die sittlichen Anforderungen, wurde oben geschlossen, sind Äußerungen eines auf eine gewisse Beschaffenheit des Wollens gerichteten Triebes. Nur ein anderer Ausdruck desselben Gedankens ist die Lehre, daß eine besondere Bestimmtheit des Gefühlsvermögens der Grund des Wohlgefallens und des Mißfallens, welches gewisse Beschaffenheiten des Wollens in uns hervorrufen, und also die Quelle der sittlichen Anforderungen ist. Es scheint mir zumindest, daß SHAFTESBURY, HUTCHESON und HUME unter einem moralischen Gefühl oder Sinn nichts anderes verstanden als das, was eben als Trieb bezeichnet wurde und bestimmter als moralischer (sittlicher) Trieb bezeichnet werden kann. Des Ausdrucks moralischer Sinn möchte ich mich freilich nicht bedienen, aber von einem moralischen Gefühl zu reden erscheint mir ganz angemessen; denn ein Zustand des Wohlgefallens und Mißfallens ist, welcher Gegenstand ihn auch hervorgerufen haben und welches auch seine innere Eigentümlichkeit sein mag, nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Gefühl. Es besteht auch durchaus kein Widerspruch zwischen den Auffassungen des in der Seele liegenden Grundes dafür, daß wir uns eines Wollens von gewisser Beschaffenheit mit Wohlgefallen, eines anderen mit Mißfallen bewußt sein, als eines Gefühls und als eines Triebes; denn es ist die Natur der Triebe überhaupt, daß die von ihnen hervorgebrachten Begehrungen, wenn sie befriedigt werden, sich in Gefühle des Wohlgefallens verwandeln, und daß ein analoges Verhältnis, wie zwischen den Begehrungen und den Gefühlen des Wohlgefallens, zwischen den Verabscheuungen und den Gefühlen des Mißfallens besteht. Daß man die Quelle der sittlichen Anforderungen als Gefühl auffassen kann, ohne die Ansicht der genannten Ethiker über das Verhältnis des moralischen Gefühls zum ästhetischen zu teilen, versteht sich von selbst. Und auch das wird kaum zu bemerken nötig sein, daß die Annahme eines moralischen Gefühls ebenso wie diejenige eines moralischen Triebes weder sich für eine Erklärung der Tatsache des sittlichen Wohlgefallens und Mißfallens zu halten noch den Verzicht auf eine solche Erklärung einzuschließen braucht.

KANT glaubte (Kritik der praktischen Vernunft, Seite 152) die Lehre vom moralischen Gefühl mit der Bemerkung widerlegen zu können: man müsse ein Wollen schon vorher als ein tugendhaftes bzw. als ein lasterhaftes erkannt haben, um ein moralisches Wohlgefallen oder Mißfallen an ihm fühlen zu können.
    "Um den Lasterhaften als durch das Bewußtsein seiner Vergehen mit Gemütsunruhe geplagt vorzustellen, müssen sie (die einen moralischen Sinn Annehmenden) ihn, der vornehmsten Grundlage seines Charakters nach, schon im Voraus als, zumindest in einem Grad, moralisch gut, sowie den, welchen das Bewußtsein pflichtmäßiger Handlungen ergötzt, vorher schon als tugendhaft vorstellen. Also mußte doch der Begriff der Moralität und Pflicht vor aller Rücksicht auf diese Zufriedenheit vorhergehen und kann von dieser gar nicht abgeleitet werden. Nun muß man doch die Wichtigkeit dessen, was wir Pflicht nennen, das Ansehen des moralischen Gesetzes und den unmittelbaren Wert, den die Befolgung desselben der Person in ihren eigenen Augen gibt, vorher schätzen, um jene Zufriedenheit im Bewußtsein seiner Angemessenheit zu demselben, und den bitteren Verweis, wenn man sich dessen Übertretung vorwerfen kann, zu fühlen. Man kann also diese Zufriedenheit oder Seelenruhe nicht vor der Erkenntnis der Verbindlichkeit fühlen und sie zum Grund der letzteren machen."
Dieser Einwurf setzt eine der Lehre, die er widerlegen will, entgegengesetzte, nämlich daß die Anforderung, mit der die moralische Beurteilung ein Wollen vergleicht, ihre Quelle nicht in einem Vermögen des Fühlens oder des Begehrens, sondern in einem der Erkenntnis hat, voraus. Stammen die moralischen Anforderungen aus der erkennenden Vernunft oder irgendeinem anderen vom Gefühl verschiedenen Vermögen, so ist das, was dem Gefühl an einem Wollen gefällt oder mißfällt, nicht die Beschaffenheit selbst, durch die es mit den moralischen Anforderungen übereinstimmt oder ihnen widerstreitet, sondern dieses Übereinstimmung oder dieser Widerstreit; das Wollen ist dann mit anderen Worten: nicht deshalb moralisch oder unmoralisch, weil es dem Gefühl gefällt oder mißfällt, sondern umgekehrt gefällt oder mißfällt es dem Gefühl, weil es moralisch oder unmoralisch ist; und dann kann sich natürlich das Gefühl des Gefallens oder Mißfallens an einem Wollen erst einstellen, nachdem das Verhältnis dieses Wollens zu den moralischen Anforderungen erkannt ist, und deshalb kann eine moralische Beurteilung das Kriterium, mittels dessen sie Gut und Schlecht unterscheidet, nicht dem Gefühlsvermögen entnehmen. Entspringen dagegen die moralischen Anforderungen aus dem Gefühlsvermögen, so ist das, was dem Gefühl an einem Wollen gefällt oder mißfällt, nicht dessen Verhältnis zu diesen Anforderungen, sondern die Beschaffenheit, durch welche es in diesem Verhältnis steht; nicht gefällt oder mißfällt dann das Wollen dem Gefühl deshalb, weil es moralisch oder unmoralisch ist, sondern es ist umgekehrt moralisch oder unmoralisch, weil es dem Gefühl gefällt oder mißfällt; und dann ist es selbstverständlich, daß zwar die Beschaffenheit, durch welche das Wollen gefällt oder mißfällt und zu den moralischen Anforderungen in den Verhältnissen der Übereinstimmung oder des Widerspruchs steht, vor dem Auftreten des Gefühls des Wohlgefallens oder des Mißfallens erkannt sein muß, daß aber nicht auch die Erkenntnis der Übereinstimmung oder des Widerstreits, also der Moralität oder Unmoralität dem Gefallen oder Mißfallen vorherzugehen braucht, sondern vielmehr ihre Quelle in einem Vermögen dieser Gefühle hat. Was KANT für eine Widerlegung der Lehre vom moralischen Gefühl hielt, ist also nichts weiter als die bloße Behauptung ihrer Unwahrheit.

Weiterhin gibt KANT jedoch auch einen Grund dafür an, daß das moralische Gesetz nicht aus dem Gefühl, sondern nur aus der Vernunft stammen kann.
    "Daß übrigens", fährt er fort, "so wie, vermöge der Freiheit, der menschliche Wille durch das moralische Gesetz unmittelbar bestimmt ist, auch die öftere Ausübung, diesem Bestimmungsgrund gemäß, subjektiv zuletzt ein Gefühl der Zufriedenheit mit sich selbst wirken kann, stelle ich gar nicht in Abrede; vielmehr gehört es selbst zur Pflicht, dieses, welches eigentlich allein das moralische Gefühl genannt zu werden verdient, zu gründen und zu kultivieren; aber der Begriff der Pflicht kann davon nicht abgeleitet werden, sonst müßten wir uns ein Gefühl eines Gesetzes als solches denken, und das zum Gegenstand der Empfindung machen, was nur durch Vernunft gedacht werden kann; welches, wenn es nicht ein platter Widerspruch werden soll, allen Begriff von Pflicht ganz aufheben, und an deren Statt bloß ein mechanisches Spiel feinerer, mit den gröberen bisweilen in Zwist geratener Neigungen setzen würde."
Gewiß ist es wahr, daß ein Gesetz nicht gefühlt, sondern nur durch die Vernunft gedacht werden kann; aber es ist möglich, daß ein Gesetz, welches die Vernunft denkt, von ihr nicht anders als durch eine Betrachtung gewisser Gefühle entdeckt werden konnte, und nichts weiter als das behauptet bezüglich des Sittengesetzes die Lehre vom moralischen Gefühl. Indem das Gefühl, meint dieselbe, eine gewisse Beschaffenheit des Wollens billigt, eine andere mißbilligt, enthält es die Anforderung oder die Vorschrift oder das Gesetz, daß der Wille kein Wollen von der gemißbilligten Beschaffenheit in sich aufkommen läßt; das Bewußtsein dieses Gesetzes als solchem gilt ihr nicht als ein Gefühl, sondern als ein Gedanke der Vernunft. Daß hiernach der Unterschied des guten und des tadelnswerten Wollen auf demjenigen guter oder tadelnswerter Neigungen beruth, ist richtig, wenn auch die Angemessenheit des Ausdrucks, den KANT dieser Konsequenz gibt, bestritten werden kann; aber wenn er versichert, daß damit aller Begriff der Pflicht ganz aufgehoben wird, so setzt er voraus, was zu beweisen war, daß die Vernunft den Begriff der Pflicht nicht aus der Betrachtung des Vermögens des Fühlens und Begeherens geschöpft haben, sondern ihn unabhängig von ihrer Verbindung mit irgendeiner anderen geistigen Kraft besitzt.

KANT glaubte allerdings den Ursprung des moralischen Gesetzes in der Vernunft schon vorher, gleich im Anfang der "Kritik der praktischen Vernunft", nachgewiesen zu haben. Allein der Grund, auf den er sich dort beruft, hätte selbst des Beweises bedurft. Das moralische Gesetz, argumentiert er, ist objektiv, d. h. es wird als gültig nicht bloß für den eigenen Willen, sondern für den jedes vernünftigen Wesens erkannt und weiter ist seine Gültigkeit eine unbedingt notwendige, d. h. von Bedingungen, die dem Willen zufällig ankleben, unabhängig. Die Objektivität kommt allen Imperativen zu; dadurch unterscheiden sich diese von den Maximen (z. B. keine Beleidigung ungerächt zu erdulden), welche eine Willensbestimmung enthalten, die nur als für den Willen des Subjekts gültig von demselben angesehen wird. Die unbedingte Notwendigkeit dagegen fehlt nicht bloß den Maximen, sondern auch den hypothetischen Imperativen, denn deren Notwendigkeit ist dadurch bedingt, daß der Zweck, auf den sie sich beziehen, gewollt wird und erreichbar ist. Alle objektiven Regeln nun sind Produkte der Vernunft und alle, deren Notwendigkeit außerdem eine unbedingte ist, sind näher Produkte der Vernunft in der Weise, daß diese, um sie aufstellen zu können, bloß sich selbst vorauszusetzen bedarf, d. h. sie sind Produkte der reinen Vernunft und haben als solche nicht bloß der Form, sondern auch dem Inhalt nach ihren Ursprung in der Vernunft selbst, während die nur unbedingt notwendigen empirisch sind und dem Inhalt nach nicht aus der Vernunft stammen. - Ich gebe dieser Argumentation zu, daß alle besonderen sittlichen Anforderungen, die ein Wesen in sich findet, Anwendungen ein und derselben allgemeinen auf verschiedene Verhältnisse sind, und daß diese allgemeine Anforderung objektiv und allgemeingültig und von unbedingter Notwendigkeit (im kantischen Sinn dieses Ausdrucks) ist. Aber daß eine Anforderung von einer solchen Beschaffenheit aus der Vernunft, dem von einem Vermögen des Fühlens und Begehrens zu unterscheidenden Vermögen des Urteilens und Schließens, entspringen muß, daß also die Vernunft, um sie zu finden, bloß (nach KANTs Ausdruck) sich selbst vorauszusetzen, bloß auf sich selbst zu blicken braucht, will mir durchaus nicht einleuchten. Ich kann mir ohne Schwierigkeit denken, daß alle vernunftbegabten Wesen nicht bloß in allgemeinen Bestimmtheiten ihrer Vernunft, sondern auch in solchen ihres Gefühls oder Begehrungsvermögens übereinstimmen, und zwar notwendig, indem ein Vermögen, dem sie fehlten, nicht ein solches des Fühlens und Begehrens sein oder doch nicht einem vernunftbegabten Wesen zukommen könnte. KANT selbst erkennt eine solche gemeinsame Bestimmtheit an, wenn er behauptet, keinem Wesen sei es, sofern es seinem Begehrungsvermögen folgt, um etwas anderes zu tun als um Lust und um Freisein von Unlust, sowie auch, wenn er dem Gefühlsvermögen eine Beschaffenheit zuschreibt, zufolge derer es durch das Bewußtsein des moralischen Gesetzes zu einem Gefühl der Achtung erregt wird. Die "Kritik der praktischen Vernunft" widerspricht auch derjenigen der reinen, wenn sie behauptet, nicht nur, daß alle Erkenntnisse von unbedingter Allgemeinheit und Notwendigkeit der reinen Vernunft angehören, sondern auch, daß die Vernunft den Inhalt derselben, die erkannte Sache, nicht in einem von ihr verschiedenen Vermögen, sondern nur in sich selbst finden kann. Denn die mathematischen Erkenntnisse schöpft die Vernunft aus der Betrachtung des Raumes und der Zeit und diese Formen findet sie nicht in sich selbst, dem Vermögen des Urteilens und Schließens, sondern in einem von ihr verschiedenen, nach KANT sogar nur zufällig mit ihr verbundenem Vermögen der sinnlichen Anschauung. Wenn die mathematischen Wahrheiten ihren Ursprung in einem von der Vernunft verschiedenen Vermögen der sinnlichen Anschauung haben, wie kann es dann von vornherein verboten sein, von den sittlichen Anforderungen anzunehmen, daß ihre Quelle das Vermögen des Fühlens und Begehrens ist, und daß sie zu Gedanken der Vernunft erst durch die Reflexion auf dieses Vermögen werden?

Ist es KANT nicht gelungen, die Ansicht, daß die sittlichen Anforderungen aus dem Gefühl stammen, zu widerlegen, oder diejenige, die er ihr entgegenstellte, zu beweisen, so ist es dagegen leicht, die Unhaltbarkeit der letzteren darzulegen. Die sittliche Beurteilung kann die Anforderungen, auf die sie das Wollen bezieht, unmöglich aus der erkennenden Vernunft nehmen, denn sofern wir uns gegen einen Sachverhalt nur erkennend verhalten, ist es uns völlig gleichgültig, ob er ist oder nicht ist. Nur das Begehrungsvermögen, zu welchem das Gefühl des Beifalls und des Mißfallens oder, allgemeiner, das in einem Gernhaben oder Ungernhaben eines Zustands bestehende Gefühl gehört, kann Anforderungen enthalten. Die Vernunft kann in praktischer Hinsicht nur dazu dienen, die Anforderungen, die sie im Begehrungsvermögen vorfindet, in die Gestalt von Begriffen und Urteilen zu bringen, und zu überlegen, ob ein gewisses Wollen die geforderte Beschaffenheit haben wird oder nicht. Das hatten schon HOBBES, SPINOZA, HUTCHESON, und HUME in völlig ausreichender Weise ins Licht gesetzt. Es sei mir gestattet, ein paar Stellen aus den Schriften der beiden letzteren hier anzuführen.
    "Wir haben", heißt es in Hutchesons "Abhandlung vom moralischen Gefühl" (deutsch, Leipzig 1760, Seite 228), "verschiedene sehr verwirrte Ausdrücke in dieser Materie, welche uns sagen: Es gäbe zwei erste Gründe unserer Handlung: Vernunft und Neigung oder Leidenschaft; den ersteren hätten wir mit den Engeln, den letzteren mit den Tieren gemein; keine Handlung sei weise, gut oder vernünftig, zu der wir nicht durch die Vernunft, insofern sie von allen Trieben verschieden ist, bewogen werden; und wenn Handlungen, die aus Neigungen herfließen, gut wären, so wären sie es nur zufallsweise, oder auf eien materiale, nicht aber auch eine formale Art. Gerade als wenn die Vernunft oder die Kenntnis der Verhältnisse der Dinge uns ohne vorgesetzten Endzweck zum Handeln aufmuntern könnte, oder als wenn wir und Endzwecke vorsetzen könnten, ohne Begierden oder Neigungen zu haben ... Wäre keine andere Fähigkeit in der Seele als die bloße Kraft der Betrachtung, so würde es keine Neigung, kein Wollen, Begehren und Handeln geben. Ja ohne eine Bewegung des Willens kann kein Mensch aus freien Stücken die Betrachtung fortsetzen. Es muß eine Begierde nach Wissenschaft und nach dem Vergnügen geben, davon sie begleitet wird; und auch dieses ist eine Handlung des Willens."

    "Es liegt", sagt der selbe Autor in seiner posthumen "Sittenlehre der Vernunft" (deutsch, Leipzig 1756, Seite 117), "wie ein jeder bei einer stillen Achtsamkeit und Betrachtung wahrnehmen muß, in uns eine natürliche und unmittelbare Bestimmung, gewisse Neigungen und die daraus fließenden Handlungen zu billigen, oder ein natürliches Gefühl der unmittelbaren Vortrefflichkeit derselben ... Wenn wir diese Bestimmung ein Gefühl oder einen angeborenen Trieb nennen, so nehmen wir nicht an, daß dieselbe unter die niedere Art von Empfindungen gehört, welche von den Gliedmaßen des Körpers abhängen ... Sie kann ebensowohl als die Kräfte zu urteilen und zu schließen in der Seele ihren beständigen Sitz haben. Und es ist unwidersprechlich, daß die Vernunft nur eine solche Kraft ist, welche als eine Gehilfin der letzten Bestimmungen unseres Verstandes und Willens angesehen werden muß. Der letzte Endzweck wird durch eine Empfindung oder durch eine Bestimmung des Willens festgesetzt. . . . Die Vernunft kann uns nur die Mittel anwenden oder zwei Endzwecke vergleichen lehren, welche schon vorher durch einige andere unmittelbare Kräfte bestimmt sind."
Der letzte der oben genannten Ethiker, HUME, schließt seine Betrachtungen über moralische Gefühl mit den Worten ("Prinzipien der Moral, übersetzt von Masaryk, Seite 132):
    "So also sind die verschiedenen Gebiete und Funktionen der Vernunft und des Geschmacks leicht zu bestimmen. Die erstere bringt die Erkenntnis des Wahren und Falschen, der letztere gibt das Gefühl des Schöne und Häßlichen, des Lasters und der Tugend. Die eine legt die Gegenstände dar, wie sie sich tatsächlich in der Natur vorfinden, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen; der andere hat ein produktives Vermögen, und indem er alle Gegenstände der Natur mit den von einem inneren Gefühl erborgten Farben entweder vergoldet oder befleckt, bringt er gleichsam eine neue Schöpfung hervor. Die Vernunft, da sie kalt und gleichgültig ist, ist kein Motiv zum Handeln und leitet bloß die von der Begierde oder Neigung erhaltenen Impulse, indem sie uns die Mittel zur Erreichung des Glücks und eine Vermeidung des Unglücks zeigt. Der Geschmack, da er Lust und Schmerz bringt und dadurch Glück oder Elend schafft, wird ein Motiv zum Handeln und ist der erste Trieb zum Begehren oder Wollen ..."
Ohne hier weiter darauf einzugehen, möchte ich doch nicht unbemerkt lassen, daß auch die hervorragendsten Nachfolger KANTs in der Ethik, FICHTE, FRIES, SCHLEIERMACHER, HERBART, BENEKE, SCHOPENHAUER, seiner Lehre vom Ursprung der sittlichen Anforderungen aus dem Vermögen, welches er als Vernunft bezeichnete, dem alles Fühlens und Begehrens unfähigen Vermögen, das Unbedingte zu denken, ihre Zustimmung versagt haben.

Fassen wir noch den bestimmten Inhalt ins Auge, den nach KANTs Lehre das moralische Grundgesetz hat, so finden wir die Ansicht, daß die Vernunft in ihrem eigenen Namen nichts gebietet und nichts verbietet, sondern alle Forderungen, die sie jemals an den Willen stellt, dem Vermögen des Begehrens und Fühlens entnimmt, bestätigt. Den Gedanken freilich eines einer Maxime, die jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könnte, entsprechenden Wollens erzeugt die Vernunft, ohne beim Begehrungsvermögen und Gefühl nachzufragen, welche Art des Wollens ihm zusagt, und welche ihm zuwider ist. Aber dieser Gedanke ist als solcher noch keine Forderung an das Wollen. Er mag den Inhalt einer wirklichen Forderung ausmachen; dann muß aber in unserem Willen ein Trieb enthalten sein, der sich im Verabscheuen allen Wollens, dessen Maxime sich nicht zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung eignen würde, äußert, oder, was dasselbe ist, muß unser Gefühlsvermögen zufolge einer ihm ursprünglich eigenen Bestimmtheit durch ein solches Wollen verletzt werden. KANT selbst konnte schließlich nicht umhin, zwar nicht das moralische Gesetz selbst, aber alle Wirksamkeit desselben auf das Gefühl zurückzuführen (vgl. meine "Geschichte der Philosophie", Bd. II, Seite 117f). Er überzeugte sich, daß die Vernunft mit ihrem Gedanken des moralischen Gesetzes nicht unmittelbar den Willen bestimmen kann, sondern nur mittels eines Gefühls, das sie durch jenen Gedanken hervorruft. In der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" bestimmte er dieses Gefühl als ein solches der Lust oder des Wohlgefallens.
    "Um das zu wollen", heißt es in dieser Schrift, "wozu die Vernunft allein dem sinnlich affizierten vernünftigen Wesen das Sollen vorschreibt, dazu gehört freilich ein Vermögen der Vernunft, ein Gefühl der Lust oder des Wohlgefallens an der Erfüllung der Pflicht einzuflößen."
"Die Kritik der praktischen Vernunft" findet die den Willen zur Befolgung des Sittengesetzes anhaltende Triebfeder in einem Gefühl, das zwar kein solches der Lust ist, aber doch, wie ein Gefühl der Lust es tun würde, ein Interesse an der Befolgung des Gesetzes hervorbringt, dem Gefühl der Achtung vor dem Gesetz. Offenbar reicht aber dieses Zugeständnis nicht aus, die Lehre von der gesetzgebenden Vernunft zu retten. Denn ein Gesetz, welches die Vernunft dem Willen gäbe, ohne dadurch selbst den Willen zu seiner Befolgung anzutreiben, ist ein sich widersprechender Gedanke. Wir die Triebfeder zur Befolgung des Gesetzes hinweggedacht, so ist das Übrigbleibende gar kein Gesetz mehr, sondern der bloße Begriff eines Wollens, welches einer zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung geeigneten Maxime entspricht. Erst wenn zu diesem Begriff ein Gefühl des Mißfallens an jedem nicht so beschaffenen Wollen, ein Trieb, dem jedes nicht so beschaffene Wollen zuwider ist, hinzukommt, entsteht ein Gesetz. Wie selbst ein bürgerliches Gesetz, sagt SCHLEIERMACHER (in der "Über den Unterschied zuwischen Naturgesetz und Sittengesetz") mit Recht, kein Gesetz wäre, wenn es zwar ausgesprochen wäre, jedoch niemand auch nur die geringste Anstalt macht, ihm zu folgen, so wäre auch das Sittengesetz kein Gesetz, sondern nur ein theoretischer Satz, wenn kein Mensch sich auch nur anschicken würde, ihm zu gehorchen. Sollte demnach auch das moralische Geset den von KANT angegebenen Inhalt haben (was zu untersuchen hier nicht der Ort ist), so würden zwar zugegeben werden müssen, daß es nur für ein vernünftiges Wesen bestehen kann, da nur ein solches Abweichungen von ihm zu verspüren imstande wäre, es auch ganz unverständlich sein würde, wie ein vernunftloses Wesen sich dafür interessieren könnte, ob sein Wille durch Maximen von gesetzgegebender Form regiert wird oder nicht, aber der Gesetzgeber wäre doch nicht die Vernunft, sondern das Vermögen des Fühlens oder Begehrens.

9. Ich ziehe jetzt noch eine Folgerung aus dem über das Wesesn der ethischen Beurteilung Gesagten. Von den drei miteinander verglichenen Beurteilungen, der technischen, der pragmatischen und der ethischen, spricht nur die letztere ein Lob oder einen Tadel, eine Billigung oder Mißbilligung aus. Denn Loben, Tadeln, Billigen, Mißbilligen sind Kundgebungen von Eindrücken auf das Vermögen des Fühlens und Begehrens, und von jenen drei Beurteilungsweisen frag nur die ethische, die in dieser Hinsicht der ästhetischen sowie der sich der Prädikate angenehm und unangenehm bedienenden verwandt ist, nach der sich an die Erkenntnis des Beurteilten knüpfenden Gefühlserregung. Die technische und die pragmatische Beurteilung sehen von dem Eindruck, den das beurteilte Tun auf das Gefühl macht, ganz ab; ihre Prädikate sind Inhalte nicht eines Fühlens und Begehrens (wie es Gut, Böse, Schön, Häßlich, Angenehm, Unangenehm sind), sondern eines gleichgültigen Vorstellens, nicht, wie es in den oben angeführten Worten HUMEs heißt, "vom Gefühl erborgte Farben, mit denen der Geschmack das beurteilte Tun vergoldet oder befleckt, sondern farblose Umrisse. Wir haben freilich, wenn wir technisch prüfen, obe eine Handlung gelungen ist, oder pragmatisch, ob eine Wirkung, die wir hervorbrachten, um einen gewissen Zweck zu erreichen, sich als wirkliches Mittel zu diesem Zweck erwiesen hat oder ob ein Endzweck, an dem uns gelegen ist, mit keinem höheren Endzweck in Widerspruch steht, ein Interesse am Ausfall einer Prüfung, aber dieses Interesse bildet nicht den Beziehungspunkt für die Prüfung; die letztere ist nicht darauf ausgerichtet, wie sich das zu prüfende Verhältnis zwischen einem Handeln und einem Wollen oder zwischen einem Wollen und einem anderen Wollen zu dem, was in unserem Interesse liegt, verhält, sondern darauf, wie es ansich beschaffen ist; erst nachdem dies festgestellt ist, kann eine zweite Beurteilung stattfinden, welche das Ergebnis hinsichtlich seiner Beziehung zu unserem Interesse zum Gegenstand hat, und diese zweite Beurteilung ist dann weder technisch noch pragmatisch noch ethisch, also überhaupt keine Beurteilung eines aus einem Wollen entspringenden Tuns. Wir freuen uns auch wohl über die von uns bewiesene Geschicklichkeit oder über unsere Weisheit in der Wahl eines Endzwecks oder unsere Klugheit in der Berechnung der Mittel zu seiner Verwirklichung oder über die Festigkeit unseres Willens in Versuchungen und Bedrängnissen oder über die Fügsamkeit unserer Triebe und Leidenschaften gegenüber den Mahnungen der Vernunft, oder wir beklagen, daß wir es an der Betätigung dieser Eigenschaften haben fehlen lassen; aber das, was wir von einem Tun aussagen, indem wir es technisch oder pragmatisch beurteilen, ist keine Beschaffenheit, die ihm erst durch ein Gefühl der Freude über unsere Tüchtigkeit oder des Bedauerns über unsere Untüchtigkeit beigelegt würde, vielmehr können auch solche Gefühle erst durch den Ausfall der technischen oder pragmatischen Prüfung unseres Handelns oder Wollens in uns hervorgerufen werden.

LITERATUR - Julius Bergmann, Die Anforderungen des Willens an sich selbst, Untersuchungen über Hauptpunkte der Philosophie, Marburg 1900