RousseauD. KoigenH. GrotiusC. Schmittvon Humboldt | ||||
Geschichte der Staatstheorien [1/2]
§ 1. Die griechischen Staatstheorien. Die Anfänge wissenschaftlicher Theorien über den Staat führen auf den Ausgangspunkt unserer heutigen Staatslehre überhaupt, auf die ältere Sophistik der Griechen zurück. Die Staatstheorie dieser älteren Sophistik war noch unvollkommen. Sie konnte die Befreiung der Menge von der Herrschaft der Tyrannis und des Adels nur damit erklären, daß sie erst mit der Selbstherrschaft der Menge staatliche Zustände beginnen ließ und die Natur dieses Staates als Demokratie war nur indirekt erläutert: weil die Menge der Menschen den Staat gründete, besitzt er eine demokratische Verfassung. Sie bedurfte somit einer weiteren Ausbildung. Es mußte auch die Herrschaft der Minderheit und des starken Einzelnen eine Erklärung finden und die Demokratie mußte eine unmittelbare Begründung erhalten; sie durfte nicht bloß aus der Form der Staatsentstehung abzuleiten sein. Die jüngere Sophistik holte dies nach. Und sie ist auch durch äußere Umstände dazu veranlaßt. Die durch Jahrzehnte währende Herrschaft der Demokratie vor dem peloponnesischen Krieg erfordert unmittelbar eine wissenschaftliche Konstruktion. In der Herrschaft des PERIKLES, der Oligarchien der Fünftausend und der Dreißig lebten die Herrschaftsformen der Ein- und Wenigerherrschaft wieder auf. Demgemäß finden wir einerseits Theorien, welche die Ersetzung der Tyrannen- und der Adelsherrschaft durch die Demokratie rechtfertigen, andererseits solche, welche die neue Einherrschaft und die neuen Oligarchien zu begründen suchen. Letzteres geschieht durch die Anwendung der Machttheorie auf die Übermacht des Einzelnen oder der wenigen Stärkeren: Tyrann und Adel herrschen, weil sie stärker als die Menge sind. Ihren Ausdruck findet diese Theorie in den Darlegungen, welche PLATON im Staat dem TRASYMACHOS, in Gorgias dem KALLIKLES und POLOS in den Mund legt. Besonders kommt POLOS (Schüler von GORGIAS) in Betracht, den er die Meinung aussprechen läßt: nach der Gerechtigkeit ist der Starke, auch wenn er ein Sklave ist, nicht aber ein Kind, auch wenn es das Recht zur Nachfolge hat, zur Herrschaft berufen. Die Herrschaft des Starken ist also keine unstaatliche, sondern eine staatliche. Das erstere geschieht durch eine neue Theorie: Die Menge herrscht nicht, weil sie zur Überzeugung gelangt, daß die Vereinigung der Schwachen stärker ist, als die Macht der Minderheit und des Einzelnen, sondern sie herrscht, weil die Menschen von Natur aus, d. h. von Geburt an "frei" sind. Frei von Natur sind sie, weil sie alle gleich geboren werden. Darum sollen Adel und Sklaverei abgeschafft werden. Es ist die erste Freiheits- oder Vertragstheorie, wenn auch das Verhältnis noch nicht als Vertrag, sondern nur als eine Verbürgung gegenseitiger Rechte bezeichnet wird. Gemeinsam ist beiden Theorien, daß sie ein Ausfluß des Individualprinzips sind. Wenn der Starke das Recht zur Herrschaft von Natur aus hat, so ist damit anerkannt, daß das Individualinteresse rücksichtslos geltend gemacht werden kann. Und ebenso folgt aus der natürlichen Freiheit, also aus dem Recht, sein Individualinteresse zu befriedigen, die Herrschaft der Demokratie. Aber schon ist in Wirklichkeit die Macht der Demokratie auf Abwege geraten. Adel und Besitzende sind unterjocht. Die Demokratie ist eine selbstsüchtige Herrschaft der Besitzlosen geworden. Daher beginnen die Bestrebungen nach Beseitigung der Herrschaft des Demos. Den Übergang dazu bildete die ethische Lehre von der staatserhaltenden Kraft des Gemeinsinns, die ihrerseits ihre Wurzel in der Auffassung hat, daß der Staat auf einer Vereinigung der Schwachen zur Herrschaft über die Minderheit der Starken beruth. Diese Vereinigung ist nicht möglich ohne ein Gefühl des Gemeinsinns. Es ist der Sophist ANTIPHON, welcher den Gemeinsinn zum ethischen Prinzip der Bekämpfung des Egoismus der Regierenden erhebt, wie er in Tyrannis, Oligarchie und attischer Demokratie zutage getreten war. Von SOKRATES und DEMOKRIT in die ethisch-politische Lehre umgeformt, daß die Herrschaft im Interesse nicht der Regierenden, sondern der Regierten zu führen ist, führte diese Staatsauffassung notwendig zum Sozialprinzip, d. h. zu der Anschauung, daß der Staat als das Ganze höher steht als der Einzelne. Sie kommt bei PLATON und ARISTOTELES zunächst darin zum Ausdruck, daß dieselben diejenigen Stände vom Bürgerrecht ausschließen, von welchen sie glauben, daß sie unfähig sind, sich bei der Behandlung der Staatsgeschäfte lediglich von der Berücksichtigung des Interesses der Gesamtheit leiten zu lassen. Des weiteren ist es aber ARISTOTELES, welcher die angegebene Lehre prinzipiell formuliert, indem er dem Satz der Sophisten: Staat und Gesetz sind Werk menschlichen Beliebens; von Geburt, kraft seiner natürlichen Veranlagung ist der Mensch frei, also staatenlos, den anderen gegenübersetzt: die Neigung zum Leben in der staatlichen Gemeinschaft ist kein Werk menschlichen Beliebens, sondern natürliche Veranlagung; die Staatengründung entspricht der Natur des Menschen, womit nicht gesagt sein will, daß der Mensch von Geburt einem Staat angehören muß, sondern dem Wesen des Menschen eignet ein Streben nach einem Leben in einer staatlichen Gemeinschaft. Nichtsdestoweniger verschwindet aber der Gedanke der Freiheit nicht aus der Staatslehre. Wir begegnen der eleutheria [Göttin der Freiheit - wp] als Staatsprinzip bei DEMOKRIT, PLATON und ARISTOTELES, aber nicht mehr als ein dem Staat über-, sondern als ein ihm eingeordnetes Prinzip. Es bedeutet: Freiheit innerhalb der staatlichen Ordnung, also beschränkte Freiheit und zwar vor allem politische Freiheit, Teilnahme an der Staatsgewalt, Demokratie im Gegensatz zur Monarchie, und dann: allgemeinen Rechtsstaat im Gegensatz zum Willkürstaat; koinonia eleutheron ist bei ARISTOTELES der Gegensatz zur Despotie, der Staat, in welchem die Regierenden nicht nach Willkür, sondern als Diener des Gesetzes herrschen. Begründet wird dieses Rechts- und Freiheitsprinzip nicht logisch, sondern politisch. Schrankenlose Freiheit ist zwar unersprießlich, aber ersprießlich ist doch, wenn der Handlungsfreiheit möglichst wenig Schranken gezogen werden. Und dann erscheint es besonders als eine Folgerung aus dem Grundsatz, daß die Regierung nach allgemeinen, nicht nach selbstsüchtigen Motiven verfahren soll. Dies ist nur möglich, wenn die Herrschenden an Gesetze gebunden sind, ein Gedanke, welcher dem Individualprinzip, also dem Schutz des Individualismus entsprechend, schon in der Sophistik, er jüngeren wie der älteren, begegnet. Angesichts des ganzen Freiheitsprinzips dieser sozialen Staatsauffassung darf aber doch nie vergessen werden, daß dieses Prinzip des Rechts- und Freiheitsstaates nur als das zweitbeste, bei der menschlichen Schwäche der Selbstsucht eben allein erreichbare Staatsideal gedacht ist. Im absolut besten Staat, wo die Tüchtigsten und Edelsten herrschen, da bedarf es keiner gesetzlichen Schranken. Hier herrscht absolute Gewalt, damit aber auch keine Freiheit; denn die arete, die da herrscht, ist ein adespoton, verträgt keine Schranken, ist selbst Gesetz. Die Befreiung von der Herrschaft des Demos, welche PLATON und ARISTOTELES mit ihren Schulen anstrebten, war bald erreicht. Es kommt die Oberherrschaft des mazedonischen Reiches und seiner Nachfolger und damit der Monarchismus und zwar der absolute. Dieser mußte notwendig bald eine Gegenwirkung hervorrufen. Mit aller Schärfe tritt sie in der Lehre EPIKURs und seiner Schule hervor, daß der Mensch von Natur, d. h. seinem Wesen nach keiner Gemeinschaft anzugehören braucht. Die Teilnahme am Staatsleben ist nur nützlich für ihn. Sie gewährt Schutz vor der Beschädigung durch andere. Demgemäß beruht er auf dem Willen der Individuen. Zum ersten Mal erscheint der Name Vertrag selbst. Der Staat ist syntheke, Vertrag. Auch der Stoizismus erklärt die Zugehörigkeit des Individuums zum Staat nicht für etwas von der Natur Gefordertes, wenngleich er der Meinung ist, der Mensch bedarf der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Nur muß diese nicht eine politische, sondern lediglich eine sittlich-geistige mit Freunden und allen Menschen und mit den Göttern sein. § 2. Die römisch-germanische Staatslehre. Was die Entwicklung der Staatsidee bei den Römern und Germanen anlangt, so hat dieselbe in weitgehender Weise einen ähnlichen Verlauf wie bei den Griechen genommen. Das älteste positivrechtliche Prinzip ist der vergleichenden Staatsgeschichte entsprechend auch hier das Sozialprinzip. Alle jungen und alle Naturvölker ruhen auf dem Prinzip fester Unterordnung unter die Staatsgewalt. Die Staaten wachsen aus dem Sippenverband heraus. Die Sippe ist aber ein den Einzelnen in außerordentlich kräftige Fesseln legender Herrschaftsverband. Wir sind über die weitgehenden Befugnisse der Sippe bei den Germanen noch in historischer unterrichtet und ebenso stark ist bei den Römern die Unterordnung unter die gens. Die Auffassung, welche das Individuum in den Vordergrund stellt, ist nicht die urrömische. Gab es aber in der Sippe keine die Freiheit des Individuums energisch schützende Schranken, so auch nicht in dem die erweiterte Sippe darstellenden Staat. Der Staat, nicht das Individuum ist zunächst Eigentümer von Grund und Boden. Die weitere Entwicklung bringt dann hier und dort mehr und mehr eine Befreiung des Individuums von den beengenden Banden der Sippe, um dasselbe gleichzeitig aber nur umso stärker der Herrschaft des Staates zu unterwerfen. Eine Scheidung der Entwicklung tritt erst ein, als sich in Rom die republikanische Verfassungs- und Regierungsform erhielt, bei den Germanen dagegen der sich erweiternde Großstaat allmählich von demokratischen Organisationsprinzipien zu monarchischen und zwar zu solchen absoluter Monarchie überging. In Rom erhöht sich mit der Steigerung der Macht des Staates die Bedeutung des Einzelnen ander der Führung der Staatsgeschäfte Anteil habenden Bürgers. Im fränkischen Recht sinkt das Individuum zusehends in die Stellung eines bloßen Untertanen herab. In Rom herrscht ein Freiheits-, im fränkischen Reich das Sozialprinzip. Das Volksrecht kann in karolingischer Zeit einseitig vom König abgeändert werden. Dort eine zunehmende Demokratisierung, hier eine zunehmende Monarchisierung des Staatswesens. Das römische Staatswesen des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. entspricht dem Athen vom 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., die römischen Getreidespenden und Ackerverteilungen haben ihr Gegenstück im attischen Richtersold und dem attischen Theatergeld. Hier wie dort muß unwillkürlich der Ruf ertönen, daß das Gesamtinteresse dem Sonderinteresse vorgeht: suprema lex salus rei publicae. CICERO ist der theoretische Begründer der gleichen Lehre, wie SOKRATES, PLATON und ARISTOTELES. Er predigt die Umkehr zum Sozialprinzip. Dem steht nicht entgegen, da er den Staat eine societas, einen coetus juris consensu sociatus [Ansammlung einer Menge, die in der Anerkennung des Rechts vereint ist - wp]. Das ist nicht in einem engen, der privatrechtlichen societas analogen Sinn eines Vertragsverhältnisses, sondern im weiteren Sinn einer Verbindung irgendeiner Art gemeint. Rechtlich ist der Staat keine Summe von Individuen, sondern die einheitliche Persönlichkeit des populus [Volkes - wp]. Wäre nicht diese Auffassung gewesen, so hätte sich aus dem republikanischen Staatsprinzip in Rom nicht so leicht die monarchische Regierungs- und schließlich die monarchische Verfassungsform entwickeln können. Als Despotie lebte sich das römisch-byzantinische Weltreich aus. Die Kraft des durch den Monarchen vertretenen Sozialprinzips war so stark, daß dem Satz, daß der Staat auf einem generale pactum [allgemeinen Vertrag - wp] der Individuen beruth, wie wir ihn bei AUGUSTIN (354 - 430) finden, für die Bestimmung der Stellung des Individuums zum bestehenden Staat gar keine Bedeutung zukam. Über diesem Satz stand eben - und zwar auch bei AUGUSTIN - der andere, daß den Menschen seine Natur zur gesellschaftlichen Vereinigung treibt. So kommt es, daß auch die erste Konstruktion der Stellung des Herrschers als Herrschaftsvertrag, kraft dessen der Herrscher ein vertragsmäßiges Recht auf die Vertretung des Volkes in der Ausübung von Herrschaft hat, jedes Einflusses auf den Entwicklungsgang der politischen Theorie entbehrte. Der Satz CICEROs (de re publica III, 13, 23: "Cum alius alium timet ... quasi pactio fit inter populum et potentes" blieb in der Geschichte der Staatstheorie ohne alle Wirkung. Die Erhebung des Kaisers zu einem Gott auf Erden erstickt jede Erinnerung an das Prinzip der Volkssouveränität und damit jeden Gedanken einer Zurückführung der Herrschaft auf den Willen des Individuums. § 3. Die mittelalterliche Staatslehre. Erst das mittelalterliche germanische Staatswesen brachte eine Fortentwicklung der Staatsidee. Das Königtum des fränkischen Reiches war ebenso, wie der römische Prinzipat, von Haus aus der Ausdruck des Sozialprinzips. Allein es war nicht, wie das römische Kaisertum, aus dem Prinzip der Volkssouveränität hervorgegangen. Das römische Nationalreicht ist eine Schöpfung des römischen Volkes, der römischen Stadtgemeinde; die Gründung des fränkischen Reiches ist die Tat einer einzelnen machtvollen Persönlichkeit. Jede Monarchie, die absolut wird, entwickelt sich leicht dahin, die Staatsherrschaft egoistisch, d. h. nicht im Staats-, sondern in einem Hausinteresse auszuüben. In einem Staat, in welchem die absolute Monarchie nicht aus der Volkssouveränität herausgewachsen, sondern originär begründet ist, ruft dieselbe leichter demokratische Gegenströmungen hervor, als in einem Staat, in welchem sie die Demokratie zu ihrer historischen Grundlage hat. So erklärt sich, daß im römisch-byzantinischen Kaiserreich die demokratische Gegenwirkung ausblieb, auf germanischen Boden aber entstand. Die egoistische Auffassung der Staatsherrschaft hat zur selbstverständlichen Folge, daß dieselbe mehr und mehr als ein Privatinteressen der herrschenden Familie dienendes Wertobjekt und demgemäß wie ein Stück Vermögen des Herrscherhauses angesehen wird. Dies führt aber dazu, daß die Staatsherrschaft gleich einem anderen Vermögensbestandteil unter die erbrechtlichen Grundsätze des Privatrechts gestellt wird. Die Staatsherrschaft wird beim Vorhandensein mehrerer Erben nach räumlichen Gesichtspunkten in Teile zerlegt, damit aber auch geschwächt. Den Nutzen hieraus ziehen die Untertanen. Einer zersplitterten, um das Erbe kämpfenden Staatsgewalt gegenüber werden sie stärker. Das Lehensprinzip ist sein Ausdruck. Nach ihm hat der unmittelbare Untertan des Herrschers nur die Pflichten, die er im Lehensvertrag übernahm. Damit aber ist das Sozial- durch das Individualprinzip ersetzt. Für die Freiheit der genannten Untertanen spricht die Vermutung. Dieses politische Gewicht der Großen im Reich muß notwendig die rechtliche Stellung des Monarchen ändern. Bisher besitzt der König seine Herrschaft von Niemandem außer von Gott. Nunmehr wird die Stellung des Kaisers nur mehr mittelbar auf eine göttliche Einsetzung zurückgeführt, unmittelbar ist er Vertreter des Volkes. Ihren bezeichnendsten Ausdruck findet das neue Prinzip in der mit dem 11. Jahrhundert erscheinenden rechtlichen Unterscheidung von Kaiser und Reich, wie sie im Wort KONRADs II. "wenn der König stirbt, bleibt das Reich" und in der mit dem 13. Jahrhundert sich vollendenden Trennung von kaiserlichem Privat- und von Reichsgut zutage tritt. Aber nicht bloß zum Nachweis der Freiheit der Großen von strenger Unterordnung unter den König, sondern auch zum Nachweis der Freiheit des Kaisers von Unterordnung unter den Papst wird die neue Volksherrschaftslehre verwendet. Diesen Bestrebungen verdankt sie sogar ihren eigentlichen Ausbau im Mittelalter. Es ist NIKOLAUS von KUES, der ihr die prägnanteste Fassung gibt mit den Worten: imperator imperialium omnium non dominus sed administrator. [Der Imperator war kein Herrscher, sondern ein Verwalter. - wp] Wie der Name NIKOLAUS von KUES zeigt, fällt diese Verwendung der Lehre von der Volkssouveränität später. Zwar ist dieselbe auch schon im kirchenpolitischen Kampf des 11. Jahrhunderts angewandt worden, aber noch in sehr unausgebildeter Weise und zu einem anderen Zwek und auf jeden fall ohne eine nachhaltende Wirkung. Im 11. Jahrhundert war die Herrschaft des Kaisers auf Volksübertragung zurückgeführt, um damit die Unterordnung des Kaisers unter den Papst zu bekräftigen. Die Herleitung der Gewalt vom Volk war ein niedrigerer Rechtstitel als die Herleitung der Gewalt von Gott; wer seine Gewalt von einem Niedrigeren hat, muß aber dem untertan sein, die die seine von einem Höheren besitzt. Im 14. und 15. Jahrhundert dagegen ist er Zweck der kirchenpolitischen Theorien, welche die Herrschaft des Kaisers auf den Volkswillen zurückführen, die nach ihrer Meinung darin enthaltene Darlegung, daß der Kaiser vom Papst unabhängig sein muß, wenn er sein Recht vom Volk hat. § 4. Die Staatstheorien des 16. und 17. Jahrhunderts. Das Prinzip der Volkssouveränität auf der Grundlage des Individualismus der Untertanen war bisher gebraucht, um die Unabhängigkeit der Fürsten vom Kaiser und des Kaisers vom Papst, nicht aber um die Freiheit des Individuums als solchen zu erweisen. Wo also diese beiden Unabhängigkeiten außer Frage blieben, war es möglich, daß die Lehre von der Volkssouveränität gar nicht zur Aufnahme gelangte. Die Mitwirkung der Landstände war im Mittelalter noch keine so weitgehende, daß sie eine Veranlassung gegeben hätte, um ihretwillen den Fürsten lediglich für einen Stellvertreter des Volkes zu erklären. Höchstens die Mitwirkung konnte die neue Volkssouveränitätslehre haben, daß man im Fürsten einen Nachfolger des Volkes im Recht zur Herrschaft sah. Beides bestätigt die Geschichte der Staatslehre Englands. Hier stand die Unabhängigkeit von Kaiser und Papst nicht in Frae, also faßt das Volkssouveränitätsprinzip im oben angebenen Sinn in England während des Mittelalters auch nicht Boden. Wenn BRACTON (1216 - 1272) in seinem vor 1259 geschriebenen Buch de legibus et consuetudinibus Angliae sagt: lex facit regem [Das Gesetz macht den König. - wp], so meint er dieses Wort noch nicht, wie später die Monarchomachen in einem rechtlichen, sondern in einem politischen Sinn, d. h. nicht um damit auszudrücken, daß das Volk den König zu seinem Stellvertreter bestellt hat, sondern um zu sagen, daß der sich nicht an Gesetze bindende Herrscher kein König ist, sondern ein Despot, wie aus dem erklärenden Satz non es enim rex, ubi dominator voluntas et non lex hervorgeht. König ist hier also im aristotelischen Sinn gemeint. Auch am Ausgang des Mittelalters, wo der Satz, daß jedes Gesetz der Zustimmung der Stände bedarf, in England fester begründet ist, herrscht in England noch keine Volkssouveränitätslehre im oben angegebenen Sinn. Zwar begegnet bei FORTESCUE (de laudibus legum Angliae, geschrieben zwischen 1463 und 1471, einmal die Bemerkung: rex hanc potestam a populo effluxam (habet), allein daß hiermit nur gesagt sein will: der König ist der Nachfolger des Volkes in der Herrschaft, nicht aber: er ist lediglich Vertreter desselben, geht daraus hervor, daß sich als leitender Grundgedanke durch die Schriften FORTESCUEs der Satz zieht, der König von England regiert nicht bloß regaliter [königlich - wp], sondern auch politice [politisch - wp]. Es will damit gesagt sein, daß England nicht bloß eine Monarchie, sondern zugleich eine Politie ist, d. h. eine Demokratie, also eine Mischung von Monarchie und Demokratie. Der König ist wohl durch das Volk beschränkt, jedoch noch nich von ihm abhängig. So erklärt sich, daß die nächste, auf diese Volkssouveränitätslehre des Mittelalters am Beginn der Neuzeit folgende Staatstheorie die der absoluten monarchischen Staatsgewalt aus eigenem Recht ist. Der Fürst war unabhängig von Kaiser und Papst geworden. Umso freier konnte er nun seine eigene Gewalt ausüben. Und so entstand die Theorie der absoluten monarchischen Gewalt aus eigenem Recht. Für den Monarchen gibt es überhaupt keine Rechtsschranken; nur die ratio status, die Staatsräson entscheidet - so MACCHIAVELLI (1469 - 1527) -, oder zumindest keine willkürlich-menschlichen Schranken; nur an jus divinum und naturale ist er gebunden - so BODIN. Somit herrschte im Verhältnis zum Staat die strengste Unterordnung des Individuums, mit anderen Worten: das Sozialprinzip. Das Individuum war von der Macht des Kaisers und der Kirche befreit, um umso stärkerer Gewalt des Fürsten unterworfen zu werden. Es genügte in dieser Richtung der Satz der Reformation, alle Obrigkeit ist von Gott. Indessen mußte diese Theorie sofort mit zwei anderen Kräften in Widerstreit geraten, mit den in ihrem Besitzstand bedrohten Landständen und mit dem zugleich mit der Befreiung vom Glaubenszwang der katholischen Kirche entstandenen Streben nach Bekenntnisfreiheit. Gegen die Rechte der Stände wandte sich der von den Hofjuristen wie geltendes Recht angewandte Satz, daß der Wille des Fürsten die Kraft des Gesetzes hat, also die Gesetzgebung der Zustimmung der Landstände nicht bedarf; dem Gedanken der Bekenntnisfreiheit widersprach das jus reformandi des Fürsten, kraft dessen derselbe den Glauben seiner Untertanen aufgrund des Rechtssatzes ordnete, daß es im absoluten Staat wohl eine Bekenntnisfreiheit gegenüber der Kirche, nicht aber gegenüber dem Landesherrn gibt. So vereinigten sich Stände und Kirche gegen den Fürsten. Ihre Losung war Freiheit von der Macht des Fürsten. Freiheit war aber lediglich auf dem Weg des Individualprinzips zu erreichen. Somit trat wieder eine Rückkehr zu diesem ein, aber, wie im Mittelalter, auch nur wieder in beschränkter Weise. Es wurde Freiheit von einseitiger Herrschaft des Fürsten nur erstrebt, um eine Mitherrschaft der Stände und die Alleinherrschaft der Kirche zu begründen, in Wahrheit also nur eine Änderung der Herrschaftsverhältnisse, eine Befreiung der Stände, bzw. der Kirche, also von Gemeinschaften, nicht aber eine Befreiung des Individuums zu erreichen gesucht. Individualistisch war nur die Schale, sozialistisch der Kern. Weiter gingen die Bestrebungen im 16. Jahrhundert nur in Schottland, im 17. auch in England. Befreiung bzw. Mitherrschaft der Stände als Ziel hieß in den übrigen Ländern Befreiung und Mitherrschaft des Adels. Anders in Schottland. Dort hatte die demokratische Kirchenverfassung CALVINs festen Fuß gefaßt. Diese hatte die kirchlichen Rechte aller Gläubigen, also auch der Nichtadeligen erweitert. Notwendig mußte sich hieran ein Streben auch nach der Erweiterung ihrer staatlichen Rechte anschließen. Hier war also das Ziel auch eine Befreiung von der Vorherrschaft des Adels. Wir erkennen dasselbe in den Kämpfen, welche die Puritaner im 16. Jahrhundert mit dem landsässigen schottischen Adel beginnen, um sie nach der Vereinigung Schottlands mit England unter den STUARTs als Independenten [Unabhängige - wp] in England fortzusetzen. Dieselben Argumente, welche sich gegen die einseitige Herrschaft des Fürsten anführen ließen, waren gegen die einseitige Herrschaft des Adels zu verwenden und so finden wir, daß die neue Lehre und zwar im 17. Jahrhundert in steigendem Maß auch demokratischen Zwecken, d. h. der Erreichung einer Mitherrschaft des Volkes diente. Zuerst verwandte sie in dieser Richtung BUCHANAN. Die konstruktive Form, in welche man die neue, diesen drei Zwecken dienende Staatslehre kleidete, war, wie im Mittelalter, die Volkssouveränität. Der Fürst ist nicht Herrscher aus eigenem Recht, sondern Vertreter des Volkes. Und hieraus wird nun nach der einen Seite geschlossen: also ist die Gewalt des Fürsten niedrigeren Ursprungs als die Gewalt der Kirche; der Fürst kann somit keinen Bekenntniszwang ausüben, sondern muß die Regelung dieser Frage der Kirche überlassen. Nach der anderen Seite wird fortgefahren: das Volk hat auf den Monarchen nicht alle Vertretungsbefugnis übertragen; auch die Komitien [Versammlungen - wp], worunter bald nur die bisherigen Stände, der Adel, bald alle Stände verstanden werden, sind Volksrepräsentanten; die Form des Staates ist eine gemischt. Die Staatslehre der Monarchomachen ist damit gegeben. Jedoch behaupten nur die katholischen Monarchomachen eine Superiorität der Kirche über den Staat. Bei den reformierten Monarchomachen fallen Staat und Kirche in Eins zusammen. Die Unzuständigkeit des Fürsten zur Ordnung des Bekenntnisses wird von ihnen allein aus dem Satz gewonnen, aus welchem die katholischen Monarchomachen die Unzuständigkeit des Monarchen hierzu mitgewinnen, aus dem Satz lex facit regem. Dieser von ARISTOTELES und seinen Nachfolgern politisch-ethisch verstandene Satz wird rechtlich genommen; nicht als: der Fürst soll, sondern als: der Fürst muß den Gesetzen unterworfen sein. Ist er aber den Gesetzen unterworfen, so können sie nicht von ihm ausgehen; die Gesetze erlassen die Stände, wenn nicht das Volk selbst. Der König ist nur der Hüter, Diener und Vollstrecker der Gesetze. Näher und am selbständigsten führt diesen Gedanken BUCHANAN durch. Indem derselbe zugleich nachweist, daß auch die Gesetzesauslegung, das Richten, nicht dem König übertragen werden darf, ist er der Sache nach in einer Richtung der Vater der modernen Lehre von der Teilung der Gewalten geworden. Aus diesem Grund ist seine Lehre etwas näher zu berühren. Wohl geht BUCHANAN, wie die übrigen Monarchomachen vom aristotelischen Staat aus, daß die menschliche Schwäche eine Bindung der Regierenden an Gesetze erfordert, aber er gibt der Lehre eine selbständige Fassung. BUCHANAN sagt zunächst allgemein, daß dem König Gesetzgebung und Gesetzesauslegung nicht übertragen werden darf, weil er sonst eine infinita grenzenlose - wp] und immoderata potestas [unkontrollierbare Macht - wp], erhält, die ihn vergessen läßt, daß die Königswürde nicht für ihn, sondern für das Volk geschaffen ist. Er kann nur der custos tabularium [Wächter der staatlichen Urkunden - wp] sein. Im Einzelnen schließt BUCHANAN aber so: Ein Mensch, welcher alle anderen an Trefflichkeit weit überragt, bedarf nicht der Schranken des Gesetzes, ja ein solcher herrscht überhaut nicht infolge von Übertragung (suffragiis), sondern kraft eigenen Rechts, denn der gewöhnliche Mensch herrscht nur darum kraft Übertragung, weil er den anderen Staatsgenossen gleich ist. Wenn also ein solcher die Herrschaft hat, so kann er sie nur vom Volk haben. Zugleich bedarf dieser Herrscher, der nicht besser als die anderen Menschen ist, gewisser Schranken. Er gibt zu leicht der Liebe, dem Haß und privaten Annehmlichkeiten nach. Ihm selbst kann es nicht überlassen sein, diese Schranken zu ziehen, da dann kein Unterschied gegenüber dem absoluten Monarchen vorhanden wäre, denn es kommt auf dasselbe hinaus, ob der König frei von gesetzlichen Schranken ist oder ob er ein von ihm willkürlich auszuübendes Gesetzgebungsrecht besitzt, nachdem er im letzten Fall die ihn nicht passenden Gesetze ja jederzeit beseitigen kann. Aus dem gleichen Grund kann ihm auch nicht die Entscheidung von Streitigkeiten zustehen, denn er würde das Gesetz so auslegen, daß es sagt, was er will, und daß es nicht sagt, was er nicht will. Beide Funktionen müssen also anderen Organen übertragen sein, die Gesetzgebung am Besten einer größeren Zahl, einem Kollegium. Viele sehen und wissen mehr als Einer und das Zusammenwirken Mehrerer erzeugt ein Mittel zwischen langsamem Überlegen und stürzender Hastigkeit. Näher denkt er sich die Gesetzgebung so, daß ein aus allen Ständen genommener Rat beim König ie Sache vorberät und dann das ganze Volk darüber entscheidet. In diesen Ausführungen liegt insofern der Sache nach ein Anfang der Lehre von der Teilung der Gewalten, als BUCHANAN eine organisatorische Trennung der verschiedenen Staatsfunktionen, eine Verteilung der Hoheitsrechte an verschiedene Staatsorgane, für politisch notwendig erklärt. Wohl war schon vor ihm von "geteilten Hoheitsrechten" die Rede - BODIN spricht von Staaten, ubi jura majestas principem inter et subditos divisa sunt [in denen die Rechte zur Herrschaft aufgeteilt sind - wp] -, aber das war nooch nicht genau erklärt, wie diese Teilung zu denken ist. Der Ausdruck war für eine gemischte Staatsform gebraucht und unter "gemischter Staatsform" verstand man, ohne daß man darüber nähere Untersuchungen anstellte, sowohl die getrennte Verwaltung verschiedener Hoheitsrechte durch verschiedene Staatsorgane, wie die gemeinsame Verwaltung eines Hoheitsrechtes durch mehrere Staatsorgane. Eine gemischte Staatsform war immer vorhanden, wenn an der obersten Staatsgewalt mehrere Organe, sei es nach reellen (disjunctim) oder nach ideellen Teilen (conjunctim), Anteil hatten. BUCHANAN gab nun dem Gedanken der Trennung Ausdruck, wenn er ihn auch noch nicht Trennung oder Teilung der Gewalten nannte. Andererseits ging er aber wieder darin zu weit, daß er jede gemeinsame Ausübung von Hoheitsrechten durch verschiedene Organe verwarf. Aus diesem Grun liegt in seiner Theorie nur ein Anfang der Lehre von der Teilung der Gewalten. Damit hängt zusammen, daß die Theorie BUCHANANs der Stellung, welche der König seiner Zeit im empirischen Staat bezüglich der Gesetzgebung einnahm, konstruktiv nicht gerecht wurde. Sie verkennt nicht, daß der König im empirischen Staat an der Gesetzgebung in entscheidender Weise mitwirkt, konstruiert dieses Mitwirken aber nur als einen Rat und bezeichnet als Gesetzgeber lediglich das Volk. Jedoch vom Standpunkt der geschichtlichen Entwicklung der Staatstheorien aus betrachtet, schadete diese Schwäche der Theorie BUCHANANs so wenig etwas, wie die Erklärung der Mitwirkung der Stände bei der Gesetzgebung als bloßer Rat durch BODIN dessen Theorie der Herrschersouveränität nachteilig gewesen war. Vom Standpunkt der Geschichte der Staatstheorien aus lag die Schwäche der Theorie der Monarchomachen in etwas anderem: darin, daß sich ihre Volkssouveränitätslehre schwer mit dem vom Reformationszeitalter betonten religiösen Grundsatz vereinigen ließ, daß alle Obrigkeit von Gott stammt; und doch standen die Monarchomachen durchwegs auf religiösem Boden - Bekenntnisfreiheit des Individuums gegenüber der Fürstengewalt war ja ihr Ziel - und die evangelischen Monarchomachen im Besonderen auf dem Boden eben jenes Satzes, daß alle Obrigkeit von Gott verliehen ist. Dieser Satz bildete eine wesentliche Stütze des monarchischen Absolutismus jener Zeit. Von ihm aus waren somit die Monarchomachen anzugreifen. Wohl hatten dieselben versucht, durch eine Unterscheidung von electio und constitutio regis ihre Lehre von der Volkssouveränität mit jenem Satz der Religion in Einklang zu bringen - electio deo, constitutio populo tributir, sagt JUNIUS BRUTUS, d. h. die Wahl des Volkes fällt immer auf den von Gott Auserlesenen -, allein mit diesem Satz war das von den Monarchomachen behauptete Recht des Volkes, einen religionsfeindlichen Fürsten abzusetzen, nicht vereinbar. Lediglich ein Ungehorsamsrecht, ein Recht des passiven Widerstandes war damit auf der Grundlage dieses Satzes verträglich, daß man Gott mehr gehorchen muß, als den Menschen. Und auch nur dies vermochten die Monarchomachen vom religiösen Standpunkt aus zu beweisen. An diesem Punkt setzten demgemäß die Gegner ein. Es ist BARCLAY, ein in Paris lebender katholischer Schotte, welcher in seiner 1600 erschienenen Streitschrift "de regno et regali postetate adversus Buchananum, Brutum, Boucherium et reliquos Monarchomachos" den Satz von JUNIUS BRUTUS deus regem eligit, populus constitut sich zu eigen machte und daraus, den Nachdruck auf die Auswahl Gottes legend, folgerte, also kann der König, weil von Gott gewählt, nicht abgesetzt werden. Auch der schlechte König bleibt König und steht somit über dem Volk. Nur Gott kann ihn strafen. Die Lehre von der Volkssouveränität bedurfte der Verteidigung gegen diese Einwendungen. Sie erhielt sie von dem Calvinisten ALTHUSIUS, welcher seine 1603 erschienene Politik direkt gegen BARCLAY richtete. ALTHUSIUS sagt, sobald der Herrscher den mit dem Volk geschlossenen Herrschaftsübertragungsvertrag verletzt, verliert er seine göttliche Autorisierung; wenn das Volk ihn dann absetzt, vollzieht es nur den göttlichen Willen. Aber ALTHUSIUS geht auch zum Gegenangriff über. Führt die Stellung des Königs auf eine constitutio durch das Volk zurück, so ist es doch zunächst das Volk, das ihn ernennt. Auf göttlichen Willen kann sich somit seine Bestellung nur mittelbar gründen. Nicht das Recht des Königs, sondern die Bestellungsbefugnis des Volkes hat seine Quelle in Gott. Somit war die Theorie vom Volkskönigtum wieder gestärkt. Das Prinzip der Herrschersouveränität war ihm gegenüber nur zu halten, wenn man das Mittel der Volkstätigkeit bei der Bestellung des Herrschers überhaupt fallen ließ und die Herrschaft des Königs unmittelbar und ausschließlich auf einen göttlichen Willen zurückführte, oder wenn es gelang, trotz der Volkssouveränität als Grundlage eine eigenberechtigte Königsherrschaft zu konstruieren. Von beiden Gesichtspunkten aus war der Kampf im 17. Jahrhundert geführt. An Gegenwehr ließ es die Partei der Volksherrschaft nicht fehlen. Der Kampfplatz war England und Frankreich. In England finden wir zunächst die Theorie von HOBBES als den scharfsinnigen Versuch, von den Grundlagen der Volkssouveränitätslehre aus zum Prinzip des absoluten Königtums zu gelangen. Das maßgebende Werk ist "de cive" (1642). Es fällt in die Zeit der stärksten Spannung zwischen Herrscher- und Volkssouveränität, in den Anfang des Krieges zwischen König und Parlament. Aus Haß gegen die Revolution hatte HOBBES dem Vaterland den Rücken gekehrt und war nach Paris übergesiedelt. Dort, wo er Erzieher des nachmaligen Königs CHARLES II. von England wurde, erschien das großartige Werk. Daß HOBBES auf den reinen Prinzipien der Volkssouveränität aufbaut, kann nichts mehr beweisen als der Umstand, daß HOBBES mit keinem Wort die Frage der göttlichen Einsetzung der Fürstengewalt in seiner Konstruktion berührt. Die besondere Form der Volkssouveränität, an welche HOBBES seine Ausführungen anknüpft, ist die Doppelvertragslehre von ALTHUSIUS und GROTIUS. ALTHUSIUS war der erste Schriftsteller, welcher neben dem Vertrag zwischen Volk und König auch den staatsbegründenden Vertrag konstruktiv näher behandelte. Dieser hatte bisher nur eine gelegentliche Erörterung gefunden, nämlich nur soweit, als sich aus der Staatsentstehung Schlüsse auf die Frage der Absetzbarkeit ziehen ließen. ALTHUSIUS behandelt die Frage dagegen selbständig und ordnet die Staatsentstehung systematisch den Konsensualkontrakten und zwar dem Gesellschaftsvertrag, die Stellung des Fürsten dem Mandatsvertrag ein. Und ebenso finden wir dann bei GROTIUS den Gesellschaftsvertrag als Staatsentstehung in juristischen Folgerungen vielfach verwertet und die delatio regni an den Fürsten unter die Kontrakte eingereiht. Die Tat HOBBES' besteht darin, daß er diese beiden bei ALTHUSIUS und GROTIUS konstruktiv noch mehr getrennt gehaltenen Verträge zu einer innerlich verbundenen Staatskonstruktion vereinigt und zwar in der Weise, daß beide Verträge als zur Staatsentstehung gehörig bezeichnet werden. Allerdings findet sich auch schon bei GROTIUS der Gedanke, daß die Staatengründung mit dem Gesellschaftsvertrag logisch noch nicht beendet ist, sondern es hierzu noch der Schaffung von Staatsorganen bedarf, insofern angedeutet, als nach seiner Theorie die Rechtssubjektivität des Staates durch die des Staatsorgans vermittelt wird. Allein die beiden genannten Verträge sind bei GROTIUS noch nicht im Hinblick auf den Grundgedanken zueinander in Beziehung gesetzt, daß die Fertigstellung des Staates durch das Vorhandensein von Staatsorganen bedingt ist. Dies geschah erst durch HOBBES und zwar mit dem Satz: die Herrschaftsorgane haben ihre Gewalt nicht vom Staat, sondern von den einzelnen Individuen übertragen erhalten; somit existieren die Staatsorgane früher, als der Staat; dies translatio juris vom Individuum auf ein Herrschaftsorgan kann sogar dem Vereinigungsvertrag der Individuen untereinander vorhergehen. Das Neue ist also: der Herrschafts(übertragungs)vertrag wird nach HOBBES nicht, wie die bisherige Staatstheorie behauptet, zwischen dem Volk als Ganzes und Herrscher, sondern zwischen Individuum und Herrscher geschlossen. Durch zwei Verträge der Individuen entsteht der Staat, durch einen, den jedes Individuum mit dem anderen abschließt und inhaltlich dessen jedes jedem verspricht, sich demselben Herrscherorgan zu unterwerfen, und durch einen zweiten, in welchem jedes Individuum das ihm im status naturalis zukommende Recht, sich selbst zu regieren, auf das Herrschaftsorgan überträgt. Vom Individualprinzip aus ist auf diese Weise HOBBES zur Unabhängigkeit des Herrschers vom Volk gelangt. Der Herrscher hat sein Recht nicht vom Volk, sondern vom Individuum, also kann ihn das Volk nicht absetzen. Wie dieser Theorie begegnet wurde, werden wir nachher sehen. Die Konstruktion der Herrschersouveränität durch HOBBES steht vereinzelt. Die regelmäßige war die theokratische, begreiflich, wenn man bedenkt, daß im 17. Jahrhundert von England abgesehen die Kraft des Absolutismus noch stark und überall die religiös-ethische Betrachtung staatlicher Dinge noch die überwiegende war. Dazu kam, daß die Rechtswidrigkeit revolutionärer Erhebungen in noch höherem Maße offengelegt war, wenn man nachwies, daß der Herrscher sein Recht überhaupt nicht von Menschen, auch nicht von den einzelnen Individuen hat. Es ist insbesondere Frankreich, wo diese religiöse Begründung eine besondere Ausbildung erfuhr. BARCLAY hatte noch das Volk als Mittler des göttlichen Willens in die Konstruktion hereingezogen. BOSSUET (1627 - 1704 und FENELON (1645 - 1715) verwerfen jede Staatenbegründung und jeden Herrschaftsvertrag unter und mit den Untertanen. Unmittelbar von Gott hat der Monarch seine Herrschaft, also kann sie nicht Ausfluß eines Vertrages der Menschen sein. Den gleichen Weg macht und zwar schon früher die theokratische Begründung in England. SALMASIUS verteidigt in seiner "defensio pro Carolo I Rege Angliae" das absolute Königtum noch in derselben Weise wie BARCLAY. FILMER behauptet in seinem "Patriarcha" (or the natural power of kings) unter CHARLES II. (1660 - 1685) ein unmittelbar göttliches Recht des Monarchen auf absolute Gewalt, das er seiner rechtlichen Natur nach noch dahin erläutert, daß es inhaltlich eine elterliche Gewalt ist. Die Könige sind Nachfolger Adams in dessen elterlicher Gewalt über seine Kinder. Im Unterschied zu Frankreich entstehen der theokratischen Idee in England ernsthafte Widersacher. Während sie in Frankreich siegte, unterlag sie in England. Der Grund hierfür ist, daß sich im Kampf zwischen König und Parlament letzteres als der stärkere Teil erwies. König CHARLES I. wird 1649 hingerichtet, CHARLES II. muß sich 1679 zur Habeas-Corpus-Akte verstehen, JACOB II. 1688 flüchten. Unmittelbar gegen CALMASIUS wendet sich mit durchschlagendem Erfolg MILTON mit seiner "defensio pro populo Anglicano" (1650), einer Schrift, welche die Hinrichtung CHARLES I. wissenschaftliche verteidigen soll; gegen FILMER wenden sich ALGERNON SIDNEY, dessen Widerstand gegen CHARLES II. ihm das Leben auf dem Blutgerüst kostete, und LOCKE, der in seinen "Two treatise on Government" (1689) die Revolution von 1688 theoretisch rechtfertigt. Es sind die alten Einwände, mit welchen der theokratischen Lehre begegnet wird. SALMASIUS hatte gesagt: Gott ist die mittelbare, das Volk die unmittelbare Ursache der Königsgewalt. Dem gegenüber bemerkt MILTON: auch das Recht des Volkes, sich unwürdiger Könige zu entledigen, ist von Gott. Es kann weder Gott in seiner Gerechtigkeit, noch die Natur in ihrer weisen Anordnung die Einrichtung getroffen haben, daß das Volk zu seinem Nachteil solchen Königen unterworfen sein soll. Und der ausnahmslos unmittelbaren Ableitung der Königsgewalt von Gott bei FILMER wird von SIDNEY und LOCKE mit dem Einwand begegnet, von Natur, also auch nach Gottes Willen sind die Menschen frei, somit kann die Königsgewalt nur auf den Willen der Menschen zurückführen, d. h. Gott die Regierung keinem Einzelnen verliehen haben. Nachdem auch bei MILTON der Satz zu finden ist, libertas nostra non Caesaris, verum ab ipso Deo natale nobis Donum est [Unsere Freiheit ist nicht vom Herrscher, sondern ein Geschenk Gottes. - wp], ergibt sich, daß alle drei, MILTON, SIDNEY und LOCKE, den Staat auf den Willen der Individuen zurückführen. Ihre Gedankengänge ruhen demnach auf den gleichen Grundlagen, wie die Lehre von HOBBES, und so ergibt sich von selbst, daß dieselben nicht minder in eine Widerlegung der HOBBES'schen Theorie eintreten mußten. Dieselbe fiel nicht schwer. Die Theorie von HOBBES, daß sich das Herrscherrecht auf eine Übertragung seitens der Individuen gründet, führte notwendig zu der auch von HOBBES gezogenen Konsequenz, daß sich mit der Abdankung des Herrschers und mit dem Aussterben des Königshauptes der Staat auflöst und alles in den status naturalis [Naturzustand - wp] der Souveränität des Individuums zurückfällt. Diese Konsequenz stand im Widerspruch mit aller geschichtlichen Wahrnehmung und so hatten die drei genannten Vertreter der Volkssouveränität leichtes Spiel, nachzuweisen, daß nicht Individuum und Herrscher, sondern Volk und Herrscher die beim Abschluß des Herrschaftsvertrages sich gegenüberstehenden Kontrahenten sind. Der Staat ist bei Abschluß des Herrschaftsvertrages schon fertig. Das erste Subjekt der Staatsgewalt ist das Volk. Wichtiger als der Herrschaftsvertrag, worauf HOBBES den Nachdruck legt, ist somit der Gesellschaftsvertrag. Der weitere Gedankengang ist dann der: Das Volk ist das erste Subjekt der Staatsgewalt und bleibt es auch. Der Herrscher ist nur Beamter, also Diener des Volkes. Es ist nun nicht unsere Aufgabe, die Ausführungen der drei Schriftsteller im Einzelnen zu verfolgen. Bedeutung für die Weiterentwicklung der Staatslehre haben nur diejenigen LOCKEs. Diejenigen MILTONs waren zu wenig bestimmt und viel zu religiös-ethisch, diejenigen SIDNEYs zu speziell als Widerlegung der Darlegungen FILMERs gefaßt, als daß sie für die Fortentwicklung der Staatslehre hätten einen bleibenden Einfluß gewinnen können. Anders liegt es mit LOCKE. Dieser hat seine Theorie von einem Grundgedanken aus streng logisch, klar und in einer allgemeinen Fassung aufgebaut. Sie errang daher bleibenden Wert. Die Fortschritte, welche in ihr liegen, werden zu erwähnen sein. Nicht der geringste ist, daß LOCKE auch den Anteil des Königs an der Gesetzgebung bei seiner Konstruktion entsprechend unterzubringen vermochte, während alle bisherigen, a priori konstruierenden Vertreter der Volkssouveränitätslehre, BUCHANAN, HOOKER, MILTON, SIDNEY, dazu außerstand gewesen waren und im Widerspruch mit den Tatsachen Volk und Parlament für die ausschließlichen Gesetzgeber erklärt hatten. Wir treten nun der Theorie LOCKEs näher, zunächst im Allgemeinen, dann im Besonderen. Die Schriftsteller, an welche er sachlich in erster Linie anknüpft, sind HOOKER und SIDNEY und der Führer der Leveller, LILBURNE. § 5. Die Staatslehre Lockes. Wie die Staatskonstruktion von HOBBES, so baut sich auch diejenige LOCKEs auf dem Staatszweck auf. Der Staatszweck ist das oberste natürliche Staatsgesetz; ihm ist die ganze staatliche Existenz und demgemäß auch die staatliche Gesetzgebungsgewalt unterworfen. Derselbe besteht aber in der Erhaltung der Gesellschaft oder besser des Eigentums der Gesellschaft und, sofern es sich mit dem allgemeinen Besten verträgt, jeder Person dieser Gesellschaft. Unter Eigentum ist dabei Leben, Freiheit und Gut verstanden. Von diesem obersten Staatszweck und Staatsgesetz aus gelangt LOCKE zur Volkssouveränität, indem er sagt, die society, das staatliche Gemeinwesen, hat ein angeborenes und ursprüngliches und darum unverlierbares Recht auf Selbsterhaltung. Darum kann sie alle Gewalt, die ihr zusteht, nur anvertrauen, delegieren, nicht wegeben, veräußern. Fürst und Gesetzgebungsorgan haben nur delegated, derived, fiduciary power [delegierte, abgeleitete, treuhänderische Macht - wp]. Weil ihre Gewalt nur eine zur Ausübung übertragene ist, kann sie von ihnen auch nicht weiter übertragen werden. Im Einzelnen ist die Konstruktion der Staatsorganisation die gleiche, wie bei HOBBES, d. h. es werden für die Übertragung der Herrschaft, die hier allerdings nur eine Übertragung zur Ausübung ist, zwei Verträge angenommen. Im Stand der Natur hat jeder Mensch das Recht, über sich und seine Güter zu verfügen. Mit diesem right of freedom to his person, which no other man has a power over, but the free disposal of it lies in himself [Recht der Freiheit der Person, über die niemand Macht hat, weil sie nur in ihr selbst zur freien Verfügung steht - wp]. Allein dieser Naturzustand (state of nature) ist verdrießlich; die Menschen entbehren in ihm die Sicherheit für Leben und Gut. Die preservation of their property [Erhaltung ihres Eigentums - wp] treibt sie zur Vergesellschaftung. Sie schließen einen Vertrag, das grundlegende Übereinkommen (original agreement), wodurch der politische Körper gebildet wird. In ihm entscheidet die Majorität. Diese bestimmt die form of commonwealth [Art des gemeinsamen Reichtums - wp]. Behält sie die Herrschaft selbst, so liegt Demokratie vor. Aber sie kann die Herrschaft auch Anderen, Einem oder Mehreren, einem Kollegium übertragen. Das Verhältnis zu Beiden beruth auf Vertrag, aber beide verlieren ihre Gewalt, wenn sie dieselbe zu einem anderen Zweck verwenden, als zu dem, zu welchem sie übertragen ist. Die Gewalt devolviert [an jemand anderen übergehen - wp] wieder an das Volk, welches das Recht hat, seine ursprüngliche Freiheit zurückzunehmen. Zu zwei wichtigen Lehren wird LOCKE durch die Widerlegung des Satzes geführt, daß der Herrscher nicht an Rechtsschranken gebunden ist. HOBBES und SPINOZA begründeten dies damit, daß sie sagten, daß das Individuum das ganze ihm im Naturzustand zukommende Selbstregierungsrecht auf den Staat überträgt. LOCKE bringt den Beweis: dies ist unmöglich, denn das Individuum kann sich dieses Rechts nicht völlig entledigen; eine Ausführung, welche sich als die Behandlung zweier neuer Lehren, der Lehren von den Wesen und Arten der individuellen Freiheit im öffentlichen Leben und von der inneren Rechtfertigung der repräsentativen Demokratie, darstellen. In ersterer Richtung gibt LOCKE eine naturrechtliche Erklärung dieser Freiheit; in letzterer Beziehung leitet er die Notwendigkeit einer repräsentativen Regierungsform, also einer gewählten Volksvertretung neben König und Adel aus dem Wesen der Volkssouveränität ab, um deren Stellung zu König und Adel dann rechtlich zu konstruieren. Indem wir diese beiden Lehren betrachten, lösen wir ein in der "Geschichte der Staatswissenschaft" gegebenes Versprechen ein. Dort war die Darstellung der historischen Entstehung dieser Lehren sowie derjenigen der Teilung der Gewalten unterlassen worden, weil der heutige Rechtszustand mit ihr noch eng verbunden ist. Nach der Begründung, welche LOCKE beiden Lehren gibt, hängen sie unter sich und mit der eben skizzierten Lehre zusammen. Auch sie werden auf den Gedanken der Erhaltung der Menschheit oder, wie man, weil jeder Eigentum an seiner Person hat, mit LOCKE besser sagt, auf den Gedanken der Erhaltung des Eigentums der Menschheit zurückgeführt. Aus ihr folgt eine Freiheit nicht bloß für den Naturstand, sondern auch für das Leben in staatlicher Gemeinschaft, eine natural liberty und eine liberty in society. Die eine ist der Zustand, über seinen Besitz und innerhalb der Schranken des Selbsterhaltungsgesetzes auch über seine eigene Person so zu verfügen, wie man will, keinem anderen Menschen ohne Zustimmung subordiniert zu sein. Die staatliche Freiheit ist das Recht, wenn man sich einem Staat freiwillig unterworfen hat, zu verlangen, daß die Staatsgewalt nur zum Zweck der Erhaltung der Menschen verwendet wird. Die Freiheit besteht hier in der Freiheit von Unterordnung unter eine willkürliche Gewalt, unter eine Despotie, d. h. in der Freiheit, dem eigenen Willen in allem zu folgen, was nicht durch Gesetz verboten ist. Die natürliche Freiheit ist die Freiheit von Unterordnung unter jede Gewalt außer unter die Herrschaft des Selbsterhaltungsgesetzes, staatliche Freiheit ist Freiheit von Unterordnung unter eine willkürliche Menschengewalt; sie ist Unterordnung nur unter eine an das Erhaltungsgesetz gebundene Menschengewalt. Beides folgt aus dem Selbsterhaltungstrieb. Die Menschen sind Geschöpfe Gottes, damit aber Gottes Eigentum (property) und seinem Willen und nur seinem Willen unterworfen. Gott will die Erhaltung der Menschheit, also ist Selbsterhaltung oberstes Recht, aber auch oberste Pflicht der Menschen. Der Selbsterhaltungstrieb, das Streben nach mutual preservations of their lives, liberties and states [gegenseitige Erhalten ihres Lebens, ihrer Freiheit, ihres Staates - wp] und damit das Naturgesetz und insofern der Wille Gottes treibt die Menschen aber zur Vergesellschaftung. So entstehen Staaten. In diesen kann jedoch nur Freiheit d. h. Freiheit from absolute, arbitrary power [von absoulter, willkürlicher Macht - wp] herrschen. Etwas anderes verträgt sich mit dem Naturgesetz der Selbsterhaltung nicht. Dieses wirkt auch noch im Staat. Der Stand der Freiheit ist kein state of license [einer, der der Genehmigung bedarf - wp]. Der Mensch kann zwar über sich und sein Besitztum verfügen, aber he has not liberty to destroy himself [hat nicht die Freiheit, sich selbst zu zerstören - wp], denn er ist Eigentum seines Schöpfers. Er muß erhalten werden. Unterordnung unter eine absolute Gewalt ist aber auch die Hingabe des Rechts, die Existenz des Untertanen zu zerstören. Dieses Recht kann die Obrigkeit nicht haben, denn dieses Recht kann der Mensch als Eigentum Gottes nicht übergeben. Kein Mensch hat eine Gewalt über sein Leben, also kann er eine solche Gewalt auch nicht an andere übertragen. Somit kann die Staatsgewalt (political power) über ihn nur eine beschränkte sein. Wo eine despotische Regierung ist, ist überhaupt kein Staat, ja sogar ein naturwidriger Zustand. Denn die Menschen haben hier überhaupt keine Freiheit, sondern sind Sklaven. Neu an diesen Ausführungen sind ja die einzelnen Glieder nicht. Schon die griechische Staatslehre ist von dem Gedanken beherrscht, daß die Menschen von Natur aus frei sind und nur in einem Staat frei bleiben, wo die Gesetze herrschen, und diese Anschauungen hatten sich seitdem erhalten. Neu ist aber jetzt die starke Formulierung des Freiheitsbegriffs und die klare Unterscheidung einer natürlichen und einer staatlichen Freiheit. In diesen Ausführungen sind auch bereits die Grundlagen für die logische Ableitung der repräsentativen Staatsform enthalten. LOCKE weist die logische Notwendigkeit einer gewählten Volksvertretung für Monarchie und Aristokratie, wie folgt, nach: Hat das Volk auch die gesetzgebende Gewalt einem Einzigen oder einer immer gleich zusammengesetzten, erblichen Versammlung übertragen, so kann die Gesetzgebungsgewalt dieser Organe doch keine unbeschränkte seinö Sie muß an Gedanken (bounds), an die Zustimmung (consent) des Volkes oder vom Volk auf Zeit gewählter deputies oder representatives gebunden sein. Ohne deren Zustimmung kann keine Auflage auf das Eigentum der Untertanen gelegt werden. Es folgt dies eben aus der naturgesetzlichen Schranke der menschlichen Freiheit. Der Mensch hat die Verpflichtung, sich und sein Eigentum zu erhalten. Er kann sich somit nur einer beschränkten Gewalt unterwerfen. Nobody can give more power than he has himself [Niemand kann mehr Macht übertragen, als er selbst hat. - wp]. Die gesetzgebende Gewalt kann also nur limited sein. Mit dem Grundgesetz des Staates verträgt sich absolute Monarchie nicht. Eingriffe in das Eigentum der Untertanen bedürfen deren Zustimmung. Denn der Zweck des Staates ist die Erhaltung und Sicherung, nicht willkürliche Minderung und Wegnahme dieses Eigentums. Der zusammenfassende Satz, in welchen die ganze Untersuchung ausmündet, lautet: "The legislative power must not raise taxes on the property of the people, without the consent of the people, given by themselves or their deputies." [Die legislative Macht darf keine Steuern auf das Eigentum des Volkes erheben, ohne deren vorherige Zustimmung, von ihnen selbst oder ihren Interessenvertretern gegeben. - wp] Wie dieser Satz ergibt, verlangt LOCKE eine solche Mitwirkung von Volksvertretern bei der Gesetzgebung nur bei der Auflegung von Abgaben, nicht bei der ganzen Gesetzgebung. Immerhin betrachtet er aber diese Zustimmung des Volkes oder seiner gewählten Vertreter für das mindest Erforderliche. Denn er fährt unmittelbar fort: "And this property concerns only such Governments where ... the people have not reserved any part of the legislative to deputies to be from time to time chosen by themselves." [Und dieses Eigentum betrifft nur solche Regierungen, wo ... das sich das Volk keine Teile irgeneiner Art von Legislative für seine Abgeordneten reserviert hat, die von Zeit zu Zeit vom ihm gewählt wurden. - wp]. Wenn vom Volk gewählte Vertreter desselben einen Anteil an der Gesetzgebung haben, bedarf es keiner gesonderten Zustimmung des Volkes oder von ihm gewählter Vertreter (Representatives chosen by them) zur Erhebung von Abgaben. Hieraus folgt, daß LOCKE die Mitwirkung gewählter Volksvertreter an der Gesetzgebung, also das Prinzip repräsentativer Demokratie, nur zu einem Teil logisch abgearbeitet hat. Daß in der Monarchie und Aristokratie Volksvertreter zur Teilnahme an der ganzen Gesetzgebung vorhanden sind, hält er nicht für durch den Staatszweck gefordert, wenn wir auch nicht vergessen dürfen, daß LOCKE zur property ja nicht bloß Vermögensrechte, sondern alle Freiheitsrechte und das Leben rechnet, also unter den taxes on the property alle Auflagen, welche auf Vermögen, Freiheit und Leben gelegt werden, somit nahezu die ganze Gesetzgebung versteht. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß mit dem Bisherigen die Ausführungen LOCKEs über die repräsentative Staatsform abgeschlossen sind. LOCKE gibt durch seine Darlegungen über die sogenannte Teilung der Gewalten indirekt eine vollständige Konstruktion der repräsentativen Staatsform. Wir gehen zu dieser dritten neuen Lehre LOCKEs, der wichtigsten, die wir ihm verdanken, über: Wir dürfen LOCKEs Lehre von der Teilung der Gewalten aus zwei Gründen, einem formellen und einem sachlichen, eine neue Lehre nennen. Vor allem aus einem formellen. Es ist LOCKE, welcher an die Stelle des bisher üblichen Ausdrucks "geteilte Hoheitsrecht" den Ausdruck "geteilte Gewalten" setzte. BODIN hatte von divisa jura majestatis inter principem et subditos, GROTIUS von einer parititio des Imperium zwischen Volk und König und HOBBES von divisa jura regni Anglicani inter regem, proceres et coetum communeum gesprochen. LOCKE sagt (nicht mehr in Latein): the legislative and executive power come often to be seperated. Und dazu kommt in sachlicher Hinsicht: LOCKE systematisiert diese Gewalten und kennt neben getrennten auch verbundene Gewalten (joint powers) und gibt dadurch eine rechtliche Konstruktion einer konstitutionell-monarchischen Regierungsform, d. h. einer Staatsform, nach welcher auch der König an der Gesetzgebung teil hat, und damit eben der Staatsform, welche in der Zeit LOCKEs in England geltendes Recht war. Die Ausführungen LOCKEs über die getrennten und die verbundenen Gewalten tragen einen anderen wissenschaftlichen Charakter, als diejenigen über individuelle Freiheit und Teilnahme des Volkes an der Regierung. Diese beiden Erscheinungen sind aus einem Staatszweck logisch begründet; sie müssen nach LOCKE in jedem Staat vorhanden sein. Trennung und Verbindung der Gewalten brauchen nach LOCKE dagegen nicht in allen Staaten vorzuliegen. Trennung der Gewalten ist nach LOCKE nur bei wohlgeordneten Staaten (moderated monarchies and wellframed governments) erforderlich, eine Verbindung der Gewalten nicht einmal bei diesen. LOCKE beschränkt sich auf die Bemerkung, es komme "in einigen Staaten" vor, daß das oberste exekutive Einzelorgan auch Anteil an der legislativen Gewalt hat: es kommt vor, daß "the legislative is placed in the concurrence of three distinct persons, 1) a single person having the constant supreme exekutive power, 2) an assembly of hereditary nobility, 3) an assembly of representatives chosen pro tempore by the people." Hieraus ergibt sich, daß LOCKE den wohlgeordneten, den constitued commonwealth nicht logisch, d. h. philosophisch-naturrechtlich, sondern nur politisch erklärt. Und die konstitutionoelle oder repräsentative Monarchie, d. h. der Staat mit dem joint power, wird überhaupt nur empirisch, beschreibend behandelt. LOCKE beschränkt sich hier völlig auf die rechtliche Konstruktion. Das Wichtigste, was aus dieser Art der Betrachtung der separated und joint powers sachlich folgt, ist, daß es nach LOCKE nicht notwendig ist, daß die Gesetzgebung allein oder in erster Linie in der Hand einer Volksvertretung liegt. Einer oder Mehrere, person or assembly, kann legislator sein. Nur ein consent of the people, given by themselves or their deputies, eine Bindung des Gesetzgebers an die Zustimmung des Volkes oder seiner gewählten Vertreter, ist erforderlich und zwar lediglich bei Erhebung von taxes on the property of people. Lediglich zum Begriff des wohlgeordneten, des konstitutionellen Staates gehört es, daß die Legislative Mehreren, einer Versammlung, allein oder mit anderen Organen, zusteht. Und dann gehört zum Begriff des constituted Commonwealth, daß legislative und exekutive Gewalt nicht united, sondern in distinct hands, separated sind. Die politische Erklärung der Trennung der Gewalten ist die gleiche, wie bei BUCHANAN. Der Zweck ist, Übergriffen der Staatsorgane vorzubeugen, ein Gleichgewicht der Staatsgewalt herbeizuführen, was nötig ist, weil für die nach Macht strebende menschliche Schwachheit zu große Versuchung bestünde, die Gewalt im privaten Interesse auszuüben, wenn dieselben Personen, welche das Recht der Gesetzgebung haben, auch die Macht besäßen, sie zu vollziehen. Was neu ist, ist die rechtliche Konstruktion dieser Trennung wie auch der Verbindung der Gewalten. Sie führt zu einer Konstruktion des ganzen Staatsorganismus. Wir würden dieselbe für vollkommen erklären müssen, wenn sie scharf und konsequent zwischen Staatsgewalt im sachlichen und Staatsgewalt in einem persönlichen Sinn, d. h. zwischen Staatshoheitsrecht und Staatsorgan, zwischen Gesetzgebung und Gesetzgeber unterscheiden würde. Indessen, die Anfänge hierzu sind vorhanden. LOCKE sagt wiederholt, daß die exekutive und die föderative Gewalt "sachlich" voneinander verschieden, aber zumeist nicht in die Hand verschiedener Personen gelegt, sondern in der Hand derselben Person vereinigt sind. Würde LOCKE diesen Unterschied von sachlicher und persönlicher Trennung terminologisch betont und insbesondere für das Verhältnis von legislativer und exekutiver Gewalt beachtet haben, dann müßte von seiner Konstruktion gesagt werden, daß dieselbe hinter den besten unserer Zeit an Vollkommenheit nicht zurücksteht. Die Konstruktion LOCKEs, seine Gedankengänge zusammengestellt, ist nun diese: Die Staatsgewalt (political powwer) zerfällt in mehrere Teile; zunächst in in zwei, in die legislative und in die Executive Power; letztere teilt sich dann wieder in die exekutive power (im engeren Sinn), welcher der Vollzug der Gesetze im Inneren (at home) durch Richter und Behörden obliegt und die federative power zur Verteidigung des Staates nach Außen. Letztere Unterscheidung hat jedoch keine organisatorische Bedeutung, denn, wie LOCKE bemerkt, ist es notwendig, die Kraft des Staates, welche durch sie bei repräsentiert ist, in einer Hand zu vereinigen, wenn disorder and ruin vermieden werden soll. Was die Staatsorganisation angeht, so ruht die höchste Gewalt beim Volk selbst. Nur dieses hat eine dauernde höchste Gewalt. Alle anderen Gewalten sind nur fiduciary power [willkürliche Gewalten - wp]. Das Volk kann sie zurücknehmen, wenn dieselben das in sie gesetzte Vertrauen nicht erfüllen. Die nächsthöchste Gewalt ist die gesetzgebende Gewalt. Sie allein kann in einem konstitutionellen, d. h. wohlgeordneten Staat die höchste anvertraute Gewalt besitzen, alle anderen Gewalten müssen von ihr abgeleitet und ihr subordiniert [untergeordnet - wp] sein, denn wer Anderen Gesetze geben kann, muß notwendig höher stehen als diese. Die Exekutive ist also der Legislative untergeordnet. Es genügt nicht Trennung, es muß eine Sonderung der Gewalten sein; es muß auch Unterordnung dabei sein. Allein diese Sonderung und Unterordnung ist nur im wohlgeordneten Staat notwendig; denn nur hier ist erforderlich, daß die Legislative und Exekutive in distinct hands gelegt, separated, nicht united sind. Jedoch auch im wohlgeordneten Staat ist eine Ausnahme von der Regel zugelassen. In ihm steht die Legislative keiner Einzelpersönlichkeit, sondern einerr Versammlung, jedenfalls nicht der Einzelpersönlichkeit, welche die Exekutive hat, dem "Exekutor" zu. Als diese Versammlung denkt sich LOCKE den Senat, die Nobility. Es ist aber auch möglich, daß es mehrere "Teile der Legislative" gibt, die Legislative eine joint power ist. Das Volk kann "any part of the legislative" seinen, von ihm gewählten Deputierten reserviert haben und dann kann der oberste Exekutor ein doppeltes Vertrauen genießen und außer dem höchsten Gesetzesvollzug auch "a part in the legislative" besitzen. Wenn das Letztere der Fall ist, hat die oberste Exekutive den anderen Teil der Legislative nicht als etwas Höheres über sich, da dann kein Gesetz ohne ihre Zustimmung zustande zu kommen vermag. Es herrscht hier weder Unterordnung noch Trennung, sondern Nichtsubordination und Verbindung. In den Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung gestellt, bedeutet LOCKEs Lehre, mit einem Wort gesagt, die rechtliche Konstruktion dessen, was man bisher eine gemischte Regierungsform nannte. BUCHANAN und seine Nachfolger hatten nur die eine Art der gemischten Regierungsform, die Trennung der Gewalten, beachtet; LOCKE fügte die Konstruktion der anderen Art, der Verbindung der Gewalten, hinzu. Auf die Frage, ob die Konstruktion, welche LOCKE der repräsentativen Monarchie gibt, nicht dadurch durchbrochen wird, daß das Parlament sich nicht selbst versammeln darf, sondern vom Haupt der Vollzugsgewalt berufen wird, soll hier nicht eingegangen werden. Dieselbe ist bei der rechtlich-politischen Würdigung des geltenden Rechtszustandes zu berühren. Dort sei auf LOCKE zurückgegriffen, hier nur so viel gesagt, daß LOCKE in dieser Richtung zwei widersprechende Sätze aufstellt, auf der einen Seite, in diesem Berufungs- und Entlassungsrecht liegt darum keine superiority [Vorrang - wp] der Exekutive über die Legislative, weil die Exekutive diese Befugnis nur als fiduciary trust [willkürliches Vertrauen - wp] besitzt und auf der anderen Seite: the legislative depends upon his (d. h. des Exekutors) will for the convening [die Legislative hängt vom Willen des Exekutors für die Einberufung ab - wp]. |