ra-2RousseauD. KoigenH. GrotiusC. Schmittvon Humboldt    
 
HERMANN REHM
Geschichte der Staatstheorien
[2/2]

"Erhält der Mensch bei Eintritt in den Staat für die Aufgabe der natürlichen Freiheit auch die staatliche Freiheit, so ist dies doch nicht mehr die alte Freiheit. Der Stand der Natur und der Stand im Staat sind verschiedene Rechtsverhältnisse. Der Übergang in die staatliche Freiheit ist also nicht bloß eine Veränderung, sondern eine Ersetzung der natürlichen Freiheit. Unverändert bleicht nur das Recht des Individuums auf Erhaltung; durch dieses ist die staatliche Gewalt begrenzt."

"Freiheit ist nur, wo Gesetze herrschen und Gesetze gibt es lediglich im Staat. Wo keine Gesetze herrschen, gibt es nicht Freiheit, sondern Unabhängigkeit. Freiheit ist Freiheit von Verwaltungswillkür, nicht von Gesetz. Nur wenn man Freiheit nicht politisch, d. h. verfassungsrechtlich, sondern philosophisch versteht, kann davon gesprochen werden, daß es auch da, wo keine Gesetze sind, Freiheit gibt. Insofern ist Freiheit überall, wo man tun kann was man will. Im rechtlichen Sinne ist Freiheit bloß da, wo eine Sicherheit des Individuums gegeben ist, und diese ist nur da gegeben, wo Gesetze herrschen."

§ 6. Die Entwicklung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Theorie LOCKEs wurde nicht das Glück zuteil, sofort auch über ihr Ursprungsland hinaus Erfolg zu erzielen. Dafür waren die politischen Verhältnisse des Festlandes zu abweichend gelagert. In einem Teil der festländischen Staaten, Frankreich voran, herrschte wohl der willkürlichste Absolutismus. Allein solange er äußeren Erfolg hatte, wurde er ruhig ertragen; HOBBES'sche, nicht LOCKE'sche Lehren fanden bei BOSSUET, FENELON u. a. willige Aufnahme. Und was Deutschland anging, so war man auch hier trotz ungünstiger politischer Verhältnisse im Allgemeinen mit den gegebenen staatlichen Zuständen zufrieden. Die Wunden des dreißigjährigen Krieges verlangten ein starkes und darum an möglichst wenig Schranken gebundenes Eingreifen des Staates zugunsten der Untertanen. Man ließ es verhältnismäßig widerstandslos geschehen, daß die Fürsten die Stände nicht mehr beriefen, da sie zumeist ihre auf diese Weise freie Staatsgewalt in den Dienst des Gemeinwohls, nicht, wie die Stände ihre Rechte, in den Dienst von Sonder- und Standesinteressen stellten. Der für das Gemeinwohl sorgende Polizeistaat genügte den politischen Anforderungen selbst der fortgeschritteneren Geister. Erst, als in Frankreich den despotischen Monarchen in seinen auswärtigen Kriegen der Stern verließ und in Deutschland die Untertanen wirtschaftlich und ethisch wieder so weit erstarkt waren, daß sie der bevormundenden Tätigkeit des Staates entraten konnten, und man erkannte, daß die staatliche Leitung des wirtschaftlich-geistigen Lebens, namentlich bei der Vielgestaltung der Verhältnisse in Deutschland, mehr hemmend als fördernd zu wirken geeignet war, erst dann war auf dem Kontinent der für LOCKE'sche Anschauungen empfängliche Boden vorhanden.

Da Despotie schwerer zu ertragen ist als eine übermäßige obrigkeitliche Fürsorge, so mußte dieser Zeitpunkt in Frankreich früher eintreten als in Deutschland. Und so sehen wir auch, daß es Frankreich ist, wo zuerst die Lehren LOCKEs Aufnahme finden. Wie sehr dieselben den dortigen politischen Bedürfnissen entgegenkamen, zeigt am augenscheinlichsten der Umstand, daß man hier sehr bald von der bloß politischen Begründung des wohlgeordneten Staates im Sinne LOCKEs zu einer naturrechtlichen überzugehen, d. h. also die Behauptung aufzustellen vermochte, ein Aufbau des Staates nach den allgemeinen Grundgedanken LOCKEs sei nicht bloß zweck-, sondern auch vernunftmäßig. Diese Anschauung gewann schließlich sogar die Alleinherrschaft. Die empirisch-politische Staatslehre wurde von der rationalen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geradezu erdrückt. MONTESQUIEUs Lehre stellt die politische, die ROUSSEAUs die naturrechtliche französische Begründung der LOCKE'schen Staatslehre dar. In England war sie dann auf MONTESQUIEU'scher Grundlage wissenschaftlich fortgebildet und verdeutlicht durch BLACKSTONE.

In Deutschland währte die Genügsamkeit mit dem absoluten Staat länger, was wesentlich damit zusammenhing, daß der Absolutismus daselbst zumeist eine andere Richtung als Frankreich eingeschlagen hatte. Es ist daher erklärlich, wenn sich derselbe auch in der Theorie länger erhielt. Die positive deutsche Staatslehre des 18. Jahrhunderts stand im Allgemeinen auf dem Boden desselben. Dank ihrer kräftigen Entfaltung im 17. Jahrhundert, wußte sie sich gegenüber dem Naturrecht ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Andererseits wäre von ihr aber zu erwarten gewesen, daß sie die Frage untersucht hätte, ob der tatsächlich-politischen Besonderheit, welche die absolute Monarchie in Deutschland gegenüber der französischen aufwies, nicht auch ein rechtlicher Unterschied derselben gegenüber derjenigen Frankreichs zur Seite ging. Allein darin trat der Einfluß französischer Kultur und Wissenschaft in Deutschland, wie er jenem Zeitalter eigentümlich war, nachteilig zutage: die berufsmäßigen Staatstheoretiker vermochten es nicht, diese Tätigkeit des Staates im Interesse des Gemeinwohls vom Standpunkt des absoluten Staates aus rechtlich zu erklären. Es ist ein praktischer Politiker, der sich zugleich als der berufene Empiriker des Staatsrechts erwies; es ist der Philosoph auf dem Thron, FRIEDRICH der Große, welcher diese Aufgabe löste. Die Besonderheit seiner Staatstheorie tritt hervor, wenn wir sie in den Zusammenhang der Lehre vom Absolutismus stellen.

BODIN hatte noch rechtliche Schranken der Herrschersouveränität in jus divinum [göttliches Recht - wp] und jus naturale anerkannt. Für HOBBES gibt es nur mehr natürlich-tatsächliche und moralisch-politische Schranken der Ausübung der Staatsgewalt. Und Ähnliches ist bei den französischen Staatstheoretikern LUDWIGs XIV., wie bei ihm selbst, der Fall. Auch sie erkennen gegenüber den Untertanen nur Schranken der Religion, Ethik, Vernunft und politischen Klugheit an. Gewiß gilt der Satz, daß das öffentliche Wohl Allem vorauszugehen, der Fürst ihm alle Sonderregungen zu opfern hat. Wir finden diesen Satz sowohl bei BOSSUET, wie im Tagebuch und in den Denkwürdigkeiten LUDWIGs XIV, aber gemeint ist er lediglich als Vernunftvorschrift. FRIEDRICH der Große ist es, welcher die von den größeren deutschen Monarchien tatsächlich geübte Fürsorge für das Wohl ihrer Untertanen nicht mehr bloß, wie die französischen und die mit ihnen bisher übereinstimmenden deutschen Politiker, aus moralischen oder religiösen Pflichten oder aus Regeln der Klugheit oder Vernunft ableitete, sondern juristisch erklärte.

Die berufsmäßige deutsche Staatslehre des 18. Jahrhunderts war für den absoluten Staat trotz dieser ausgesprochenen Tendenz des Handelns allein für die Untertanen in der rechtlichen Erklärung auf dem Standpunkt des Patrimonialstaates stehen geblieben. Der Fürst ist Subjekt der Staatsgewalt. Dies gilt nicht bloß für LUDWIG XIV. und die Vertreter seiner Anschauung, sondern auch für JOHANN JACOB MOSER und PÜTTER und die ganze deutsche Staatsrechtslehre. Sie kennt nur zwei Arten von Monarchien, das regnum patrimoniale, wo die Herrschaft dem Fürsten quoad substantiam zusteht, und das regnum non patrimoniale oder usufructuarium, wo die Herrschaft auf dem consensus subjectorum beruth und dem Regenten nur quoad exercitium zukommt; und die absolute Monarchie ist ihr immer regnum patrimoniale. FRIEDRICH der Große gibt der in den Dienst des Gemeinwohls sich stellenden absoluten Monarchie eine andere rechtliche Konstruktion. Im bewußten Gegensaatz zu dem LUDWIG XIV. zwar fälschlich in den Mund gelegten, aber in seinem Sinn erfundenen Wort: "l'État c'est moi" [Der Staat bin ich. - wp] und zu dem damit zusammenfallenden Ausspruch BOSSUETs: "tout l'État est en la personne du prince" [Der ganze Staat ist in der Person des Prinzen. - wp] nennt er den Fürsten den premier serviteur de l'Ètat, premier ministre de la société, premier domestique des peuples [erster Diener des Staates, Premierminister der Gesellschaft, erster Diener des Volkes - wp].
    "Es stellt sich heraus" heißt es in der Réfutation du prince de Macchiavel ch. 1, "daß der Souverän, weit davon entfernt, der absolute Herr des Volkes zu sein, das unter seiner Herrschaft steht, selbst nur der erste Diener ist und daß er wie das Volk das Instrument ihrer Glückwünsche sein muß, das Volk Instrument seiner Herrlichkeit ist."
Es kann nicht zugegeben werden, daß diese Worte und Sätze nicht anders verstanden werden können, als dahin, daß FRIEDRICH der Große mit ihnen lediglich eine politische Pflicht des sonst aus eigenem Recht herrschenden absoluten Monarchen bezeichnen wollte. Mit ihrem Wortlaut ist ebenso verträglich, darin auch eine Rechtspflicht des Fürsten zu erblicken, d. h. nicht bloß einen Dienst gegenüber dem unpersönlichen Gemeinwohl, sondern eine Pflicht gegen den persönlichen Staat, gegen den Staat als juristische Persönlichkeit. Dafür spricht, daß FRIEDRICH der Große den Staat nicht als mit dem Fürsten identisch, sondern den Staat als Ganzes, den Herrscher nur als Glied, als Haupt desselben auffaßt und das auf den Anschauungen FRIEDRICHs des Großen ruhende "Allgemeine Preußische Landrcht" nicht bloß Rechte und Pflichten des Königs, sondern des Staates kennt. Hiernach dürfte feststehen, daß FRIEDRICH der Große nicht bloß den Fürsten der Volkssouveränität, sondern auch den den aufgeklärten Absolutismus nicht als Subjekt sondern als Organ des Subjekts der Staatsgewalt ansah. Der absolute Fürst ist nach ihm Diener im Rechtssinn, nur nicht Volks-, sondern Staatsdiener. Das Fürstentum ist nicht bloß politisch, sondern rechtlich Staatsdienst, Subjekt der Staatsgewalt der Staat, der Fürst sein Organ.

Was FRIEDRICH der Große erreicht hat, ist die Unterscheidung von Volks- und Staatspersönlichkeit. Er ist der Schöpfer der Vorstellung von einer von den Staatsorganen unabhängigen Persönlichkeit. Wohl ist dem Staat in der Neuzeit schon vor FRIEDRICH dem Großen wirkliche juristische Persönlichkeit beigelegt worden, so von GROTIUS, HOBBES und PUFENDORF, aber doch nicht in dieser scharfen Trennung von Staatspersönlichkeit und Staatsdiener d. h. Staatsorgan. GROTIUS nennt den Herrscher immerhin nicht bloß minister rei publicae [Staatsdiener - wp], sondern subjectum proprium summae potestatis und ebenso gewähren HOBBES und PUFENDORF dem Monarchen neben dem Staat ein eigenes Recht auf Herrschaft.

Daß es gerade ein preußischer Herrscher war, welcher diese neue juristische Lehre formulierte, erklärt sich daraus, daß die Hohenzollern seit dem großen Kurfürsten, insbesondere FRIEDRICH WILHELM I., es sich angelegen sein ließen, die höheren Ämter nur mit auf der Universität unterrichteten Persönlichkeiten zu besetzen. Die so Vorgebildeten waren von Idealismus und humanen Anschauungen getragen und so im Gegensatz zu den bisherigen lediglich dem Adel entnommenen Beamten im Stand und geneigt, die öffentlichen Aufgaben frei von Standesinteressen, somit auch im Interesse von Bürger und Bauer zu behandeln. Dieser das allgemeine über das Klasseninteresse stellende Beamtenstand hat vor allem auch die Vorstellung von einem Staatswesen erweckt, dessen Interessen auch mit den Anschauungen und Interessen des Fürsten nicht gleichbedeutend sind, und so war FRIEDRICH der Große in der Lage, der neuen Lehre das Leben zu geben. Daß sie von der berufsmäßigen Staatstheorie in Deutschland aufgenommen wurde, zeigt nichts besser als der Wechsel der Anschauungen in den Schriften FRIEDRICH CARL von MOSERs, des Sohnes von JOHANN JACOB MOSER. Steht dessen klassisch gewordenes Werk "Der Herr und der Diener" (Frankfurt 1759) noch auf dem älteren Standpunkt, so folgen insbesondere seine "Politischen Wahrheiten" (Zürich 1796) der neuen Auffassung, daß es rechtliche Pflicht des Herrschers ist, sich in den Dienst von Volk und Land zu stellen.

Durch FRIEDRICH den Großen war die absolute Monarchie gegen die Angriffe der Volkssouveränitäts- und der Teilungslehre wissenschaftlich gekräftig und auf diese Weise ein zweiter Grund dafür geschaffen, daß die rein naturrechtliche Staatstheorie in Deutschland erst später als in Frankreich einzog. Sie konnte in Deutschland erst Eingang finden, als die wirschaftlichen und geistigen Verhältnisse sich so verändert hatten, daß die staatliche Bevormundung mehr als eine Belästigung, denn als eine Wohltat empfunden wurde. Dies trat erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Wir betrachten nunmehr die Entwicklung der naturrechtlichen Staatslehre im 18. Jahrhundert im Einzelnen.

§ 7.Montesquieu Wie wir schon bemerkten, sind MONTESQUIEU und ROUSSEAU die zwei Theoretiker des 18. Jahrhunderts, welche die Lehren LOCKEs auf den Kontinent übertrugen. Beide taten dies nach Inhalt und Form in verschiedener Weise. MONTESQUIEU steht LOCKE nicht bloß zeitlich, sondern auch sachlich und methodisch näher. Er bildet LOCKEs Lehre nur aus und verfährt, wie LOCKE in der Betrachtung des wohlgeordneten Staates, empirisch-politisch; denn einmal bleibt er bei der rein politischen Betrachtung der Lehre von der Teilung der Gewalten stehen; und was die Methode angeht, so erklärt er diese Verfassungsart lediglich für diejenige, welche das größte Maß individueller staatlicher Freiheit gewährt, keineswegs für die allein mögliche; im Gegenteil, er betont und untersucht die Anhängigkeit der staatlichen Ordnung von Größe und Klima des Landes, Veranlagung, Lebensweise, Wirtschaft und Religion des Volkes. Ganz anderes ROUSSEAU. ROUSSEAU wandelt die Lehre LOCKEs um. An die Stelle einer organisatorisch-sozialen Teilung und Verbindung der Gewalten, setzt er lediglich eine Trennung und zwar lediglich eine organisatorische Trennung derselben. Und der Methode nach verfährt er rein spekulativ. Es ist nun unsere Aufgabe, beide Lehren näher darzulegen, um so eingehender, als die Lehre MONTESQUIEUs zum größten Teil die Grundlage unseres heutigen konstitutionellen Staatsrechtes bildet und die Theorie ROUSSEAUs das wissenschaftliche Rüstzeug zu der Revolution abgab, welche den Anschauungen MONTESQUIEUs den Weg zu ihrer Verwirklichung in den festländischen Gebieten der alten Welt öffnete.

LOCKE hat, wie teilweise schon früher angedeutet, in der inneren Rechtfertigung des konstitutionellen Staatswesens Lücken gelassen. Er erklärte wohl, warum es zweckmäßig ist, wenn Legislative und Exekutive grundsätzlich in verschiedene Hände gelegt werden, aber er unterließ, nachzuweisen, wie sich andererseits innerlich erklärt, daß im positiven Recht die Legislative in verschiedene Anteile zerlegt wird und an ihr insbesondere der Adel und die Exekutive beteiligt sind, und wie es kommt, daß die Legislative grundsätzlich einem Kollegium, die Exekutive einer Einzelpersönlichkeit zusteht. In diesen Beziehungen hatte sich LOCKE lediglich auf eine Konstatierung dieser Tatsachen und die rechtliche Konstruktion eines solchermaßen organisierten Staatswesens beschränkt. MONTESQUIEU unterläßt die rechtliche Konstruktion dieser Tatsachen und gibt dafür eine innere und zwar eine politische Rechtfertigung derselben. Nur teilweise geht er auch auf den philosophischen Ausgangspunkt LOCKEs, das Prinzip der Erhaltung von Individuum und Staat, zurück.

Die Möglichkeit, die genannten Tatsachen zu erklären, gewinnt MONTESQUIEU dadurch, daß er das Prinzip aufstellt, für den wohlgeordneten Staat, den er état tempéré [gemäßigter Staat oder in Maßen - wp] nennt, ist nicht bloß eine organisatorische Sonderung, sondern auch eine organisatorische Verbindung oder, wie er sagt, Verschmelzung der Gewalten erforderlich. Die verschiedenen staatlichen Funktionen müssen nicht bloß an verschiedene Gewaltenträger verteilt sein, sondern jeder dieser Gewaltenträger muß den anderen grundsätzlich in dessen Funktion hemmen, also Anteil an dessen Gewalt haben. Sollen wir es mit unseren Worten sagen: nicht bloß eine Verteilung der Gewalten an verschiedene Organe, sondern auch eine Beteiligung mehrerer Organe an derselben Gewalt, nicht bloß Separation, sondern auch Partizipation der Gewalten muß im wohlgeordneten Staat vorhanden sein. Der entscheidende Satz lautet: "Damit man Macht nicht mißbrauchen kann, ist es notwendig, daß die eine Macht durch die Anordnung der Dinge eine andere Macht stoppt." Begründet wird er - und darin sehen wir den Zusammenhang mit LOCKE - mit dem gleichen Gedanken, mit welchem BUCHANAN und LOCKE die Trennung der Gewalten begründet haben, mit der menschlichen Schwäche zur Selbstsucht. Hatten jene aus dem menschlichen Hang zum Egoismus nur die Zweckmäßigkeit der Schaffung von gesonderten Gewalten abgeleitet, so zog MONTESQUIEU aus ihm die Schaffung teilweise getrennter, teilweise verbundener Staatsgewalten ab.

Und diesen Grundgedanken führt er nicht bloß für das Verhältnis der drei Hauptfunktionen Legislative, Exekutive und richterliche Gewalt zueinander durch, sondern er gründet auf denselben auch die Zerlegung des legislativen Körpers in zwei sozial verschiedene Gruppen, um derentwillen er dann die gemäßigte Staatsreform einen état mêle, d. h. einen sozial gemischten Staat nennt. Bürgerliche Freiheit des Volkes, Vorrecht des Adels und Macht des Königs befinden sich bei dieser Staatsform in Harmonie.

Endlich wird politisch erklärt, warum die Gesetzgebung am Besten einem Kollegium, die Exekutive einer Einzelpersönlichkeit zusteht. Und so erhalten wir auf der Grundlage dieser Prinzipien folgenden Aufbau der Verfassung im Ganzen. Eine Verfassung kann so geordnet sein, daß niemand gezwungen ist, etwas zu tun, wozu das Gesetz nicht verpflichtet ist, oder etwas zu unterlassen, was das Gesetz erlaubt. In einem solchen Staat herrscht Freiheit, denn Freiheit ist eben das Recht, das zu tun, was das Gesetz erlaubt, und nichts tun zu müssen, was das Gesetz verbietet. Freiheit besteht somit nur in einem Staat, in dem es Gesetze gibt. Wo diese Freiheit herrscht, ist die beste Regierungsform. Verwirklicht ist diese höchste staatliche Freiheit in den englischen Gesetzen. Die Gesetzgebung d. h. die Herstsellung des allgemeinen Willens steht hier einer Mehrheit zu und zwar ist an dieser Mehrheit vor allem das Volk beteiligt. Ansich müßte es das ganze Volk sein. Denn in einem freien Staat sollte jeder Mensch durch sich selbst regiert werden. Allein in großen Staaten ist dies nicht möglich und in kleinen Staaten wäre es vielen Unzuträglichenkeiten unterworfen. Daher übt das Volk durch seine Vertreter, was es nicht selbst verrichten kann. Dazu kommt aber eine besondere Mitwirkung der Edelleute als derjenigen, welche durch Geburt, Reichtum oder Ehren hervorragen. Würden diese nur wie die anderen Volksgenossen an der Gesetzgebung teilhaben, so hätten sie kein Interesse, die Gemeinfreiheit gegenüber der Exekutive zu verteidigen, da das übrige Volk doch meist gegen sie stimmen würde. Ihren Vorzügen muß daher ein verhältnismäßiger, d. h. besonderer Anteil an der Gesetzgebung zukomme. Und dies ist der Fall, wenn sie eine besondere Körperschaft mit dem Recht bildet, die Unternehmungen des Volkes zu verhindern, wie das Volk das Recht hat, die ihrigen zu hemmen. Der gesetzgebende Körper besteht also aus zwei Teilen, von welchen l'une enchainera l'autre par sa faculté mutuelle d'empêcher [das eine wird das andere durch seine gegenseitige Fähigkeit zur Verhinderung verketten - wp]. Die richterliche Gewalt, welche Verbrechen straft und über Streitigkeiten entscheidet, bedarf keiner Mäßigung durch die Mitwirkung einer anderen Gewalt - für sie ist genügende Schranke, daß sie an die Gesetze gebunden ist -, wohl aber die Legislative und die Exekutive. Letztere ist im Gegensatz zur richterlichen Gewalt als der "Vollzugsgewalt in Angelegenheiten des staatlichen Rechts" die "Vollzugsgewalt in Angelegenheiten des Völkerrechts"; sie schließt Frieden, führt Krieg, entsendet oder empfängt Gesandte, hält die Sicherheit aufrecht und verhütet Einfälle.

Am meisten bedarf der Mäßigung durch andere Gewalten die Legislative; denn da sich die Gesetzgebung alle erdenkliche Gewalt beizulegen vermag, könnte sie alle anderen Gewalten vernichten. Um letztere zu schützen, muß daher die Exekutive an der Gesetzgebung teilhaben; sie muß gegenüber den Unternehmungen des gesetzgebenden Körpers die faculté d'empêcher [Fähigkeit zu verhindern - wp] besitzen. Aber auch die Exekutive ist einer solchen Mäßigung zu unterwerfen. Wohl bedarf es hier keines Rechtes der Legislative, die ausführende Gewalt zu hindern; diese ist schon dadurch genügend gemäßigt, daß sie durch die gesetzgebende Gewalt gebunden ist, d. h. die Gesetze zu vollziehen hat. Nur ein Recht der Kontrolle und der Rechenschaftsforderung muß der Legislative gegenüber der Exekutive zustehen. Die Legislative muß das Recht und die Möglichkeiten haben, zu prüfen, auf welche Weise die Gesetze, welche sie gemacht hat, vollzogen werden (faculté d'examiner), um gegebenfalls die Ratgeber des Monarchen zur Untersuchung und Bestrafung ziehen zu können.

Zu diesen grundsätzlichen Mäßigungen durch Einwirkung der verschiedenen Gewaltenträger aufeinander kommen dann noch gegenseitige Einzelbeschränkungen und Beschränkungen lediglich durch objektivrechtliche Schranken.

Weil die gesetzgebende Versammlung sich unter Umständen gar nicht vertagen und so verleitet werden könnte, sich in die Ausführung der Gesetze einzumischen, hat sie kein Selbstversammlungsrecht, sondern wird von der Vollzugsgewalt zusammengerufen. Und dieses Zusammensein darf wieder keine zu lange Dauer besitzen, weil die Exekutive sonst zu sehr durch die Verteidigung ihrer Ausführungsrechte gegenüber der Legislative in Anspruch genommen werden würde, als daß sie an die Ausführung selbst denken könnte. Auch kann der gewählte Teil des gesetzgebenden Körpers nicht immer derselbe sein, weil er der Ausdruck der Volksmeinung sein soll. Das Volk, welches vom gegenwärtigen gesetzgebenden Körper eine schlechte Meinung hat, muß seine Hoffnung auf den nachfolgenden setzen können. Ferner darf der adelige Teil bei die Steuererhebung betreffenden Gesetzen nur ein Hinderungs-, kein positives Beschlußrecht haben, denn als Vertreter besonderer Interessen könnte er die Interessen des Volkes außer Acht lassen und die Untertanen stark belasten, was gerade bei Steuern sehr drückend wäre. Andererseits darf die Legislative über die Erhebung öffentlicher Abgaben und über das Vorhandensein einer Land- und Seemacht, deren Verwaltung und Führung sie der Exekutive anvertrauen muß, weil es sich dabei mehr um ein Tun, als um ein Überlegen handelt, nicht für unbestimmte Zeit, sondern nur für ein Jahr beschließen, weil sie sonst Gefahr läuft, ihre Freiheit gegenüber der Exekutive zu verlieren, da die Exekutive durch diese ständige Gewalt von der Legislative unabhängig werden würde. Überhaupt muß jeder Gefährdung der Freiheit des Volkes durch das Vorhandensein einer Streitmacht im Weg einer entsprechenden Organisation derselben vorgebeugt werden. Entweder sind die Wehrpflichtigen nur auf ein Jahr einzustellen, und nur aus den Vermögenden, durch ihren Besitz für gute Aufführung haftenden Staatsangehörigen zu nehmen, oder das Heer kann zwar aus ständigen Elementen bestehen, dann müssen die Soldaten aber, weil sie sich in diesem Fall aus dem schlechtesten Teil des Volkes rekrutieren, in Bürgerquartieren wohnen, Kasernierung also verboten und die Legislative jedenfalls berechtigt sein, die bewaffnete Macht jederzeit zu entlassen.

Wir haben diese Einzelheiten erwähnt, weil sie besonders deutlich ersehen lassen, daß MONTESQUIEU der Vater unseres heutigen konstitutionellen Staatsrechtes ist. Zum Schluß muß noch davon gesprochen werden, wie MONTESQUIEU den so organisierten Staat seiner Staatsform nach auffaßt.

Wir hoeben im Eingang des Paragraphen hervor, daß MONTESQUIEU von einer ausdrücklichen juristischen Konstruktion seines Idealstaates absieht. Er erklärt sich dies aus dem rein politischen Charakter seines Werkes. Immerhin läßt sich aus seinen Ausführungen entnehmen, wie er sich diese Konstruktion denkt, und dies ist wichtig, weil darin eine erhebliche Abweichung von der Konstruktion LOCKEs liegt.

Zunächst handelt es sich darum, festzustellen, welches rechtliche Verhältnis MONTESQUIEU zwischen dem adeligen Teil der Legislative und dem Volk annimmt. Obwohl er das Mitwirkungsrecht des Adels an der Gesetzgebung als die Befugnis bezeichnet, die Unternehmungen des Volkes zu hindern, so kann doch kein Zweifel darüber obwalten, daß er diesen adeligen Teil der Legislative als ein Organ denkt, welches seine Gewalt vom Volk hat. Es geht dies aus zwei Sätzen hervor. Einmal sagt MONTESQUIEU: Da in einem freien Staat jeder Mensch sich selbst regieren soll, so müßte ansich das Volk in seiner Gesamtheit die gesetzgebende Gewalt besitzen, und dann nennt er den der Körperschaft der Adeligen zukommenden Anteil an der Gesetzgebung nicht weniger, als den der Volksvertretung, eine anvertraute Gewalt. Hieraus dürfte hervorgehen, daß MONTESQUIEU in beiden Organen nur Ausüber fremder, eben der Volksgewalt sieht. Auch darüber kann kein Zweifel bestehen, daß er diese beiden Teile der Legislative als einander koordiniert ansieht; schreibt er ihnen doch faculté mutuelle d'empêcher [Fähigkeit zur gegenseitigen Behinderung - wp] zu. Anders dagegen steht es mit dem Verhältnis der Exekutive zur gesetzgebenden Gewalt. Trotz des Anteils, welchen er der Vollzugsgewalt an der Gesetzgebung einräumt, geht er doch davon aus, daß dieselbe vom Träger der Legislative abhängig ist, wenn sie auch ihre Macht unmittelbar vom Volk hat. Dies zeigt der Umstand, daß MONTESQUIEU die ausführende Gwalt trotz ihrer Befugnis, durch Veto an der Gesetzgebung teilzunehmen, und zwar gerade, weil sie in der Legislative nur die faculté d'empêcher, nicht die faculté de statuer [Vermögen zu statuieren - wp] hat, nicht für einen Teil der gesetzgebenden Gewalt erklärt. MONTESQUIEU kennt nur zwei Teile der puissance législative [gesetzgebende Mächte - wp] Adel und Volksvertretung. Darin liegt aber ein wesentlicher Gegensatz zu LOCKE. Nach diesem hat der König nicht nur Teil an der Legislative, sondern ist Teil derselben.

Darin, daß MONTESQUIEU zwischen "an der Legislative Teil haben" und "Teil der Legislative sein" unterscheidet, liegt eine unbewußte Anerkennung des Gegensatzes von Legislative in einem objektiven und subjektiven Sinn. An der gesetzgebenden Gewalt im objektiven Sinn hat der Monarch in der repräsentativen Monarchie Anteil, aber Teil des gesetzgebenden Körpers ist er nicht.

§ 8.Rousseau. Wir gelangen zu ROUSSEAU. Wie oben bemerkt, hat derselbe die Lehre LOCKEs umgewandelt. Dies lag nahe, da MONTESQUIEU die Mitwirkung von König und Adel an der Gesetzgebung ja nur politisch, nicht naturrechtlich, d. h. philosophisch erklärt hatte. Solange letzteres nicht geschah, was es sehr wahrscheinlich, daß eine von denselben Grundanschauungen wie LOCKE ausgehende, aber außerhalb Englands in einem rein demokratischen Staatswesen entstehende Staatskonstruktion die Mitwirkung von König und Adel an der Gesetzgebung überhaupt wegließ und zum Prinzip unvermischter demokratischer Legislative zurückkehrte. Dies mußte zumal dann geschehen, wenn diese Konstruktion mit denkbarster Einseitigkeit die rein naturrechtliche Methode verwandte. Die angeführten Voraussetzungen lagen bei ROUSSEAU alle vor und so finden wir bei ihm bedeutsame Gegensätze zu LOCKE, damit aber auch zu MONTESQUIEU. Der wichtigste ist dieser:

Nach LOCKE ist eine Teilnahme der Exekutive an der Gesetzgebung eine historische Wahrheit nach MONTESQUIEU eine höchst zweckmäßige Sache; nach ROUSSEAU dagegen logisch unmöglich. Denn - und dies ist der andere bedeutsame Gegensatz zu ROUSSEAUs im Verhältnis zu seinen Vorgängern - Legislative und Exekutive müssen immer organisatorisch getrennt sein. Die organisatorische Trennung von Legislative und Exekutive ist nicht bloß zweckmäßig, wie LOCKE und MONTESQUIEU meinen, sondern das allein logisch Mögliche. Gesetz ist eine allgemeine, abstrakte Angelegenheit, Exekutive ist die Anwendung des Allgemeinen auf den konkreten Fall, eine individuell bestimmte Angelegenheit (acté particulier). Allgemeines vermag nur der Allgemeinwille zu regeln. Die Legislative kann somit nur der Gesamtheit der Staatsbürger, dem Volk, nicht einem Einzelnen oder einem Volksteil zustehen. Andererseits folgt daraus aber wieder, daß die Volksgesamtheit nicht zugleich die Exekutive ausüben kann, denn eine individuell bestimmte Sache ist keine Angelegenheit aller; somit muß ein besonderes Exekutivorgang, die puissance exécutive [Exekutivmacht - wp], das gouvernement [Regierung - wp], der prince [Fürst - wp] vorhanden sein.

Wir wollen hier nicht alle Durchbrechungen seines Prinzips besprechen, deren sich ROUSSEAU schuldig gemacht hat: die Hinzurechnung der Aufsicht über die Exekutive zur Gesetzgebung, obwohl diese Aufsicht offensichtlich eine individuelle Angelegenheit betrifft, und die Zulassung einer Diktatur mit der Befugnis, in die Gesetzgebungssphäre des Volkes einzugreifen. Nur auf eine sei näher eingegangen, weil sie uns auf ein anderes wichtiges Prinzip ROUSSEAUs führt. Sie liegt darin, daß das Volk nicht bloß die Gouvernementsform bestimmt, sondern auch den gouverneur, den Chef der Exekutive ernennt. Hierin liegt offenbar ein Regierungsakt. Ansicht dürfte das Haupt der Vollzugsgewalt nicht vom Volk ernannt werden, allein in diesem Punkt stößt ein Prinzip auf das andere, das Prinzip der ausschließlichen Zuständigkeit des Volkes für die Gesetzgebung auf das Prinzip der Unteilbarkeit der Souveränität, wobei sich letzteres als das stärkere erweist.

Aus der Konsequenz des ersten Prinzips würde folgen: da das Exekutivorgang vom Volk nicht ernannt werden kann, ist es auch nicht von ihm abhängig, also ihm gleichgeordnet. Damit wäre aber eine Teilung der Souveränität gegeben. Eine solche darf aber nicht geschehen, denn die Souveränität kann nur eine einfache und einzige sein; man kann sie nicht teilen, ohne sie zu vernichten. Man würde daher fehlgehen, wenn man annehmen würde, daß ROUSSEAU die Unteilbarkeit der Souveränität aus demselben Grund ableitet, aus dem es BODIN und die moderne Staatslehre tut, aus dem Begriff des Höchsten. Keineswegs. Er tut es vielmehr aus dem Begriff des Allgemeinwillens (volontè générale). Allgemeinwille kann im Staat nach dem Begriff "allgemein" nur einer da sein. Er heißt souverän. Also ist der Allgemeinwille und damit die Souveränität unteilbar. Zustehen kann der Allgemeinwille aber nur der Gesamtheit des Volkes. Nur der Wille Aller kann allgemeiner Wille sein; also muß der Fürst vom Volk ernannt und damit ihm untertan sein, und demgemäß nicht eigene, sondern nur des Volkes Gewalten ausüben. Der Fürst ist agent, magistrat des Volkes, er hat nur eine commission. Die Trennung der Gewalten ROUSSEAUs ist somit keinesfalls mit gegenseitiger Unabhängigkeit verbunden, die Exekutive vielmehr dem Inhaber der Legislative unterworfen.

Aus dem zuletzt berührten Gedankengang, daß die Souveränität der Allgemeinwille ist, ergibt sich noch eine andere, im positiven Recht und in der Staatslehre zum Teil noch heute anerkannte Konsequenz. Ist die Souveränität nichts anderes als die Ausübung des Allgemeinwillens und der Allgemeinwille eben der Wille des Volkes, so muß die Souveränität unveräußerlich und unbeschränkbar sein. Sie kann nur dem Volk und ihm nur unbeschränkt zustehen. Trotzdem folgt hieraus, daß sich das Volk durch Organe, welche nicht an seine Aufträge und Instruktionen gebunden sind, nicht vertreten lassen kann, eine Konsequenz, welche auch ROUSSEAU zieht, wird die Theorie der Unveräußerlichkeit der Volkssouveränität, wenn auch mit anderer Begründung, für repräsentative demokratische Staaten heute noch und sogar dann noch vertreten, wenn der Grundsatz der Unveräußerlichkeit selbst im positiven Recht des betreffenden Staates nicht mehr ausdrücklich ausgesprochen ist, ein Zeichen des mächtigen äußeren Erfolges der Lehre ROUSSEAUs.

§ 9.Wolff und Blackstone. Bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts herein würde ROUSSEAU nicht bloß als der Schöpfer dieses Dogmas von der Unveräußerlichkeit der Volkssouveränität, sondern auch als der Urheber des Schlagwortes von der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte angesehen. Dies war jedenfalls nicht zutreffend, ROUSSEAU ist in dieser Frage sachlich über den Standpunkt LOCKEs nicht hinausgekommen. Andererseits geht es aber auch nicht an, wie es die jüngere Staatslehre seit GIERKE bis in die jüngste Zeit ohne Ausnahme tat, die unveräußerlichen Freiheitsrechte im heutigen Sinn schon lange vor ROUSSEAU, bei ALTHUSIUS und GROTIUS oder SPINOZA zu suchen. Gewiß begegnet uns vor ROUSSEAU in Anlehnung an den römisch-rechtlichen Satz libertas extra commercium [die Freiheit ist nicht geschäftsverkehrsfähig - wp], schon oft der Gedanke: der Mensch kann seine Freiheit auf niemanden übertragen, ebenso wie dieser Satz vor ROUSSEAU auch schon in Bezug auf die Volkssouveränität vorkommt; allein bei allen Schriftstellern, wo er begegnet, erscheint er nur gelegentlich und jedenfalls ohne durchschlagende Wirkung. Zuerst finden wir den Gedanken, daß die Freiheit unübertragbar ist, der Sache, wenn auch noch nicht dem Ausdruck nach, bei LOCKE in den Mittelpunkt der Konstruktion gestellt. Wir kennen diese Ausführung schon: Niemand hat willkürliche Gewalt über sein Leben, also kann er eine solche arbitrary power [willkürliche Macht - wp] auch nicht an Andere übertragen. Hiernach gibt es also etwas Unübertragbares, aber als unübertragbar erscheint noch nicht die Freiheit, die nach LOCKE Unabhängigkeit von jeder anderen oder zumindest von jeder willkürlichen Gewalt ist, sondern nur die Verfügung über das Leben, die power over his own life [Macht über das eigene Leben - wp], das Recht der Selbsterhaltung.

Die Freiheit selbst ist nach LOCKE wohl ein subjektives Recht, aber noch kein unübertragbares. Wie wir von früher her wissen, unterscheidet LOCKE natürliche und staatliche Freiheit. Die natürliche Freiheit ist aber nach den ausdrücklichen Worten LOCKEs aufhebbar und den Umfang der staatlichen umschreibt innerhalb der Grenzen des Staatszweckes das staatliche Gesetz. Erhält der Mensch bei Eintritt in den Staat für die Aufgabe der natürlichen Freiheit auch die staatliche Freiheit, so ist dies doch nicht mehr die alte Freiheit. Der Stand der Natur und der Stand im Staat sind verschiedene Rechtsverhältnisse. Der Übergang in die staatliche Freiheit ist also nicht bloß eine Veränderung, sondern eine Ersetzung der natürlichen Freiheit. Unverändert bleicht nur das Recht des Individuums auf Erhaltung; durch dieses ist die staatliche Gewalt begrenzt (limited).

Auch bei MONTESQUIEU haben wir noch keine unveräußerliche Freiheit. MONTESQUIEU kennt Freiheit überhaupt nur im Staat. Freiheit ist nur, wo Gesetze herrschen und Gesetze gibt es lediglich im Staat. Wo keine Gesetze herrschen, gibt es nicht Freiheit, sondern "Unabhängigkeit". Freiheit ist Freiheit von Verwaltungswillkür, nicht von Gesetz. Nur wenn man Freiheit nicht politisch, d. h. verfassungsrechtlich, sondern philosophisch versteht, kann davon gesprochen werden, daß es auch da, wo keine Gesetze sind, Freiheit gibt. Insofern ist Freiheit überall, wo man tun kann was man will. Im rechtlichen Sinne ist Freiheit bloß da, wo eine Sicherheit des Individuums gegeben ist, und diese ist nur da gegeben, wo Gesetze herrschen. Der Fortschritt MONTESQUIEUs ist, daß er die Freiheit im Staat, die politische Freiheit (liberté politique), in eine "politische Freiheit" im engeren Sinn und eine "Freiheit des Bürgers" zerlegt. Das eine ist, wie sich MONTESQUIEU ausdrückt, die Freiheit des Individuums in seinem Verhälts zur Verfassung, also das, was wir heute staatsbürgerliche Freiheit nennen, das andere die Freiheit desselben in seinem Verhältnis zu den anderen einzelnen Bürgern, das, was wir heute bürgerliche Freiheit, bürgerliche Recht nennen.

ROUSSEAU bewegt sich wieder mehr im Gedankengang LOCKEs. Statt ihn aber zu verbessern, verschlechtert er ihn. Wie LOCKE, erklärt er für das erste Gesetz des Menschen, de veiller á sa propre conservation [die eigene Selbsterhaltung zu gewährleisten - wp]. Zu seiner Erhaltung begibt sich der Mensch in die staatliche Gemeinschaft. Statt aber, wie LOCKE, aus dieser Selbsterhaltungspflicht nur ein unübertragbares Recht der Selbsterhaltung abzuleiten, nennt er das dieser Selbsterhaltungspflich entsprechende Recht natürliche Freiheit und erklärt diese Freiheit für unverzichtbar und zwar der wörtlichen Fassung nach für völlig unverzichtbar, in Wahrheit aber, sachlich dem Grundgedanken LOCKEs folgend, doch nur für teilweise unverzichtbar. Dem müßte entsprechen, daß ROUSSEAU diese Freiheit auch bloß als teilweise aufgebbar erklärt. Stattdessen nennt er sie, wie LOCKE, bei dem jedoch die natürliche Freiheit nicht das Selbsterhaltungsrecht mit umfängt, völlig aufgebbar. Der Contrat social, sagt er, hat eine einzige Klausel, die der aliénation totale de chaque associé avec tous les droits á toute la communaté [Veräußerung aller Rechte an die staatliche Gemeinschaft - wp]; die Veräußerung geschieht "sans réserve" [ohne Vorbehalt - wp]; der Mensch verzichtet bei seinem Eintritt in den Staat auf die liberté naturelle, um eine liberté conventionelle, eben die staatliche Freiheit zu gewinnen.

Diese zweite Konstruktion bringt zwar der tatsächlichen Wirkung nach kein anderes Resultat als die erste mit sich, indem ROUSSEAU davon ausgeht, daß das Maß der konventionellen Freiheit, wenn dieselbe auch einen anderen Inhalt hat, dasselbe wie das der natürlichen Freiheit ist, aber sie ist von dem Nachteil begleitet, daß politisches Ergebnis und juristische Konstruktion auseinanderfallen. Politisch, d. h. der tatsächlichen Wirkung nach erscheint die Freiheit als unveräußerlich, weil das Maß der Freiheit dasselbe wie vorher bleibt, rechtlich dagegen ist die Freiheit im Staat nicht gleichbedeutend mit, sondern ein Ersatz der natürlichen Freiheit.

So hat sich ROUSSEAU von der Vorstellung der Unveräußerlichkeit der natürlichen Freiheit völlig entfernt. Aber auch ROUSSEAUs Freiheit im Staat darf nicht als ein Teil einer gegen Eingriffe des Staates gesicherten Willenssphäre des Individuums gedacht werden. Wohl betont auch ROUSSEAU ausdrücklich, daß der einzige Zweck des Gesellschaftsvertrags die Erhaltung derer ist, die ihn abschließen. Allein wieviel Herrschaft zu dieser Erhaltung erforderlich ist, bestimmt der Staat, der Allgemeinwille, das Gesetz allein. Die Freiheit des Untertanen besteht nur darin, daß der Einzelne am Zustandekommen des Gesetzes mitwirkt. Sie besteht also nicht in einem gegen den staatlichen Eingriff gesicherten Kreis von Befugnissen der Untertanen, sondern in politischen Rechten. Teilnahme an der Staatsherrschaft ist das Wesen der konventionellen, der staatlichen Freiheit. Staatliche Freiheit im Sinne ROUSSEAUs ist nur eine politische, nicht auch bürgerliche Freiheit.

So sehen wir, daß der von Haus aus naheliegende Gedanke, die Ausführungen LOCKEs dahin zu verbessern, daß man sagte, mit dem Eintritt in das Staatsleben wird die natürliche Freiheit nicht beseitigt und ersetzt, sondern nur verändert, beschränkt, bei seinen eigentlichen Nachfolgern, MONTESQUIEU und ROUSSEAU, konstruktiv nicht zum Durchbruch gelangt. Wir finden bei ROUSSEAU wohl die Bemerkung, daß die liberté naturelle ein droit illimité [unbegrenztes Recht - wp], die liberté civile dagegen limitée par la volonté générale [durch den Allgemeinwillen begrenzt - wp] ist, allein beide Freiheiten erscheinen eben nicht als dieselbe Freiheit, die zweite Freiheit ist konstruktiv nicht die beschränkte natürliche, sondern eine besondere Art von Freiheit.

Wenn wir nach dem Grund fragen, warum die unmittelbaren Nachfolger LOCKEs nicht zu dem Satz fortgeschritten sind: "Die natürliche Freiheit ist unveräußerlich, aber beschränkbar", so liegt derselbe in einer prinzipiell demokratischen Staatsauffassung. Seit ARISTOTELES bis auf den heutigen Tag ist es eine Eigentümlichkeit der demokratischen Staatsauffassung, daß sie gerne wähnt, nur im demokratischen Staat herrscht eine Freiheit des Individuums in seinen Privatangelegenheiten, d. h. bürgerliche Freiheit. Es kommt dies daher, daß man daraus, daß jeder politisch frei, d. h. zur Teilnahme an den Staatsgeschäften rechtlich befähigt ist, schließt, er habe auch bürgerliche Freiheit, weil für ihn nur die Gesetze gelten, die er mitgemacht hat. Daß hierin eine Fiktion liegt, daß das Individuum auch im demokratischen Staat Gesetzen zu unterliegen vermag, welchen es nicht zustimmt, wird übersehen. Im demokratischen Staat herrscht wohl politische Freiheit und in Bezug auf Privatangelegenheiten eine größere Gleichbehandlung als im nichtdemokratischen Staat, also bürgerliche Gleichheit, aber keineswegs muß daselbst bürgerliche Freiheit, d. h. ein besonderes Maß von freier Bewegung in den eigenen Angelegenheiten gegenüber dem Staat herrschen. Das Maß der bürgerlichen Freiheit braucht kein größeres als in einem Staat mit anderer Staatsform zu sein. Die demokratische Staatsgewalt kann ebenso absolut und rücksichtslos gegen das Individuum verfahren, wie die monarchische. Parteiherrschaft vermag ebensogut, wie Einherrschaft, in Willkürgewalt ausarten. Unbedingt ist die individuelle Freiheit gegen Mißbrauch der Staatsgewalt auch nicht im demokratischen Staatswesen geschützt. So waltete dann auch in den demokratischen Staaten des Kontinents damaliger Zeit, in den kleinen Republiken, wie Genf, der Vaterstadt ROUSSEAUs, im 18. Jahrhundert derselbe Geist des Polizeistaates, wie in den großen monarchisch regierten Gemeinwesen des Festlandes. Dem Genfer Bürger war die völlige Unterordnung unter eine subjektive Rechte der Untertanen nicht gebundene Staatsgewalt damals ebenso selbstverständlich wie dem Angehörigen des französischen Staates. Nur in einem Land, in welchem das geltende Recht noch Befugnisse der Untertanen kannte, welche gegenüber der Staatsgewalt und zwar auch gegen die Staatsgesetzgebung gerichtlich geschützt waren, vermochte der Gedanke einer gegenüber der Obrigkeit unverrückbar abgegrenzten Freiheitssphäre der Untertanen und damit die Vorstellung einer unveräußerlichen Freiheit zu entstehen.

Trotz aller Naturrechtslehre, die dem Fürsten zwar nur zur Erfüllung des Gemeinzwecks Recht gab, so weit aber alle Rechte, deren er zu diesem Zweck zu bedürfen glaubte, erhielt sich im deutschen Recht des 17. und 18. Jahrhunderts infolge der Eigenschaft des Reiches als eines zusammengesetzten Staatswesens der Satz, daß die landesfürstlich Gewalt an den wohlerworbenen Rechten der Untertanen eine grundsätzlich unübersteigbare Schranke hat. Die Reichgsgerichte schützten die Untertanen in diesen ihren Rechten. Und so ist es Deutschland, wo zuerst der Begriff der unveräußerlichen Freiheit konstruktiv nach jeder Richtung folgerichtig durchgeführt wurde. Kann das behauptet werden, so mußte es die deutsche Wissenschaft sein, welche die Inkonsequenz der bisherigen Theorie aufgab, die darin bestand, daß man die natürliche Freiheit einerseits für rechtlich unentziehbar, andererseits aber doch als gegen die staatliche Freiheit rechtlich eintauschbar erklärte.

Es ist CHRISTIAN von WOLFF, welcher diesen Fehler der bisherigen Konstruktionen beseitigte. Er erklärte die natürliche Freiheit für schlechthin unentziehbar, indem er sie als jus connatum [angeborenes Recht - wp] bezeichnet, dieses aber dahin charakterisiert, daß es ein Recht ist, welches homini ita inhaeret, ut ipsi auferri no possit [dem Menschen innewohnend, ohne daß es entfernt werden kann - wp]. WOLFF gelangte zu dieser konsequenten Annahme einer rechtlich unveräußerlichen natürlichen Freiheit dadurch, daß er es verstand, die rechtliche und die politische, d. h. tatsächliche Seite dieser Freiheit auseinanderzuhalten. WOLFF verkennt nicht, daß der Grad der natürlichen Freiheit im Staat ein anderer ist, als im Naturstand, also die Freiheit im Staat sich tatsächlich von der Freiheit im Naturzustand unterscheidet, aber er läßt sich hierdurch nicht, wie seine Vorgänge - SPINOZA, LOCKE und ROUSSEAU -, verleiten, die zuerst als rechtlich unveräußerlich erklärte Freiheit nun für teilweise veräußerlich zu erklären. Dieser Tatsache der politischen Veränderung der natürlichen Freiheit wird er vielmehr dadurch gerecht, daß er sagt: die natürliche Freiheit ist rechtlich vom Menschen nicht zu trennen, unentziehbar, ganz und teilweise, aber sie ist rechtlich beschränkbar. Die natürliche Freiheit ist dem Menschen im Staat nicht entzogen, auch nicht teilweise, sondern sie ist nur beschränkt. Die Staatsgewalt kann die Untertanen zu allen Handlungen veranlassen, welche zur Erreichung des gemeinen Wohls, d. h. des Staatszwecks erforderlich sind. Soweit wird folglich die natürliche Freiheit beschränkt. Sie ist beschränk-, aber nicht entziehbar. WOLFF wendet somit auf die Freiheit der Untertanen an, was die Staatslehre vor ihm auf die Freiheit d. h. Souveränität des Staates angewandt hat.

In diesem Sinn als staatlich beschränk-, aber staatlich nicht entziehbare Freiheit geht der Begriff der unveräußerlichen Freiheit dann von WOLFF in BLACKSTONEs "Commentaries on the law of England" über. Bei der Bedeutung, welche die WOLFFsche Rechtsphilosophie im In- und Ausland errang, leicht erklärlich. Veranlaßt durch den Umstand, daß die alten englischen Freiheitsbriefe die der Staatsgewalt zugunsten der Freiheit der Untertanen auferlegten Schranken als "jura et libertates", die petition of rights als "rights and liberties" der Untertanen oder des Volkes bezeichneten, ist es dann BLACKSTONE, welcher das eine Recht der natürlichen Freiheit in Grund- oder Hauptteile (principal or primary articles) zerlegt, the right of personal security, the right of personal liberty und the right of private property [das Recht der persönlichen Sicherheit, der persönlichen Freiheit und des Privateigentums - wp]. Er systematisiert auf der Grundlage des englischen Rechts die einzelnen Äußerungen der natural liberty of manking [die natürliche Freiheit der Menschheit - wp] und ist somit der Erste, welcher einen Katalog der Freiheitsrechte der Menschen aufstellt.

Mit BLACKSTONE haben wir den dritten großen Theoretiker des 18. Jahrhunderts genannt, welcher an der Fortbildung von LOCKEs Lehre tätig war. Wodurch er sich von den beiden anderen Nachfolgern LOCKEs unterscheidet, ist der Umstand, daß seine Ausführungen die englischen Verhältnisse im Auge haben. Wohl beziehen sich MONTESQUIEUs Ausführungen über die Teilung der Gewalten auch auf das englische Verfassungsrecht. Allein immerhin bilden die englischen Verfassungsverhältnisse für MONTESQUIEU nur den Ausgangspunkt für allgemeine Erwägungen über die Frage der Teilung der Gewalten. BLACKSTONEs Ausführungen beschränken sich nach ihrem Zweck auf eine naturrechtlich-politische Begründung ausschließlich und allein des englischen Rechts. Hieraus folgt, daß BLACKSTONE in seinen Darlegungen über die in Betracht kommende Hauptlehre - das ist eben die Lehre von der Teilung der Gewalten - von allen seinen Nachfolgern LOCKE am nächsten steht. Denn auch LOCKEs Staatslehre ist ja trotz ihrer allgemeinen Haltung völlig auf der Empirie des englischen Rechts aufgebaut.

Daß BLACKSTON LOCKE am nächsten steht, zeigt Folgendes: Nach ROUSSEAU ist das oberste Vollzugsorgan dem gesetzgebenden Organ untergeordnet. Und dasselbe ist nach MONTESQUIEU der Fall, obwohl dieser ja nicht bloß eine Sonderung, sondern, wie LOCKE, auch eine Verbindung der Gewalten, d. h. eine Teilnahme der Exekutive an der Gesetzgebung voraussetzt. BLACKSTONE ist bestrebt, sowohl die Unabhängigkeit der Volksvertretung vom König wie aber auch die des Königs von der Volksvertretung hervorzuheben. Wohl sagt er, daß the legislative power [die legislative Macht - wp] die supreme and absolute authority of the state [die oberste und absolute Autorität im Staate - wp] ist, aber der König hat trotzdem eine constitutional independence [verfassungsmäßige Unabhängigkeit - wp]; denn er ist a part of the legislative [ein Teil der Legislative - wp] und seine Rechtsstellung beruth nicht auf einem einseitigen Auftrag, sondern auf einem contract between the prince and the subject [Vertrag zwischen Fürst und Untertan - wp].

Was BLACKSTONE noch stärker als LOCKE hervortreten läßt, ist das Moment der Verbindung der Gewalten neben dem der Trennung. Zunächst sagt BLACKSTONE, daß in England die höchste Gewalt "divided in two branches: the one legislative, to wit, the Parliament, consisting of king, lords and commons, the other executive, consisting of king alone [aufgeteilt in zwei Zweige: der eine die Legislative, das Parlament, bestehend aus König, Lords und Unterhaus, die andere Exekutive, bestehend aus König allein - wp] um damit darzulegen, daß in England Legislative und Exekutive sich "in distinct hands" [in verschiedenen Händen - wp] befinden. Andererseits wird von ihm aber hervorgehoben, daß die Gesamtheit der Zweige vor separation [Teilung - wp] bewahrt und künstlich zusammengehalten wird by the mixed nature of the Crown, which is a part of the legislative, and the sole executive magistrate [durch die gemischte Natur der Krone, die Teil der Legislative ist, und der alleinige Exekutivrichter - wp]. Das Ganze bringt er dann unter den Begriff des Gleichgewichts der Verfassung als eines Mitteldings zwischen totaler Vereinigung und totaler Trennung der Gewalten:
    "Um das Gleichgewicht der Verfassung zu wahren, ist es äußerst notwendig, daß die Exekutivgewalt nur ein Zweig, und auch nicht der einzige, der Legislative ist. Die totale Vereinigung von beidem würde zur Tyrannei führen; die totale Trennung von beiden hätte die gleichen Auswirkungen. Der Gesetzgeber würde bald tyrannisch werden."
LOCKE hatte schon in der bloßen Trennung der Gewalten einen Gleichgewichtszustand zwischen denselben erblickt.

Vergleichen wir abschließend die Entwicklung von LOCKEs Lehre im 18. Jahrhundert, so kann das sachliche Ergebnis dieser Fortbildung dahin zusammengefaßt werden, daß in der Lehre vom Wesen der individuellen Freiheit und von der Volkssouveränität zwischen den drei Nachfolgern LOCKEs in der Hauptsache ein Einverständnis untereinander und mit dem Meister besteht, in Bezug auf die Frage der Trennung der Gewalten dagegen sich ROUSSEAU von LOCKE, MONTESQUIEU und BLACKSTONE grundsätzlich unterscheidet. Der Unterschied besteht darin, daß ROUSSEAU für das Prinzip der Trennung eine völlige Sonderung der Organisation von Legislative und Exekutive fordert, während den anderen zum Begriff der Trennung ausreicht, wenn neben dem Organ der Exekutive noch ein anderes Organ an der Legislative beteiligt ist, also eine teilweise organisatorische Vereinigung von Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt vorliegt; ja, sie erachten so eine teilweise Mischung der Gewalten sogar für politisch höchst erstrebenswert. Für unsere fernere Darstellung ist es aber zweckmäßig, den eben berührten Gegensatz durch die Unterscheidung einer Theorie der absoluten und einer Theorie der relativen Trennung der Gewalten zu kennzeichnen.
LITERATUR - Handbuch des öffentlichen Rechts, hg. von Max von Seydel, zweite Abteilung: Allgemeine Staatslehre