cr-4 H. HöffdingW. WindelbandFichteCh. Sigwart    
 
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
(1762 - 1814)
Die Bestimmung
des Menschen


"Es ist die Naturbestimmung der Pflanze, sich regelmäßig auszubilden, die des Tiers, sich zweckmäßig zu bewegen, die des Menschen, zu denken. Erklären kann ich freilich nicht, wie die Naturkraft den Gedanken hervorbringt; aber kann ich denn besser erklären, wie sie die Bildung einer Pflanze, die Bewegung eines Tieres hervorbringt? Aus der bloßen Zusammensetzung der Materie das Denken abzuleiten, - auf dieses verkehrte Unternehmen werde ich freilich nicht verfallen; könnte ich denn daraus auch nur die Bildung des einfachsten Mooses erklären?"

"Ich bin eine besondere Bestimmung der bildenden Kraft, wie die Pflanze; eine besondere Bestimmung der eigentümlichen Bewegungskraft, wie das Tier und überdies noch eine Bestimmung der Denkkraft: und die Vereinigung dieser drei Grundkräfte zu  einer  Kraft, zu  einer  harmonischen Entwicklung, macht das unterscheidende Kennzeichen meiner Gattung aus."

"Freiheit ist nur in Intelligenzen denkbar, in ihnen aber ist sie es ohne Zweifel. Das System der Freiheit befriedigt, das entgegengesetzte tötet und vernichtet mein Herz. Kalt und tot dastehen und dem Wechsel der Begebenheiten nur zusehen, ein träger Spiegel der vorüberfliehenden Gestalten - dieses Dasein ist mir unerträglich, ich verschmähe und verwünsche es."


Vorrede

Was außerhalb der Schule brauchbar ist von der neueren Philosophie, sollte den Inhalt dieser Schrift ausmachen; vorgetragen in derjenigen Ordnung, in der es sich dem kunstlosen Nachdenken entwickeln müßte. Die tieferen Zurüstungen, welche gegen Einwürfe und Ausschweifungen des verkünstelten Verstandes gemacht werden, das was nur Grundlage für andere positive Wissenschaften ist, schließlich, was bloß für die Pädagogik im weitesten Sinne, d. h. für die bedachte und willkürliche Erziehung des Menschengeschlechts gehört, sollte aus dem Umfang derselben ausgeschlossen bleiben. Jene Einwürfe macht der natürliche Verstand nicht; die positive Wissenschaft aber überläßt er seinen Gelehrten, und die Erziehung des Menschengeschlechts, insofern sie vom Menschen abhängt, seinen Volkslehrern und Staatsbeamten.

Das Buch ist also nicht für Philosophen von Professon bestimmt, und diese werden in demselben nichts finden, was nicht schon in anderen Schriften desselben Verfassers vorgetragen wäre. Es sollte verständlich sein für alle Leser, die überhaupt ein Buch zu verstehen vermögen. Von denjenigen, die nur schon früher auswendig gelernte Redensarten in einer etwas veränderten Ordnung wiederholen wollen, und dieses Geschäft des Gedächtnisses für das Verstehen halten, wird es ohne Zweifel unverständlich befunden werden.

Es sollte anziehen und erwärmen und den Leser kräftig von der Sinnlichkeit zum Übersinnlichen fortreißen, zumindest ist der Verfasser sich bewußt, nicht ohne Begeisterung an die Arbeit gegangen zu sein. Oft verschwindet während der Mühe der Ausführung das Feuer, mit welchem man den Zweck ergriff; ebenso ist man im Gegenteil unmittelbar nach der Arbeit in Gefahr, über diesen Punkt sich selbst Unrecht zu tun. Kurz: ob diese Absicht gelungen sei, oder nicht, kann nur aus der Wirkung entschieden werden, welche die Schrift auf die Leser machen wird, denen sie bestimmt ist, und der Autor hat hierüber keine Stimme.

Noch habe ich - für wenige zwar zu erinnern, daß Ich, welcher im Buch redet, keineswegs der Verfasser ist, sondern daß dieser wünscht, sein Leser möge es werden; - dieser möge nicht nur historisch fassen, was hier gesagt wird, sondern wirklich und in der Tat während des Lesens mit sich selbst reden, hin und her überlegen, Resultate ziehen, Entschließungen fassen, wie sein Repräsentant im Buch und durch eigene Arbeit und Nachdenken, rein aus sich selbst, diejenige Denkart entwickeln, und sie in sich aufbauen, deren bloßes Bild ihm im Buch vorgelegt wird.

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Erstes Buch
Z w e i f e l

Sowohl glaube ich nunmehr einen guten Teil der Welt, die mich umgibt, zu kennen; und ich habe in der Tat Mühe und Sorgfalt genug darauf verwendet. Nur der übereinstimmenden Aussage meiner Sinne, nur der beständigen Erfahrung, habe ich Glauben zugestellt; ich habe betastet, was ich erblickt, ich habe zerlegt, was ich betastet hatte; ich habe meine Beobachtungen wiederholt und mehrmals wiederholt; ich habe die verschiedenen Erscheinungen untereinander verglichen; und nur, nachdem ich ihren genauen Zusammenhang einsah, nachdem ich eine aus der andern erklären und ableiten und den Erfolg im Voraus berechnen konnte, und die Wahrnehmung des Erfolgs meiner Berechnung entsprach, habe ich mich beruhigt. Dafür bin ich nun auch der Richtigkeit dieses Teils meiner Erkenntnisse so sicher, wie meines eigenen Daseins, schreite mit festem Tritt in der mir bekannten Sphäre meiner Welt einher, und wage in jedem Augenblick Dasein und Wohlsein auf die Untrüglichkeit meiner Überzeugungen.

Aber, - was bin ich selbst, und was ist meine Bestimmung?

Überflüssige Frage! Es ist schon lange her, daß meine Belehrung über diesen Gegenstand geschlossen ist, und es würde Zeit erfordern, um all das, was ich hierüber ausführlich gehört, gelernt, geglaubt habe, mir zu wiederholen.

Und auf welchem Weg bin ich denn zu diesen Kenntnissen gelangt, welche zu besitzen ich mich dunkel erinnere? Habe ich, getrieben durch eine brennende Wißbegier, mich hindurchgearbeitet durch Ungewißheit, durch Zweifel und Widersprüche? Habe ich, so wie etwas Glaubliches sich mir darbot, meinen Beifall aufgehalten, das Wahrscheinliche geprüft und wieder geprüft und geläutert und verglichen, - bis eine innere Stimme unverkennbar und unwiderstehlich mir zurief: So, nur so ist es; so wahr du lebst und bist? - Nein, ich erinnere mich keines solchen Zustandes. Jene Belehrungen wurden mir entgegen gebracht, ehe ich ihrer begehrte; es wurde mir geantwortet, ehe ich die Fragen aufgeworfen hatte. Ich hörte zu, weil ich es nicht vermeiden konnte; es blieb in meinem Gedächtnis hängen, soviel wie der Zufall fügte; ohne Prüfung und ohne Teilnahme ließ ich alles an seinen Ort gestellt sein.

Wie könnte ich mich also überreden, daß ich in der Tat Erkenntnisse über diesen Gegenstand des Nachdenkens besitze? Wenn ich nur dasjenige weiß, und von ihm überzeugt bin, was ich selbst gefunden, - nur dasjenige wirklich kenne, was ich selbst erfahren habe, so kann ich in der Tat nicht sagen, daß ich über meine Bestimmung das Geringste weiß; ich weiß bloß, was andere darüber zu wissen behaupten; und das einzige, was ich hierin wirklich versichern kann, ist dies, daß ich so oder so über diese Gegenstände sprechen hörte.

Ich habe also bisher, da ich mit genauer Sorgfalt das minderwichtige selbst untersuchte, in Anbetracht des Wichtigsten auf die Treue und die Sorgfalt Fremder mich verlassen. Ich habe anderen eine Teilnahme für die höchsten Angelegenheiten der Menschheit, einen Ernst, eine Genauigkeit zugetraut, die ich in mir selbst keineswegs gefunden hatte. Ich habe sie unbeschreiblich höher geachtet als mich selbst. -

Was sie etwa Wahres wissen, woher können sie es wissen, außer durch eigenes Nachdenken? Und warum sollte ich durch eigenes Nachdenken nicht dieselbe Wahrheit finden, da ich ebensoviel bin als sie? Wie sehr habe ich bisher mich selbst herabgesetzt und verachtet!

Ich will, daß es nicht länger so bleibt! Mit diesem Augenblick will ich in meine Rechte eintreten, und Besitz nehmen von der mir gebührenden Würde. Alles Fremde sei aufgegeben. Ich will  selbst  untersuchen. Sei es, daß geheime Wünsche, wie die Untersuchung, enden mögen, daß eine vorliebende Neigung für gewisse Behauptungen sich in mir regt; ich vergesse und verleugne sie, und ich werden ihr keinen Einfluß auf die Richtung meiner Gedanken verstattten. Ich will  mit Strenge und Sorgfalt  zu Werke gehen, ich will mir alles aufrichtig bekennen. - Was ich als Wahrheit finde, wie auch immer es lautet, so mir willkommen sein. Ich will  wissen Mit derselben Sicherheit, mit welcher ich darauf rechne, daß dieser Boden mich tragen wird, wenn ich darauf trete, daß dieses Feuer mich verbrennen würde, wenn ich mich ihm nähere, will ich darauf rechnen können, was ich selbst bin, und was ich sein werde. Und sollte man etwa dies nicht können, so will ich zumindest das wissen, daß man es nicht kann: Und selbst diesem Ausgang der Untersuchung will ich mich unterwerfen, wenn er sich mir als Wahrheit entdeckt. - Ich eile meine Aufgabe zu lösen.

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Ich ergreife die forteilende Natur in ihrem Flug, und halte sie einen Augenblick an, fassen den gegenwärtigen Moment fest ins Auge, und denke über ihn nach! - über diese Natur, an welcher bisher meine Denkkraft entwickelt und für die Schlüsse, die auf ihrem Gebiet gelten, gebildet wurde. -

Ich bin von Gegenständen umgeben, die ich als für sich bestehende und gegenseitig voneinander geschiedene Ganze anzusehen mich genötigt fühle: Ich erblicke Pflanzen, Bäume, Tiere. Ich schreibe jedem Einzelnen Eigenschaften und Merkmale zu, wovon ich sie voneinander unterscheide; dieser Pflanze eine solche Form, der andern eine andere; diesem Baum solche, dem andern anders geartete Blätter.

Jeder Gegenstand hat  seine bestimmte Anzahl  von Eigenschaften, keine darüber, noch darunter. Auf jede Frage, ob dieses oder jenes sei, ist für den, der ihn durchaus kennt, ein entscheidendes Ja möglich, oder ein entscheidens Nein, das allem Schwanken zwischen Sein und Nichtsein ein Ende macht. Alles was da ist, ist etwas, oder es ist dieses etwas  nicht;  ist gefärbt oder nicht gefärbt; hat eine gewisse Farbe oder hat diese Farbe nicht; ist schmackhaft oder nicht schmackhaft; ist fühlbar oder nicht fühlbar und so in das Unbestimmte fort.

Jeder Gegenstand besitzt jede dieser Eigenschaften  in einem bestimmten Grad.  Gibt es einen Maßstab für eine gewisse Eigenschaft, und vermag ich ihn anzulegen, so findet sich ein bestimmtes Maß derselben, welches sie nicht um das Mindeste überschreitet, noch unter ihm zurückbleibt. - Messe ich die Höhe dieses Baumes; sie ist bestimmt, und er ist um keine Linie höher oder niedriger als er ist. Betrachte ich das Grün seiner Blätter; es ist ein bestimmtes Grün, nicht um das Mindeste dunkler oder heller, frischer oder verblichener, als es ist; obgleich es mir am Maßstab und am Wort für diese Bestimmung fehlt. Werfe ich meinen Blick auf diese Pflanze; sie steht auf einer bestimmten Stufe zwischen ihrem Entkeimen und ihrer Reife; beiden nicht um das Mindeste näher oder entfernter, als sie es ist. - Alles was da ist, ist durchgängig bestimmt; es ist was es ist und schlechthin nichts anderes. 

Nicht  etwa, daß ich überhaupt, nicht zwischen widersprechenden Bestimmungen in der Mitte schwebendes zu denken vermöchte. Ich denke allerdings unbestimmte Gegenstände und mehr als die Hälfte meines Denkens besteht aus dergleichen Gedanken. Ich denke einen Baum überhaupt. Hat dieser Baum überhaupt Früchte oder nicht, Blätter oder nicht und falls er welche hat, welches ist ihre Anzahl? Zu welcher Gattung von Bäumen gehört er? Wie groß ist er? uns so weiter. Alle diese Fragen bleiben unbeantwortet, und mein Denken ist hierüber unbestimmt, so gewiß ich nicht einem besonderen Baum, sondern den Baum überhaupt zuz denken mir vornahm. Nur spreche ich diesem Baum überhaupt - das wirkliche Dasein ab, eben darum, weil er unbestimmt ist. Alles wirkliche hat seine bestimmte Anzahl von allen möglichen Eigenschaften des Wirklichen überhaupt, und hat jede derselben in einem bestimmten Maß, so gewiß es wirklich ist; obgleich ich mich bescheide, vielleicht nicht  eines  Gegenstandes Eigenschaften durchaus erschöpfen und den Maßstab an dieselben anlegen zu können.

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Aber die Natur eilt fort in ihrer steten Verwandlung: und während ich noch über den aufgefaßten Moment rede, ist er entflohen und alles hat sich verändert; und ehe ich ihn auffaßte, war gleichfalls alles anders. Wie es war und wie ich es auffaßte, war es nicht immer gewesen, es war so geworden.

Warum nun und aus welchem Grund war es gerade so geworden, wie es geworden war; warum hatt die Natur unter den unendlich mannigfaltigen Bestimmungen, die sie annehmen kann, in diesem Moment gerade diese angenommen, die sie wirklich angenommen hatte und keine andere?

Deswegen, weil ihnen gerade weil ihnen gerade diejenigen vorhergingen, die ihnen vorhergingen, und keine möglichen andern; und weil die gegenwärtigen gerade ihnen, und keinen möglichen andern folgten. Wäre im vorhergehenden Moment irgendetwas um das Mindeste anders gewesen, als es war, so würde auch im gegenwärtigen irgendetwas anders sein, als es ist. - Und aus welchem Grund war im vorhergehenden Moment alles so wie es war? Deswegen, weil es in dem, der diesem vorherging, so war, wie es in ihm war. Und dieser hing wieder ab, von dem der  ihm  vorherging; dieser letzte abermals von  seinem  vorhergehenden; - und so aufwärts ins Unbestimmte fort. Ebenso wird im nächstfolgenden Moment die Natur bestimmt sein, wie sie es sein wird, deswegen, weil sie im gegenwärtigen so bestimmt ist, wie sie es ist; und es würde notwendig in diesem zunächst folgenden Moment irgendetwas anders sein, als es sein wird, wenn im gegenwärtigen nur das Mindeste anders wäre, als es ist. Und in dem Moment, der diesem folgen wird, wird alles so sein, wie es sein wird, deswegen, weil im nächstfolgenden Moment alles so sein wird, wie es sein wird; und so wird sein nachfolgender wieder  von ihm  abhängen, wie  er  von seinem vorhergehenden abhängen wird; und so abwärts in das Unbestimmte fort.

Die Natur schreitet durch die unendliche Reihe ihrer möglichen Bestimmungen ohne Anhalten hindurch; und der Wechsel dieser Bestimmungen ist nicht gesetzlos, sondern streng gesetzlich. Was da ist in der Natur, ist notwendig so, wie es ist, und es ist schlechthin unmöglich, daß es anders sei. Ich trete ein in eine geschlossene Kette der Erscheinungen, da jedes Glied durch sein vorhergehendes bestimmt wird und sein nachfolgendes bestimmt; in einem festen Zusammenhang, da ich aus jedem gegebenen Moment alle möglichen Zustände des Universums durch bloßes Nachdenken würde finden können, aufwärts, wenn ich den gegebenen Moment  erkläre,  abwärts, wenn ich aus ihm  ableite;  wenn ich aufwärts die Ursachen, durch welche allein er wirklich werden konnte, abwärts die Folgen, die er notwendig haben muß, aufsuche. Ich empfange in jedem Teil das Ganze, weil jeder Teil nur durch das Ganze ist, was er ist; durch dieses aber notwendig jenes ist.

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Was ist es dann also eigentlich, das ich soeben gefunden habe? Wenn ich meine Behauptungen im Ganzen übersehe, so finde ich dies als den Geist derselben: Jedem Werden ein Sein vorauszusetzen, woraus und wodurch es geworden ist, jedem Zustand einen anderen Zustand, jedem Sein ein anderes Sein vorauszudenken, und schlechthin nichts aus dem Nichts entstehen zu lassen.

Verweile ich hierbei länger, entwickle und mache mir vollkommen klar, was darin liegt! - Denn es könnte leicht sein, daß von meiner klaren Einsicht in diesem Punkt meines Nachdenkens, das ganze Glück meiner ferneren Untersuchung abhängt.

Warum und aus welchem Grund sind denn nun die Bestimmungen der Gegenstände in diesem Moment gerade diejenigen, die sie sind, - fing ich an zu fragen. Ich setzte also ohne weiteren Beweis und ohne die mindeste Untersuchung, als ein ansich bekanntes unmittelbar wahres und schlechthin Gewisses voraus, - wie es dann auch ist, und wie ich es noch jetzt finde, und stets finden werde - ich setzte, sage ich, voraus, daß sie einen Grund hätten; - daß sie nicht durch sich selbst, sondern durch etwas außerhalb von ihnen Liegendes, Dasein und Wirklichkeit hätten. Ich fand ihr Dasein für ihr eigenes Dasein nicht hinlänglich und fühlte mich genötigt, um ihrer selbst willen noch ein anderes Dasein, außer ihnen anzunehmen. Warum wohl fand ich das Dasein jener Beschaffenheiten oder Bestimmungen nicht hinlänglich; warum fand ich es als ein unvollständiges Dasein? Was mag es sein in ihnen, das mir einen Mangel verräth? Es ist ohne Zweifel so: zuvörderst sind jene Beschaffenheiten gar nichts an und für sich, sie sind nur etwas  an  einem andern; Beschaffenheiten eines Beschaffenen, Formen eines Geformten; und ein solches die Beschaffenheit annehmende und tragende, - ein  Substrat  derselben, nach dem Ausdruck der Schule, - wird für die Denkbarkeit derselben immer vorausgesetzt. Ferner, daß ein solches Substrat eine bestimmte Beschaffenheit haben soll, drückt einen Zustand der Ruhe und des Stillestehens seiner Verwandlungen, ein Anhalten seines Werdens aus. Versetze ich es in Veränderung, so ist in ihm keine Bestimmtheit mehr, sondern ein Übergehen aus einem Zustand in den entgegengesetzten andern durch die Unbestimmtheit hindurch. Der Zustand der Bestimmtheit eines Dings ist also ein Zustand, und Ausdruck eines bloßen Leidens; und ein bloßes Leiden ist ein unvollständiges Dasein. Es bedarf einer Tätigkeit, die diesem Leiden entspricht, aus welcher sich dasselbe erklären, durch und mittels welche es sich erst denken läßt; oder, wie man sich gewöhnlich ausdrückt,  die den Grund dieses Leidens enthält. 

Was ich dachte, und zu denken genötigt war, war daher keineswegs so, daß die verschiedenen aufeinanderfolgenden Bestimmungen der Natur, als solche einander bewirken; - daß die gegenwärtige Beschaffenheit sich selbst vernichtet und im künftigen Moment, da sie selbst nicht mehr ist, eine andere, die nicht sie selbst ist, und die nicht in ihr liegt, an ihrer Stelle hervorbringt, was völlig undenkbar ist. Die Beschaffenheit bringt weder sich selbst, noch etwas anderes außer ihr hervor.

Eine tätige, dem Gegenstand eigentümliche und sein eigentliches Wesen ausmachende Kraft ist es, welche ich dachte und denken mußte, um die allmähliche Entstehung, und den Wechsel jener Bestimmungen zu begreifen.

Und wie denke ich mir diese Kraft, welches ist ihre Wesen und die Art ihrer Äußerung? Keine andere als die, daß sie unter diesen bestimmten Umständen, durch sich selbst, und um ihrer selbst willen diese bestimmte Wirkung, - und schlechthin keine andere - diese aber auch ganz sicher und unfehlbar, hervorbringt. -

Das Prinzip der Tätigkeit, des Entstehens und Werdens  an und für sich  ist rein in ihr selbst, so gewiß sie Kraft ist, und in nichts außer ihr; die Kraft wird nicht getrieben, oder in Bewegung gesetzt, sie setzt sich selbst in Bewegung. Der Grund dafür, daß sie sich  gerade auf diese bestimmte Weise entwickelt,  liegt teils in ihr selbst, weil sie diese Kraft ist und keine andere, teils außerhalb von ihr, in den Umständen, unter denen sie sich entwickelt. Beides, die innere Bestimmung der Kraft durch sich selbst, und ihre äußere, durch die Umstände, muß sich vereinigen, um eine Veränderung hervorzubringen. Was das erste anbelangt, die Umstände, das ruhende Sein und Bestehen der Dinge bringen kein Werden hervor, denn in ihnen selbst liegt das Gegenteil allen Werdens, das ruhige Bestehen. was das zweite betrifft: Jene Kraft ist, so gewiß sie denkbar sein soll, eine durchgängig bestimmte; aber ihre Bestimmtheit wird vollendet, durch die Umstände unter denen sie sich entwickelt. - Eine Kraft denke ich nur; eine Kraft ist für mich nur insofern ich eine Wirkung wahrnehme; eine unwirksame Kraft, die doch eine Kraft sein sollte und kein ruhendes Ding, ist völlig undenkbar. Jede Wirkung aber ist bestimmt, und da die Wirkung nur der Abdruck, nur eine andere Ansicht des Wirkens selbst ist, - die wirkende Kraft ist im Wirken bestimmt, und der Grund dieser ihrer Bestimmtheit liegt teils in ihr selbst, weil sie außerdem gar nicht als ein besonderes und für sich bestehendes gedacht würde, teils außerhalb von ihr, weil ihre eigene Bestimmtheit nur als eine bedingte gedacht werden kann.

Es ist hier eine Blume dem Boden entwachsen, und ich schließe daraus auf eine bildende Kraft in der Natur. Eine solche bildende Kraft ist für mich überhaupt nur da, sofern es für mich diese Blume und andere und Pflanzen überhaupt und Tiere gibt; ich kann diese Kraft nur durch ihre Wirkung beschreiben, und sie ist für mich schlechthin nichts weiter, als - das - eine solche Wirkung hervorbringende; das - Blumen und Pflanzen, und Tiere, und überhaupt organische Gestalten erzeugende. Ich werde ferner behaupten, es habe an diesem Platz eine Blume, und diese bestimmte Blume entsprießen können, lediglich sofern alle Umstände sich vereinigen, um dieselbe möglich zu machen. Durch diese Vereinigung aller Umstände für ihre Möglichkeit aber ist mir die Wirklichkeit der Blume noch keineswegs erklärt; und ich bin genötigt, noch eine besondere, durch sich selbst wirkende, ursprüngliche Naturkraft anzunehmen; und zwar bestimmt eine Blumenhervorbringende; denn eine andere Naturkraft würde vielleicht unter denselben Umständen ganz etwas anderes hervorgebracht haben. Ich erhalte also folgende Ansicht des Universums:

Es ist, wenn ich die sämtlichen Dinge als Eins, als  eine  Natur ansehen,  eine  Kraft; es sind, wenn ich sie als Einzelne betrachte, mehrere Kräfte, - die sich nach ihren inneren Gesetzen entwickeln, und durch alle möglichen Gestalten, deren sie fähig sind, hindurch gehen; und alle Gegenstände in der Natur sind nichts anderes, als jene Kräfte selbst in einer gewissen Bestimmung. Die Äußerung jeder einzelnen Naturkraft wird bestimmt, - wird zu derjenigen, die sie ist, - teils durch ihr inneres Wesen, teils durch ihre eigenen bisherigen Äußerungen, teils durch die Äußerungen aller übrigen Naturkräfte, mit denen sie in Verbindung steht; aber sie steht, da die Natur ein zusammenhängendes Ganzes ist, mit allen in Verbindung. - Sie wird durch dieses alles unwiderstehlich bestimmt: Nachdem sie nun einmal ihrem inneren Wesen nach diejenige ist, die sie ist, und sich unter diesen Umständen äußert: fällt ihre Äußerung notwendig so aus, wie sie ausfällt, und es ist schlechterdings unmöglich, daß sie um das mindeste anders sei, als sie ist.

In jedem Moment ihrer Dauer ist die Natur ein unzusammenhängendes Ganzes; in jedem Moment muß  jeder einzelne Teil  derselben so sein, wie er ist, weil  alle übrigen  sind, wie sie sind; und du könntest kein Sandkörnchen von seiner Stelle verrücken, ohne dadurch, vielleicht unsichtbar für deine Augen, durch alle Teile des unermeßlichen Ganzen hindurch etwas zu verändern. Aber  jeder Moment dieser Dauer  ist bestimmt durch  alle abgelaufenen Momente,  und wird alle  künftigen Momente  bestimmen; und du kannst im Gegenwärtigen keines Sandkornes Lage anders denken, als sie ist, ohne, daß du genötigt würdest, die ganze Vergangenheit bis ins Unbestimmte hinaus und die ganze Zukunft ins Unbestimmte herab dir anders zu denken. Mach, wenn du willst, den Versucht mit diesem Körnchen Flugsand, das du erblickst. Denke es dir um einige Schritte weiter landeinwärts liegend. Dann müßte der Sturmwind, der es vom Meer hertrieb, stärker gewesen sein, als er wirklich war. Dann müßte aber auch die vorhergehende Witterung, durch welche dieser Sturmwind und der Grad derselben bestimmt wurde, anders gewesen sein, als sie war, und  die ihr  vorhergehende, durch die  sie  bestimmt wurde; und du erhältst in das Unbestimmte und Unbegrenzte hinauf eine ganz andere Temperatur der Luft, als wirklich stattgefunden hat, und eine ganz andere Beschaffenheit der Körper, welche auf diese Temperatur Einfluß haben, und auf welche sie Einfluß hat. - Auf Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit der Länder, mittels dieser und selbst unmittelbar auf die Fortdauer der Menschen, hat sie unstreitig den entscheidensten Einfluß. Wie kannst du wissen, - denn da es uns nicht vergönnt ist, in das Innere der Natur einzudringen, so reicht es hier aus Möglichkeiten aufzuzeigen, - wie kannst du wissen, ob nicht bei derjenigen Witterung des Universums, deren es bedurft hätte, um dieses Sandkörnchen weiter landeinwärts zu treiben, irgendeiner deiner Vorväter vor Hunger, oder Frost oder Hitze, würde umgekommen sein, ehe er den Sohn erzeugt hatte, von welchem du abstammst? - Daß du also nicht sein würdest, und alles, was du in der Gegenwart, und für die Zukunft zu wirken glaubtes, nicht sein würde, weil - ein Sandkörnchen an einer anderen Stelle liegt.

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Ich selbst, mit allem, was ich mein nenne, bin ein Glied in dieser Kette der strengen Naturnotwendigkeit. Es war eine Zeit, - so sagen mir andere, die in dieser Zeit lebten, und ich selbst bin durch Folgerungen genötigt, eine solche Zeit, deren ich mir nicht unmittelbar bewußt bin, anzunehmen - es war eine Zeit, in der ich noch nicht war, und ein Moment, in welchem ich entstand. Ich war nur für andere, noch nicht für mich. Seitdem hat sich allmählich mein Selbstbewußtsein entwickelt, und ich habe in mir gewisse Fähigkeiten und Anlagen, Bedürfnisse und natürliche Begierden gefunden. - Ich bin ein bestimmtes Wesen, das zu irgendeiner Zeit entstanden ist.

Ich bin nicht durch mich selbst entstanden. Es wäre die höchste Ungereimtheit anzunehmen, daß ich gewesen bin, ehe ich war, um micht selbst zum Dasein zu bringen. Ich bin durch eine andere Kraft außerhalb von mir wirklich geworden. Und durch welche wohl, als durch die allgemeine Naturkraft, da ich ja ein Teil der Natur bin? Die Zeit meines Entstehens, und die Eigenschaften, mit denen ich entstand, waren durch diese allgemeine Naturkraft bestimmt; und alle die Gestalten, unter denen sich diese mir angeborenen Grundeigenschaften seitdem geäußert haben, und äußern werden, solange ich sein werde, sind durch dieselbe Naturkraft bestimmt. Es war unmöglich, daß statt meiner ein anderer entsteht; es ist unmöglich, daß dieser nunmehr Entstandene in irgendeinem Moment seines Daseins anders ist, als er ist und sein wird.

Daß meine Zustände nun eben von Bewußtsein begleitet werden, und einige derselben, - Gedanken, Entschließungen, und dergleichen - so gar nichts anderes zu sein scheinen, als Bestimmungen eines bloßen Bewußtseins: darf mich in meinen Folgerungen nicht irre machen. Es ist die Naturbestimmung der Pflanze, sich regelmäßig auszubilden, die des Tiers, sich zweckmäßig zu bewegen, die des Menschen, zu denken. Warum sollte ich Anstand nehmen, das letzte ebenso für die Äußerung einer ursprünglichen Naturkraft anzuerkennen, als das erste und zweite? Nichts, als das Erstaunen könnte mich daran hindern; indem das Denken allerdings eine weit höhere und künstlichere Naturwirkung ist, als die Bildung der Pflanzen, oder die eigentümlichere Bewegung der Tiere; aber wie könnte ich jenem Affekt Einfluß verstatten auf eine ruhige Untersuchung? Erklären kann ich freilich nicht, wie die Naturkraft den Gedanken hervorbringt; aber kann ich denn besser erklären, wie sie die Bildung einer Pflanze, die Bewegung eines Tieres hervorbringt? Aus der bloßen Zusammensetzung der Materie das Denken abzuleiten, - auf dieses verkehrte Unternehmen werde ich freilich nicht verfallen; könnte ich denn daraus auch nur die Bildung des einfachsten Mooses erklären? - Jene ursprünglichen Naturkräfte sollen überhaupt nicht erklärt werden, noch können sie erklärt werden; denn sie selbst sind es, aus denen alles Erklärbare zu erklären ist. Das Denken ist nun einmal, es ist schlechthin, so wie die Bildungskraft der Natur nun einmal ist, und schlechthin ist: Es ist in der Natur; denn das Denkende entsteht und entwickelt sich nach Naturgesetzen: Es ist demnach durch die Natur. Es gibt eine ursprüngliche Denkkraft in der Natur, wie es eine ursprüngliche Bildungskraft gibt.

Die ursprüngliche Denkkraft des Universums schreitet fort, und entwickelt sich in allen möglichen Bestimmungen, deren sie fähig ist, so wie die übrigen ursprünglichen Naturkräfte fortschreiten, und alle möglichen Gestalten annehmen. Ich bin eine besondere Bestimmung der bildenden Kraft, wie die Pflanze; eine besondere Bestimmung der eigentümlichen Bewegungskraft, wie das Tier und überdies noch eine Bestimmung der Denkkraft: und die Vereinigung dieser drei Grundkräfte zu  einer  Kraft, zu  einer  harmonischen Entwicklung, macht das unterscheidende Kennzeichen meiner Gattung aus; so wie es die Unterscheidung der Pflanzengattung ausmacht, lediglich eine Bestimmung der bildenden Kraft zu sein.

Gestalt, eigentümliche Bewegung, Gedanke in mir hängen nicht etwa voneinander ab, und folgen auseinander: so daß ich meine, und mit ihr die mich umgebenden Gestalten und Bewegungen so dächte, weil sie so sind; oder daß umgekehrt sie so werden, weil ich sie so denke, sondern sie sind allzumal und unmittelbar die harmonierenden Eintwicklungen ein und eben derselben Kraft, deren Äußerung notwendig zu einem mit sich innig zusammenstimmenden Wesen meiner Gattung wird, und die man menschenbildende Kraft nennen könnte. Es entsteht in mir ein Gedanke schlechthin und ebenso schlechthin die beiden entsprechende Bewegung. Ich bin nicht was ich bin, weil ich es denke oder will; noch denke oder will ich es, weil ich es bin, sondern ich bin und denke, - beides schlechthin; beides aber stimmt aus einem höheren Grund zusammen.

So gewiß jene ursprünglichen Naturkräfte etwas für sich sind und ihre eigenen inneren Gesetze und Zwecke haben, so gewiß müssen die einmal zur Wirklichkeit gekommenen Äußerungen derselben, falls nur die Kraft sich selbst überlassen bleibt, und nicht durch eine fremde ihr überlegene unterdrückt wird, eine Zeitlang dauern und einen gewissen Umfang von Verwandlungen beschreiben. Was in demselben Augenblick verschwindet, da es entstand, ist gewiß nicht die Äußerung einer Grundkraft, sondern nur Folge von der Zusammenwirkung mehrere Kräfte. Die Pflanze, eine besondere Bestimmung der bildenden Naturkraft, geht sich selbst überlassen von ihrem ersten Entkeimen, bis zur Reife des Samens. Der Mensch, eine besondere Bestimmung aller Naturkräfte in ihrer Vereinigung, geht sich selbst überlassen von der Geburt fort zum Tod vor Alter. Daher die Lebensdauer der Pflanze wie des Menschen, und die verschiedenen Bestimmungen dieses ihres Lebens.

Diese Gestalt, diese eigentümliche Bewegung, dieses Denken, in Harmonie miteinander, - diese Fortdauer all jener wesentlichen Eigenschaften unter mancherlei außerwesentlichen Verwandlungen, kommen mir zu, insofern ich ein Wesen meiner Gattung bin. - Aber die menschenbildende Naturkraft hat sich schon dargestellt, ehe ich entstand, unter mancherlei äußeren Bedingungen und Umständen. Diese äußeren Bedingungen sind es, welche die besondere Weise ihrer gegenwärtigen Wirksamkeit bestimmen, in denen also der Grund liegt, daß gerade ein solches Individuum meiner Gattung wirklich wird. Dieselben Umstände können nie zurückkehren, weil dann das Naturganze selbst zurückkehren, und zwei Naturen statt einer entstehen würden: es können daher diejenigen Individuen nie wieder wirklich werden, die es schon einmal waren. - Ferner, die menschenbildende Naturkraft stellt sich dar in derselben Zeit, da auch ich bin, unter allen in dieser Zeit möglichen Umständen. Keine Vereinigung solcher Umstände ist derjenigen vollkommen gleich, durch welche  ich  wirklich wurde, wenn sich das Ganze nicht in zwei vollkommen gleiche und untereinander nicht zusammenhängende Welten teilen soll. Es können zu derselben Zeit nicht zwei vollkommen gleiche Individuen wirklich sein. Dadurch ist auch bestimmt, was ich, ich,  diese bestimmte Person,  sein mußte; und das Gesetz nach welchem ich der wurde, der ich bin, ist im Allgemeinen gefunden. Ich bin dasjenige, was die menschenbildende Kraft, - nachdem sie gewesen ist, was sie war - nachdem sie noch außer mir ist, was sie ist, - nachdem sie sich in diesem bestimmten Verhältnis zu anderen ihr widerstreitenden Naturkräften befindet - werden  konnte;  und, weil in ihr selbst kein Grund liegen kann, sich zu beschränken, da sie es konnte, notwendig werden  mußte.  Ich bin, der ich bin, weil in diesem Zusammenhang des Naturganzen nur ein solcher und schlechthin kein anderer möglich war; und ein Geist, der das Innere der Natur vollkommen übersieht, würde aus der Erkenntnis eines einzigen Menschen bestimmt angeben können, welche Menschen von jeher gewesen, und welche zu jeder Zeit sein würden; in  einer  Person würde er  alle  wirklichen Personen erkennen. Dieser mein Zusammenhang mit dem Naturganze ist es dann, der da bestimmt, alles was ich war, was ich bin, und was ich sein werde, und derselbe Geist würde aus jedem möglichen Moment meines Daseins unfehlbar folgern können, was ich vor demselben gewesen bin und was ich nach demselben sein werde. Alles was ich je bin und werde, bin ich und werde ich schlechthin notwendig, und es ist unmöglich, daß ich etwas anderes bin.

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Zwar bin ich meiner selbst, als eines selbständigen, und in mehreren Begebenheiten meines Lebens, freien Wesens mir innigst bewußt; aber dieses Bewußtsein läßt sich sehr wohl aus den aufgestellten Grundsätzen erklären, und mit den soeben gezogenen Folgerungen sich vollkommen vereinigen. Mein unmittelbares Bewußtsein, die eigentliche Wahrnehmung, geht nicht  über mich selbst  und meine Bestimmungen hinaus, ich weiß unmittelbar nur von mir selbst, was ich darüber hinaus zu wissen vermag, weiß ich nur durch  Folgerung, - auf die Weise, wie ich soeben auf ursprüngliche Naturkräfte geschlossen habe, die doch keineswegs in den Umkreis meiner Wahrnehmung fallen. Ich aber, das was ich mein Ich, meine Person nenne, bin ich nicht die menschenbildende Kraft selbst, sondern nur eine ihrer Äußerungen: und nur dieser Äußerung bin ich mir,  als meines Selbst,  bewußt, nicht jener Kraft, auf welche ich nur, durch die Notwendigkeit mich selbst zu erklären schließe. Diese Äußerung aber ist, ihrem wirklichen Sein nach, allerdings etwas aus einer ursprünglichen und selbständigen Kraft hervorgehendes, und muß im Bewußtsein, als solches gefunden werden. Deswegen finde ich mich überhaupt als ein  selbständiges Wesen. - Aus eben diesem Grund erscheine ich mir als  frei  in einzelnen Begebenheiten meines Lebens, wenn diese Begebenheiten Äußerungen der selbständigen Kraft sind, die mir für mein Individuum zuteil geworden sind; als  zurückgehalten  und  eingeschränkt,  wenn durch eine Verkettung äußerer Umstände, die in der Zeit entstehen, nicht aber in der ursprünglichen Beschränkung meines Individuums liegen, ich nicht einmal das kann, was ich meiner individuellen Kraft nach wohl könnte; als  gezwungen,  wenn diese individuelle Kraft durch die Übermacht anderer ihr entgegengesetzten, sogar ihrem eigenen Gesetz zuwider, sich zu äußern genötigt wird.

Gib einem Baum Bewußtsein, und laß ihn ungehindert wachsen, seine Zweige verbreiten, die seiner Gattung eigentümlichen Blätter, Knospen, Blüten, Früchte hervorbringen. Er wird sich wahrhaftig nicht dadurch beschränkt finden, daß er nun gerade ein Baum ist, und gerade von dieser Gattung, und gerade dieser Einzelne in dieser Gattung; er wird sich frei finden, weil er in allen jenen Äußerungen nichts tut, als was seine Natur fordert; er wird nichts anderes tun wollen, weil er nur wollen kann, was diese fordert. Aber laß sein Wachstum, durch ungünstige Witterung, durch einen Mangel an Nahrung oder durch andere Ursachen zurückgehalten werden; er wird sich begrenzt und gehindert fühlen, weil ein Trieb, der wirklich in seiner Natur liegt, nicht befriedigt wird. Binde seine frei umherstrebenden Äste an ein Geländer, nötige ihm durch eine Einpfropfung fremde Zweige auf; er wird sich zu einem Handelns gezwungen fühlen: seine Äste wachsen allerdings fort, aber nicht nach der Richtung, die die sich selbst überlassene Kraft genommen haben würde; er bringt auch Früchte, aber nicht die, die seine ursprüngliche Natur forderte. - Im  unmittelbaren Selbstbewußtsein  erscheine ich mir als frei; durch  Nachdenken  über die ganze Natur finde ich, daß Freiheit schlechterdings unmöglich ist: das erstere muß dem letzteren untergeordnet werden, denn es ist nur durch das letztere zu erklären.

sterntrenner

Welch hohe Befriedigung gewäht dieses Lehrgebäude meinem Verstand! Welche Ordnung, welch fester Zusammenhang, welch leichte Übersicht kommt dadurch in das Ganze meiner Erkenntnisse! Das Bewußtsein ist hier nicht mehr jener Fremdling in der Natur, dessen Zusammenhang mit einem Sein so unbegreiflich ist; es ist einheimisch in derselben, und selbst eine ihrer notwendigen Bestimmungen. Die Natur erhebt sich allmählich in der bestimmten Stufenfolge ihrer Erzeugungen. In der rohen Materie ist sie ein einfaches Sein; in der organisierten geht sie in sich selbst zurück, um auf sich innerlich zu wirken, in der Pflanze, sich zu gestalten, im Tier, sich zu bewegen; im Menschen, als ihrem höchsten Meisterstück, kehrt sie in sich zurück, um sich selbst anzuschauen, und zu betrachten: sie verdoppelt sich gleichsam in ihm und wird aus einem bloßen Sein, Sein und Bewußtsein in Vereinigung.

Wie ich  von meinem eigenen Sein,  und den Bestimmungen desselben wissen muß, ist in diesem Zusammenhang leicht zu erklären. Mein Sein, und mein Wissen hat denselben gemeinschaftlichen Grund; meine Natur überhaupt. Es ist kein Sein in mir, das nicht eben darum, weil es  mein  Sein ist, zugleich von sich weiß. - Ebenso begreiflich wird das Bewußtsein der  körperlichen Gegenstände außerhalb von mir.  Die Kräfte, aus deren Äußerung meine Persönlichkeit besteht, die bildende, die sich selbst bewegende, die denkende Kraft in mir, sind nicht diese Kräfte in der Natur überhaupt, sondern nur ein bestimmter Teil derselben; und daß sie nur dieser Teil sind, kommt daher, weil außer mir noch so und so viel anderes Sein stattfindet. Aus dem ersten läßt sich das letztere  berechnen,  aus der Beschränkung das Beschränkende. Weil ich dieses oder jenes, das doch in den Zusammenhang des gesamten Seins gehört, nicht bin, darum muß dasselbe außerhalb von mir sein; so folgert und berechnet die denkende Natur in mir. Meiner Beschränkung bin ich mir unmittelbar bewußt, weil sie ja zu mir selbst gehört, und nur durch sie ich überhaupt da bin; das Bewußtsein des Beschränkenden, dessen, was ich selbst bin, ist durch das erstere vermittelt, und fließt aus ihm. -

Weg also mit jenen vorgegebenen Einflüssen, und Einwirkungen der äußeren Dinge auf mich, durch die sie mir eine Erkenntnis von sich einströmen sollen, die in ihnen selbst nicht ist, und von ihnen nicht ausströmen kann. Der Grund, warum ich etwas außer mir annehme, liegt nicht außerhalb von mir, sondern in mir selbst, in der Beschränktheit meiner eigenen Person; mittels dieser Beschränktheit geht die denkende Natur in mir, - heraus aus sich selbst, und erhält eine Übersicht ihrer selbst im Ganzen; jedoch in jedem Individuum aus einem eigenen Gesichtspunkt. -

Auf dieselbe Weise entsteht mir der Begriff  von denkenden Wesen meinesgleichen.  Ich oder die denkende Natur in mir, denkt Gedanken, die aus ihr selbst, als individueller Naturbestimmung, sich entwickelt haben sollen, andere, die sich nicht aus ihr selbst entwickelt haben sollen. Und so ist es dann in der Tat. Die ersteren sind allerdings mein eigentümlicher, individueller Beitrag zum Umfang des allgemeinen Denkens in der Natur; die letzteren sind aus den ersteren nur gefolgert, als solche, welch in diesem Umfang allerdings auch stattfinden müssen, aber da sie nur gefolgert sind, nicht in mir, sondern in anderen denkenden Wesen; und von hieraus  schließe  ich erst auf denkende Wesen außerhalb von mir - Kurz: die Natur wird sich in mir ihrer selbst im Ganzen bewußt; aber nur so, daß sie vom individuellen Bewußtsein meiner anhebt, und von ihm aus fortgeht zum Bewußtsein des allgemeinen Seins, durch eine Erklärung nach dem Satz des Grundes: das heißt, daß sie die Bedingungen denkt, unter denen allein eine solche Gestalt, eine solche Bewegung, ein solches Denken, aus welchem meine Person besteht, möglich wurde. Der Satz des Grundes ist der Punkt des Übergangs vom Besonderen, das sie selbst ist, zum Allgemeinen, das außerhalb von ihr ist; das unterscheidende Kennzeichen beider Arten der Erkenntnis ist dies, daß die erste - unmittelbare Anschauung, die letzte - Folgerung ist.

In jedem Individuum erblickt die Natur sich selbst aus einem besonderen Gesichtspunkt. Ich nenne mich  ich  und dich  du:  ich liege für dich außerhalb von dir, wie du für mich außerhalb von mir liegst. Ich begreife außer mir zuerst, was mich zunächst begrenzt; du was dich zunächst begrenzt: von diesem Punkt aus gehen wir durch seine nächsten Glieder hindurch weiter, - aber wir beschreiben sehr verschiedene Reihen, die sich wohl hier und da durchschneiden, aber nirgends nach derselben Richtung nebeneinander fortlaufen. - Es werden alle möglichen Individuen, also auch alle möglichen Gesichtspunkte des Bewußtseins wirklich. Dieses Bewußtsein aller Individuen zusammengenommen macht das vollendete Bewußtsein des Universums von sich selbst aus; und es gibt kein anderes, denn nur im Individuum ist vollendete Bestimmtheit und Wirklichkeit.

Die Aussage des Bewußtseins eines jeden Individuums ist untrüglich, wenn es nur wirklich das bis jetzt beschriebene Bewußtsein ist; denn dieses Bewußtsein entwickelt sich aus dem ganzen gesetzmäßigen Lauf der Natur; aber die Natur kann nicht sich selbst widersprechen. Ist irgendwo eine Vorstellung, so muß es wohl auch ein derselben entsprechendes Sein geben, denn die Vorstellungen werden nur mit der Erzeugung des ihnen entsprechenden Seins zugleich erzeugt. - Jedem Individuum ist sein besonderes Bewußtsein durchaus bestimmt, denn dasselbe geht aus seiner Natur hervor: keiner kann andere Erkenntnisse, und einen anderen Grad ihrer Lebhaftigkeit haben, als er wirklich hat. Der  Inhalt  seiner Erkenntnisse wird bestimmt durch den Standpunkt, welchen er im Universum einnimmt. Die  Deutlichkeit und Lebhaftigkeit  derselben durch die höhere oder geringere Wirksamkeit, welche die Kraft der Menschheit in seiner Person zu äußern vermag. Gib der Natur eine einzige Bestimmung einer Person, scheine sie so geringfügig wie sie wolle, sei es der Lauf eines einzigen Muskels, die Biegung eines Haares und sie sagt dir, wenn sie ein allgemeines Bewußtsein hätte, und dir antworten könnte, alle Gedanken, welche diese Person, die ganze Zeit ihres Bewußtseins hindurch denken wird.

Ebenso begreiflich wird in diesem Lehrgebäude die bekannte Erscheinung in unserem Bewußtsein, die wir  Willen  nennen. Ein Wollen ist das unmittelbare Bewußtsein der Wirksamkeit einer unserer inneren Naturkräfte. Das unmittelbare Bewußtsein eines Strebens dieser Kräfte, das noch nicht Wirksamkeit ist, weil es durch gegenstrebende Kräfte gehemmt wird, ist im Bewußtsein Neigung, oder Begierde; der Kampf der streitenden Kräfte, Unentschlossenheit; der Sieg der einen, Willensentschluß. Ist die strebende Kraft bloß diejenige, die uns mit der Pflanze oder dem Tier gemein ist; so ist in unserem inneren Wesen schon eine Trennung und Herabsetzung erfolgt, das Begehren ist unserem Rang in der Reihe der Dinge nicht gemäß, sondern unter demselben und kann nach einem gewissen Sprachgebrauch sehr wohl ein niederes genannt werden. Ist jenes Strebende die ganze ungeteilte Kraft der Menschheit; so ist das Begehren unserer Natur gemäß, und kann ein höheres genannt werden. Das Streben der letzteren überhaupt gedacht, läßt sich füglich ein sittliches Gesetz nennen. Eine Wirksamkeit der letzteren ist ein tugendhafter Wille, und die daraus erfolgende Handlung Tugend. Ein Sieg der ersteren ohne Harmonie mit der letzteren ist Untugend; ein Sieg derselben über die letztere und gegen ihren Widerstreit ist Laster.

Die Kraft, welche jedesmal siegt, siegt notwendig; ihr Übergewicht ist durch den Zusammenhang des Universums bestimmt, und so ist durch denselben Zusammenhang auch die Tugend, die Untugend und das Laster jedes Individuums unwiderruflich bestimmt. Gib der Natur nochmals den Lauf eines Muskels, die Biegung eines Haares an einem bestimmten Individuum, und sie wir dir, wenn sie im Ganzen denken und dir antworten könnte, daraus alle guten Taten und alle Untaten seines Lebens von Anbeginn bis an sein Ende angeben. Aber darum hört die Tugend nicht auf Tugend und das Laster Laster zu sein. Der Tugenhafte ist eine edle, der Lasterhafte eine unedle und verwerfliche, jedoch aus dem Zusammenhang des Universums notwendig erfolgende Natur.

Es gibt  Reue,  und sie ist das Bewußtsein des fortdauernden Strebens der Menschheit in mir, auch nachdem dasselbe besiegt wurde, verbunden mit dem unangenehmen Gefühl, daß es besiegt wurde; ein beunruhigendes aber doch köstliches Unterpfand unserer edleren Natur. Aus diesem Bewußtsein unseres Grundtriebes entsteht auch das  Gewissen und die größere oder geringere Schärfe und Reizbarkeit bis zum absoluten Mangel desselben bei verschiedenen Individuen. Der Unedlere ist der Reue nicht fähig, weil die Menschheit in ihm auch nicht einmal so viel Kraft hat, um niedere Triebe zu bestreiten. Belohnung und Strafe sind die natürlichen Folgen der Tugend und des Lasters zur Hervorbringung neuer Tugend und neuen Lasters. Durch häufige bedeutende Siege nämlich wird unsere eigentümliche Kraft ausgebreitet und verstärkt; durch einen Mangel an aller Wirksamkeit, oder häufigen Niederlagen, wird sie immer schwächer. - Nur die Begriffe  Verschuldung  und  Zurechnung  haben keinen Sinn, außer den für das äußere Recht. Verschuldet hat sich derjenige, und ihm wird sein Vergehen zugerechnet, der die Gesellschaft nötigt, künstliche äußere Kräfte anzuwenden, um die Wirksamkeit seiner der allgemeinen Sicherheit nachteiligen Triebe zu verhindern.

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Meine Untersuchung ist geschlossen, und meine Wißbegier befriedigt. Ich weiß, was ich überhaupt bin, und worin das Wesen meiner Gattung besteht. Ich bin eine durch das Universum bestimmte Äußerung einer durch sich selbst bestimmten Naturkraft. Meine besonderen persönlichen Bestimmungen  mittels ihrer Gründe  einzusehen, ist unmöglich, denn ich kann: in das Innere der Natur nicht eindringen. Aber ich werde mir derselben  unmittelbar  bewußt. Ich weiß ja wohl, was ich im gegenwärtigen Moment bin, ich kann mich größtenteils erinnern, was ich ehemals war, und ich werde ja erfahren, was ich sein werde, dann, wenn ich es sein werde.

Von dieser Entdeckung Gebrauch für mein Handeln zu machen, kann mir nicht einfallen, denn ich handle ja überhaupt nicht, sondern in mir handelt die Natur; mich zu etwas anderem zu machen, als wozu ich durch die Natur bestimmt bin, das kann ich mir nicht vornehmen wollen, denn ich mache mich gar nicht, sondern die Natur macht mich selbst und alles was ich werde. Ich kann bereuen, und mich freuen, und gute Vorsätze fassen; - ungeachtet, daß ich der Strenge nach nicht einmal das kann, sondern mir alles von selbst kommt, wenn es mir zu kommen bestimmt ist; - aber ich kann ganz sicher durch alle Reue, und durch alle Vorsätze nicht das Geringste an dem ändern, was ich nun einmal werden muß. Ich stehe unter der unerbittlichen Gewalt der strengen Notwendigkeit; bestimmt sie mich zu einem Toren und Lasterhaften, so werde ich ohne Zweifel ein Tor und ein Lasterhafter werden; bestimmt sie mich zu einem Weisen und Guten, so werde ich ohne Zweifel ein Meister und Guter werden. Es ist nicht ihre Schuld noch Verdienst, noch das meinige. Sie Steht unter ihren eigenen Gesetzen, ich unter den ihrigen: Es wird, nachdem ich dies einsehe, das Beruhigendste sein, ihr auch meine Wünsche zu unterwerfen, da ja mein Sein ihr völlig unterworfen ist.

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O, diese widerstrebenden Wünsche! Denn warum sollte ich mir länger die Wehmut, den Abscheu, das Entsetzen verhehlen, welche, so wie ich einsah, wie die Untersuchung, enden wird, mein Inneres ergriffen hat? Ich hatte es mir heilig versprochen, daß die Neigung keinen Einfluß auf die Richtung meines Nachdenkens haben sollte; und ich habe ihr in der Tat mit Bewußtsein keinen verstattet: Aber darf ich es mir darum am Ende nicht gestehen, daß dieser Ausgang meinen tiefsten innersten Ahnungen, Wünschen, Forderungen widerspricht? Und wie kann ich, trotz der Richtigkeit, und der schneidenden Schärfe der Beweise, die mir in dieser Überlegung zu sein scheint, an eine Erklärung meines Daseins glauben, die der innigsten Wurzel meines Daseins, die dem Zweck, um dessen willen ich allein sein mag, und ohne welchen ich mein Dasein verwünsche, so entscheidend widerstreitet?

Warum muß mein Herz trauern und zerrissen werden, von dem, was mein Verstand so vollkommen beruhigt? Da nichts in der Natur sich widerspricht, ist nur der Mensch ein widersprechendes Wesen? - Oder, vielleicht nicht der Mensch, sondern nur ich und diejenigen, welche mir gleichen? Hätte ich vielleicht hingehen sollen in dem freundlichen Wahn, der mich umgab, mich im Umfang des unmittelbaren Bewußtseins meines Seins erhalten, und die Frage nach den Gründen desselben, deren Beantwortung mich jetzt elend macht, nie erheben sollen? Aber wenn diese Beantwortung recht hat, so  mußte  ich jene Frage erheben; ich erhob sie nicht, sondern die denkende Natur in mir erhob sie. - Ich war zum Elend bestimmt, und ich beweine vergebens die verlorene Unschuld meines Geistes, welche nie zurückkehren kann.

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Aber Mut gefaßt! Verlasse mich alles andere, wenn nur dieser mich nicht verläßt. - Um der bloßen Neigung willen, und liege sie noch so tief in einem Innern, und erscheine sie noch so heilig, kann ich freilich nicht aufgeben, was aus unwidersprechlichen Gründen folgt; aber vielleicht habe ich in der  Untersuchung  geirrt, vielleicht habe ich die Quellen, aus denen sie geführt werden mußte, nur halb aufgefaßt und einseitig angesehen. Ich sollte die Untersuchung vom entgegengesetzten Ende aus wiederholen; damit ich nur einen Anfangspnkt für sie habe: - Was ist es denn doch, das mich in jener Entscheidung so gewaltig zurückstößt und beleidigt? Was ist es, das ich statt derselben gefunden zu haben wünschte? Mache ich mir nur vor allen Dingen jene Neigung recht klar, auf welche ich mich berufe!

Daß ich bestimmt sein sollte, ein Weiser und Guter, oder ein Tor und Lasterhafter, zu sein, daß ich an dieser Bestimmung nichts ändern, vom ersteren kein Verdienst und am letzteren keine Schuld haben sollte, - dies war es, was mich mit Abscheu und Entsetzen erfüllte. Jener Grund meines Seins, und der Bestimmung meines Seins  außer mir selbst,  dessen Äußerung wiederum durch andere Gründe  außer ihm  bestimmt wurde, - er war es, der mich so heftig zurückstieß. Jene Freiheit, die gar nicht  meine  eigene, sondern die  einer fremden Kraft  außerhalb von mir und selbst an dieser nur eine  bedingte,  nur eine halbe Freiheit war, - sie war es, die mir nicht genügte.  Ich selbst,  dasjenige, dessen ich mir als meiner selbst, als meiner Person bewußt bin, und welches in jenem Lehrgebäude als bloße Äußerung eines höheren erscheint, - ich selbst will selbständig, - nicht an einem andern, und durch ein anderes, sondern für mich selbst Etwas sein; und will, als solches, selbst der letzte Grund meiner Bestimmungen sein. Den Rang, welchen in jenem Lehrgebäude jede ursprüngliche Naturkraft einnimmt, will ich selbst einnehmen; nur mit dem Unterschied, daß die Weise meiner Äußerungen nicht durch fremde Kräfte bestimmt ist. Ich will eine innere eigentümliche Kraft haben, mich auf unendlich mannigfaltige Weise zu äußern, ebenso wie jene Naturkräfte: und die sich nun gerade so äußert, wie sie sich äußert, schlechthin aus keinem anderen Grund, als weil sie sich so äußert; nicht aber, wie jene Naturkräfte, weil es gerade unter diesen äußeren Bedingungen geschieht.

Welches soll nun diesem meinem Wunsch zufolge der eigentliche Sitz und Mittelpunkt jener eigentümlichen Kraft des Ich sein? Offenbar nicht mein Körper: den ich, zumindest seinem Sein nach, wenn auch nicht nach seinen weiteren Bestimmungen, als eine Äußerung der Naturkräfte gern gelten lasse; auch nicht meine sinnlichen Neigungen, die ich für eine Beziehung dieser Kräfte auf mein Bewußtsein halte: - Sonach mein Denken und Wollen. Ich will nach einem frei entworfenen Zweckbegriff mit Freiheit wollen, und dieser Wille, als schlechthin letzter, durch keinen möglichen höheren bestimmter, Grund soll zunächst meinen Körper, und mittels desselben, die mich umgebende Welt bewegen und bilden. Meine tätige Naturkraft soll nur unter der Botmäßigkeit des Willens stehen, und schlechthin durch nichts anderes in Bewegung zu setzen sein, außer durch ihn. - So  soll es sich verhalten: - es soll ein Bestes geben nach geistigen Gesetzen; dieses mit Freiheit zu suchen, bis ich es finde, es als solches zu erkennen, wenn ich es gefunden habe, soll ich das Vermögen haben, und es soll meine Schuld sein, wenn ich es nicht finde. Dieses Beste soll ich wollen können, schlechthin weil ich es will; und wenn ich statt desselben etwas anderes will, soll ich Schuld haben. Aus diesem Willen soll meine Handlung erfolgen, und ohne ihn soll überhaupt durch mich keine Handlung erfolgen, indem es gar keine mögliche andere Kraft meiner Handlungen geben soll, als meinen Willen. Erst jetzt soll meine durch den Willen bestimmte, und in seiner Botmäßigkeit stehende Kraft in die Natur eingreifen. Ich will der Herr der Natur sein, und sie soll mein Diener sein; ich will einen meiner Kraft gemäßen Einfluß auf sie haben, sie aber soll keinen haben auf mich.

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Das ist der Inhalt meiner Wünsche und Forderungen. Völlig gegen diese hat eine Untersuchung gesprochen, die meinen Verstand befriedigt. Wenn ich der ersten zufolge unabhängig sein soll von der Natur, und überhaupt von irgendeinem Gesetz, das ich mir nicht selbst gebe, so bin ich nach der zweiten ein durchaus bestimmtes Glied in der Kette der Natur. Ob nun eine solche Freiheit, wie ich sie wünsche, auch nur denkbar ist, und wenn sie es sein sollte, ob nicht in einem durchgeführten und vollständigen Nachdenken selbst Gründe liegen, die mich nötigen, dieselbe als  wirklich  anzunehmen, und sie mir zuzuschreiben, - wodurch dann der Ausgang der vorigen Untersuchung widerlegt würde, davon ist die Frage.

Ich will frei sein, auf die angegebene Weise, heißt: ich selbst will mich zu dem machen, was ich sein werde. Ich müßte also, - das ist das höchst befremdende, und dem ersten Anschein nach völlig widersinnige, was in diesem Begriff liegt, - ich müßte, was ich werden soll, in gewisser Hinsich schon sein, ehe ich es bin, um mich dazu auch nur machen zu können; ich müßte eine doppelte Art des Seins haben, von denen das erste den Grund einer Bestimmung des zweiten enthält. Beobachte ich nun hierüber mein unmittelbares Selbstbewußtsein im Wollen, so finde ich folgendes: Ich habe die Kenntnis mannigfaltiger Handelsmöglichkeiten, unter denen allen, wie es mir scheint, ich auswählen kann, welche ich will. Ich durchlauf den Umkreis derselben, erweitere ihn, kläre mir das einzelne auf, vergleiche es gegeneinander, und wäge ab. Ich wähle schließlich eins unter allen, bestimme danach meinen Willen und es erfolgt aus dem Willensentschluß eine demselben gemäße Handlung. Hier bin ich nun allerdings im bloßen Denken meines Zwecks  vorher,  was ich hernach und zufolge dieses Denkens, durch Wollen und Handeln  wirklich  bin; ich bin vorher als Denkendes, was ich kraft des Denkens späterhin als Handelndes bin. Ich mache mich Selbst: Mein Sein durch mein Denken; mein Denken schlechthin durch das Denken. - Man kann auch dem bestimmten Zustand einer Äußerung der bloßen Naturkraft, als etwa einer Pflanze, einen Zustand der Unbestimmtheit vorausdenken, in welchem ein reichhaltiges Mannigfaltiges von Bestimmungen gegeben ist, die sie, sie selbst überlassen, annehmen könnte. Dieses Mannigfaltige Mögliche ist nun allerdings  in ihr,  in ihrer eigentümlichen Kraft gegründet; aber es ist nicht  für sie,  weil sie der Begriffe nicht fähig ist, sie kann nicht wählen, sie kann nicht durch sich selbst der Unbestimmtheit ein Ende machen; äußere Bestimmungsgründe müssen es sein, welche sie auf das Eine von allen möglichen einschränken, worauf sie selbst sich nicht einschränken kann. In ihr kann ihre Bestimmung nicht vor ihrer Bestimmung vorher stattfinden, denn sie hat nur  eine  Weise bestimmt zu sein, - die ihrem wirklichen Sein nach. Daher kam es auch wohl, daß ich mich oben genötigt fand, zu behaupten, daß die Äußerung jeder Kraft ihre vollendete Bestimmung von außen erhalten muß. Ich dachte ohne Zweifel nur an solche Kräfte, die sich lediglich durch ein Sein äußern, aber des Bewußtseins unfähig sind. Von ihnen gilt dann auch die obige Behauptung ohne die mindeste Einschränkung; bei Intelligenzen findet der Grund dieser Behauptung nicht statt, und es scheint sonach übereilt, sie auch über diese hinauszudehnen.

Freiheit, wie sie oben gefordert wurde, ist nur in Intelligenzen denkbar, in ihnen aber ist sie es ohne Zweifel. Auch unter dieser Voraussetzung, ist der Mensch sowohl, wie die Natur vollkommen begreiflich. Mein Leib, und mein Vermögen in der Sinnenwelt zu wirken, ist ebenso, wie im obigen System, eine Äußerung beschränkter Naturkräfte; und meine natürlichen Neigungen sind die Beziehungen dieser Äußerung auf mein Bewußtsein. Die bloße Erkenntnis dessen, was ohne mein Zutun da ist, entsteht unter dieser Voraussetzung einer Freiheit gerade so, wie in jenem System; und bis auf diesen Punkt kommen beide überein. Nach jenem aber, - und hier hebt der Widerstreit beider Lehrgebäude an - nach jenem bleibt das Vermögen meiner sinnlichen Wirksamkeit unter der Botmäßigkeit der Natur, wird fortdauernd durch dieselbe Kraft in Bewegung gesetzt, die es auch hervorbrachte, und der Gedanke hat dabei überall nur das Zusehen; nach dem gegenwärtigen fällt dieses Vermögen, nachdem es nur einmal vorhanden ist, unter die Botmäßigkeit einer über alle Natur erhabenen, und von den Gesetzen derselben gänzlich befreiten Kraft, der Kraft der Zweckbegriffe und des Willens. Der Gedanke hat nicht mehr das bloße Zusehen, sondern von ihm selbst geht die Wirkung aus. Dort sind es äußere mir unsichtbare Kräfte, die meiner Unentschlossenheit ein Ende machen und meine Wirksamkeit, sowie das unmittelbare Bewußtsein derselben, meinen Willen, auf  einen  Punkt beschränken; ebenso wie die durch sich selbst unbestimmte Wirksamkeit der Pflanze beschränkt wird: hier bin Ich es selbst, unabhängig und freim vom Einfluß aller äußeren Kräfte, der seiner Unentschlossenheit ein Ende macht, und sich durch die frei in sich hervorgebrachte Erkenntnis des Besten bestimmt.

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Welche von beiden Meinungen soll ich ergreifen? Bin ich frei und selbständig, oder bin ich nichts an mir selbst, und lediglich die Erscheinung einer fremden Kraft? Es ist mir soeben klar geworden, daß keine von beiden Behauptungen hinlänglich begründet ist. Für die erste spricht nichts als ihre bloße Denkbarkeit; für die letzte dehne ich einen ansich und in seinem Gebiet ganz wahren Satz weiter aus, als sein eigentlicher Grund reicht. Ist die Intelligenz eine bloße Naturäußerung, so tue ich ganz Recht daran, jenen Satz auch über sie auszudehnen: aber, ob sie es ist, davon ist eben die Frage; und diese soll durch eine Folgerung aus anderen Sätzen beantwortet, nicht aber eine einseitige Antwort schon beim Anfang der Untersuchung vorausgesetzt und aus dieser wieder abgeleitet werden, was ich selbst erst in sie hineinlegte. Kurz: aus Gründen zu erweisen, ist keine von den beiden Meinungen.

Ebensowenig entscheidet in dieser Sache das unmittelbare Bewußtsein. Weder der äußeren Kräfte, die mich im System der allgemeinen Notwendigkeit bestimmen, noch meiner eigenen Kraft, durch welche in dem der Freiheit ich mich selbst bestimme, kann ich mir je bewußt werden. Welche von beiden Meinungen ich also auch ergreifen mag, ergreife ich sie immer schlechthin darum, weil ich sie nun einmal ergreife.

Das System der Freiheit befriedigt, das entgegengesetzte tötet und vernichtet mein Herz. Kalt und tot dastehen und dem Wechsel der Begebenheiten nur zusehen, ein träger Spiegel der vorüberfliehenden Gestalten - dieses Dasein ist mir unerträglich, ich verschmähe und verwünsche es. Ich will lieben, ich will mich in Teilnahme verlieren, mich freuen und mich betrüben. Der höchste Gegenstand dieser Teilnahme für mich bin ich selbst; und das einzige an mir, womit ich dieselbe fortdauernd ausfüllen kann, ist mein Handeln. Ich will alles auf das Beste machen; will mich meiner freuen, weinn ich recht getan habe; will mich über mich betrüben, wenn ich unrecht tat; und sogar diese Betrübnis soll mir süß sein; denn es ist Teilnahme an mir selbst, und Unterpfand der künftigen Besserung. - In der Liebe nur ist das Leben, ohne sie ist Tod und Vernichtung.

Aber kalt und frech tritt das entgegengesetzte System auf und spöttelt dieser Liebe. Ich bin nicht und ich handle nicht, wenn ich dasselbe höre. Der Gegenstand meiner innigsten Zuneigung ist ein Hirngespinst, eine greifbar nachzuweisende grobe Täuschung. Statt meiner ist und handelt eine fremde mir ganz unbekannte Kraft; und es wird mir völlig gleichgültig, wie sich dieselbe entwickelt. Beschämt stehe ich da mit meiner herzlichen Neigung, und mit meinem guten Willen; und erröte vor dem, was ich für das Beste an mir erkenne, und um wessen willen ich allein sein mag, wie vor einer lächerlichen Torheit. Mein Heiligstes ist dem Spott preisgegeben.

Ohne Zweifel war es die Liebe dieser Liebe, das Interesse für dieses Interesse, welches mich ohne mein Bewußtsein trieb, früher, ehe ich die Untersuchung erhob, die mich jetzt verwirrt und zur Verzweiflung führt, ohne weiteres mich für frei und für selbständig zu halten: ohne Zweifel war es dieses Interesse, wodurch ich eine Meinung, die nichts für sich hat, als ihre eigene Denkbarkeit und die Unerweislichkeit ihres Gegenteils, bis zur Überzeugung ergänzte; war es dieses Interesse, wodurch ich bis jetzt vor dem Unternehmen bewahrt wurde, mich selbst und mein Vermögen weiter erklären zu wollen.

Das entgegengesetzte System, trocken und herzlos, aber unerschöpflich im Erklären, erklärt selbst dieses mein Interesse zur Freiheit, diese meine Abscheu gegen die widerstreitende Meinung. Es erklärt alles, was ich aus meinem Bewußtsein gegen dasselbe anführe, und so oft ich sage, daß es sich so und so verhält, antwortet es mir immer gleich trocken und unbefangen; dasselbe sage ich auch, und ich sage dir noch überdies die Gründe, wodurch es notwendig so wird. Du stehst, wird es mir auf alle meine Klagen antworten, indem du von deinem Herzen, deiner Liebe, deinem Interesse sprichst, im Standpunkt des unmittelbaren Bewußtseins deines Selbst; und du gestehst dies, indem du sagst, daß du selbst der höchste Gegenstand deines Interesses bist. Und hierüber ist dann bekannt, und schon oben auseinandergesetzt, daß dieses Du, wofür dur dich so lebhaft interessierst, insofern es nicht Wirksamkeit, aber doch zumindest  Trieb  deiner eigentümlichen inneren Natur ist; es ist bekannt, daß jeder Trieb, so gewiß er dies ist, in sich selbst zurückkehrt und sich zur Wirksamkeit antreibt; und es ist demnach begreiflich, wie dieser Trieb sich im Bewußtsein als Liebe, und Interesse für ein freies, und eigentümliches Wirken notwendig äußern muß. Versetzest du dich aus diesem engen Gesichtspunkt des Selbstbewußtseins, in den höheren Standpunkt der Übersicht des Universums, den du einzunehmen dir ja versprochen hast, so wird dir klar, daß, was du deine Liebe nanntest, nicht deine Liebe ist, sondern eine fremde Liebe: - das Interesse der ursprünglichen Naturkraft in dir, sich selbst als eine solche zu erhalten. - Und so berufe dich denn nicht weiter auf deine Liebe; denn wenn dieselbe auch außerdem etwas beweisen könnte, so ist hier sogar die Voraussetzung derselben unrichtig. Du liebst dich nicht, den du  bist  überhaupt nicht; es ist  die Natur in dir,  die sich für ihre eigene Erhaltung interessiert. Daß, ungeachtet in der Pflanze ein eigentümlicher Trieb ist, zu wachsen, und sich zu bilden, die bestimmte Wirksamkeit dieses Triebes dennoch von außer ihr liegenden Kräften abhängt, gibst du ohne Widerstreit zu. Leihe dieser Pflanze auf einen Augenblick Bewußtsein, so wird sie ihren Trieb zu wachsen mit Interesse und Liebe in sich fühlen. Überzeuge sie durch Vernunftgründe, daß dieser Trieb für sich nicht das Geringste auszurichten vermag, sondern daß ihm das Maß seiner Äußerung immer durch etwas außerhalb seiner selbst bestimmt wird; sie wird vielleicht gerade so reden, wie du eben geredet hast; sie wird sich gebärden, wie es einer Pflanze zu verzeihen ist, dir aber, als einem höheren, das Ganze der Natur denkenden Naturprodukt, keineswegs ansteht.

Was kann ich gegen diese Vorstellung einwenden? Begebe ich mich auf ihren Grund und Boden, auf den so gerühmten Standpunkt einer Übersicht des Universums, so muß ich ohne Zweifel mit Erröten verstummen. Es ist also die Frage, ob ich mich überhaupt auf diesen Standpunkt stellen oder im Umfang des unmittelbaren Selbstbewußtseins mich halten; ob der Erkenntnis die Liebe oder der Liebe die Erkenntnis untergeordnet werden soll. Das letztere steht in einem üblen Ruf bei verständigen Leuten, das erstere macht mich unbeschreiblich elend, indem es mich selbst aus mir selbst vertilgt. Ich kann das letztere nicht tun, ohne mir selbst als unüberlegt und töricht zu erscheinen; ich kann das erstere nicht, ohne mich selbst zu vernichten.

Unentschieden kann ich nicht bleiben: an der Beantwortung dieser Frage hängt meine ganze Ruhe und meine ganze Würde. Ebenso unmöglich ist es mir, mich zu entscheiden: ich habe schlechthin keinen Entscheidungsgrund weder für das Eine noch für das Andere.

Unerträglicher Zustand der Ungewißheit und der Unentschlossenheit! Durch den besten und den mutigsten Entschluß meines Lebens mußte ich in dich geraten! Welche Macht kann mich von dir, welche Macht kann mich von mir selbst retten?
LITERATUR - Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, Berlin 1801