"Gäbe es nicht Etwas, das ich erlebe und erlebte ich nicht mich als Erlebenden, so gäbe es keine Philosophie und keine Wissenschaft. Wir können auch sagen, daß die Beziehung Ich-Objekt - aber nicht Subjekt-Objekt bei "empirischer", einen Plural zulassender Bedeutung des Wortes "Subjekt" - nebst der Sonderbeziehung Ich-Mich am Ausgang allen Philosophierens steht."
V o r w o r t
Wer, mit AUGUSTINUS und DESCARTES, den Ausgang aller Philosophie in dem dreieinigen Satz Ich erlebe etwas (sicio; cogito) erblickt, den muß die Klärung dessen, was die hier ausgesprochene geheimnisvolle Urwirklichkeit eigentlich meint, die wahre erste Philosophie bedeuten. Erst im Laufe dieses allerersten ganz unmittelbaren und grundsätzlich un-"methodischen", nämlich lediglich selbstbesinnlichen Klärungsgeschäftes ersteht die Möglichkeit der bewußten Schöpfung einer Ordnungslehre oder "Logik", indem sich Ordnungszeichen als eine Besonderheit im Bereich des Etwas, welches "Ich erlebe", ergeben.
Ich habe meine "Ordnungslehre" auf diesen selbstbesinnlichen Grund bewußt gestellt; nur dieser Grund verbürgt ein Vermeiden jedes Dogmatismus.
Meine "Ordnungslehre" wollte schaffen, was ihr Name besagt; den Grund, auf dem sie stand, deutete sie nur mit kurzen Worten dem Kundigen an. Diese Schrift nun will gerade den Boden der Ordnungslehre klar und deutlich machen; und sie will zeigen, daß heute Viele, "Logiker" sowohl wie "Psychologien", in gleichem Sinne arbeiten; und daß auch schon eine gewisse Gemeinsamkeit der Ansichten besteht, eine größere, als man bei einem flüchtigen Blick auf die oft recht polemikreiche Literatur der letzten Zeit vermuten möchte.
Der eigentliche Gegenstand der "Ordnungslehre" war die Darstellung der Ordnungsbegriffe, der Endgültigkeitszeichen mit Bezug auf Ordnung, selbst. Was Ordnen eigentlich, für sich genommen, bedeutet, gegenständlich sowohl wie selbstbesinnlich, das wurde am Eingang des Werks in Gedrängtheit und Kürze dargestellt, derart nämlich, daß weniger der eigentliche Gang meines Nachdenkens als dessen Ergebnis zur Mitteilung kam. Und wo am Ende die Begriffe Ordnung und Endgültigkeit wieder erschienen, da geschah es lediglich im Rahmen einer "Logik der Psychologie", einer Ordnung der Eigenerlebtheit, um in der Sprache des Werkes selber zu reden.
Es ist nun dieser Schrift Absicht, in breiterer, sich der üblichen Sprech- und Denkweise anbequemender Form auszuführen, was im größeren Werk nur Mittel zum Zweck war.
Der Gedankengang des "von der Selbstbesinnung" handelnden einführenden Teils der "Ordnungslehre" war etwa dieser:
Ich erlebe Etwas, das heißt: Ich habe Etwas bewußt oder Ich weiß um Etwas. Ich erlebe aber auch mein Erleben, habe bewußt mich als Erlebenden, weiß um mein Wissen; das heißt kurz: Ich bin selbstbewußt.
Hier liegt der Ausgang allen Philosophierens. Gäbe es nicht Etwas, das ich erlebe und erlebte ich nicht mich als Erlebenden, so gäbe es keine Philosophie und keine Wissenschaft. Wir können auch sagen, daß die Beziehung Ich-Objekt - aber nicht Subjekt-Objekt bei "empirischer", einen Plural zulassender Bedeutung des Wortes "Subjekt" - nebst der Sonderbeziehung Ich-Mich am Ausgang allen Philosophierens steht.
Das Etwas, welches ich erlebe, das Objekt also oder der Gegenstand überhaupt, ist nun ein geordnetes Etwas. Insofern ich ausdrücklich zu wissen wünsche, was an der geordneten Erlebtheit diese Erlebtheit zu einer geordneten macht, treibe ich "Logik" oder Ordnungslehre. Die Frage nach "Erkenntnis" tritt dabei gar nicht auf, sie erscheint erst nach Beendigung der Ordnungslehre; wohl aber darf die Ordnungslehre als "Theorie der Erfahrung" bezeichnet werden; sie untersucht in der Tat, was Erfahrung eigentlich meint, wobei "Erfahrung" natürlich nicht im Sinne von "Empirie" verstanden werden darf.
Die soeben dargelegte Absicht der Ordnungslehre ist nun voll von Geheimnissen der allerseltsamsten Art.
Wie weiß ich denn um Ordnung und wie kann ich Ordnung wünschen oder wollen? Und wie kann ich wissen, daß und wann etwas "an der geordneten Erlebtheit diese Erlebtheit zu einer geordneten macht"?
Es soll ja doch gezeigt werden, worin erfahrungsmäßiges Wissen besteht, was es meint oder bedeutet. Dabei muß nun freilich die Bedeutung des Ich weiß als unauflösbar vorausgesetzt werden, ebenso wie im Verlauf der Ordnungslehre etwa die Bedeutungen des grün und des neben unauflösbar erscheinen; aber könnte denn nicht die Bedeutung des Ich weiß um Ordnung und um Ordnungszeichen dahin aufgelöst werden, daß gesagt wird: "Ich bin nun einmal ein so beschaffenes Etwas, daß es meine Eigentümlichkeit ist, gewisse Bestimmtheiten an meinem Erleben notwendigerweise als Ordnungsbestimmtheiten zu erfassen"? Gewiß, es ist möglich, daß dieser Satz das Richtige trifft. Nur gehört ein solcher "Psychologismus nicht an den Eingang der "Ordnungslehre" und aller Philosophie. Erstens nämlich verwendet er als Voraussetzung der Ordnungslehre solche Begriffe, welche erst die Ordnungslehre selbst legitimieren soll, nämlich "Beschaffenheit", "Eigentümlichkeit", "Notwendigkeit"; zum anderen ist er "dogmatisch-metaphysisch", indem er mich als "seiendes Etwas" einfach hinsetzt. (2)
Aber wie soll ich mich denn mit mir als Ordnungslehre Treibendem abfinden?
Ich kann es nur, indem ich, nicht zwar in fehlerhafter Weise auf mich, wohl aber auch das von mir wissend erlebte Etwas überhaupt die allerersten Schritte der Ordnungslehre schon anwende, indem ich in ganz großen Zügen mein Erlebtes als Dieses und Solches, das heißt als Verschiedenes bestimme. Man nennt das Ergebnis dieses Bestimmens Selbstbesinnungslehre oder "Phänomenologie"; sie ist der Ordnungslehre und der sonderwissenschaftlichen Psychologie Grundlage. Selbstbesinnungslehre nun aber zeigt mir, daß meine Erlebtheit in mehrere große Klassen von Erlebnissen zerfällt: Ich erlebe Dinghaftes, Gedankliches, Gefühle und Willen, wobei aber diese Worte zunächst außerordentlich unbestimmt und weit zu verstehen sind. Auch soll noch gar nichts "Analytisches" ausgesagt sein, gar nichts also über Einfachheit oder Zusammengesetztheit, gar nichts eigentlich "Klassifikatorische"; das Dinghafte also mag vielleicht letzthin doch Gedankliches sein, das alles steht hier noch nicht in Frage. Wohl aber steht noch eine Sonderheit in Frage, die sich an das Erleben von Gedanklichem knüpft: alle Gedanklichkeiten werden in einer zeichen-, oder ton-, oder bedeutungshaften, "unanschaulichen Form erlebt, unter den Zeichen aber, welche sie darstellen, gibt es Endgültigkeitszeichen mit Rücksicht auf Ordnung oder kurz Ordnungszeichen.
Von diesen Ordnungszeichen handelt die Ordnungslehre. Sie ist selbstredend Gegenstandslehre, denn sie redet ja von gedanklichen Zeichen als bewußt gehabten unanschaulichen Gegenständen oder Etwassen, nicht von "meinem diese Zeichen gedanklich Haben"; "meine Gedanken" als Gegenstände treten erst in einer besonderen Ordnungswissenschaft, der Psychologie, auf.
Ist denn nun die Absicht der Ordnungslehre geklärt? Soweit hier überhaupt von Klärung geredet werden kann, gewiß. Freilich mußten die allerursprünglichsten Ordnungstaten für diese Klärung selbst schon angewendet werden, insofern die Selbstbesinnungslehre Verschiedenheiten festhielt. Aber weiter - jenes ganz geheimnisvolle Wissen und Wollen von Ordnung und Ordnungszeichen in ihrer Einzelheit, das blieb denn doch wohl eigentlich ganz ebenso geheimnisvoll, wie es vor dem Exkurs in die Selbstbesinnungslehre gewesen war. Ich weiß eben, was Ordnung ist, will Ordnung und weiß auch, durch welche Bestimmtheiten am Etwas, durch welche Setzungen mit Bezug auf das Etwas mein Wollen Erfüllung findet.
Das ist einmal so - so geheimnisvoll es auch ist.
Reden wir also von Vor- oder Ur-wissen um "Ordnung", von Vor- oder Ur-wollen von Ordnung, um diesem Geheimnisvollen einen an minder Geheimnisvolles wenigstens anklingenden Namen zu geben. Auch vom Urziel oder vom Ur- oder Vor-wert "Ordnung" können wir reden.
Es ist, "als ob" da ein Wissen und Wollen sei - aber kein Wissen und Wollen im üblichen Sinne; es ist "als ob" da ein wertvolles Ziel sei, das "im Lichte der Lust" steht und dessen Erfüllung auf jeder Stufe lustbetont (3) ist - aber kein Ziel von der üblichen Art. Es ist, kurz gesagt, als ob "Logik" eine Aufgabe sei, als ob die Schöpfung der Ordnungslehre die Lösung oder doch den Lösungsversuch einer Aufgabe bedeutet. "Als ob" das so sei, ist die Sachlage, so sagen wir; mehr sagen wir nicht. Aber gleichwohl, meinen wir, lohnt es sich gerade diesem Gedanken weiter nachzugehen.
Damit aber tritt unser Gedankengang in nahe Beziehung zu den Ergebnissen der neueren Phänomenologie und Psychologie des "Denkens". Hat sich die "Denkpsychologie" doch seit ihrer Begründung zu Beginn des neuen Jahrhunderts ganz vornehmlich mit dem Problem der Aufgabe beschäftigt, ganz vornehmlich zumal untersucht, was erlebt wird, wenn man eine Aufgabe "lösen will", wenn man "nachdenkt", "sich besinnt" und dergleichen mehr.
Es scheint in der Tat, als könnten wir ohne alles weitere sagen: Logik treiben heißt eine Aufgabe oder vielmehr die allumfassende Aufgabe zu lösen versuchen, heißt diese Aufgabe als solche zu Beginn des Geschäftes wissend und meinend als "Bewußtheit" erleben, um dann unter ihr stehend, durch sie als durch eine nicht oder doch nur intermittierend erlebte "determinierende Tendenz" bestimmt, nachzudenken, Einfälle zu haben und die "erfüllenden" Einfälle festzuhalten.
Freilich - als ob Logik eine Aufgabe bedeutet, sei die Sachlage, so haben wir gesagt und so sagen wir noch einmal. Denn es liegt da nicht eine Aufgabe vor, wie wenn Aphorismen verstanden, zwei Dichter vergleichend bewertet, eine Frage bejaht oder verneint, mathematische oder syllogistische Sonderaufgaben gelöst werden sollen. Unsere Aufgabe stammt nicht nur nicht aus der "Empirie", sondern nicht einmal aus der Erfahrung überhaupt im weitesten Wortsinne; unsere Aufgabe will dasjenige feststellen, was, zwar nicht im zeitlichen Sinne, vor aller Erfahrung kommt, das, wodurch Erfahrung Erfahrung, das heißt geordnete Erlebtheit, Erlebtheit als ein Gefüge, ein System ist.
Aber könnte nicht phänomenologisch, selbstbesinnlich, die Folge der Erlebnisse beim Lösen der Aufgabe "Logik" der Erlebnisfolge beim Lösen praktischer Sonderaufgaben entsprechend, um nicht zu sagen, mit ihr grundsätzlich identisch sein?
Die Lösung einer praktischen Sonderaufgabe ist "gewollt", nachdem um ihr Dasein "gewußt" war. Das Wissen um ihr Dasein erstand im Laufe des wissenden Erlebens.
Die Lösung der Aufgabe "Logik" nun freilich, schärfer gesagt, die Lösung der Aufgabe Ordnung, ist gewollt auch vom "naiven" Menschen vom ersten Tag seines Lebens an und Ordnung ist auch als Aufgabe gewußt vom ersten Tag seines Lebens an. Als meine Aufgabe ist die Aufgabe "Logik" oder Ordnung mit mir zugleich, sie ist, sowahr ich bin, jedenfalls "ist" sie in demselben Sinne, in dem ich "bin" von mir aussage. Diese Aufgabe heißt wissenwollen.
Nicht also "angeboren" ist die Aufgabe Ordnung, denn ihre Lösung schafft erst den, sehr zusammengesetzten, Begriff angeboren; nicht "instinktiv" ist sie, denn ihre Lösung schafft erst den Begriff Instinkt. Wohl aber darf ich, wenn ich einen "Anderen" als naturwirkliches Objekt beschäftigt sehe mit dem Schreiben eines Werkes solchen Inhalts, daß ich mich durch Analogieschlüsse oder meinetwegen durch "Einfühlung" in ihn als in einen "Logik-Schreiber" versetzen kann, von ihm, von diesem Anderen, sagen, er handle unter einer Aufgabe und zwar unter einer "instinktiv-angeborenen" Aufgabe. (4) Nur von mir darf ich das nicht sagen - wenigstens nicht im Urausgang des philosophischen Unternehmens, welches vielmehr nur eine selbstbesinnliche, eine "methodisch-solipsistisch" Basis (5) haben darf.
Nicht ausgeschlossen ist mit dieser methodischen Vorsicht natürlich die Möglichkeit, daß auf dem Boden einer die Ordnungslehre in der HEGELschen Doppelbedeutung des Wortes "aufhebenden" Metaphysik das ordnende Ich und das geordnete Gegenständliche sozusagen zusammenkommen, daß etwa wirklich das Ordnen, das Erfahrungmachen als "Eigentümlichkeit" von "Monaden" erscheint. Da hätten wir dann einen metaphysischen Psychologismus. Aber ein Psychologismus zu Beginn des philosophischen Geschäftes ist ein Unding; er bedeutet eine naive realistische Metaphysik, die dogmatisch an den Anfang gestellt ist. Ebenso dogmatisch freilich, nur in einem anderen Sinne, ist jede Lehre von einem "Bewußtsein überhaupt" oder dergleichen, wenn sie am Anfang des Philosophierens steht.
Unsere methodisch-solipsistischen, selbstbesinnlichen Einschränkungen sind also nicht aus dem Gedächtnis zu lassen, wenn wir uns nun anschicken, die Ergebnisse der neuen "Denk-psychologie" zu studieren und in unserer Weise darzustellen, um am Ende noch einmal in vertiefter Weise die Logik als Aufgabe zu erkennen.
LITERATUR - Hans Driesch, Die Logik als Aufgabe, Eine Studie über die Beziehung zwischen Phänomenologie und Logik - zugleich eine Einleitung in die Ordnungslehre, Tübingen 1913
Anmerkungen 1) Hans Driesch, Ordnungslehre - ein System des nicht-metaphysischen Teils der Philosophie, Jena 1912. Im folgenden zitiert als O. L. 2) Erst recht dogmatisch-metaphysisch ist es selbstredend, gleich im Anfang vom wirklichen Dasein mehrerer "Iche" oder von einem "überindividuellen" Ich zu reden. 3) Wir denken an das sogenannte "Evidenzgefühl" als Kennzeichen des Gefundenhabens von Ordnungszeichen. 4) Auf die Unterschiede zwischen "Aufgabe", "determinierenden Tendenz" (ACH) und "latenter Einstellung (KOFFKA) kommen wir erst später zu sprechen. 5) DRIESCH, Ordnungslehre, Seite 3 - 8