ra-2 Johannes FallatiF. A. LangeWilhelm OstwaldHermann Schwarz    
 
JULIUS FRAUENSTÄDT
Der Materialismus
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"Mit der realistischen Grundvoraussetzung des Materialismus, daß die objektive, materielle Welt ein Ding ansich sei, stehen und fallen alle seine anderen daran sich knüpfenden Lehren und Behauptungen. Alles, was er von der Welt aussagt, ist zwar wahr, aber nur  relativ  wahr, d. h. nur unter der Voraussetzung des  Intellekts,  in welchem die Welt vermöge der ihm angeborenen Formen sich notwendig so darstellt. Es ist damit bewandt wie mit der Gestalt der Dinge im Spiegel. Die Dinge haben diese Gestalt, die sie uns im Spiegel zeigen, aber eben nur in diesem so beschaffenen Spiegel, in einem anders geschliffenen würden sie ganz anders aussehen."

II. Der Irrtum des Materialismus

In so entschiedenem Gegensatz auch der Materialismus, wie wir gezeigt haben, zur  Theologie,  sowohl zur theistischen als zur pantheistischen steht, so haben doch beide  das  miteinander gemein, daß sie beide  Realismus  sind und als solcher beide unter die Kategorie des  Dogmatismus  fallen, den für immer zu zerstören das große, unsterbliche Verdienst KANTs war. Der Realismus unterscheidet nämlich nicht zwischen der Welt als  Erscheinung  und der Welt als  Ding-ansich sondern setzt stillschweigend voraus, daß die vorgestekktem erscheinende Welt  ansich,  unabhängig vom erkennenden Subjekt,  so  besteht,  wie  sie ihm erscheint. Wie der menschliche Geist vermöge der ihm angeborenen Sinnes- und Verstandesfunktionen genötigt ist, sich die Welt  vorzustellen,  nämlich in den Formen des Raums, der Zeit und der Kausalität, so ist nach dem Realismus die Welt  ansich.  Der Realismus ist also in dieser Hinsicht, so ungläubig und antidogmatisch er auch sonst sein mag,  gläubig,  dogmatisch; er  glaubt  an die Realität der vorgestellten Welt. Und da nun der Materialismus diesen Glauben mit der Theologie, sei sei nun Theismus oder Pantheismus, teilt, so steht er, ohne es zu wissen, mit seiner Gegnerin auf gleichem Grund und Boden. Ob man die Welt theistische als  Werk  oder pantheistisch als  Erscheinung Gottes  oder materialistisch als  Komplex von Stoffkombinationen und Stoffmetamorphosen  betrachtet, das kommt insofern auf eins hinaus, als in allen drei Fällen die objektive, d. h. vorgestellte Welt in der Weise, wie sie vorgestellt wird, als ansich bestehend gedacht wird. Das ist alles eitel Dogmatismus, der mittels der menschlichen Anschauungs- und Denkformen über das Wesen der Dinge abspricht und nicht bedenkt, wie höchst relativ und bedingt alle solche Aussagen sind, wie sie alle eben den menschlichen Geist mit seiner eigentümlichen Organisation und der ihm eigentümlichen Erkenntnisformen zur Grundvoraussetzung haben, also eigentlich nur ein  Gehirnphänomen  sind. Was ist der ganze Materialismus anders als ein Gehirnphänomen? Sind etwa  Kraft  und  Stoff, worauf der Materialismus alles zurückführt, Dinge ansich Der Materialismus  glaubt  es; aber den Beweis dafür ist er uns schuldig geblieben und er wird ihn schwerlich zu liefern vermögen. Kraft und Stoff sind  Gedankendinge,  Produkte des menschlichen Geistes.

So sehr auch der Theologie gegenüber der Materialismus berechtigt ist, indem er nicht von Gott, einem Unbekannten, ausgeht, um zur Welt zu kommen, sondern umgekehrt das Gegebene, Tatsächliche, Bekannte zum Ausgangspunkt nimmt, so müssen wir doch jetzt, wo es gilt den Irrtum des Materialismus aufzudecken, sagen, daß auch er noch nicht den richtigen Ausgangspunkt des Philosophierens ergriffen hat, indem er nicht die Urtatsache,  das Bewußtsein,  zum Ausgangspunkt nimmt, sondern die  objektive Außenwelt als ob diese das ursprünglich, unmittelbar Gegebene wäre, während sie doch bloßes  Objekt  und als solches nur für ein  Subjekt  ist, dieses also zu ihrer Grundbedingung hat.  Kein Objekt ohne ein Subjekt.  "Keine Wahrheit", sagt SCHOPENHAUER mit Recht, "ist gewisser, von allem andern unabhängiger und eines Beweises weniger bedürftig als diese, daß alles, was für die Erkenntnis da ist, also die ganze Welt, nur Objekt in Beziehung auf das Subjekt ist, Anschauung des Anschauenden, mit  einem  Wort: Vorstellung. Natürlich gilt dies wie von der Gegenwart, so auch von jeder Vergangenheit und jeder Zukunft, vom Fernsten wie vom Nahen; denn es gilt von Zeit und Raum selbst, in welchen allein sich all das unterscheidet. Alles, was irgendwie zur Welt gehört und gehören kann, ist unausweichbar mit diesem Bedingtsein durch das Subjekt behaftet und ist nur für das Subjekt da. Die Welt ist Vorstellung! Neu ist diese Wahrheit keineswegs. Sie lag schon in den skeptischen Betrachtungen, von welchen CARTESIUS ausging." (1)

Hätte der Materialismus diese einfache, unumstößliche Wahrheit begriffen, so hätte er denen gegenüber, die sich auf das Bewußtsein und demgemäß auf das Cartesianische "Cogito ergo sum" als das unmittelbar Gewisse berufen, diesen Cartesianischen Gebrauch nicht "einen ebenso nichtssagenden als veralteten logischen Seiltänzersprung" genannt und ihn nicht mit folgendem faden Witz abzufertigen gesucht: "Das  Ich denke  setzt das  Ich bin  bereits voraus; denn wer nicht ist, der denkt auch nicht. Also könnte man ungefähr ebenso wahr und ebenso tiefsinnig sagen: Der Hund bellt, daher ist der Hund. Daß mit solchen Wortspielen nichts gewonnen und nichts zerstört wird, muß auch der blödeste Verstand einsehen." (2) Der blödeste Verstand muß vielmehr einsehen, daß mit dem Cartesianischen "Cogito ergo sum" sehr viel gewonnen ist und sehr viel zerstört wird:  gewonnen  nämlich ein neuer und richtigerer Ausgangspunkt für die Philosophie als der von der objektiven Außenwelt, weil die Realität des erkennenden Subjekt gewisser ist als die des Objekts; und  zerstört  der ganze Dogmatismus, der die Außenwelt für das unmittelbar Gegebene nimmt, so zerstört folglich auch der  Materialismus,  der von der Außenwelt als dem unmittelbar Gewissen aus geht.

Der allein richtige Ausgangspunkt für eine philosophisch besonnene Weltbetrachtung ist unstreitig das  Bewußtsein,  das "Ich empfinde, schaue an, denke"; denn die geringste Besinnung sagt uns, daß wir zunächst nichts von Dingen wissen, sondern nur von Zuständen und Veränderungen unseres Ich, von Empfindungen, Anschauungen, Gedanken. Für den Besonnenen, sagt SCHOPENHAUER mit Recht in dem schon angeführten ersten Paragraphen seines Hauptwerks, gibt es keine Sonne und keine Erde, sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht; eine Hand, die eine Erde fühlt. "Die Welt ist meine Vorstellung" ist, gleich den Axiomen EUKLIDs, ein Satz, den jeder als wahr erkennen muß, sobald er ihn versteht; wenngleich nicht ein solcher, den jeder versteht, sobald er ihn hört. Diesen Satz zu Bewußtsein gebracht und an ihn das Problem vom Verhältnis des Idealen zum Realen, d. h. der Welt im Kopf zur Welt außerhalb des Kopfes, geknüpft zu haben, macht, neben dem Problem von der moralischen Freiheit, den auszeichnenden Charakter der Philosophie der Neueren aus. Denn erst, nachdem man sich Jahrtausende lang im bloß  objektiven  Philosophieren versucht hatte, entdeckte man, daß unter dem Vielen, was die Welt so rätselhaft und bedenklich macht, das Nächste und Erstes  dieses  ist, daß, so unermeßlich und massiv sie auch sein mag, ihr Dasein dennoch an einem einzigen Fädchen hängt; und dieses ist das jedesmalige Bewußtsein, in welchem sie dasteht. Diese Bedingung, mit welcher das Dasein der WElt unwiderruflich behaftet ist, drückt ihr, trotz aller  empirischen  Realität, den Stempel der  Idealität  und somit der bloßen  Erscheinung  auf, wodurch sie, wenigstens von einer Seite, als dem Traum verwandt, ja als in dieselbe Klasse mit ihm zu setzen erkannt werden muß." (3) Beide gehören nämlich in die Klasse der  Gehirnphänomene. 

Der gemeine, realistische Menschenverstand nimmt an, daß die Welt da draußen fertig vorhanden ist und so, wie sie daliegt, in unsern Kopf hereinspaziere. "Aber", sagt SCHOPENHAUER mit Recht, "man muß von allen Göttern verlassen sein, um wähnen, daß die anschauliche Welt da draußen, wie sie den Raum in seinen drei Dimensionen füllt, sich im unerbittlich strengen Gang der Zeit fortbewegt, bei jedem Schritt durch das ausnahmslose Gesetz der Kausalität geregelt wird, in allen diesen Stücken aber nur die Gesetze befolgt, welche wir, vor aller Erfahrung davon, angeben können - daß eine solche Welt da draußen ganz objektiv-real und ohne unser Zutun vorhanden wäre, dann aber durch die bloße Sinnesempfindung in unseren Kopf hineingelangte, woselbst sie nun, wie da draußen, noch einmal dastände." (4) Die bereits von KANT gegebenen Beweise für die Idealität des Raumes, der Zeit und der Kausalität hat SCHOPENHAUER zum Teil berichtigt, zum Teil ergänzt (5) und hat sich dadurch das Verdienst erworben, den enormen Anteil nachzuweisen, den das erkennende Subjekt mit seinen Erkenntnisfunktionen am Zustandekommen der objektiven Welt hat und der dieselbe zu etwas höchst  Relativem  und  Bedingtem  macht.

Die bloße Sinnesempfindung gibt uns, wie SCHOPENHAUER in Übereinstimmung mit der Physiologie der Sinne lehrt, noch keine Erkenntnis der Außenwelt. Sie ist ansich noch ein sehr ärmliches Ding; denn selbst im edelsten Sinnesorgan ist sie nichts mehr als ein lokales, spezifisches, innerhalb seiner Art einiger Abwechslung fähiges, jedoch an sich selbst stets subjektives Gefühl, welches als solches gar nichts Objektives, also nichts einer Anschauung Ähnliches enthalten kann. Die Empfindung jeder Art ist und bleibt ein Vorgang im Organismus selbst, als solcher aber auf das Gebiet unterhalb der Haut beschränkt, kann daher an sich selbst nie etwas enthalten, das jenseits dieser Haut, also außer uns läge. Sie kann angenehm oder unangenehm sein, aber etwas Objektives liegt in keiner Empfindung. Die Empfindung in den Sinnesorganen, die Licht-, Schall-, Duftempfindung usw., ist etwas wesentlich Subjektives, so gut wie jede andere Empfindung im Innern unseres Leibes. Erst wenn der  Verstand,  eine Gehirnfunktion, in Tätigkeit gerät und das Gesetz der Kausalität in Anwendung bringt, geht eine mächtige Verwandlung vor, indem aus der subjektiven Empfindung die objektive Anschauung wird. Des Verstandes wesentliche Funktion ist es nämlich, Veränderungen als  Wirkungen  aufzufassen und zu ihnen die entsprechende  Ursache  zu suchen. Er also faßt vermöge dieser ihm angeborenen apriorischen, aller Erfahrung vorhergängigen Funktion - denn Erfahrung wird erst durch sie möglich - die gegebene Empfindung des Leibes als eine  Wirkung  auf, die als solche eine  Ursache  haben muß. Zugleich nimmt er die ebenfalls im Gehirn prädisponiert liegende Funktion des  äußeren  Sinnes, die  Raumanschauung,  zu Hilfe, um jene Ursache  außerhalb  des Organismus zu verlegen. Bei diesem Prozeß nimmt der Verstand alle, selbst die minutiösesten Data der gegebenen Empfindung zu Hilfe, um ihnen entsprechend die  Ursache  derselben im Raum zu konstruieren. (6) Die objektive Außenwelt ist demnach nichts Fertiges, Gegebenes, das nur durch die Sinne in den Kopf hineinzuspazieren brauchte, sondern der Verstand hat sie allererst mittels seine Funktion aus den Datis der Sinnesempfindung zu schaffen. Die Sinne liefern ihm hierzu weiter nichts als den rohen Stoff, den er selbst erst zu bearbeiten hat. Kurz, die objektive Außenwelt - das hat SCHOPENHAUER überzeugend nachgewiesen - kommt nur zustand mittels der angeborenen, apriorischen, aller Erfahrung vorhergängigen und dieselbe erst möglich machenden Formen des Intellekts.

Übereinstimmend mit SCHOPENHAUER lehrt solches auch Professor HELMHOLTZ in seinem Vortrag "Über das Sehen des Menschen", in welchem er SCHOPENHAUER zwar nicht als seinen Vorgänger nennt, aber doch so übereinstimmend mit SCHOPENHAUER das Sehen als einen durch die apriorische Tätigkeit des Verstandes bedingten Akt erklärt, daß wir kaum annehmen können, HELMHOLTZ habe vor der Abfassung seines Vortrags die SCHOPENHAUERsche Abhandlung vom Sehen nicht gekannt und nicht aus ihr gelernt. "Der Punkt", sagt HELMHOLTZ, "an dem sich Philosophie und Naturwissenschaften am nächsten berühren, ist die Lehre von den sinnlichen Wahrnehmungen des Menschen." Er nennt die von JOHANNES MÜLLER, dem Berliner Physiologen, angestellte Lehre von den spezifischen Sinnesenergien "den bedeutsamsten Fortschritt, den die Physiologie der Sinnesorgane in neuerer Zeit gemacht hat." Er sagt: "Die Qualität unserer Empfindungen, ob sie Licht oder Wärme oder Ton oder Geschmack usw. sei, hängt nicht ab vom wahrgenommenen äußeren Objekt, sondern von den Sinnesnerv, welche die Empfindung vermittelt.  Licht wird erst Licht, wenn es ein sehendes Auge trifft,  ohne dasselbe ist es nur Ätherschwingung." "Gerade dasselbe, was in neuerer Zeit die Physiologie der Sinne auf dem Weg der Erfahrung nachgewiesen hat, suchte KANT schon früher für die Vorstellungen des menschlichen Geistes überhaupt zu tun, indem er den Anteil darlegte, welchen die besonderen eingeborenen Gesetze des Geistes, gleichsam die Organisation des Geistes, an unseren Vorstellungen haben." - "Lichtempfindung ist immer noch kein Sehen. Zum Sehen wird die Lichtempfindung erst, insofern wir durch sie zur Kenntnis der Gegenstände der Außenwelt gelangen; das Sehen besteht also erst im  Verständnis  der Lichtempfindung." HELMHOLTZ weist nach, durch welche geistigen Akte das Verständnis der Lichtempfindung zustande kommt, welche Schlüsse dazu gehören, um von der Lichtempfindung im Auge bis zum Anschauen äußerer Objekte zu gelangen und fährt dann fort, gegen diejenigen Psychologen zu polemisieren, welche die hierhergehörigen geistigen Akte meist unmittelbar mit zur sinnlichen Wahrnehmung gerechnet haben. "Wenn aber das Bewußtsein nicht unmittelbar am Ort der Körper selbst diese wahrnimmt, so kann es nur durch einen Schluß zu ihrer Kenntnis kommen; denn nur durch Schlüsse können wir überhaupt  das  erkennen, was wir nicht unmittelbar wahrnehmen." - "Wie es aber mit dem Auge ist, so ist es auch mit den anderen Sinnen; wir nehmen nie die Gegenstände der Außenwelt unmittelbar wahr, sondern wir nehmen nur Wirkungen dieser Gegenstände auf unseren Nervenapparat wahr und das ist vom ersten Augenblick unseres Lebens an so gewesen. Auf welche Weise sind wir denn nun zuerst aus der Welt der Empfindungen unserer Nerven hinübergelangt in die Welt der Wirklichkeit? Offenbar nur durch einen Schluß; wir müssen die Gegenwart äußerer Objekte, als der  Ursachen  unserer Nervenerregung voraussetzen, denn es kann keine Wirkung ohne Ursache sein. Woher wissen wir, daß keine Wirkungen ohne Ursache sein könne? Ist das ein Erfahrungssatz? Man hat ihn dafür ausgegeben wollen; aber wir sehen hier, wir brauchen diesen Satz, ehe wir noch eine Kenntnis von den Dingen der Außenwelt haben; wir brauchen ihn, um überhaupt nur zu der Erkenntnis zu kommen, daß es Objekte im Raum um uns gibt, zwischen denen ein Verhältnis von Ursache und Wirkung vorkommen kann." - "Die Untersuchung der Sinneswahrnehmungen führt uns also schließlich auch noch zu der schon von KANT gefundenen Erkenntnis, daß der Satz: "Keine Wirkung ohne Ursache", ein vor aller Erfahrung gegebenes Gesetz unseres Denkens sei." (7)

Dieses wohlerwägend, wird man den Wert der Empirie nicht überschätzen. So sehr wir es auch am Materialismus rühmen mußten, daß er sich auf  Tatsachen  stützt, so sehr müssen wir es doch jetzt tadeln, daß er den Wert der empirischen Tatsachen  überschätzt,  indem der meint, gestützt auf sie, das Wesen ansich der Welt ergründen zu können und nicht bedenkt, daß die ganze objektive Erfahrung überhaupt etwas höchst  Relatives, Bedingtes  ist, bedingt nämlich durch das menschliche Empfindungs-, Anschauungs- und Begriffsvermögen oder durch  Sinne, Verstand  und  Vernunft  mit ihren eigentümlichen Funktionen. Es gibt weder am Himmel noch auf Erden eine objektive Tatsache, die uns ein  Ding ansich  kennen lehrte, sondern jede lehrt nur, wie ein gewisses Etwas, ein Unbekanntes, ein  X,  auf unser Erkenntnisvermögen wirkt und selbst dieses, daß ein von uns Unabhängiges da sei, welches durch Einwirkung auf unser Erkenntnisvermögen die Vorstellung der objektiven Welt veranlaßt, daß diese also nicht  bloß  Vorstellung sei, sondern daß ihr etwas Reales, ansich Seiendes zugrunde liege; - selbst diese Annahme kommt nur zustande durch die Tätigkeit unseres Verstandes, der die Vorstellung als Wirkung auffaßt und sie von einer objektiven Ursache ableitet. SCHOPENHAUER hat also ganz Recht, "daß die Welt, so wie wir sie erkennen, auch nur für unsere Erkenntnis da ist" und daß der Realismus, der sich dem rohen Verstand dadurch empfiehlt, daß er sich das Ansehen gibt, tatsächlich zu sein, gerade von einer willkürlichen Annahme ausgeht und mithin "ein windiges Luftgebäude ist, indem er die allererste Tatsache überspring oder verleugnet, diese, daß alles, was wir kennen, innerhalb des Bewußtseins liegt." (8)

Der Materialismus, so frei er auch ist von theologischen Voraussetzungen, teilt doch noch die Voraussetzung des  Realismus,  daß die objektive, vorgestellte Welt ein Ding ansich sei. Denn er nimmt die materielle Natur, von der er ausgeht und aus der er alles, selbst den Geist ableitet, für ein Erstes, Unbedingtes, während doch KANT und noch vollständiger und überzeugender SCHOPENHAUER nachgewiesen hat, daß die objektive, materiell in den Formen des Raums und der Zeit sich ausdehnende und nach dem Gesetz der Kausalität geregelte Natur erst durch die Sinnes- und Verstandesfunktionen zustande kommt, daß also der Geist, den der Materialismus aus der objektiven Natur ableitet, vielmehr selbst Grundbedingung derselben ist, der Geist also nicht die Materie, sondern die Materie den Geist zur Voraussetzung hat. Als  materiell,  d. h. ausgedehnt und wirkend (stofflich und kräftig)  stellen wir uns die Dinge vor,  weil diese Vorstellungsweise notwendig unserem Geist anhaftet. Ob aber die so vorgestellten Dingen auch  ansich  so sind, ob draußen außerhalb unseres Kopfes und unabhängig von demselben die objektive Welt dasteht, wie wir sie anschauen und vorstellen, das ist eine andere Frage. "Will man", sagt SCHOPENHAUER, "den Gedanken, daß die  objektive Welt da wäre,  auch wenn gar kein erkennendes Wesen existierte,  realisieren,  d. h. versuchen, eine objektive Welt ohne erkennendes Subjekt zu  imaginieren,  so wird man inne, daß das, was man da imaginiert, in Wahrheit das Gegenteil von dem ist, was man beabsichtigte, nämlich nichts anderes als eben nur der Vorgang im Intellekt eines Erkennenden, der eine objektive Welt anschaut; also gerade das, was man ausschließen gewollt hatte." (9)

Räumlich, Ausgedehntes gibt es ja nur für ein raumanschauendes Organ und Kräfte nur für den von Veränderungen als Wirkungen zu ihren Ursachen übergehenden Verstand; denn die Ursache einer Veränderung oder das die Veränderung Bewirkende wird vom Verstand einer Kraft zugeschrieben. Folglich heißt: die Dinge aus der Materie, aus dem kraftbegabten Stoff erklären, sie aus etwas erklären, was nur für das erkennende Subjekt existiert und wovon sich durchaus nicht beweisen läßt, daß es auch  ansich  ist und so ist, wie es vorgestellt wird. Die Materie, weit entfernt, das  Unbedingte, Absolute  zu sein, wofür es der realistische Materialismus nimmt, ist vielmehr etwas höchst  Bedingtes  und  Relative,  indem sie, wie SCHOPENHAUER nachgewiesen hat, weiter nichts ist als die objektiv, raumerfüllend angeschaute Kausalität. (10) Nehmt das Vermögen der räumlichen Anschauung und das Vermögen, zu Veränderungen eine sie bewirkende Ursache hinzuzudenken, weg, wo bleibt dann die materielle Welt, wo bleiben Kraft und Stoff?`Wollt ihr etwa behaupten, daß eine rollende Kugel mitsamt dem Raum, in welchem sie dahinrollt, ein Ding  ansich  ist. d. h. daß beide noch das sind und bleiben, als was sie uns erscheinen, wenn auch in der ganzen Welt kein Vermögen mehr sie anzuschauen vorhanden ist? MOLESCHOTT ist zwar dreist genug, zu behaupten: "Das Ding ansich ist das Ding für mich." Aber mit der Dreistigkeit allein ist es nicht getan. Dreistigkeit im Behaupten beweist nichts für die Wahrheit des Behaupteten und so sehr wir im vorigen Abschnitt auch den Wahrheitsmut des Materialismus, der vor keiner Konsequenz zurückschreckt, loben mußten, so sehr fühlen wir uns doch jetzt andererseits veranlaßt, die  Unbesonnenheit  des Materialismus zu tadeln, mit der er Dinge  für  uns, Anschauungs- und Gedankendinge, für Dinge  ansich  nimmt. Anders organisierten Sinnen und einem anders organisierten Geist als dem unsrigen, einem Anschauungsvermögen, dem der Raum nicht in drei, sondern entweder in mehr oder weniger Dimensionen erschiene, einem Verstand, der nicht genötigt wäre, Veränderungen als Wirkungen aufzufassen und zu ihnen eine Kraft als Ursache zu suchen, würde die Welt ganz anders erscheinen. (11) Für die Pflanzen denke man sich eine Anzahl Pflanzen dicht nebeneinander aus dem Boden emporgeschossen. Auf diese wirkt nun mancherlei ein, wie Luft, Wind, Stoß einer Pflanze gegen die andere, Nässe, Kälte, Licht, Wärme, elektrische Spannung usw. Jetzt steigere man, in Gedanken, mehr und mehr die Empfänglichkeit dieser Pflanzen für dergleichen Einwirkungen: da wird sie endlich zur Empfindung, begleitet von der Fähigkeit, diese auf ihre Ursache zu beziehen und so am Ende zur Wahrnehmung; alsbald aber steht die Welt da, in Raum, Zeit und Kausalität sich darstellend, bleibt aber dennoch ein bloßes Resultat der äußeren Einflüsse auf die Empfänglichkeit der Pflanzen. Diese bildliche Betrachtung ist sehr geeignet, die bloß phänomenale Existenz der Außenwelt faßlich zu machen. Denn, wem wird es danach wohl einfallen, zu behaupten, daß die Verhältnisse, welche in einer solchen, aus bloßen Relationen zwischen äußerer Einwirkung und lebendiger Empfänglichkeit entstehenden Anschauung ihr Dasein haben, die wahrhaft objektive, innere und ursprüngliche Beschaffenheit all jener angenommenermaßen auf die Pflanze einwirkenden Naturpotenzen, also die Welt der Dinge ansich darstellen. Wir können uns also an diesem Bild faßlich machen, warum der Bereich des menschlichen Intellekts so enge Schranken hat, wie ihm KANT in der Kritik der reinen Vernunft nachweist." (12)

Mit der realistischen Grundvoraussetzung des Materialismus, daß die objektive, materielle Welt ein Ding ansich sei, stehen und fallen alle seine anderen daran sich knüpfenden Lehren und Behauptungen. Alles, was er von der Welt aussagt, ist zwar wahr, aber nur  relativ  wahr, d. h. nur unter der Voraussetzung des  Intellekts,  in welchem die Welt vermöge der ihm angeborenen Formen sich notwendig so darstellt. Es ist damit bewandt wie mit der Gestalt der Dinge im Spiegel. Die Dinge haben diese Gestalt, die sie uns im Spiegel zeigen, aber eben nur in diesem so beschaffenen Spiegel, in einem anders geschliffenen würden sie ganz anders aussehen. Daher, wenn der Materialismus behauptet: das Beharrliche in allem Wechsel, das allem Entstehen und Vergehen zugrunde Liegende ist der  Stoff,  zu dem sich alle Veränderungen nur verhalten wie die wechselnden Formen, so ist das ganz richtig und unbestreitbar; aber damit ist auch weiter nichts gesagt, als wie  wir  vermöge der Organisation unseres Geistes genötigt sind, uns die Welt vorzustellen. Wir sind nämlich genötigt, zu allem Wechsel, aller Veränderung, ein Beharrliches, eine unveränderliche  Substanz,  an der die Veränderungen vorgehen, hinzuzudenken. Die Materie, als Substanz der Dinge gedacht, ist also ein notwendiger  Gedanke.  Gedanken sind aber nicht ohne ein Denkendes. Weit entfernt also, wie der Materialismus annimmt, etwas Absolutes und Unbedingtes zu sein, ist die Materie vielmehr etwas höchst Relatives und Bedingtes; sie ist der Gedanke des zu allem Wechsel hinzugedachten Beharrlichen. Die  Ewigkeit des Stoffs,  die der Materialismus chemisch-empirisch mittes der Waage nachweisen zu können glaubt, ist keine Tatsache der  Erfahrung;  denn wie sollte die Ewigkeit - ein alle Erfahrung übersteigender Gedanke - Gegenstand der Erfahrung sein können? Sondern die Ewigkeit des Stoffs ist ein notwendiger, dem denkenden Subjekt anhängender, also  apriorischer Gedanke.  Wir sind vermöge der Organisation unseres Geistes genötigt, zu allem Wechsel ein Bleibendes, Beharrliches, Unentstandenes und Unvergängliches hinzuzudenken. Ob aber ein solches  ansich existiert  und  wie  dieses Bleibende ansich beschaffen sei, ob es ein Ausgedehntes, Teilbares oder ein Einfaches, Unteilbares sei, das können wir gar nicht wissen, weil wir überhaupt mittels unserer Erkenntnisfunktionen das  Ansich  der Dinge nicht erfassen können. Es ist also eitel Anmaßung, wenn der Materialismus mit der Ewigkeit des Stoffs eine ewige Wahrheit ausgesprochen zu haben meint. Die Ewigkeit des Stoffs ist bedingt  durch das den Stoff als ewig sich vorstellende Subjekt.  Ist nun aber dieses Subjekt nicht ewig, wie kann da noch von Ewigkeit des Stoffs die Rede sein? Vollends, wie kann man den  ausgedehnten,  teilbaren Stoff für ewig ausgeben, da Ausdehnung nur für einen raumanschauenden Sinn besteht, mit diesem also wegfällt, wie schon der tiefe, traumlose Schlaf beweist, in welchem wir weder von Raum noch Zeit etwas wissen. Die Ewigkeit des Stoffs, weit entfernt, eine  absolute  Wahrheit zu sein, ist vielmehr eine höchst  relative. 

Ebenso, wie mit der vom Materialismus behaupteten  Ewigkeit  des Stoffs, ist es mit den andern dem Stoff beigelegten Prädikaten. Der Stoff wird vom Materialismus, wie ohne Anfang und Ende in der Zeit, so auch ohne Grenzen im Raum angenommen. Aber  empirisch  läßt sich die Endlosigkeit des Stoffs im Raum ebensowenig nachweisen, wie seine Endlosigkeit in der Zeit. Der Materialismus meint zwar, Mikroskop und Teleskop, die uns weder im Kleinen, noch im Großen eine Grenze zeigen, lieferten empirisch den Beweis von der Endlosigkeit des Stoffs. (13) Aber das ist nicht der Fall. Sie berechtigen uns höchstens, zu sagen:  wir  sind noch zu keiner absoluten Grenze des Stoffs gelangt, aber nicht: der Stoff hat  ansich  keine Grenze. A priori läßt sich die Endlosigkeit des Stoffs auch nicht behaupten; dem a priori sind wir nur genötigt, die Endlosigkeit des  Raums  anzunehmen, aber nicht die Endlosigkeit des  Stoffs  im Raum: und gesetzt auch, wir wären a priori genötigt, den Stoff uns als endlos vorzustellen, so wäre das eben wieder nur eine uns angeborene notwendige  Vorstellungsweise  und damit noch keineswegs ausgemacht, daß  ansich  ein grenzenloser Stoff existiert.

Außer der Anfangs- und Endlosigkeit in Raum und Zeit legt der Materialismus dem Stoff  Kräfte  bei und betrachtet diese als  Eigenschaften  des Stoffs. Das Wort  Kraft  bezeichnet aber wiederum nur einen notwendigen Gedanken; denn Kräfte gibt es nur für uns, die wir genötigt sind zu wahrgenommenen Veränderungen ein sie Bewirkendes, eine Ursache hinzuzudenken, die wir alsdann einer Kraft zuschreiben. Wie sehen einen Stein fallen, suchen zu dieser wahrgenommenen Veränderung die Ursache, finden diese in der Anziehung und schreiben diese der Anziehungs kraft  zu. Wie höchst relativ alle solche Kräfte sind, geht daraus hervor, daß die Zahl derselben schwankt und wechselt mit der Entwicklung der Wissenschaften. Manche Kräfte, die man früher für ansich bestehend angenommen hat, sind ganz verschwommen und verschollen und dafür sind neue aufgekommen, wie z. B. der Materialismus sich jetzt bemüht, von der Lebenskraft nachzuweisen, daß sie nur in der Einbildung existiere; andere sind auf eine einfachere Zahl, auf einige wenige ursprüngliche Kräfte reduziert worden. Mit welchem Recht gibt also der Materialismus die naturwissenschaftlich angenommenen Kräfte für ansich bestehende Eigenschaften des Stoffs aus? Sind Anziehung und Abstoßung (Attraktion und Repulsion) nicht bloße  Vorstellungsweisen,  mittels deren wir uns die Verhältnisse der Materie begreiflich zu machen suchen. Ist es nicht offenbar, daß sie nur für  den  entspringen, der nach einer  Ursache  forscht, warum nicht alle Materie in einen Punkt zusammenschwinde oder in unzählige Punkte auseinanderstiebe und der nun jenes der Repulsions-, dieses der Attraktionskraft zuschreibt? Wer will beweisen, daß  ansich  der Materie Attraktions- und Repulsionskraft zukomme? Und abgesehen davon, daß die speziellen Kräfte, die wir der Materie beilegen, nicht sowohl Eigenschaften ihrer selbst ansich, sondern nur  Prädikate,  d. h. Aussagen, Beilegungen des ihre Verhältnisse und Veränderungen sich begreiflich zu machen suchenden Subjekts sind: so ist schon  Kraft  ganz im Allgemeinen ein Verstandesprodukt, denn Kraft ist weiter nichts als die objektiv gedachte Kausalität und tritt folglich erst ein mit dem  Verstand,  dessen Korrelat sie ist. Die Kraft ist  ein, wenngleich notwendiges Erzeugnis des Verstandes,  der sie den räumlich angeschauten Objekten, die er als  Ursachen  der wahrgenommenen Veränderungen betrachtet, beilegt. Wir stellen uns den Stoff als kräftig, wirksam vor, weil wir die empfundenen Veränderungen unseres Leibes: Wärme, Kälte, Helligkeit, Schall, Duft usw., von äußeren, räumlich angeschauten Körpern als Ursachen derselben ableiten; aber weiter läßt sich eben von den Kräften nichts sagen, als daß sie Produkte dieser  notwendigen Vorstellungsweise  sind. Was für eine Kraft man auch nennen möge, sei es die Kraft mechanisch anzuziehen und abzustoßen, die Kraft zu leuchten, zu wärmen, zu tönen, chemisch zu verbinden oder zu scheiden, organisch zu wachsen und zu ernähren usw., kurz von den niedrigsten bis hinauf zu den höchsten Kräften drückt Kraft immer nur eine Eigenschaft aus, die wir den angeschauten Objekten  beilegen,  aber niemals eine Qualität ansich. Jede wahrgenommene  Eigenschaft  überhaupt ist Produkt zweier Faktoren, eines unbekannten Etwas und des erkennenden Subjekts, zu welchem jenes in Beziehung tritt. Von den sinnlichen Eigenschaften, den Farben, Tönen, Gerüchen, Geschmäcken, hat man das schon längst anerkannt; denn sie existieren eben nur für die  Sinne,  sind also keine Eigenschaften der Körper  ansich,  sondern nur  Relationen  derselben zu den Sinnesfunktionen. Für den Blinden gibt es keine Farben, für den Tauben keine Töne und existierte in der ganzen Welt kein Auge und kein Ohr, so gäbe es überhaupt keine Farben und Töne mehr. Nicht sobald sah man dieses von der  Ausdehnung,  von der Räumlichkeit ein; diese hielt man, nachdem die sinnlichen Eigenschaften schon längst als  Relationen  erkannt waren, immer noch für eine  ansich  bestehende Eigenschaft der Dinge, bis denn endlich infolge der Kantischen Kritik (14) erkannt wurde, daß auch Räumlichkeit, Zeitlichkeit und Kausalität keine Eigenschaften der Dinge ansich ausdrücken, sondern nur Relationen eines  X  zu unserem Erkenntnisvermögen.

Hieraus folgt, wie unhaltbar die materialistische Ansicht ist; der Materialismus betrachtet den Stoff als das ansich bestehende Substrat der Kräfte und doch ist Stofflichkeit selbst nur eine  Relation,  drückt nur eine Beziehung des unbekannten Wesens der Dinge zu unserem Raumsinn aus. Als stofflich  erscheinen  uns die Dinge. Folglich macht der Materialismus, ohne es zu wissen, die Kräfte, indem er sie als Eigenschaften des Stoffs definiert, zu Eigenschaften einer  Erscheinung,  eines Gehirnphänomens, also eines höchst Relativen und Bedingten.

"Der Materialismus", sagt SCHOPENHAUER treffend, "ist die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Subjekts." (15) "Die Welt als Vorstellung, wie sie, in Raum und Zeit ausgebreitet, dasteht und nach der strengen Regel der Kausalität sich gesetzmäßig fortbewegt, ist zunächst nur ein  physiologisches Phänomen,  eine Funktion des Gehirns, welche dieses, zwar auf Anlaß gewisser äußerer Reize, aber doch seinen eigenen Gesetzen gemäß vollzieht." (16) "Alles unmittelbare Dasein ist ein subjektives. Das objektive Dasein ist im Bewußtsein eines andern vorhanden, also nur für dieses, mithin ganz mittelbar. (17) "Das unausweichbar Falsche des Materialismus besteht darin, daß er von einer petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] ausgeht, welche sich, näher betrachtet, sogar als ein proton pseudos [erste Lüge - wp] ausweist, nämlich von der Annahme, daß die Materie ein schlechthin und unbedingt Gegebenes, nämlich unabhängig von der Erkenntnis des Subjekts Vorhandenes, also ein Ding ansich sei." (18) "Der Materialismus setzt die Materie und Zeit und Raum mit ihr als schlechthin bestehend und überspringt die Beziehung auf das Subjekt, in der das alles doch allein da ist. Er ergreift ferner das Gesetz der Kausalität zum Leitfaden, an dem er fortschreiten will, es nehmend als ansich bestehende Ordnung der Dinge, veritas aeterna [ewige Wahrheit - wp], folglich den Verstand überspringend, in welchem und für welchen alle Kausalität ist. Nun sucht er den ersten, einfachsten Zustand der Materie zu finden und dann aus ihm alle andern zu entwickeln, aufsteigend vom bloßen Mechanismus zum Chemismus, zur Polarität, Vegetation, Animalität; und gesetz, das gelänge, so wäre das letzte Glied der Kette die tierische Sensibilität, das Erkennen, welches folglich jetzt als eine bloße Modifikation der Materie, ein durch Kausalität herbeigeführter Zustand aufträte! Wären wir nun dem Materialisms mit anschaulichen Vorstellungen bis dahin folgt, so würden wir, auf seinem Gipfel mit ihm angelangt, eine plötzliche Anwandlung des unauslöschlichen Lachens der Olympier spüren, indem wir, wie aus einem Traum erwachend, mit einem mal inne würden, daß sein letztes, so mühsam herbeigeführtes Resultat, das Erkennen, schon beim allerersten Ausgangspunkt, der bloßen Materie, als unumgängliche Bedingung vorausgesetzt war, uns wir mit ihm zwar die Materie zu denken uns eingebildet, in der Tat aber nichts anderes als das die Materie vorstellende Subjekt, das sie sehende Auge, die sie fühlende Hand, den sie erkennenden Verstand gedacht hätten. So enthüllte sich unerwartet die enorme petitio principii; denn plötzlich zeigte sich das letzte Glied als den Anhaltspunkt, an welchem schon das erste hing, die Kette als Kreis  und der Materialist gliche dem Freiherrn von Münchhausen,  der zu Pferd im Wasser schwimmend, mit den Beinen das Pferd, sich selbst aber an seinem nach vorn übergeschlagenen Zopf in die Höhe zieht. Der Behauptung, daß das Erkennen Modifikation der Materie ist, stellt sich also immer mit gleichem Recht die umgekehrte entgegen, daß alle Materie nur Modifikation des Erkennens des Subjekts, als Vorstellung desselben ist." (19)

Diese Betrachtung ist es, die, wie SCHOPENHAUER mit Recht bemerkt, den Aussagen des Materialismus ihre unbedingte Gültigkeit benimmt. Wenn nach dem Materialismus unser Leben nur ein ephemeres [kurzlebiges - wp] Dasein ist und die Natur sich nur daran zu vergnügen scheint, unaufhörlich von neuem hervorzubringen, um unaufhörlich zerstören zu können, demnach nichts bleibend ist, als die  Materie,  die alles aus ihrem Schoß gebiert und wieder, wie ein ewig wiederkäuendes Ungeheuer, verschlingt, so wird dieser Ansicht das Trostlose, das sie hat, dadurch benommen, daß erkannt wird, es komme ihr keine  unbedingte Wahrheit  zu, vielmehr nur durchweg eine  bedingte,  welche KANT treffend als eine solche bezeichnet hat, indem er sie die  Erscheinung,  im Gegensatz des  Dings ansich,  nannte. (20)

"In der Betrachtung und Erforschung der Natur von Gott ausgehen", sagt der Materialismus, "ist eine Redensart ohne Sinn, welche nichts bedeutet und nichts erreicht. Diejenige traurige Richtung der Naturforschung und philosophischen Naturbetrachtung, welche glaubte, von theoretischen Vordersätzen ausgehend, das Weltall konstruieren und Naturwahrheiten auf spekulativem Weg ergründen zu können, ist glücklicherweise längst überwunden und gerade aus der entgegengesetzten wissenschaftlichen Richtung sind jene großen Fortschritte und segensreichen Wirkungen der Naturschung in den letzten Jahrzehnten hervorgegangen. Warum sollen also diejenigen, welche von der Materie ausgehen, die Materie nicht begreifen können? In der Materie wohnen alle Natur- und geistigen Kräfte, in ihr allein können sie offenbar werden, in die Erscheinung treten; die Materie ist der Urgrund allen Seins. An wen anders könnten wir uns daher in der Erforschung von Welt und Dasein zunächst halten, als an die Materie selbst? So haben es von jeher alle Naturforscher gemacht, weilche diesen Namen verdienten und niemandem, der heutzutage mit Verstand nach diesem Titel strebt, fällt es ein, es anders machen zu wollen." (21) Was den ersten Teil dieser Behauptung betrifft, daß mit dem Ausgehen von Gott und von spekulativen Vordersätzen das Wesen der Welt nicht erriecht und ergründet werden kann, so müssen wir beistimmen und haben schon im vorigen Abschnitt beigestimmt. Aber indem der Materialismus, statt von Gott, von der Materie ausgeht, fällt er nur aus einer Vorstellung in eine andere. Die Materie ist sogut nur eine  Vorstellung,  eine  Idee als Gott, ist also ebensowenig ein unmittelbar Gewisses, ein Ding ansich, wie Gott. Wir sagen damit nicht, daß der Vorstellung der Materie als des krafterfüllten Stoffs nicht ein Etwas ansich zugrunde liegt; aber was dieses Wesen ansich der Materie sei, das eben werden wir nie erkennen. Mit dem vom Materialismus gerühmten "Begreifen der Materie" ist es also eitel Anmaßung. Statt dreist zu behaupten: "Die Materie ist der Urgrund allen Seins", hätte der Materialismus besonnener gehandelt, wenn er das  ist  in  erscheint  umgewandelt hätte. Kraft und Stoff, weit entfernt, absolute und unbedingte Weltprinzipien zu sein, wie der Materialismus meint, sind vielmehr höchst relativ und bedingt, bedingt nämlich durch die Sinnesempfindungen unseres Leibes als Wirkung auffassenden und mittels des Raumsinns in eine äußere materielle Ursache verlegenden Verstandes. Der Materialismus hat ganz Recht, daß kein Stoff ohne Kraft und keine Kraft ohne Stoff sei; aber er hat nur hinzusetzen vergessen,  daß alle beide nicht ohne das erkennende Subjekt  sind, welches sich die sinnlich empfundenen Leibesveränderungen als von einem kraftbegabten Stoff herrührend  vorstellt,  also alle beide nichts  Primäres,  sondern etwas  Sekundäres  sind.

Nächst der  Ursprünglichkeit  des krafterfüllten Stoffs und seiner  Endlosigkeit in Raum und Zeit,  behauptet der Materialismus auch seine  Allgemeinheit und die Unabänderlichkeit  seiner Gesetze. Dieselben Stoffe und dieselben Naturgesetze, von denen wir uns hier gebildet und umgeben sehen, setzen nach ihm auch das ganze All zusammen und dieselben sind allerorten in derselben Weise und mit derselben Notwendigkeit tätig, wie in unserer unmittelbaren Nähe, ihre Wirksamkeit ist eine  gleich  und  unabänderliche.(22)

Um uns über dieses "Partout comme chez nous" [überall wie bei uns - wp] klar zu werden, haben wir zu unterscheiden zwischen  apriorischen  und  empirischen  Eigenschaften der Materie. Diejenigen Eigenschaften, ohne die wir uns Materie überhaupt nicht denken können, wie Ausdehnung und Wirksamkeit (Stofflichkeit und Kräftigkeit), Zusammenhang ihrer Teile und Undurchdringlichkeit, Teilbarkeit ins Unendlich, Unentstandenheit und Unvergänglichkeit, d. h. Beharrlichkeit der Substanz im Raum beim Wechsel aller Formen in der Zeit, Bedingtsein jedes Formenwechsels an ihr durch eine vorhergehende Ursache, dieser wieder durch eine andere und so in infinitum [bis in alle Ewigkeit - wp] nach dem Gesetz der Kausalität - alle diese Prädikate und was für welche immer von der Materie sich a priori aussagen lassen, müssen ihr freilich immer und überall zukommen; denn sie konstituieren den  Begriff  der Materie. Von unausgedehnter, kraftloser, zusammenhangloser, absolut durchdringlicher, zerstörbarer, ohne Ursache ihre Formen wechselnder Materie haben wir keinen Begriff, weil alle diese Prädikate dem Begriff der Materie widersprechen. Wir können uns also nie und nirgends eine solche Materie vorstellen. Aber eben dieser Begriff ist ja als  apriorischer,  d. h. als solcher, der aller Erfahrung vorhergeht und unabhängig von ihr ist - da wir a priori gewiß sind, nie und nirgends einen raumlosen, kraftlosen, zusammenhanglosen, durchdringenden, zerstörbaren, ursachlosen formwechselnden Stoff zu finden -, nur ein wenngleich notwendiges  Erzeugnis des menschlichen Geistes,  also von  subjektiver Beschaffenheit.  Mit ihm ist also nur gesagt, daß  wir  uns die Materie immer und überall so vorstellen müssen, aber nicht, daß dieser Vorstellung auch ein eben solches von unserem erkennenden Subjekt unabhängiges  Ding ansich  entspricht. Die  apriorischen  Stoffbestimmungen und Stoffgesetze sind demnach zwar  allgemeine,  aber nur  subjektiv  allgemeine, d. h. nur für den menschlichen Intellekt gültige. Schlagt der Menschheit den Kopf ab und setzt ihr einen andern auf, der frei ist von jener apriorischen Vorstellungsweise und der statt ihrer eine ganz andere besitzt, dann wird sich eben damit auch die ganze Weltansicht ändern.

Was die  empirisch  auf unserer Erde erkannten Stoffe und ihre Gesetze betrifft, so ist, von ihnen  Allgemeinheit,  d. h. Verbreitung durch den ganzen Weltraum, zu behaupten, eine Dreistigkeit, die ihres Gleichen sucht. Woher weiß denn das der Materialismus, daß überall außer unserem Planeten  dieselben  Stoffe und Kräfte sind und nach denselben Gesetzen wirken, als hier? Reicht etwa seine  Erfahrung  in den unendlichen Weltraum hinein? Ist es nicht eine unbefugte Generalisierung, aus einigen Tatsachen, wie die, daß die Meteore, welche auf unsere Erde fallen, dieselben chemischen Grundstoffe enthalten, die wir auf der Erde finden, usw. (23), eine  Allgemeinheit  zu machen? Ist es etwa undenkbar, daß es auf anderen Weltkörpern Stoffe gibt, deren empirische Eigenschaften von denen unserer Erde erheblich abweichen und die nach ganz anderen empirischen Gesetzen wirken? Es ist noch nicht einmal ausgemacht, daß wir auf unserer Erde das Reich der Stoffe und Kräfte schon erschöpft haben daß sich keine neuen mehr entdecken lassen, geschweige daß diese wenigen  uns  bekannten Stoffe und Kräfte das ganze Universum konstituieren sollten. Ein paar Erfahrungen reichen noch nicht hin zur  Generalisierung,  wie sie sich der Materialismus anmaßt. ALEXANDER von HUMBOLDT, die Beschränktheit des Raums bezeichnend, von welchem unsere ganze Kenntnis von der Heterogenität [Verschiedenartigkeit - wp] der Stoffe hergenommen ist, sagt: "Dieser Raum wird ziemlich uneigentlich die  Rinde der Erde  genannt; es ist die Dicke der der Oberfläche unseres Planeten nächsten Schichten, welche durch tiefe spaltenartige Täler oder durch die Arbeit der Menschen (Bohrlöcher und bergmännische Grubenbauten) aufgeschlossen sein." (24) Und hierzu bemerkt BERNHARD COTTA: Die Vergleichung, daß die Dicke der der Beobachtung zugänglichen Erdkruste sich zur ganz unzugänglichen Erdmasse ungefähr so verhalte wie die Papierdicke auf einem Globus von einem Fuß Durchmesser zur ganze Masse des Globus - diese Vergleichung sei zwar nur eine ungefähre, aber eine recht anschauliche. COTTA teilt die neuesten Forschungen über das Verhältnis zwischen den höchsten Bergspitzen und den größten untersuchten Tiefen des Meeres mit. Die Meerestiefe von 43.000 Pariser Fuß, welche Kapitän DENHAM zwischen Rio de Janeiro und dem Vorgebirge der guten Hoffnung am 31. Oktober 1852 unter 36° 49' Südlicher Breite und 37° 6' Westlicher Länge von Greenwich erreicht hat, ist fast 17.000 Pariser Fuß größer als die Höhe des Kintschindjinge, des höchsten dur JOSEPH HOOKER gemessenen Gipfel des Himalaya. Dieser Berg ragt 36.438 Pariser Fuß über den Meeresspiegel, also 69.816 Pariser Fuß oder etwas mehr als drei geographische Meilen über jenen tiefsten Punkt des Meeresbodens. Dieser Zwischenraum vom höchsten bis zum tiefsten Punkt ist aber nicht durchaus der Beobachtung zugänglich. "Wenn wir", sagt COTTA, "alle Umstände berücksichtigen, so reduziert sich die Dicke oder Höhe und Tiefe der Beobachtungszone für die feste Erdmasse außerordentlich und kann höchstens auf 10.000 angenommen werden, gewöhnlich beträgt sie nur 2 - 5000 Fuß oder etwa 1/4000 des Erdradius. Dazu kommt nun noch die Beschränkung in horizontaler Richtung; etwa drei Viertel der Erdoberfläche ist mit fließendem Wasser oder stehendem Wasser bedeckt, große Regionen mit beständigem Eis und Schnee, andere sind als Wüsten fast unzugänglich; man darf wohl behaupten, daß von den Geologen bis jetzt höchstens der fünzigste Teil der Erdoberfläche einigermaßen untersucht worden ist.  Sie sehen wohl ein",  schließt COTTA,  "wie bedenklich es sein muß, aus einem so kleinen Teil auf das Ganze zu schließen."(25)

Dies genügt, um die materialistische Behauptung, daß das ganze Universum aus denselben Stoffen, wie die uns bekannten Körper, zusammengesetzt sei, als eine grandiose Anmaßung zu erkennen. Der Materialismus beurteilt das All nach dem Krähwinkel der Erde, wie jene Kleinstädter, die nie aus ihrem Gäßchen herausgekommen sind, das große Weltleben nach ihren kleinstädtischen Verhältnissen denken. Wir können weder wissen,  daß  die Stoffe im Universum überall dieselben sind, noch daß sie  nicht  überall dieselben sind, weil dieses eben ein Gegenstand der  Erfahrung  ist und unsere Erfahrung, wie gezeigt, nicht sehr weit reicht.

Auch daß die Stoffe überall  dieselben  Wirkungen hervorbringen, - auch gegen diese materialistische Verallgemeinerung lassen sich gegründete Einwendungen machen. Die uns bekannten Stoffe auf Erden wirken zwar immer  gesetzmäßig,  aber bringen nicht immer und überall dieselben Wirkungen hervor, sondern verschiedene je nach der Beschaffenheit dessen,  worauf  sie wirken. Die Erfahrung lehrt, daß ein und dasselbe Agens verschieden auf verschiedene Stoffe und unter verschiedenen Bedingungen wirkt. Denn da jede Wirkung Produkt zweier Faktoren ist, eines Wirkenden und eines Objekts,  worauf  gewirkt wird, so muß sich mit dem einen Faktor auch das ganze Resultat ändern. Anders daher wirken Licht und Wärme auf unorganische, anders auf organische Körper, obwohl in beiden Fällen gesetzmäßig. Innerhalb der unorganischen Natur wirken dieselben Kräfte verschieden, je nach der verschiedenen Beschaffenheit der unorganischen Körper, auf die sie wirken. Die Wirkungsweise des Lichts und der Wärem modifiziert sich je nach den Medien, durch welche hindurch und je nach den Stoffen, auf die sie wirken. Innerhalb der organischen Welt wiederum wirken dieselben Einflüsse verschieden, je nachdem sie auf Pflanzen oder Tiere wirken. Kurz, es gibt keine Kraft, deren Wirkung sich nicht abändern ließe, wenn man sie in eine andere Berührung bringt. Ein Eisenteilchen ist freilich ein Eisenteilchen, ob es im Meteorstein den Weltkreis durchzieht, im Dampfwagenrad auf den Schienen dahinschmettert oder in der Blutzelle durch die Schläfe eines Dichters rinnt (DUBOIS-REYMOND). (26) Aber, daß ein Eisenteilchen in der Blutzelle eines Dichters noch ebenso  wirkt  wie im Meteorsteine oder Dampfwagenrad, das wird uns der Materialismus schwerlich beweisen können, so sehr er sich auch bemüht, die mechanischen und chemischen Kräfte als  im  Organismus ganz auf dieselbe Weise wirkend darzustellen wie  außerhalb  desselben. Ein und dasselbe Agens, das auf unorganische Körper als  mechanisch-chemische Ursache  wirkt, das wirkt auf vegetative Körper als  Reiz,  auf animalische (Tiere und Menschen) als  Motiv.(27) Wärme z. B. kann Wachs schmelzen, Pflanzen zum Wachstum treiben und Tiere oder Menschen zu einer Ortsveränderung, zu einer Reise oder Wanderung veranlassen. Die Wärme wirkt hier augenscheinlich in allen drei Fällen verschieden, weil  das, worauf  sie wirkt, verschieden ist.

In diesem Sinn also, d. h. im Sinn des  Sichgleichbleibens  der  Wirkungen,  kann von Unabänderlichkeit der Naturgesetze nicht die Rede sein. Die Wirkungen der Schwere, des Lichts, der Wärme usw. erleiden Abänderungen, je nachdem die Berührung und die Umstände, in die sie eintreten, verschieden sind. Sie können nicht als in allen Fällen  dieselben  bezeichnet werden; denn nach anderen Gesetzen wirken diese Kräfte in unorganischen, nach anderen in organischen Körpern und jedesmal verschieden unter verschiedenen Bedingungen.

Sollten die Wirkungen der Naturkräfte wirklich unabänderlich sein, so müßte man annehmen, daß auf dieselbe Weise, wie gegenwärtig, in unserer Erdentwicklungsperiode, Pflanzen und Tiere entstehen, nämlich durch  Fortpflanzung,  sie in jeder früheren Periode ebenfalls entstanden sind. Von  Urzeugung,  von welcher der Materialismus redet (28), könnte also nicht die Rede sein. Dasselbe Gesetz, das heute gilt: "Omne vivum ex ovo", d. h. Alles was lebt, entsteht nur aus einem vorher dagewesenen Keim, welcher von gleichartigen Eltern erzeugt worden ist oder durch unmittelbare Fortpflanzung aus einem vorher dagewesenen elterlichen Körper heraus, als aus einem Ei, einem Samen oder auch durch sogenannte Teilung, Knospung, Sprossung usw. - eben dieses heute gültige Gesetz müßte immer bestanden haben. Hat es am Anfang des Entstehens organischer Wesen eine Ausnahme erlitten, nun dann ist ja mit dieser einen Ausnahme schon die Unabänderlichkeit der Naturgesetze widerlegt. Der Materialismus bemüht sich freilich, um seine Behauptung von der Unabänderlichkeit der Naturgesetze aufrechterhalten zu können, nachzuweisen, daß auch heute noch die  generatio aequivoca,  die ungleichartige Zeugung organischer Wesen, ohne vorher dagewesene gleichartige Eltern oder Keime, bloß durch das Zusammentreffen  anorganischer  Elemente und Naturkräfte, möglich sei, wenigstens für die kleinsten und unvollkommensten Organismen. Aber, wie dem auch sei, er gesteht selbst ein, daß die gleichartige Zeugung für die unendliche Mehrzahl der Fälle gültig und die ungleichartige nur zu den  Ausnahmen  zu rechnen sei, ja daß durch die neuesten wissenschaftlichen Forschungen der ungleichartigen Zeugung, welcher man früher einen sehr ausgedehnten Wirkungskreis zuschrieb, immer mehr wissenschaftlicher Boden entzogen worden. (29). Wollte daher der Materialismus konsequent sein, so müßte er, um die Unabänderlichkeit der Naturgesetze aufrecht zu erhalten, annehmen, daß die heutige Naturordnung von jeher bestanden, daß sie  ewig  ist, wie das Dr. <em class=cap>CZOLBE
in seiner "Neuen Darstellung des Sensualismus" (Leipzig 1855) behauptet. Dr. CZOLBE ist ein entschiedener Gegner aller  Kosmogonie;  er behauptet die Stabilität der Himmelskörper, die Stabilität der Erde, die Stabilität der Kristallformen und Organismen. "Ebensowenig", sagt er, "als irgendein Grund für die Annahme einer primitiven Entstehung der Organismen ist, fanden wir auch bei Betrachtung der Petrefakten [Versteinerungen - wp] einen Grund für eine im Lauf der Jahrtausende stattfindende  Entwicklung  oder  Veränderung  ihrer Arten." (30) Also alles ist  stabil;  wie es jetzt ist, so war es im Wesentlichen  immer,  das ist die eigentliche Konsequenz von der behaupteten Unabänderlichkeit der Naturgesetze. Wenn der Materialismus einerseits  kosmogonische Entwicklungsperioden  annimmt, in denen die Naturkräfte verschiedenartig wirkten und doch dabei andererseits  Unabänderlichkeit  der Naturgesetze behauptet, so gerät er mit sich selbst in Widerspruch. Wenn heute organische Wesen auf andere Weise entstehen als ehemals, so haben sich die Naturgesetze der Zeugung geändert.

Es bleibt demnach für die Unabänderlichkeit der Naturgesetze nur der eingeschränkte Sinn übrig, daß die  jedesmal waltenden  Naturgesetze auf konstante, gleichbleibende Weise wirken, d. h. daß unter  gleichen  Umständen und Bedingungen, in  gleicher  Wechselberührung der Naturkräfte das Resultat jedesmal auf dieselbe Weise ausfällt, daß folglich nie durch  Wunder  eine  Ausnahme  von der natürlichen und notwendigen Wirkungsweise der Kräfte eintritt und in diesem gegen das  Wunder  gerichteten Sinne können wir uns allerdings die Unabänderlichkeit der Naturgesetze gefallen lassen; denn wir haben selbst schon gesagt, daß das Gesetz der Kausalität uns nicht befugt, aus der natürlichen Kausalreihe hinaus zu außer- und übernatürlichen Ursachen überzuspringen, daß vielmehr  in  der Natur auch alles natürlich zu erklären sei.

Aber diese Unveränderlichkeit der Naturgesetze ist noch keineswegs identisch mit  ewiger Dauer  derselben, wie sie ihnen der Materialismus beilegt. Zwar,  so lange  als die gegenwärtige Naturordnung dauert, werden die Gesetze derselben auch unabänderlich dieselben bleiben. Aber folgt daraus schon, daß die gegenwärtige Naturanordnung selbst eine ewige, ein unentrinnbares Fatum [Schicksal - wp] ist? Könnte nicht, obwohl  innerhalb  der Natur während einer bestimmten Periode an keine Ausnahmen von der bestehenden Kausalverkettung zu denken ist, diese ganze Art der Kausalverkettung nur eine vorübergehende, nur eine Phase in der Entwicklung der Welt, nur eine untergeordnete Stufe sein und daher, nach Überschreitung derselben, eine ganz andere Ordnung eintreten? Die Naturordnung im Einzelnen kann sich freilich nicht ändern, aber kann sie es ebenso wenig auch im Ganzen? Kann keine neue, von der bisherigen verschiedene Ordnung der Dinge eintreten? Erschöpft die jetzige Naturordnung das ganze Wesen der Natur? Um dieses zu behaupten, müßte man erst nachweisen können, daß die gegenwärtige Naturordnung das ewige  Wesen ansich  der Natur ausmacht.  Empirisch  wird man dieses aber schwerlich beweisen können, denn unsere Erfahrung, wenn auch noch soweit rückwärts in die Vergangenheit reichend, reicht doch nicht in die Ewigkeit hinein. A priori sind wir aber auch nicht genötigt, die gegenwärtige, uns bekannte Naturordnung für  ewig,  d. h. für unentstanden und unvergänglich zu halten. Es läßt sich also dem Materialismus auf die von ihm behauptete Unabänderlichkeit der Naturgesetze erwidern: Wenn die Natur uns auch im Besonderen,  innerhalb  einer bestimmten Periode, eine Konstanz der Gesetze zeigt, so kann sie doch im Ganzen eine Umgestaltung erfahren. Ein Beispiel mag das erläutern: Solange wir Kinder sind, denken und reden wir auf kindische Weise; ein Kind ist ganz und unabänderlich den psychologischen Gesetzen des kindlichen Alters unterworfen, diese Gesetze sind also während des kindlichen Alters herrschend. Aber folgt daraus, daß das Kind ewig Kind bleiben wird? Tritt es nicht, nachdem es die kindliche Stufe zurückgelegt hat, in ein höheres Lebensalter ein und befolgt dann die Gesetze dieses höheren Alters? Könnte es nicht ebenso mit den verschiedenen Weltaltern sein? Wäre es nicht möglich, daß die jetzige Naturordnung mit ihrer Gesetzmäßigkeit nur eine Stufe in der Entwicklung des Weltwesens wäre? Sie für das ewige, unabänderliche Wesen ansich der Welt zu nehmen, dazu nötigen weder empirische, noch apriorische Gründe. Also ist es eitel Anmaßung, wenn der Materialismus die Unabänderlichkeit der jetzt bekannten Naturgesetze behauptet. Sie sind unabänderlich, solange sie  dauern,  wie die Handlungsweise eines Menschen unabänderlich ist, solange sein Charakter dauert; aber sie können vielleicht aufhören und andere an ihre Stelle treten, wie die Handlungsweise eines Menschen eine völlig andere wird, wenn in seinem Charakter eine Revolution, eine Wiedergeburt vorgeht. Daß dieses Gleichnis nicht ohne Grund ist, lehren die geologischen Epochen.

"Es hat sich", sagt BERNHARD COTTA, "aus der Beobachtung der Versteinerungen wenigstens soviel als sicher herausgestellt, daß die meisten der in ihnen vorkommenden Tierarten  jetzt nicht mehr lebend existieren,  sondern ausgestorbene Arten bilden, die oft sehr stark von allen lebenden Formen abweichen. Es gehören aber ferner diese ausgestorbenen Arten keineswegs einer einzigen Schöpfungsperiode,  einer einzigen sogenannten Vorwelt an,  sondern sie rühren vielmehr  aus sehr verschiedenen Perioden her,  deren Organismen zum Teil ebenso sehr untereinander abweichen als von denen der jetzigen Schöpfung.  Die Abweichungen von den jetzigen Formen werden umso größer, in je älteren Schichten sich die organischen Überreste finden,  und dazu ergibt sich zugleich als ein sehr allgemeines Gesetz,  daß in den älteren Gesteinsschichten die höheren Tier- und Pflanzenformen immer mehr und mehr verschwinden,  die Säugetiere schon im Jura oder Keuper [Mesozoikum - wp] die Vögel im bunten Sandstein, die Reptilien mit geringen Ausnahmen im Zechstein, die Fische in der Grauwacke [Gestein des Paläozoikums - wp]. Es ergibt sich daraus also eine allmähliche Entwicklungsreihe organischer Formen, welche zugleich auf einen Anfangspunkt, auf eine Zeit schließen läßt,  in welcher überhaupt noch keine Organismen  lebten. Das ist aber alles ganz in Übereinstimmung mit der Bildungsweise des Erdkörpers, wie wir sie auch aus seiner unorganischen Zusammensetzung zu schließen berechtigt sind." (31)

Hat es mit dieser Geschichte der Organismen seine Richtigkeit, so müssen in den früheren Schöpfungsperioden andere Kräfte und Gesetze gewaltet haben als jetzt. Will man letzteres aber nicht zugeben, so bleibt nur die CZOLBEsche Konsequenz übrig, daß die gegenwärtige Weltordnung  stabil  ist, daß die Erde und die Organismen auf ihr keine Entwicklungsgeschichte haben und das ist eigentlich die  notwendig  aus den Voraussetzungen des Materialismus sich ergebende Konsequenz. Denn sind die chemischen Grundstoffe das alleinige Prinzip aller Dinge und sind deren Eigenschaften (Kräfte) und deren Wirkungsweise unabänderlich, so ist nicht einzusehen, warum dieselben nicht in alle Ewigkeit nur  ein und dasselbe Resultat  haben, warum in verschiedenen Erdperioden so verschiedene Formen und Verhältnisse herrschen. Unveränderliche  Ursachen  müssen ja auch unveränderlich immer  dieselben Wirkungen  haben (32).

Um die große Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Organismen und das Hervorgehen der höheren aus den niederen, sowie des gesamten organischen Reichts aus dem unorganischen erklären zu können, behauptet der Materialismus, sie seien bloß verschiedene Kombinationen oder Gruppierungen derselben Grundstoffe. Aber bei der zugleich behaupteten Notwendigkeit und Unabänderlichkeit des Wirkens der Grundstoffe sind auch nicht einmal verschiedene Kombinationen und Gruppierungen denkbar. Wie sie sich einmal verbinden, so müssen sie sich immer verbinden. Woher sollen also die unendlich nuancierten Kombinationen und Gruppierungen kommen? Kombinieren sich die vorhandenen Grundstoffe das eine mal so, das andere mal anders, das eine mal nur zu unorganischen, das andere mal zu organischen Körpern und innerhalb dieser wieder verschieden in verschiedenen geologischen Perioden und in verschiedenen Gattungen des Tier- und Pflanzenreichs, - wie kann da noch eigentlich von  Unabänderlichkeit  ihres Wirkens die Rede sein? Fordert nicht diese behauptete Unabänderlichkeit, daß auch die  Kombinationen und Gruppierungen  ewig dieselben seien und bleiben? Lassen sich veränderte Kombinationen und Gruppierungen aus dem unabänderlichen Wirken derselben Grundstoffe erklären? Einen von außen stoßenden und kombinierenden Gott, der die Stoffe verschieden gruppiert, gibt es ja nach dem Materialismus nicht, sondern diese kombinieren sich von selbst durch innere Kräfte. Woher also die große Verschiedenheit der Kombinationen bei unveränderlicher Gleichheit des Wirkens der Kräfte? Die Antwort darauf ist uns der Materialismus schuldig geblieben.

Wir haben es am Materialismus gerühmt, daß er  Monismus  ist, d. h. daß er alle Dinge auf  ein immanentes Urprinzip  zurückführt, also den dualistischen Gegensatz zwischen Gott und Welt, Geist und Materie aufhebt. Aber der materialistische Monismus ist, wie wir jetzt sehen, noch mit dem Mangel behaftet, daß er  Einheit  als  Einerleiheit  faßt, daß er innerhalb der wesentlichen Einheit der Natur den  Unterschied  nicht zu seinem Recht kommen läßt, wie sich besonders in seiner Leugnung des Unterschiedes zwischen organischen und unorganischen Prozessen, in seiner Zurückführung des organischen Lebens auf mechanisch-chemische Ursachen und demgemäß in seiner Leugnung aller  Teleologie  zeigt (33). Diese Aufhebung des Unterschiedes der Gattungen, diese Zurückführung des ganzen Reichtums der Natur auf dieselben chemischen, nur verschieden kombinierten und gruppierten Grundstoff ist nicht zufällig, sondern hängt mit der vom Materialismus behaupteten  Alleinherrschaft des Stoffs notwendig  zusammen. Wird einmal angenommen, daß durch das ganze Universum dieselben Stoffe und Kräfte walten und unabänderlich wirken, so fordert es natürlich die Konsequenz, alle noch so heterogenen Naturprodukte auf dieselbe Weise entstanden, zu erklären.  "Die Welt ist ein unendliches Ganzes, zusammengesetzt aus denselben Stoffen, getragen von den nämlichen Kräften"  - aus dieser Generalisierung, zu der sich der Materialismus durch einige Tatsachen befugt, folgert derselbe, daß nicht nur auf der  Erde  alles auf einerlei Weise gebildet ist, sondern auch überhaupt  im ganzen Universum.  "Sollte es denkende Wesen außerhalb unseres Planeten geben - und es ist dies wahrscheinlich, da nicht einzusehen ist, warum nicht gleiche Ursachen auch gleiche Wirkungen hervorbringen sollen -. so muß ihr Denkvermögen gleich dem unsrigen sein, wenn auch vielleicht der Quantität nach verschieden. Auch die körperliche Bildung ihrer Organe muß im Wesentlichen dieselbe sein, wenn auch vielleicht im Einzelnen verschieden je nach Beschaffenheit und Einwirkung der äußeren Umstände. Gleiche Stoffe und Kräfte produzieren bei ihrer Begegnung auch Gleiches, wenn auch in unendlich verschiedenen und mannigfaltigen Farben und Nuancierungen." (34) Auf der Erde sind nach dem Materialismus  dieselben  Keime durch sehr verschiedene äußere Umstände zu sehr heterogenen Entwicklungen gebracht worden. "Aus dem unscheinbarsten Anfang, dem einfachsten organischen Formelemente, welches eine Vereinigung anorganischer Stoffe auf dem Weg der unfreiwilligen Zeugung zustande brachte, aus der dürftigsten Pflanzen- oder Tierzelle konnte sich fortschreitend mit Hilfe ungewöhnlicher Naturkräfte und endloser Zeiträume jene ganze reiche und unendlich mannigfaltig gegliederte organische Welt entwickeln, von der wir uns umgeben finden." (35) "Unvermerkt geht die Pflanze in das Tier, das Tier in den Menschen über. Trotz aller Bemühungen ist man doch bis auf den heutigen Tag nicht imstande gewesen, eine feste Grenze zwischen Tier- und Pflanzenreich, zwei anscheinend so streng getrennten Abteilungen organischer Wesen, aufzufinden, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß man es jemals imstande sein wird. Ebensowenig existiert jene unübersteigliche Grenze zwischen Mensch und Tier, von welcher man soviel reden hören muß." (36) "Das  Leben  entspringt nicht aus der sogenannten Lebenskraft, sondern es ist unzweifelhaft, daß es nichts weiter ist als ein Produkt des Zusammenwirkens anorganischer Kräfte. Die bekannten anorganischen Kräfte wirken in der  lebenden  Natur ganz in derselben Weise in der  toten.  Der Unterschied des Organischen und Anorganischen ist ein durchaus unwesentlicher. Der Begriff einer besonderen organischen Kraft ist also aus der Wissenschaft zu verbannen. Die Natur, ihre Stoffe und Kräfte, stellt nur ein einziges unteilbares Ganze ohne Ausnahme dar. Jene strenge Trennung, welche man zwischen "organisch" und "anorganisch" vornehmen wollte, ist nur eine gewaltsame und es besteht ein Unterschied zwischen ihnen nur in Bezug auf die äußere Form und Gruppierung der stofflichen Atome, nicht aber dem Wesen nach." (37)
LITERATUR: Julius Frauenstädt, Der Materialismus - Seine Wahrheit und sein Irrtum [Eine Erwiderung auf Büchners "Kraft und Stoff"], Leipzig 1856
    Anmerkungen
    1) ARTHUR SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung I, § 1.
    2) GEORG BÜCHNER, Kraft und Stoff, 3. Auflage, Seite XIX
    3) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 1
    4) SCHOPENHAUER, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, 2. Auflage, Seite 51
    5) Vgl. meine "Briefe über die Schopenhauersche Philosophie", Brief 13
    6) Vgl. den näheren Nachweis davon in SCHOPENHAUERs "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Gunde", 2. Auflage, § 21, in der Abhandlung "Über das Sehn und die Farben", Kap. 1: "Vom Sehn".
    7) "Über das Sehen des Menschen - ein populärwissenschaftlicher Vortrag, gehalten zu Königsberg in Preußen zum Besten von Kants Denkmal, am 27. Febr. 1855, von H. HELMHOLTZ, ordentlichem Professor der Physiologie" (Leipzig 1855). Hätte HELMHOLTZ es nicht verschmäht, SCHOPENHAUER als seinen Vorgänger zu nennen, so hätte er auch auf die Berichtigung hinweisen müssen, die der KANTsche Beweis der Apriorität des Kausalitätsbegriffs durch SCHOPENHAUER erfahren. (Vgl. "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund", 2. Auflage, § 21 und 23
    8) ARTHUR SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 1, Zur idealistischen Grundansicht".
    9) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Seite 6
    10) Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 24; I, Seite 9. Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund", Seite 77
    11) "Eine vollkommene Kenntnis der Dinge ansich, selbst der im Raum faßlichen, gibt es nicht; denn jedes Wissen ist nur ein Wissen durch unsere Organisation und den eigenen materiellen Verhältnissen entsprechend. Das zusammengesetzte Auge eines Schmetterlings sieht den Gegenstand anders als das menschliche, die Spinne hat verschiedene Sehorgane für nah und fern und da vielen Tieren der Gesichtssinn ganz abgeht, sie also in dieser Richtung gar keine Empfiänglichkeit haben, können wir nicht in Abrede stellen, daß es in der Natur erkennbare Objekte geben mag, für welche auch unsere Organisation keinen Sinn hat, also keinen Weg der Erkenntnis. Es ist daher unser Wissen überall nur ein relatives, nur die Beziehung unserer Organisation zu den Gegenständen, unsere Wahrheit nur ein Fürwahrhalten. Alle Naturgesetze, welche wir aufstellen, sind nur Gesetze der inneren Notwendigkeit unseres materiellen Daseins in Beziehung auf die Natur, darum sind sie nicht allgemeine Naturgesetze und nur gebietend, so weit unser Anschauungsvermögen reicht." ("Die Gebietsgrenzen der Naturwissenschaften, Vortrag in der öffentlichen Sitzung der SENKENBERGschen Gesellschaft, von Dr. STIEBEL senior", Frankfurt a. M. 1855, Seite 6f.)
    12) SCHOPENHAUER, Parerga und Paralipomena II, § 33
    13) Vgl. GEORG BÜCHNER, Kraft und Stoff, im Kapitel "Unendlichkeit des Stoffs".
    14) Vor KANT behauptete schon MAUPERTUIS, daß die Ausdehnung in gleiche Kategorie mit den sinnlichen Eigenschaften zu stellen sei. Vgl. meine "Briefe über die Schopenhauersche Philosophie", Brief 14
    15) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Seite 15
    16) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Seite 286
    17) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Seite 281
    18) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Seite 315
    19) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung I, Seite 31
    20) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Seite 289
    21) GEORG BÜCHNER, Kraft und Stoff, 3. Auflage, Seite 30
    22) Vgl. BÜCHNER, Kraft und Stoff, in den beiden Kapiteln über die "Allgemeinheit" und "Unabänderlichkeit der Naturgesetze".
    23) Vgl. BÜCHNER, Kraft und Stoff, im Kapitel über die "Allgemeinheit der Naturgesetze".
    24) ALEXANDER von HUMBOLDT, Kosmos I, Seite 166
    25) BERNHARD COTTA, Briefe über Alexander von Humboldts "Kosmos", Bd. 1, Brief 13, in der dritten Ausgabe.
    26) Vgl. BÜCHNER, Kraft und Stoff, zu Anfang.
    27) Über diese drei Arten von Ursachen vgl. SCHOPENHAUER, Über den Willen in der Natur, 2. Auflage, Seite 80f
    28) Vgl. BÜCHNER, Kraft und Stoff, im Kapitel "Urzeugung".
    29) Vgl. BÜCHNER, Kraft und Stoff im angeführten Kapitel.
    30) Vgl. HEINRICH CZOLBE, Neue Darstellung des Sensualismus, Leipzig, 1855, Seite 172. CZOLBE betrachtet die Petrefakten "als Teil einer ewig dagewesenen, auch die heutigen Pflanzen und Tiere umfassenden Organisation, die allmählich ebenso ausstarben, wie auch heute noch Organismen aussterben (Seite 162).
    31) Briefe über Alexander von Humboldts "Kosmos", Bd. 1, Brief 25, in der dritten Ausgabe.
    32) Demgemäß leugnet CZOLBE, "daß aus den Tier- und Pflanzenarten in den unteren Sedimenten allmählich andere und immer andere Arten entstanden seien, bis sie die Beschaffenheit der heutigen erlangten". Wie die chemischen Grundstoffe stets sich nur in ganz bestimmten unveränderlichen Verhältnissen zu ganz konstanten Kristallformen verbinden und diese Grenzen niemals verwischt werden, so seien auch die Arten der Organismen unveränderlich, keine entstehe aus der andern (Seite 162).
    33) Vgl. BÜCHNER, Kraft und Stoff in den Kapiteln über die "Zweckmäßigkeit in der Natur", über die "Lebenskraft" und über "Urzeugung".
    34) BÜCHNER, Kraft und Stoff, 3. Auflage, Seite 51, im Kapitel über "Allgemeinheit der Naturgesetze".
    35) BÜCHNER, Kraft und Stoff, im Kapitel über "Urzeugung", 3. Auflage, Seite 92
    36) BÜCHNER, ebenda, Seite 97
    37) BÜCHNER, Kraft und Stoff, im Kapitel "Lebenskraft".