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Über die Entwicklung der Erkenntnis
Hochansehnliche Versammlung! Die Universität ist die Schule für die Wissenschaft und ihr Ziel das der Erkenntnis aller Dinge. Ich halte es daher nicht für ungeeignet, wenn ich es versuche, vor dieser Versammlung strebender Männer und Jünglinge in allgemeinen Umrissen darzulegen, wie sich beim einzelnen Menschen von den ersten Anfängen an die Erkenntnis entwickelt und mehrt, und wie dieselbe die Fortschritte in der Kultur des ganzen Geschlechts durch Überlieferung auf die Nachkommen bedingt. Die Erörterung dieser Fragen läßt uns einen tiefen Blick tun in das Leben und Treiben des menschlichen Geistes, denn wir sehen hier auf einen historisch berühmten Kampfplatz herab, auf welchem die edelsten und schärfsten Denker aller Zeiten gestritten haben. In der Tat, die zeitweilige Auffassung von der Entwicklung der Erkenntnis hat vielfach bestimmend auf die ganze Versammlung eingewirkt. Betrachtungen dieser Art machen außerdem auf die Gefahren und Abgründe aufmerksam, welche uns auf dem mühsamen Weg zu Erkenntnis bedrohen, aber auch zugleich auf die Mittel, durch die wir uns vor Fehltritten möglichst zu bewahren vermögen. - Das Wissen und Können ist dem Menschen nicht angeboren, es muß von ihm vielmehr durch angestrengte Arbeit allmählich erworben werden. In dieser Beziehung nehmen wir eine in hohem Grad merkwürdige Verschiedenheit zwischen Mensch und Tier wahr. Das Tier ist bei der Geburt in seinen Kenntnissen und Fertigkeiten weiter entwickelt und befindet sich dem erreichbaren Ziel ungleich näher als der Mensch; dies tritt im Allgemeinen umso mehr hervor, je niederer dasselbe in der Formenreihe steht. Viele fertige Vorstellungen und Fähigkeiten haben sich bei den Tiergeschlechtern in einer seit Jahrtausenden gleichbleibenden Weise festgesetzt und werden ihnen als Aussteuer der Natur mit auf den Weg gegeben. Die Individuen lernen während des Lebens verhältnismäßig wenig mehr dazu. Man könnte, wenn ich hier eine mögliche Erklärung dieses Verhaltens andeuten darf, sich vorstellen, die geistige Tätigkeit einer Tierart sei durch unzählige Generationen hindurch eine so beschränkte, stets auf das gleiche Endziel gerichtete gewesen, daß die Wege in dem Gehirn, an welchen jene Erscheinungen vor sich gehen, durch den fortwährenden Gebrauch geebnet wurden, un so die vererbbare Eigenschaft erlangten, ohne weitere Erfahrung und Übung, auf irgendeine Anregung hin, die instinktive Handlung zum Ablauf zu bringen. Darum bewegt ein eben aus dem Ei geschlüpftes Hühnchen mit vollendeter Fertigkeit seine Glieder zu bestimmten Zwecken, pickt alsbald das Futter auf und beurteilt die Gegenstände der Außenwelt in ihrer Größe und Entfernung. Der Mensch dagegen tritt hilfloser und unentwickelter als irgendein anderes Wesen ins Dasein. Jeder muß die einfachsten Verrichtungen wie z. B. den geordneten Gebrauch seiner Glieder, der Sprachwerkzeuge und manche dem Tier eingepflanzte Vorstellungen erst mit Mühe erlernen. Das neugeborene Kind zeigt kaum Spuren eines Seelenlebens; es ist zwar alsbald zu Sinnesempfindungen befähigt, jedoch werden diese noch nicht mit Vorstellungen verbunden; nur an die von der Haut aus erregten Empfindungen knüpfen sich einige dunkle, schon im Mutterleib gewonnene und geübte Vorstellungsakte an. Der junge Weltbürger weiß noch so gut wie nichts von sich selbst oder von der Außenwelt, und er ist noch nicht imstand zu denken. Nach der vorhin ausgesprochenen Idee über die Ursache der Vererbung von Trieben beim Tier müßte man annehmen, daß der Mensch, weil er nicht so einseitig nur nach einer Richtung, sondern in viel mannigfaltigerer Weise tätig ist, bestimmte und wenige Bahnen des Gehirns nicht ausschließlich benützt und denselben deshalb auch keine forterbbaren Eigenschaften aufdrückt. Er bringt daher keine oder nur wenige Fertigkeiten als schon entwickelte Triebe vollendet mit auf die Welt, wohl aber eine vielleicht immer größer werdende Befähigung und Anlage zu einer vielseitigen Ausbildung und zur Erwerbung der verschiedenartigsten Kenntnisse. - Es ist unzweifelhaft, daß die Nachrichten, welche der Mensch von der Außenwelt empfängt, seine ersten und hauptsächlichsten Lehrmeister sind. Erzitterungen der Materie, nämlich des den unermeßlichen Weltenraum erfüllenden Äthers und der wägbaren Teilchen, treffen unseren Körper und setzen dort für bestimmte Formen jener Bewegungen besonders eingerichtete Organe, die verschiedenen Sinnesorgane, in Mitbewegung, ähnlich wie die Windstöße die Saiten einer Aeolsharfe in Schwingungen versetzen oder die Lichtwellen die Silbersalze auf einer photographischen Platte zerlegen. Die Bewegung des Sinnesorgans pflanzt sich mit der Schnelligkeit einer Botschaft tragenden Brieftaube durch den verbindenden Nerven hindurch nach bestimmten Teilen des Gehirns fort, wo nach all den reinen physikalischen Bewegungsvorgängen eine neue Erscheinung, der erste psychische Akt, die Empfindung, ausgelöst wird. Auf diesen durch die Anstöße der Außenwelt veranlaßten Empfindungen beruth unsere gesamte Kenntnis der Welt. Denken wir uns ein menschliches Wesen von Geburt an ohne Sinnesorgane, ein Wesen, völlig gleichgültig gegen Berührung mit anderen Körpern, gegen verschiedene Temperaturgrade, sowie bei den Bewegungen seiner Muskeln, ein Wesen, welches den Duft der Blumen, den Wohlgeschmack der Speisen nicht kennt, keine Kunde erhält von den die mannigfaltigen Tonempfindungen bedingenden Erschütterungen, und sich nie am Licht und der Pracht der Farben erfreut hat, es würde nichts ahnen weder von den äußeren Dingen, noch vom eigenen Körper: die Welt wäre für dasselbe nicht vorhanden, weil sie ihm keine Zeichen ihrer Existenz zu geben imstande ist. Man vermag sich anfangs kaum eine richtige Vorstellung davon zu machen, welches Dasein einem solchen Wesen beschieden wäre. Trotz intakten Gehirns würde es keine Entwicklung geistiger Fähigkeiten zeigen, un wie eine Pflanze dahin leben, denn nur aus den Erfahrungen von den Vorgängen außerhalb von und in uns erwächst allmählich der Inhalt für die Gedanken. Und selbst wenn es einen Gedanken hätte, es könnte ihn nicht äußern, da ihm die Sprache oder andere Mittel ihn auszudrücken fehlen und da es kein Wesen kennt, dem es Mitteilungen zu machen vermöchte. Bei Menschen ohne Sinnesorgane würde keine Wissenschaft existieren, Werke der Kunst wären unmöglich, es bestände keine Familie und kein Staat, auch kein Recht, keine Unterscheidung von Gut und Böse, sowie keine Ahnung von einem Höheren und Unbegreiflichen. Ein so beschaffenes, Mitleid und zugleich Grauen erregendes menschliches Geschöpf ist noch nicht zur Beobachtung gelangt, wohl aber solche, bei denen mit Ausnahme des auf eine ausgedehnte Fläche verteilten Hautsinnes und des Muskelsinnes alle übrigen Sinne seit frühester Jugendzeit nicht mehr funktionierten. Es ist namentlich ein genau beobachteter Fall von einem Mädchen bekannt, welches im zweiten Lebensjahr durch eine schwere Erkrankung blind und taub geworden war und auch des Geschmacks- und Geruchssinns beraubt wurde. Das lalentvolle Kind suchte mit unersättlicher Wißbegier und gespanntester Aufmerksamkeit auf dem einzig schmalen Pfad, durch den es mit der übrigen Welt in Verbindung stand, Kenntnisse zu gewinnen. Im zehnten Lebensjahr besaß es ein gutes Urteil über räumliche Verhältnisse, sowie eine wohl ausgebildete Zeitvorstellung. Es war geschickt mit einer Nadel, konnte kleine Zahlen addieren und subtrahieren, gebrauchte mit Fertigkeit die Fingersprache und schrieb leserlich. Es hatte Sinn für Anstand und gutes Betragen, eine Auffassung vom Tod und unterschied sehr wohl Recht und Unrecht. Daraus geht die hohe Bedeutung des Tastsinns für die Erfassung der Außenwelt und für die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten klar hervor. Es beginnt alsbald das Erlernen von Kenntnissen, wenn auch nur eine Pforte für die Einwirkung der Außenwelt eröffnet ist. Dieselbe führt in intellektueller und sittlicher Hinsicht zu nicht geringer Ausbildung und zu denselben Grundsätzen der Logik und Moral wie das Zusammenwirken aller Sinne. Wir erfahren aber auch, wieviel in der Erkenntnis mangelt, wenn nur wenige von den Körpern ausgehende Bewegungen Zutritt in unser Inneres erhalten. - Wir blicken mit unserem Geist nicht in die Außenwelt hinaus, wie man gewöhnlich meint, sondern wir müssen geduldig warten, ob von letzterer Boten ihren Weg zu uns finden. Die Sinne erfassen daher nicht alles, was sich um uns herum befindet und vor sich geht. Wenn ein einziger Sinn tatsächlich nur einen gar ärmlichen Aufschluß verschafft, so ist von vornherein zu erwarten, daß fünf derselben uns ebenfalls nur einen Teil und nicht das Ganze erschließen. Wir glauben zwar die Dinge ansich wahrzunehmen, aber das ist gar nicht der Fall, sondern es versetzen nur gewisse von den Dingen ausgehende Bewegungen Teile unseres Körpers in Erschütterungen, welche nach bestimmten Stellen des Gehirns getragen, dort einen Bewegungsvorgang auslösen, der zur Empfindung führt. Die Meisten verwechseln diese Reaktion des Gehirns mit ihrer Ursache, und denken sich im äußeren Raum das Licht glänzen oder die Töne klingen. Außerhalb von uns gibt es aber nichts weiter als die den Weltenraum mehr oder weniger dicht erfüllenden Atome der Materie, die sich in Ruhe oder in Bewegung befinden; also kein Licht und keine Farbe, keinen Laut und keinen Ton, keine Wärme oder Kälte, sowenig wie Schmerz, sondern nur gleichgültige Bewegungen der Materie. Mit den empfindenden Wesen werden auch Licht und Ton begraben, und wenn einmal ein Zeitpunkt eintreten sollte, wo alle lebendige Kraft auf dem Erdball in einer Spannkraft gefesselt ist, dann ist der Bewegung der Materie Stillstand geboten und ein mit allen Sinneswerkzeugen ausgerüsteter Mensch würde, wenn er unter solchen Umständen zu leben vermöchte, nichts mehr von der Außenwelt wahrnehmen. Für den Menschen existieren demnach die äußeren Dinge nur so weit, als sie ihn in Bewegung zu setzen imstande sind. Manche von Körpern ausgesandte Bewegungsformen gehen zwar als solche spurlos an den Sinnesorganen vorüber, aber doch erlangen wir davon Kenntnis, nämlich dann, wenn sie sich in eine andere Bewegungsform umsetzen lassen, für welche wir empfänglich sind. Wir spüren z. B. direkt nichts von den intensiven magnetischen Strömen an unserer Erde; dieselben blieben uns daher völlig unbekannt, würde nicht das weiche Eisen durch sie gerichtet, dessen Wirkungen wir durch Auge und Gefühl wahrnehmen. Eine Anzahl von Bewegungen wird uns dagegen gewiß auf keine Weise bekannt. Ist die Entfernung der Körper zu beträchtlich, so erreichen uns die von ihnen entsendeten Boten nicht, ist ihre Masse zu klein, dann ist die von ihnen ausgehende Bewegung zu schwach. Es können weiterhin noch unbekannte Bewegungsformen an den uns bekannten Stoffteilchen ablaufen, für die wir keine Sinnesorgane besitzen, und die nicht befähigt sind, zu einer stärkeren Gesamtwirkung zusammenzutreten. Ja, es ist wohl möglich, daß die Materie, sowie sie in der Zeit und im Raum endlos erscheint, es auch in ihrer Masse ist, und in einer unendlichen Reihe für uns unwägbare, nicht wahrnehmbare Teilchen existieren, die ihre Schwingungen auf andere Materien nicht übertragen, noch viel kleiner als die des Äthers. So steckt schon die beschränkte Befähigung der Sinnesorgane eine Schranke für die menschliche Erkenntnis und läßt nur einen Teil der Erscheinungen in der Natur erfassen. Es ist wahrscheinlich, daß es Körper gibt und Bewegungen, von denen wir nichts wissen und begreifen, da sie uns nichts mitteilen und unsere Materie nicht affizieren. - Die Empfindung ist der erste und einfachste psychische Akt, hervorgerufen durch eine rein physikalische Ursache und begleitet von einer Bewegung materieller Teilchen des Gehirns. Es ist gelungen, die Dauer einfacher Seelenhandlungen zu messen, sowie einen funktionellen Zusammenhang aufzufinden zwischen dem äußeren Reiz und der nach einer langen Reihe physischer Vorgänge folgenden Empfindung. Durch die Entdeckung dieser meßbaren Beziehung zwischen Leib und Seele ist eine Bresche geöffnet, durch welche das Experiment in das demselben so lange verschlossene Gebiet des Psychischen übertragen werden kann. Es liegt nicht in meiner Absicht, hier auf das große Rätsel, welches den menschlichen Geist beschäftigt, solange es denkende Menschen gibt, näher einzugehen, nämlich auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Leib und Seele. Ist die Seele das Resultat rein stofflicher Vorgänge, wenn auch möglicherweise an noch unbekannter Materie oder unter Wirkung noch unbekannter Bewegungen? Oder sind Leib und Seele zwei verschiedene, nur zeitlich miteinander verbundene Wesen, ersteres mit den Eigenschaften der materiellen Natur begabt, letzteres einer anderen, für unsere Organisation unerforschlichen Welt angehörend? Wer gibt uns auf die Fragen Antwort und wird es jemals gelingen, das Geheimnis zu enthüllen? Der Mensch hat die Aussicht, alle materiellen Vorgänge am Gehirn beim Empfinden und Denken zu ergründen, so genau wie die Bewegungen der Tasten und der Saiten des Klaviers beim Spielen oder die Bahnen der Gestirne. Aber aus den sicher materiellen Erscheinungen im Gehirn tritt uns, eingeschlossen zwischen Empfindung und Willensaktion, das Bewußtsein entgegen. Niemand ist bis jetzt imstande zu sagen, wie aus an und für sich gleichgültigen Bewegungen der Materie ein Bewußtsein als notwendiges Resultat hervorgehen muß; ja es ist eine solche Konsequenz vorderhand vollkommen undenkbar. Die Einen, vertraut mit den an den Stoff gebundenen Kräften und deren Wirkungen, bauend auf die ungeahnten Erfolge der Forschung, durch welche vorher völlig unbegreifliche Erscheinungen dem Verständnis erschlossen worden sind, und gewöhnt nach menschlichem Maßstab alle Erscheinungen zu messen, meinen, es müßten auch die bis jetzt allerdings unerklärlichen Seelenerscheinungen nach den Prinzipien des Geschehens in der uns zugänglichen Natur vor sich gehen. Diese Anschauung erzeugt den rastlosen Eifer, die Vorgänge immer mehr und mehr zu verfolgen, zu zergliedern und zu erklären. Wohin und wie weit derselbe führen wird, bleibt der Zukunft überlassen. Die Anderen dagegen schließen: da man sich durchaus noch nicht zu denken vermag, wie das Bewußtsein den bekannten Eigenschaften der Materie entstammen soll, und da dasselbe uns als grundverschieden von den bekannten Wirkungen der Materie erscheint, so nehmen wir eine fremde, eine immaterielle Ursache dafür an. Auf diese Vorstellung haben wohl die Konsequenzen den größten Einfluß, welche die erstere Hypothese in Bezug auf eine zukünftige Bestimmung des Menschen scheinbar nach sich zieht; es läßt sich nicht leugnen, daß die rein materielle Anschauung einem tief in der Menschenbrust eingegrabenen Gefühl widerstrebt und für unsere menschlichen Begriffe zu etwas Unverständlichem führt. Es wäre dies nicht der einzige Punkt, wo unsere Erkenntnis gezwungen würde, still zu stehen, nachdem ihr die Beschaffenheit der Matere auch anderweitig unüberwindbare Schranken steckt. Durch die Unvollkommenheit der Sinnesorgane bleiben uns vielleicht ganze Gebiete des Naturlebens verborgen, ja selbst das davon Erkannte entspricht nicht genau der Wirklichkeit, und von der unendlichen und ewigen Welt überblicken wir einen verschwindend kleinen Bruchteil, da bloß das zeitlich und räumlich Endliche mit unserem endlichen Maßstab zu ermessen ist. Mit der Materie sind wir nur imstande Materielles, den Fähigkeiten der Materie Angemessenes zu erforschen und zu begreifen. Es ist daher nicht unmöglich, daß noch Weiteres vorhanden ist, für das uns jedes Verständnis mangelt wie dem Blindgeborenen für die Welt, welche sich unserem sonnenhaften Auge erschließt. Andererseits aber ist der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Leib und Seele in gesetzmäßiger Weise gegenseitig voneinander abhängig sind und nichts in unserm Bewußtsein vor sich geht, was nicht bestimmte physische Vorgänge als Begleiter hat. Auch eine Reihe vom Leib trennbare Seele wäre, solange die Verbindung mit dem Körper besteht, durch die Schranken der Materie beengt; sie könnte nur durch die Sinne Kinde von der Materie empfangen und am Körper nur das bewirken, was die Materie erlaubt, deren sie sich zu ihren Äußerungen ebenso bedienen müßte, wie der Klavierspieler der Mechanik des Klaviers, über die hinaus er nichts hervorzubringen vermag. Gerade das Verständnis einer solchen Wechselwirkung bereitet der Forschung die größten Schwierigkeiten. Allerdings wäre es möglich, den Knoten zu zerhauen und das Bewußtsein geradezu für eine Grundeigenschaft jeglicher Materie auszugeben, indem man es für gleichbedeutend hält mit dem Vermögen der Stoffteilchen gegenseitig aufeinander einzuwirken. Aber es scheint mir, als ob man hier eine ansich ganz gleichgültige Erzitterung der Materie mit der bewußten Empfindung infolge jener Schwingungen ohne zwingenden Grund für identisch hält. Bekennen wir es offen, ein Entscheid ist in diesen höchsten Problemen vorerst nicht zu geben. Aber wenn er auch einst gelingen sollte, so wird er uns nur noch mehr die Wunderbarkeit der Erscheinungen enthüllen und weiteren Rätseln gegenüber stellen. Einstweilen obliegt es uns, alle Kraft anzustrengen, um auch hier die Wahrheit zu finden. - Die durch die äußeren Eindrücke hervorgerufenen Empfindungen sind auch die Erwecker der übrigen geistigen Tätigkeiten. Die reinen Empfindungen werden, von den ersten Lebenstagen an, weiter verarbeitet durch besondere der Seele eingepflanzte Vermögen, durch welche dieselbe zu jeder Wirkung eine Ursache suchen, und alle Vorstellungen in die Form von Raum und Zeit einzuordnen gezwungen ist. Diese Vermögen sind keine Produkte der Erfahrung, nicht erworben, sie müssen vielmehr vor jeder Erfahrung gegeben sein, sonst wäre es nicht möglich, die Empfindungen auszulegen und Erfahrungen zu sammeln. Fertige Vorstellungen und Gedanken wohnen uns ursprünglich nicht inne, wohl aber Anlagen, unentwickelte Fähigkeiten, die durch die Empfindungen geweckt und großgezogen werden und ohne letztere verkümmern. Die noch unerfahrene Seele beginnt nämlich, nach vielfachem Pochen der Außenwelt, aufmerksam gemacht durch die in ihrer Intensität, Qualität, Zahl und Zeitfolge wechselnden Empfindungen, die letzteren zu ordnen, zu verbinden und zu vergleichen. Dabei lernt sie zunächst unseren Leib abgrenzen gegen die äußeren Dinge, welche zugleich als die häufigsten Ursachen der Empfindungen erkannt werden. Dies geschieht vor allem durch den Tastsinn, welcher beim Zusammentreffen mit äußeren Objekten eine Empfindung am tastenden Teil, beim Berühren unseres Leibes aber zwei Empfindungen, nämlich am tastenden und am betasteten Teil, auslöst. Aus solchen und ähnlichen Erfahrungen entnehmen wir, daß die Empfindungen nicht Gebilde unseres Bewußtseins sind, sondern letzterem von etwas davon Verschiedenem, einem außerhalb unseres Subjektes befindlichen Objekt aufgedrängt werden. Ohne diesen Schluß würden wir die Empfindungen stets für Zustände unseres eigenen Körpers halten und kämen wir niemals zur Annahme einer äußeren Welt. Anfangs ist die Trennung von Subjekt und Objekt nur eine dunkle, sie wird aber immer bestimmter und zuletzt sind wir so gewöhnt, für jede Empfindung eine äußere Ursache zu setzen, daß wir die Empfindung mit dem Objekt identifizieren und dem letzteren ohne Weiteres die Eigenschaften der Empfindung zuerteilen, also z. B. vom Glanz der Sonne sprechen. In derselben Weise gelangen wir allmählich, stets gedrängt durch bestimmte Eigentümlichkeiten der Empfindungen zu den einfachen Vorstellungen und Urteilen über die Größe, Gestalt und Entfernung der Objekte. All das lernt das unaufhaltsam forschende Kind in der ersten Lebenszeit. Man ahnt für gewöhnlich nicht, welche Summe von Erkenntnis ein Kind sich alsbald aneignet, wie aus dem Chaos ungedeuteter Empfindungen das erste Verständnis aufdämmert, bis sich endlich die Klarheit bestimmter Begriffe einstellt. Aus den von den Objekten erhaltenen Zeichen setzen wir uns ein Bild derselben zusammen. Die Art des von uns geschaffenen Bildes ist selbstverständlich wesentlich abhängig von der Natur unseres Bewußtseins, auf welches die Stöße der Außenwelt einwirken. Zum Ende muß die Empfindung in einer bestimmten Beziehung stehen zur äußeren erregenden Ursache, sie muß sich in gesetzmäßiger Weise mit der letzteren ändern. Aber das von uns komponierte Bild entspricht nicht dem äußeren Objekt; die Objekte und unsere Vorstellungen davon lassen sich gar nicht miteinander vergleichen. Da wir die Dinge-ansich nicht erfassen, so wissen wir auch nichts von ihren wirklichen Eigenschaften; diese bleiben uns vielmehr als Gegenstände einer anderen unzugänglichen Welt verschlossen. Das, was wir von den Dingen erfahren, sind bloß Zeichen oder Symbole, welche wir an die Stelle der Dinge setzen und zu weiteren Gedankenoperationen und Handlungen gebrauchen. In ähnlicher Weise benützt z. B. der Chemiker für den Sauerstoff ein Zeichen (O), mit dem er bestimmte Begriffe verbindet, die ihm sofort beim Erblicken des Zeichens gegenwärtig sind, ohne daß das Zeichen dem wirklichen Sauerstoff in seinen Eigenschaften gleicht. Das Bild, welches sich der Mensch von den äußeren Dingen schafft, ist nicht nur nach der jeweiligen Beschaffenheit des empfindenden Subjekts verschieden, sondern auch je nach dem Sinnesorgan, insofern jedes derselben Zeichen ganz bestimmter Art vermittelt. Die Form, in der dem Blindgeborenen die Welt erscheint, ist völlig verschieden von der des Sehenden. Der Blinde erhält durch das Tasten nur von den Umrissen und gröberen Teilen eines Körpers Eindrücke, und setzt sich daher von der Gestalt des konzipierten Dings z. B. eines menschlichen Antlitzes ein viel unvollständigeres und roheres Bild zusammen als der Sehende, der mit dem Auge tausend Einzelheiten erblickt. Blindgeborene, gewöhnt mit dem tastenden Finger die Gegenstände auf das Sicherste zu unterscheiden, machen sich, wenn ihnen das Augenlicht geschenkt wird, in der ersten Zeit durch das Sehen keinen Begriff von der Gestalt eines Körpers, sie sind nicht imstande, Dinge mit dem Auge zu erkennen, die ihnen beim Berühren sofort als alte Bekannte erscheinen. Die neu eröffnete sichtbare Welt verwirrt sie in so hohem Grad, daß Wochen vergehen, bis sie sich einigermaßen darin zurecht gefunden haben. Ebenso ist die Auffassung ein und desselben Gegenstandes bei verschiedenen Menschen und Völkern je nach ihrem Bildungsgrad oder je nach der Übung eine ungleiche. Das Bild, welches sich z. B. ein Kind oder ein auf niederer Stufe stehendes Volk von der menschlichen Gestalt entwirft, ist himmelweit verschieden von dem der Phantasie eines PHIDIAS oder MICHELANGELO entsprungenen. Einer der geistreichtsten Naturforscher, KARL ERNST von BÄR, hat ausgeführt, wie unsere jetztige Vorstellung von der Welt und unsere Urteile ganz anders ausfielen, wenn wir ein anderes Zeitmaß besäßen, d. h. wenn bei derselben Gesamtsumme der Vorstellungen während des Lebens das Dasein auf einige Stunden zusammengedrängt oder auf tausende von Jahren verlängert wäre. Im ersteren Fall hätten wir in derselben Zeit ungleich mehr Empfindungen und nähmen kaum Veränderungen der Erscheinungen um uns herum wahr; im letzteren Fall, wo viel seltener Wahrnehmungen gemacht würden, wären dagegen ddie Dinge in einem steten und raschem Wechsel begriffen. Es sind Organismen denkbar, deren Sinnesorgane nur für Bewegungen, die uns teilnahmslos lassen, eingerichtet sind und also Wahrnehmungen von uns unbekannten Vorgängen vermitteln. Es ist auch möglich, daß lebende Wesen an den gewöhnlichen Sinneswerkzeugen Empfindungsapparate besitzen, welche uns fremde Empfindungen geben. Beide Male würde sich dieselbe Welt in ganz anderer Art und Weise darstellen als uns, allerdings immer so, daß sich aus den Zeichen bestimmte Erfahrungen sammeln ließen. Gewöhnlich hält man nichts für sicherer als die Existenz und Beschaffenheit der äußeren Natur und erklärt vielfach alles darüber hinaus Gehende für unsere Spekulation. Vollkommen feststehend ist jedoch nur die Existenz des eigenen Bewußtseins: Das Bewußtsein allein verschafft uns den Einblick in die äußere Welt, welche wir durch unser Denken folgern und erschließen. Ist dieser Schluß aber auch richtig und sind unsere Vorstellungen von den Dingen außerhalb von uns nicht etwa Truggebilde und bloß Phänomene des Bewußtseins, so daß eine sinnliche Welt gar nicht existiert? Wir dürfen mit Bestimmtheit sagen, daß die äußeren Dinge in Wirklichkeit vorhanden sind und uns, obwohl sie nur einige unvollkommene Zeichen senden, doch zur objektiven Wahrheit führen. Ich komme zu dieser Annahme durch streng logische Schlußfolgerungen, und die Richtigkeit unseres Urteils wird bezeugt durch den in sich übereinstimmenden und harmonischen Ausbau unseres Wissens. Trotz der durch die Materie gesetzten Grenzen gelangt der Mensch doch zu einem unabsehbaren Reichtum von Erkenntnis, groß genug, das Dasein von tausenden von Generationen zu befriedigen. Aus den einfachen Vorstellungen entwickeln sich nämlich durch eine fortlaufende Reihe von Schlüssen zusammengesetzte und bilden sich Begriffe und Gedanken aus. Dieser kühne Bau hat seine feste Grundlage in der objektiven Welt. Sie ist es, welche durch ihre gesetzmäßigen Eindrücke das Seelenvermögen erzieht und es lehrt an einfachsten Aufgaben folgerichtig zu denken, und sie gibt uns die Erfahrungen als einzige Quelle allen Wissens und aller Erkenntnis. Der erfahrende Mensch braucht jedoch späterhin nicht immer eine Sinnesempfindung als Anregung für seine Denkprozesse, da durch die wunderbare Fähigkeit, das früher Wahrgenommene wieder zu erzeugen, durch das Gedächtnis, vergangene Vorstellungen den Inhalt unseres Weiterdenkens bilden können. Ohne das Gedächtnis würde jede Errungenschaft des Geistes sofort wieder verschwinden und ein reifliches Nachdenken, sowie eine Ansammlung von Kenntnissen beim Einzelnen nicht möglich sein. Auch die ganze Menschheit besitzt ein Gedächtnis von nicht geringerer Bedeutung für die Entwicklung der Erkenntnis wie das des Individuums, nämlich die Überlieferung. Würde das vom Einzelnen Errungene ihm allein verbleiben und mit ihm zugrunde gehen, so würde jeder von vorn zu beginnen haben und nur zu einem geringen Grad der Ausbildung gelangen. Der Mensch vermag aber auch das, was ihn in der Seele bewegt, Anderen durch das gesprochene und geschriebene Wort oder durch Werke der Kunst mitzuteilen, wodurch das von ihm Gedachte und Geschaffene zum Gemeingut aller wird. Auf solche Weise vermehrt sich das Wissen und Können des Geschlechts und entsteht seine Geschichte. Man sagt häufig, unter allen Wesen der Erde habe der Mensch allein eine Geschichte. Dieser Ausspruch ist richtig, wenn man ausschließlich den kurzen Zeitraum, von dem wir durch Überlieferung sichere Kunde besitzen, berücksichtigt. In der Tat, kein Tier, selbst nicht das den Menschen treu begleitende Haustier, hat seit Menschengedenken seinen Nachkommen eine geistige Erbschaft übermittelt oder weitere Fertigkeiten beigebracht, als es sie selbst von Natur aus besaß. Entweder sind dem Tier die Fähigkeiten unveränderlich als Triebe angeboren und vererbt, oder es muß Jedes die gleichen Erfahrungen sammeln wie seine Vorgänger. Es ist aber wahrscheinlich, daß dies nicht immer so war, daß in längst vergangenen Zeiten, in den Jahrtausenden, seit denen die Erde mit lebenden Wesen bevölkert ist, auch die Tiere eine allmähliche Entwicklung der Kenntnisse durch eine Erweitung der Erfahrungen, durch Unterricht und durch Vererbung zeigten. Die Tiere sind demnach offenbar für die bestehende Organisation schon nahezu an der Grenze des Mögliche angelangt; sie haben dieselbe früher erreicht als der Mensch, weil sie eine ungleich geringere Befähigung zur Sammlung von Kenntissen mit auf den Weg bekommen haben. Ihre Geschichte ist deshalb eine verhältnismäßig inhaltsarme gewesen und wegen des Mangels an neuer Erkenntnis abgespielt. Das Menschengeschlecht dagegen hat noch jetzt durch die fortwährende Überlieferung eine Geschichte. Würde man eine Anzahl von Eiern einer Tierart auf einen für andere Tiere unzugänglichen Erbteil unter Bedingungen, bei denen sie sich entwickeln könnten, versetzen und ausbeuten, die ausgeschlüpfte Brut würde wieder sämtliche Fertigkeiten der Art darbieten. Menschenkinder dagegen, die auf einer abgeschlossenen Insel zur Welt kämen, wie Zeus von einer Ziege oder wie Romulus und Remus von einer Wölfin gesäugt würden und nichts überliefert erhielten, weder durch Wort noch durch Schrifft, sie müßten alle wieder die tausendfältigste Kenntnisse von Neuem erwerben, Erfindungen machen, die Sprache bilden, sich ein Recht schaffen und die Gesetze der menschlichen Gesellschaft auffinden. In der ersten Lebenszeit ist der Mensch genötigt, sich gewisse Vorstellungen, welche das Tier als unveränderliches Erbe mit ins Dasein bringt, allmählich anzueignen; dafür empfängt er aber später in der Überlieferung eine andere durch die rastlose Arbeit vieler Generationen angesammelte, stets wachsende geistige Erbschaft. Indem der diese von den Vorfahren gewinnt, zahlt er seinen Tribut an die Nachkommen durch die Früchte der eigenen geistigen Tätigkeit. So wirkt der schaffende und gute Mensch nicht nur während des Lebens, sondern auch über den Tod hinaus für die Veredlung der Menschheit. Die intellektuellen Fähigkeiten eines einmal an einer gewissen Stufe angelangten Volkes ändern sich nicht mehr oder nur sehr langsam. Die Weisen des griechischen Altertums hätten, im 19. Jahrhundert geboren, sicherlich das Gleiche Geleistet wie die ersten Denker unserer Zeit, aber wir sind unendlich reicher an Kenntnissen und Begriffen geworden, so daß heutzutage ein Schulkind über viele Vorgänge richtigere Vorstellungen besitzt wie ARISTOTELES und PLATO. In diesem Sinne stellt das Wissen und Können des Menschengeschlechts eine ununterbrochene Kette dar, ein Glied das nächste bedingend, selbst dann, wenn sich nicht alle im Laufe der Zeit als echt und dauernd bewährt haben. Die Erkenntnis wächst jedoch nicht stetig und gleichmäßig in allen Zweigen fort, sondern es ist meist nur eine bestimmte Richtung, bezeichnet durch eine neue, weithin Licht verbreitende Wahrheit oder durch eine den Menschengeist tief erregende Frage, welche die Mehrzahl der Denkenden einer Zeit anlockt, bis das weitere Vordringen auf ihr durch ein Gewirr ungelöster Probleme vorläufig nicht mehr möglich ist und ein bahnbrechendes Talent ein anderes Gebiet wieder zugänglich gemacht hat. Ein mit der Geschichte der Erkenntnis Vertrauter nimmt für sein Jahrhundert nicht den Ruhm in Anspruch: es so herrlich weit gebracht zu haben, und meint nicht, modernes Wissen und neue Grundsätze desselben zu besitzen. Nichts ist belehrender für den menschlichen Geist wie die Geschichte des Wachstums der Erkenntnis. Das Vergangene ist dem Einsichtigen nicht etwas Unbrauchbares und Überwundenes wert, daß es zugrunde geht, sondern etwas Notwendiges, die Quelle, aus der wir die Kraft für neues und besseres Tun schöpfen. Jede nicht überlieferte Erfahrung, jeder in Vergessenheit geratene Gedanke ist für die Menschheit verloren und muß von Neuem erworben werden. Die Verbrennung der alexandrinischen Bibliothek hat die Arbeit ganzer Geschlechter zerstört und Glieder der Kette der Erkenntnis der alten Völker zerbrochen. Keine rohe Gewalt sollte sich anmaßen dürfen, die Früchte der Anstrengungen der Vorfahren zu vertilgen und ihr Leben und Streben zu einem Vergeblichen zu machen. - Nach der ersten Orientierung in der Welt verfolgen alle seit den ersten Anfängen der Kultur und in sämtlichen Zweigen des Wissens den gleichen Weg, um zu weiteren Erfahrungen zu gelangen und die Ursachen der Dinge zu finden. Dazu muß das Talent zur scharfen Beobachtung der Erscheinungen besitzen und folgerichtig denken. Letzteres ist jedoch häufig nicht ohne Weiteres ausführbar, weil die Prozesse zu verwickelt sind und die Bedingungen ihres Zusandekommens noch unbekannt sind. Es ist daher meistenteils nötig, gewisse Kunstgriffe anzuwenden, um ein folgerichtiges Denken über die Vorgänge zu ermöglichen. Man sucht zu dem Zweck den oft versteckten Zusammenhang der Erscheinungen durch einen genauen Vergleich, durch Beobachtung, zu erkennen, oder man nötigt sie durch vorbedachte Einwirkungen, durch das Experiment, zu Zeichen, aus welchen dann ein Schluß auf die bei ihnen mitwirkenden Bedingungen gestattet ist. Man nimmt stets diejenige Erklärung an, welche nach den bekannten Tatsachen als die einfachste und wahrscheinlichste erscheint. Das Erforschen der Ursachen der Dinge ist meist eine schwierige Aufgabe und an der Lösung eines Problems mühen sich nicht selten Viele durch Jahrhunderte hindurch ab. Das Wesentliche dabei ist, daß alle Schlüsse stets durch Erfahrungen hervorgerufen sind und durch solche gestützt werden. Sind sämtliche Bedingungen einer Erscheinung bekannt, dann ist dieselbe erklärt und aus jener ableitbar. Nichts ist mühsamer, als durch eine Ansammlung von Erfahrungen und methodisches Denken die Wahrheit zu finden, nichts ist leichter als in glänzender und bestechender Weise Meinungen aufzustellen, welche bei keiner ernsten Prüfung bestehen. - Nach der Art der Gewinnung er Erkenntnis ist es leicht möglich, sich in den Schlußfolgerungen zu irren. Ich sehe hier ab von den vielfachen Täuschungen, wo wir wegen einer unbewußten Veränderung unseres Körpers die gewöhnlichen Erscheinungen falsch beurteilen, und zur Vorstellung nicht vorhandener äußerer Objekte, zu Phantasien oder Jllusionen gelangen, aus denen wir entnehmen können, wie schmal die Grenze ist, welche die Wahrheit von der Täuschung scheidet. Aber auch ohne eine solche Irreleitung gibt sich der Mensch beim Aufsuchen der Ursachen der Dinge, auch beim redlichsten Willen und den reichsten Kenntnissen, Täuschungen hin; noch viel leichter derjenige, welcher keine Erfahrung und keine Übung im Auffinden der oft versteckten Ursachen besitzt und eine beliebige Einbildung für eine Erklärung hält. Selbst in den einfachsten Fällen kann das Urteil fehl gehen, indem man einen Zusammenhang zwischen zwei Vorgängen zu erblicken glaubt, der nicht vorhanden ist. Wenn ein Ziegel vom Dach auf den Kopf eines Vorübergehenden fällt und dieser in demselben Moment tot zusammenstürzt, so hält man es im Augenblick wohl für eine feststehende Tatsache, daß der Stein den Menschen erschlagen hat; wir haben dabei einen Schluß gemacht, der für gewöhnlich richtig, der aber auch fehlerhaft sein kann, wenn nämlich der Mensch zur selben Zeit vom Schlag gerührt worden ist, worüber erst eine nähere Untersuchung die Entscheidung bringt. Bei verwickelteren Erscheinungen liegen häufig noch nicht genügend Erfahrungen vor, so daß irgeneine Möglichkeit schon als Ursache sicher angenommen wird. Vor 300 Jahren glaubten auch die erleuchtetsten Köpfe an Hexen, Geister und Gespenster; es schien sich um Tatsachen zu handeln, von deren Richtigkeit sich jeder leicht überzeugen konnte. Erblickte man im Dunkeln an einsamen Orten einen auffallenden Gegenstand, so mußte es ein Gespenst sein; man hatte keinen Grund näher zur prüfen, daß man an der Existenz von Gespenstern nicht zweifelte. Heutzutage weiß man aus vielfachen Erfahrungen, daß es keine Gespenster geben kann und seitdem sieht man sie auch merkwürdigerweise nicht mehr. Den regelmäßigen täglichen Auf- und Niedergang der Sonne am Firmament erklärte man anfangs durch die einfachste Annahme einer Bewegung derselben um die Erde; man mußte dies so lange für eine unumstößliche Tatsache halten, bis aus feineren Beobachtungen die Drehung der Erde um die Sonne erschlossen wurde. Die Vorstellungen und Erklärungen gewisser Zeitepochen richten sich daher nach den Kenntnissen der Zeit; auch der schärfste Verstand hätte im Altertum nicht richtiger über die Bewegung der Himmelskörper urteilen können, da ihm die Tatsachen für ein besseres Verständnis fehlten. Der Irrtum in unseren Annahmen wird schließlich erkannt durch die Auffindung neuer Tatsachen, welche sich mit ersteren nicht mehr vereinen lassen, oder dadurch, daß die weitere Verfolgung einer Voraussetzung zu unmöglichen und unsinnigen Konsequenzen führt. Groß sind oft die Bewegungen im Schoß der Wissenschaft, wenn durch das Auffinden einer ungeahnten Wahrheit alte, lieb gewordene Vorstellungen geändert werden müssen und das Gebäude, in dem man sich wohnlich einrichtet, zu wanken scheint. Aber noch viel gewaltiger sind die Folgen, wenn die Irrtümer die großen Massen in Mitleidenschaft ziehen und in ihnen die falschen Voraussetzungen ad absurdum geführt werden. Falsches Recht, das zum Unrecht und zur Plage geworden, unpassende Institutionen, unrichtige soziale Verhältnisse, veraltete religiöse Vorstellungen, sie werden nur schwer überwunden und ziehen nicht selten zur Warnung der Nachkommen Hunger und Elend, erschütternde Revolutionen und entsetzliche Greuel nach sich, aus denen dann das Neue, der Wahrheit sich mehr Annähernde, geboren wird. Zu keiner Zeit gibt es eine absolute Wahrheit; nie ist die Ableitung aus Tatsachen und eine Anschauung für alle Zeiten richtig, sie ist nur gültig für die gegebenen Kenntnisse. Da diese aber lückenhaft sind, so ist auch unser Urteil unvollständig und der Änderung unterworfen. Die Theorien der hervorragendsten Männer, auch wenn sie einst mächtig fördernd in den Gang der Erkenntnis und in die ganze Weltanschauung eingegriffen haben, werden mit der Zeit unhaltbar und machen neuen und besseren Platz. Auf allen Gebieten sehen wir diesen Wandel und Fortschritt; die heutigen Begriffe von Gut und Sittlich, vom Recht, von Staat und Kirche hatten vor einigen hundert Jahren einen anderen Inhalt. So wird das Gebiet des Irrtums immer kleiner, das der Wahrheit immer größer; denn zuletzt siegt trotz der Irrungen der Einzelnen und der Massen die Wahrheit durch die Mittel, welche die Erkenntnis, wenn auch auf Umwegen, immer wieder auf den rechten Weg führen. - In der vorher mit wenigen Strichen angedeuteten Weise unterzieht der Mensch alle Erscheinungen, von denen er eine Nachricht erhält, nicht bloß die von den äußeren Dingen wahrgenommenen, sondern auch die des Seelenlebens der Tiere und des Menschen der Untersuchung auf ihre Ursachen, und stellt die Resultate seiner Gedanken durch das Wort oder in Werken der Kunst dar. Er erklärt die Vorgänge in äußeren Natur; er studiert die Sprachen und gibt sich Rechenschaft über ihren Ursprung, ihre Entwicklung und ihren Zusammenhang; er sammelt die Tatsachen der Geschichte und entwickelt die Schicksale der Völker als die Folgen der Taten einzelner Menschen und der Massen; er lernt die Gebräuche verschiedener Stämme, ihre Sitten und ihre Kultur kennen; er ermittelt die Phänomene der Seele, untersucht die Gesetze der Gedankenbildung und die Gründe des Schönen und Sittlichen; er erweitert die Psychologie des Individuums zu einer solchen der menschlichen Gesellschaft und findet so die günstigsten Bedingungen der Existenz derselben; er sucht auf, was Recht ist und was Unrecht, welches Recht die Menschen zu verschiedenen Zeiten sich gaben und wie es sich in fortschreitender Entwicklung dem Ideal der Gerechtigkeit annäherte; er macht sich Vorstellungen über die Bestimmung der Menschheit und den Grund der Dinge, sowie über ein Höheres und Göttliches. Nach diesen mannigfaltigen Aufgaben haben sich einzelne Wissenschaften und Künste abgegrenzt, aber eine scharfe Trennung findet sich nirgends. Aus der Lehre von der Erkenntnis wird somit der fast gemein gewordene Satz aufs Neue bestätigt, daß die einzelnen Teile des menschlichen Wissens und Könnens auf das Innigste untereinander zusammenhängen. Sie alle entspringen aus den Sinnesempfindungen und führen durch eine kontinuierliche Reihe von Urteilen nach den gleichen, für alle Zeiten gültigen Prinzipien zum selben Ziel, nämlich dem der Erkenntnis. Es gibt nur eine Erkenntnis, einem mächtigen Baum vergleichbar, mit unzähligen Zweigen, welche allesamt durch die gleiche Nahrung, die Erfahrung gespeist werden. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit ist der Kitt, der die Fakultäten der Universität verbindet. Jede Wissenschaft, gleichgültig ob sie momentan im gewöhnlichen Leben Nutzen bringt oder gerade im Publikum populär ist, ist ein unentbehrliches Glied eines Ganzen, des großen Organismus der Erkenntnis der Welt, das die übrigen Glieder durch die Übermittlung von Erfahrungen und Gedanken mitbedingt. Keine Wissenschaft vermag sich allein ohne die anderen zu entwickeln, da alle Vorgänge untereinander zusammenhängen; jede für sich liefert nur einen geringen Beitrag zur Erkenntnis. - Außer den schon angegebenen Schranken des Erkennens gibt es schließlich noch eine, an welcher stehen zu bleiben der Mensch wohl für alle Zeiten gezwungen sein wird. Er wird nie den Urgrund und Ursprung der Dinge begreifen, nie durch welche Kraft und wie die Welt entstanden ist, da dies ein Verstehen dessen voraussetzt, was über der endlichen, von der Materie abhängigen menschlichen Einsicht steht. Wenn jemand eine Taschenuhr in einer Gegend findet, die auf weite Strecken hin nicht von menschlichen Wesen bewohnt ist, so wird es ihm nicht einfallen zu schließen, daß die Uhr von den die Bäume bevölkernden Affen verfertigt worden oder gar von selbst entstanden ist. Aber die unendliche und ewige Welt mit allen ihren wundersamen Gebilden und Erscheinungen soll nach den Anschauungen Vieler sich aus sich selbst gemacht haben oder durch Nichts und aus Nichts geworden sein. Wir können bei Betrachtung derselben folgerichtig keinen anderen Schluß ziehen, als daß auch sie wie jede Wirkung eine Ursache haben muß und daß dieselbe nicht eine der menschlichen oder irdischen gleich befähigte Kraft ist, sondern eine über ihr stehende. Diese Folgerung ist so gerechtfertigt und so sicher als irgendein anderer Schluß, der je von einem Menschen gezogen worden ist. Wer da meint, es sei nichts da, wo er nichts sieht, und wer leugnen wollte, was er nicht verstehen kann, der setzt sich in Widerspruch mit der Lehre von der Erkenntnis. Durch diese Lehre werden wir auf die Beschränktheit unseres Wissens und Könnens, auf Dinge, die wir nicht begreifen, auf ein Höheres hingewiesen. Es ist auch eine Tatsache, daß der Mensch ein allerdings seinen unvollkommenen Vorstellungen entsprechendes, jedoch unbesiegbares Gefühl in sich trägt, daß er von etwas Höherem abhängig ist, und daß ihm ein fortwährendes bloßes Auflösen aller Wesen in die stofflichen Atome als ein unveränderliches und zweckloses Spiel mit Formen erscheint. Wir leben in der von unserem Geist geschaffenen Welt, geschaffen aus den Anzeichen der in ihrem eigentlichen Wesen für uns unzugänglichen materiellen Welt; es ist uns aber auch durch das Denkvermögen die Existenz einer anderen Welt zu erschließen vergönnt, über welche wir, als etwas über die menschlichen Kräfte Erhabenes, kaum ihrer Wirklichkeit entsprechend zu denken befähigt sind. Einzelne können sich mit dieser Erkenntnis und diesen Gedanken, die nicht über das Tatsächliche hinausgehen, vollkommen begnügen und beruhigen. Die Meisten machen sich aber, in dem Drang sich ein Bild vom Unbegreiflichen zu gestalten und es so dem Begrifflichen näher zu rücken, entsprechend ihrem Wissen Vorstellungen über das Höhere, welche selbstverständlich stets menschliche sind und sein müssen, a sie andere gar nicht zu verstehen vermöchten. In den ersten Anfängen der Religionen wurde in jeder der vielen noch unbegriffenen Erscheinungen ein Gott gesucht, die Götter wurden in den verschiedensten Formen, meist als Menschen dargestellt und ihnen menschliche Kräfte und Neigungen verliehen, womit sie unmittelbar in die Geschichte der Menschen eingriffen. Die Begriffe über die Dinge änderten sich aber allmählich und vervollkomneten sich, so daß auch auf dem Gebiet des Glaubens die Vorstellungen stets entsprechenden Wandlungen unterworfen waren und unterworfen sein müssen, wenn sie mit der Entwicklung des Wissens in Harmonie bleiben sollen. Die wahre Religion muß Raum für jegliche Wahrheit haben; eine zu starre Form wird unfehlbar durch die Gewalt der Erkenntnis gesprengt. Die Furcht vor einem, auf diesem Gebiet nur sehr langsam sich vollziehenden Wechsel ist gewiß nicht begründet. Wenn die Vorstellungen, welche die Menschen sich vom Göttlichen machen, mit der Zeit als kurzsichtig und menschlich erweisen, so hat dies keinen Einfluß auf das Wesen der Religion, so wenig wie die ungleich rascher sich vollziehenden Wandlungen in der Wissenschaft diese untergraben. Die Kirche hat die Erkenntnis, daß die Erde die Sonne umkreist, heftigst und mit den äußersten Mitteln bekämpft, da sie die Religion in Gefahr glaubte; jetzt weiß jedes Kind, daß jener Satz richtig ist, aber die Religion hat dadurch nicht im Mindesten gelitten. Nie hat die Wahrheit der Religion geschadet, sondern sie nur aus niederen Begriffen zu höheren und würdigeren erhoben und sie vom rohen Außenwerk gereinigt. Die Grundlage der Religion ist ebenfalls eine Wahrheit, nämlich die, daß es etwas Unbegreifliches und Unendliches gibt und diese Wahrheit kann durch keine andere Wahrheit erschüttert werden. Die Erkenntnis führt dadurch zur Veredelung des Menschengeschlechts sowohl in geistiger als auch in sittlicher Beziehung. - Wie weit das Wachsen der Erkenntnis beim Menschengeschlecht, trotz der gesteckten Grenzen, fortgeht und wohin es dasselbe schließlich führt, wer vermag es zu sagen? Vielleicht ist die Entwicklung ohne Ende, vielleicht aber kommt der Mensch einmal an einem Punkt an, wo seine Organisation eine weitere Einsicht nicht mehr zuläßt, wie es bei den Tieren auf einer niederen Stufe schon jetzt der Fall zu sein scheint. Dann wäre ein stabiler Zustand eingetreten. Der Einzelne würde zwar mehr wissen als wir jetzt, aber es gäbe keine Entwicklung, keine Geschichte mehr und fiele eine Haupttriebfeder des menschlichen Strebens, die nach neuer und besserer Einsicht weg. In diesem Fall müßte der Mensch seine Befriedigung im Erwerb eines möglichst vollkommenen bereits vorhandenen Wissens suchen, wenn nicht etwa zuletzt die Fertigkeiten sich sogar als Triebe festsetzen würden, wo dann schließlich zugleich mit der höchsten Vollendung die größte Annäherung an das Wesen des Tiers gegenwäre. Eine solche trostlose Zukunft, ein so trostloses Ende unseres Geschlechtes ist sehr unwahrscheinlich; erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit, seit einigen tausend Jahren, einem Augenblick gegenüber den unermeßlichen Zeiträumen der Entwicklungsgeschichte der Erde, wird am Schatz des Wissens und Könnens gesammelt. Auf jedem Gebiet befinden wir uns noch in den ersten Anfängen des Erkennens, überall steht uns Unbegriffenes entgegen, und manche Schranken, die uns heute noch unübersteiglich erscheinen, werden vielleicht schon morgen eingerissen sein. Mit der bestehenden Organisation wird der Mensch die Erkenntnis in für uns unfaßbare Fernen ausdehnen, ja noch ungleich weiter, wenn auch seine Organisation allmählich eine Fortbildung erfahren sollte. Aber auch auf ihrem höchsten Gipfel wird die Erkenntnis doch immer noch in den durch die Materie gesetzten Grenzen eingeengt bleiben. Diejenigen, welche der selbstbewußten Meinung sind, mit ihrem Menschenwitz Alles zu erfassen, haben allerdings keinen Wunsch weiter; wer jedoch im emsigen Suchen nach Wahrheit seine Tage verbringt, und die unermeßliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bewundernd erblickt, zugleich aber auch erkennt, daß er von der Wirklichkeit nur einen kleinen Teil und auch davon wieder nur einen schwachen Abglanz gesehen hat, der wird das immer lebhafter werdende Verlangen empfinden, einst auch der Erkenntnis des Ganzen, das er ahnt, teilhaftig zu werden. Meine jungen Freunde! Die Möglichkeit der Vervollkommnung der Erkenntnis ist es, welche den Menschen vor den übrigen Wesen der Erde vor allem auszeichnet. Es ist daher unsere Pflicht und höchste Aufgabe mit dieser Fähigkeit nach Kräften zu wuchern und unseren Teil, jeder nach seinem Vermögen, zur Entwicklung der Erkenntnis der Menschheit beizutragen. Sowie wir uns von der objektiven Welt ein Bild in unserem Geist aufbauen, so sollen wir auch unserem ganzen Dasein einen geistigen Gehalt geben. Jeder sieht die Welt so an, wie er selbst ist, als die Stätte niedriger Leidenschaften und Genüsse, oder als den Boden, auf dem er das ihm als größtes Gut verliehene Talent der Erkenntnis zur möglichen Vollendung bringen soll. Ich habe im Eingang meiner Rede gesagt, daß die Universität die Schule für die Wissenschaft ist. Sie sollen sich an ihr den Schatz, den der menschliche Geist bisher erarbeitet hat, aneignen, um nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das des Volkes zu veredeln und zu vergeistigen. Nicht um sich nach dem Erlernen einiger Regeln später ihr täglich Brot zu verdienen, betreten Sie die Hallen der Universalität. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein; es wäre zumindest ein höchst klägliches und trauriges Dasein, das durchzuleben und durchzukämpfen sich für einen Menschen kaum lohnen würde. Wer aber einen Teil der Erkenntnis erworben hat, der hat sich auch zugleich die Fähigkeit, ein nützliches Glied der Gesellschaft zu sein, angeeignet, denn die Anwendung des Erkannten ergibt sich von selbst. Wer jedoch nicht durch geistige Arbeit den Zusammenhang der Dinge begriffen und sie gleichsam in seinem Geist selbst geschaffen hat, der besitzt höchstens ein totes Wissen ohne den verbindenden Gedanken und erreicht auch sein praktisches Ziel nicht; er hat einige Kenntnis, aber nicht die Erkenntnis. Ich weiß sehr wohl, daß es anfangs recht schwer fällt, sich die Erkenntnis zu eigen zu machen; es ist in der ersten Zeit eine Mühe und noch keine Lust, da die Widerstände groß sind und der Erfolg noch gering. Aber glauben Sie einem Mann, der ein warmes Herz hat für seine Schüler, denen er das Beste gibt, was er besitzt, und der viele Jünglinge in ihrer geistigen Ausbildung hat verfolgen können, der Lohn und der Segen bleibt bei einem getreuen Bestreben nicht aus, der herrlichste, welcher auf dieser Erde zu vergeben ist, denn die Arbeit wird allmählich zum Quell des größten Genusses. Wir vermögen uns erst recht zu erfreuen und die Güter des Lebens genießen, wenn wir unsere Pflicht in der Arbeit erfüllt haben. Die Erkenntnis erhebt den Menschen nicht nur geistig, sondern auch sittlich, indem sie den Sinn auf die ideale Aufgabe und auf ein Unbegreifliches und Höheres richtet. Das Niedrige und Gemeine ist dem, der einmal in die Tiefe der Erkenntnis getaucht ist und mit der Anstrengung seines Geistes die Wahrheit gesucht hat, fremd und abstoßend. Auch die Gesetze des Sittlich-Schönen hängen mit denen der übrigen Wahrheiten zusammen. Das, was Sie von der Universität mit ins Leben nehmen, bringt die Entscheidung über Ihr künftiges Schicksal. Sie haben Ihr Ziel verfehlt, wenn Sie sich an der Universität nicht die Freude des geistigen Schaffens und einen auf das Höhere gerichteten Sinn errungen; sie haben alles erreicht, wenn Sie diesen herrlichen Gewinn davon tragen. Ihr ganzes ferneres Leben ist dann ein stetes Ringen nach Vervollkommnung Ihrer Erkenntnis und nach wahrer Tugend; sonst ein schales Dasein ohne rechte Freude und Gehalt und ohne inneren Frieden. Ich rufen Ihnen zum Schluß, alles zusammenfassend, zu: Seien Sie rechte und ganze Menschen, bewußt der Vollkommenheit und der Unvollkommenheit unserer Natur. Streben Sie nach der höchsten Erkenntnis, aber seien Sie auch eingedenk der Grenze unseres Wissens und des Unbegreiflichen. In diesem Sinne hat schon vor zwei Jahrtausenden PLATON im "Phaedo" seinen Schülern gelehrt - und die menschliche Lebensweisheit wird sich bis ans Ende der Tage in die gleichen Worte fassen lassen . - "Alle Anstrengungen muß man machen, um während des Lebens an der Tugend und Weisheit Anteil zu bekommen: schön ja ist der Kampfpreis und groß die Hoffnung." - |