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ALEXIUS MEINONG
Über Begriff und
Eigenschaften der Empfindung

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"Da nun aber das vom Farbton Gesagte wieder auch auf Sättigung und Helligkeit anwendbar wäre, so findet man sich vor das Ergebnis gestellt, daß im Inhalt einer beliebigen Farb-Empfindung nicht etwa nur zwei oder drei, sondern mindestens sehr viele, möglicherweise unendliche viele Elemente als gegeben angenommen werden müßten. Zugleich erkennt man, wie das hier von Licht-Empfindungen Dargelegte auf jedes wie immer geartete Empfindungs-Kontinuum seine Anwendung findet."

"Dieser Ausdruck In-Eins-Setzen läßt sich ... durch die bezeichnendere Wendung vergleichen und übereinstimmen finden' ersetzen läßt. Was sollte auch sonst mit der reproduzierten Vorstellung der Wahrnehmung gegenüber geleistet werden? Entscheidend wichtig aber erscheint mir, daß diese Übereinstimmung nicht etwa bloß als Gleichheit, sondern auch als Ähnlichkeit zu nehmen ist."

Man hat sich nur allzusehr daran gewöhnt, in den dem Gebiet der Philosophie zugehörigen Wissenschaften grundlegende Begriffe und Ausdrücke so verschiedenartig definiert und angewendet anzutreffen, daß, wer sich derselben zur Forschung oder Mitteilung bedienen will oder muß, immer wieder genötigt ist, entweder zwischen den recht oft zahlreichen Möglichkeiten eine nichts weniger als leichte Wahl zu treffen, oder zu vielen schon vorhandenen Bedeutungen noch eine neue hinzuzufügen. Und weil man gerade bei philosophischer Untersuchung von alters her die Erfordernis der Gründlichkeit und Strenge so verstanden hat, daß zur Sicherung auch des bescheidensten Lehrsatzes kein Fundament tief genug gelegt sein mochte, so konnte leicht die Wahl oder Feststellung von Wortbedeutungen zur Entscheidung über schwierigste Prinzipienfragen werden, durch welche auch der nach besten Kräften Objektivität Erstrebende sich einer "Richtung" oder "Schule" gefangen gab, an deren wissenschaftliche Schicksale von nun an auch der Erfolg seines Forschens gebunden blieb.

Der Begriff der Empfindung macht keine Ausnahme von der Regel. Die verschiedensten psychologischen wie metaphysischen Theoreme sind in diesen Begriff hineingearbeitet worden (1); und wollte der Forscher von heute das Wort nicht eher gebrauchen, als bis alle in den Begriff verwobenen Probleme gelöst sein möchten, so dürfte er getrost das Wort "Empfindung" aus der Zahl der ihm verfügbaren Ausdrücke streichen.

Aber es ist ja der modernen Psychologie in besonderem Maße eigen, die Ehrfurcht vor den uralten Welträtseln dadurch zu betätigen, daß man vermeidet, diese eitel zu nennen. Und die schaffensfreudige Zuversicht, in welcher der psychologische Forscher von heute seine selten mühelose, aber fast ebenso selten ergebnislose Arbeit verrichtet, gründet sich sicher nicht darauf, daß wir etwa in Selbstüberhebung unseren Kräften mehr zutrauen, als denen der Väter, - wohl aber auch der nun schon so vielfach bewährten Erfahrung, daß nicht immer der am reichsten erntet, der am tiefsten gräbt, mit anderen Worten: daß sich gar Vieles schlichten läßt, auch wo man nicht bis auf den letzten Grund vordringen kann, und daß es besser ist, die Arbeitskraft am Kleineren zu verwerten, als am Größeren zu verlieren.

Dies vorausgesetzt, gestaltet sich die Aufgabe, den psychologischen Begriff der Empfindung zu bestimmen, erheblich leichter als viele Aufgaben ähnlicher Art. Denn was gemeint ist, wenn man von Empfindungen redet, darüber besteht, höchstens von gewissen Schwierigkeiten bzw. Unklarheiten abgesehen, wie sich solche bei einer psychologischen Analyse der Raumvorstellungen oder bei der Abgrenzung der Empfindungen gegenüber den Elementargefühlen einzustellen pflegen, in den beiden hier zunächst interessierten Wissenschaften, der Psychologie und Physiologie, desgleichen im täglichen Leben eine ziemlich übereinstimmende Praxis. Derselben theoretischen Ausdruck zu geben, wird darum sicher noch nicht für ein überflüssiges Beginnen gelten; immerhin dürfte sich aber ein Versuch, der im Grunde nichts weiter vorhat, als explizit auszusprechen, was implizit den Meisten für selbstverständlich gilt, auf kleinen Raum beschränken, träten dabei nicht Konstitutiva zutage, deren Aufnahme in die Begriffsbestimmung das Bedürfnis nach einigen tatsächlichen Feststellungen wachruft. Es liegt an der Wichtigkeit und Schwierigkeit dieser Feststellungen, wenn die folgende Darlegung sich in größerem Umfang präsentiert, als durch das einfache Ziel, das ihr zunächst gesteckt ist, motiviert erscheinen könnte.

I. Wer sich klar zu machen versucht, was einer Empfindung als solcher wesentlich ist, findet sich wohl sofort auf ein Merkmal geführt, das alle Theorie unbedenklich der Empfindung zuschreibt: ich meine das Merkmal der Einfachheit. Wenn irgendwo, so hat es hier den Anschein, als könne der, dem es zunächst um eine brauchbare Begriffsbestimmung zu tun ist, sich diesem Attribut gegenüber mit dem bloßen Hinweis auf dasselbe zufrieden geben. Gleichwohl stellt sich, sobald man nach den wirklichen Vorkommen dieses Merkmals fragt, eine derart fundamentale Schwierigkeit ein, daß deren Beseitigung sofort in Angriff genommen werden muß, obschon die mit Empfindungsphänomenen in Beziehung zu bringen sonst nicht gerade herkömmlich ist.

Hat man denn, dies ist die Frage, welche sich unabweislich aufzudrängen scheint, angesichts auch nur der alltäglichsten Erfahungen ein Recht, die Empfindungen für einfach zu erklären? Man sagt von jeder Empfindung, sie habe einen Inhalt und müsse ihn haben; man sagt aber von keiner, sie sei ihr Inhalt. Reicht nicht schon dies aus, um darzutun, daß die Empfindung, welcher außer einem Inhalt eben das Empfinden dieses Inhalts wesentlich ist, unmöglich etwas Einfaches sein kann? Die Besorgnis, es möchte sich da nur um eine Art scholastischer Distinktion [Unterscheidung - wp] handeln, wird kaum aufkommen, wenn man die unten noch ausführlicher zu erörternde Möglichkeit ins Auge faßt, daß die Intensität des Empfindens sich ändert, wenn auch die Intensität des Inhaltes, die gewöhnlich, aber ganz ungenau so genannte Empfindungs-Intensität (2) ungeändert bleibt. Indessen wird man es wenigstens mit Rücksicht auf unseren nächsten Zweck für überflüssig erachten dürfen, der Sache weiter nachzugehen, da eine ganz geringfügig Umformung in der gewöhnlichen Ausdrucksweise, ja eine ganz leichte Interpretation der letzteren die Unzukömmlichkeit mühelos beseitigt. Man braucht nämlich das Attribut Einfachheit nur auf den Inhalt statt auf die Empfindung als Ganzes zu beziehen: es steht zu erwarten, daß Jedermann bereitwillig einräumen wird, er habe mit der traditionellen "Einfachheit der Empfindung" überhaupt kaum etwas Anderes als eben die Einfachheit des Empfindungs-Inhaltes gemeint.

Inzwischen macht sich die so gewonnene Klärung zunächst in der Weise gelten, daß die beseitigte Schwierigkeit nunmehr unter ausschließlicher Bezugnahme auf den Inhalt in verstärktem Maße wiederkehrt. Niemand bezweifelt, daß man Rot, Grün, Gelb, Blau empfinden kann; haben aber diese Inhalte Anspruch darauf, für einfach zu gelten? Rot, Blau usw. stimmen alle darin überein, daß es Farben sind: kann das anders gedeutet werden, als so, daß alle diese Inhalte ein Element gemeinsam haben, dasjenige nämlich, welches uns im Begriff Farbe entgegentritt und das dann erst durch besondere Determinationen zur roten, blauen Farbe usw. bestimmt wird? Die Empfindung des Roten müßte dann zumindest zwei Bestandsstücke aufweisen: den Inhalt des allgemeinen Farbenbegriffs und jenes determinierende Element, das in dem Ausdruck "rote Farbe" eine deutlich gesonderte sprachliche Bezeichnung zu finden scheint, ohne daß übrigens angenommen werden müßte, es könne dieses determinierende Element abgesondert von Farbe oder auch das Element Farbe abgesondert von jeder Determination vorgestellt werden. Und nicht genug daran: jedes Rot, das man empfindet, ist ja jedenfalls ein ganz bestimmtes Rot, und es ist herkömmlich, an einem solchen den Farbton, die Sättigung und die Helligkeit zu unterscheiden. Hat nun etwa spectrales Rot mit dem Rot eines gewissen Pigments den Farbton, das spektrale Rot mit dem spektralen Orange ungefähr die Sättigung, helles Rot mit einem bestimmten Hellgrün vielleicht die Helligkeit gemein, so scheint damit bereits das Vorhandensein dreier in irgendeinem, gleichviel wie beschränkten Sinn unabhängig Variablen in der angeblich einfachen Empfindung erwiesen. Ist es schließlich am Platz gewesen, das Kontinuum der sämtlichen zwischen Purpur und Orange gelegenen Farben als Determinationen des allgemeinen Inhalts Farbe durch den spezielleren Inhalt Rot zu kennzeichnen, so muß es wohl auch statthaft sein, derselben Betrachtungsweise zu folgen, wenn man das Kontinuum der Rot-Empfindungen etwa in zwei Hälften auseinanderlegt: für jede dieser Hälften muß nämlich ein neues determinierendes Element aufgezeigt werden können. Dies aber natürlich wieder nicht nur bei einer Zweiteilung, sondern ebensogut bei einer Drei- oder Vierteilung; ja die Zahl der Teilungen und damit der Determinationen müßte folgerichtig ins Unendliche wachsen können, falls man nicht etwa bei der Unterschiedsschwelle Halt machen zu müssen meint. Da nun aber das vom Farbton Gesagte wieder auch auf Sättigung und Helligkeit anwendbar wäre, so findet man sich vor das Ergebnis gestellt, daß im Inhalt einer beliebigen Farb-Empfindung nicht etwa nur zwei oder drei, sondern mindestens sehr viele, möglicherweise unendliche viele Elemente als gegeben angenommen werden müßten. Zugleich erkennt man, wie das hier von Licht-Empfindungen Dargelegte auf jedes wie immer geartete Empfindungs-Kontinuum seine Anwendung findet.

Natürlich macht nun aber der Umstand, daß sich diese Ergebnisse doch sofort als etwas ziemlich Abenteuerliches darstellen, auch schon das erste Argument gegen die Triftigkeit der ganzen hier vorgebrachten Einwendung aus. Hat man die Wahl, die Rot-Empfindung, von der wir ausgingen, nur für etwas in solchem Maß Zusammengesetztes oder für etwas Einfaches zu nehmen, so wird man sich doch unschwer für das Letztere entscheiden. Inzwischen kann sich die Theorie mit einer solchen Entscheidung nicht zufrieden geben: sie hat das Irrige in der obigen Darlegung aufzudecken, und ich erachte mich, solches zu versuchen, noch im Besonderen gehalten, nachdem ich vor Jahren selbst zugunsten dieser Betrachtungsweise eingetreten bin. Sie entstammt einem, wie bereits angedeutet, der Empfindungslehre sonst wenig nahestehenden Gebiet, dem der Abstraktionstheorie nämlich: eine Prüfung der in Rede stehenden Schwierigkeit wird sich daher auf den Boden dieser Theorie begeben müssen.

Der Schein der Selbstverständlichkeit, welcher den obigen Ausführungen eignet, geht auf eine psychologische Tatsache zurück, welche ich an einem anderen Ort, übrigens aus Anlaß von ganz hierher gehörigen Erwägungen, in dem Satz ausgesprochen habe: "Jeder Abstraktionsakt setzt eine Mehrheit von Elementen in dem ihm gegebenen Vorstellungsinhalt voraus, jeder Determinationsakt muß eine solche Mehrheit zum Ergebnis haben." (3) Die Empfindung nämlich, welche etwa das durch ein bestimmtes rotes Glas durchgelassene Tageslicht hervorruft, ferner die Vorstellungen Hellrot, Rot, Farbe stehen zueinander ohne Zweifel im Verhältnis der Unter- und Überordnung; es scheint aber außer Frage, daß eine solche Reihe anders als auf dem Weg der Abstraktion oder Determination nicht zu gewinnen ist.

Den eben wiedergegebenen Satz erachte ich auch heute für einfwurfsfrei. So gewiß Abstrahieren nichts Anderes bedeutet, als die partielle Bevorzugung durch ein Zuwenden der Aufmerksamkeit, welche die partielle Vernachlässigung durch ein Abwenden der Aufmerksamkeit zur naturgemäßen, gleichviel ob gewollten oder ungewollten Folge hat, so gewiß findet die Abstraktionstätigkeit an etwas Einfachem keinen Angriffspunkt. Determination aber tritt schon ihrem Begriff, zumindest dem herkömmlichen, nach als eine Inhalts-Zufügung auf. Auch daß alle Subordination zuletzt auf Abstraktion oder Determination zurückgehen müsse, hat mir lange selbstverständlich geschienen; wenn ich gleichwohl derzeit das Gegenteil einer solchen Annahme vertreten muß, so mag solches zunächst wohl dem bei experimenteller Behandlung psychologischer Probleme sich von selbst einstellenden Bedürfnis zuzuschreiben sein, möglichst viel an den zu untersuchenden Tatsachen selbst zu beobachten und sich so wenig wie möglich mit einer bloßen Stellvertretung durch die beiläufige Vorstellung des mutmaßlichen Sachverhaltes zufrieden zu geben. Eine ansehnliche Reihe von Demonstrationsversuchen, welche das Gebiet der Farbempfindungen betrafen, bot mir im Laufe des verflossenen Winters oft genug Gelegenheit zur Frage, ob ich etwa einem bestimmten hellroten Pigment gegenüber imstande wäre, an dem so empfundenen Hellrot etwas zu bevorzugen, anderes zu vernachlässigen: der Erfolg war in allen Fällen ein völlig übereinstimmender. So anstandslos es nämlich gelang, etwa von der Farbe abzusehen und die Gestalt festzuhalten, oder umgekehrt unter Vernachlässigung der Gestalt die Farbe zum Gegenstand der Betrachtung zu machen, so ausnahmslos fand ich mich unfähig, an der so von der Gestalt gleichsam losgelösten (4) hellroten Farbe durch eine ähnliche Ausscheidung des Hellen das Rote, oder durch Ausscheidung des Hellroten die Farbe zurückzubehalten. Daß die Proben an Empfindungen gemacht wurden, wird mit Rücksicht auf den Gegenstand dieser Abhandlung nicht leicht befremden, dagegen könnte derjenige, dem zunächst das Abstraktionsproblem am Herzen liegt, den Vorgang deshalb angreifbar finden, weil beim Abstrahieren in der Regel doch nicht von Wahrnehmungsvorstellungen, sondern von Einbildungsvorstellungen (5) ausgegangen wird. Ich habe dem entgegenzuhalten, daß die größere Lebhaftigkeit des empfundenen gegenüber dem "bloß gedachten" Hellroth doch viel eher als günstig denn als ungünstig in Betracht kommen müßte, wo es irgendwie schwierige Operationen auszuführen gilt. Überdies steht es aber jederzeit im Belieben des Versuchenden, auch etwa mit geschlossenen oder abgewandten Augen das Experiment zu wiederholen, er überzeugt sich jedesmal, daß auch der Erfolg des so abgeänderten Verfahrens kein günstigerer ist.

Ähnliches ließe sich nun aber auch mit Tönen oder anderen Inhalten ausführen, falls diese sich nur in ein Kontinuum zusammenordnen, für dessen Ganzes oder Teile begriffliche Zusammenfassungen bestehen. Überall ist das Ergebnis ein so auffallendes, daß es sicher keine Überwindung kosten möchte, im Bereich dieser Tatsachen auf die Aufmerksamkeitstheorie zu verzichten, wenn dadurch nicht zugleich für die betreffenden Gebiete Schwierigkeiten erneuert schienen, denen zu begegnen die Aufmerksamkeitstheorie in besonderer Weise geeignet ist. Sie treten am deutlichsten in der Begriffslehre gelegentlich der Fragen nach Inhalt und Umfang des Begriffs hervor: es soll daher hier sogleich zu zeigen versucht werden, daß diese Fragen auch gegenüber der veränderten Sachlage eine ausreichende, wenn auch natürlich abgeänderte Beantwortung gestatten. Doch empfiehlt es sich, mit der logisch noch nicht bearbeiteten Vorstellung den Anfang zu machen, wie sie uns in Bedeutung und Geltungsgebiet des natürlich angewendeten, aber noch nicht ausdrücklich definierten Wortes entgegentritt.

Daß an Benennungen wie Blau, Rot, Grün und dgl. für den, der die Wörter versteht, sich Farbvorstellungen knüpfen, deren Inhalt nach Farbenton, Sättigung und was sonst nur immer zur Farbe gehören mag, völlig determiniert ist, versteht sich mit wie ohn Voraussetzung der Aufmerksamkeitstheorie von selbst. Aber letztere behauptet zugleich die Vernachlässigung der Determinationen und führt so ungezwungen zur Anwendbarkeit des allgemeinen Ausdrucks auf Einzelfälle, die eben als mit Rücksicht auf jene Determinationen verschieden aufgefaßt werden. Wie steht es mit einer solchen Anwendung, wenn auch "Vernachlässigung" der Verschiedenheiten, wie es scheint, nicht mehr gerechnet werden kann?

Es is von Wert, der Frage möglichst konkrete Gestalt zu geben. Gesetzt etwa, es wird ein Blatt farbigen Papiers vor mich hingelegt, und ich urteile: "Dies ist rot": auf welchen psychischen Tatbestand weist dieser Ausspruch hin? Man wird durch die Fragestellung und die Formulierung der in Betracht gezogenen Aussage wohl sofort an die Analysen elementarer Urteilsvorgänge erinnert, durch welche SIGWART der logischen wie psychologischen Untersuchung so wertvolle Anregungen gegeben hat (6). Gleichwohl kann ich in der Beschreibung des durch einen solchen Ausspruch gekennzeichneten Sachverhalts dem Vorgang dieses bewährten Forschers nicht durchaus folgen.

Zwei Dinge mögen hier nur ganz nebenbei zur Sprache gebracht sein.

Vor allem scheint mir das "dies", durch welches sich unser Beispiel als Fall des "erzählenden" Urteils zu erkennen gibt, bereits für sich allein ein Urteil zu verraten. Das Wort tritt ja hier als Zeichen einer vollzogenen Wahrnehmung auf; jede Wahrnehmung aber ist ihrem Wesen nach ein Urteil, näher ein Existenzurteil, dessen Inhalt mit dem Inhalt der dem Wahrnehmungsakt zugrunde liegenden Vorstellung zusammenfällt, in unserem Fall also einfach mit dem Inhalt der Rot-Empfinung nebst dem, was etwa sonst noch zum Inhalt einer Gesichtswahrnehmung unerläßlich ist. Mit dieser Behauptung habe ich in der durch SIGWARTs neueste Publikation (7) mutmaßlich in Fluß gebrachten Kontroverse, noch ehe ich diese voraussehen konnte (8), gegen SIGWART und für BRENTANO Stellung genommen, und es ist nun wohl nicht tunlich, hier, gewissermaßen nachtragsweise, diese Stellungnahme in so eingehender Weise zu begründen, als es die Wichtigkeit der Sache verlangen möchte. Doch mag es eben diese Wichtigkeit rechtfertigen, wenn ich, aus dem Gedankenkreis der gegenwärtigen Abhandlung möglichst wenig heraustretend, zumindest denjenigen Punkt in der Kontroverse berühre, von dem aus, wie ich vermute, etwa am leichtesten eine Verständigung anzubahnen wäre. Verstehe ich recht, so geht SIGWARTs Angriff eigentlich gegen die Ansicht, Wahrnehmung sei im Wesentlichen ein Urteil über die Existenz der Wahrnehmungsvorstellung oder über die Existenz des betreffenden Vorstellungsinhaltes als solchen (9). So weit dem so ist, so weit fehlt, wie man unbedenklich einräumen muß, jeder Anlaß, der Position SIGWARTs entgegenzutreten. In unserem Beispiel bedeutet die Rot-Wahrnehmung sicher weder das Urteil, daß ich eine Rot-Empfindung habe, noch, daß jetzt der Empfindungsinhalt Rot vorhanden ist, obwohl natürlich jedes dieser Urteile, wenn ich es fälle, richtig wäre. Wie wenig solche mögliche Urteile für den Wahrnehmungsakt selbst und dessen psychologische Natur zu bedeuten haben, das beleuchtet am besten die Tatsache, daß ganz analoge Urteile auch von demjenigen mit Recht gefällt werden können, der die Existenz eines Dings geradezu verneint, sonach von einer Wahrnehmung so weit als nur möglich entfernt ist. Dann aber kann die obige Behauptung, daß alles Wahrnehmen Urteilen ist, immer noch aufrecht bleiben, denn das Urteil, das dadurch etwa für unseren Fall verlangt ist, geht weder auf die "Rot-Vorstellung", noch auf "Inhalt der Rot-Vorstellung", - sondern eben nur auf "Rot" schlechthin (10). - Übrigens scheint mir die in Rede stehende Behauptung gerade die in SIGWARTs Logik niedergelegten Analysen in nicht unwillkommener Weise zu ergänzen. Denn das Vorhandenseinn dieses elementaren Existenzialurteils (11) charakterisiert dann einfach die "erzählenden" Urteile gegenüber den "erklärenden, bei denen dieses Element fehlt, wobei sich übrigens an die hier als logisches Subjekt den Ausgangspunkt ausmachende Einbildungsvorstellung ganz die gleichen Vorgänge knüpfen, welche die Analyse des erzählenden Urteils aufweist.

Ferner möchte es kaum der Erfahrung entsprechen, daß es bei jeder Benennung zu einer besonderen "In-Eins-Setzung" der Wahrnehmungsvorstellung mit einer zu diesem Zweck ins Bewußtsein gerufenen Einbildungsvorstellung kommt: auch die sorgfältigste Beobachtung läßt von einem solchen Hinzutreten einer zweiten Vorstellung zumeist gar nichts bemerken. Vielmehr ist der Vorgang in der Regel der, da sich an die Wahrnehmungsvorstellung und das, wie berührt, mit ihr zugleich auftretende Wahrnehmungsurteil sofort die betreffende Wortvorstellung assoziativ anschließt und eventuell zum Aussprechen des Wortes drängt. Zu einer größeren Komplikation würden wohl schon die Bedürfnisse des täglichen Lebens, das so häufig ein rasches Agnoszieren [Feststellen - wp] verlangt, keine Zeit lassen. Überdies liegt für denjenigen, welcher den (vollständigen oder unvollständigen) Benennungssatz ausspricht, psychologisch sicher oft gar nichts anderes vor, als das eben als Bedeutung des "Dies" berührte Existenz-Urteil, zusammen mit der Absicht, dasselbe mitzuteilen, wozu dann das Wort "dies", wenn nicht auch von Seiten des Hörers auf eine übereinstimmende Wahrnehmung zu rechnen ist, vermöge seiner eigenartigen Bedeutung nicht ausreicht. In vielen anderen Fällen jedoch, bei denen es wirklich auf eine Benennung oder eigentlich eine Beurteilung des vorliegenden Wahrnehmungsinhaltes ankommt, bedeutet der eben gekennzeichnete Sachverhalt jedenfalls nur eine Art abgekürzten Verfahrens, an dessen Stelle unter besonderen Umständen ohne Zweifel eine vollständige, sozusagen überlegte Urteilsfällung tritt.

Es ist leicht, und für ein klares Erfassen des Unterschiedes nicht ohne Wert, die beiden Fälle im Experiment nebeneinander zu stellen: dazu ist nichts weiter nötig als ein paar passend gewählte Blätter farbigen Papiers. Legt man der Versuchsperson zunächst einige, etwa drei, "entschiedene" Farben vor, so erfolgt die Benennung sofort und natürlich assoziativ. Läßt man hierauf aber ein viertes oder fünftes Blatt besehen mit der Frage, ob es ein gleiches ist wie das, mit welchem die ganze Versuchsreihe eröffnet worden ist, so ist es der Versuchsperson leicht, sich nach gegebener Antwort die völlige Verschiedenheit der Sachlage beim letzten Urteil gegenüber der bei den früheren Urteilen anschaulich klar zu machen. Dem letzten Urteil liegt ja, wie der Urteilende sofort bemerkt, wirklich die Vergleichung der empfundenen mit der erinnerten Farbe zugrunde. Um nun aber auch ein Beispiel zur Hand zu haben, in dem nichts weiter als SIGWARTs erzählendes Urteil wesentlich ist, läßt man etwa die Farbe eines roten Papiers bestimmen, das sich der Grenze des Orange bereits ziemlich nahe befindet. Auch in diesem Fall gibt sich die Versuchsperon zuerst seinen Assoziationen hin, welche aber diesmal sowohl auf das Wort "rot" wie auch auf das Wort "orange" führen; dann folgt wohl ab und zu, wie ich an mit deutlich beobachten konnte, das Bemühen, die assoziative Kraft des Anblicks durch eine gesteigerte Aufmerksamkeit zu verstärken und so vielleicht den Zwiespalt zu beseitigen, - der Situation dessen ein wenig verwandt, der einen vergessenen Namen durch das Heranziehen von allerlei Assoziationshilfen sowie durch ein aufmerksames Verweilen bei denselben sich ins Gedächtnis zu rufen strebt. Fruchtet dies aber nicht, dann werden mit Hilfe der reproduzierten Namen nun endlich auch die zugehörigen Vorstellungen ins Bewußtsein gerufen, und der Vergleich findet wirklich statt, dessen Ergebnis dann in der Beantwortung der gestellten Frage zutage tritt. - Nebenbei erkennt man nun auch leicht, daß dem oben so genannten abgekürzten Verfahren praktisch außer der Bedeutung, die bereits in der Abkürzung liegt, noch der Wert zukommt, auch dort anwendbar zu sein, wo die ausdrückliche Vergleichung deshalb nicht eintreten kann, weil dem Subjekt eines der Vergleichs-Fundamente nicht ausreichend verfügbar ist. Kann sich einer, wie FECHNER von sich berichtet (12), etwa Farbqualitäten nur sehr unvollkommen einbilden, so hat für ihn das auf einen direkten Vergleich zurückgehende Benennungsurteil wenig Zuverlässigkeit, während die Assoziation durch die fragliche Anomalie wohl nicht gestört sein wird.

Nun versteht es sich aber von selbst, daß, wo es gilt, psychische Tatsachen auf ihre, namentlich ihre logische, Leistungsfähigkeit zu prüfen, man sich an den vollständigen, nicht an den abgekürzten Vorgang halten wird. Förder daher auch die richtige Auffassung des letzteren indirekt die des ersteren, so bleibt doch diesem, auch wenn er der empirisch seltenere sein sollte, das Hauptgewicht. Auf ihn kommt es in der Tat auch für unsere besonderen Bedürfnisse zunächst an; wir haben uns unter fernerer Vernachlässigung des abgekürzten Verfahrens dem zuzuwenden, was SIGWART als das "In-Eins-Setzen" von Subjekt und Prädikat der erzählenden Urteile bezeichnet.

Es gehört nun durchaus wieder in den Gang der gegenwärtigen Untersuchung, daß dieser Ausdruck "In-Eins-Setzen" sich, wie namentlich Versuche von der eben beschriebenen Art deutlich machen, im ganzen Gebiet der "erzählenden" Urteile durch die bezeichnendere Wendung "vergleichen und übereinstimmen finden" ersetzen läßt (13). Was sollte auch sonst mit der reproduzierten Vorstellung der Wahrnehmung gegenüber geleistet werden? Entscheidend wichtig aber erscheint mir, daß diese Übereinstimmung nicht etwa bloß als Gleichheit, sondern auch als Ähnlichkeit zu nehmen ist, - im Grunde freilich, wenn man sich nur erst daran erinnert hat, nichts weiter als eine ganz selbstverständliche Sache. Denn daß die Rot-Empfindung mit der reproduzierten Rot-Vorstellung irgendeinmal genau inhaltsgleich sein könnte, ist, von weiter unten (14) zu berücksichtigenden Schwierigkeiten hier noch ganz unbesehen, wohl mindestens ebenso unwahrscheinlich, als daß es einmal zwei Dinge von objektiv absolut gleicher Farbe geben sollte. Man müßte es sich also nur etwa an der zur Zeit zufällig gegebenen Ununterscheidbarkeit genügen lassen; geschieht dies aber trotz des Bewußtseins einer solchen Zufälligkeit, so ist nicht abzusehen, warum nicht auch eine Ähnlichkeit eines geringeren Grades ausreichen könnte. Fragt man nun bedenklich, ob eine solche Ähnlichkeit ins Unbegrenzte abnehmen könnte, ohne das Benennungsurteil zu stören, wonach dann auch möglicherweise irgendeine Gelb-Empfindung unter den Titel "Rot" einzubeziehen wäre, so antworte ich: Die Ähnlichkeit kann so lange abnehmen, bis eine größere Ähnlichkeit zu einer anderen, dem Urteilenden geläufigen Vergleichs-Vorstellungen störend in den Weg tritt. Ich nenne unbedenklich gar vielerlei rot, was mit der Vorstellung, welche in mir beim Hören des Wortes "rot" auftritt, bald mehr, bald weniger ähnlich ist: eine Farbe aber, welche dem, was ich mir als "orange" vorstelle, ähnlicher ist, werde ich normalerweise sicher nicht mehr als rot anerkennen.

Eine merkwürdige Jllustration hierfür bietet der Umstand, daß die Geltungsgebiete der Farbennamen Rot, Organge, Gelb nach der Seite des Schwarzen ganz anders abgegrenzt sind, als die der Namen Grün, Blau oder Violett. Bekanntlich kann man durch eine Herabsetzung der Lichtstärke von jeder Farbe aus zu Schwarz gelangen: stellt man aber den Versuch mit den verschiedenen Farben an (15), so bemerkt zwar auch bei Grün, Blau und Violett jedermann, daß sie "dunkler" werden, aber niemand nimmt Anstand, die so erhaltenen Farben immer noch grün, blau, violett zu nennen, und dies so lange, bis eben eine Ununterscheidbarkeit gegenüber Schwarz wirklich oder nahezu erreicht ist. Nicht so bei Rot, Orang oder Gelb, indem hier die Verdunkelung zunächst nicht auf Schwarz, sondern auf Braun führt, eine von der Theorie bisher erstaunlich vernachlässigte "Farbe". Es muß hier dahingestellt bleiben, ob diese Verschiedenheit in der Natur der betreffenden Empfindungs-Inhalte ihren Grund hat, oder ob etwa äußere Umstände den Gebrauch eines besonderen Namens für das, was alle Welt eindeutig als "braun" bestimmt, in ähnlicher Weise begünstigt haben, wie solches in Bezug auf die Hauptfarben Rot, Gelb, Grün und Blau vermutet worden ist (16). Uns betrifft hier nur die Folgetatsache, daß Unähnlichkeiten von der Größe, welche das Benennungsurteil "Blau" noch ohne Schwierigkeit gestattet, ein analoges Vorgehen gegenüber Orange deshalb nicht aufkommen lassen, weil hier die größere Ähnlichkeit mit Braun für Letzteres entscheidet. - Einen anderen Beleg für das Obige bildet die jedermann bekannte Tatsache, daß der Ausfall der Benennungen wesentlich vom Reichtum an Ausdrücken abhängt, über welche der Benennende verfügt. Einer nennt anstandslos gelb oder rot, was der andere nur orange heißen kann, noch öfter rot oder violett, was sich dem Anderen als purpur darstellt usw.

Angesichts einer solchen Funktion der Ähnlichkeits-Relation beim vollständigen Benennungsurteil kommt es natürlich dem Wert des abgekürzten Verfahrens nicht wenig zustatten, daß sich auch hier die Ähnlichkeit, diesmal als Assoziations-Prinzip, entscheidend wirksam erweisen kann (17). Vor allem wichtig ist jedoch, daß die Heranziehung des Ähnlichkeits-Prinzips für die hier in Betracht kommenden Vorstellungen die Umfangsfrage löst. Schon soweit man in einer Vorstellung nichts als das Ergebnis abstrahierender Tätigkeit vor sich hat, läßt sich nicht verkennen, daß der logische Kunstausdruck "Umfang" eine relative Tatsache bedeutet, ein Verhältnis des durch Abstraktion hervorgehobenen Inhaltes zu Inhalten, an denen Abstraktion entweder noch gar nichts oder doch weniger zur Seite geschoben hat, - näher ein Verhältnis der Übereinstimmung, welche sich noch genauer dahin präzisieren läßt, daß die bevorzugten Inhaltsteile der betreffenden Vorstellung sich in den Inhalten der Vorstellungen, die zum Umfang der ersteren gehören, wiederfinden. Auch der Umfang von Vorstellungen wir Rot, Blau und dgl. beruth nun auf dem Prinzip der Übereinstimmung: aber es liegt eben in der Natur des Kontinuums, daß innerhalb desselben eine Ähnlichkeit die Funktionen übernehmen muß, welche sonst der absoluten Gleichheit zukommen (18). Man wird hiergegen vielleicht einwenden, daß dann der Umfang einer solchen Vorstellung an der Unbestimmtheit teilnehmen müßte, welche der Ähnlichkeits-Relation anhaftet. Aber das ist kein Einwand, denn diese Unbestimmtheit liegt tatsächlich vor, wie eine alltägliche Meinungsverschiedenheit darüber, ob diese blau oder grün, jenes gelb oder orange ist und dgl., nach Abrechnung von Empfindlichkeits-Konstanten, Kontrasten usw. immer noch zur Genüge beweisen. Natürlich erwächst daraus aber das Bedürfnis nach Kunstmitteln, solcher Unzukömmlichkeit tunlichst zu steuern, sobald anstelle der gewöhnlichen "Vorstellung" der den Erfordernissen wissenschaftlicher Strenge möglichst angepaßte "Begriff" tritt. Aber auch am Begriff bietet sich zur Bearbeitung nichts dar als der Inhalt; wir werden damit von der Umfangs- auf die Inhaltsfrage geführt.

Sie ist in Bezug auf die Prädikats-Vorstellung "Rot" im Benennungsurteil, von dem wir ausgingen, einfach genug beantwortet: es ist eben nichts weiter als ein ganz bestimmtes Rot, was da aus Anlaß der Wahrnehmung (19) reproduziert wird, - wohl in verschiedenen Fällen keineswegs das gleiche, vielmehr nach Maßgabe von Individualität, Erfahrungskreis, auch wohl augenblicklichen Zufälligkeiten innerhalb gewisser Grenzen veränderlich, ein Umstand, welcher neuerdings nahegelegt, wie nur Ähnlichkeit zu einiger Übereinstimmung zwischen gleichlautenden Benennungen verschiedener Menschen führen kann, nicht aber Gleichheit. Zu jener präzisierenden Bearbeitung jedoch, welche den Begriff gegenüber dem Vorstellen des täglichen Lebens auszeichnet, bietet ein solcher Inhalt direkt keine Gelegenheit; Rot läßt sich nicht definieren, zumindest nicht im gewöhnlichen Sinn. Nur ein Umweg über den Umfang führt hier zum Ziel: Abgrenzung des letzteren ist das einzige, aber ausreichende Fixierungsmittel, indem diese Begrenzung nun selbst in den Begriffsinhalt aufgenommen wird: rot ist eben dasjenige, was zwischen diesen und diesen Grenzen liegt, wohl auch, was einem gewissen mittleren Rot innerhalb der bestimmten Grenzen ähnlich ist. Der so umgebildete Begriff präsentiert sich nun als allgemeines Abstraktum regelmäßiger Beschaffenheit, an dem eine regelmäßige Determination sehr wohl möglich ist, falls man, wie an einem räumlichen Kontinuum am leichtesten ersichtlich ist, über Mittel verfügt, die die Relation eines bestimmten Punktes im Kontinuum zu dessen Grenzen noch näher ausdrücken.

Durch das eben Dargelegte ist der Nachweis erbracht, daß die Tatsachen, auf welche die Worte Inhalt und Umfang gehen, bei Inhalts-Kontinuen nicht ein für allemal an Abstraktionsvorgänge gebunden sind. Es erübrigt sich nun nur noch die Frage, wie es unter solchen Umständen im Besonderen mit den Fällen von Unter- und Überordnung bewandt ist, wie sie uns in der Bestimmung von Farben nach Helligkeit, Sättigung und dgl. einerseits, andererseits aber im Begriff der Farbe im Allgemeinen gegenüber den "einzelnen" Farben, wie man oft sagt, entgegentreten.

Unterscheidungen nach Helligkeit, Sättigung und dgl. haben, wie bereits oben berührt, für die nächsten Ziele der gegenwärtigen Untersuchung dadurch ein besonderes Interesse, daß die Anwendbarkeit dieser Gesichtspunkte auf die verschiedenen Farben besonders nachdrücklich auf determinierende Elmente hinzuweisen scheint, welche an die besondere Natur weder des Roten noch des Blauen gebunden, daher in ihrer Selbständigkeit besonders leicht zu erkennen wären. Aber einmal auf die Bedeutung der Ähnlichkeits-Relation in diesem Zusammenhang aufmerksam, erkennt man nun leicht auch die relative Natur eines solchen Elements, dessen Selbständigkeit gegenüber den verschiedenen absoluten Farbvorstellungen dann nur auf die ihnen gemeinsame Ähnlichkeit mit ein und demselben Korrelat beruth. Helligkeit bedeutet, wie man zunächst am besten am Grau erkennt, Ähnlichkeit mit Weiß, Dunkelheit Ähnlichkeit mit Schwarz, also, ohne damit HERINGs Gegenüberstellung von zwei qualitativen Elementen (20) zuzustimmen, Weißlichkeit oder Schwärzlichkeit. Das Gleiche gilt aber auch von den im engeren Sinn so genannten Farben, wenn man deren Helligkeit nur nicht mit der von ihr übrigens keineswegs unabhängigen Sättigung verwechselt, welche vielleicht am besten als Unähnlichkeit zu einem der betreffenden Farbe gleich hellen Grau zu bezeichnen wäre. Bei dieser letzteren Bestimmung tritt neben der Unähnlichkeit oder Distanz bereits auch ein Analogon dessen hervor, was im Raumkontinuum Richtung heißt; auch der Helligkeitsbegriff wird dieses Momentes zu völliger Präzisierung nicht entraten können, vielmehr in den Begriff ein Achse des Koordinatensystems übergehen müssen, welches der Konstruktion des Farbenkörpers zugrunde zu legen ist. (21)

Wie steht es nun aber mit dem, was das Wort Farbe ganz im allgemeinen ausdrücken soll? Man hat sich zur Antwort auf eine solche Frage schon längst auf eine Relation zum perzipierenden Sinnesorgan berufen, und ganz und gar mag ein solcher Gedanken nicht von der Hand zu weisen sein, wenn er auch für die Auszeichnung der Farbe gegenüber der sichtbaren Gestalt wenig Dienste leisten wird. Gewiß ist man jedoch auf dieses Auskunftsmittel nicht angewiesen. Schon vom Standpunkt der Aufmerksamkeitstheorie wäre ja einzuräumen, daß sich niemand Farbe in abstracto vorstellen kann, ohne dabei eine ganz bestimmte Farbe als Substrat zu verwenden. Dies vorausgesetzt, kann man nun auch einfach sagen: wer an Farbe denkt, legt diesem Gedanken möglicherweise ganz denselben Inhalt zugrunde, als der, welcher an Rot denkt; was aber entfällt, sind die Ähnlichkeitsgrenzen, zumindest innerhalb des Kontinuums, dem die Vorstellung angehört. Vielleicht könnte man sogar kurzweg sagen: was entfällt, sind die Ähnlichkeitsgrenzen überhaupt; denn während zwischen einer gewissen Farbe und ihrer Komplementärfarbe immer noch eine gewisse Ähnlichkeit besteht, scheint es gar keinen Sinn mehr zu haben, von einer Ähnlichkeit zwischen Blau und Sauer zu reden. Aber man wird schon angesichts so alltäglicher Bezeichnungen wie Klangfarbe, Farbton, kalte und warme Farbe, harter und weicher Klang, rauher und glatter Ton und dgl. die Möglichkeit von Ähnlichkeiten über ein Sinnesgebiet oder genauer über ein Qualitäten-Kontinuum hinaus zumindest nicht kurzer Hand in Abrede stellen können. So bleibt dann zumindest für den Farbbegriff die Kontinuität des Übergangs ein wichtiges, wenn auch nicht eben einfaches Bestandsstück; die Negation der Grenzen innerhalb des so umschriebenen Gebietes reicht dann völlig aus, diesem allgemeinen Begriff seine logische Stellung gegenüber spezielleren zu sichern. Natürlich können dann auch wieder letztere durch die Heranziehung der geeigneten Grenzen, genauer Ähnlichkeits-Relationen, aus ersterem durch einen Vorgang gewonnen werden, der nun ohne weiteres als Determination im gewöhnlichen Sinn bezeichnet werden mag: so wird aus dem Begriff Farbe der der hellen Farbe durch die Zufügung des relativen Attributes Weißlichkeit im obigen Sinn, ebenso der der dunklen Farbe durch die des Attribut Schwärzlichkeit usw.

Das hier zunächst an Farbenbeispielen Dargelegte überträgt sich von selbst auf andere Kontinuen, wenn dabei auch jedes Gebiet seine Besonderheiten zeigen mag. Es gehört wohl zu diesen, daß das Tongebiet eigentlich nichts aufweist, was den verschiedenen Farbnamen entspräche, nicht einmal für die Reihe: Weiß, Grau, Schwarz finden sich eigentliche Gegenstücke: denn dem Gegensatz von Hoch und Tief entspricht zunächst der von Hell und Dunkel, für die idealen Tongrenzen gibt es jedoch so wenig Namen, wie für die Tonmitte. Dagegen haben die Farben nichts, was der Unterscheidnung in einzelne Tonstufen zur Seite zu stellen wäre; letztere bringen es aber mit sich, daß bei ihnen der oben charakterisierten Anwendung der Ähnlichkeitsrelation enge Grenzen gezogen sind. Zwar läßt schon die beherrschende Stellung des Intervalls in der Musik nichts anderes vermuten, als daß die Bezeichnungen für die einzelnen Stufen der Tonleiter zunächst Intervallnamen waren, bei deren Anwendung auf die absolute Bestimmung des terminus a quo [Zeitpunkt nach dem - wp] nur wenig Gewicht gelegt zu werden brauchte. Aber mit dem steigenden Bedürfnis nach Einigung auch in dieser Richtung erhielten die Namen C, Cis, D usw. eine immer festere Bedeutung, so daß der Begriff C z. B. sich immer mehr dem eines Punktes im Tonkontinuum zu nähern scheint. Man sagt dann leicht, zwischen C und Cis liegen noch mehrere Töne, nicht aber: drei Töne von unterscheidbarer Höhe sind in gleicher Weise C, wie man etwa von drei unterscheidbaren Farben reden würde, welche doch alle drei Blau wären.

Aber solche Verschiedenheiten tun, wie eben angedeutet, der Allgemeingültigkeit unserer Ergebnisse keinen Eintrag, welche sich dahin zusammenfassen lassen, daß es neben der Begriffsbildung auf dem gleichsam direkten Weg der Abstraktion auch noch eine indirekte mittels relativer Bestimmungen gibt. Die Psychologie des Vorstellens und die Logik des Begriffs wird auf diesen Umstand wohl noch weit mehr Bedacht zu nehmen haben, als bisher geschehen ist: wie viel übrigens des oben mit Rücksicht auf das eigentliche Thema dieser Abhandlung nur kurz Berührten auf Neuheit Anspruch erheben darf, ist, wo es im Grunde doch nur auf das Wahr oder Falsch ankommt, von ziemlich geringem Interesse. Ich zweifle nicht, daß manche der Schwierigkeiten, von denen hier ausgegangen wurde, schon für die englischen Nominalisten des vorigen Jahrhunderts entscheidend waren: daß im Besonderen HUME seine Ausführungen gegen die Abstraktion so gern an "Grade der Quantität und Qualität" anknüpft (22), läßt sich leicht verstehen, wenn er dabei zunächst eben Kontinuen im Auge hatte. Seitens der modernen Logiker hat auf das, was ich eben Begriffsbildung durch relative Bestimmungen nannte, namentlich SIGWART Gewicht gelegt (23). Ich habe den Sachverhalt im Obigen unabhängig hiervon dargelegt, wie er sich mir, so viel mir bewußt, unabhängig hiervon aus den Tatsachen aufgedrängt hat: die dabei hervortretende Übereinstimmung hat unter solchen Umständen wohl etwas vom Wert einer Verifikation der Autorität des Verfassers der "Logik", wo eine einfache Bezugnahme nichts als eine Anerkennung dieser Autorität gewesen wäre.

Es erübrigt sich nun noch, aus dem hier Dargelegten für die Zwecke dieser Abhandlung die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Daß der alte empiristische Grundsatz, dem zufolge nichts im Intellekt ist, was nicht schon vorher in den Sinnen gewesen wäre, ohne ein ausgiebiges granum salis [Körnchen Salz - wp] nicht aufrecht erhalten werden könnte, darüber sind die psychologischen Empiriker heute wohl einig; jedenfalls aber bedeutet das Prinzip eine in der Regel ganz brauchbare Anweisung, die Provenienz [Herkunft - wp] von Einbildungsvorstellungen auf inhaltsgleiche Wahrnehmungsvorstellungen zurückzuführen. Natürlich versteht dies niemand so, als ob jedem Komplex in der Einbildung ein entsprechender Komplex in der Wahrnehmung vorangegangen sein müßte: für relativ einfache Einbildungsvorstellungen jedoch, zumal solche, deren "empirischer" Umfang durch ganz alltägliche Wahrnehmungs-Konkreta gegeben ist, kann nichts näher liegen als die Annahme, sie sind aus diesen Konkretis durch eine einfache Anwendung der Abstraktionstätigkeit auf dieselben hervorgegangen; damit aber ist die weitere Annahme der inhaltlichen Einfachheit dieser Konkreta schlechterdings unverträglich. Wir haben nun gesehen, daß das scheinbar Selbstverständliche im Falle der Kontinuen nicht zutrifft: wir haben Begriffe kennen gelernt, deren Umfang das ganze Kontinuum oder einen Teil desselben in sich schließt, deren Inhalt aber weit weniger durch Abstraktion als durch relative Bestimmungen fixiert ist, nach denen man im Inhalt eines der subordinierten Konkreta vergebens suchen würde. Damit ist dann aber auch der Schluß auf die Zusammengesetztheit der letzteren unvermeidlich hinfällig geworden. Erinnern wir uns ferner daran, daß die oben angeregten Einwendungen gegen die Einfachheit der Empfindungsinhalte gerade den Sachverhalt ins Auge faßten, welcher den Kontinuen wesentlich ist, so erkennen wir nun auch die Haltlosigkeit solcher Schwierigkeiten: diese werden uns sonach nicht hindern können, den Empfindungen das Attribut der Einfachheit in herkömmlicher Weise zuzusprechen.

Ein ganz anderes ist die Frage, ob es auch leicht ist, mit diesem Attribut der Einfachheit alles dasjenige in Einklang zu bringen, was gerade das Interesse der modernen Empfindungsforschung in besonderem Maße auf sich zu ziehen scheint. Auf die bisher kaum beachtete Unerläßlichkeit von Klarstellungen in dieser Richtung hinzuweisen, mag im Anschluß an die eben beendete Untersuchung dadurch noch besonders motiviert sein, daß es dabei Gedanken zu berühren gilt, deren ausdrücklichere Berücksichtigungen ohnehin mancher Leser bereits vermißt haben dürfte.

Die obigen Ausführungen sind an den Satz geknüpft worden, daß alle Abstraktion eine Mehrheit von Inhalts-Elementen voraussetzt, alle Determination eine solche Mehrheit schafft (vgl. oben). Aber sicher wäre es eben so leicht gewesen, als Ausgangspunkt die Annahme zu benutzen, daß alle Ähnlichkeit sich zuletzt auf eine teilweise Gleichheit von Elementen zurückführen läßt, somit schon die Tatsache, daß zwischen zwei Inhalten Ähnlichkeit besteht, die Annahme, beide könnten einfach sein, ausschließt. Ohne Zweifel hat die berührte Ansicht über das Verhältnis zwischen Ähnlichkeit und Gleichheit manches an sich, was für sie einzunehmen geeignet ist, aber obwohl sie gelegentlich sogar als "logische Notwendigkeit" in Anspruch genommen worden ist (24), so dürfte doch die Unrichtigkeit einer solchen Auffassung, wie bereits angedeutet (vgl. oben), für ausreichend erwiesen gelten, um ein ausdrückliches Zurückgreifen auf dieselbe hier überflüssig erscheinen zu lassen, wäre sie nicht bei bald mehr, bald weniger klarem Bewußtsein des Zusammenhangs der Ausgangspunkt für diejenigen Empfindungstheorien geworden, welche heute so sehr als die weitaus herrschenden angesehen werden müssen, daß für die Meisten höchstens noch die Wahl zwischen der einen oder anderen von ihnen offen zu stehen scheint.

Ich meine jene Aufstellungen, welche man nach WUNDTs Vorgang (25) füglich als Komponententheorien bezeichnen kann, bisher freilich, wie die YOUNG-HELMHOLTZsche und die HERINGsche Theorie zeigen, vorwiegend dem Gebiet des Gesichtssinns zugewandt, aber natürlich auch auf andere Sinnesgebiete übertragbar, wofür neuerlich ERNST MACH mit Bezug auf die Tonempfindungen einen jedenfalls geistvollen Beleg geliefert hat (26), der für uns noch dadurch ein erhöhtes Interesse gewinnt, daß an ihm der Zusammenhang mit dem eben berührten Grundgedanken besonders deutlich hervortritt. Jede Theorie dieser Art schließt nämlich die Grundannahme in sich, daß, wo immer ein qualitatives Mannigfaltiges sich durch eine Gerade zwischen zwei Grenzpunkten symbolisieren läßt, jede Bestimmung dieses Mannigfaltigen auf die beiden Grenzbestimmungen als Komponenten zurückzuführen ist, und zwar so, daß die Verschiedenheit der in derselben Geraden liegenden Bestimmungen außerdem nur noch auf dem quantitativ verschiedenen Anteil der beiden Komponenten beruth, indem dieser, wenn größer, naturgemäß auch eine größere Ähnlichkeit der resultierenden Bestimmung mit dem betreffenden Element mit sich zu führen scheint.

Ohne Zweifel ist dies eine ganz eigenartige Ausgestaltung des Satzes von der Ähnlichkeit als partieller Gleichheit. Daß es aber jedenfalls eine Ausgestaltung desselben ist, das erkennt man leicht, wenn man sich etwa den quantitativen Anteil der Komponenten in Prozentzahlen ausgedrückt denkt. Von Rot bis Gelb könnte man da z. B. die Reihe bilden: 100 R, 99 R + 1 G, 98 R + 2 G ... 50 R + 50 G ... 2 R + 98 G, 1 R + 99 G, 100 G. Von den so entstehenden 101 Gliedern haben je zwei unmittelbar benachbarte stets 99 Prozent gemeinsam, ein Prozent verschieden, - daß sich dabei während der Bewegung von R gegen G jenes Gemeinsame in immer anderer Weise auf R und G verteilt, kann in Bezug auf der die Ähnlichkeit begründenden Funktion des Gemeinsamen natürlich nichts ändern. Glieder, die durch ein Glied voneinander getrennt sind, haben 98, solche, die um zwei Glieder abstehen, 97 Prozent gemein usw., also bei wachsender Distanz oder Unähnlichkeit immer weniger Gemeinsamkeit. - Das Eigenartige einer solchen Theorie aber tritt in dem Umstand hervor, daß die eben verwendeten Zahlen zwar als Prozent-, nicht aber etwa als Elementzahlen betrachtet werden können. Was auf der geraden Linie zwischen R und G liegt, hätte nach den Voraussetzungen unseres Beispiels in keinem Fall hundert, sondern immer nur zwei Elemente, R und G, nur daß diese Elemente als quantitativ variabel angesprochen werden.

Es wäre das nun freilich ein Umstand, welcher demjenigen vielleicht neue Angriffswaffen zu liefern vermöchte, der gegen den Satz von der partiellen Gleichheit von hier aus noch einmal zu Felde zu ziehen geneigt wäre. Denn R und G treten hier in je einer Reihe von Bestimmungen auf, die am Ende wieder je ein Kontinuum bilden, innerhalb dessen, wenn es auch ein quantitatives Kontinuum sein mag, doch wohl wieder eine größere und geringere Ähnlichkeit entsprechend der größeren oder geringeren Nähe bestehen muß. Wie aber wollte man diese Ähnlichkeit in eine teilweise Übereinstimmung auflösen, ohne das auch auf Kontinua anwendbare Größer und Kleiner in das ausschließlich auf Diskreta bezogene Mehr und Weniger umzuwandeln, von der Voraussetzung, daß R und G Elemente sein wollen, ganz abgesehen?

Natürlich ist aber die Unhaltbarkeit des Zurückführungsgedankens im Allgemeinen kein Beweis gegen die Haltbarkeit der Komponententheorien, wenn es auch Beachtung verdienen wird, daß Mancher für beide Ansichten aus dem gleichen Grund eingenommen sein mag. Ebensowenig wird jedoch eine unbefangene Schätzung übersehen dürfen, daß ein gutes Stück des Anscheins von Selbstverständlichkeit, der den Komponententheorien eigen ist, eine Herkunft aufweist, die mit dem logischen Kern dieser Theorien wenig genug gemein hat. Oder täusche ich mich in der Vermutung, daß wir zuletzt doch hauptsächlich darum so gern bereit sind, in einem gegebenem Orange stets bestimmte Anteile von Rot und Gelb anzuerkennen, weil dies mit den allermeisten jener Erfahrungen zusammenzustimmen scheint, welche man unter der gemeinsamen Bezeichnung des Mischens zusammenfassen kann? Nichts scheint mir das deutlicher zu machen, als MACHs Übertragung des Komponentengedankens auf das Tongebiet: dieser kommt nämlich die in Rede stehende Erfahrungs- Analogie gar nicht zustatten, da man vielmehr daran gewöhnt ist, daß zwei Töne einen Zweiklang, nicht aber einen mittleren Einklang geben. Wirklich hat die MACHsche Theorie auf den ersten Blick genauso das Vorurteil gegen sich, als es die YOUNG-HELMHOLTZsche oder HERING'sche, so lange man von deren Unterschieden noch absieht, für sich hat: wird man aber diesen ersten Anschein schließlich nicht für den Hypothesenwert der einen Theorie in Anspruch nehmen wollen, so billigerweise auch nicht gegen den der anderen.

Inzwischen liegt eine eingehendere Prüfung dieser Theorien ganz und gar außerhalb des Vorwurfs der gegenwärtigen Darlegungen. Dagegen muß unter strengster Bezugnahme auf den uns hier beschäftigenden Gegenstand die Frage aufgeworfen werden, in welchem Sinn den Empfindungen unter Voraussetzung einer der Komponententheorien noch das Attribut Einfachheit zugesprochen werden kann, eine Frage, zu welcher außerdem wohl auch die Theorie der Partialtöne, die sich zu einem "Klang" vereinigen, gegründeten Anlaß darböte. Fürs Erste scheint sich die Antwort auf eine solche Frage sich ganz von selbst zu ergeben, und zwar in dem Sinne, daß als Empfindungen streng genommen eben nur die "Grundempfindungen" angesehen werden können, jedoch, was man im täglichen Leben Empfindungen nennt, nichts als jene Komplexionen wären, welche ausschließlich in der Erfahrung auftreten, dem auch sonst akkreditierten Satz gemäß, daß "reine Empfindungen" in ihrer Losgelöstheit empirisch nicht anzutreffen sind.

Aber müßte es schon billig befremden, daß der Ausdruck Empfindung nun wie mit einem Schlag genau all demjenigen nicht mehr zukommen sollte, worauf er bisher ohne das geringste Bedenken von aller Welt angewendet worden ist, so stehen vollends dem Appell an die "reinen Empfindungen" aufs Direkteste jene Erfahrungen entgegen, welche den Ausgangspunkt der Untersuchungen dieses Abschnitts gebildet haben. Ich kann allerdings, um auf ein oben gebrauchtes Beispiel zurückzugreifen, die Farbe nicht von der Ausdehnung loslösen, am Ende auch nicht den Blickpunkt und dessen nächste Umgebung von den peripherischen Teilen des Gesichtsfeldes: aber die Analyse läßt mich doch jedesmal im Gegebenen dessen verschiedene Bestandteile erkennen. Wer möchte dagegen im Gelb das Rot und Grün, wer im Blau das Grün und Violett YOUNGs wiederfinden? (27) Eher könnten noch die HERINGschen Grundfarben eine dergleichen Aussicht in sich zu schließen scheinen. Aber genau genommen ist eben doch, was der gemeine Mann an der Orange sieht, sicher nicht Rot und Gelb an derselben Stelle, sondern weder Rot noch Gelb, wenn auch, oder gerade deswegen, weil, was tatsächlich gesehen wird, zwischen beiden in der Mitte liegt; sogar bezüglich des Violetten scheint es mir ganz unzweifelhaft, daß in seinem Inhalt nicht Rot und Blau zugleich auftreten (28). Mit einem Wort: die oben durchgeführten Untersuchungen drängen darauf hin, in dem, was man gewöhnlich Farbempfindungen nennt, ein für allemal etwas inhaltlich Einfaches zu erkennen, mag es übrigens wo immer auf dem Farbenkörper unterzubringen sein. Durch diese Erkenntnis sind die Komponententheorien keineswegs widerlegt: aber freilich nur unter der Voraussetzung, daß sie sich mit dieser Erkenntnis zusammenreimen lassen.

Zwei Annahmen erscheinen unter solchen Umständen unvermeidlich. Ist die resultierende Tatsache einfach, so kann sie sich zu den Komponenten nicht verhalten wie die Komplexion zu den Elementen, sondern nur wie die Wirkung zu den Ursachen oder Bedingungen, indem deren Vielheit der Einheit des Ergebnisses dann in keiner Weise entgegensteht. Ferner muß den Komponenten selbst aufgrund der direkten Erfahrungen oder eigentlich wegen des Mangels an solchen die Natur bewußter psychischer Tatsachen entweder für alle oder doch für die allermeisten Fälle rundweg abgesprochen werden, wodurch dann zunächst freilich noch nicht ausgemacht wäre, ob dieselben als unbewußte psychische Tatsachen, genauer: unbewußte Empfindungen, oder als physische Tatsachen zu betrachten wären, wobei die letzteren natürlich auf eine Bewußtheit gar keinen Anspruch zu erheben vermöchten.

Den herkömmlichen Horror vor den unbewußten Empfindungen kann ich an und für sich nicht teilen, sofern mit "bewußt" und "unbewußt" nichts anderes gemeint ist als, wohl schon der etymologischen Sachlage gemäß (29), Wissen, näher Wissen um Vorgänge des psychischen Lebens, und zwar das auf direktestem Weg gewonnene Wissen um diese. "Bewußt" besagt dann eben nichts weiter als "innerlich wahrgenommen" und so groß auch das Gebiet der inneren Wahrnehmung sein mag, vorgängig ist doch gar nicht abzusehen, warum ihr schlechterdings alles psychische Geschehen unterstehen müßte, - der Tatsache ganz zu geschweigen, daß gute Gründe vorliegen, speziell das Vorhandensein unwahrnehmbarer Empfindungen für äußerst wahrscheinlich zu erachten (30). In jedem Fall bleiben aber die unbewußten psychischen Tatsachen ein gefährliches Gebiet, in dessen Dunkel man sich ohne Not nicht hineinwagen wird. Welches theoretische Interesse hätten nun die Komponententheorien an solchen unbewußten, rein hypothetischen, wirklich "erfundenen" Empfindungen? Zuletzt sind diesen Theorien doch nur die Energien, Assimilations- oder Dissimilationsvorgänge und dgl. wesentlich: welcher Wert sollte da noch psychischen Sonder-Korrelaten zukommen, wenn einmal die Erfordernis der gleichen Bestanteile beim Ähnlichen als Vorurteil erkannt ist?

Zu dem gleichen Ergebnis führt nun aber auch das terminologische Interesse, das Wort "Empfindung" nicht völlig um sein natürliches Anwendungsgebiet zu bringen. Während man sich nämlich nur widerstreben dazu verstehen würde, jene hypothetischen Unbewußtheiten für Empfindungen gelten zu lassen, müßte man aus einem weiter unten darzulegenden Grund jenen einfachen, bewußten, ja jedermann als Empfindungen wohlbekannten psychischen Tatsachen, sofern sie als Wirkungen psychischer Tatsachen auftreten, das Recht auf den Namen Empfindung entschieden absprechen. Sind dagegen die Komponenten der in Rede stehenden Theorien ihrem Wesen nach physische Tatsachen, dann bleibt, was bisher für Empfindung gegolten hat, nach wie vor Empfindung: ohne Zweifel zumindest, soweit es sich um das von uns bisher allein betonte Kriterium der Einfachheit handelt, - nicht weniger übrigens, wie die folgenden Abschnitte von selbst ergeben werden, bezüglich der übrigen Merkmale.

Der gebräuchliche Ausdruck "Grundempfindung" müßte darum keineswegs allen Sinn verlieren. Weit öfter als anti-psychologische Physiologen es Wort haben möchten, geschieht es bekanntlich, daß die Physiologie Tatsachen ihres Gebietes gleichsam nur von der psychischen Seite aus kennt und daher fürs Erste auch nur von dieser Seite her zu charakterisieren vermag. Es ist also gar nichts Ungewöhnliches, wenn auch jede unserer physiologischen Komponenten zunächst nach dem psychischen Korrelat gekennzeichnet wird, welches als an das isolierte Auftreten der Komponente gebunden erachtet werden mag. und das dann auf den Namen einer Empfindung den vollsten Anspruch hätte. Nehmen wir in einem formelhaften Beispiel an, die Komponente A führt isoliert die Empfindung a, die Komponente B ebenso die Empfindung b mit sich, so hat es dann einen ganz guten Sinn, vom gemeinsamen Auftreten von A und B eine psychologische Resultierende zu erwarten, die weder a noch b, wohl aber zwischen beiden gelegen, an Einfachheit aber den beiden gleichartig, sonach in ganz ebenso strengem Sinn eine Empfindung ist wie diese. Über das empirische Vorkommen von a und b wäre damit noch gar nichts vorausgesetzt: vorerst wären es ja nur die psychologischen Grenzen, auf welche ein gewisses der Erfahrung gegebenes Kontinuum von Empfindungsinhalten hinweist.

Schließlich sei noch ausdrücklich betont, daß ich keineswegs der Meinung bin, durch diese Ausgestaltungsvorschläge etwas Entscheidendes zugunsten der Komponententheorien überhaupt oder zugunsten einer derselben im Besonderen beigebracht zu haben. Etwas an vorgängig sich darbietenden psychologischen Bedenken könnte dadurch vielleicht beseitigt sein, die Entscheidung über eine Hypothese aber hängt endlich doch an dem Überschlag, ob, wenn man sich so ausdrücken darf, der theoretische Gewinn die theoretischen Kosten überwiegt. Ein Überschlag aber möchte, falls er überhaupt Aussicht hätte, einer Untersuchung über die Einfachheit der Empfindungen nicht wohl einzuordnen sein.
LITERATUR - Alexius Meinong, Über Begriff und Eigenschaften der Empfindung, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, zwölfter Jahrgang, Leipzig 1888
    Anmerkungen
    1) vgl z. B. die Übersicht bei VOLKMANN, Lehrbuch der Psychologie, zweite Auflage, Bd. 1, Seite 213f
    2) Nicht ungeauer freilich als der ebenso herkömmliche Ausdruck "Empfindungs-Qualität", der in Wahrheit gleichfalls auf eine Qualität des Inhalts und nicht auf eine Qualität des Empfindens geht, nur nicht wohl zu erheblichen Mißverständnissen führen kann. Denn von dieser Qualität des Empfindens, so gewiß sie natürlich besteht, noch besonders zu reden, wird nicht leicht Anlaß sein, weil sie unbeschadet größter inhaltlicher Verschiedenheiten immer die gleiche zu bleiben scheint. Anders verstünde es natürlich, wenn beim Vorstellen etwa ein analoger qualitativer Gegensatz zutage träte, wie der zwischen Bejahen und Verneinen beim Urteil, dessen Unabhängigkeit von der Qualität des Urteilsinhaltes, innerhalb gewisser Grenzen wenigstens, schon der außerpsychologischen Erfahrung geläufig ist.
    3) MEINONG, Zur Relationstheorie, Seite 78
    4) Daß eine Abstraktion nicht etwa mit einer wirklichen Lostrennung zusammenfällt, vgl. Hume-Studien I, Seite 10.
    5) Die beiden Ausdrücke interpretieren sich an dieser Stelle wohl von selbst. Näheres über sie wird zu Anfang von Aschnitt II (vgl. die Fortsetzung im nächsten Heft) beigebracht werden. Die dort bezüglich ihrer Anwendung in der Psychologie zu machenden Vorschläge sind gewissermaßen probeweise bereits im Ganzen vorliegenden Aufsatz durchgeführt, - auch an den wenigen Stellen, wo sie schon vor einem ausdrücklichen Vorschlag unvermeidlich sind.
    6) Vgl. SIGWART, Logik, Teil 1, Abschnitt 2.
    7) SIGWART, Die Impersonalien, eine logische Untersuchung", Freiburg i. B. 1888, namentlich Seite 58-66.
    8) Das Manuskript des gegenwärtigen Aufsatzes war in der Hauptsache fast vollendet, da die Schrift Sigwarts mir zu Händen kam.
    9) Meine Vermutung entspringt zunächst Stellen, wie die folgenden, an denen ich, was besonders deutlich für mich spricht, durch den Druck hervorhebe: Seite 62: "Der Begriff als solcher bedarf keines Anerkennens oder Setzens; sobald er wirklich gedacht wird, ist alles geschehen, was in Bezug auf ihn als diesen einzelnen Begriff möglich ist; es ist gar nicht abzusehen, worauf sich das Anerkennen beziehen, oder wie ihm, wenn er wirklich gedacht wird, die Anerkennung sollte verweigert und in welchem Sinn er sollte verworfen werden können . . . " In einem anderen Zusammenhang: ". . . dann ist aber eben nicht der Begriff selbst . . . Gegenstand der Anerkennung oder Verwerfung". Für den Fall der Wahrnehmung selbst aber wird Seite 62f abgelehnt, "daß ich dieses Gesichtsbild rein als solches, als diesen sichtbaren Gegenstand, anerkenne oder verwerfe; es ist einfach da, Objekt meines Bewußtseins, ich mag wollen oder nicht".
    10) Bemerkenswert bleibt es immerhin, daß die Urteile: "Der Inhalt der A-Vorstellung existiert", und "A existiert" so wenig dasselbe besagen, daß vielmehr das erste Urteil auch war sein kann, wenn das zweite falsch ist, ja jedenfalls auch dann Geltung hat, wenn das zweite sich in sein Gegenteil, die Negation, verkehrt. Es sieht beinahe aus, als ob der Grundsatz: "Das Bestehen des Ganzen schließt das Bestehen der Teile des Ganzen in sich" Ausnahmen zuläßt. Oder ist unser Fall vielmehr so zu verstehen, daß etwas sehr wohl unter gewissen determinierenden oder modifizierenden Bedingungen gegeben sein kann, von dem ein Bestehen ohne diese Bedingungen nicht behauptet werden dürfte?
    11) vgl. übrigens Sigwarts eigene Bemerkung, a. a. O., Bd. I, Seite 99 oben.
    12) FECHER, Elemente Bd. II, Seite 470
    13) Vgl. das von Sigwart selbst über das "Prinzip der Übereinstimmung" gesagte, Logik I, Seite 82.
    14) Abschnitt II.
    15) Am einfachsten wohl am Rotations-Apparat mit zwei verschiebbaren Sektoren, deren einer schwarz ist, der andere jedoch die eben zu untersuchende Farbe hat.
    16) Vgl. WUNDT, Physiologische Psychologie, Bd. 1, dritte Auflage, Seite 451.
    17) Ich habe dabei keineswegs das gemeinhin so genannte Gesetz der Assoziation nach Ähnlichkeit im Auge, weit eher das, was man gewöhnlich als Assoziation nach Koexistenz (Kontiguität kan nur als Grenzfall gelten) zu betrachten pflegt, indem man den Anteil der Ähnlichkeit daran ganz außer Acht läßt. Man sagt eben gewöhnlich: Hat A mit B koexistiert, und tritt dann etwa A wieder ins Bewußtsein, so zieht es das B nach sich. Das ist insofern ungenau, als die Vorstellung A, die mit der Vorstellung B jene Reproduktions-Disposition begründet hat, welche wir Assoziation nennen, selbst nicht wiederkehren kann: das zweite A ist also bestenfalls eine der ersten Vorstellung genau inhaltsgleiche. Es kann nun aber, wie die Erfahrung oft genug lehrt, auch eine inhaltsähnliche sein. Eine Kombination von Assoziations-Prinzipien anzunehmen, so nämlich, daß das dem A Gleiche oder Ähnliche zunächst das A und dieses erst das B wachruft, widerspricht häufig genug dem direkten Zeugnis der Erfahrung.
    18) Über die Aussichtslosigkeit eines Versuchs, jede Ähnlichkeit auf Gleichheit zurückzuführen, vgl. STUMPF, Tonpsychologie, Bd. 1, Seite 112f. - auch meine Bemerkungen "Zur Relationstheorie", Seite 80f, nur daß hier der Sachverhalt noch nicht mit ausreichender Bestimmtheit gekennzeichnet ist. Auf Konsequenzen der fraglichen Ansicht komme ich weiter unten zurück.
    19) Diese zunächst als mittelbare Ursache verstanden; in der Regel zumindest wird die Wahrnehmung ein Wort assoziieren, dieses die Vorstellung, welche eventuell eine Prädikatsvorstellung wird. Assoziiert die Wahrnehmung mehrere Wörter, so kommt es dann auch zwischen mehreren Vorstellungen zur Wahl (vgl. oben).
    20) HERING, Zur Lehre vom Lichtsinn, Seite 55 und später.
    21) Denkt man sich die fragliche Helligkeitsachse vertikal, so hätte dann die von MARTY ("Die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Farbensinnes", Wien 1879, Seite 125f) mit Recht hervorgehobene Helligkeitsverschiedenheit zwischen den gesättigten "Farben" eben nur zu bedeuten, daß die den "Farbtönen" entsprechende, in sich geschlossene Linie, wenn überhaupt in einer Ebene, so jedenfalls nicht in einer Horizontalebene gelegen sein könnte.
    22) vgl. MEINONG, Hume-Studien I, Seite 39f, 42f.
    23) SIGWART, Logik I, Seite 51f, besonders 292f. - Bd. II, 102f.
    24) vgl. HERING, "Zur Lehre vom Lichtsinn", Seite 113, wo begründend hinzugefügt wird. "Empfindungen, die gar nichts Gemeinsames hätten, war ansich inkommensurabel".
    25) WUNDT, Physiologische Psychologie, dritte Auflage, Bd. 1, Seite 493.
    26) MACH, Beiträge zur Analyse der Empfindungen, Jena 1884, Seite 120f.
    27) Vgl. auch JOHANNES VOLKELT, "Erfundene Empfindungen", Philosophische Monatshefte, Jahrgang 1883, Seite 523f.
    28) Übereinstimmend STUMPF, Tonpsychologie I, Seite 108.
    29) Diese Vermutung übrigens mit der ganzen Reserve desjenigen ausgesprochen, der das im Alltagsleben wie bei philosophischen Autoren bislang so beliebte Etymologisieren aus dem Stegreif für ein recht gefährliches Geschäft hält, das zumindest für den Laien in Sachen der Sprachwissenschaft zumeist zu dessen Schaden ausschlägt.
    30) Vgl. STUMPF, Tonpsychologie I, Seite 34f.