tb-2Peter KampitsJanik/ToulminMach und Mauthner    
 
ERNST MACH
(1838-1916)
Die Vergleichung
als wissenschaftliches Prinzip


- Erkenntnis und Irrtum
- Natur der Forschung
Der Begriff ist für den Naturforscher, was die Note für den Klavierspieler, das Recept für den Apotheker, das Kochbuch für den Koch.

1. Schon die vorausgehende Betrachtung hat gelehrt, dass jede neue Vorstellung den schon vorhandenen gegenübertritt, wobei sich letztere gegen erstere nicht gleichgültig verhalten. Dies führt zur Vergleichung des Älteren mit dem Neuen, welche schon ganz unwillkürlich auch für den einzelnen Beobachter und Denker sich einstellt. Allein die Vergleichung gewinnt noch durch einen andern Umstand mächtig an Bedeutung.

Die einzige unmittelbare Quelle naturwissenschaftlicher Erkenntnis ist die sinnliche Wahrnehmung. Bei der räumlichen und zeitlichen Beschränktheit des Erfahrungskreises des Einzelnen würde aber das Ergebniss derselben nur dürftig bleiben, müsste jeder von Neuem beginnen. Die Wissenschaft kann erheblich nur wachsen durch die Verschmelzung der Erfahrung vieler Mensehen, mit Hülfe der sprachlichen Mittheilung.

Die sprachliche Mittheilung entsteht, wo mit gemeinsam beobachteten Thatsachen, Erscheinungen der äussern oder innern Wahrnehmung, sich erst unwillkürlich Laute verbinden, welche nachher zu willkürlichen Zeichen dieser Thatsachen werden. Durch diese wird es möglich, die Vorstellung nicht unmittelbar gegenwärtig beobachteter, jedoch vorher erfahrener Thatsachen in dem Angesprochenen wachzurufen. Ohne die sinnliche Wahrnehmung des Angesprochenen ist die Sprache machtlos, auf Grund derselben vermag sie aber das Erfahrungsgebiet des Einzelnen gewaltig zu erweitern.

Zum Zweck der Mittheilung muss jede neue zunächst passiv aufgenommene Wahrnehmung, so gut es eben angeht, selbstthätig in allgemein bekannte Elemente zerlegt, beziehungsweise aus denselben aufgebaut werden, welcher Vorgang schon spontan durch Association und Erinnerung vollzogen wird. Hiermit tritt schon bei den einfachsten Beobachtungen ein nicht nur berechtigtes, sondern nothwendiges, unvermeidliches speculatives Element in Wirksamkeit. Sowohl das Anpassungsbestreben im Denken des Einzelnen, als auch das Streben der Mittheilung, und endlich auch die Nothwendigkeit der Ökonomie im Denken des Einzelnen und des Mittheilenden, welch letzterer ja mit einer beschränkten Anzahl von Vorstellungs- und Sprachelementen auskommen muss, drängen also zur Vergleichung.

Die Vergleichung ist aber zugleich auch das mächtigste innere Lebenselement der Wissenschaft. Denn aller Zusammenhang, alle begriffliche Einheit kommt durch die Vergleichung in- die Wissenschaft. Der Zoologe sieht in den Knochen der Flughaut der Fledermaus Finger, vergleicht die Schädelknochen mit Wirbeln, die Embryonen verschiedener Organismen miteinander und die Entwicklungsstadien desselben Organismus untereinander, und erhält so statt eines Conglomerates zusammenhangsloser Thatsachen ein geordnetes, aus gleichartigen Elementen bestehendes, von einheitlichen Motiven beherrschtes Bild.

Der Geograph erblickt in dem Gardasee einen Fjord, in dem Aralsee eine im Vertrocknen begriffene Lake. Der Sprachforscher vergleicht verschiedene Sprachen und die Gebilde derselben Sprache. Wenn es nicht üblich ist, von vergleichender Physik zu sprechen, wie man von vergleichender Anatomie spricht, so liegt dies gewiss nur daran, dass bei einer experimentellen Wissenschaft die Aufmerksamkeit von dem contemplativen Element allzusehr abgelenkt wird. Die Physik lebt und wächst, wie jede andere Wissenschaft, durch die Vergleichung.

2. Die Art, in welcher das Ergebniss der Vergleichung in der Mittheilung Ausdruck findet, ist eine verschiedene: Wenn wir sagen, die Farben des Spektrums seien roth, gelb, grün, blau, violett, so mögen diese Bezeichnungen etwa von der Technik des Tätowirens herstammen, oder sie mögen später die Bedeutung gewonnen haben, die Farben seien jene der Rose, Citrone, des Blattes, der Kornblume, des Veilchens.

Niemand denkt bei dem Worte "roth" an eine andere Übereinstimmung mit der Rose, als jene der Farbe, bei dem Worte "gerade" an eine andere Eigenschaft der gespannten Schnur, als die durchaus gleiche Richtung. So sind auch die Zahlen, ursprünglich die Namen der Finger, Hände und Füsse, welche als Ordnungszeichen der mannigfaltigsten Objekte benützt wurden, zu abstrakten Begriffen geworden. Nur die Naivetät der Pythagoräer konnte meinen,, mit Zahlenverhältnissen nicht eine Eigenschaft: sondern das ganze Wesen der Dinge zu treffen. Eine sprachliche Mittheilung über eine Thatsache, die nur diese rein begrifflichen Mittel verwendet, nennen wir eine direkte Beschreibung.

Die direkte Beschreibung einer etwas umfangreicheren Thatsache ist eine mühsame Arbeit, selbst dann? wenn die hierzu nöthigen Begriffe bereits voll entwickelt sind. Welche Erleichterung muss es also gewähren, wenn man sagen kann, eine in Betracht gezogene Thatsache A verhalte sich nicht in einem einzelnen Merkmal, sondern in vielen oder allen Stücken wie eine bereits bekannte Thatsache B. Der Mond verhält sich wie ein gegen die Erde schwerer Körper, das Licht wie eine Wellenbewegung oder elektrische Schwingung, der Magnet wie mit gravitirenden Flüssigkeiten beladen usw. Wir nennen eine solche Beschreibung, in welcher wir uns gewissermaassen auf eine bereits anderwärts gegebene oder auch erst genauer auszuführende berufen, naturgemäss eine indirekte Beschreibung.

Es bleibt uns unbenommen, dieselbe allmälig durch eine direkte zu ergänzen, zu corrigiren oder ganz zu ersetzen. Man sieht unschwer, dass das, was wir eine Theorie oder eine theoretische Idee, einen Ansatz zu einer Theorie, nennen, in die Kategorie der indirekten Beschreibung fällt.

3. Was ist eine theoretische Idee? Was leistet sie uns? Warum scheint sie uns höher zu stehen, als das blosse Festhalten einer Thatsache, einer Beobachtung? Auch hier ist einfach Erinnerung und Vergleichung im Spiel. Nur tritt uns hier aus unserer Erinnerung, statt eines einzelnen Zuges von Aehnlichkeit, ein ganzes System von Zügen, eine wohlbekannte Physiognomie entgegen, durch welche die neue Thatsache uns plötzlich zu einer geläufigen wird. Ja die Idee kann und soll mehr bieten, als wir in der neuen Thatsache augenblicklich noch sehen, sie kann dieselbe erweitern und bereichern mit Zügen, welche erst zu suchen wir veranlasst werden, und die sich oft wirklich finden. Diese Rapidität der Wissenserweiterung ist es, welche der Theorie einen quantitativen Vorzug vor der einfachen Beobachtung giebt, während jene sich von dieser qualitativ weder in der Art der Entstehung noch in dem Endergebniss wesentlich unterscheidet.

Betrachten wir ein magnetisches Stahlstück neben einem sonst gleich beschaffenen unmagnetischen. Während letzteres sich gegen Eisenfeile gleichgültig verhält, zieht ersteres dieselbe an. Auch wenn die Eisenfeile nicht vorhanden ist, müssen wir uns das magnetische Stück in einem andern Zustand denken, als das unmagnetische. Denn, dass das blosse Hinzubringen der Eisenfeile nicht die Erscheinung der Anziehung bedingt, zeigt ja das andere unmagnetische Stück. Der naive Mensch, dem sich zur Vergleichung sein eigener Wille als bekannteste Kraftquelle darbietet, denkt sich in dem Magnet eine Art Geist. Das Verhalten eines heissen oder eines elektrischen Körpers legt ähnliche Gedanken nahe. Dies ist der Standpunkt der ältesten Theorie, des Fetischismus, den die Forscher des frühen Mittelalters noch nicht überwunden hatten, und der mit seinen letzten Spuren, mit der Vorstellung von den Kräften, noch in unsere heutige Physik herüberragt. Das dramatische Element fehlt also, wie wir sehen, nicht immer in einer naturwissenschaftlichen Beschreibung.

5. Es möchte nach diesen Betrachtungen nicht nur ratsam, sondern sogar geboten erscheinen, ohne bei der Forschung die wirksame Hilfe theoretischer Ideen zu verschmähen, doch in dem Maß, als man mit den neuen Tatsachen vertraut wird, allmählich an die Stelle der indirekten die direkte Beschreibung treten zu lassen, welche nichts Unwesentliches mehr enthält, und sich lediglich auf die begriffliche Passung der Thatsachen beschränkt.

Wir müssen sogar zugestehen, dass wir ausser Stande sind jede Thatsache sofort direkt zu beschreiben. Wir müssten vielmehr mutlos zusammensinken: würde uns der ganze Reichthum der Tatsachen, den wir nach und nach kennen lernen, auf einmal geboten. Glücklicher Weise fällt uns zunächst nur Vereinzeltes, Ungewöhnliches auf, welches wir, mit dem Alltäglichen vergleichend, uns näher bringen. Hierbei entwickeln sich zunächst die Begriffe der gewöhnlichen Verkehrssprache. Mannigfaltiger und zahlreicher werden dann die Vergleichungen umfassender die verglichenen Thatsachengebiete, entsprechend allgemeiner und abstrakter die gewonnenen Begriffe, welche die direkte Beschreibung ermöglichen.

Erst wird uns der freie Fall der Körper vertraut. Die Begriffe Kraft, Masse, Arbeit werden in geeigneter Modifikation auf die elektrischen und magnetischen Erscheinungen übertragen. Der Wasserstrom soll FOURIER das erste anschauliche Bild für den Wärmestrom geliefert haben. Ein besonderer, von TAYLOR untersuchter Fall der Saitenschwingung erklärt ihm einen besonderen Fall der Wärmeleitung. Ähnlich wie Dan. BERNOULLI und Euler die mannigfaltigsten Saitenschwingungen aus TAYLOR’schen Fällen setzt FOURIER die mannigfaltigsten Wärmebewegungen analog aus einfachen Leitungsfäden zusammen, und diese Methode verbreitet sich über die ganze Physik. Ohm bildet seine Vorstellung vom elektrischen Strom jener FOURIERs nach. Dieser schliesst sich auch FICKs Theorie der Diffusion an. In analoger Weise entwickelt sich eine Vorstellung vom magnetischen Strom.

Alle Arten von stationären Strömungen lassen nun gemeinsame Züge erkennen, und selbst der volle Gleichgewichtszustand in einem ausgedehnten Medium theilt diese Züge mit dem dynamischen Gleichgewichtszustand, der stationären Strömung. So weit abliegende Dinge wie die magnetischen Kraftlinien eines elektrischen Stromes und die Stromlinien eines reibungslosen Flüssigkeitswirbels treten dadurch in ein eigenthümliches Aehnlichkeitsverhältniss. Der Begriff "Potential", ursprünglich für ein engbegrenztes Gebiet aufgestellt, nimmt eine umfassende Anwendbarkeit an. An sich so unähnliche Dinge wie Druck, Temperatur, elektromotorische Kraft zeigen nun doch eine Übereinstimmung in ihrem Verhältniss zu den daraus in bestimmter Weise abgeleiteten Begriffen: Druckgefälle, Temperaturgefälle, Potentialgefälle.

Die Definition eines Begriffes, und, falls sie geläufig ist, schon der Name des Begriffes, ist ein Impuls zu einer genau bestimmten, oft komplicirten prüfenden, vergleichenden oder konstruierenden Thätigkeit, deren meist sinnliches Ergebnis ein Glied des Begriffsumfangs ist, wie dies in einem folgenden Kapitel näher ausgeführt wird. Es kommt nicht darauf an, ob der Begriff nur die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Sinn (Gesicht) oder die Seite eines Sinnes (Farbe, Form) hinlenkt, oder eine umständliche Handlung auslöst, ferner auch nicht darauf, ob die Thätigkeit (chemische, anatomische, mathematische Operation) muskulär oder gar technisch oder endlich nur in der Phantasie ausgeführt, oder gar nur angedeutet wird.


Der Begriff
ist für den Naturforscher, was die Note für den Klavierspieler, das Recept für den Apotheker, das Kochbuch für den Koch. - Derselbe löst bestimmte Reaktionsthätigkeiten, nicht aber fertige Anschauungen aus. Der geübte Mathematiker oder Physiker liest eine Abhandlung so, wie der Musiker eine Partitur liest. So wie aber der Klavierspieler seine Finger einzeln und combinirt erst bewegen lernen muss, um dann der Note fast unbewusst Folge zu leisten, so muss auch der Physiker und Mathematiker eine lange Lehrzeit durchmachen, bevor er die mannigfaltigen feinen Innervationen [Nervenimpulse - wp]) seiner Muskeln und seiner Phantasie, wenn man so sagen darf, beherrscht.

Wie oft führt der Anfänger in Mathematik oder Physik anderes, mehr oder weniger aus? als er soll, oder stellt sich anderes vor. Trifft er aber nach der nöthigen Uebung etwa auf den Begriff "Potential", so weiss er sofort, was das Wort von ihm will. Wohlgeübte Thätigkeiten, die sich aus der Nothwendigkeit der Vergleichung und Darstellung der Thatsachen durch einander ergeben haben, sind also der Kern der Begriffe; Will ja auch sowohl die positive wie die philosophische Sprachforschung gefunden haben, dass alle Wurzeln durchaus Begriffe und ursprünglich durchaus nur muskuläre Thätigkeiten bedeuten.


Die Sprache
1. In einem vorausgehenden Kapitel wurde die sprachliche Mittheilung nicht nur als nothwendige Bedingung der Entstehung der Wissenschaft bezeichnet, sondern auch darauf hingewiesen, dass schon durch dieses Mittel. allein das Motiv der Vergleichung in die wissenschaftliche Darstellung und Forschung eingeführt wird. Es sei mir deshalb gestattet, ohne selbstredend irgend einen Anspruch zu erheben in Bezug auf Fragen, welchen ich nicht durch eigene Untersuchungen nachgehen konnte, meinen Standpunkt in Bezug auf den Ursprung, die Weiterbildung der Sprache und deren Bedeutung für das wissenschaftliche Denken darzulegen.

Sobald unser Bewusstsein in voller Helligkeit aufleuchtet, finden wir uns bereits im Besitze der Sprache. Dies erscheint dem Kinde so selbstverständlich, dass dasselbe sehr erstaunt ist, zu hören, das Neugeborene müsse die Sprache erst lernen. Haben uns aber die Thatsachen dies Zugeständniss einmal abgerungen, so fragen wir, natürlich alsbald,: Wer hat die Sprache zuerst gelehrt, wer hat sie erfunden? Sind wir nicht mehr so naiv, dieselbe für ein Geschenk der Götter zu halten, so treten zunächst die rationalistischen Versuche auf, welche die Sprache als ein Produkt sinnreicher Erfindung und Uebereinkunft darstellen, und die allerdings dem noch nicht sprechenden Menschen eine die gegenwärtige Intelligenz weit übersteigende Geisteskraft zumuthen.

Die positive Sprachforschung lehrt verschiedene Ent-wicklungsstufen derselben Sprache, verschiedene mit einander verwandte Sprachen muthmaasslich gemeinsamer Abstammung, endlich Sprachen von ungleich entwickeltem Bau kennen. ‘Hierdurch drängt sich die mehr besonnene und aussichtsvolle Frage nach der Art der Sprachentwicklung in den Vordergrund, und jene nach dem Sprachursprung tritt als eine solche zurück, die mit der ersteren von selbst ihre natürliche Antwort findet. Hierzu kommt, dass wir die Weiterbildung unseres eigenen Sprechens und Denkens ganz wohl beobachten können. Indem wir so reiches Beobachtungsmaterial in uns selbst vorfinden, ist die philosophische und psychologische Forschung in die günstige Lage versetzt, mit der positiven auf diesem Gebiet erfolgreich in Wettbewerb treten zu können.

Etwas von der alten Naivetät der Fragenstellung sehen wir darin, dass man noch immer gern nach dem Ursprung der Menschensprache
frägt, als ob diese irgendwann und irgendwo einen genau bestimmbaren Anfang genommen hätte. Nach unserem heutigen naturwissenschaftlichen Standpunkt müssen wir doch eine andere Auffassung haben. Woraus denn soll die Menschensprache sich entwickelt haben, als aus der Thiersprache unserer Vorfahren? Und, dass eine Thiersprache existirt, kann dem Unbefangenen nicht zweifelhaft sein. Jede Thierart, insbesondere jede gesellig lebende, hat ihren genau unterscheidbaren Warnungsruf, Lockruf, Angriffsruf usw. Das Entstehen solcher wohl grösstentheils durch die Organisation gegebener, reflektorischer Laute beim Menschen braucht man also nicht zu erklären; dieselben sind schon bei den thierischen Vorfahren desselben vorhanden.

2. Die gewaltigen Unterschiede der Thier- und Menschensprache; die Niemand leugnen wird, sind folgende: Die Thiersprache verfügt nur über eine geringe Anzahl von Lauten, welche in verschiedenen aber nur sehr allgemein angebbaren Situationen und Affekten (Furcht, Freude, Wuth) in Begleitung der zugehörigen ebenso nur allgemein bestimmbarer Thätigkeiten (Flucht, Auffinden von Nahrung, Angriff) gebraucht werden. Genauer werden diese Thätigkeiten erst durch den Anblick der Situation selbst bestimmt, Die Thiersprache ist grösstentheils angeboren, nur zum kleinsten Theil durch Nachahmung erlernt. Für die Menschensprache gilt gerade das Umgekehrte. Dass die Thiersprache absolut nicht variire, darf man nicht glauben; diese Meinung wird ja schon dadurch widerlegt, dass verwandte Thierspecies Lautsysteme verwenden, von denen das eine als Variation des andern leicht zu erkennen ist.

Als Beispiel diene der Ruf der Haustaube, der Wildtaube und der Turteltaube. Aber auch dem Menschen ist die Fähigkeit, die Lautelemente der Sprache zu produciren, mit den Organen angeboren, und man darf in dieser Beziehung wohl an einen Unterschied der Rasse glauben . Nur die Combinationen der Laute sind erlernt. Es verhält sich hier gerade so, wie mit den Bewegungen, welche den Thieren schon in viel festeren Combinationen angeboren sind als den Menschen. Der Mensch kommt, so zu sagen, jünger und dafür anpassungsfähiger zur Welt.

Es ist üblich zu sagen, dass die Thiersprache "unarticuliert" sei. Ich möchte wissen, was zu diesem Ausspruch berechtigt? Viele Laute der Thiere, die sich bei denselben Anlässen, in derselben Ordnung wiederholen, lassen sich ganz leidlich durch unsere Buchstaben wiedergeben; für die übrigen, bei welchen dies nur deshalb nicht möglich ist, weil wir für Laute,, die unseren Organen nicht entsprechen, keine Schriftzeichen haben, würde doch eine akustische (phonographische) Transscription ganz wohl ausführbar sein. Prüfen wir uns genau, so müssen wir sagen, dass wir der Thiersprache gerade so gegenüberstehen, wie jeder uns unverständlichen Menschensprache, und dass "unarticulirt" eigentlich so viel heisst, als "nicht deutsh, nicht englisch,nicht französisch. Mit demselben Recht könnte man die Bewegungen der Thiere "unarticulirt" nennen, weil sie den unserigen nicht genau entsprechen.

3. Man traut den Thieren nicht die intellektuelle Fähigkeit zu, welche zur Sprachbildung nöthig ist. Dieselbe soll erst beim Menschen sich einfinden. Findet sie sich aber beim Menschen durch ein plötzliches Wunder ein, oder in allmäligem Entwicklungsübergang? Ist letztere Annahme zutreffend, die heute wohl vorgezogen werden wird, dann müssen die Keime der menschlichen Intelligenz auch schon beim Thiere vorhanden sein. Man bedenke, dass ein blosser Gradunterschied alles erklärt.

Ich bin also der Meinung, dass die Ansicht, welche einen qualitativen Unterschied zwischen Thier- und Menschenintelligenz annimmt, der Rest eines alten Aberglaubens ist. Ich kann nur einen quantitativen, einen Gradunterschied in der Thierreihe (den Menschen mit inbegriffen) sehen, der ja mit dem Abstand der Glieder gewaltig wird. Je tiefer wir herabsteigen, desto schwächer wird das individuelle Gedächtniss desto kürzer werden die Associationsreihen die dem Thier zur Verfügung stehen. Ein ähnlicher Unterschied besteht schon zwischen dem Kind und dem Erwachsenen.

Ebenso sehe ich zwischen Thier- und Menschensprache nur einen quantitativen Unterschied. Erstere ist ärmer und folglich unbestimmter. Derselbe Unterschied besteht aber schon zwischen Menschensprachen verschiedener Entwicklung. Selbst in den höchst entwickelten Menschensprachen kommt es vor, dass der volle Sinn einer Aeusserung erst durch die Situation bestimmt wird, während bekanntlich Sprachen von niederer Entwicklung oft genug die Gebärden zu Hülfe nehmen müssen, so dass sie zum Theil. im Dunkeln unverständlich sind.

5. Der Hauptwert der Sprache liegt in der Vermittlung der Gedankenübertragung. Dadurch aber; dass die Sprache uns nöthigt, das Neue durch Bekanntes darzustellen, also das Neue mit dem Alten vergleichend zu analysiren, gewinnt nicht nur der Angesprochene, sondern auch der Sprechende. Ein Gedanke klärt sich oft dadurch, dass man sich in der Phantasie in die Lage versetzt, denselben einem Andern mitzutheilen. Die Sprache hat auch hohen Werth für das einsame Denken. Die sinnlichen Elemente gehen in die verschiedensten Combinationen ein, und haben in diesen das mannigfaltigste Interesse. Das Wort fasst alles das zusammen, was für eine Interesserichtung wichtig ist, und zieht alle zusammengehörigen anschaulichen Vorstellungen wie an einem Faden hervor.

Merkwürdig ist, dass wir die Wortsymbole auch richtig verwenden können, ohne dass die symbolisirten anschaulichen Vorstellungen alle zum klaren Bewusstsein kommen, ähnlich wie wir richtig lesen, ohne die Buchstaben einzeln zu betrachten. So vermuthen wir z.B. kein Portrait in einer Mappe mit der Aufschrift: Landschaften, auch wenn uns der Inhalt derselben gar nicht geläufig ist. Die noch immer auftauchende Ansicht, dass die Sprache für jedes Denken unerlässlich sei, muss ich für eine Übertreibung halten. Schon LOCKE hat dies erkannt, und auch dargelegt, dass die Sprache, indem sie die Gedanken fast niemals genau deckt, dem Denken sogar auch nachtheilig werden kann.

Das anschauliche Denken, welches sich ausschliesslich in Association und Vergleichung der anschaulichen Vorstellungen, Erkenntniss der Übereinstimmung oder des Unterschiedes desselben bewegt, kann ohne Hülfe, der Sprache vorgehen. Ich sehe z. B. eine Frucht auf einem Baum, zu hoch, um dieselbe zu erlangen. Ich erinnere mich, dass ich mit Hülfe eines abgebrochenen hakenförmigen Astes zufällig einmal eine solche Frucht erlangt habe. Ich sehe einen solchen Ast in der Nähe liegen, erkenne aber, dass derselbe zu kurz ist. Dieser Process kann sich abspielen, ohne dass mir auch nur ein Wort in den Sinn kommt.

Ich kann also nicht glauben, dass z.B. ein Affe darum keinen Stock gebraucht, darum keinen Baumstamm als Brücke über einen Bach legt, weil ihm die Sprache, und mit dieser die Auffassung der Gestalt, die Auffassung von Stock und Baum als eines gesonderten, von der Umgebung lostrennbaren beweglichen Dinges fehlt. Es wird sich vielmehr in einem folgenden Kapitel zeigen, dass diese Unfähigkeit, Erfindungen zu machen, in ganz anderer Weise begründet ist. Geleugnet soll nicht werden, dass auch anschauliche Vorstellungen durch sprachliche Beschreibung und die damit verbundene Zerlegung in Einfacheres und Bekanntes an Klarheit gewinnen. Unerlässlich ist natürlich die Sprache für das abstraktere begriffliche Denken.


Der Begriff
1. Die ersten Bewegungen des neugeborenen Thieres sind Antworten auf äussere oder innere Reize, welche ohne Mitwirkung des Intellektes (der Erinnerung) mechanisch vorgehen, die in der angeborenen Organisation begründet sind. Es sind Reflexbewegungen. Hierher gehört das Picken der jungen Hühner, das Schnabelöffnen der jungen Nestvögel beim Herannahen ihrer Ernährer, das Verschlingen der in den Rachen eingeführten Nahrung, das Saugen der jungen Säuger usw. Es lässt sich nachweisen, dass der Intellekt diese Bewegungen nicht nur nicht befördert, sondern oft sogar geeignet ist, dieselben zu stören .

Es kann nicht fehlen, dass bei diesem Process mannigfaltige angenehme oder unangenehme Empfindungen entstehen, d.h. solche, welche besonders geeignet sind, Reflexbewegungen auszulösen, welche Empfindungen sich mit anderen, auch an sich gleichgültigen, associiren, und iu dem sich alllmälig entwickelnden Gedächtniss aufbewahrt werden. Irgend ein kleiner Theil des ursprünglichen Reizcomplexes kann dann die Erinnerung an den ganzen Complex, und diese wieder die ganze Bewegung auslösen. Der anderwärts von mir beschriebene heranwachsende Sperling giebt hierfür ein gutes Beispiel. Die jungen Säuger, welche durch den Anblick der Mutter getrieben werden, ihre Nahrung zu suchen, sind ein anderes Beispiel.

Die eintretenden Bewegungen stellen nun das Ende einer Associationsreihe dar,. sind keine Reflexbewegungen mehr, sondern werden als willkürliche Bewegungen bezeichnet. Die Frage, ob die Innervation als solche in irgend einer Weise, nicht bloss durch ihre Folgen, sondern unmittelbar zum Bewusstsein kommt, wollen wir als eine strittige bei Seite lassen, um so mehr als die Beantwortung dieser Frage für unsern Zweck nicht unbedingt nöthig ist. Sobald nun eine Bewegung B, welche sonst reflectorisch auf einen Reiz R erfolgte, willkürlich, durch irgend einen mit R associirten Reiz S eingeleitet wird, können sich mannigfaltige Complicationen ergeben, wodurch ganz neue Reizcomplexe und mit diesen neue Bewegungscomplexe in’s Spiel kommen können.

Wir sehen das selbständig gewordene junge Thier einen Körper, der ihm geniessbar zu sein scheint, ergreifen, beschnüffeln, mit den Zähnen bearbeiten, endlich verschlingen oder wegwerfen. Ein junger anthropoider Affe pflegt, wie mir Herr R. France Schini mittheilt, zunächst in alles, was man ihm darbietet, hineinzubeissen, während ein älterer Affe oft schon nach blosser Betrachtung einen Körper, mit dem er nichts anzufangen weiss, einfach weglegt. Auch Kinder pflegen alles, was sie ergreifen können, in den Mund zu stecken. Ein College sah ein Kind wiederholt nach einem dunkeln Brandfleck auf einem Tisch greifen, und das vermeintliche Objekt mit komischem Eifer sofort in den Mund führen.

2. Unter differenten Umständen also, die etwas Gemeinsames haben, treten leichartige Thätigkeiten, Bewegungen ein (Ergreifen, Beschnüffeln, Belecken, Zerbeissen), welche neue entscheidende sinnliche Merkmale (Geruch, Geschmack) herbeischaffen, die für das weitere Verhalten (Verschlingen, Wegwerfen} maassgebend sind. Diese conforme Thätigkeit sowohl, als die durch dieselben hervortretenden conformen sinnlichen Merkmale, welche ja beide in irgend einer Weise zum Bewusstsein kommen werden, halte ich für die physiologische Grundlage des Begriffes. Worauf in gleicher Weise reagirt wird, das fällt unter einen Begriff. So vielerlei Reaktionen, so vielerlei Begriffe. Einem Thier, das sich in der beschriebenen Weise verhält, wird man die Keime der Begriffe: Nahrung, Nichtnahrung usw. nicht absprechen können, wenn auch die sprachliche Bezeichnung noch fehlt.

Aber auch letztere wird sich etwa in Form eines Lockrufes wohl einstellen, wenn dies auch unwillkürlich geschieht, und wenn derselbe auch nicht als ein absichtliches Zeichen zum klaren Bewusstsein kommt. Es werden auf diese Weise allerdings zunächst sehr umfangreiche und wenig bestimmte Begriffe entstehen, die aber für das Thier, auch die wichtigsten sind. Aber auch der Urmensch wird sich in einer ähnlichen Situation befinden. Die Folge von prüfenden und vermittelnden Thätigkeiten kann in solchen Fällen schon recht complicirt sein. Man denke an das Aufhorchen bei Erregung eines Geräusches, Verfolgung, Fangen der Beute, an das Herabholen, Schälen, Oeffnen einer Nuss usw.

Das Verhalten des civilisirten Menschen wird sich von jenem des Thieres und des Urmenschen nur dadurch unterscheiden, dass ersterer mannigfaltiger prüfender und vermittelnder Thätigkeiten fähig ist, dass er in Folge seines reicheren Gedächtnisses oft grösserer Umwege und mehrerer Zwischenglieder (Werkzeuge) sich bedient, dass seine Sinne fähig sind, auf feinere und mannigfaltigere Einzelheiten zu achten, dass er endlich durch seine reichere Sprache die Elemente seiner Thätigkeit und seiner sinnliehen Wahrnehmung specieller und schärfer zu bezeichnen, in seinem Gedächtnis zu repräsentiren, und anderen bemerklich zu machen vermag. Wieder nur einen weiteren Gradunterschied gegen den vorigen Fall stellt das Verhalten des Naturforschers dar.

3. Ein Chemiker kann ein Stück Natrium bei dem blossen Anblick erkennen, setzt aber hierbei eigentlich voraus, dass eine Anzahl Proben die er im Sinne hat,- das von ihm erwartete Resultat geben würden. Bestimmt kann er den Begriff " Natrium" auf den vorgelegten. Körper nur anwenden, wenn er denselben wachsweich, Schneidbar, auf der Schnittfläche silberglänzend, bald anlaufend, auf Wasser schwimmend und das letztere rasch zersetzend, vom specifischen Gewicht 0,972 entzündet mit gelber Flamme brennend, vom Atomgewicht 23 usw. findet. Es ist also eine Reihe von sinnlichen Merkmalen, die sich auf bestimmte manuelle, instrumentale, technische Operationen (von mitunter sehr complicirter Art) einstellen, was den Begriff "Natrium" ausmacht. Unter den Begriff "Walfisch" subsumiren wir ein Thier, das äusserlich die Fischform zeigt, eingehend anatomisch untersucht aber doppelten Kreislauf, Lungenathmung und alle übrigen Klassencharaktere der Säuger aufweist.

In ähnlicher Weise verhält sich der Geometer, der Mathematiker. Als Kreis wird eine Linie in der Ebene betrachtet, für welche (etwa durch Messung) der Nachweis gelingt,. dass alle Punkte derselben von einem gegebenen Punkt der Ebene gleich weit entfernt sind. Die Summe von 7 und 5 ist jene Zahl 12, zu der wir gelangen, indem wir von 7 an um 5 Zahlen der natürlichen Reihe weiter zählen. Auch hier haben wir ganz bestimmte Thätigkeiten (Längenmessung, Zählung) vorzunehmen, als deren Ergebnisse gewisse sinnenfällige Merkmale (Längengleichheit, Zahl 12) hervortreten. Die bestimmten Thätigkeiten, ob einfach oder complicirt, sind durchaus analog den Operationen, durch welche das Thier seine Nahrung prüft, und die sinnenfälligen Merkmale sind analog dem Geruch oder dem Geschmack, der für das weitere Verhalten des Thieres maassgebend ist.

Vor langer Zeit hat sich mir die Bemerkung dargeboten, dass zwei sinnliche Objekte nur dann ähnlich erscheinen, wenn die beiden entsprechenden Empfindungscomplexe gemeinsame, übereinstimmende, identische Bestandtheile enthalten. Es ist dies an zahlreichen Beispielen (symmetrische, ähnliche Gestalten, Melodien von gleichem Rhythmus usw.) anderwärts ausführlich erörtert worden. Auch auf den ästhetischen Werth der vielfachen Durchführung desselben Motives wurde schon hingewiesen. Natürlich stellte sich der Gedanke ein, dass überhaupt jeder Abstraktion gemeinsame reale psychische Elemente der in einen Begriff zusammengefassten Glieder zu Grunde liegen müssten, wie versteckt jene Elemente auch wären. In der That zeigt es sich, dass jene Elemente gewöhnlich erst durch eine besondere bestimmte Thätigkeit ins Bewusstsein treten, was durch die obigen Beispiele ausreichend erläutert wird.

4. Der Begriff ist dadurch räthselhaft, dass derselbe einerseits in logischer Beziehung als das bestimmteste psychische Gebilde erscheint, dass wir aber anderseits psychologisch, nach einem anschaulichen Inhalt suchend, nur ein sehr verschwommenes Bild antreffen. Letzteres aber, wie es auch beschaffen sein mag, muss nothwendig ein Individualbild sein. Der Begriff ist eben keine fertige Vorstellung, sondern eine Anweisung eine vorliegende Vorstellung auf gewisse Eigenschaften zu prüfen, oder eine Vorstellung von bestimmten Eigenschaften herzustellen. Die Definition des Begriffes, beziehungsweise der Name des Begriffes löst eine bestimmte Thätigkeit, eine bestimmte Reaktion aus, die ein bestimmtes Ergebniss hat. Sowohl die Art der Reaktion als auch das Ergebniss derselben muss im Bewusstsein Ausdruck finden, und beide sind charakteristisch für den Begriff. Elektrisch ist ein Körper, der auf bestimmte Reaktionen bestimmte sinnliche Merkmale zeigt; Kupfer ist ein Körper, dessen blaugrüne Lösung in verdünnter Schwefelsäure, bei bestimmter Behandlung, ein bestimmtes Verhalten zeigt usw.

Da nun das System der Operationen, welches die Anwendung eines Begriffes darstellt, oft complicirt ist, so ist es kein Wunder, dass das Ergebniss derselben nur in den einfachsten Fällen als anschauliches Bild vor uns steht. Es ist ferner klar, dass das Operationssystem wohl eingeübt sein muss, wie die Bewegungen unseres Leibes, wenn wir den Begriff besitzen sollen. Ein Begriff kann nicht passiv aufgenommen werden, sondern nur durch Mitthun, Mitleben in dem Gebiet, welchem der Begriff angehört. Man wird kein Clavierspieler, Mathematiker oder Chemiker vom Zusehen, sondern alles dies nur durch Übung der Operationen. Nach erworbener Übung hat aber das Wort, welches den Begriff bezeichnet, für uns einen andern Klang als vorher. Die Impulse zur Thätigkeit, welche in demselben liegen, auch wenn sie nicht zur Ausführung kommen, oder nicht ins Bewusstsein treten, wirken doch wie verborgene Rathgeber, welche die richtigen Associationen herbeiführen, und den richtigen Gebrauch des Wortes sichern.

LITERATUR - Ernst Mach, Prinzipien der Wärmelehre, Leipzig 1900