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JULIUS GUTTMANN
Das Problem der Kontingenz in der
Philosophie des Maimonides


"Anstelle der Vorstellbarkeit setzt Maimonides die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und sieht in diesem Kriterium ein Kriterium des Verstandes und nicht der Einbildungskraft. Übereinstimmung mit der Wirklichkeit aber kann in diesem Zusammenhang nur heißen, Übereinstimmung mit der gesetzlichen Ordnung der Wirklichkeit. Nicht das, was im einzelnen Fall wirklich ist, sondern das, was der gesetzmäßigen Verfassung der Wirklichkeit entspricht, ist möglich."

"Die wesentliche Schwierigkeit liegt darin, daß es unmöglich ist, aus der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Natur deren besondere Bestimmtheit abzuleiten, und zwar liegt die Schwierigkeit sowohl im Verhältnis der besonderen Gesetze zu den allgemeinen wie im Verhältnis des Einzeldings zur generellen Gesetzmäßigkeit des Seins überhaupt."

"Auch den verschiedenen Himmelssphären liegt eine gemeinsame Materie zugrunde, aus deren Wesen es sich nicht ableiten läßt, warum sich die einzelnen Sphären in Bezug auf Richtung und Schnelligkeit ihrer Bewegungen unterscheiden, warum eine Sphäre ganz ohne Sterne, eine andere mit einer Fülle von Sternen besetzt ist, wieder andere je einen Stern besitzen. Diese Differenzen sind umso weniger rational erklärbar, weil sie in durchaus zufälligen und regelloser Art auftreten. Es gibt kein Gesetz, aus dem sich die Besonderheit der einzelnen Himmelssphären erklären läßt."

"Von bestimmten, einem gegebenen Grundtatsachen aus, läßt sich alles weitere gesetzmäßig erklären, nur diese Grundtatsachen selbst lassen keine rationale Ableitung zu. Es ist die Kontingenz der Tatsache gegenüber dem Gesetz, die dem Schluß des Maimonides zugrunde liegt."

Die Philosophie des MAIMONIDES steht in der Mitte zwischen dem Emanationssystem [Hervorgehen aller Dinge aus dem unveränderlichen, vollkommenen, göttlichen Einen - wp] der islamischen Aristoteliker und dem Voluntarismus des Kalam [systematisches Streitgespräch in der islamischen Theologie - wp], und das Problem, an dem sie sich am bestimmtesten nach beiden Seiten hin abgrenzt, ist das der Kontingenz [weder Notwendigkeit noch Unmöglichkeit - wp]. Dabei ist nicht an die Kontingenz des Seins der Welt überhaupt, im Gegensatz zur Notwendigkeit des göttlichen Seins, gedacht. In Bezug auf diese Frage stimmen alle genannten Richtungen der Sache, wenn auch vielleicht nicht der Formulierung nach, überein. Nach der bekannten Lehre der Aristoteliker ist die Welt und die Gesamtheit des in ihr Existierenden von bloß möglicher Existenz, das heißt ihr Wesen schließt ihre Existenz nicht in sich. Sie verdankt ihr Dasein darum einer außer ihr liegenden Ursache, die ihrerseits von notwendiger Existenz sein muß. Der Kalam bedient sich dieser Argumentationsform nicht, aber der ihr zugrunde liegende Gedanke, daß das Sein der Welt, von ihrem eigenen Wesen aus betrachtet, ein bloß zufälliges ist, wird von ihm durchaus geteilt. In Bezug auf diese wesensmäßige Kontingenz der Welt gibt es keine Meinungsverschiedenheit.

Die Differenz der Schulen setzt erst an einem tiefer liegenden Punkt ein. Sie betrifft erstens die Art des Zusammenhangs der Welt mit Gott, zweitens den inneren Zusammenhang des Weltgeschehens und die Bestimmtheit der Dinge in der Welt. Das Emanationssystem behauptet nach beiden Seiten hin die strenge Notwendigkeit des Seins. Die Welt geht aus Gott mit Notwendigkeit hervor, und es besteht in ihr ein notwendiger Zusammenhang, durch den sowohl das Dasein wie das Sosein jedes Objekts eindeutig bestimmt ist. Die Welt ist nur ihrem Wesen nach kontingent, es fehlt ihr die Notwendigkeit des unbedingten Seins. Aber ihr bedingtes Sein ist ein notwendig bedingtes Sein, das jede Möglichkeit des Andersseins, jede Kontingenz im Ganzen wie im Einzelnen ausschließt.

Den vollkommenen Gegensatz hierzu bildet die Haltung des Kalam, die ich ebenso wie die des Emanationssystems in ihrer radikalen Form darstelle, ohne auf etwaige Abschwächungen und Milderungen Rücksicht zu nehmen. Für den Kalam ist zunächst der Zusammenhang zwischen Welt und Gott kein notwendiger, sondern die Welt ist die freie Schöpfung des göttlichen Willens. Dabei macht es keinen prinzipiellen Unterschied, ob dieser Wille als rational bestimmt oder über alle rationalen Maßstäbe erhaben gedacht wird. So oder so beruth das Dasein der Welt auf der freien Entschließung des göttlichen Willens. Sie muß nicht sein, sondern ist nur, weil sie von einem göttlichen Willen gesetzt ist. Dasselbe aber gilt auch für die konkrete Bestimmtheit alles einzelnen Seins. Der Kalam begnügt sich nicht damit, eine gegebene Bestimmtheit der Weltordnung auf den göttlichen Willen zurückzuführen. Um jeder Beschränkung der göttlichen Schöpfermacht zu entgehen, hebt er vielmehr den immanten Weltzusammenhang gänzlich auf und führt alles Geschehen unmittelbar auf Gott zurück. DIesem Zweck dient sowohl die atomistische Konstruktion der Wirklichkeit wie die Kritik am Gedanken eines innerweltlichen Kausalzusammenhangs. Wie für das Dasein der Welt überhaupt, ist auch für die Existenz und für die Bestimmtheit jedes einzelnen Dings der göttliche Wille die alleinige Ursache. Nichts in der Welt ist notwendig, alles ist nur, was es ist, weil Gott es so will. Das gilt auch für das Zusammentreffen der verschiedenen Bestimmungen in einem Ding. Jede Bestimmung könnte mit jeder beliebigen anderen verbunden sein. Der Okkasionalismus [Gelegenheitsursachen - wp] dieser Weltauffassung schließt jede Notwendigkeit des Geschehens aus. Anstelle der unbedingten Notwendigkeit des Emanationssystems tritt hier eine ebenso uneingeschränkte Kontigenz.

Im Gegensatz zu diesen beiden extremen Auffassungen erkennt MAIMONIDES sowohl den Gedanken der Notwendigkeit wie den der Kontingenz an und grenzt beide gegeneinander ab. Mit dem Kalam betrachtet auch er die Welt als Schöpfung des göttlichen Willens und lehnt die Lehre von ihrer notwendigen Emanation aus Gott ab. Aber er wendet sich gegen die vom Kalam unternommene Atomisierung der Welt und den aus ihr folgenden Okkasionalismus, für den alles einzelne Sein und jedes besondere Geschehen eine unmittelbare Wirkung des göttlichen Willens ist. Innerhalb der Welt besteht ein gesetzmäßiger Zusammenhang, demgemäß alles Einzelne notwendig aus seinen Bedingungen folgt, ein Zusammenhang, der freilich als ein von einem göttlichen Willen gesetzter, von diesem im Einzelfall auch aufgehoben werden kann. Das ergibt, wenn wir von Einzelbestimmungen vorerst noch absehen, grundsätzlich die Kontingenz des Weltseins überhaupt, die Notwendigkeit des Seins in der Welt, gemäß deren gegebener Verfassung. Dieses Verhältnis beider Momente ist der Ausdruck dafür, daß der aristotelische Rationalismus von MAIMONIDES schließlich dem biblischen Voluntarismus eingeordnet wird (1).

In jeder dieser hier kurz dargestellten Positionen ist die Stellung zum Problem der Kontingenz nicht eine bloße Folge der religiösen und metaphysischen Gesamtauffassung, vielmehr versuchen die einzelnen Richtungen, wie sich aus der Auseinandersetzung des MAIMONIDES mit seinen Gegner deutlich ergibt, vom Problem der Kontingenz aus ihren Standpunkt zu begründen. Nach MAIMONIDES ist die Grundlage des Systems des Kalam dessen Lehre von der "Zulässigkeit" oder "Abhängigkeit", derzufolge alles, was vorstellbar ist, auch vom Verstand als "angängig" betrachtet werden muß. Es wäre demgemäß durchaus möglich, daß die Erde, statt zu ruhen, sich im Kreis bewegt und die Himmelssphären, statt zu kreisen, ruhten, daß das Element des Feuers, statt nach oben nach unten, das der Erde statt nach unten nach oben strebt, der Elefant die Größe einer Mücke hat und umgekehrt. Keine der verschiedenen Möglichkeiten hat einen Vorzug vor den anderen; es trifft zwar zu, daß die Dinge ständig eine bestimmte Ordnung innehalten, aber diese Regelmäßigkeit beruth auf keiner Notwendigkeit. Sie ist von derselben Ordnung wie etwa die Gepflogenheit der Fürsten, zu fahren und nicht zu Fuß zu gehen (2). Damit ist die Kontingenz der gegebenen Wirklichkeit mit höchster Prägnanz ausgesprochen. Das Wirkliche ist, logisch betrachtet, nur eine unter zahlreichen gleichberechtigten Möglichkeiten, und es gibt keinen logischen Grund, daß gerade diese und keine andere Möglichkeit wirklich geworden ist. Aus dieser Tatsache, daß zwischen Wirklichem und Nichtwirklichem kein Unterschied des Möglichkeitscharakters besteht, zieht der Kalam die Konsequenz, daß es einen Schöpfer geben muß, der eine von den gleichberechtigten Möglichkeiten gewählt hat. Dieser Beweis erinnert an den früher erwähnten, der von dern bloßen Möglichkeit des Seins der Dinge überhaupt auf eine letzte Weltursache von notwendiger Existenz schließt. Allein den Ausgangspunkt des Kalam bildet nicht der formale Möglichkeitscharakter der Welt, sondern die Kontingenz der Dinge in ihrer inhaltlichen Bestimmtheit, und darum führt sein Beweis nicht auf eine notwendige Weltursache schlechthin, sondern auf einen Welturheber, der die Entscheidung zwischen verschiedenen gleichberechtigten Möglichkeiten zu treffen vermag. Das logische Faktum der Kontingenz, bei dem als einer letzten Urtatsache stehen zu bleiben der metaphysischen Denkweise des Kalam unmöglich ist, fordert die voluntaristische Gottesvorstellung, die somit nicht nur religiös, sondern auch metaphysisch fundiert ist.

MAIMONIDES bestreitet den Ausgangspunkt dieser ganzen Theorie, die Gleichsetzung von Vorstellbarkeit und Möglichkeit. Er hält ihr entgegen, daß die Vorstellbarkeit oder Unvorstellbarkeit eines Dings von der Einbildungskraft abhängt und daß die Gleichsetzung von Vorstellbarkeit und Möglichkeit somit die Einbildungskraft zum Maßstab für die Möglichkeit der Dinge macht. Wenn der Kalam sagt, von Seiten des Verstandes sei es auch möglich, daß die Dinge eine ganz andere Beschaffenheit hätten als die ihnen tatsächlich eigene, so wird hier aus der Möglichkeit für die Einbildungskraft unzulässigerweise eine solche für den Verstand gemacht (3). MAIMONIDES fügt hinzu, daß der Kalam alles Vorstellbare für möglich hält, gleichviel, ob die Wirklichkeit mit ihm übereinstimmt oder nicht. Dieses Moment ist ihm so wichtig, daß er in der Einleitung zum betreffenden Kapitel des More das Möglichkeitsprinzip des Kalam dahin formuliert, "daß das Mögliche nicht aufgrund der Übereinstimmung mit diesem Begriff beurteilt werden darf." (4) Diese letzte Wendung des Gedankens führt darin über die erste hinaus, daß sie das eigene Möglichkeitskriterium des MAIMONIDES erkennen läßt. Anstelle der Vorstellbarkeit setzt er die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und sieht in diesem Kriterium ein Kriterium des Verstandes und nicht der Einbildungskraft. Übereinstimmung mit der Wirklichkeit aber kann in diesem Zusammenhang nur heißen, Übereinstimmung mit der gesetzlichen Ordnung der Wirklichkeit. Nicht das, was im einzelnen Fall wirklich ist, sondern das, was der gesetzmäßigen Verfassung der Wirklichkeit entspricht, ist möglich. Das wird aus der näheren Ausführung des Gedankens, die MAIMONIDES in die Form eines Dialogs zwischen einem Philosophen, das heißt Aristoteliker und einem Anhänger des Kalam kleidet, vollkommen deutlich. Der Philosoph führt die Verschiedenheit der Eigenschaften, die wir bei bestimmten Klassen von Gegenständen, z. B. Eisen und Butter wahrnehmen, auf die Grundfaktoren zurück, aus denen jeder körperlich Gegenstand zusammengesetzt ist. Jeder Körper besteht aus Materie und Form derart, daß die Besonderheit jeder Spezies durch eine bestimmte Form konstituiert wird, die ihrerseits nur in einer Materie von bestimmter Zusammensetzung zur Verwirklichung kommen kann. Sowohl mit der Form wie mit der Materie jedes Dings hängen bestimmte Eigenschaften wie die Härte und die schwarze Farbe des Eisens und die Weichheit und die weiße Farbe der Butter notwendig zusammen. Von diesem Standpunkt aus trifft es nicht mehr zu, daß die Butter ebensowohl hart wie weich, das Eisen ebensogut hart wie weich hätte sein können. Die vom Kalam für rein kontingent betrachtete tatsächliche Beschaffenheit der Dinge geht aus deren konstituierenden Elementen mit Notwendigkeit hervor (5).

Die These des Kalam ist nach MAIMONIDES nur darum möglich, weil er aus seiner Auffassung der Natur alle Faktoren eliminiert, auf denen die spezifische Bestimmtheit der Naturobjekte beruth. Nach dem Kalam sind alle Körper aus Atomen von völlig gleicher Beschaffenheit zusammengesetzt. Diese allein haben substantielle Existenz. Es gibt keine substantiellen Formen, die den Dingen ihr Wesen verleihen und damit entfällt auch die Möglichkeit, die Materien verschiedener Klassen von Objekten qualitativ voneinander zu unterscheiden, da diese qualitativen Unterschiede, wie sie der Aristotelismus versteht, auf dem Vorhandensein von Formen niederer Ordnung beruhen. Außer den völlig unterschiedslosen Atomen gibt ese nur die Akzidenzen [Merkmalseigenschaften - wp], auf denen die Unterschiede der einzelnen Dinge beruhen, und auch unter ihnen gibt es keine Verhältnisse gegenseitiger Abhängigkeit, denen zufolge etwa das Vorhandensein bestimmter Akzidenzen niederer Ordnung Voraussetzung für das Auftreten von Akzidenzen höherer Ordnung wäre. Vielmehr stehen alle Akzidenzen auf gleicher Stufe und haften gleich unmittelbar an den Atomen. Unter diesen Umständen ist es freilich richtig, daß jedes Atom ebensogut die einen wie die anderen Akzidenzen aufnehmen kann und daß für jedes Ding alle Bestimmungen gleich möglich sind (6). Diese Kontingenz verschwindet jedoch, wenn wir diese willkürliche Naturauffassung durch die der Wirklichkeit entsprechende ersetzen. Für MAIMONIDES ist der Atomismus des Kalam eine willkürliche, die Tatsachen vergewaltigende Konstruktion, während die aristotelische Naturauffassung sich aus der Analyse der Tatsachen ergibt. Auf dem Boden dieser Auffassung aber hat jede Naturspezies eine bestimmte Wesenheit, aus der ihre Eigenschaften mit Notwendigkeit hervorgehen. Diese Notwendigkeit unterscheidet er auf das Bestimmteste von der bloßen Regelmäßigkeit; die Wesenheiten der Dinge sind die Bedingungen, aus denen ihre Bestimmungen hervorgehen.

Den Notwendigkeitsbegriff des Aristotelismus entwickelt und kritisiert MAIMONIDES in der Erörterung der Frage nach der Ewigkeit der Erschaffenheit der Welt. Die Beweise der Aristoteliker für die Weltewigkeit zerlegt er in zwei Gruppen, die, welche von der Welt, und die, welche von Gott ausgehen. Die Beweise der ersten Gruppe suchen zu zeigen, daß die in der Wirklichkeit geltenden Bedingungen des Werdens und Vergehens ein Werden und Vergehen des Weltganzen ausschließen. Bei der methodischen Gleichartigkeit all dieser Beweise genügt es, einen von ihnen zu analysieren. Ich wähle den vom Begriff der Materie ausgehenden, weil MAIMONIDES an ihm den gegnerischen Standpunt grundsätzlich darlegt. Die erste, den vier Elementen gemeinsame Materie kann nicht geworden sein. Denn da alles Werden eine Materie voraussetzt, so müßte es eine andere Materie geben, aus der die der Voraussetzung gemäß erste Materie hervorgegangen ist. Da ferner alles Entstandene aus Materie und Form besteht, so müßte die erste, das heißt von aller Form freie Materie im Falle ihrer Gewordenheit aus Materie und Form zusammegesetzt sein. Ein Werden der Materie ist somit unmöglich, und die erste Materie muß als unentstanden gedacht werden (7). Der Beweis geht offenbar von der Voraussetzung aus, daß die für das Werden und Vergehen innerhalb der Welt gültigen Gesetze einen absoluten Geltungswert besitzen. Alles, was in der Welt wird, wird aus einem materiellen Substrat, das sich in allem Wandel der Dinge unverändert erhält. Innerhalb der Welt ist ein Werden und ebenso ein Vergehen der Materie unmöglich. Wenn diese Gesetzlichkeit des Werdens und Vergehens absolute Geltung hat, so ist ein schlechthinniges Werden, das auch die Materie umfaßt, ausgeschlossen. Daß die Überzeugung von diesem absoluten Geltungswert der Grundgesetze der Wirklichkeit das eigentliche Motiv der aristotelischen Lehre ist, spricht MAIMONIDES gerade am Beispiel der Materie klar aus. In der Darstellung der platonischen Anschauung, nach der die Welt von Gott aus einer ewigen Materie gebildet ist, schreibt er den Vertretern dieser Lehre und ebenso natürlich den Aristotelikern, die jeden weltbildenden Akt leugnen, die Meinung zu, ein Entstehen aus dem Nichts, das heißt ohne zugrunde liegende Materie, und ebenso ein Vergehen der Materie ins Nichts sei undenkbar. Gott sei ebensowenig imstande, das zu bewirken, wie er bewirken kann, daß zwei entgegengesetzte Bestimmungen einem Subjekt gleichzeitig zukommen, und so wenig es eine Schranke der göttlichen Allmacht ist, daß er das in sich Widersprechende nicht hervorbringen kann, soll es eine solche sein, daß ihm ein Hervorbringen aus dem Nichts unmöglich ist (8). Hier werden die Gesetze der Weltordnung den letzten Denknotwendigkeiten gleichgestellt und damit auch für die metaphysische Frage nach dem Verhältnis von Gott und Welt verbindlich gemacht. Die wirkliche ist zugleich die notwendige Weltverfassung, und aus ihrem Begriff muß jedes Moment der Kontingenz ausscheiden.

Die diesem Gesetz zugeschriebene absolute Notwendigkeit wird von MAIMONIDES bestritten. In genauer Übereinstimmung mit dem, was er gegen den Kalam geltend gemacht hat, erkennt er an, daß sie für alles Werden innerhalb der Natur gelten. In Anwendung auf den Begriff der Materie erläutert er das dahin, daß sie nicht in demselben Sinn werden und vergehen kann wie der Mensch, der aus dem Samen wird und sich in Staub auflöst. Gegen eine derartige Annahme wären die aristotelischen Argumente völlig im Recht. Dagegen verfehlen sie ihr Ziel gegenüber der Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts, die nicht von einem natürlichen Werden der Materie spricht, sondern ein absolutes Hervorbringen derselben annimmt, die ihr erst die Funktion verleiht, Bedingung alles natürlichen Werdens und Vergehens zu sein. Gegen die Möglichkeit eines solchen absoluten Hervorbringens läßt sich aus der Funktion der Materie für das natürliche Werden und Entstehen kein Einwand erbringen. Dieser Argumentation gibt er auch die Form, daß man aus dem Zustand des bereits gewordenen und zu einer bestimmten Natur gelangten Dings nicht auf dessen Zustand im Stadium des Werdens schließen darf und führt als Beispiel dafür an, daß die Lebensbedingungen des Menschen nach seiner Geburt von denen des Embryos völlig verschieden sind und daß man die Möglichkeit des embryonalen Zustandes nicht damit bestreiten kann, daß er nicht den Lebensbedingungen des fertigen Organismus gemäß ist (9). Diese Formulierung, und erst recht das ihr zur Veranschaulichung beigefügte Beispiel, sind darum unzulänglich, weil sie die allgemeine Grundgesetzlichkeit der Natur mit empirischen Einzelgesetzen, die an konkrete, gegebene Bedingungen gebunden sind, auf eine Stufe stellen. Was sie zu einem angemessenen Ausdruck bringen, ist der Gedanke, daß auch die Grundgesetzmäßigkeit der Natur auf den Bereich des natürlichen Seins begrenzt ist und nicht über ihn hinaus gilt. Dagegen kommt die Funktion dieser Grundgesetzmäßigkeit innerhalb der Natur in der Analogie zu keinem angemessenen Ausdruck. Freilich ist an dieser Stelle auch die sachliche Position des MAIMONIDES einer verschiedenen Auslegung fähig. Es geht aus seinen Ausführungen nicht eindeutig hervor, ob die in der Natur gültigen Gesetze des Werdens und Vergehens nur für unsere Natur, oder, um einen Gedanken DESCARTES' zu gebrauchen, für jede mögliche Natur gelten, ob es z. B. zum Begriff jedes natürlichen Werdens gehört, ein materielles Substrat vorauszusetzen, oder ob lediglich die gegebene Verfassung unserer Natur ein solches Substrat fordert. Es bleibt insofern zweifelhaft, wo die Grenze zwischen Kontingenz und Notwendigkeit verläuft. Aber unbeschadet des Zweifels ist die Naturgesetzmäßigkeit innerhalb unserer Natur von notwendiger und als bloße Naturgesetzmäßigkeit nicht von absoluter und in diesem Sinne von kontingenter Gültigkeit.

Bei der zweiten, vom Gottesbegriff aus argumentierenden Gruppe von Beweisen der Aristoteliker für die Ewigkeit der Welt bildet das Problem der Kontingenz nicht den Ausgangspunkt, aber im Laufe des Beweisgangs tritt seine Bedeutung auch hier hervor. Der Gottesbegriff, auf den sich die Argumentation stützt, ist der der absoluten Weltursache, deren Wesen jede Veränderung und jede Abhängigkeit von einem außerhalb ihrer liegenden Sein ausschließt. Von diesen beiden Wesensmomenten aus wird die Unmöglichkeit eines Weltanfangs erwiesen. Hätte Gott die Welt geschaffen, nachdem sie vorher nicht gewesen war, so müßte in ihm ein Übergang von der Möglichkeit des Schaffens zum wirklichen Schaffen stattgefunden haben, und dieser Übergang müßte durch irgendeine Ursache bewirkt worden sein. Die Welterschaffung steht also sowohl mit der Unveränderlichkeit Gottes wie mit einer Unabhängigkeit von jeder außerhalb seiner liegenden Ursache im Widerspruch. Ein weiterer Beweis betont vor allem das zweite Moment. Wenn ein Wirkender zu einer bestimmten Zeit zu wirken anfängt, so kann das nicht an seinem Wesen, sondern nur an äußeren Faktoren liegen, die ihn entweder bis zum Eintritt des Handelns am Wirken gehindert oder seinen Willen zum Wirken bestimmt haben. Beides ist bei Gott gleich unmöglich. Sein Wirken kann nur die Folge seines Wesens und muß darum ebenso ewig wie dieses sein. Die Absolutheit Gottes läßt nur ein aus seinem Wesen notwendig hervorgehendes Wirken zu (10).

MAIMONIDES erkennt den dieser Beweisführung zugrunde liegenden Begriff von Gott als dem absoluten Sein völlig an. Auch für ihn ist jede Veränderung in Gott und jede Abhängigkeit Gottes von einem anderen Sein ausgeschlossen, aber er lehnt die daraus gezogenen Konsequenzen ab, weil sie davon ausgehen, daß zwischen dem Sein und dem Wirken Gottes dasselbe Verhältnis besteht wie bei den endlichen Dingen. Für die körperlichen aus Materie und Form zusammengesetzten Dinge ist es wahr, daß eine Veränderung, ein Übergang von der Potentialität in die Aktualität bei ihnen stattfinden muß, damit sie zu wirken anfangen können. Für die immateriellen und damit von jeder Potentialität freien, geistigen Substanzen lehren die Aristoteliker selbst, daß sie gemäß der Disposition der körperlichen Dinge, die unter ihrem Einfluß stehen, in wechselnder Form auf sie einwirken, ohne daß sich in ihnen selbst eine Veränderung vollzieht. Aus dieser freilich anfechtbaren Analogie schließt MAIMONIDES, daß erst recht beim absoluten Sein Gottes ein Anheben der Wirkung möglich ist, ohne daß sich in seinem Sein eine Änderung vollzieht. Ebensowenig folgt daraus, daß Gott zu handeln anhebt, daß ein Hindernis des Handelns fortgefallen oder ein bisher nicht vorhandenes Willensmotiv aufgetreten sein muß. Ein solcher Schluß gilt nur für einen Willen, der auf einer außer ihm liegendes Ziel gerichtet ist, nicht aber für einen Willen, der sich in völliger Spontaneität selbst bestimmt. Bei seinem solchen Willen beweist das Anheben der Handlung nicht, daß irgendein äußeres Hemmnis fortgefallen ist, und ebensowenig setzt das Einsetzen der Willenshandlung eine Änderung in seinem Wesen voraus (11).

Im letzten Gedankengang tritt die eigentliche Absicht des MAIMONIDES mit voller Deutlichkeit zutage. Wird die letzte Weltursache, wie es auch die Argumentatio der Aristoteliker tut, als Wille gefaßt, so muß ihr die absolute Spontaneität des Wollens zugeschrieben werden. Der aus dem Begriff des absoluten Seins geschöpften Argumentation setzt MAIMONIDES eine vom Begriff des absoluten Willens ausgehende Gegenargumentation entgegen. Die Schwierigkeit seines Standpunktes liegt nun darin, daß er die Spontaneität des absoluten Willens mit der Wandellosigkeit des absoluten Seins vereinigen will. Doch besteht freilich eine analoge Schwierigkeit auch für den entgegengesetzten Standpunkt, der Gott ausschließlich als das in sich ruhende und beschlossene absolute Sein faßt und ihm eine Kausalität zuschreibt, die von jeder Aktivität abgelöst ist. Auf beiden Seiten ist es dieselbe Schwierigkeit, im Begriff der absoluten Weltursache die Momente des absoluten Seins und der absoluten Kausalität zu verbinden, von einem statisch gefaßten Begriff des Absoluten aus den Übergang zur Welt zu finden. Die damit gesetzte Dialektik im Begriff des Absoluten weiter zu verfolgen ist nicht dieses Ortes. Dagegen sind die Konsequenzen beider Standpunkte für unser Problem von größter Wichtigkeit. Wird in Gott allein das Moment des absoluten Seins anerkannt, so kann seine Kausalität nur als Ausdruck seines Wesens verstanden werden. Das Sein der Welt ist im göttlichen Wesen gegründet und darum von der höchsten möglichen Notwendigkeit. Umgekehrt ist vom Begriff des absoluten Willens her der Akt der Weltschöpfung als ein Akt schlechthinniger Spontaneität zu sehen; das Sein der Welt wird damit in einem letzten metaphysischen Sinn kontingent. Die bedingte Notwendigkeit empirischer Motivationsverhältnisse scheidet für beide Standpunkte aus. Es gibt nur die Wahl zwischen der im göttlichen Wesen gegründeten schlechthinnigen Notwendigkeit des Weltseins oder seiner dem Begriff des absoluten Willens entsprechenden strengen Kontingenz.

Einer letzten Seite des Kontingenzproblems begegnen wir in der Argumentation, in der MAIMONIDES die Schwierigkeiten der aristotelischen Position aufzeigt, um damit die Schöpfungslehre, wenn auch nicht strikt zu beweisen, so doch wahrscheinlich zu machen. Die wesentliche Schwierigkeit liegt darin, daß es unmöglich ist, aus der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Natur deren besondere Bestimmtheit abzuleiten, und zwar liegt die Schwierigkeit sowohl im Verhältnis der besonderen Gesetze zu den allgemeinen wie im Verhältnis des Einzeldings zur generellen Gesetzmäßigkeit des Seins überhaupt. Die konkrete Fassung, die dieses Problem bei MAIMONIDES gewinnt, ist durch die Grundkategorien der aristotelischen Naturauffassung, Materie und Form bedingt. Die gesamte sublunarische Welt hat ein und dieselbe Materie zu ihrem Substrat. Die Verschiedenheit der Dinge beruth darauf, daß diese Materie die mannigfaltigen Formen der irdischen Objekte in sich aufnimmt. Aber aus dem Wesen der überall gleichartigen Materie ist es nicht ableitbar, warum ein bestimmter Teil derselben die eine, ein anderer Teil eine andere Form aufnimmt. Dieselbe Schwierigkeit wiederholt sich für die Unterschiede der zur selben Spezies gehörenden Einzeldinge. Da ihre Wesensform die gleiche ist, macht ARISTOTELES für ihre Unterschiede ihre Materie verantwortlich, die aber ebensowenig ein Moment der Verschiedenheit aufweist. Für die sublunarische Welt löst MAIMONIDES dieses Problem dadurch, daß er ein differenzierendes Moment im Einfluß der Himmelskörper findet. Dieser gibt den verschiedenen Teilen der Materie verschiedene Dispositionen, aus denen sich sowohl die Verteilung der Formen innerhalb der Materie wie die Besonderheiten der zur selben Spezies gehörigen Einzeldinge erklären (12). Aber die Schwierigkeit ist damit nur auf die Himmelswelt zurückgeschoben und kehrt hier unverändert wieder. Auch den verschiedenen Himmelssphären liegt eine gemeinsame Materie zugrunde, aus deren Wesen es sich nicht ableiten läßt, warum sich die einzelnen Sphären in Bezug auf Richtung und Schnelligkeit ihrer Bewegungen unterscheiden, warum eine Sphäre ganz ohne Sterne, eine andere mit einer Fülle von Sternen besetzt ist, wieder andere je einen Stern besitzen. Diese Differenzen sind umso weniger rational erklärbar, weil sie in durchaus zufälligen und regelloser Art auftreten. Es gibt kein Gesetz, aus dem sich die Besonderheit der einzelnen Himmelssphären erklären läßt, sie kann vielmehr nur auf der Setzung des göttlichen Willens beruhen (13).

Auf die Verwandtschaft dieser Argumentation mit der des Kalam weist MAIMONIDES selbst hin. Auch für den Kalam ist die Zufälligkeit der gegebenen Beschaffenheit der Dinge ein Beweis dafür, daß diese Beschaffenheit durch einen göttlichen Willen gesetzt ist. Aber mit vollem Recht hebt MAIMONIDES die grundsätzliche Verschiedenheit beider Argumentationsweisen hervor (14). Der Kalam kennt keine naturgesetzmäßige Bestimmtheit der Dinge, ihre gegebene Bestimmtheit ist zufällig, weil es kein Gesetz gibt, das über die Bestimmtheit von Naturerscheinungen überhaupt entscheidet. Für MAIMONIDES gibt es ein solches Gesetz, aber es reicht nicht aus, um die konkrete Bestimmtheit des Seins zu erklären. Die Tatsachen der Natur sind gegenüber ihrer allgemeinen Gesetzmäßigkeit eine zufällige, nicht weiter ableitbare Gegebenheit. Die Richtung dieses Gedankenganges wird darin besonders deutlich, daß, nach MAIMONIDES, unter Zugrundelegung der Ordnung der Himmelswelt, die Tatsachen der irdischen Welt ihre befriedigende Erklärung finden; das heißt in völliger logischer Korrektheit, daß, von bestimmten, einem gegebenen Grundtatsachen aus, sich alles weitere gesetzmäßig erklären läßt, nur diese Grundtatsachen selbst lassen keine rationale Ableitung zu. Es ist die Kontingenz der Tatsache gegenüber dem Gesetz, die dem Schluß des MAIMONIDES zugrunde liegt. (15)

Auch der weitere Gang der Argumentation unterscheidet sich bei MAIMONIDES wesentlich vom Kalam. Dieser schließt unmittelbar aus der Tatsache, daß die gegebene Natur der Dinge logisch unableitbar ist, auf ihren Ursprung aus einem göttlichen Willen. Er hält es für unmöglich, bei der bloßen Faktizität des Seins stehenzubleiben, und sieht darum in seiner logischen Unableitbarkeit den Beweis, daß es vom Willen Gottes gesetzt ist. Für MAIMONIDES ist die gleiche Tatsache nur ein Beweis gegen das notwendige Hervorgehen der Dinge aus Gott. Erst unter der Voraussetzung, daß die Welt in Gott ihren Ursprung hat, ergibt sich, daß sie auf einen freien göttlichen Willensakt zurückgehen muß. Die Grundlage seiner Beweisführung ist die Annahme, daß für die Emanationstheorie, welche die Welt als die notwendige Entfaltung des göttlichen Wesens ansieht, eine logische Ableitung der Dinge aus ihrer letzten Ursache möglich sein muß. Die Emanationstheorie, besonders in der Strenge, in der die islamischen Aristoteliker sie ausgebildet haben, schließt in der Tat diese Konsequenz in sich. Für sie ist die Welt in ihrer vollen Konkretion die notwendige Entfaltung des göttlichen Seins, und diese Anschauung kann ein bloß zufälliges Verhältnis zwischen den Gesetzen der Weltordnung und dem konkreten Weltinhalt nicht zulassen. Nicht nur in dem "daß", sondern auch in dem "wie" der Welt ist jede Kontingenz ausgeschlossen. Das Bestehen einer solchen Kontingenz, die Unmöglichkeit, die Wirklichkeit als ein logisches System zu begreifen, hebt somit die Emanationstheorie auf. Auch für MAIMONIDES ist die gegebene Natur der Dinge nicht sinnlos, so gewiß die Welt nicht das Werk eines blinden, sondern eines von höchster Weisheit geleiteten Willens ist. Gott hat die Welt zu einem bestimmten Zweck ebenso geschaffen, wie sie ist, und es liegt an der Unzulänglichkeit unserer Einsicht, daß wir diese Zweckhaftigkeit nicht zu durchschauen vermögen. Diese Auskunft ist auf dem Boden der Emanationstheorie nicht möglich. Ist die Welt ein notwendiges System, so muß sie auch als solches begreifbar sein. Die Kontingenz des Weltinhaltes gegenüber der Weltgesetzlichkeit besteht nicht nur für unser begrenztes Denken, sondern besteht ansich. Sie widerlegt ein System, in welchem es für Kontingenz keinen Platz gibt, aber sie schließt eine Teleologie nicht aus, für die das logisch Kontingente einen beabsichtigten Sinn hat.

Ich vermag jetzt abschließend zu überblicken, wie sich Notwendigkeit und Kontingenz bei MAIMONIDES verbinden und begrenzen. Die Welt ist von einer strengen Gesetzmäßigkeit beherrscht, dergemäß die ihr gehörigen Dinge miteinander verbunden sind. Es gibt einen Weltzusammenhang, der das konkrete Geschehen zu einem notwendigen macht. Aber die Gesetzmäßigkeit der Welt, auch in ihren letzten Grundzügen, hat nicht die absolute Notwendigkeit des begrifflich Geforderten. Wir erkennen, daß sie in der Welt tatsächlich gilt, aber wir vermögen nicht zu erkennen, daß sie mit absoluter Notwendigkeit gelten muß. Gemäß dieser Gesetzmäßigkeit hängen die Tatsachen der Wirklichkeit untereinander zusammen, aber die sich so ergebende Notwendigkeit setzt bereits gegebene Grundtatsachen voraus. Diese selbst sind nicht mehr als notwendig zu begreifen, sie stehen als ein bloß Vorzufindendes und in seiner Regellosigkeit Undurchschaubares neben den Gesetzen. Wenn die Kontingenz der Weltgesetze die Möglichkeit der Weltschöpfung erweist, so spricht die Kontingenz des Weltinhaltes gegenüber den Weltgesetzen positiv für die Schöpfung, weil gegen die notwendige Emanation der Welt aus Gott. Aus dem Wesen der absoluten Weltursache folgt nicht, daß die Welt notwendig aus ihr hervorgeht, da das Anheben des Wirkens keine Veränderung ihres Seins in sich schließt, und da insbesondere, wenn sie als absoluter Wille verstanden wird, der Begriff dieses Willens die absolute Spontaneität des Handelns involviert. Als Setzung dieses Willens ist die Welt ihrem Dasein und ihrer Beschaffenheit nach kontingent. Die in der Analyse der Welt gewonnenen Resultate finden vom Gottesbegriff aus ihre letzte metaphysische Bestätigung.

DIese Auffassung steht zwischen den extremen Standpunkten des Kalams und der Aristoteliker nicht als ein bloßer Kompromiß, sondern als die Entfaltung eines eigenen Prinzips, das in strenger Folgerichtigkeit in seine Konsequenzen verfolgt wird. Daß die Auffassung des MAIMONIDES ebenso möglich ist wie die von ihm bekämpften, steht außer Frage. Nur das kann fraglich erscheinen, inwieweit es ihm gelungen ist, die anderen Positionen wirklich zu widerlegen und die seine als die allein berechtigte zu erweisen. Um die Beweiskraft seiner Argumente zu prüfen, müssen wir einige Ausführungen heranziehen, die bisher unberücksichtigt geblieben sind. Der Kalam betrachtet alles Wirkliche als zufällig, weil wir uns bei jedem Ding vorstellen können, daß es statt seiner tatsächlichen Eigenschaften und Bestimmungen ganz andere hätte. Diese sind den wirklichen logisch gleichberechtigt, weil gleich vorstellbar. Der Sinn dieses Möglichkeitskriteriums verdeutlicht sich, wenn wir die in ihnen gesetzten Grenzen der Möglichkeit mit in Betracht ziehen. Wie MAIMONIDES hervorhebt, erkennt der Kalam solche Grenzen an. Es gibt auch für ihn Dinge, die der Verstand als schlechterdings unmöglich erkennt, wie das Auftreten entgegengesetzter Bestimmungen in einem Subjekt, das Bestehen einer Substanz ohne Akzidenzen, nach manchen auch der von Akzidenzen ohne eine tragende Substanz, die Verwandlung der Substanz in eine Akzidenz und umgekehr, das Eindringen eines Körpers in den anderen und Ähnliches (16). Die Unmöglichkeit, um die es sich hier handelt, ist eine absolute, aus dem Wesen der betreffenden Dinge folgende. Sie hängt nicht von der Natur unserer Wirklichkeit ab, sondern geht ihr voraus. An diesem Maßstab gemessen, ist alles gleich möglich, was nicht eine solche innere Unmöglichkeit in sich schließt, und es ist zufällig, welche von diesen Möglichkeiten sich verwirklicht. "Individuelles Sein jeglicher Art ist", wie ein moderner Logiker denselben Gedanken ausdrückt, "ganz allgemein gesprochen zufällig. Es ist so, es könnte seine Wesen nach anders sein." (17) Auch die prägnante Formel: die "Zufälligkeit, die da Tatsächlichkeit heißt", ist ganz im Sinne des Kalam. Die Tatsächlichkeit ist Zufälligkeit, weil die absoluten Gesetze der Unmöglichkeit ihr Anderssein nicht ausschließen.

Für den Kalam ist diese absolute Grenze der Möglichkeit die einzige, die er anerkennt. Eine Bestimmung dessen, was möglich oder unmöglich ist, aufgrund der Tatsachen der Wirklichkeit, lehnt er grundsätzlich ab. Diese sich aus dem bisher Gesagten deutlich ergebende Konsequenz hebt MAIMONIDES ausdrücklich als den wesentlichen Differenzpunkt zwischen der Lehre des Kalam und der der Philosophen hervor. Er läßt den Philosophen sagen: "Die Wirklichkeit ist mein Zeuge, und danach bestimme ich das Notwendige, das Wirkliche und das Mögliche", und läßt seinen Gegner antworten, daß das Wirkliche als das Werk des göttlichen Willens auch ganz anders sein könnte, sofern nicht die Vorstellung des Verstandes entscheidet, daß es unmöglich anders sein kann. (18)

Der Begriff der absoluten Unmöglichkeit selbst aber bedarf noch einer genaueren Prüfung. Die Auffassung liegt nahe, daß das in sich Unmögliche mit dem in sich Widerspruchsvollen zusammenfällt, der Satz des Widerspruchs somit das Kriterium ist, das über Möglichkeit und Unmöglichkeit entscheidet. Das ist in der Tat die Fassung, in der GHAZALI die Lehre des Kalam vorträgt, der demgemäß auch die Unverträglichkeit konträrer Gegensätze wie schwarz und weiß darauf zurückführt, daß der eine die Negation des anderen in sich schließt. (19) Aber die vorhin angeführten Beispiele zeigen, daß MAIMONIDES eine weitergehende Fassung der Lehre des Kalam vor Augen hatte. Die Unmöglichkeit, daß eine Substanz ohne Akzidenz existiert, daß Substanz und Akzidenz dich ineinander verwandeln, oder daß ein Körper in den anderen eindringt, läßt sich nicht rein formal aufgrund des Satzes vom Widerspruch einsehen. Alle diese Annahmen sind unmöglich, ohne widerspruchsvoll zu sein. Es ist vielmehr eine unmittelbare Evidenz, die uns von ihrer Unmöglichkeit überzeugt (20). Diese Evidenz hat der Kalam im Auge, wenn er die Unvorstellbarkeit zum Kriterium der Unmöglichkeit macht. Was für unser Denken unvorstellbar ist, ist auch seinem Wesen nach unmöglich, das gedanklich Vorstellbare auch im Sein möglich.

Gegen dieses Kriterium der Evidenz wendet MAIMONIDES ein, daß es die Einbildungskraft oder populäre Vorstellungen zum Maßstab für die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Dinge macht. Um die Unzuverlässigkeit dieses Kriterium zu verdeutlichen, zeigt er an zwei Beispielen, daß das Unvorstellbare doch möglich ist. Unsere Einbildungskraft vermag sich nicht vorzustellen, daß an den entgegengesetzten Polen der Achse einer Kugel zwei Menschen stehen können; ist sie vertikal, so muß der an ihrem unteren Ende Stehende, ist sie horizontal, so müssen beide herunterfallen. Wir wissen jedoch, daß die Erde eine Kugel ist und daß es Antipoden gibt, die an entgegengesetzten Seiten eines Erddurchmessers wohnen. Ebenso unvorstellbar ist der Einbildungskraft die mathematisch erwiesene Tatsache, daß es zwei Linien geben kann, die an ihrem Ausgangspunkt einen endlichen Abstand voneinander haben und sich einander ständig nähern, sich aber auch bei einer Verlängerung ins Unendlich niemals schneiden. (21) Auch wenn besonders das erste Beispiel die Intention des Kalam nicht voll trifft, ist doch der Sinn des Einwandes völlig klar. Was der Anschauung unmöglich erscheint, kann für den Verstand durchaus möglich sein und sich selbst als empirisch oder begrifflich zutreffend erweisen. Das Kriterium der Vorstellbarkeit aber verweist uns auf die Anschauung und kennt keinen Unterschied zwischen dem bloß anschaulich und dem gedanklich Unmöglichen. Sowohl der Einwand wie seine Jllustration liegen ganz auf der Linie der Argumente, die in der Kritik an einer intuitionistischen Erkenntnislehre bis in die Gegenwart hinein üblich sind.

Für ebenso unzulässig erklärt MAIMONIDES die Vorstellbarkeit als positives Kriterium der Möglichkeit und sieht auch in ihr ein Kriterium der Einbildungskraft und nicht des Verstandes. Aber im gleichen Zusammenhang wirft er dem Kalam vor, daß er bei seinem Kriterium von Möglichkeit und Unmöglichkeit auf die Wirklichkeit keine Rücksicht nimmt und hält ihm die Forderung entgegen, daß das Kriterium für Möglichkeit und Unmöglichkeit in der Welt gesucht werden muß. Wie er diese These des Kalam negativ dahin ausspricht, daß der Begriff des Möglichen nicht nach der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit beurteilt werden dar, und positiv dahin, daß alles Vorstellbare auch möglich ist, stellt er ihm die doppelte These entgegen, daß die Vorstellbarkeit für den Verstand nicht maßgebend ist und daß die Wirklichkeit "der Zeuge" ist, der für Notwendigkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit maßgebend ist. Vorstellbarkeit ist der Maßstab der Einbildungskraft, Wirklichkeitsgemäßheit der des Verstandes.

Danach gewinnt es den Anschein, als ob die gegebene Ordnung der Wirklichkeit für MAIMONIDES der einzige Maßstab für Möglichkeit und Unmöglichkeit ist und als ob er den Begriff eines absolut Unmöglichen negiert. Das ist jedoch nicht der Fall. An anderer Stelle bezeichnet er es als die gemeinsame Überzeugung aller Denker, vom Kalam bis zu den strengen Aristotelikern, da es ein absolut Unmögliches gibt, oder, wie die Schulformel lautet, daß das Unmögliche eine feste Natur hat, die nicht das Werk eines Schöpfers ist und die auch von Gott nicht geändert werden kann. Als die hauptsächlichsten Beispiele für dieses absolut Unmögliche werden dieselben angeführt, die auch im Namen des Kalam von ihm erwähnt worden waren (22). Nur fügt er hinzu, daß es auch Fälle gibt, in denen eine Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob eine solche absolute Unmöglichkeit vorliegt oder nicht. So ist der Kalam durch seine atomistishe Auffassung des Raums genötigt, gewisse Lehrsätze der Mathematik zu leugnen. Für ihn ist die Diagonale eines Quadrates seiner Seite gleich, was für die Mathematik und die sie anerkennende Philosophie eine absolute Unmöglichkeit ist. Ein anderes Beispiel ist uns bereits begegnet. Nach den Aristotelikern ist es eine absolute Unmöglichkeit, daß ein körperliches Ding ohne eine vorher bestehende Materie hervorgebracht werden kann, was nach MAIMONIDES und ebenso nach dem Kalam, welcher eine Schöpfung aus dem Nichts anerkennt, durchaus möglich ist (23). Für MAIMONIDES ist das, was für die Aristoteliker absolut unmöglich ist, nur innerhalb der Wirklichkeit unmöglich. Die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit gibt nur den Maßstab für das innerhalb der Wirklichkeit, nicht für das absolut Mögliche und Unmögliche. MAIMONIDES hat also einen abgestuften Möglichkeitsbegriff, während es für den Kalam nur den einen Gegensatz von absolut Möglichem und absolut Unmöglichem gibt. Man könnte versuchen, auch den Aristotelismus im Sinne eines solchen einstufigen Möglichkeitsbegriffs zu interpretieren. Seine Position würde dann darauf hinauslaufen, daß er das in der Wirklichkeit Unmögliche für absolut unmöglich ansieht, während umgekehrt der Kalam das nicht absolut Unmögliche auch in der Wirklichkeit für möglich ansieht und MAIMONIDES die beiden Begriffe des absolut und des nur aufgrund der gegebenen Wirklichkeitsordnung Möglichen und Unmöglichen voneinander sondert.

Auch über das, was absolut möglich und unmöglich ist, hat nach MAIMONIDES nur der Verstand zu entscheiden. Aber soweit es sich nicht, wie in den erwähnten mathematischen Beispielen, um abgeleitete Erkenntnisse, sondern um letzte Prinzipien handelt, bleibt auch für den Verstand kein anderes Kriterium als das einer letzten Evidenz übrig. Damit rück für diese letzte Sphäre die Anschauung des MAIMONIDES in eine bedenkliche Nähe zu der des Kalam. Er kann diesem vorwerfen, daß er in seinem Kriterium der Vorstellbarkeit bloß eine phantasiemäßige Evidenz für verstandesmäßig ausgibt, aber es handelt sich hier nur noch um die Frage der richtigen Anwendung, nicht mehr um das Wesen des Kriterium für möglich und unmöglich. MAIMONIDES ist sich dieser Schwierigkeit voll bewußt gewesen. Die Tatsache, daß unter den verschiedenen Richtungen ein Streit darüber ist, ob bestimmte Dinge als absolut unmöglich zu betrachten sind oder nicht, veranlaßt ihn zu der Frage, ob hier ein Tor geöffnet ist, das es dem einen frei läßt zu sagen, eine bestimmte Sach ist möglich, dem anderen, sie ist unmöglich, oder ob es etwas gibt, das dieses Tor schließt und eine eindeutige Entscheidung ermöglicht. Er fragt weiter, ob als dieser entscheidende Faktor die Einbildungskraft oder der Verstand anzusehen ist, und woran wir im letzten Fall zu erkennen vermögen, ob es sich um eine Aussage des Verstandes oder der Einbildungskraft handelt, und er dringt bis zu der Frage vor, ob der Verstand selbst die Erkenntniskraft ist, die entscheidet, was ihm und was der Einbildungskraft angehört, oder ob es dazu einer von beiden verschiedenen und sie gegeneinander abgrenzenden Erkenntniskraft bedarf (24).

Bei dieser allgemeinen Fragestellung hat MAIMONIDES konkret die Differenzpunkte im Auge, die ihn von den Aristotelikern einerseits, dem Kalam andererseits trennen. Als einen der Fälle, in denen ein Streit darüber besteht, ob eine absolute Vernunftsunmöglichkeit vorliegt oder nicht, nennt MAIMONIDES die Frage nach der Möglichkeit, ein körperliches Ding ohne vorherbestehende Materie hervorzubringen. Außerdem zeigt der Ort, an dem das Kapitel steht, worauf er abzielt. Er schickt es den Kapiteln voraus, die über das göttliche Wissen handeln. Nach den Aristotelikern kann das göttliche Wissen so wenig wie das menschliche ein Unendliches umfassen oder die Entscheidungen der freien Wahl des Menschen vorwegnehmen. Hier liegt für sie eine wesenhafte und absolute Unmöglichkeit vor. MAIMONIDES hält dem entgegen, daß diese Schranken nur für das menschliche Wissen bestehen (25). Nach ihm liegt hier keine absolute, sondern eine in der besonderen Natur unseres Wissens gegründete Unmöglichkeit vor, genau wie er in der Frage des Werdens der Welt den Gesetzen, welche ein Werden aus dem Nichts ausschließen, keine absolute, sondern eine auf die gegebene Wirklichkeit beschränkte Wirkung zuspricht. In beiden Fällen aber erhebt sich die Frage, ob eine zwingende Entscheidung gegen die aristotelische Auffassung möglich oder ob es Sache der subjektiven Überzeugung ist, wenn die Aristoteliker von einer absoluten und er nur von einer auf die gegebene Wirklichkeit beschränkten Wirklichkeit spricht.

Schon in seiner Auseinandersetzung mit dem Kalam hatte MAIMONIDES, nachdem er seinem Gegner vorgeworfen hatte, sich nur auf die Phantasie und nicht auf das Denken zu stützen, in Kürze auf die Schwierigkeit hingewiesen, zu unterscheiden, wo gedankliches und wo phantasiemäßiges Vorstellen liegt (26). Dabei handelt es sich ihm offenbar nicht nur um die Frage, ob seine Kritik am Möglichkeitskriterium des Kalam zwingend zu begründen ist, sondern auch darum, ob er sein eigenes Möglichkeitskriterium zwingend zu rechtfertigen vermag. Für ihn ist nur das möglich, was mit der gegebenen Natur der Wirklichkeit und der sich in ihr manifestierenden Gesetzmäßigkeit übereinstimmt. Dieses Kriterium ist für ihn ein Kriterium des Verstandes, aber offenbar nur insoweit, als das Bestehen der Naturgesetzmäßigkeit selbst verstandesmäßig gewiß ist. Hier liegt, gegenüber dem Kalam, der jede empirische Gesetzmäßigkeit leugnet, offenbar die eigentliche Schwierigkeit. Gleichzeitig mit MAIMONIDES hatte IBN ROSHD sie durch den Hinweis auf die notwendige Funktion der Naturgesetzmäßigkeit zu lösen versucht. Ohne Prinzipien, welche jedem Ding eine bestimmte Natur vorschreiben, hören nach ihm alle Unterschiede der Dinge auf und verliert jedes Ding die Einheit, die für das Sein überhaupt erforderlich ist (27). Eine derartige transzendentale Rechtfertigung der Naturgesetzmäßigkeit gibt MAIMONIDES nicht. Die Gültigkeit der aristotelischen Naturauffassung, in der für ihn die Gesetzmäßigkeit der Natur ihren Ausdruck findet, ist für ihn dadurch verbürgt, daß sie auf einer richtigen Analyse der Naturtatsachen beruth. In der Behauptung der Kalam, daß für jedes Ding die verschiedenartigsten Bestimmungen gleich möglich sind, sieht er nur die Konsequenz seiner, den Tatsachen widersprechenden, atomistischen Naturauffassung, welche die wesenhaften Verschiedenheiten der Dinge und damit den Grund ihrer tatsächlichen Eigenschaften und Bestimmungen negiert. Die aristotelische Naturauffassung kennt diesen Grund, weil sie nicht bei der unanalysierten Vorstellung des Körpers stehen bleibt, sondern ihn in seine Elemente, Materie und Form, zerlegte und damit die mannigfachen Wesensformen der Dinge zu unterscheiden vermag (28). Eine solche Analyse aber kann nur das Werk des Verstandes sein, weil nur er imstande ist, das in der sinnlichen Vorstellung Ungeschiedene in seine Komponenten zu zerlegen, während die Einbildungskraft nur ein anschauliches Ganzes mit dem anderen verbinden, aber niemals das Gegebene in seine begrifflichen Komponenten auflösen kann (29). Die Atomistik, die nur körperliche Teile und ihre Eigenschaften kennt, ist die Naturauffassung der Einbildungskraft, die aristotelische Naturauffassung, die den scheinbar einheitlichen Körper als eine Zusammensetzung wesensbestimmender Faktoren erkennt, die des Verstandes.

Der Nachweis des Verstandesursprungs der Kategorien der aristotelischen Naturerklärung ist für MAIMONIDES zugleich ihre Rechtfertigung. Daß darüber hinaus noch eine Deduktion ihrer Geltung gefordert werden kann und daß der Lehre des Kalam von der völligen Kontingenz aller empirischen Gegebenheiten ein von ihrer Atomistik völlig unabhängiges logisches Motiv zugrunde liegt, kommt ihm nicht zu Bewußtsein. Wenn er darum die Schwierigkeit betont, ein verstandesmäßiges und begriffliches Vorstellen eindeutig voneinander zu unterscheiden, so will er damit nicht das Recht des wirklich verstandesmäßig Erkannten in Frage stellen, sondern nur die Unsicherheit seiner Abgrenzung gegen die Scheinevidenz der Einbildungskraft hervorheben. Die von ihm so nachdrücklich hervorgehobenen psychologischen Kriterien scheinen ihm in der Anwendung doch nicht jeden Zweifel auszuschließen. Nicht zufälligerweise konzentrieren sich die Schwierigkeiten, die MAIMONIDES am Problem der Evidenz spürt, um den Begriff der Notwendigkeit des Naturgeschehens. Sie hat nicht die gleiche Evidenz wie die Gesetzmäßigkeit, die über die absolute Möglichkeit und Unmöglichkeit der Dinge entscheidet und soll doch in einer verstandesmäßigen Einsicht erfaßt werden. So kann bald der rationale Charakter dieser Notwendigkeit verkannt, bald ihre relative Geltung zu der absoluten der letzten Möglichkeitsgesetze emporgeschraubt werden.

Trotz der Schwierigkeit, diese Notwendigkeit nach oben wie nach unten hin mit eindeutiger Bestimmtheit abzugrenzen, hält MAIMONIDES an ihrem Begriff mit voller Sicherheit fest. Er will dem Nachdruck seiner Polemik gegen den Kalam keinen Abbruch dadurch tun, daß er im unmittelbaren Anschluß an sie auf die Unsicherheit der Grenzen zwischen verstandesmäßiger und phantasiemäßiger Anschauung hinweist, und ebensowenig fühlt er sich in seiner Kritik des Aristotelismus dadurch beirrt, daß sich die Grenzen des absolut Unmöglichen nicht mit voller Evidenz bestimmen lassen. Mit Recht sieht er in der scharfen Herausarbeitung des Begriffs der Naturnotwendigkeit und ihrer auf die gegebene Wirklichkeit begrenzten Geltung die Überwindung der Einseitigkeiten der beiden extremen Positionen. Die Abstufung des Notwendigkeitsgedankens und die sich daraus ergebende Sonderung der verschiedenen Seiten und Stufen des Kontingenzgedankens ist in der Tat der entscheidende Fortschritt, den seine Erörterung des Problems bringt. Die letzte Rechtfertigung seines Standpunktes freilich konnte ihm mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht gelingen. Die von ihm bemerkte Problematik der Evidenzlehre hat eine ungleich größere Tragweite, als er ihr offenbar zuschreibt. Sie betrifft nicht nur die Unsicherheit der Abgrenzung zwischen echter und scheinbarer Evidenz, sondern das Problem der Evidenz als solches, und nur eine grundsätzliche Klärung dieses Problems kann hier die Lösung bringen. Die Notwendigkeit einer solchen grundsätzlichen Klärung besteht insbesondere auch für die spezifische Notwendigkeit der Naturgesetzlichkeit. MAIMONIDES hat ihren besonderen Geltungscharakter erkannt, ohne ihn doch zu einer letzten Rechtfertigung bringen zu können. Aber wenn ihm auch die Bindung an die herkömmliche ontologische Denkweise den Einblick in die volle Tragweite des von ihm aufgeworfenen Problems verschlossen hat, so bleibt doch die Stellung des Problems als solches ein hohes Verdienst, und es ist von eigenartigem Reiz, wie ihn in der Exponierung desselben die innere Logik der Fragestellung gleichsam ohne sein Wissen über die Grenzen der eigenen Position hinausführt.

LITERATUR Julius Guttmann, Das Problem der Kontingenz in der Philosophie des Maimonides, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 83. Jahrgang, Neue Folge 47. Jahrgang, Berlin 1939
    Anmerkungen
    1) Vgl. meine "Philosophie des Judentums", München 1933, Seite 187-193. Manche dort nur kurz angedeuteten Gesichtspunkte sollen im Folgenden genauer entwickelt und durchgeführt werden. Die Kritik des Maimonides an der Emanationslehre der Aristoteliker wird eingehend behandelt von Fritz Bamberger, "Das System des Maimonides" (eine Analyse des More Nebuchim vom Gottesbegriff aus, Kapitel II: Die Kosmologie) Berlin 1935. Die vorliegende Abhandlung hat es zum guten Teil mit dem auch von ihm behandelten Fragen zu tun, beleuchtet sie aber von einem Gesichtspunkt aus, der bei Bamberger nur eine sekundäre Bedeutung hat. Den Gegensatz des Maimonides sowohl zum Kalam wie zum Aristotelismus behandelt auch die Dissertation von Wolf Mischel: "Die Erkenntnistheorie Maimonides" Berlin 1908. Die gescheite Arbeit ist leider in ihren Ergebnissen völlig unbrauchbar, weil sie sich bemüht, den Maimonides zum Empiristen zu machen und seinen Gegensatz sowohl zu Aristoteles wie zum Kalam als den Gegensatz des Empirismus zum Logismus darzustellen. Ich habe darauf verzichtet, die Gewaltsamkeiten dieser Deutung im Einzelnen nachzuweisen.
    2) More Nebuchim I, Kapitel 73, These 10; arabischer Text ed. Munk (=ar.) Seite 112b, 113a, hebräische Übersetzung ed. Wilna 1914 (= hebr.) Seite 121a und b.
    3) More I, 73, 10, ar. Seite 113a, b; hebr. Seite 122a.
    4) More I, 73, Anfang, ar. Seite 105a, hebr. Seite 116a.
    5) More I, Seite 73, 10, ar. Seite 113b, hebr. Seite 122a, b.
    6) More, a. a. O., ar. Seite 114a, hebr. Seite 122a, b.
    7) More II, Kapitel 14, 2. Beweis, ar. Seite 30a, hebr. Seite 32a.
    8) More II, 13, 2. Theorie, ar. Seite 28a, hebr. Seite 30b.
    9) More II, 17, ar. Seite 34b-36a, hebr. Seite 35, 36a.
    10) More II, 14, erster und zweiter Beweis aus dem Wesen Gottes, ar. Seite 31a, hebr. Seite 33a.
    11) More II, 18, erstes und zweites Argument, ar. Seite 37, 38, 39a, hebr. Seite 37.
    12) More II, 19, ar. Seite 40, 41a, hebr. Seite 39, 40a.
    13) a. a. O., ar. Seite 41a-45a, hebr. Seite 40a-45a.
    14) a. a. O., ar. Seite 40a, hebr. Seite 39a.
    15) Vgl. hierzu und zum Folgenden meine "Philosophie des Judentums", Seite 119.
    16) More I, 73, 10; ar. Seite 113a, hebr. Seite 121b.
    17) Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, im "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung", Bd. I, 1, 1913, Seite 9.
    18) More I, 73, 10, Anmerkung; ar. Seite 115b, 116; hebr. Seite 124a.
    19) Vgl. Obermann, Das Problem der Kausalität bei den Arabern, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, Bd. 29, Wien und Leipzig 1921, Seite 337f. Derselbe, Der philosophische und religiöse Subjektivismus Ghazalis, Seite 82f und die von ihm angeführte Stelle aus Tahafut XVII.
    20) Bei mehreren von den angeführten Beispielen würde mir natürlicher als die Unmöglichkeitsaussage eine Aussage über die Notwendigkeit des entgegengesetzten Sachverhaltes erscheinen; ich würde etwa statt der Aussage, eine Substanz ohne Akzidenz ist unmöglich, die positive erwarten, jede Substanz muß notwendig mit Akzidenzen behaftet sein. Die Schranke der Kontingenz läge in dieser positiven Notwendigkeit und die negative Fassung wäre nur das Mittel, um diese Schranke zu einem schärferen Ausdruck zu bringen. In der mittelalterlichen Diskussion scheint jedoch das Unmöglichkeitsurteil als die primäre Form betrachtet worden zu sein, um eine absolut bindende Gesetzmäßigkeit auszudrücken. Der Gedanke, daß es eine absolute Gesetzmäßigkeit gibt, die auch von Gott nicht aufgehoben werden kann, wird in die auf Alexander von Aphrodisias zurückgehende Formel gekleidet, daß das Unmögliche eine feste Natur hat, die von keinem Wirkenden hervorgebracht ist und auch von Gott nicht geändert werden kann (More III, 15, Anfang). Ich verstehe den Grund dafür, wenn ich sehe, daß Ghazali in der in der vorigen Anmerkung angeführten Stelle das Notwendige als dasjenige definiert, dessen Nichtsein zu denken wir außerstande sind. Es ist bekannt, daß diese Definition auch in der modernen Logik vertreten wird.
    21) More I, 73, 10, Anm.; ar. Seite 115a, b; hebr. Seite 123a, b.
    22) More III, 15, ar. Seite 28b, 29a; hebr. Seite 21a.
    23) a. a. O., ar. Seite 29a, hebr. Seite 21a, b.
    24) a. a. O., ar. Seite 29a, b; hebr. Seite 21b.
    25) More III, 20.
    26) More I, 73, 10, Schluß der Anmerkung.
    27) Horten, Die Hauptlehren des Averroes, Bonn 1913, Seite 256. Obermann, a. a. O., Seite 340.
    28) More I, 73, 10; ar. Seite 113b, 114a; hebr. Seite 122a, b.
    29) daselbst Anmerkung, ar. Seite 114b; hebr. Seite 122b, 123a.