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Rezension: Ernst Mach, Erkenntnis und Irrtum (1)
MACH lehnt es ab, ein System aufzustellen. Er weist die Zumutung zurück, als Philosoph aufzutreten; nur als Naturforscher will er sprechen, nur von der tatsächlich geübten Forschungsmethode der Naturwissenschaft will er Rechenschaft ablegen. Er protestiert gegen das Verfahren derer, die unter Berufung auf fertige Resultate einer historisch vorliegenden Philosophie gegen seine Untersuchungen zu Felde ziehen, statt sich mit ihm auf den Boden der psychologischen Erfahrung zu begeben und auf diesem die Probleme der naturwissenschaftlichen Methodik zu diskutieren. In der Tat, wer die Ergebnisse psychologischer, also auf Erfahrungstatsachen gegründeter Forschungen verurteilt, weil sie nicht in den Rahmen seines philosophischen Systems passen, kann nur Mißtrauen gegen seine eigene Wissenschaftlichkeit erwecken. Scheut sich ein solcher, sich auf eine Prüfung der erfahrungsmäßigen Begründung der biologischen Erkenntnistheorie einzulassen, indem er sich begnügt, aus spekulativen Gründen abzusprechen, so gleicht ein derartiges Verhalten in bedenklicher Weise der wohlfeilen Antwort, die jener Hegelianer auf die Behauptung, die spekulativen Deduktionen seines Meisters ständen mit den Tatsachen in Widerspruch, mit den Worten erteilte: "Umso schlimmer für die Tatsachen". Ist die biologische Erkenntnistheorie im Irrtum, so muß es möglich sein, den Punkt bestimmt aufzuzeigen, an dem sie eine fehlerhafte Beobachtung oder einen fehlerhaften Schluß aus einer richtigen Beobachtung ihren weiteren Ausführungen zugrunde legt. Ich werde die Ansichten MACHs dadurch prüfen, daß ich sie, nicht mit irgendeinem vorhandenen philosophischen System, sondern allein mit den Tatsachen der Beobachtung vergleiche. Die Frage, die ich erörtern will, ist also diese: Befindet sich die Psychologie MACHs in Übereinstimmung mit den Tatsachen der Selbstbeobachtung? Bietet seine Methodologie eine Aufklärung der wirklichen Grundlagen der Naturforschung? Nach MACH bildet das wissenschaftliche Denken nur das Endglied einer "kontinuierlichen biologischen Entwicklungsreihe, welche mit den ersten einfachen Lebensäußerungen beginnt" (Seite 2). Diese ersten einfachen Lebensäußerungen findet er in den "Empfindungen". Die Empfindungen sollen als die "Grundelemente allen psychischen Lebens" zu betrachten sein (Seite 23). Was aber haben wir unter "Empfindung" zu verstehen? MACH sagt:
In der Tat scheint die Auffassung die von MACH beabsichtigte zu sein. Ist es doch sein Ziel, alle "durch die Erfahrung nicht kontrollierbaren Annahmen", alles Metaphysische im kantischen Sinn, aus der Wissenschaft "zu eliminieren" (2). Und Seite 315 sagt er geradezu: "Die Grundlage aller Erkenntnis ist die Intuition." - Es entsteht also für MACH die Aufgabe, aus der Empfindung (im Sinne von "Intuition" oder, wie er noch häufiger sagt, "Beobachtung") die tatsächlichen Phänomene des menschlichen Erkennens zu erklären. Natürlich nimmt er hierfür die Assoziation zu Hilfe. Zwar kann die Psychologie nach seiner Meinung "mit den temporär erworbenen Assoziationen allein nicht für alle Fälle auskommen" (Seite 157). Aber nehmen wir die vererbten Assoziationen hinzu, so können wir die Aufgabe von MACHs "Psychologie des Erkennens" dahin bestimmen, daß sie die gesamte menschliche Erkenntnis als etwas auf bloße Empfindungen (im genannten Sinn) mittels der Assoziation Zurückführbares zu erklären hat. In der Tat macht sich MACH daran, diese Aufgabe zu lösen.
Es gilt zunächst festzustellen, daß diese Erkenntnis weder selbst eine Empfindung ist, noch aus einer bloßen Ansammlung von Empfindungen bestehen kann. Wenn ich sage: "eine Magnetnadel gerät in Bewegung, sobald ein anderer Magnet angenähert wird", so spreche ich damit ein Urteil aus, dessen Inhalt über den Bereich der bloßen Empfindung, Intuition, Beobachtung oder wie MACH es sonst nennen will, weit hinausgeht. Denn dieser Inhalt beschränkt sich nicht, wie dies jede Empfindung tut, auf etwas zu bestimmter Zeit an bestimmter Stelle Wahrgenommenes, sondern enthält überhaupt keine Beziehung auf zeitliche oder örtliche Bestimmtheit. Der Satz bedeutet, daß unter den gleichen Umständen, wie die waren, unter denen ich die Bewegung der Nadel auf die Annäherung des Magneten folgen gesehen habe, - daß unter den gleichen Umständen überall und zu jeder Zeit auf die Annäherung des Magneten auch die Bewegung der Nadel eintreten wird. Und derselbe - der Empfindung ganz und gar fremde - Gedanke der Notwendigkeit einer Verknüpfung ist in dem Satz enthalten, daß auch mein eigener Leib auf meinen Befund "einene Einfluß ausübt". "Bei Schluß meiner Augen verschwindet überhaupt mein optischer Befund" (Seite 7). Woher weiß ich das? Was mir die Empfindung zeigt, ist nicht mehr, als daß in den bestimmten Fällen, in denen ich früher die Augen geschlossen habe, auch mein optischer Befund verschwunden ist. Dies ist bei Weitem nicht das, was das Wort "Einfluß" meint. Dieses Wort bezeichnet den Gedanken, daß das Verschwinden des optischen Befundes nicht nur in einzelnen beobachteten Fällen auf das Schließen der Augen gefolgt ist, sondern daß das eine Phänomen durch das andere bedingt ist, und hierin liegt der Gedanke einer Notwendigkeit, durch den die Verbundenheit beider Phänomene als eine von den zufälligen Umständen, unter denen sie beobachtet wurde, unabhängige vorgestellt wird. Solche Gedanken treten allerdings schon im primitivsten Stadium des geistigen Lebens auf. MACH bezeichnet es als das "Ergebnis eines unwiderstehlichen Analogieschlusses" (Seite 6), daß wir Bewußtseinserlebnisse, "ähnlich den mit unserem eigenen Leib zusammenhängenden auch an die anderen Menschen- und Tierleiber gebunden denken" (Seite 6). Dies ist gewiß eine treffende Bezeichnung des tatsächlichen Sachverhalts; aber sie erklärt nicht im Mindesten seine psychologische Möglichkeit. Wenn irgendetwas, so ist doch wohl das Ergebnis dieses "Schlusses" eine "durch die Erfahrung nicht kontrollierbare", und somit, nach MACHs eigener Bezeichnung, "metaphysische" Annahme, die - sie mag nun zu Recht bestehen oder nicht - sich, wenn die MACHsche Psychologie zu Recht bestehen soll, hinsichtlich ihres tatsächlichen Vorhandenseins aus Empfindungen ableiten lassen muß. Eine Erklärung, wie die Erkenntnis einer solchen "Abhängigkeit" nach den empiristischen Prinzipien der MACHschen Lehre psychologisch möglich ist, erscheint umso weniger erläßlich, als gerade MACH selbst dieser Erkenntnis der "Abhängigkeit der Elemente voneinander" die höchste Bedeutung für unser gesamtes Erkenntnisleben, insbesondere für die wissenschaftliche Erkenntnis, einräumt:
"So wie es biologisch wichtig ist, durch Beobachtung den Zusammenhang von Reaktionen - Aussehen einer Frucht und deren Nährwert - zu konstatieren, so geht auch jede Naturwissenschaft darauf aus, Beständigkeiten des Zusammenhangs oder der Verbindung der Reaktionen, der Abhängigkeit der Reaktionen voneinander aufzufinden." (Seite 135) MACH ist es natürlich nicht unbekannt geblieben, daß andere Forscher in dem von ihm als selbstverständlich hingenommenen Sachverhalt ein Problem gesehen haben. Die Schwierigkeiten, die diesen Männern die Aufgabe bereitet hat, den Begriff der notwendigen Verknüpfung auf bloße Beobachtung zurückzuführen, würdigt er dann auch der Erwähnung; aber die Erklärungen, die wir da erhalten, sind höchst dürftig. Er wendet sich hauptsächlich gegen den Versuch, aus der Annahme eines "angeborenen Verstandesbegriffs" unsere sogenannten Kausalitätsurteile zu erklären (3). Hierin wird ihm nun gewiß kein Psychologe mehr widersprechen; im übrigen verdient es hervorgehoben zu werden, daß gerade KANT, dem MACH diese Annahme zuschreibt, sich mit größter Entschiedenheit gegen eine solche Annahme erklärt hat (4). MACH verfährt so, daß er dem Terminus der Apriorität, der nach KANTs ausdrücklicher Definition nur den nicht-empirischen Ursprung gewissesr Urteile und Begriffe bezeichnen soll, den Begriff des Angeborenseins unterschiebt und dann aus der von niemandem bestrittenen Tatsache, daß es dergleichen angeborene Urteile oder Begriffe gar nicht gibt, auf den empirischen Ursprung der fraglichen Erkenntnisse schließt. Eine Schlußweise, deren Unstatthaftigkeit in die Augen fällt, solange man noch die Frage, ob eine Erkenntnis, hinsichtlich ihrer Quelle, aus der Beobachtung geschöpft ist, von der anderen zu unterscheiden weiß, ob sie, der Zeit nach, aller Beobachtung vorhergeht. Eine Unterscheidung dieser beiden Fragen ist bei MACH nirgends anzutreffen. MACH sagt:
Aber wir sind ja nicht auf die Empfindung allein angewiesen; außer ihr gibt es ja noch die Assoziation, vielleicht kann uns diese aus der Verlegenheit helfen. Wirklich scheint MACH selbst die bloße Beobachtung nicht genügend gefunden zu haben, um das Phänomen der Erwartung ähnlicher Fälle restlos zu erklären. Was jedoch die Beobachtung hier noch unerklärt läßt, scheint der Zurückführung auf die Assoziation ohne Weiteres zugänglich. Das Kind
Der hier entscheidende psychologische Unterschied besteht, in MACHs Terminologie ausgedrückt, darin, daß die Assoziation eine Verbindung von Vorstellungselementen ist, die Erwartung ähnlicher Fälle aber die Vorstellung von einer Verbindung der Elemente enthält, und da ist dann klar, daß das zweite sich in keiner Weise auf das erste reduzieren läßt. Diese Schwierigkeit (die in der Tat eine Unmöglichkeit ist) scheint MACH selbst gefühlt zu haben. Denn er sagt:
Der zweite Fehler der MACHschen Erklärung liegt nun darin, daß das biologische Interesse, das hier zur Erklärung der Erwartung dienen soll, eine solche Erwartung bereits zu seiner eigenen Möglichkeit voraussetzt. Daß die Merkmale d, e wegen ihrer nützlichen oder schädlichen Eigenschaft ein Interesse oder einen Wert für uns haben, ist nur dadurch möglich, daß wir mit der Vorstellung der Merkmale d, e diejenige ihres Nutzens oder Schadens derart verbinden, daß wir erwarten, mit dem Eintreten von d, e werde auch der früher wahrgenommene Nutzen oder Schaden wieder eintreten. Wir haben also hier mit der Einführung des biologischen Interesses nichts weiter getan, als daß wir die Kombination der Merkmale a, b, c, d, e um die weiteren Merkmale f, g (Nutzen oder Schaden) bereichert haben, wo es dann offenbar um nichts begreiflicher ist, wie die Verbindung von d, e mit f, g, wie die von a, b, c mit d, e erwartet werden kann. Denn es liegt auf der Hand, daß, wo es sich um die Erklärung der Möglichkeit der Erwartung überhaupt handelt, uns nicht mit der Berufung auf das Stattfinden einer speziellen Art von Erwartung gedient sein kann (5). Nach MACH ist, wie ich bereits hervorgehoben habe, die gewohnheitsmäßige Erwartung ähnlicher Fälle logisch nicht berechtigt. Da er nun in dem naturwissenschaftlichen Induktionsschluß nichts spezifisch anderes findet als eine solche Erwartung, so ist es nur konsequent, wenn er auch von diesem Verfahren urteilt, es habe "gar keine logische Berechtigung" (Seite 308). Da er nun natürlich nicht daran denkt, dieses Verfahren als wertlos zu verwerfen, sieht er sich genötigt, eine andere als die logische Berechtigung dafür zu suchen. Diese liefert ihm der Erfolg. MACH bemerkt an einigen Stellen selbst, daß jede naturwissenschaftliche Induktion die Annahme einer Gesetzmäßigkeit des durch die Induktiion zu erforschenden Gebietes schon voraussetzt und daß sogar jedem Wahrscheinlichkeitsschluß diese Voraussetzung bereits zugrunde liegt (Seite 282f). Diese aller Forschung zugrunde liegende deterministische Voraussetzung soll jedoch ihr Recht erst vom Erfolg ihrer tatsächlichen Anwendung erhalten.
Es ist höchst merkwürdig zu beoabachten, wie bei MACH selbst, an den verschiedensten Stellen, das Bewußtsein der Unzulänglichkeit dieses allgemeinen Empirismus mehr oder weniger deutlich zur Geltung kommt, ohne daß er sich jedoch irgendwo entschließt, diesen kritischen Bedenken ernsthaft nachzugehen. Daß die Logik die Erkenntnis nicht zu erweitern vermag, wird von ihm wiederholt betont. Aber er erkennt zugleich an, daß auch die Induktion, die von den meisten Naturforschern als das Hauptmittel der Erkenntnis gepriesen worden ist, "keine neue Erkenntnis schafft, sondern nur die Herstellung der Widerspruchslosigkeit zwischen unseren Erkenntnissen sichert".
Macht man sich dies klar, so erscheint der MACHsche Protest gegen den kantischen Apriorismus in einem merkwürdigen Licht. Man vergleiche nur die Schilderung jener "allgemeinen Prinzipien", die von den einzelnen aus ihnen ableitbaren Sätzen den eigentümlichen Vorzug haben sollen, "daß ihr Gegenteil sehr stark mit unseren gesamten instinktiven Erfahrungen kontrastiert" (Seite 272f, vgl. auch Seite 171). Sollten wir es mit diesen "instinktiven Erfahrungen" wörtlich nehmen, so wären sie das wunderlichste psychologische Gebilde, das je erdacht worden ist. Wie können Erfahrungen, also Beobachtungsergebnisse, instinktiv, also unabhängig von Beobachtungen, gewonnen werden? Jene allgemeinen Prinzipien, deren Gegenteil unserem Instinkt widerstreitet, - die, wie man sich sonst wohl ausdrückt, unmittelbar gewiß sind, - wären in der Tat nicht das, als was MACH sie beschreibt, wenn sich in ihnen nicht die totgesagten synthetischen Urteile a priorik KANTs wiedererkennen lassen würden. Ja, MACH verwickelt sich noch in ganz andere Widersprüche gegen sein empiristisches Dogma. Er geht hierin so weit, der Beobachtung geradezu den Charakter der Erkenntnis abzusprechen:
Das Einzige, was auf den Versuch einer solchen Antwort hinzudeuten scheinen könnte, ist die an mehreren Stellen vorkommende Betonung des Werts der "Abstraktion" für die Erkenntnis. Die Hauptaufgabe des Forschers sollte es sein, "die in Betracht kommenden Merkmale und deren Zusammenhänge aufzufinden." (Seite 312) Wie nun die Auffindung dieser Zusammenhänge zustande kommt, das wird dadurch erklärt, daß die "Vergleichung uns auf einen bisher unbeachteten Zusammenhang aufmerksam machen kann".
Ich will hier ein Beispiel ins Auge fassen, an dem sich die Rolle der Abstraktion bei der Forschung beurteilen läßt, und das MACH selbst zu diesem Zweck erörtert. Er sagt:
MACH sagt, der Inhalt des Trägheitsgesetzes sei "durchaus nicht selbstverständlich" (7). Und in der Tat, versteht er unter "selbstverständlich" solche Sätze, die logisch notwendig sind, d. h. Sätze, die ohne Widerspruch nicht verneint werden können, so ist das Gesetz der Trägheit ganz gewiß nicht selbstverständlich. Aber in keiner Weise folgt hieraus, daß über seine Geltung "die Erfahrung allein endgültig belehren kann" (8). Denn aus dem nicht-logischen Ursprung eines Satzes kann nicht auf seinen empirischen Ursprung geschlossen werden (9). Ein solcher Schluß wäre nur aufgrund der gänzlich unerwiesenen Annahme zulässig, daß alle nicht-empirischen Sätze logisch notwendig sind (10). - Und wie sollte man sich wohl eine empirische Prüfung des Trägheitsgesetzes denken? Eine solche Prüfung wäre nur möglich durch die Beobachtung eines Körpers in einem Zustand, in dem keine Kraft auf ihn wirkt. Woran erkennen wir aber, ob diese Bedingung erfüllt ist oder nicht? Nur daran, ob eine Beschleunigung des Körpers stattfindet oder nicht; d. h. also nur unter der Voraussetzung des Trägheitsgesetzes (11). Es sei nur nebenbei erwähnt, daß auch das Gesetz der Relativität der Bewegung nach MACH empirischen Ursprungs ist, daß aber MACH selbst nichtsdestoweniger keine Bedenken trägt, die Annahme einer absoluten Bewegung für sinnlos zu erklären, daß er sie einen "sinnlosen, inhaltsleeren, wissenschaftlich nicht verwendbaren Begriff" nennt (12). Nach diesen Erörterungen wird sich leicht die von MACH vertretene Behauptung beurteilen lassen, nach der zwischen "Beschreibung" und "Erklärung" kein spezifischer Unterschied bestehen soll. Betrachten wir als Beispiel die Untersuchung der Beziehung zwischen Fallraum und Fallzeit. MACH sagt hierüber:
Ich habe bisher einen Gedanken unerwähnt gelassen, mit dessen Hilfe man vielleicht noch hoffen könnte, den Empirismus der MACHschen Erkenntnispsychologie gegen meine Kritik in Schutz zu nehmen. Es ist dies das Prinzip der "Denkökonomie". Ich will die hohe Bedeutung dieses Prinzips für die Entwicklung der wissenschaftlichen und auch der vorwissenschaftlichen Erkenntnis nicht in Frage stellen. Das Bestreben, mit einem möglichst geringen Aufwand von Arbeit möglichst viel zu leisten, hat von jeher die Betätigungen der Menschen in praktischer wie in intellektueller Hinsicht - teils bewußt, teils unbewußt - zu neuen Fortschritten geführt. Insbesondere ist dieses Bestreben seit langem unter dem Namen des Prinzips der Sparsamkeit von den Naturforschern mit Bewußtsein geltend gemacht worden. MACH spricht den Inhalt dieses Prinzips gelegentlich mit den Worten aus:
Es handelt sich um jene "allgemeine Prinzipien", deren Gegenteil mit unserem "Instinkt" kontrastieren sollte, um jene "begrifflichen Fixierungen", vermöge derer aus dem bloßen "Befund" ein "Urteil" werden sollte, um jene Annahme von der "Beständigkeit der Verbindung" oder von der "Abhängigkeit der Elemente voneinander". Hier scheint sich endlich ein Weg zu eröffnen, auf dem wir zu einer befriedigenden Einsicht in die Herkunft dieser Dinge gelangen können. Es ist die Kraftersparnis, die leichtere Bedienung der praktischen Bedürfnisse, das Interesse der Lebenserhaltung, kurz: es ist der biologische Vorteil, was zur Ausbildung jener Eigentümlichkeiten unseres Denkens geführt hat. Es ist eine Art Anpassungsprozeß an unsere physische Umgebung, eine Art natürlicher, später auch künstlicher Zuchtwahl, was ihre Entstehung gleichsam notwendig gemacht hat. In der Tat, je genauer der Vorstellungsverlauf eines Wesens sich dem Naturlauf angepaßt hat, ein je getreueres Abbild desselben er darstellt, umso vorteilhafter wird dieses Wesen für den Kampf ums Dasein ausgerüstet sein, umso besser wird es, in Voraussicht der nützlichen oder schädlichen Eigenschaften der ihn umgebenden Dinge, das ihm Nützliche aufzusuchen, das ihm Schädliche zu vermeiden in der Lage sein. Was sich unter dem Zwang des biologischen Bedürfnisses auf solche Weise an allgemeinen Vorstellungen, Erwartungen und instinktiven Annahmen herausgebildet hat, das legt dann die Wissenschaft mit Bewußtsein der methodischen Forschung als Leitmotiv zugrunde. So bestechend diese Argumentation auf den ersten Blick erscheinen mag, so unhaltbar ist sie doch. Sie leidet an dem Fehler, der allen Versuchen anhaftet, die darauf ausgehen, ein Entwicklungsprinzip zur Aufklärung von Fragen zu benutzen, deren Gegenstand außerhalb des Gebietes der Entwicklung liegt. Jedes Zuchtwahlprinzip kann nur dazu dienen, die Erhaltung und graduelle Ausbildung, d. h. Verstärkung irgendwelcher Eigenschaften zu erklären, aber es findet seine notwendige Schranke an der Frage nach der ursprünglichen Herkunft dieser Eigenschaften. So auch das Prinzip des biologischen Vorteils in der Psychologie des Erkennens. Es mag biologisch vorteilhaft und denkökonomisch wertvoll sein, wenn wir uns zu den wahrnehmbaren Handlungen der Menschen unwahrnehmbare Empfindungen und Gedanken hinzudenken, und man kann verstehen, daß dieses Hinzudenken, dadurch, daß es sich als vorteilhaft erweist, zu einer sich erhaltenden Denkgewohnheit wird. Man versteht das: sofern man das aus anderen Gründen schon vorhandene Hinzudenken voraussetzt; das Auftreten dieses Hinzudenkens kann nicht selbst dadurch erklärt werden, daß man zeigt, wie es sich infolge der Vorteile, die es mit sich bringt, erhält. Und so auch bei allen anderen Eigentümlichkeiten unseres Erkennens. Indessen, hier bleibt noch eine Zweideutigkeit. Mein MACH nur, es sei eine allgemeine Eigenschaft aller Erkenntnis, in irgendeiner Weise biologisch förderlich zu sein, oder will er sagen, das, was man sonst richtig oder wahr nennt, ist im Grunde gar nichts anderes als das biologisch Förderliche? Das erste ist unzweifelhaft richtig, falls man nur den Begriff des biologisch Förderlichen hinreichend weit faßt, so daß auch eine solche Erkenntnis, deren Inhalt uns in höchstem Maße schmerzt und quält, doch noch als biologisch förderlich gelten könnte, insofern sie uns nämlich durch eine Bereicherung des Wissens in intellektueller Hinsicht fördert. So weit gefaßt, wäre der Satz von der biologisch förderlichen Natur der Erkenntnis zwar völlig trivial, aber doch zumindest richtig. Vielleicht meint jedoch MACH nicht, eine Erkenntnis sei darum biologisch förderlich, weil sie richtig ist, sondern eine Erkenntnis sei darum richtig, weil sie biologisch förderlich ist. Er sagt:
Übrigens wird natürlich der Denkökonom, entsprechend den Graden der erzielten Denkersparnis, verschiedene Grade der Richtigkeit anzunehmen haben, wo denn als idealer Grenzfall des richtigsten Denkens derjenige anzunehmen wäre, in dem alle Denkarbeit gespart, d. h. wo gar nicht mehr gedacht wird. Von diesem Standpunkt aus der als der einzige uneingeschränkt richtige zu gelten hätte, ist natürlich auch das Prinzip der Denkökonomie selbst ein noch zu viel Denkarbeit erfordernder und daher falscher Gedanke. Man sieht, das Prinzip der Denkökonomie hebt in seiner Konsequenz nicht nur alle Naturwissenschaft, sondern auch sich selbst auf (16). Es verdient bemerkt zu werden, daß der hier aufgedeckte Widerspruch nicht etwa, wie man vielleicht meinen könnte, die Folge eines nebensächlichen, den Kern der MACHschen Lehre nicht berührenden Fehlers ist, sondern vielmehr seinen Grundgedanken selbst trifft. Die bloße Beobachtung, so hatte ich bereits mehrmals bemerkt, läßt stets nur eine endliche Anzahl von Fällen erkennen. Die Zahl der beobachteten Fälle einer Art mag noch so groß sein, daß ihr Ergebnis auf alle Fälle dieser Art Anwendung findet, vermag die Beobachtung nicht zu lehren. Jedes wirklich allgemeine Urteil geht folglich über die Kompetenz der Beobachtung hinaus, es setzt eine andere Erkenntnisquelle voraus als die Beobachtung. Es ist unrichtig, wenn MACH sagt: "Das Urteil, alle A und B, kann ich psychologisch als eine Summe vieler Urteilsakte auffassen" (Seite 113). Aus einer bloßen Summation noch so vieler Einzelurteile kann niemals ein allgemeines Urteil entstehen. Sagt doch auch MACH, daß der Obersatz eines Schlusses "nicht allgemein ausgesprochen werden darf, wenn man nicht auch des Spezialfalles sicher ist".
Dieser MACHsche Satz kann folglich, insofern er allgemeine Gültigkeit beansprucht, nicht der Beobachtung entnommen sein. Entweder also alle Erkenntnis entstammt der Beobachtung: dann kann der MACHsche Satz keine Erkenntnis, sondern nur einen Irrtum enthalten. Ist aber der MACHsche Satz eine Erkenntnis, so ist er aus einer anderen Quelle geschöpft als der Beobachtung. Ist er aber aus einer anderen Quelle geschöpft, so ist die Beobachtung nicht die einzige Erkenntnisquelle, was doch der Satz behauptet. - Hier zeigt sich der Widerspruch im ersten Ausgangspunkt der MACHschen Psychologie. Dieser Widerspruch ist sonst bekannt genug. Jeder Schüler der Logik lernt ihn im Schulbeispiel vom lügenden Kreter kennen. Wenn EPIMENIDES, der Kreter, sagt: "Alle Kreter sind Lügner", so hat er notwendig gelogen. Denn angenommen, es ist wahr, daß alle Kreter lügen, so muß dies auch EPIMENIDES tun. Um nichts besser als diese Lüge des EPIMENIDES ist das Dogma des Empiristen. Wenn der Empirist sagt: "Alle Erkenntnisse stammen aus der Beobachtung", so spricht er eine Behauptung aus, die sich selbst aufhebt. Denn angenommen, seine Behauptung wäre richtig, so gäbe es eine allgemein, d. h. nicht aus der Beobachtung stammende Erkenntnis. Wir können aus den vorstehenden Erörterungen den folgenden Schluß ziehen: die MACHsche Erkenntnistheorie ist kein Resultat von Beobachtungen, sondern sie ist eine metaphysisches Dogma. Sie ist logisch unhaltbar, denn sie widerspricht sich selbst. Sie ist psychologisch unhaltbar, denn sie widerspricht den Tatsachen der Selbstbeobachtung. Sie ist naturwissenschaftlich unhaltbar, denn sie hebt die Möglichkeit der Naturwissenschaft auf. Die harten Urteile, mit denen MACH über die kantischen Untersuchungen den Stab brechen wollte, waren also höchst unberechtigt. Nicht die kantische, sonder MACHs eigene Lehre ruht auf "philosophischen Dekreten" (Seite 281), durch die die Rechte der Beobachtung gekränkt werden. KANT, der die Einsicht in die Unentbehrlichkeit der Metaphysik für die Naturwissenschaft mit der Einsicht in die Unzulässigkeit aller dogmatischen Metaphysik verbunden hat und dadurch auf die Erfindung der "Kritik der reinen Vernunft" geführt wurde, hat den von MACH vertretenen Empirismus auf das bündigste widerlegt. So sagt er im Hinblick auf seine eigenen kritischen Untersuchungen:
"Doch", fährt Kant fortm "da es in diesem philosophischen und kritischen Zeitalter schwerlich mit jenem Empirismus Ernst sein kann und er vermutlich nur zur Übung der Urteilskraft und um durch den Kontrast die Notwendigkeit rationalier Prinzipien a priori in ein helleres Licht zu setzen, aufgestellt wird: so kann man es denen doch Dank wissen, die sich mit dieser sonst eben nicht belehrenden Arbeit bemühen wollen." (17) ![]()
1) Der Text der ersten (Leipzig 1905) und der zweiten Auflage (1906) unterscheidet sich nur unwesentlich. Ich zitiere nach der zweiten. 2) Mach, Analyse der Empfindungen, vierte Auflage 1903, Seite V, VIIIf, 22. Man unterscheide im Folgenden genau den Begriff der metaphysischen Annahme von dem der naturwissenschaftlichen Hypothese. Eine Hypothese im naturwissenschaftlichen Sinn muß jederzeit zumindest die Möglichkeit einer empirischen Kontrolle zulassen. 3) Seite 32 und 281. Ebenso: "Prinzipien der Wärmelehre", zweite Auflage 1900, Seite 435 und "Mechanik", fünfte Auflage 1904, Seite 525. 4) "Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel", so lautet der erste Satz der "Kritik der reinen Vernunft". "Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher. Wenn aber gleich alle Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. ... Es ist also wenigstens eine der näheren Untersuchung noch benötigte und nicht auf den ersten Anschein sogleich abzufertigende Frage: ob es eine dergleichen von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängige Erkenntnis gibt. Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen in der Erfahrung haben." "Die Kritik", sagt Kant an anderer Stelle, "erlaubt schlechterdings keine angeborenen Vorstellungen; alle insgesamt, sie mögen zur Anschauung oder zu Verstandesbegriffen gehören, nimmt sie als erworben an" (Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, Seite 68). 5) Ich kann mich übrigens nicht davon überzeugen, daß sich, wie Mach (Seite 31) mit der Mehrzahl der gegenwärtigen Psychologen behauptet, "alle" Fälle von Assoziation auf das "einzige" Gesetz der zeitlichen Berührung zurückführen lassen. Vielmehr scheint mir, man müsse dabei stehen bleiben, eine besondere Ähnlichkeits-Assoziation als psychologisch nicht weiter reduzierbare Tatsache hinzunehmen. Ähnlichkeit ist durchaus nicht unter allen Umständen, wie Mach meint, "teilweise Identität" (Analyse der Empfindungen, Seite 57). Zwei verschiedene Blau-Nuancen etwa, deren eine die andere in Erinnerung ruft, sind jede für sich etwas durchaus Einheitliches; sie lassen sich nicht zerlegen, so daß etwa ein identischer beiden gemeinsamer Bestandteil mich veranlassen könnte, beim Anblick einer blauen Skabiose [Teufelwurz - wp] an ein ähnlich gefärbtes Kleidungsstück zu denken. Die der Wahrnehmung korrespondierenden photochemischen Prozesse in der Netzhaut oder im Sehnerven oder auch die zugehörigen Erregungen der Hirnrinde mögen immerhin sehr zusammengesetzter Natur sein und einen gemeinschaftlichen Teilprozeß enthalten; das ändert nichts an der psychologischen Einheitlichkeit der Farbwahrnehmung. - Man hat sich hier mit der Annahme zu helfen gesucht, eine derartige Assoziation komme durch die Vermittlung der mit der Vorstellung der blauen Farbe assoziierten Wortvorstellung "Blau" zustande. Aber man hat nicht bemerkt, daß durch eine solche - ohnehin nur theoretisch erkünstelte - Annahme das Problem der Ähnlichkeitsassoziation nicht gelöst, sondern nur verschoben wird. Wie kommt es dann, daß gerade die Wahrnehmung der blauen Skabiose, und nicht etwa die eines vorüberfliegenden Zitronenfalters, die Wortvorstellung "Blau" reproduziert? Wie kommt es, daß gerade die verschiedenen blauen Farbentöne, und nur diese, mit ein und demselben Wort "Blau" assoziiert sind? - Die beliebte Berufung auf den Umstand, daß wir schon in frühester Jugend durch die Umgangssprache an die Wortbezeichnung gewöhnt werden, versagt in zweifacher Hinsicht. Erstens läßt sie es unbegreiflich, wie denn die Anderen, die sich dieser Bezeichnungsweise bedienen, dazu gekommen sein mögen, gerade die verschiedenen "ähnlichen" Vorstellungen durch ein Wort in Beziehung zu setzen. Zweitens aber wäre es nach dieser Erklärung ausgeschlossen, daß überhaupt jemals eine von den früher aufgetretenen abweichende Vorstellung eine der früheren reproduzieren könnte. - Man erkennt durch eine solche Überlegung zugleich, daß ohne die Annahme einer besonderen Ähnlichkeitsassoziation die psychologische Möglichkeit allgemeiner Begriffe (wenigstens aller von sinnlichen Qualitäten abstrahierter Begriffe) unbegreiflich bleiben müßte. 6) Prinzipien der Wärmelehre, Seite 435 7) Mechanik, fünfte Auflage, 1904, Seite 142. 8) Mechanik, fünfte Auflage, 1904, Seite 142. 9) Dieser Fehlschluß kommt bei Mach auch bei anderen Gelegenheiten vor. So schließt er (Mechanik, Seite 533f) aus der Denkbarkeit von mehr als dreifach ausgedehnten raumartigen Mannigfaltigkeiten, daß nur die Erfahrung die Eigenschaften des gegebenen Raumes zu lehren vermag. 10) Daß diese Annahme nicht nur unerwiesen, sondern auch falsch ist, habe ich an anderer Stelle auseinandergesetzt. Vgl. meine "Bemerkungen über die nicht-euklidische Geometrie und den Ursprung der mathematischen Gewißheit" (Abhandlungen der Fries'schen Schule, Neue Folge, Band I, Heft 2 und 3). 11) Übrigens ist es unrichtig, wenn Mach sagt, daß das Trägheitsgesetz unmittelbar aus der Erkenntnis der Kräfte als beschleunigungsbestimmender Umstände folgt. Ich erwähne das, weil sich derselbe Irrtum auch in seiner "Mechanik" (Seite 143, 293) findet. Aus dem Satz, daß alle Kräfte Beschleunigungen bestimmen, folgt noch nicht, daß alle Beschleunigungen durch Kräfte bestimmt sind, denn dieser Satz ist die Umkehrung des anderen. Die Annahme von Beschleunigungen, die nicht durch Kräfte bestimmt sind, widerspricht nicht dem Satz von der beschleunigungsbestimmenden Natur der Kräfte, sondern dem allgemeinen Gesetz der Kausalität, nach welchem jede Veränderung, also auch jede Beschleunigung, durch eine Ursache bestimmt ist. 12) Mechanik, Seite 263, 257. 13) Mechanik, Seite 549. 14) Mechanik, Seite 532. 15) Wenden wir dieses Prinzip der Denkökonomie an, so finden wir, daß dieses Prinzip im Grunde nichts anderes besagt als dies: "Es erspart Denkarbeit, anzunehmen, daß das Denkarbeit ersparende Denken das richtige ist." So formuliert ist das Prinzip in der Tat unangreifbar, und es empfiehlt sich daher, es künftighin immer in dieser Form auszusprechen. 16) Nach allem Gesagten versteht es sich übrigens von selbst, daß, wenn die Naturgesetze subjektive Erzeugnisse des Denkens sein sollen, an die die Wirklichkeit nicht gebunden ist, es in der "Wirklichkeit" auch keine "Abhängigkeit der Elemente voneinander" geben kann, daß diese Abhängigkeit vielmehr, da sie mit gesetzmäßiger Verbindung identisch ist, ebenfalls nur ein subjektives Erzeugnis des Denkens sein kann. Wie man sich aber das nach Abzug der Gesetze und der Abhängigkeit der Elemente voneinander von der Wirklichkeit noch Zurückbleibende zu denken hat oder auch nur denken kann, weiß ich nicht. 17) Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788, Vorrede. |