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LEONARD NELSON
Rezension: Ernst Mach,
Erkenntnis und Irrtum
(1)

"Man erkennt, daß ohne die Annahme einer besonderen Ähnlichkeitsassoziation die psychologische Möglichkeit allgemeiner Begriffe (wenigstens aller von sinnlichen Qualitäten abstrahierter Begriffe) unbegreiflich bleiben müßte."

"Nach Mach ist die gewohnheitsmäßige Erwartung ähnlicher Fälle logisch nicht berechtigt. Da er nun natürlich nicht daran denkt, dieses Verfahren als wertlos zu verwerfen, sieht er sich genötigt, eine andere als die logische Berechtigung dafür zu suchen. Diese liefert ihm der Erfolg."

"Es mag biologisch vorteilhaft und denkökonomisch wertvoll sein, wenn wir uns zu den wahrnehmbaren Handlungen der Menschen unwahrnehmbare Empfindungen und Gedanken hinzudenken, und man kann verstehen, daß dieses Hinzudenken, dadurch, daß es sich als vorteilhaft erweist, zu einer sich erhaltenden Denkgewohnheit wird."

"Mach spricht den Naturgesetzen jede objektive Bedeutung ab: sie sind ihm lediglich ein Erzeugnis unseres psychologischen Bedürfnisses, uns in der Natur zurecht zu finden. Die Tatsachen sind nicht genötigt, sich nach unseren Gedanken zu richten. Die Naturgesetze sind bloße subjektive Vorschriften für die Erwartung des Beobachters, an welche die Wirklichkeit nicht gebunden ist."

"Die bloße Beobachtung läßt stets nur eine endliche Anzahl von Fällen erkennen. Die Zahl der beobachteten Fälle einer Art mag noch so groß sein, daß ihr Ergebnis auf alle Fälle dieser Art Anwendung findet, vermag die Beobachtung nicht zu lehren. Jedes wirklich allgemeine Urteil geht folglich über die Kompetenz der Beobachtung hinaus, es setzt eine andere Erkenntnisquelle voraus als die Beobachtung."

"Um nichts besser als die Lüge des Epimenides, daß alle Kreter lügen, ist das Dogma des Empiristen. Wenn der Empirist sagt: »Alle Erkenntnisse stammen aus der Beobachtung«, so spricht er eine Behauptung aus, die sich selbst aufhebt. Denn angenommen, seine Behauptung wäre richtig, so gäbe es eine allgemein, d. h. nicht aus der Beobachtung stammende Erkenntnis."

In dem vorliegenden Buch hat der berühmte Vorkämpfer der biologischen Erkenntnistheorie seine psychologischen und methodologischen Untersuchungen in einer zusammenfassenden Darstellung niedergelegt und um neue Ausführungen bereichert. Die einfache und klare Sprache, der außerordentliche Reichtum eigener Beobachtungen und die geschickte Ausbeutung historischer Beispiele, die seine früheren Schriften auszeichnen, treten uns auch hier entgegen. Ein Bericht über den Inhalt des Werkes könnte in dieser Hinsicht keine annähernde Vorstellung von seiner Reichhaltigkeit geben, denn eben in der Fülle einzelner Beobachtungen, die ein Referat nicht wiedergeben kann, liegt sein Hauptvorzug. Wir wollen uns hier darauf beschränken, den allgemeinen Gesichtspunkt, unter dem MACH all jene Einzelheiten vorträgt und unter dem er sie verwertet, zu kennzeichnen und den leitenden Gedanken des Ganzen zu erörtern.

MACH lehnt es ab, ein System aufzustellen. Er weist die Zumutung zurück, als Philosoph aufzutreten; nur als Naturforscher will er sprechen, nur von der tatsächlich geübten Forschungsmethode der Naturwissenschaft will er Rechenschaft ablegen. Er protestiert gegen das Verfahren derer, die unter Berufung auf fertige Resultate einer historisch vorliegenden Philosophie gegen seine Untersuchungen zu Felde ziehen, statt sich mit ihm auf den Boden der psychologischen Erfahrung zu begeben und auf diesem die Probleme der naturwissenschaftlichen Methodik zu diskutieren. In der Tat, wer die Ergebnisse psychologischer, also auf Erfahrungstatsachen gegründeter Forschungen verurteilt, weil sie nicht in den Rahmen seines philosophischen Systems passen, kann nur Mißtrauen gegen seine eigene Wissenschaftlichkeit erwecken. Scheut sich ein solcher, sich auf eine Prüfung der erfahrungsmäßigen Begründung der biologischen Erkenntnistheorie einzulassen, indem er sich begnügt, aus spekulativen Gründen abzusprechen, so gleicht ein derartiges Verhalten in bedenklicher Weise der wohlfeilen Antwort, die jener Hegelianer auf die Behauptung, die spekulativen Deduktionen seines Meisters ständen mit den Tatsachen in Widerspruch, mit den Worten erteilte: "Umso schlimmer für die Tatsachen". Ist die biologische Erkenntnistheorie im Irrtum, so muß es möglich sein, den Punkt bestimmt aufzuzeigen, an dem sie eine fehlerhafte Beobachtung oder einen fehlerhaften Schluß aus einer richtigen Beobachtung ihren weiteren Ausführungen zugrunde legt.

Ich werde die Ansichten MACHs dadurch prüfen, daß ich sie, nicht mit irgendeinem vorhandenen philosophischen System, sondern allein mit den Tatsachen der Beobachtung vergleiche. Die Frage, die ich erörtern will, ist also diese: Befindet sich die Psychologie MACHs in Übereinstimmung mit den Tatsachen der Selbstbeobachtung? Bietet seine Methodologie eine Aufklärung der wirklichen Grundlagen der Naturforschung?

Nach MACH bildet das wissenschaftliche Denken nur das Endglied einer "kontinuierlichen biologischen Entwicklungsreihe, welche mit den ersten einfachen Lebensäußerungen beginnt" (Seite 2). Diese ersten einfachen Lebensäußerungen findet er in den "Empfindungen". Die Empfindungen sollen als die "Grundelemente allen psychischen Lebens" zu betrachten sein (Seite 23). Was aber haben wir unter "Empfindung" zu verstehen? MACH sagt:
    "Meine sämtlichen physischen Befunde kann ich in derzeit nicht weiter zerlegbare Elemente auflösen: Farben, Töne, Drücke, Wärmen, Düfte, Räume, Zeiten usw. Diese Elemente zeigen sich sowohl von außerhalb U, als von innerhalb U liegenden Umständen abhängig. Insofern und nur insofern letzteres der Fall ist, nennen wir diese Elemente auch Empfindungen." (Seite 8)
Dieser Satz läßt eine nicht unerhebliche Unbestimmtheit zurück. Man weiß nämlich nicht, ob er nur den Zweck hat, eine Wortdefinition der Empfindung zu geben, oder ob er eine Aussage über die wirkliche Beschaffenheit der nicht weiter zerlegbaren Elemente enthalten soll, nämlich die Aussage, daß diese Elemente gerade von der Art der angeführten Beispiele, nämlich der Farben, Töne, Drücke usw. sind, so daß damit das, was man nach der üblichen Bezeichnungsweise die "anschauliche" Natur der Grundelemente nennen würde, behauptet wäre. Im ersten Fall würden wir in dem Satz, daß die Grundelemente alles psychischen Lebens Empfindungen sind, eine bloße Wiedergabe der Definition der Empfindung, also eine über das Wesen jener Grundelemente gar nichts aussagende Tautologie zu sehen haben. Im anderen Fall hingegen wäre mit diesem Satz die weittragende Behauptung ausgesprochen, alle psychischen Phänomene seien auf anschauliche Elemente zurückzuführen. Es ist von der größten Erheblichkeit, sich dieser Zweideutigkeit bewußt zu sein. Denn je nachdem, auf welche der beiden Weisen wir die angeführte Stelle verstehen, werden wir im Satz von der Zurückführbarkeit alles Psychischen auf Empfindung eine über allen Zweifel erhabene, von keinem Psychologen abzuleugnende Tautologie, oder aber die Proklamierung eines uneingeschränkten Empirismus zu erblicken haben.

In der Tat scheint die Auffassung die von MACH beabsichtigte zu sein. Ist es doch sein Ziel, alle "durch die Erfahrung nicht kontrollierbaren Annahmen", alles Metaphysische im kantischen Sinn, aus der Wissenschaft "zu eliminieren" (2). Und Seite 315 sagt er geradezu: "Die Grundlage aller Erkenntnis ist die Intuition." - Es entsteht also für MACH die Aufgabe, aus der Empfindung (im Sinne von "Intuition" oder, wie er noch häufiger sagt, "Beobachtung") die tatsächlichen Phänomene des menschlichen Erkennens zu erklären. Natürlich nimmt er hierfür die Assoziation zu Hilfe. Zwar kann die Psychologie nach seiner Meinung "mit den temporär erworbenen Assoziationen allein nicht für alle Fälle auskommen" (Seite 157). Aber nehmen wir die vererbten Assoziationen hinzu, so können wir die Aufgabe von MACHs "Psychologie des Erkennens" dahin bestimmen, daß sie die gesamte menschliche Erkenntnis als etwas auf bloße Empfindungen (im genannten Sinn) mittels der Assoziation Zurückführbares zu erklären hat. In der Tat macht sich MACH daran, diese Aufgabe zu lösen.
    "Die Befunde im Raum", sagt er, "in meiner Umgebung, hängen voneinander ab. Eine Magnetnadel gerät in Bewegung, sobald ein anderer Magnet genügend angenähert wird. Ein Körper erwärmt sich am Feuer, kühlt aber ab bei Berührung mit einem Eisstück. Ein Blatt Papier im dunklen Raum wird durch die Flamme einer Lampe sichtbar." (Seite 7)
Die Richtigkeit dieser Sätze mag gern eingeräumt werden. Aber die Frage ist: wie gelangen wir zur Kenntnis des in ihnen ausgesagten Sachverhalts? Die Erkenntnis, daß die Befunde im Raum voneinander abhängen, tritt freilich schon auf recht primitiver Stufe auf, und so scheint ihr Vorhandensein kein Problem zu bilden. Allein, näher zugesehen dürfte es schwer fallen, auch nur diese so primitiv erscheinende Erkenntnis in der von MACH postulierten Weise zu erklären.
    "Die Kenntnis der Abhängigkeit der Befunde, der Erlebnisse voneinander ist für uns von größtem Interesse, sowohl praktisch zur Befriedigung der Bedürfnisse, als auch theoretisch zur gedanklichen Ergänzung eines unvollständigen Befundes",
sagt MACH sehr mit Recht (Seite 7). Wie will er nun die Möglichkeit dieser Erkenntnis erklären?

Es gilt zunächst festzustellen, daß diese Erkenntnis weder selbst eine Empfindung ist, noch aus einer bloßen Ansammlung von Empfindungen bestehen kann. Wenn ich sage: "eine Magnetnadel gerät in Bewegung, sobald ein anderer Magnet angenähert wird", so spreche ich damit ein Urteil aus, dessen Inhalt über den Bereich der bloßen Empfindung, Intuition, Beobachtung oder wie MACH es sonst nennen will, weit hinausgeht. Denn dieser Inhalt beschränkt sich nicht, wie dies jede Empfindung tut, auf etwas zu bestimmter Zeit an bestimmter Stelle Wahrgenommenes, sondern enthält überhaupt keine Beziehung auf zeitliche oder örtliche Bestimmtheit. Der Satz bedeutet, daß unter den gleichen Umständen, wie die waren, unter denen ich die Bewegung der Nadel auf die Annäherung des Magneten folgen gesehen habe, - daß unter den gleichen Umständen überall und zu jeder Zeit auf die Annäherung des Magneten auch die Bewegung der Nadel eintreten wird. Und derselbe - der Empfindung ganz und gar fremde - Gedanke der Notwendigkeit einer Verknüpfung ist in dem Satz enthalten, daß auch mein eigener Leib auf meinen Befund "einene Einfluß ausübt". "Bei Schluß meiner Augen verschwindet überhaupt mein optischer Befund" (Seite 7). Woher weiß ich das? Was mir die Empfindung zeigt, ist nicht mehr, als daß in den bestimmten Fällen, in denen ich früher die Augen geschlossen habe, auch mein optischer Befund verschwunden ist. Dies ist bei Weitem nicht das, was das Wort "Einfluß" meint. Dieses Wort bezeichnet den Gedanken, daß das Verschwinden des optischen Befundes nicht nur in einzelnen beobachteten Fällen auf das Schließen der Augen gefolgt ist, sondern daß das eine Phänomen durch das andere bedingt ist, und hierin liegt der Gedanke einer Notwendigkeit, durch den die Verbundenheit beider Phänomene als eine von den zufälligen Umständen, unter denen sie beobachtet wurde, unabhängige vorgestellt wird. Solche Gedanken treten allerdings schon im primitivsten Stadium des geistigen Lebens auf. MACH bezeichnet es als das "Ergebnis eines unwiderstehlichen Analogieschlusses" (Seite 6), daß wir Bewußtseinserlebnisse, "ähnlich den mit unserem eigenen Leib zusammenhängenden auch an die anderen Menschen- und Tierleiber gebunden denken" (Seite 6). Dies ist gewiß eine treffende Bezeichnung des tatsächlichen Sachverhalts; aber sie erklärt nicht im Mindesten seine psychologische Möglichkeit. Wenn irgendetwas, so ist doch wohl das Ergebnis dieses "Schlusses" eine "durch die Erfahrung nicht kontrollierbare", und somit, nach MACHs eigener Bezeichnung, "metaphysische" Annahme, die - sie mag nun zu Recht bestehen oder nicht - sich, wenn die MACHsche Psychologie zu Recht bestehen soll, hinsichtlich ihres tatsächlichen Vorhandenseins aus Empfindungen ableiten lassen muß. Eine Erklärung, wie die Erkenntnis einer solchen "Abhängigkeit" nach den empiristischen Prinzipien der MACHschen Lehre psychologisch möglich ist, erscheint umso weniger erläßlich, als gerade MACH selbst dieser Erkenntnis der "Abhängigkeit der Elemente voneinander" die höchste Bedeutung für unser gesamtes Erkenntnisleben, insbesondere für die wissenschaftliche Erkenntnis, einräumt:
    "Was uns allein interessieren kann, ist die Erkenntnis der Abhängigkeit der Elemente voneinander. Daß diese Abhängigkeit eine feste, wenn auch komplizierte und schwer ermittelbare ist, setzen wir vernünftigerweise voraus, wenn wir an die Erforschung gehen." (Seite 30)

    "So wie es biologisch wichtig ist, durch Beobachtung den Zusammenhang von Reaktionen - Aussehen einer Frucht und deren Nährwert - zu konstatieren, so geht auch jede Naturwissenschaft darauf aus, Beständigkeiten des Zusammenhangs oder der Verbindung der Reaktionen, der Abhängigkeit der Reaktionen voneinander aufzufinden." (Seite 135)
MACH scheint jedoch im Vorhandensein des Gedankens einer solchen Beständigkeit der Verbindung und einer solchen Abhängigkeit der Elemente voneinander kein Problem zu sehen. Nach seiner Darstellung "bemerke" ich es einfach, daß ein "Einfluß" des einen auf das andere stattfindet (Seite 7). Nach ihm können wir solche "Beständigkeiten" einfach "beobachten" (Seite 275f).

MACH ist es natürlich nicht unbekannt geblieben, daß andere Forscher in dem von ihm als selbstverständlich hingenommenen Sachverhalt ein Problem gesehen haben. Die Schwierigkeiten, die diesen Männern die Aufgabe bereitet hat, den Begriff der notwendigen Verknüpfung auf bloße Beobachtung zurückzuführen, würdigt er dann auch der Erwähnung; aber die Erklärungen, die wir da erhalten, sind höchst dürftig. Er wendet sich hauptsächlich gegen den Versuch, aus der Annahme eines "angeborenen Verstandesbegriffs" unsere sogenannten Kausalitätsurteile zu erklären (3). Hierin wird ihm nun gewiß kein Psychologe mehr widersprechen; im übrigen verdient es hervorgehoben zu werden, daß gerade KANT, dem MACH diese Annahme zuschreibt, sich mit größter Entschiedenheit gegen eine solche Annahme erklärt hat (4). MACH verfährt so, daß er dem Terminus der Apriorität, der nach KANTs ausdrücklicher Definition nur den nicht-empirischen Ursprung gewissesr Urteile und Begriffe bezeichnen soll, den Begriff des Angeborenseins unterschiebt und dann aus der von niemandem bestrittenen Tatsache, daß es dergleichen angeborene Urteile oder Begriffe gar nicht gibt, auf den empirischen Ursprung der fraglichen Erkenntnisse schließt. Eine Schlußweise, deren Unstatthaftigkeit in die Augen fällt, solange man noch die Frage, ob eine Erkenntnis, hinsichtlich ihrer Quelle, aus der Beobachtung geschöpft ist, von der anderen zu unterscheiden weiß, ob sie, der Zeit nach, aller Beobachtung vorhergeht. Eine Unterscheidung dieser beiden Fragen ist bei MACH nirgends anzutreffen.

MACH sagt:
    "Erst ein Wechsel von Regel und Regellosigkeit nötigt uns, in Verfolgung unseres unmittelbaren oder mittelbaren biologischen Interesses, die Frage zu stellen: Warum sind die Ereignisse einmal diese, ein andermal andere? Wa hängt unabänderlich zusammen, was begleitet sich nur zufällig? Wir gelangen durch diese Unterscheidung zu den Begriffen Ursache und Wirkung. Ursache nennen wir ein Ereignis, an welches ein anderes (die Wirkung) unabänderlich gebunden ist" (Seite 277). -
Was mag es wohl heißen, die Frage stellen: "Warum sind die Ereignisse einmal diese, ein andermal andere"? Doch wohl nichts anderes als dies: Welches ist die Ursache eines solchen Wechsels? Oder welchen Sinn sonst sollen wir mit dem Wort "Warum" verbinden? Merkt man denn nicht, daß man, um die Frage "Warum", d. h. also die Frage nach der Ursache, zu stellen, den Ursachbegriff schon besitzen muß? Merkt man nicht, daß sich diese Erklärung des Begriffs nur im Kreis herumdreht?

Aber wir sind ja nicht auf die Empfindung allein angewiesen; außer ihr gibt es ja noch die Assoziation, vielleicht kann uns diese aus der Verlegenheit helfen. Wirklich scheint MACH selbst die bloße Beobachtung nicht genügend gefunden zu haben, um das Phänomen der Erwartung ähnlicher Fälle restlos zu erklären. Was jedoch die Beobachtung hier noch unerklärt läßt, scheint der Zurückführung auf die Assoziation ohne Weiteres zugänglich. Das Kind
    "erwirbt, wie die höheren Tiere, durch Assoziation die ersten primitiven Erfahrungen. Es lernt die Berührung der Flamme, das Anstoßen an harte Körper als schmerzhaft vermeiden" (Seite 32).
Dies scheint recht klar zu sein: Im Geist des Kindes, das einmal oder auch mehrmals bei der Berührung einer Flamme Schmerz empfunden hat, verbindet sich mit der Vorstellung der Flamme diejenige des Schmerzes, und es wird, aufgrund dieser Vorstellungsverbindung, wenn es wieder in die Nähe einer Flamme kommt, eine Berührung derselbe zu vermeiden suchen. Diese Handlungsweise beruth nicht allein auf Beobachtung, aber die aufgrund der früheren Beobachtungen gestiftete Assoziation scheint sie hinreichend zu erklären. Indessen, wer sich mit dieser Erklärung zufrieden gibt, hat hier doch nicht genau genug beobachtet. Warum vermeidet dann das Kind die Berührung der Flamme? Offenbar weil es annimmt, daß auf eine solche Berührung wie früher der Schmerz eintreten wird. Dieses Verhalten sollte die Assoziation erklären. Was heißt aber hier "Assoziation"? Assoziation nennt MACH in Übereinstimmung mit dem allgemeinen psychologischen Sprachgebrauch die Erscheinung, daß ein sinnliches Erlebnis ein früheres sinnliches Erlebnis mit teilweise gemeinsamen Bestandteilen in Erinnerung bringt (Seite 31). Wenden wir dies auf unseren Fall an, so können wir es als Assoziation bezeichnen, daß das Wahrnehmen der Flamme im Geist des Kindes die Erinnerung an den früher bei der Berührung der Flamme eingetretenen Schmerz hervorruft. Die Erinnerung an den früher eingetretenen Schmerz ist aber offenbar etwas ganz anderes als die Annahme, daß der Schmerz von Neuem eintreten wird.

Der hier entscheidende psychologische Unterschied besteht, in MACHs Terminologie ausgedrückt, darin, daß die Assoziation eine Verbindung von Vorstellungselementen ist, die Erwartung ähnlicher Fälle aber die Vorstellung von einer Verbindung der Elemente enthält, und da ist dann klar, daß das zweite sich in keiner Weise auf das erste reduzieren läßt.

Diese Schwierigkeit (die in der Tat eine Unmöglichkeit ist) scheint MACH selbst gefühlt zu haben. Denn er sagt:
    "Ist uns das Objekt M mit der Kombination seiner Merkmale a, b, c, d, e geläufig, so wird bei Betrachtung von N neben den Merkmalen a, b, c auch d, e durch Assoziation in Erinnerung gebracht, womit bei Gleichgültigkeit der Merkmale d, e der Prozeß abgeschlossen ist. Anders ist es, sobald d, e wegen ihrer nützlichen oder schädlichen Eigenschaft ein starkes biologisches Interesse, oder für einen technischen oder rein wissenschaftlich-intellektuellen Zweck einen besonderen Wert haben. Dann fühlen wir uns gedrängt, nach d, e zu suchen; wir erwarten mit gespannter Aufmerksamkeit die Entscheidung. Diese erfolgt entweder durch einfache sinnliche Beobachtung, oder durch kompliziertere technische oder wissenschaftlich-begriffliche Reaktionen. Wie nun auch die Entscheidung erfolgen mag, ob wir die Merkmal d, e am Objekt N in Übereinstimmung mit M finden oder nicht, in beiden Fällen hat sich unsere Kenntnis des Objekts erweitert, indem sich eine neue Übereinstimmung oder ein neuer Unterschied gegen M ergeben hat. Beide Fälle sind gleich wichtig, beide schließen eine Entdeckung ein. Der Fall der Übereinstimmung hat aber außerdem noch die Bedeutung einer ökonomischen Ausdehnung einer gleichförmigen Auffassung auf ein größeres Gebiet, weshalb wir solche Fälle mit Vorliebe suchen. Das eben Gesagte enthält also die einfache biologische und erkenntnistheoretische Begründung der Wertschätzung des Schlusses nach Ähnlichkeit und Analogie." (Seite 225f)
Hier gesteht MACH selbst, daß die Assoziation nur die Erinnerung, nicht aber die Wiedererwartung erklären kann. Was aber die Assoziation nicht leisten kan, das soll hier durch das biologische Interesse möglich werden. Allein, diese Erklärung enthält einen doppelten Fehler. Nehmen wir nämlich selbst an, das durch die Merkmale d, e erregte Interesse könnte uns veranlassen, nach d, e zu suchen und "mit gespannter Aufmerksamkeit die Entscheidung zu erwarten"; so wäre doch damit noch nicht im Mindesten die Tatsache erklärt, daß wir das Vorhandensein der Merkmale d, e erwarten. Denn: die Entscheidung erwarten, ob diese Merkmale vorhanden sind, heißt nicht: das Vorhandensein dieser Merkmale erwarten. Die Erwartung dieses Vorhandenseins mag "logisch nicht berechtigt" sein (Seite 225), das tut hier gar nichts zur Sache; denn es ändert nichts an der psychologischen Tatsache des wirklichen Stattfindens dieser Erwartungf. Was aber psychologisch wirklich ist, das muß psychologisch möglich sein. Die MACH'sche Psychologie kann diese Möglichkeit nicht begreiflich machen.

Der zweite Fehler der MACHschen Erklärung liegt nun darin, daß das biologische Interesse, das hier zur Erklärung der Erwartung dienen soll, eine solche Erwartung bereits zu seiner eigenen Möglichkeit voraussetzt. Daß die Merkmale d, e wegen ihrer nützlichen oder schädlichen Eigenschaft ein Interesse oder einen Wert für uns haben, ist nur dadurch möglich, daß wir mit der Vorstellung der Merkmale d, e diejenige ihres Nutzens oder Schadens derart verbinden, daß wir erwarten, mit dem Eintreten von d, e werde auch der früher wahrgenommene Nutzen oder Schaden wieder eintreten. Wir haben also hier mit der Einführung des biologischen Interesses nichts weiter getan, als daß wir die Kombination der Merkmale a, b, c, d, e um die weiteren Merkmale f, g (Nutzen oder Schaden) bereichert haben, wo es dann offenbar um nichts begreiflicher ist, wie die Verbindung von d, e mit f, g, wie die von a, b, c mit d, e erwartet werden kann. Denn es liegt auf der Hand, daß, wo es sich um die Erklärung der Möglichkeit der Erwartung überhaupt handelt, uns nicht mit der Berufung auf das Stattfinden einer speziellen Art von Erwartung gedient sein kann (5).

Nach MACH ist, wie ich bereits hervorgehoben habe, die gewohnheitsmäßige Erwartung ähnlicher Fälle logisch nicht berechtigt. Da er nun in dem naturwissenschaftlichen Induktionsschluß nichts spezifisch anderes findet als eine solche Erwartung, so ist es nur konsequent, wenn er auch von diesem Verfahren urteilt, es habe "gar keine logische Berechtigung" (Seite 308). Da er nun natürlich nicht daran denkt, dieses Verfahren als wertlos zu verwerfen, sieht er sich genötigt, eine andere als die logische Berechtigung dafür zu suchen. Diese liefert ihm der Erfolg.

MACH bemerkt an einigen Stellen selbst, daß jede naturwissenschaftliche Induktion die Annahme einer Gesetzmäßigkeit des durch die Induktiion zu erforschenden Gebietes schon voraussetzt und daß sogar jedem Wahrscheinlichkeitsschluß diese Voraussetzung bereits zugrunde liegt (Seite 282f). Diese aller Forschung zugrunde liegende deterministische Voraussetzung soll jedoch ihr Recht erst vom Erfolg ihrer tatsächlichen Anwendung erhalten.
    "Eine annähernde Stabilität macht die Erfahrung möglich, und die tatsächliche Möglichkeit der Erfahrung läßt umgekehrt auf die Stabilität der Umgebung schließen. Der Erfolg rechtfertigt unsere wissenschaftlich-methodische Voraussetzung der Beständigkeit." (Seite 32)
Diese Begründung der Gesetzesvorstellung erscheint mir nicht glücklicher als die versuchte Erklärung derselben. Unleugbar sind die meisten naturwissenschaftlichen Erklärungsversuche von der Art, daß die Rechtmäßigkeit der ihnen zugrunde gelegten Hypothesen nur durch die empirische Bestätigung ihrer theoretischen Konsequenzen entschieden werden kann. Aber jede derartige Bestätigung einer Hypothese an der Erfahrung ist nur aufgrund der allgemeinen Voraussetzung einer Gesetzmäßigkeit überhaupt möglich. Diese allgemeine Voraussetzung selbst wieder an der Erfahrung zu erproben, ist nicht möglich. Der einem solchen Versuch zugrunde liegende Gedanken kann, soviel ich sehe, nur der sein, daß man nicht annehmen kann, die tatsächlich beobachtete Regelmäßigkeit des Geschehens fände bloß aus Zufall statt. Aber was ist "Zufall" anderes als eine Unabhängigkeit von Gesetzen? Was also die Ausschließung der Zufälligkeit anderes als die Annahme der Gesetzmäßigkeit? Die empiristische Rechtfertigung dieser Annahme durch den Erfolg beruth also auf einem Zirkelschluß.

Es ist höchst merkwürdig zu beoabachten, wie bei MACH selbst, an den verschiedensten Stellen, das Bewußtsein der Unzulänglichkeit dieses allgemeinen Empirismus mehr oder weniger deutlich zur Geltung kommt, ohne daß er sich jedoch irgendwo entschließt, diesen kritischen Bedenken ernsthaft nachzugehen. Daß die Logik die Erkenntnis nicht zu erweitern vermag, wird von ihm wiederholt betont. Aber er erkennt zugleich an, daß auch die Induktion, die von den meisten Naturforschern als das Hauptmittel der Erkenntnis gepriesen worden ist, "keine neue Erkenntnis schafft, sondern nur die Herstellung der Widerspruchslosigkeit zwischen unseren Erkenntnissen sichert".
    "Es ist klar", sagt er treffend, "daß die eigentliche Erkenntnisquelle des Forschers anderswo liegen muß." (Seite 312)
Welches sind also die eigentlichen Quellen der Erkenntnis? Stammt diese wirklich "immer aus der Beobachtung"? (Seite 314) Das darf wohl kaum angenommen werden, wenn bei der in Gedanken vorgenommenen "Ergänzung" und "Erweiterung" des "Individualbefundes" nur für "einen Teil" dieser Erweiterung die beobachteten Fälle Anhaltspunkte bieten", während "ein anderer Teil aus dem eigenen Gedankenvorrat selbsttätig hinzugefügt werden muß".
    "Um angeben zu können, daß ein Element von einem oder mehreren anderen abhängt, und wie diese Elemente voneinander abhängen, welche funktionale Abhängigkeit hier besteht, muß der Forscher aus Eigenem, außer der unmittelbaren Beobachtung Gelegenem hinzufügen." (Seite 316)
Wenn dem so ist, was soll es dann noch heißen, daß "alle" Erkenntnis aus der "Beobachtung" stammt? Man vergleiche die Erklärung, die MACH vom Urteil gibt:
    "Indem wir eine Seite des Erlebnisses durch eine andere uns auffallende oder wichtig scheinende als näher bestimmt ansehen und dies sprachlich ausdrücken, fällen wir ein Urteil." (Seite 112)
Diese Bestimmtheit des einen durch das andere" ist ja gar nichts anderes als "die Abhängigkeit der Elemente voneinander" und wenn zu deren Erkenntnis noch etwas anderes vorausgesetzt ist als die bloße Beobachtung, so ist damit die Konsequenz gegeben, daß ein jedes Urteil bereits außer der Beobachtung und der Logik (die ja eingestandenermaßen die Erkenntnis nicht erweitert) eine weitere Erkenntnisquelle voraussetzt. Dies träfe genau die Ansicht KANTs, der die Metaphysik geradezu als die aus dieser dritten Quelle entspringende Erkenntnis definiert.

Macht man sich dies klar, so erscheint der MACHsche Protest gegen den kantischen Apriorismus in einem merkwürdigen Licht. Man vergleiche nur die Schilderung jener "allgemeinen Prinzipien", die von den einzelnen aus ihnen ableitbaren Sätzen den eigentümlichen Vorzug haben sollen, "daß ihr Gegenteil sehr stark mit unseren gesamten instinktiven Erfahrungen kontrastiert" (Seite 272f, vgl. auch Seite 171). Sollten wir es mit diesen "instinktiven Erfahrungen" wörtlich nehmen, so wären sie das wunderlichste psychologische Gebilde, das je erdacht worden ist. Wie können Erfahrungen, also Beobachtungsergebnisse, instinktiv, also unabhängig von Beobachtungen, gewonnen werden? Jene allgemeinen Prinzipien, deren Gegenteil unserem Instinkt widerstreitet, - die, wie man sich sonst wohl ausdrückt, unmittelbar gewiß sind, - wären in der Tat nicht das, als was MACH sie beschreibt, wenn sich in ihnen nicht die totgesagten synthetischen Urteile a priorik KANTs wiedererkennen lassen würden.

Ja, MACH verwickelt sich noch in ganz andere Widersprüche gegen sein empiristisches Dogma. Er geht hierin so weit, der Beobachtung geradezu den Charakter der Erkenntnis abzusprechen:
    "Ein einzelner individueller Befund, der ja immer eine Tatsache ist, kann also solcher nicht als Irrtum oder Erkenntnis bezeichnet werden." (Seite 315)
Ähnlich hatte es schon in der "Analyse der Empfindungen" (Seite 8) geheißen: "daß die Sinne weder falsch noch richtig zeigen". Diese Äußerung läßt keinen Zweifel, daß das eigentlich Erkenntnisbildende außerhalb der Beobachtung gesucht werden soll.
    "Die Aufmerksamkeit", sagt Mach, "hebt bald diesen, bald jenen Zusammenhang von Elementen hervor, welcher Befund begrifflich fixiert, wenn er sich anderen Befunden gegenüber bewährt und als haltbar erweist, eine Erkenntnis, im gegenteiligen Fall einen Irrtum vorstellt." (Seite 314f)
Was ist es denn, was in dieser "begrifflichen Fixierung" zum Tatsachengehalt der Beobachtung hinzutritt und wodurch sie zu einer "Erkenntnis" wird? Vom bloßen sinnlichen "Befund" hat es keinen Sinn, zu fragen, ob er sich "bewährt", sich als "haltbar" oder als "unhaltbar erweist". Eine bloße Beobachtung kann nie einer anderen widersprechen, sondern nur ein Urteil dem anderen. Wenn mir eine weiße Fläche neben einer grünen infolge der Kontrastwirkung als rot erscheint, während ich sie für sich betrachtet, als weiß wahrnehme, so besteht zwischen diesen beiden Befunden kein Widerspruch, denn jede Beobachtung gilt als solche nur für die Zeitumstände, unter denen sie angestellt wird. Urteile ich aber, indem ich von den Zeitumständen absehe: "die Fläche ist rot", so widerspricht dies dem anderen Urteil: "die Fläache ist weiß". Also nur auf das Urteil kann die Frage nach einer Bewährung und Haltbarkeit Anwendung finden. Dies scheint auch der zuletzt zitierte MACHsche Satz ausdrücken zu sollen. Was ist es nun also, was sich als Erkenntnis bewähren oder als unhaltbar und somit als Irrtum erweisen soll, wenn es der sinnliche Befund nicht sein kann? Es ist in der Tat nichts anderes als die "begriffliche Fixierung" des "Zusammenhangs" der Elemente. Aber wie ist eine solche "Fixierung" möglich, wenn sie etwas enthalten soll, was weder aus der Beobachtung noch aus der Logik geschöpft werden kann? Was ist, mit einem Wort, das Dritte, das hier hinzukommen und also das eigentliche Geheimnis der Erkenntnistheorie enthalten muß? Eine Antwort auf diese Frage sucht man bei MACH vergeblich.

Das Einzige, was auf den Versuch einer solchen Antwort hinzudeuten scheinen könnte, ist die an mehreren Stellen vorkommende Betonung des Werts der "Abstraktion" für die Erkenntnis. Die Hauptaufgabe des Forschers sollte es sein, "die in Betracht kommenden Merkmale und deren Zusammenhänge aufzufinden." (Seite 312) Wie nun die Auffindung dieser Zusammenhänge zustande kommt, das wird dadurch erklärt, daß die "Vergleichung uns auf einen bisher unbeachteten Zusammenhang aufmerksam machen kann".
    "Ist die Aufmerksamkeit auf die voneinander abhängigen Merkmal konzentriert, von den minder wichtigen abgelenkt, so nennen wir dies Abstraktion." (Seite 313)
Und einige Seiten später heißt es: "Ist unser Interesse für einen neuen Befund erregt
    , wegen dessen unmittelbarer oder mittelbarer biologischen Wichtigkeit, wegen dessen Übereinstimmung oder Gegensatz mit anderen Befunden, so konzentrieren wir schon durch den psychischen Mechanismus der Assoziation die Aufmerksamkeit auf zwei oder mehrere in dem Befund verbundene Elemente." (Seite 315.
Die Wichtigkeit des hier geschilderten Abstraktionsaktes für die Auffindung von Erkenntnissen soll natürlich nicht bestritten werden; daß aber die Abstraktion nicht als Quelle irgendeiner neuen Erkenntnis gelten kann, erscheint so einleuchtend, daß wir kaum glauben können, MACH habe sie als eine solche hier in Anspruch nehmen wollen. Die Abwendung der Aufmerksamkeit von irgendwelchen Merkmalen und ihre Hinwendung auf irgendwelche andere setzt die in der sinnlichen Wahrnehmung gegebene Vorstellung beider Arten von Merkmalen schon voraus und kann den Inhalt dieser Vorstellungen nicht vermehren, sondern ihn nur deutlicher zu Bewußtsein bringen. - Vor allen dingen aber müssen wir daran erinnern, daß das Aufmerken auf zwei oder mehr voneinander abhängige Merkmale etwas ganz anderes ist, als die Erkenntnis der Abhängigkeit der Merkmale voneinander, und daß diese Erkenntnis aus jenem Akt des Aufmerkens nimmermehr erklärt werden kann. Zum Beweis dieser Behauptung dürfte das oben über den Begriff der notwendigen Verknüpfung und über das Phänomen der Erwartung dargelegte hinlänglich sein.

Ich will hier ein Beispiel ins Auge fassen, an dem sich die Rolle der Abstraktion bei der Forschung beurteilen läßt, und das MACH selbst zu diesem Zweck erörtert. Er sagt:
    "Wir beachten eben die Umstände, die für uns ein Interesse haben und diejenigen, von welchen erstere abhängig zu sein scheinen. Die erste Aufgabe, die sich dem Forscher darbietet, ist es also, durch Vergleichung verschiedener Fälle die voneinander abhängigen Umstände in seinem Gedanken hervorzuheben, und alles, wovon das Untersuchte unabhängig scheint, als für den vorliegenden Zweck nebensächlich oder gleichgültig auszusondern. In der Tat ergeben sich die wichtigsten Entdeckungen durch diesen Prozeß der Abstraktion. Dies hebt Apelt trefflich hervor, indem er sagt: »Das zusammengesetzte Besondere steht immer früher vor unserem Bewußtsein, als das einfachere Allgemeine. In den abgesonderten Besitz des letzteren kommt der Verstand immer erst durch Abstraktion. Die Abstraktion ist daher die Methode der Aufsuchung der Prinzipien.«" (Seite 137)
MACH erkennt nun mit APELT im Trägheitsgesetz eine durch Abstraktion aufgefundene Erkenntnis an, sucht aber, trotz dieser Übereinstimmung, gegen APELT den empirischen Ursprung dieses Gesetzes geltend zu machen. Er begründet dies folgendermaßen:
    "Wäre der Mensch nicht vorzugsweise ein psychologisches, sondern nur ein logisches Wesen, so hätte sich die Abstraktion, welche zum Trägheitsgesetz führt, in sehr einfacher Weise ergeben. Sind einmal die Kräfte als beschleunigungsbestimmende Umstände erkannt, so folgt sofort, daß ohne Kräfte nur unbeschleunigte, also geradlinige und gleichförmige Bewegungen denkbar sind. Die Geschichte und selbst heutige Diskussionen lehren geradezu pleonastisch [doppelt gemoppelt - wp], daß sich das Denken nicht von selbst in so glatten logischen Bahnen bewegt; gehäufte variierte Fälle, allerlei Schwierigkeiten, bei sich durchkreuzenden und widersprechenden Überlegungen, müssen die Abstraktion beinahe erzwingen." (Seite 138f)
Beachten wir, wie hier wieder das verschiedene Zeitverhältnis zur Erfahrung dem Unterschied des empirischen und rationalen Ursprungs der Erkenntnis untergeschoben wird. Daß GALILEI "zur vollen Erkenntnis des Trägheitsgesetzes sehr spät und durch allerlei Umwege gelangt ist", hat, wie MACH selbst berichtet, auch APELT recht wohl gewußt. Aber APELT hat, wie schon aus dem Zitat MACHs ersichtlich ist, ebenso wohl gewußt, daß die Abstraktion nicht die Quelle, sondern nur die Methode der Aufsuchung der Prinzipien ist, und daß daher der Umstand, daß das Bewußtsein um ein allgemeines Prinzip nur durch Abstraktion von der Erfahrung erlangt wird, nicht den empirischen Ursprung dieses Prinzips beweist. Kein Begriff oder Urteil ist "angeboren", sondern alle werden erst "durch die Erfahrung entwickelt" (6), das werde ich niemals bestreiten. So hat sich auch die Einsicht in die Geltung des Trägheitsgesetzes "nicht von selbst", sondern erst "sehr spät und auf allerlei Umwegen" eingestellt. Aber etwas anderes ist die Entwicklung einer Einsicht durch die Erfahrung, etwas anderes der Ursprung dieser Einsicht aus der Erfahrung.

MACH sagt, der Inhalt des Trägheitsgesetzes sei "durchaus nicht selbstverständlich" (7). Und in der Tat, versteht er unter "selbstverständlich" solche Sätze, die logisch notwendig sind, d. h. Sätze, die ohne Widerspruch nicht verneint werden können, so ist das Gesetz der Trägheit ganz gewiß nicht selbstverständlich. Aber in keiner Weise folgt hieraus, daß über seine Geltung "die Erfahrung allein endgültig belehren kann" (8). Denn aus dem nicht-logischen Ursprung eines Satzes kann nicht auf seinen empirischen Ursprung geschlossen werden (9). Ein solcher Schluß wäre nur aufgrund der gänzlich unerwiesenen Annahme zulässig, daß alle nicht-empirischen Sätze logisch notwendig sind (10). - Und wie sollte man sich wohl eine empirische Prüfung des Trägheitsgesetzes denken? Eine solche Prüfung wäre nur möglich durch die Beobachtung eines Körpers in einem Zustand, in dem keine Kraft auf ihn wirkt. Woran erkennen wir aber, ob diese Bedingung erfüllt ist oder nicht? Nur daran, ob eine Beschleunigung des Körpers stattfindet oder nicht; d. h. also nur unter der Voraussetzung des Trägheitsgesetzes (11).

Es sei nur nebenbei erwähnt, daß auch das Gesetz der Relativität der Bewegung nach MACH empirischen Ursprungs ist, daß aber MACH selbst nichtsdestoweniger keine Bedenken trägt, die Annahme einer absoluten Bewegung für sinnlos zu erklären, daß er sie einen "sinnlosen, inhaltsleeren, wissenschaftlich nicht verwendbaren Begriff" nennt (12).

Nach diesen Erörterungen wird sich leicht die von MACH vertretene Behauptung beurteilen lassen, nach der zwischen "Beschreibung" und "Erklärung" kein spezifischer Unterschied bestehen soll. Betrachten wir als Beispiel die Untersuchung der Beziehung zwischen Fallraum und Fallzeit. MACH sagt hierüber:
    "Tragen wir die zusammengehörigen Werte von Fallraum und Fallzeit in eine Tabelle ein, so reduziert sich die ganze Abhängigkeit darauf, daß jetzt einer gewissen Anzahl Fallzeitelemente eine bestimmte von ersterer abhängige Anzahl Fallraumelemente entspricht. Wenn sich nun gar eine Rechnungsregel von immer gleicher Form finden läßt, durch welche man aus der Zahl der Fallzeitelemente t die Zahl der Fallraumelemente s (s = gt²/2), ableiten kann, so wird das schwerfällige Mittel der Tabellen mit großem Vorteil durch diese Rechnungsregel, Formeln oder Gesetze ersetzt oder vertreten." (Seite 204)
Zeigt uns wirklich schon die Tabelle eine "Abhängigkeit" der Anzahl der Fallraumelemente von der der Fallzeitelemente? Liegt nicht vielmehr diese Abhängigkeit - von der MACH so gern betont, er verstehe sie als eine "funktionale in einem mathematischen Sinn" (Seite 11) - einzig und allein in der Formel? Ich will hier nicht wiederholen, was ich oben ausgeführt habe, daß der Begriff der Abhängigkeit den des Gesetzes bereits einschließt; auch ist wohl kaum nötig, darauf hinzuweisen, daß der Funktionsbegriff, wenn man den Gesetzesbegriff aus ihm eliminieren wollte, jeglichen Sinn verlieren würde. Die Tabelle enthält eine endliche Anzahl von Fällen, die Formel (das Gesetz) eine unendliche, und zwar eine in zweifacher Hinsicht unendliche, insofern sie sowohl eine Extrapolation [etwas ableiten, was nicht in den vorhandenen Informationen enthalten ist - wp] als auch eine Interpolation [Schätzung eines Wertes innerhalb zweier bekannter Werte - wp] der Beobachtungen ermöglicht. Kann, wenn es hiermit seine Richtigkeit hat, wirklich von einer nur graduellen Verschiedenheit zwischen der Beschreibung (der bloßen Wiedergabe der Beobachtung) und der Erklärung (der Zurückführung auf ein Gesetz) die Rede sein? Kann man den Übergang von der Tabelle zur Formel wirklich als bloßen Ersatz eines schwerfälligen durch ein bequemeres Darstellungsmittel ein und derselben Sache bezeichnen? - Wer die Differentialgleichungen, die zur Darstellung "aller denkbaren" mechanischen, thermischen und elektromagnetischen Tatsachen genügen, eine Beschreibung dieser Tatsachen nennen will, der kann freilich, wenn es ihm Freude macht, zwei völlig heterogene Dinge durch dasselbe Wort bezeichnen, daran nicht gehindert werden; aber der würde sehr Irrtum sein, der sich berechtigt glaubt, aus dieser Bezeichnung zu schließen, daß jene Differentialgleichungen etwas aus der Art sind, was andere dem Sprachgebrauch gemäß als Beschreibung bezeichnen. Er müßte denn im Besitz der Kunst sein, alle überhaupt denkbaren - und das heißt unendlich viele - mechanischen, thermischen und elektromagnetischen Prozesse direkt sinnlich wahrzunehmen.
    "Die Formen der Gesetze einer Tatsache sind oft Gegenstand einer Annahme, da ja eigentlich nur unendlich viele Beobachtungen mit Ausschluß aller störenden Umstände das Gesetz liefern könnten", sagt Mach (Seite 235).
Dies trifft aber nicht nur "oft" zu, sondern immer, da wir, wären wir auf eine bloße Beobachtung angewiesen, in der Tat nur nach Vollendung unendlich vieler Beobachtungen, und das heißt niemals, ein Gesetz erhalten würden. Und so sieht sich denn auch MACH zu der Einschränkung genötigt, die Zurückführung der Erscheinungen auf Gesetze als "indirekte Beschreibung" zu charakterisieren (Seite 242) und so die Unterscheidung der Beschreibungen von mehr oder weniger "allgemein Tatsächlichem" einzuführen (Seite 317). Was nun eigentlich mit dieser Vergewaltigung der deutschen Sprache der gewöhnlichen Auffassung gegenüber gewonnen sein mag, überlasse ich dem Leser zur Beurteilung.

Ich habe bisher einen Gedanken unerwähnt gelassen, mit dessen Hilfe man vielleicht noch hoffen könnte, den Empirismus der MACHschen Erkenntnispsychologie gegen meine Kritik in Schutz zu nehmen. Es ist dies das Prinzip der "Denkökonomie". Ich will die hohe Bedeutung dieses Prinzips für die Entwicklung der wissenschaftlichen und auch der vorwissenschaftlichen Erkenntnis nicht in Frage stellen. Das Bestreben, mit einem möglichst geringen Aufwand von Arbeit möglichst viel zu leisten, hat von jeher die Betätigungen der Menschen in praktischer wie in intellektueller Hinsicht - teils bewußt, teils unbewußt - zu neuen Fortschritten geführt. Insbesondere ist dieses Bestreben seit langem unter dem Namen des Prinzips der Sparsamkeit von den Naturforschern mit Bewußtsein geltend gemacht worden. MACH spricht den Inhalt dieses Prinzips gelegentlich mit den Worten aus:
    "Das Ideal der ökonomischen und organischen Zusammenpassung der einem Gebiet angehörigen verträglichen Urteile ist erreicht, wenn es gelungen ist, die geringste Zahl einfachster unabhängiger Urteile zu finden, aus welchen sich alle übrigen als logische Folgen ergeben, d. h. ableiten lassen." (Seite 179)
Indessen, MACH scheint dem Prinzip der Denkökonomie vielfach noch eine andere als die in diesen Worten ausgesprochene Bedeutung beizulegen. Er scheint es nicht lediglich als ein logisches Postulat aufzufassen, demgemäß der Forscher, wenn er sich in den Besitz des ein Gebiet betreffenden Wissens gesetzt hat, dieses Wissen in die Form eines sich aus einer möglichst geringen Zahl möglichst einfacher Grundsätze entwickelnden logischen Systems bringen kann, sondern er scheint auch den in diesen Grundsätzen zum Ausdruck kommenden Gedankengehalt selbst auf das Prinzip der Denkökonomie zurückführen zu wollen. So sagt er gelegentlich einer Besprechung des Energieprinzips: "Die Erhaltungsideen haben wie der Substanzbegriff ihren triftigen Grund in der Ökonomie des Denkens." (13) Und an anderer Stelle lesen wir:
    "Wenn wir zu den wahrnehmbaren Handlungen der Menschen uns unwahrnehmbare Empfindungen und Gedanken, ähnlich den unsrigen hinzudenken, so hat diese Vorstellung einen ökonomischen Wert, indem sie uns die Erfahrung verständlich macht, d. h. ergänzt und erspart. Man verfährt ganz ähnlich, wenn man sich einen eben hinter einer Säule verschwundenen bewegten Körper oder einen eben nicht sichtbaren Kometen, mit allen seinen vorher beobachteten Eigenschaften, in seiner Bahn fortbewegt denkt, um durch das Wiedererscheinen nicht überrascht zu werden." (14)
Hier soll offenbar in der Denkökonomie nicht nur der Anlaß zu einer logischen Formung der Wissenschaft, sondern auch der Ursprung für die ihr zugrunde liegenden allgemeinen Annahmen gesucht werden. Wir kommen damit offenbar auf das schon oben erörterte Problem der dritten - der bloßen Beobachtung und bloßen Logik nebengeordneten - Erkenntnisquelle zurück.

Es handelt sich um jene "allgemeine Prinzipien", deren Gegenteil mit unserem "Instinkt" kontrastieren sollte, um jene "begrifflichen Fixierungen", vermöge derer aus dem bloßen "Befund" ein "Urteil" werden sollte, um jene Annahme von der "Beständigkeit der Verbindung" oder von der "Abhängigkeit der Elemente voneinander". Hier scheint sich endlich ein Weg zu eröffnen, auf dem wir zu einer befriedigenden Einsicht in die Herkunft dieser Dinge gelangen können. Es ist die Kraftersparnis, die leichtere Bedienung der praktischen Bedürfnisse, das Interesse der Lebenserhaltung, kurz: es ist der biologische Vorteil, was zur Ausbildung jener Eigentümlichkeiten unseres Denkens geführt hat. Es ist eine Art Anpassungsprozeß an unsere physische Umgebung, eine Art natürlicher, später auch künstlicher Zuchtwahl, was ihre Entstehung gleichsam notwendig gemacht hat. In der Tat, je genauer der Vorstellungsverlauf eines Wesens sich dem Naturlauf angepaßt hat, ein je getreueres Abbild desselben er darstellt, umso vorteilhafter wird dieses Wesen für den Kampf ums Dasein ausgerüstet sein, umso besser wird es, in Voraussicht der nützlichen oder schädlichen Eigenschaften der ihn umgebenden Dinge, das ihm Nützliche aufzusuchen, das ihm Schädliche zu vermeiden in der Lage sein. Was sich unter dem Zwang des biologischen Bedürfnisses auf solche Weise an allgemeinen Vorstellungen, Erwartungen und instinktiven Annahmen herausgebildet hat, das legt dann die Wissenschaft mit Bewußtsein der methodischen Forschung als Leitmotiv zugrunde.

So bestechend diese Argumentation auf den ersten Blick erscheinen mag, so unhaltbar ist sie doch. Sie leidet an dem Fehler, der allen Versuchen anhaftet, die darauf ausgehen, ein Entwicklungsprinzip zur Aufklärung von Fragen zu benutzen, deren Gegenstand außerhalb des Gebietes der Entwicklung liegt. Jedes Zuchtwahlprinzip kann nur dazu dienen, die Erhaltung und graduelle Ausbildung, d. h. Verstärkung irgendwelcher Eigenschaften zu erklären, aber es findet seine notwendige Schranke an der Frage nach der ursprünglichen Herkunft dieser Eigenschaften. So auch das Prinzip des biologischen Vorteils in der Psychologie des Erkennens. Es mag biologisch vorteilhaft und denkökonomisch wertvoll sein, wenn wir uns zu den wahrnehmbaren Handlungen der Menschen unwahrnehmbare Empfindungen und Gedanken hinzudenken, und man kann verstehen, daß dieses Hinzudenken, dadurch, daß es sich als vorteilhaft erweist, zu einer sich erhaltenden Denkgewohnheit wird. Man versteht das: sofern man das aus anderen Gründen schon vorhandene Hinzudenken voraussetzt; das Auftreten dieses Hinzudenkens kann nicht selbst dadurch erklärt werden, daß man zeigt, wie es sich infolge der Vorteile, die es mit sich bringt, erhält. Und so auch bei allen anderen Eigentümlichkeiten unseres Erkennens.

Indessen, hier bleibt noch eine Zweideutigkeit. Mein MACH nur, es sei eine allgemeine Eigenschaft aller Erkenntnis, in irgendeiner Weise biologisch förderlich zu sein, oder will er sagen, das, was man sonst richtig oder wahr nennt, ist im Grunde gar nichts anderes als das biologisch Förderliche? Das erste ist unzweifelhaft richtig, falls man nur den Begriff des biologisch Förderlichen hinreichend weit faßt, so daß auch eine solche Erkenntnis, deren Inhalt uns in höchstem Maße schmerzt und quält, doch noch als biologisch förderlich gelten könnte, insofern sie uns nämlich durch eine Bereicherung des Wissens in intellektueller Hinsicht fördert. So weit gefaßt, wäre der Satz von der biologisch förderlichen Natur der Erkenntnis zwar völlig trivial, aber doch zumindest richtig.

Vielleicht meint jedoch MACH nicht, eine Erkenntnis sei darum biologisch förderlich, weil sie richtig ist, sondern eine Erkenntnis sei darum richtig, weil sie biologisch förderlich ist. Er sagt:
    "Eine Erkenntnis ist stets ein uns unmittelbar oder doch mittelbar biologisch förderndes psychisches Erlebnis. Bewährt sich hingegen das Urteil nicht, so bezeichnen wir es als Irrtum." (Seite 115)
Hier scheint in der Tat das biologisch Förderliche als Kriterium des richtigen Denkens gemeint zu sein. Und wirklich spricht MACH den "Naturgesetzen" jede objektive Bedeutung ab: sie sind ihm lediglich "ein Erzeugnis unseres psychologischen Bedürfnisses, uns in der Natur zurecht zu finden." (Seite 453f). "Die Tatsachen sind nicht genötigt, sich nach unseren Gedanken zu richten." (Seite 455f) Die Naturgesetze sind "bloße subjektive Vorschriften für die Erwartung des Beobachters, an welche die Wirklichkeit nicht gebunden ist." (Seite 458. - Aber hier müssen wir uns fragen, ob denn nicht für diese ganze Betrachtung schon die objektive Geltung von Naturgesetzen vorausgesetzt ist? Was sollen diese Sätze über unsere Erwartungen und über unser psychologisches Bedürfnis, über das biologisch Fördernde der Erkenntnis und über die Ökonomie des Denkens, - auch das Gesetz der Assoziation gehört hierher, - was sollen diese Sätze anderes sein als Naturgesetze, nämlich Gesetze unseres Erwartens, Bedürfens und Denkens? Entweder gelten diese Gesetze: dann sind sie Naturgesetze nicht nur subjektive Erzeugnisse des Denkens. Sind aber die Naturgesetze nur subjektive Erzeugnisse des Denkens, so gilt dies auch von den biologischen Naturgesetzen, unter denen das menschliche Denken und seine Entwicklung stehen soll, d. h. das Denken steht in Wahrheit gar nicht unter diesen Gesetzen ("die Wirklichkeit - hier das Denken - ist nicht an sie gebunden"), sondern es ist nur biologisch förderlich, zu denken, es stände unter ihnen (15).

Übrigens wird natürlich der Denkökonom, entsprechend den Graden der erzielten Denkersparnis, verschiedene Grade der Richtigkeit anzunehmen haben, wo denn als idealer Grenzfall des richtigsten Denkens derjenige anzunehmen wäre, in dem alle Denkarbeit gespart, d. h. wo gar nicht mehr gedacht wird. Von diesem Standpunkt aus der als der einzige uneingeschränkt richtige zu gelten hätte, ist natürlich auch das Prinzip der Denkökonomie selbst ein noch zu viel Denkarbeit erfordernder und daher falscher Gedanke.

Man sieht, das Prinzip der Denkökonomie hebt in seiner Konsequenz nicht nur alle Naturwissenschaft, sondern auch sich selbst auf (16).

Es verdient bemerkt zu werden, daß der hier aufgedeckte Widerspruch nicht etwa, wie man vielleicht meinen könnte, die Folge eines nebensächlichen, den Kern der MACHschen Lehre nicht berührenden Fehlers ist, sondern vielmehr seinen Grundgedanken selbst trifft.

Die bloße Beobachtung, so hatte ich bereits mehrmals bemerkt, läßt stets nur eine endliche Anzahl von Fällen erkennen. Die Zahl der beobachteten Fälle einer Art mag noch so groß sein, daß ihr Ergebnis auf alle Fälle dieser Art Anwendung findet, vermag die Beobachtung nicht zu lehren. Jedes wirklich allgemeine Urteil geht folglich über die Kompetenz der Beobachtung hinaus, es setzt eine andere Erkenntnisquelle voraus als die Beobachtung. Es ist unrichtig, wenn MACH sagt: "Das Urteil, alle A und B, kann ich psychologisch als eine Summe vieler Urteilsakte auffassen" (Seite 113). Aus einer bloßen Summation noch so vieler Einzelurteile kann niemals ein allgemeines Urteil entstehen. Sagt doch auch MACH, daß der Obersatz eines Schlusses "nicht allgemein ausgesprochen werden darf, wenn man nicht auch des Spezialfalles sicher ist".
    "Die Sterblichkeit kann ja nicht von allen Menschen behauptet werden, bevor sie nicht auch von Cajus gilt. Zur Aufstellung des Obersatzes muß der bloße Logiker den Tod aller künftigen Cajuse abwarten, und kein auf den Syllogismus angewiesener Cajus kann die Gewißheit seiner eigenen Sterblichkeit erleben." (Seite 305)
Wie steht es nun da mit der Grundbehauptung der MACHschen Lehre, daß die Erkenntnisse "immer aus der Beobachtung stammen"; daß die "Grundlage aller Erkenntnis die Intuition ist"; daß aus dem sinnlichen Befund "alle Erkenntnis hervorwächst" (Seite 314f); daß die Empfindungen die "Grundelemente allen psychischen Lebens sind"? (Seite 23) Diese Behauptung ist ein allgemeiner Satz und beansprucht als ein solcher zu gelten. Sie will nicht eine bloße "Summe" vieler Einzelurteile sein, nach denen nur dieses oder jenes eine Empfindung oder eine aus der Beobachtung stammende Erkenntnis ist; denn daß es viele Erkenntnisse gibt, die der Beobachtung entstammen, und daß viele Grundelemente des psychischen Lebens Empfindungen sind, das steht außer Frage. Was MACH behaupten wollte, war vielmehr dies: Es gibt keine Erkenntnis, die nicht der Beobachtung entstammt, es gibt kein Grundelement des psychischen Lebens, das nicht Empfindung wäre.

Dieser MACHsche Satz kann folglich, insofern er allgemeine Gültigkeit beansprucht, nicht der Beobachtung entnommen sein. Entweder also alle Erkenntnis entstammt der Beobachtung: dann kann der MACHsche Satz keine Erkenntnis, sondern nur einen Irrtum enthalten. Ist aber der MACHsche Satz eine Erkenntnis, so ist er aus einer anderen Quelle geschöpft als der Beobachtung. Ist er aber aus einer anderen Quelle geschöpft, so ist die Beobachtung nicht die einzige Erkenntnisquelle, was doch der Satz behauptet. - Hier zeigt sich der Widerspruch im ersten Ausgangspunkt der MACHschen Psychologie.

Dieser Widerspruch ist sonst bekannt genug. Jeder Schüler der Logik lernt ihn im Schulbeispiel vom lügenden Kreter kennen. Wenn EPIMENIDES, der Kreter, sagt: "Alle Kreter sind Lügner", so hat er notwendig gelogen. Denn angenommen, es ist wahr, daß alle Kreter lügen, so muß dies auch EPIMENIDES tun. Um nichts besser als diese Lüge des EPIMENIDES ist das Dogma des Empiristen. Wenn der Empirist sagt: "Alle Erkenntnisse stammen aus der Beobachtung", so spricht er eine Behauptung aus, die sich selbst aufhebt. Denn angenommen, seine Behauptung wäre richtig, so gäbe es eine allgemein, d. h. nicht aus der Beobachtung stammende Erkenntnis.

Wir können aus den vorstehenden Erörterungen den folgenden Schluß ziehen: die MACHsche Erkenntnistheorie ist kein Resultat von Beobachtungen, sondern sie ist eine metaphysisches Dogma. Sie ist logisch unhaltbar, denn sie widerspricht sich selbst. Sie ist psychologisch unhaltbar, denn sie widerspricht den Tatsachen der Selbstbeobachtung. Sie ist naturwissenschaftlich unhaltbar, denn sie hebt die Möglichkeit der Naturwissenschaft auf.

Die harten Urteile, mit denen MACH über die kantischen Untersuchungen den Stab brechen wollte, waren also höchst unberechtigt. Nicht die kantische, sonder MACHs eigene Lehre ruht auf "philosophischen Dekreten" (Seite 281), durch die die Rechte der Beobachtung gekränkt werden. KANT, der die Einsicht in die Unentbehrlichkeit der Metaphysik für die Naturwissenschaft mit der Einsicht in die Unzulässigkeit aller dogmatischen Metaphysik verbunden hat und dadurch auf die Erfindung der "Kritik der reinen Vernunft" geführt wurde, hat den von MACH vertretenen Empirismus auf das bündigste widerlegt. So sagt er im Hinblick auf seine eigenen kritischen Untersuchungen:
    "Wasa Schlimmeres könnte aber diesen Bemühungen wohl nicht begegnen, als wenn jemand die unerwartete Entdeckung macht, daß es überall gar keine Erkenntnis a priori gibt, noch geben kann. Allein es hat hiermit keine Not. Es wäre ebenso viel, als ob jemand durch Vernunft beweisen wollte, daß es keine Vernunft gibt. Denn wir sagen nur, daß wir etwas durch Vernunft erkennen, wenn wir uns bewußt sind, daß wir es auch hätten wissen können, wenn es uns auch nicht so in der Erfahrung vorgekommen wäre; folglich ist Vernunfterkenntnis und Erkenntnis a priori einerlei. Aus einem Erfahrungssatz Notwendigkeit (ex pumice aquam [aus Bimsstein Wasser - wp]) auspressen wollen, mit dieser auch wahre Allgemeinheit (ohne welche kein Vernunftschluß, folglich auch nicht der Schluß aus der Analogie, welche eine wenigstens präsumierte [angenommene - wp] Allgemeinheit und objektive Notwendigkeit ist und diese also doch immer voraussetzt), einem Urteil verschaffen wollen, ist gerader Widerspruch."

    "Doch", fährt Kant fortm "da es in diesem philosophischen und kritischen Zeitalter schwerlich mit jenem Empirismus Ernst sein kann und er vermutlich nur zur Übung der Urteilskraft und um durch den Kontrast die Notwendigkeit rationalier Prinzipien a priori in ein helleres Licht zu setzen, aufgestellt wird: so kann man es denen doch Dank wissen, die sich mit dieser sonst eben nicht belehrenden Arbeit bemühen wollen." (17)

LITERATUR - Leonard Nelson, Rezension Ernst Mach, Erkenntnis und Irrtum, Göttingische gelehrte Anzeigen, 169. Jahrgang, Bd. 2, Berlin 1907
    Anmerkungen
    1) Der Text der ersten (Leipzig 1905) und der zweiten Auflage (1906) unterscheidet sich nur unwesentlich. Ich zitiere nach der zweiten.
    2) Mach, Analyse der Empfindungen, vierte Auflage 1903, Seite V, VIIIf, 22. Man unterscheide im Folgenden genau den Begriff der metaphysischen Annahme von dem der naturwissenschaftlichen Hypothese. Eine Hypothese im naturwissenschaftlichen Sinn muß jederzeit zumindest die Möglichkeit einer empirischen Kontrolle zulassen.
    3) Seite 32 und 281. Ebenso: "Prinzipien der Wärmelehre", zweite Auflage 1900, Seite 435 und "Mechanik", fünfte Auflage 1904, Seite 525.
    4) "Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel", so lautet der erste Satz der "Kritik der reinen Vernunft". "Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher. Wenn aber gleich alle Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. ... Es ist also wenigstens eine der näheren Untersuchung noch benötigte und nicht auf den ersten Anschein sogleich abzufertigende Frage: ob es eine dergleichen von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängige Erkenntnis gibt. Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen in der Erfahrung haben." "Die Kritik", sagt Kant an anderer Stelle, "erlaubt schlechterdings keine angeborenen Vorstellungen; alle insgesamt, sie mögen zur Anschauung oder zu Verstandesbegriffen gehören, nimmt sie als erworben an" (Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, Seite 68).
    5) Ich kann mich übrigens nicht davon überzeugen, daß sich, wie Mach (Seite 31) mit der Mehrzahl der gegenwärtigen Psychologen behauptet, "alle" Fälle von Assoziation auf das "einzige" Gesetz der zeitlichen Berührung zurückführen lassen. Vielmehr scheint mir, man müsse dabei stehen bleiben, eine besondere Ähnlichkeits-Assoziation als psychologisch nicht weiter reduzierbare Tatsache hinzunehmen. Ähnlichkeit ist durchaus nicht unter allen Umständen, wie Mach meint, "teilweise Identität" (Analyse der Empfindungen, Seite 57). Zwei verschiedene Blau-Nuancen etwa, deren eine die andere in Erinnerung ruft, sind jede für sich etwas durchaus Einheitliches; sie lassen sich nicht zerlegen, so daß etwa ein identischer beiden gemeinsamer Bestandteil mich veranlassen könnte, beim Anblick einer blauen Skabiose [Teufelwurz - wp] an ein ähnlich gefärbtes Kleidungsstück zu denken. Die der Wahrnehmung korrespondierenden photochemischen Prozesse in der Netzhaut oder im Sehnerven oder auch die zugehörigen Erregungen der Hirnrinde mögen immerhin sehr zusammengesetzter Natur sein und einen gemeinschaftlichen Teilprozeß enthalten; das ändert nichts an der psychologischen Einheitlichkeit der Farbwahrnehmung. - Man hat sich hier mit der Annahme zu helfen gesucht, eine derartige Assoziation komme durch die Vermittlung der mit der Vorstellung der blauen Farbe assoziierten Wortvorstellung "Blau" zustande. Aber man hat nicht bemerkt, daß durch eine solche - ohnehin nur theoretisch erkünstelte - Annahme das Problem der Ähnlichkeitsassoziation nicht gelöst, sondern nur verschoben wird. Wie kommt es dann, daß gerade die Wahrnehmung der blauen Skabiose, und nicht etwa die eines vorüberfliegenden Zitronenfalters, die Wortvorstellung "Blau" reproduziert? Wie kommt es, daß gerade die verschiedenen blauen Farbentöne, und nur diese, mit ein und demselben Wort "Blau" assoziiert sind? - Die beliebte Berufung auf den Umstand, daß wir schon in frühester Jugend durch die Umgangssprache an die Wortbezeichnung gewöhnt werden, versagt in zweifacher Hinsicht. Erstens läßt sie es unbegreiflich, wie denn die Anderen, die sich dieser Bezeichnungsweise bedienen, dazu gekommen sein mögen, gerade die verschiedenen "ähnlichen" Vorstellungen durch ein Wort in Beziehung zu setzen. Zweitens aber wäre es nach dieser Erklärung ausgeschlossen, daß überhaupt jemals eine von den früher aufgetretenen abweichende Vorstellung eine der früheren reproduzieren könnte. - Man erkennt durch eine solche Überlegung zugleich, daß ohne die Annahme einer besonderen Ähnlichkeitsassoziation die psychologische Möglichkeit allgemeiner Begriffe (wenigstens aller von sinnlichen Qualitäten abstrahierter Begriffe) unbegreiflich bleiben müßte.
    6) Prinzipien der Wärmelehre, Seite 435
    7) Mechanik, fünfte Auflage, 1904, Seite 142.
    8) Mechanik, fünfte Auflage, 1904, Seite 142.
    9) Dieser Fehlschluß kommt bei Mach auch bei anderen Gelegenheiten vor. So schließt er (Mechanik, Seite 533f) aus der Denkbarkeit von mehr als dreifach ausgedehnten raumartigen Mannigfaltigkeiten, daß nur die Erfahrung die Eigenschaften des gegebenen Raumes zu lehren vermag.
    10) Daß diese Annahme nicht nur unerwiesen, sondern auch falsch ist, habe ich an anderer Stelle auseinandergesetzt. Vgl. meine "Bemerkungen über die nicht-euklidische Geometrie und den Ursprung der mathematischen Gewißheit" (Abhandlungen der Fries'schen Schule, Neue Folge, Band I, Heft 2 und 3).
    11) Übrigens ist es unrichtig, wenn Mach sagt, daß das Trägheitsgesetz unmittelbar aus der Erkenntnis der Kräfte als beschleunigungsbestimmender Umstände folgt. Ich erwähne das, weil sich derselbe Irrtum auch in seiner "Mechanik" (Seite 143, 293) findet. Aus dem Satz, daß alle Kräfte Beschleunigungen bestimmen, folgt noch nicht, daß alle Beschleunigungen durch Kräfte bestimmt sind, denn dieser Satz ist die Umkehrung des anderen. Die Annahme von Beschleunigungen, die nicht durch Kräfte bestimmt sind, widerspricht nicht dem Satz von der beschleunigungsbestimmenden Natur der Kräfte, sondern dem allgemeinen Gesetz der Kausalität, nach welchem jede Veränderung, also auch jede Beschleunigung, durch eine Ursache bestimmt ist.
    12) Mechanik, Seite 263, 257.
    13) Mechanik, Seite 549.
    14) Mechanik, Seite 532.
    15) Wenden wir dieses Prinzip der Denkökonomie an, so finden wir, daß dieses Prinzip im Grunde nichts anderes besagt als dies: "Es erspart Denkarbeit, anzunehmen, daß das Denkarbeit ersparende Denken das richtige ist." So formuliert ist das Prinzip in der Tat unangreifbar, und es empfiehlt sich daher, es künftighin immer in dieser Form auszusprechen.
    16) Nach allem Gesagten versteht es sich übrigens von selbst, daß, wenn die Naturgesetze subjektive Erzeugnisse des Denkens sein sollen, an die die Wirklichkeit nicht gebunden ist, es in der "Wirklichkeit" auch keine "Abhängigkeit der Elemente voneinander" geben kann, daß diese Abhängigkeit vielmehr, da sie mit gesetzmäßiger Verbindung identisch ist, ebenfalls nur ein subjektives Erzeugnis des Denkens sein kann. Wie man sich aber das nach Abzug der Gesetze und der Abhängigkeit der Elemente voneinander von der Wirklichkeit noch Zurückbleibende zu denken hat oder auch nur denken kann, weiß ich nicht.
    17) Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788, Vorrede.