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ERNST MACH
Die Leitgedanken meiner
naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre

[und ihre Aufnahme durch die Zeitgenossen]

"In kürzester Art ausgedrückt erscheint als Aufgabe der wissenschaftlichen Erkenntnis: Die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und die Anpassung der Gedanken aneinander. Jeder förderliche biologische Prozeß ist ein Selbsterhaltungsvorgang, als solcher zugleich ein Anpassungsprozeß und ökonomischer als ein dem Individuum nachteiliger Vorgang."

"Am Erkenntnisprozeß mögen sonst noch die verschiedensten Eigenschaften zu bemerken sein; wir charakterisieren diesen zunächst als biologisch und als ökonomisch, d. h. eine zwecklose Tätigkeit ausschließend."

"Das allen gemeinsam Gegebene nennen wir das Physische, das nur einem unmittelbar Gegebene, allen andern nur Erschließbare nennen wir das Psychische. Das nur einem Gegebene kann man auch das Ich nennen."

Um die Erkenntnislehre, der ich einen guten Teil meines Lebens gewidmet habe, in Kürze darzustellen, beginne ich mit der Angabe der Umstände, unter welchen sich diese Gedanken entwickelt haben.

Indem ich bei Beginn meiner Lehrtätigkeit als Privatdozent der Physik 1861 auf die Arbeiten der Forscher achtete, über welche ich zu referieren hatte, erkannte ich in der Auswahl der einfachsten, sparsamsten, zweckdienlichsten zum Ziel führenden Mittel das Eigentümliche ihres Vorgehens. Durch den Verkehr mit dem Nationalökonomen EMMANUEL HERMANN 1864, der seinem Beruf gemäß ebenfalls das wirtschaftliche Element in jeder Art von Beschäftigung aufzuspüren suchte, gewöhnte ich mich, die geistige Tätigkeit des Forschers als eine wirtschaftliche oder ökonomische zu bezeichnen. Dies wird schon durch die einfachsten Fälle nahegelegt. Jeder abstrakt begriffliche, zusammenfassende Ausdruck des Verhaltens von Tatsachen, jeder Ersatz einer Zahlentabelle durch eine Formel oder eine Herstellungsregel, das Gesetz derselben, jede Erklärung einer neuen Tatsache durch eine andere bekanntere, kann als eine ökonomische Leistung aufgefaßt werden. Je weiter, eingehender man die wissenschaftlichen Methoden, den systematischen, ordnenden, vereinfachenden, logisch-mathematischen Aufbau analysiert, desto mehr erkennt man das wissenschaftliche Tun als ein ökonomisches.

Als Gymnasiast lernte ich schon 1854 die Lehre LAMARCKs durch meinen verehrten Lehrer F. X. WESSELY kennen, war also wohl vorbereitet, die 1859 publizierten Gedanken DARWINs aufzunehmen. Diese werden schon in meinen Grazer Vorlesungen 1864-1867 wirksam und äußern sich durch eine Auffassung des Wettstreits der wissenschaftlichen Gedanken als Lebenskampf, als Überleben des Passendsten. Diese Ansicht widerspricht nicht der ökonomischen Auffassung, sondern läßt sich, diese ergänzend, mit ihr zu einer biologisch-ökonomischen Darstellung der Erkenntnislehre vereinigen. In kürzester Art ausgedrückt erscheint dann als Aufgabe der wissenschaftlichen Erkenntnis: Die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und die Anpassung der Gedanken aneinander. Jeder förderliche biologische Prozeß ist ein Selbsterhaltungsvorgang, als solcher zugleich ein Anpassungsprozeß und ökonomischer als ein dem Individuum nachteiliger Vorgang. Alle förderlichen Erkenntnisprozesse sind Spezialfälle oder Teile günstiger Prozesse. Denn das physische biologische Verhalten der höher organisierten Lebewesen wird mitbestimmt, ergänzt durch den inneren Prozeß des Erkennens, des Denkens. Am Erkenntnisprozeß mögen sonst noch die verschiedensten Eigenschaften zu bemerken sein; wir charakterisieren diesen zunächst als biologisch und als ökonomisch, d. h. eine zwecklose Tätigkeit ausschließend.

Diese leitenden Gedanken habe ich in verschiedenen Schriften ausgeführt. Zuerst in "Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit", 1872, mit besonderer Rücksicht auf die Denkökonomie; ferner beide Seiten berücksichtigen in "Die Mechanik in ihrer Entwicklung", 1883, und in "Die Prinzipien der Wärmelehre", 1896. Besonders beachtete ich die biologische Seite der Frage in "Die Analyse der Empfindungen", 1886. In der reifsten Form ist meine Erkenntnislehre behandelt in "Erkenntnis und Irrtum", 1905. Diese Schriften sollen im Folgenden der Reihe nach zitiert werden als EA, M, W, A und EI.

Obwohl einzelne Anerkennungen nicht fehlten, so war es doch sehr natürlich, daß namentlich meine ersten Publikationen sowohl von den Physikern als auch von den PhEilosophen äußerst kühl und ablehnend aufgenommen wurden. In der Tat hatte ich bis in die Achtzigerjahre des abgelaufenen Jahrhunderts das Gefühl allein gegen den Strom zu schwimmen, obgleich dies längst nicht mehr der Fall war. Kurz vor Herausgabe der "Mechanik" lernte ich beim Suchen nach Schriften verwandten Inhalts AVENARIUS "Philosophie als Denken der Welt nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes", 1876, kennen und konnte diese Arbeit noch im Vorwort zur Mechanik anführen. Schon 2 Jahre nach meiner "Analyse" erschien der erste Band von AVENARIUS' "Kritik der reinen Erfahrung", 1888 und einige Jahre später ermutigten mich die Arbeiten von HANS CORNELIUS, "Psychologie als Erfahrungswissenschaft", 1897 und "Einleitung in die Philosophie", 1903 und JOSEPH PETZOLDT, "Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung", 1900. So sah ich, daß ich zumindest einem Teil der Philosophen nicht gar so fern stand, als ich lange dachte. Freilich findet der längst verstorbene AVENARIUS auch heute sein Publikum mehr in Italien, Frankreich und Russland, als in seinem Vaterland. Erst vor einigen Jahren wurde ich mit WILHELM SCHUPPEs Arbeiten, namentlich mit seiner "Erkenntnistheoretischen Logik", 1878, bekannt und sah, daß dieser Autor schon 1870 verwandte Bahnen eingeschlagen hatte.

Weit seltener fand ich Zustimmung bei den Physikern. Zwar hatte ich und auch die "Energetik" OSTWALDs einen sehr berühmten Vorgänger in W. J. M. RANKINE, der schon in seiner 1855 erschienenen kleinen Abhandlung "Outline of the Science of Energetics" (1) auf den Unterschied der erklärenden (hypothetischen) und der abstrakten (beschreibenden) Physik hinwies und die letztere als die eigentlich wissenschaftliche empfahl, zu welcher die erstere nur die vorbereitende Stufe bilden solltef. Allein schon der Umstand, daß mir RANKINEs Ausführungen bei Beginn meiner Arbeit noch unbekannt waren und sein konnten, bezeichnet genügend deren geringe räumliche und zeitliche Fernwirkung. Als ich nun in EA für die ökonomische Darstellung des Tatsächlichen, für die Ermittlung der Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander eintrat, was zumindest teilweise als eine Erneuerung der RANKINEschen Vorschläge anzusehen ist, blieb dies selbstverständlich ebenso unbeachtet. Das "allgemeine Staunen", mit welchem 2 Jahre später KIRCHHOFFs Bezeichnung der Aufgabe der Mechanik als "vollständige einfachste Beschreibung der Bewegungen" aufgenommen wurde, ist ebenso charakteristisch. Die vereinzelten Äußerungen, welche als Zustimmung zu der neuen Auffassung angesehen werden können, habe ich im Vorwort zur zweiten Auflage von EA, 1909 erwähnt. Spät hören wir das Wort von HERTZ, die MAXWELLsche Theorie bestünde eigentlich in den MAXWELLschen Gleichungen, spät hören wir die Worte von HELMHOLTZ in der Vorrede zu HERTZ' "Mechanik" Seite XXI. Erst 1906 erschien PIERRE DUHEM, "La Théorie physique", welche vollständig mit dem alten Standpunkt bricht.

Bei meinen historischen Studien über Mechanik und Wärmelehre erleichterte mir die biologisch-ökonomische Auffassung des Erkenntnisprozesses ungemein das Verständnis der wissenschaftlichen Entwicklung. Der durch das Streben nach Selbsterhaltung zu einem praktisch-ökonomischem Verhalten gedrängte Mensch reagiert zunächst ganz instinktiv auf günstige und ungünstige Umstände. Sobald aber die soziale Entwicklung, die Teilung der Arbeit, die Entstehung des Handwerkerstandes den Einzelnen nötigt, seine Aufmerksamkeit den Zwischenmitteln, den Zwischenzielen zur Befriedigung der Bedürfnisse zuzuwenden, so tritt eigentlich erst bewußt der Intellekt in Wirksamkeit. Die praktische Unbehaglichkeit wird alsbald durch die drängende intellektuelle Unbehaglichkeit ersetzt. Das willkürlich gewählte Zwischenziel wird nun mit demselben Eifer und mit denselben Mitteln verfolgt, als vorher etwa die Stillung des Hungers. Die instinktiven Bewegungen des Wilden, die halbbewußt erlernten Griffe des Handwerkers sind die Vorbereitungen der Begriffe des Forschers. Die Ansichten und die verachteten banausischen Künste des Handwerkers gehen unvermerkt in die Ansichten und Kunstgriffe des Physikers über, und die Ökönomie der Tat wächst sich allmählich zur intellektuellen Ökonomie des Forschers aus, die sich auch in einem Streben nach den idealsten Zielen betätigen kann.

Die Äußerungen dieser Ökonomie sehe ich deutlich in der allmählichen Zurückführung der statischen Gesetze der Maschinen auf ein einziges, das der virtuellen Verschiebung oder des Verschwindens der Arbeit, in einem Ersatz der KEPLERschen Gesetze durch das einzige NEWTONsche d22 / dt2 = mm1 / r2, in der Verminderung, Vereinfachung und Klärung der Begriffe der Dynamik. Deutlich sehe ich die biologisch-ökonomische Gedankenanpassung, die nach dem Prinzip der Kontinuität (Permanenz) und dem der zureichenden Bestimmtheit vorgeht, den Begriff "Wärme" in die beiden Begriffe "Temperatur" und "Wärmemenge" spalten, sehe wie dann der Begriff "Wärmemenge" zur "latenten Wärme", zu den Begriffen "Energie" und "Entropie" führt. Aber dies auszuführen, ist Sache von Büchern und nicht Gegenstand einer Abhandlung.

Der biologisch-ökonomische Gesichtspunkt mag willkürlich, beschränkt und einseitig, vielleicht auch unpassend bezeichnet sein, für falsch oder unfruchtbar kann ich ihn nicht halten. PETZOLDT spricht lieber von Stabilität als von Ökonomie. Ich zog den Ausdruck "Ökonomie" vor, weil diese Analogie zum vulgären Leben mich erst zum Verständnis wissenschaftlicher Wandlungen geleitet hat. Übrigens kommen später noch andere Gesichtspunkte zur Sprache.

Um nun deutlich zu machen, welcher Auffassung meine Erkenntnislehre bei hervorragenden modernen Physikern begegnet, bitte ich den Leser wo möglich MAX PLANCKs "Die Einheit des physikalischen Weltbildes", Leipzig, 1909, zur Hand zu nehmen, da ich mich mit dieser 38 Seiten umfassenden Schrift etwas auseinandersetzen muß. Ohne auf die Form zu reagieren oder diese gar nachzuahmen - le style c'est l'homme [Der Stil eines Menschen ist das Abbild seines Charakters. - wp] - will ich deren Inhalt rein sachlich besprechen.

PLANCK unterscheidet Seite 4 zwei Methoden des Betriebes der Physik, ungefähr im Sinne RANKINEs, die von erfaßten Einzelerscheinungen ausgehende, kühn verallgemeinernde und erklärende und die nüchtern beschreibende. Als Beispiele für die erstere nennt er des THALES "Wassertheorie", OSTWALDs "Energetik" und HERTZ' "geradeste Bahn", als Vertreter der zweiten Methode führt er KIRCHHOFF an. Nun freue ich mich zwar, daß der Energetik sogar eine bedeutende "Stoßkraft" zugeschrieben wird, während sie noch in Lübeck "nicht das Geringste" geleistet hatte, aber die Energetik kann ich nur zur zweiten RANKINEschen Methode rechnen, ebenso wie den HERTZschen Gedanken der geradesten Bahn. Wenn man ferner KIRCHHOFFs "vollständige einfachste Beschreibung" genau übt, nicht nur "Beschreibung", so bleibt kein Raum für Erklärungen. Denn "ist einmal eine Tatsache nach allen ihren Seiten bekannt, so ist sie eben dadurch erklärt und die Aufgabe der Wissenschaft ist beendet" (J. R. MAYER). KIRCHHOFF kann also zumindest in seinem Fall an keinen Gegensatz zu einer zweiten Methode gedacht haben. Nach PLANCK kann die Forschung auf keine der beiden Methoden verzichten; ich halte allerdings die KIRCHHOFFsche für die richtige, ohne der anderen die historisch erprobte Nützlichkeit abzusprechen.

Seite 5 frägt PLANCK, wie das physikalische Weltbild, welches durch eine Anwendung dieser Methoden zustande kommt beschaffen ist?
    "Ist dasselbe lediglich eine zweckmäßige, aber im Grunde willkürliche Schöpfung unseres Geistes, oder finden wir uns zur gegenteiligen Auffassung getrieben, daß es reale, von uns ganz unabhängige Naturvorgänge widerspiegelt?"
Ich kann hier keinen unvereinbaren Gegensatz finden. Zweckmäßig muß es sein, um uns zu leiten; was würden wir sonst damit anfangen? Von der Individualität abhängig, also in gewissem Sinn willkürlich muß es wohl ebenfalls sein. Das zeigt der Vergleich der NEWTONschen mit der HUYGENSschen, BIOTschen, YOUNG-FRESNELschen Optik, der Vergleich der LAGRANGEschen mit der POINSOTschen und HERTZschen Mechanik. Wer könnte die Forscher hindern, auf verschiedene Seiten der Tatsachen ihre besondere Aufmerksamkeit zu richten? Etwa das Dekret eines hinreichend angesehenen Physiker? Natürlich wird aber das menschliche, sozial sich erhaltende Weltbild durch den Wechsel der Forscher zusehends unabhängiger von der Individualität, fortschreitend ein reinerer Ausdruck der Tatsachen. Im allgemeinen kommen aber in jeder Beobachtung, in jeder Ansicht sowohl die Umgebung als auch der Beobachter zum Ausdruck.

Seite 6 und 7 enthalten bekannte historische Tatsachen, über die kaum etwas zu bemerken ist.

Seite 8 und folgende ist von einer Vereinheitlichung des Systems der Physik die Rede, gegen die gewiß niemand etwas einzuwenden hat, am allerwenigsten der Vertreter der Denkökonomie, selbst wenn diese Vereinheitlichung nur eine vorläufige, hypothetisch-fiktive (2) sein sollte. Nur glaube ich allerdings, daß die Elektrodynamik, oder sagen wir die LORENTZsche Theorie viel mehr Aussicht hat nach WILHELM WIENs Auffassung die Mechanik als speziellen Fall in sich aufzunehmen, als umgekehrt.

Auch den Ausführungen, die nun von Seite 10 an bis etwa 29 folgen, die sich auf den ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beziehen, namentlich auf die wichtige Unterscheidung reversibler und irreversibler Vorgänge, kann ich im Wesentlichen zustimmen. Denn wenn auch die betreffenden Sätze gerade bei Gelegenheit und auf Anlaß praktisch-ökonomischer Fragen gefunden worden sind, so ist die Denkökonomie in ihren Zielen durchaus nicht auf die Untersuchung menschlich praktisch-ökonomischer Bedürfnisse beschränkt und gebunden.

Nur meiner Abneigung gegen die hypothetisch-fiktive Physik kann ich nicht entsagen. Darum habe ich auch meine besondere Meinung über die Wahrscheinlichkeits-Untersuchungen BOLTZMANNs auf Grundlage der kinetischen Gastheorie betreffend den zweiten Hauptsatz. Wenn BOLTZMANN gefunden hat, daß Vorgänge entsprechend dem zweiten Hauptsatz sehr wahrscheinlich, entgegen demselben nur sehr unwahrscheinlich sind, so kann ich nicht annehmen, daß das Verhalten gemäß diesem Satz nachgewiesen ist. Auch kann ich es nicht richtig finden, wenn PLANCK den ersten Teil annimmt, ohne dem zweiten Teil folgen zu wollen (Seite 24), denn beide Hälften der Folgerung sind nicht voneinander trennbar. Wie könnte auch ein absolut konservatives System elastischer Atome durch die geschicktesten mathematischen Betrachtungen, die ihm doch nichts anhaben können, dazu gebracht werden, sich wie ein nach einem Endzustand strebendes System zu verhalten? Vgl. W, 2. Auflage, Seite 364, ferner SEELIGER, "Über die Anwendung der Naturgesetze auf das Universum", Seite 20, Münchener Akademie, 1. Mai 1909.

Seite 29 konstatiert PLANCK, daß die Sinnesempfindungen als die Quelle unserer Erfahrung nicht ignoriert werden dürfen, daß aber das farblose kinetische Weltbild wegen seiner Einheitlichkeit doch vorzuziehen ist. Dieses Weltbild soll (Seite 31) nicht nur unabhängig vom Individuum sein, sondern auch für alle Zeiten und Völker, ja auch für die anders organisierten Marsbewohner gültig. Wer dies nicht anerkennt, sage ich von der physikalischen Denkweise los. Seite 34 finden wir die Behauptung, die Atome seien nicht weniger real als die Himmelskörper, und daß ein Atom Wasserstoff 1,6.1024 Gramm wieg, sei ebenso gewiß, wie daß der Mond 7.1025 Gramm wiegt. Eine ähnliche Äußerung finden wir übrigens bei dem berühmten Begründer der modernen Elektronentheorie H. A. LORENTZ.

Auch ich betrachte die Sinnesempfindungen als die Quelle aller Erfahrung, glaube aber nicht, daß sie bestimmt sind, nach der Fundierung der physikalischen Begriffe sofort wieder vergessen zu werden, sondern schreibe ihnen einen höheren Wert zu, namentlich als Band zwischen der Physik und den anderen Naturwissenschaften. Ich habe anderwärts versucht zu zeigen, wie ohne künstliche Hypothesen allmählich eine einheitliche Physik aufgebaut werden kann (3), allerdings nicht in einer Woche.

Die Sorge um eine für alle Zeiten und Völker bis zu den Marsbewohnern gültige Physik, während uns noch manche physikalische Tagesfragen recht drücken, scheint mir sehr verfrüht, ja fast komisch. Aber auch auf diese Frage habe ich schon vor Jahren geantwortet. Alle Lebewesen, welche künftig Physik treiben werden, werden wie wir für ihre Lebenserhaltung zu sorgen, daher zunächst auf das ökonomisch Wichtige, Beständige in der Natur zu achten haben, womit sogar schon der Anknüpfungspunkt zu unserer Physik, sofern diese ihnen wunderbarerweise zugänglich sein sollte, gegeben wäre (4). Ja, ich zweifle auch nicht, daß ein uns analog organisiertes Wesen, wenn es vor der Entstehung oder nach dem Untergang der Erde irgendwo im Weltraum beobachten könnte, einen dem von uns konstatierten entsprechenden Weltlauf wahrnehmen würde. Nur diesen hypothetische Sinn kann ich vernünftigerweise der PLANCKschen Frage Seite 32 beilegen. Das alles hängt gerade nach meiner biologisch-ökonomischen Auffassung gar nicht so in der Luft und überhaupt gar nich von der Qualität der Empfindungen ab. - Was endlich die "Realität" der Atome betrifft, so zweifle ich gar nicht, daß wenn die Atomtheorie der sinnlich gegebenen Realität quantitativ angepaßt ist, auch die hieraus gezogenen Folgerungen in irgendeiner Weise zu den Tatsachen in Beziehung stehen werden, nur in welcher bleibt fraglich. Der Abstand der Gläser des ersten dunklen Ringes im reflektierten Licht enspricht der Hälfte der Anwandlungsperiode nach NEWTON, aber einem Viertel der Wellenlänge nach YOUNG-FRESNEL. So können auch die Ergebnisse der Atomtheorie noch mannigfaltige und nützliche Umdeutungen erfahren, auch wenn man sie nicht geradezu eilfertig für Realitäten hält. Also den Glauben der Physiker in Ehren! ich kann ihn aber nicht zu dem meinigen machen.

Wenn PLANCKs Vortrag mit 32 Seiten abgeschlossen hätte, so wäre für mich gar kein Anlaß gewesen, mich mit demselben zu beschäftigen. Nun beginnt aber an dieser Stelle eine ausdrücklich gegen mich gerichtete Polemik, die mir erst zu Bewußtsein brachte, daß auch die im vorausgehenden Teil bemerkbaren Spitzen, die allerdings an mir vorbeizielten, ohne mich zu verwunden, ebenfalls mir, oder doch meinesgleichen zugedacht waren. Deshalb habe ich auch den ersten Teil besprochen. Namentlich die Polemik, welche das Ende bildet, bestimmt mich aber durch das Ungewöhnliche der Form, durch die vollständige Unkenntnis der bekämpften Sache und durch den eigentümlichen Schluß zu einigen Worten der Entgegnung. Die Richtigstellung von PLANCKs Referat über meine vermeintlich perverse Auffassung der Empfindungen muß ich einem folgenden Abschnitt dieser Abhandlung zuweisen.

Wie der Leser wohl bemerkt hat, genügt die biologisch-ökonomische Auffassung des Erkenntnisprozesses vollständig, um zu jener der heute gangbaren Physik in ein verträgliches, ja freundliches Verhältnis zu treten. Die eigentliche Differenz, die sich bisher geoffenbart hat, bildet der Glaube an die Realität der Atome. Das ist es auch, weswegen PLANCK kaum genug degradierende Worte für eine solche Verkehrheit finden kann. Will man sich an psychologischen Konjekturen erfreuen, so muß man seinen Vortrag selbst lesen, und ich kann nur wünschen, daß es geschieht. Nachdem nun PLANCK noch mit christlicher Milde zur Achtung für den Gegner mahnt, brandmarkt er mich schließlich mit dem bekannten Bibelwort als falschen Propheten. Man sieht, die Physiker sind auf dem besten Weg eine Kirche zu werden und eignen sich auch schon deren geläufige Mittel an. Hierauf antworte ich nun einfach: Wenn der Glaube an die Realität der Atome für Euch so wesentlich ist, so sage ich mich von der physikalischen Denkweise los (PS 31), so will ich kein richtiger Physiker sein (PS 33), so verzichte ich auf jede wissenschaftliche Wertschätzung (PS 35), kurz: so danke ich schönstens für die Gemeinschaft der Gläubigen. Denn die Denkfreiheit ist mir lieber.

Ich muß noch einer für meine Denkrichtung bestimmenden Anregung gedenken. Es ist zeitlich die erste, die ich aber aus besonderen Gründen zuletzt erwähne. Schon 1853, in früher Jugend wurde meine naiv-realistische Weltauffassung durch die "Prolegomena" von KANT mächtig erschüttert. Indem ich ein oder zwei Jahre später das "Ding-ansich" instinktiv als müßige Jllusion erkannte, kehrte ich auf den bei KANT latent enthaltenen Standpunkt BERKELEYs zurück. Die idealistische Stimmung vertrug sich aber schlecht mit physikalischen Studien. Die Qual wurde noch vergrößert durch die Bekanntschaft mit HERBARTs mathematischer Psychologie und FECHNERs Psychophysik, die Annehmbares und Unannehmbares in inniger Verbindung boten. Nach Beendigung der Universitätsstudien fehlten zum Unglück oder Glück die Mittel zu physikalischen Untersuchungen, wodurch ich zunächst auf das Gebiet der Sinnesphysiologie gedrängt wurde. Hier, wo ich meine Empfindungen, zugleich aber deren Bedingungen in der Umgebung beobachten konnte, gelangte ich, wie ich glaube, zu einer natürlichen, von spekulativ-metaphysischen Zutaten freien Weltauffassung. Die durch KANT eingepflanzte Abneigung gegen die Metaphysik, sowie die Analysen HERBARTs und FECHNERs führten mich auf einen HUME naheliegenden Standpunkt zurück (5).

Wir finden uns empfindend, denkend und handelnd mit unorganischen und organischen Körpern, Pflanzen, Tieren und Menschen nebeneinander im Raum. Meinen Leib unterscheide ich durch besondere Eigentümlichkeiten des Verhaltens von den ähnlichen Leibern der anderen Menschen. Die Beobachtung anderer Menschen führt durch eine unwiderstehliche Analogie zu der Annahme, daß sie ganz ähnliche Beobachtungen machen wie ich, daß ihr Leib für sie dieselbe Sonderstellung einnimmt, wie für mich der meinige, daß sich an ihren Leib ebenso besondere Empfindungen, Wünsche, Handlungen knüpfen wie an den meinigen. Ihr Verhalten nötigt mich ferner anzunehmen, daß ihnen mein Leib und die übrigen Körper ebenso unmittelbar gegeben sind wie mir ihr Leib und die anderen Körper, daß dagegen meine Erinnerungen, Wünsche usw. für sie ebenso nur erschließbar sind, wie für mich die ihrigen. Das allen gemeinsam Gegebene nennen wir das Physische, das nur einem unmittelbar Gegebene, allen andern nur Erschließbare nennen wir das Psychische. Das nur einem Gegebene kann man auch das Ich nennen.

Die einfachsten Erfahrungen genügen, um die Annahme einer allen gemeinsamen Welt und anderer Iche außer dem eigenen zu begründen, Annahmen, die sich für das theoretische und praktische Verhalten zunächst gleich vorteilhaft erweisen. Die genauere fortschreitende Erfahrung lehrt aber, daß die Welt uns durchaus nicht so unmittelbar gegeben ist, als es anfangs schien. Um einen Körper zu sehen, bedarf es der Gegenwart eines anderen selbstleuchtenden; um einen Körper zu hören, muß derselbe erschüttert werden und diese Erschütterungen müssen unser Ohr erreichen. Das aufnehmende Auge und Ohr muß ferner gesund, funktionsfähig sein. Schon der gewöhnliche Mensch kennt den Einfluß der äußeren Umstände und jeder Sinnesorgane auf den Eindruck der Welt, welche daher jedem etwas verschieden erscheint. Die wissenschaftliche Erfahrung bestätigt dies, ja sie lehrt sogar, daß die Empfindung (Wahrnehmung) durch das Endglied einer aus der Umgebung ins Zentralorgan reichenden Kette bestimmt ist, welches ausnahmsweise auch ohne äußere Anregung als Halluzination selbständig auftreten kann. In diesem Fall ist eine Berichtigung durch andere Sinne oder auch andere Personen nötig, wenn es sich um ein Urteil handelt, welches wissenschaftlichen, also sozialen Wert haben soll. Die Überschätzung dieses Ausnahmefalles führt leicht zu monströsen idealistischen oder selbst solipsistischen Systemen.

Es wäre sehr sonderbar, wenn die Erfahrung über die Welt durch ihre Verfeinerung sich selbst aufheben und von der Welt selbst nichts als unerreichbare Phantome übrig lassen würde (6). In der Tat können wir uns durch eine genauere Untersuchung von dieser Besorgnis befreien. Alles was wir sehen, hören, tasten usw. hängt davon ab, was wir sonst noch in unserer Umgebung sehen, hören, tasten usw., aber auch davon, was an unserem Leib durch eine gröbere oder feinere sinnliche Untersuchung konstatiert werden kann. Dies gilt nicht nur von den Wahrnehmungen im Ganzen, sondern auch noch, wenn wir unsere Sinnesempfindungen in die einfachsten qualitativen Elemente: Farben, Töne, Drucke usw. zerlegen, für diese Elemente selbst. Nennen wir sie A B C D E ... die sinnlichen Elementarbestandteile der Umgebung, U die Umgrenzung unseres Leibes gegen die Umgebung und K L M N ... die sinnlichen Elementarbestandteile, die wir innerhalb der geschlossenen Fläche U vorfinden. Dann ist jedes Element der ersten Gruppe, z. B. A (das Grün eines Blattes), von anderen Elementen derselben Gruppe, zum Beispiel B (dem grünhältigen Sonnenlicht), aber auch von den Elementen der zweiten Gruppe z. B. K (Offensein der Augen) und etwa N (Empfindlichkeit der Netzhaut) abhängig. Diese ganz unabhängig von irgendeiner Theorie konstatierbaren Tatsachen können und dürfen von keiner gesunden Erkenntnislehre übersehen werden. Jeder wird die Abhängigkeit innerhalb der ersten Gruppe als eine physikalische, die ganz anders geartete, die Grenze U überschreitende Abhängigkeit als eine physiologische erkennen. (7)

Die Zusammenfassung der letzten Zeilen genügt schon, um die verschiedenen Bedenken PLANCKs bezüglich der Empfindungen auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Was wir an Abhängigkeit der A B C D E ... voneinander bemerken ist gar nicht willkürlich, ist ist physikalisch oder, wenn man es durchaus so nennen will real (PLANCK Seite 5). Nur das Physiologische hängt von der Individualität des Leibes ab, ist aber darum noch nicht gesetzlos, sondern wie der Einfluß eines individuellen Galvanometers, Thermometers usw. bestimmbar und eliminierbar. Hiermit ist auch die Bemerkung von PLANCK auf Seite 35 über das Reale erledigt. Weit entfernt zu bedauern, daß wir die Sinnesempfindungen nicht ausschalten können (PLANCK Seite 29), müssen wir sie vielmehr als die einzige unmittelbare Quelle der Physik schätzen und dürfen sie auch nach der Benützung nicht sofort vergessen. Denn, wenn der Ursprung des Begriffes "Kraft" auf den "Muskelsinn" zurückzuführen ist (PLANCK Seite 7), so lehrt uns dies, aß immer und überall, wo der Muskelsinn ins Spiel kommt oder kommen könnte, wir auch eine Beschleunigung eines Beweglichen anzunehmen haben, wie sie GALILEI nur für den Fall eines schweren Körpers nachgewiesen hat (8). An eine Empfindung können sich die wichtigsten Abstraktionen knüpfen. Von einer rein subjektivistischen Auffassung der Empfindungen, wie sie PLANCK Seite 33 anzunehmen scheint, kann gerade nach meiner Ansicht die Rede sein. Ich weiß also nicht, ob der "schwer ganz zu durchschauende Mach'sche Positivismus" (Seite 37) zu seiner widerspruchslosen folgerichtigen Durchführung noch des Schlüssels bedarf, den PLANCK Seite 35 zu besitzen scheint; ich werde übrigens für jede Hilfe dankbar sein.

Nun kann ich auch sagen, daß PLANCK Seite 34 meinen "Positivismus" nicht richtig beurteilt, wenn er denselben als Rückschlag der Mißerfolge atomistischer Spekulationen ansieht. Würde das kinetische physikalische Weltbild, welches ich allerdings für hypothetisch halte, ohne es deshalb degradieren zu wollen, auch alle physikalischen Erscheinungen "erklären", so würde ich die Mannigfaltigkeit der Welt hiermit nicht für erschöpft halten, denn für mich sind eben Materie, Zeit und Raum auch noch Probleme, welchen übrigens die Physiker (LORENTZ, EINSTEIN, MINKOWSKI) allmählich auch näher rücken. Die Physik ist auch nicht die ganze Welt; die Biologie ist auch noch da und gehört wesentlich mit in das Weltbild.

Nur in der physiologischen Abhängigkeit der A B C D E ... von K L M N ... sind erstere Elemente als Empfindungen zu bezeichnen, in ihrer Abhängigkeit voneinander sind A B C D E ... physikalische Merkmale. Die allgemeinste Aufgabe der Naturwissenschaft besteht nun hauptsächlich in der Ermittlung letzterer Abhängigkeit voneinander. Die Empfindungen lassen Erinnerungsspuren (Vorstellungen) der sinnlichen Erlebnisse zurück, ob es sich um Elemente oder mehr oder weniger zusammengesetzte Komplexe von Elementen handelt. Die Nachbildungen der sinnlichen Erlebnisse durch die Erinnerungen (Vorstellungen) sind die ersten Bausteine der Wissenschaft. Indem die Vorstellungen (oder Gedanken) sich den Erlebnissen anpassen, wächst unsere Kenntnis der Umgebung, steigt der praktische und intellektuelle Nutzen dieser Kenntnis. Die Vorstellungen sind der Qualität nach den Empfindungen gegenüber keine neuen Elemente. Vorstellungen sind aber an Erregungen des Sinnesorgans. Während man mit einer leuchtend, flackern und heiß vorgestellten Flamme nichts in der Umgebung verrichten kann, wird eine leuchtend, flackern, heiß Empfundenes wohl nicht umhin können, eine Flamme zu sein, an der man auch Wasser kochen kann. Empfindungen gehören also der physischen und psychischen Welt zugleich an, Vorstellungen nur der letzteren.

Das Verhältnis meiner Auffassungen zu jenen PLANCKs ist hiermit hoffentlich genügend geklärt. Es sollen nun noch wenige Bemerkungen folgen, um die Richtung meiner Erkenntnislehre näher zu bezeichnen.

Das bedingungslos Beständige nennen wir Substanz. Ich kann einen Körper sehen, wenn ich ihm den Blick zuwende, ich kann ihn tasten sobald ich nach demselben greife. Ich kann ihn sehen ohne ihn zu tasten und umgekehrt. In der Regel ist aber die Sichtbarkeit mit der Tastbarkeit verbunden. Obgleicht also das Hervortreten der Elemente des Komplexes an Bedingungen gebunden ist, so sind uns diese so geläufig, daß wir sie kaum beachten. Wir betrachten den Körper als stets vorhanden, ober uns augenblicklich in die Sinne fällt oder nicht. Wir sind gewöhnt den Körper als bedingungslos beständig zu betrachten, obgleich es eine bedingungslose Beständigkeit nicht gibt. (9)

Der Anblick eines Körpers kann sofort den ganzen Komplex in Erinnerung bringen, was von Vorteil sein aber auch irreführen kann, wenn ich z. B. ein bloßes optisches Bild wahrgenommen habe. Wir haben also allen Grund, ein Ding, einen ganzen Komplex von Elementen, von der Erscheinung, einem Teil des Komplexes zu unterscheiden. Diese Erfahrung über die Grenzen der Erfahrung auszudehnen, ein "Ding ansich" anzunehmen, hat keinen verständlichen Sinn.

Wir haben uns gewöhnt einen Körper als beständig zu betrachten. Indem wir nun einmal dieses und einmal ein anderes sinnliches Element weglassen, ohne daß der Rest aufhört den Körper zu repräsentieren, in Erinnerung zu rufen, können wir leicht auf den Gedanken kommen, daß noch immer etwas übrig bleibt, wenn wir alle Elemente weglassen. Wir denken an ein außersinnliches Band der Elemente, einen Träger der Eigenschaften, an eine Substanz des Körpers in einem philosophischen Sinn. Diese Idee findet keine Begründung in den Elementen, die wir A B C D E ... genannt haben; sie ist lediglich einer dichtenden Phantasie entsprungen.

Was der Physiker unter Substanz oder Menge versteht, ist etwas ganz anderes. Ein Körper hat ein gewisses Gewicht. Teilt man ihn und legt alle Teile nacheinander auf die Waage, so ist die Summe der Gewichte gleich. Dasselbe gilt von den Massen des Körpers und seiner Teile, von den Wärmekapazitäten usw. Gleichartige Größen, die unter gewissen Bedingungen stets eine konstante Summe geben, sind physikalische Beständigkeiten, Substanzen, Mengen. (10)

Die beobachtete Abhängigkeit der Elemente A B C D E ... voneinander wird in den einfachsten Fällen durch sinnliche Vorstellungen nachgebildet und im Gedächtnis als Baustein einer rudimentären Naturwissenschaft aufbewahrt. Lassen sich nun mehrere oder viele solcher, in gewisser Beziehung übereinstimmende Bausteine, zu einem größeren Bestandsstück in Form eines Begriffs zusammenfassen, so wird dies von Vorteil sein. Ein solcher Begriff ist nun nichts weiter, als die durch das Wort bezeichnete und erregte Fähigkeit, sich jener Einzelerfahrung zu erinnern, aus welchen er allmählich entstanden ist. Ein höherer Begriff kann andere Begriffe (als Merkmale) enthalten, doch wird sich auch ein solcher, soll er überhaupt einen naturwissenschaftlichen Sinn haben, auf sinnliche Erfahrungen über die Elemente A B C D E ... zurückführen lassen. Dies scheint PLANCK ja zuzugeben, wenn er Seite 34 sagt:
    "Ein einziger Blick in ein Präzisionslaboratorium zeigt uns die Summe von Erfahrungen und Abstraktionen welche gerade in einer solchen so einfachen Messung (Wägung) enthalten ist."
Ja, in der Tat, bei der Anwendung auf einen konkreten Fall findet ein rapider Abbau der abstraktesten Begriffe bis zu den Elementen statt, aus welchen die Theorie sie aufgebaut hat. Natürlich muß der Begriff die Elemente auch enthalten haben, die man in ihm vorfindet; vielleicht sind dieselben sogar wichtiger als die durch Dichtung eingefügten Bestandteile.

An anderer Stelle (11) habe ich dargelegt und begründet, daß unsere physikalischen Begriffe, so nahe sie den Tatsachen kommen, doch nicht als vollkommener endgültiger Ausdruck dieser angesehen werden dürfen. Von besonderer Wichtigkeit sind die Begriffe, welche Glieder eines Begriffskontinuums sind, die mathematischen Begriffe (12).
    "Die Beständigkeit der Verbindung der Reaktionen aber, welche die physikalischen Sätze darlegen, sind die höchste Substanzialität, welche die Forschung bisher enthüllen konnte, beständiger als alles, was man bisher Substanz genannt hat." (13)
Was PLANCKs Angriffe gegen meine Erkenntnislehre veranlaßt hat und welches Ziel er hierbei verfolgt, habe ich hier nicht zu untersuchen. Andere mögen beurteilen, ob er im Recht war, ob meine Ansichten wirklich in so einem schreienden Gegensatz zur gangbaren Physik stehen. PLANCK findet die Stellung, die ich der Denkökonomie gebe, unbescheiden. War es aber nicht auch recht ... mutwillig, auf den ersten unangenehmen oder befremdenden Eindruck hin eine Sache von oben her zu bekämpfen, die er gar nicht kannte, die seiner Denkrichtung und Denkübung gänzlich fern lag? Ich halte es nicht für ein Unglück, wenn die an Tatsachen anknüpfenden Gedanken sich ungleich in verschiedenen Köpfen abspielen, im Gegenteil. Auch Widerspruch nehme ich nicht tragisch, er leuchtet ja oft wie eine Fackel in die fremde und auch in die eigene Gedankenwelt hinein. Aber ein Versuch den Gegner zu verstehen sollte doch vorausgehen.
LITERATUR - Ernst Mach, Die Leitgedanken meiner naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre und ihre Aufnahme durch die Zeitgenossen, Scientia - internationale Zeitschrift für wissenschaftliche Synthese, Bd. VII, Nr. 14, Bologna / London / Paris / Leipzig, 1910
    Anmerkungen
    1) William John Macquorn Rankine, The Edinbourgh New Philosophical Journal, Volume II (New Series), 1855, Seite 120.
    2) Den Ausdruck "fiktiv" entlehne ich von Hans Driesch.
    3) Populärwissenschaftliche Vorlesungen: Über das Prinzip der Vergleichung in der Physik, 3. Auflage, 1903, Seite 263.
    4) Erkenntnis und Irrtum, zweite Auflage, 1906, Seite 149.
    5) Direkt bin ich von Hume, dessen Arbeiten ich gar nicht kannte, nicht beeinflußt worden, dagegen kann dessen jüngerer Zeitgenosse Lichtenberg auf mich gewirkt haben. Zumindest erinnere ich mich des starken Eindrucks, den sein "Es denkt" in mir zurückgelassen hat. Humes "Untersuchungen über den menschlichen Verstand" lernte ich in Kirchmanns Übersetzung erst zu Ende der Achtzigerjahre kennen, den "Treatise on human nature" gar erst 1907/08. Ich betrachte heute den metaphysikfreien Standpunkt als ein Produkt der allgemeinen Kulturentwicklung. Vgl. "Sur le rapport de la physique avec la psychologie", Binet, "L'Année Psychologique", XII, 1906, Seite 303-318.
    6) "L'Année Psychologique", XII, 1906, Seite 307.
    7) Erkenntnis und Irrtum, zweite Auflage, Seite 10.
    8) Erkenntnis und Irrtum, Seite 140
    9) Analyse der Empfindungen, 1886, Seite 154-157; fünfte Auflage, 1906, Seite 268f.
    10) Wärmelehre, zweite Auflage, 1900, Seite 422f. Daselbst ist schon darauf hingewiesen, daß es dem Mathematiker wenig ausmacht, ob eine Summe konstant gesetzt oder die Erfüllung anderer Gleichungen verlangt wird.
    11) Erkenntnis und Irrtum, Seite 141.
    12) Wärmelehre, Seite 421
    13) Erkenntnis und Irrtum, Seite 136; vgl. auch Anmerkung 10 oben.