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OSWALD KÜLPE
Über die Beziehung zwischen
körperlichen und seelischen Vorgängen


"Wie die Naturwissenschaft schon vor Jahrhunderten mit ihrem Prinzip der Subjektivität der Sinnesqualitäten die populäre Auffassung, daß die Dinge außerhalb von uns, selbst farbig oder kalt oder tönend usw. sind, auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Denkens beseitigt hat, so hat sie auch mit ihren Prinzipien der Erhaltung der Materie und der Energie jene populäre Anschauung von der kausalen Beziehung, der Verursachung, dem Bewirken innerhalb einer konsequenten Weltbetrachtung unmöglich gemacht."

"Jede Wissenschaft hat bei der systematischen Darstellung ihres Gebietes von gewissen Voraussetzungen auszugehen, die nicht bewiesen werden, aber mehr oder weniger zweckmäßig gewählt und ausgedrückt sein können. Unter diesen Voraussetzungen sind nicht die Definitionen zu begreifen, die eine lediglich logische Bedeutung haben und in sachlicher Beziehung willkürlich sind."

"Gesetze ... drücken nämlich einen allgemeinsten Zusammenhang aus, der für alle Einzelerscheinungen des betreffenden Gebietes in einer gewissen Richtung besteht. Sie bezeichnen die allgemeinsten Verhaltensweisen der hier aufzuführenden Gegenstände, die letzte Abstraktion unter den gesetzmäßigen Verknüpfungen, welche die Wissenschaft ermittelt hat."

Seit DESCARTES Geist und Körper als zwei verschiedene Substanzen auffaßte und doch zugleich aufgrund der Erfahrung eine Wechselwirkung zwischen ihnen behauptete, ist der Dualismus, weil er mit dem Namen dieses Philosophen auf das Engste verknüpft wurde, geradezu in Verruf gekommen. Dagegen erfreute sich die Annahme SPINOZAs, welche die empirische Verschiedenheit der psychischen und der physischen Vorgänge mit der metaphysischen Einheit einer sie beide tragenden Substanz verband, einer größeren Anerkennung. Die duplizistische Formel von den 2 Seiten ein und desselben Wesens und die Identitätslehre, welche dem scheinbaren Gegensatz von Körper und Seele die reale Identität beider gegenüberstellt, sind der Idee nach nur Ableger des Spinozismus. Daneben erhielt sich noch der Materialismus in den Kreisen der Naturforscher und der Spiritualismus in denen der Philosophen. Der Dualismus aber fand bis vor Kurzen nur eine ganz vereinzelte bescheidene Vertretung bei diesem oder jenem Schriftsteller, und mit dem Schlagwort vom influxus physicus [Beeinflussung der Seele durch den Leib - wp] oder mit der Aufzeigung des Widerspruchs, in den DESCARTES selbst geraten war, wurde alsbald in einer für die meisten befriedigenden Weise eine jede dualistische Verirrung abgetan.

Seit wenigen Jahren hat sich in diesen Verhältnissen eine merkwürdige Änderung vollzogen: Der Dualismus erhebt wieder sein Haupt, beginnt sich nach allen Richtungen hin zu rehabilitieren und beansprucht nicht nur das gleiche Recht mit den anderen Theorien, sondern erkühnt sich sogar als die einwandfreieste, natürlichste und wahrscheinlichste Anschauung gelten zu wollen. Zur Orientierung über die dadurch geschaffene Sachlage und zur Klärung des von neuem entfachten Widerstreits der Meinungen sollen die folgenden Zeilen den Lesern dieser Zeitschrift, die ein besonderes Interesse daran zu nehmen berechtigt sind, dienen. Ich fühle mich dazu schon aus dem Grund veranlaßt, weil ich selbst zu denen gehöre, die das alten Vorurteil gegen den Dualismus haben beseitigen helfen. (1) Eine Hauptrolle in dieser neuesten Phase der Lehre von den "psychophysischen Beziehungen" (2) hat der Begriff der Kausalität gespielt, und wir beginnen daher zunächst mit einer Erörterung desselben, soweit er für unsere Frage in Betracht kommt.


I. Der Begriff der Kausalität und seine Anwendung
auf die psychophysischen Beziehungen.

DESCARTES und SPINOZA teilten mit der Scholastik die Ansicht, daß jede Wirkung dem Vermögen nach in ihrer Ursache enthalten ist. "Woher anders", fragt DESCARTES, "kann denn die Wirkung ihren realen Inhalt nehmen, als von der Ursache?" Die Ursache kann mehr enthalten als die Wirkung, eine causa eminens [Urkausalität - wp] sein, oder sie kann dasselbe wie diese in sich tragen, als causa formalis, aber sie niemals einen geringeren Inhalt haben (3). SPINOZA erklärt, daß diejenigen Dinge, welche nichts unter sich gemein haben, auch nicht einander verursachen können, und beweist diesen Satz unter Heranziehung des Axioms, daß nichts durch einander begriffen werden kann, was nichts miteinander gemein hat, und des anderen Axioms, daß der Begriff der Wirkung von dem der Ursache abhängt und ihn einschließt. (4) Nach beiden Philosophen kann somit eine kausale Beziehung zwischen gänzlich oder wesentlich verschiedenen Erscheinungen nicht stattfinden. Trotzdem besteht nach DESCARTES ein inniger Zusammenhang zwischen Geist und Körper, zwei wesenhaft verschiedenen Dingen, und läßt sich eine wechselseitige, kausale Beeinflussung des einen durch das andere nicht bezweifeln, da sichere und einleuchtende Erfahrungen sie uns täglich lehren (5). Diesen offenkundigen Widerspruch im System der kartesianischen Welterklärung suchten die Okkasionalisten [Gelegenheitsursachler - wp] später dadurch zu beseitigen, daß sie die schon von DESCARTES selbst zumindest angedeutete Annahme der Mitwirkung Gottes bei den Wechselbeziehungen zwischen Seele und Körper ausbildeten, natürlich ohne den Schwierigkeiten damit von Grund auf abhelfen zu können.

Unabhängig vom Problem der psychophysischen Beziehungen entwickelte sich nachher eine neue allgemeine Theorie der Kausalität, insbesondere durch die scharfsinnigen Erörterungen von HUME und KANT. Während die ältere Lehre die Gleichartigkeit von Ursache und Wirkung betonte, hebt HUME im Gegensatz dazu ihre Verschiedenheit hervor. Nach ihm muß "Beliebiges die Ursache oder Wirkung von Beliebigem sein können". Das einzige Kriterium für die Annahme einer kausalen Verknüpfung ist die regelmäßige, durch keinen Ausnahmefall zweifelhaft gewordene Sukzession zweier Erscheinungen, während der Gedanke der Notwendigkeit einer solchen Beziehung im Zwang der Gewohnheit seine Wurzel hat, welcher Vorstellungen aneinander kettet, die in solcher Regelmäßigkeit aufeinander gefolgt sind. Und HUME schließt daraus, daß körperliche Bewegung auch die Ursache unserer Gedanken und Perzeptionen sein kann, ja daß sie es tatsächlich ist. (6) Ähnlich bestimmt KANT:
    "in der Verknüpfung von Ursache und Wirkung kann zwar auch Gleichartigkeit angetroffen werden, aber sie ist nicht notwendig; denn der Begriff der Kausalität (mittels dessen etwas durch etwas ganz davon Verschiedenes gesetzt wird) erfordert sie zumindest nicht." (7)
Nach KANT ist das einzige Anzeichen einer kausalen Verbindung in der Erfahrung die Sukzession in der Zeit, während die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit darauf beruhen, daß die Kausalität ein Stammbegriff des Verstandes ist.

Man hätte meinen sollen, daß mit dieser Umwandlung in der Auffassung der Begriffe Ursache und Wirkung auch der Widerspruch (100) hätte weggeräumt sein müssen, der der Behauptung einer Wechselwirkung zwischen Seele und Körper bei DESCARTES vermöge des von ihm festgehaltenen scholastischen Kausalbegriffs, den bereits GALILEI und GASSENDI nicht mehr teilten, anhaftet. Trotzdem hört man noch heute zur Widerlegung des Dualismus die alte Vorstellung von der Kausalität verwenden, nach der sie die Gleichartigkeit von Ursache und Wirkung voraussetzt. Und dabei hat man die Grundlagen dieser Voraussetzung längst und mit Recht fallen lassen, nämlich die Meinung, daß es sich mit den Gliederun einer ursächlichen Verknüpfung ebenso verhält wie mit zwei Begriffen, die auseinander hervorgehen oder folgen. Offenbar ist diese ontologische Gleichsetzung der logischen Abhängigkeit zweier Begriffe voneinander und der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung der eine Grund dafür, daß die für jene zweifellos bestehende Gleichartigkeit auch bei dieser statuiert wurde. Das Vorbild des Schlusses hat die Philosophie der Rationalisten DESCARTES und SPINOZA, wie man auch sonst weiß, lebhaft beeinflußt. Man faßte die Wirkung ähnlich auf wie eine Konklusion [Schlußfolgerung - wp], die nur da notwendig erscheint, wo die Voraussetzung die Folgerung bereits potentiell enthält. Der Gedanke einer realen Abhängigkeit neben der logischen mit eigentümlichen Merkmalen und Kriterien hat sich erst später Bahn zu brechen vermocht. Man kann daher in der Hervorhebung einer Gleichartigkeit bei den durch die Namen Ursache und Wirkung bezeichneten Prozessen den Rückfall in eine alte Denkgewohnheit erblicken, der umso auffallender ist, als es auch in unserem Jahrhundert zumindest einen bedeutenden Vertreter eines empirischen Dualismus gegeben hat, der sich ausdrücklich zu der neuen, durch HUME und KANT begründeten Kausalitätstheorie bekannte, nämlich LOTZE. Schon in seinem berühmt gewordenen Aufsatz "Über Leben und Lebenskraft" redet er von der Forderung, daß die Erfolge,
    "die einmal zu gewissen Bedingungen gehören, sich den Veränderungen dieser Bedingungen in irgendeiner Weise proportional verändern";
es werde jedoch keineswegs verlangt,
    "daß ihre Qualität an und für sich der Qualität der Bedingungen gleich oder ähnlich ist, oder sich auch nur aus ihnen entwickeln läßt." (8)
Allerdings wurzelt der Versuch, eine jede kausale Beziehung durch das Merkmal der Gleichartigkeit der in ihr verbundenen Glieder zu charakterisieren, nicht nur in der rationalistischen Verwechslung des Wirklichen mit dem Gedachten, der realen Vorgänge mit den Begriffen und ihren Verhältnissen, sondern auch in gewissen Vorstellungen einer populären Metaphysik. Wir glauben einem Gegenstand, der sich uns als Ursache darstellt, eine besondere Kraft zur Erzeugung, zur Hervorbringung der Wirkung zuschreiben zu müssen. Wir meinen beim Ereignis einer Verursachung ein schöpferisches Vermögen statuieren zu sollen, aus dem als ein selbstverständliches Produkt hervorgegangen sich die Wirkung denken läßt. Offenbar kann aber eine Ursache, die mit einer so ein Neues erzeugenden Kraft ausgerüstet wäre, nur das aus sich entstehen lassen, was schon irgendwie der Anlage, dem Keim nach in ihr selbst enthalten ist. Und so kommt man auch von diesem Gesichtspunkt aus zu der Annahme einer Gleichartigkeit oder zumindest Ähnlichkeit von Ursache und Wirkung. Wie das Kind den Eltern, denen es sein Dasein verdankt, gleicht, wie wir Lichteffekte auf Leuchtendes, Erwärmung auf Warmes zurückzuführen geneigt sind, so, behauptet man, müsse in jedem Fall eine Wirkung ihre Abhängigkeit von etwas anderem dadurch erweisen, daß sie mit ihm wesentlich übereinstimmt. Wie sollte aus eine Erscheinung etwas von ihr gänzlich oder auch nur der Hauptsache nach Verschiedenes entstehen können?

Aber diese Vorstellung einer weit verbreiteten populären Metaphysik hat sich - wie so manche andere derselben Herkunft - in der wissenschaftlichen Betrachtung der Welt kein Daseinsrecht erworben. Wie die Naturwissenschaft schon vor Jahrhunderten mit ihrem Prinzip der Subjektivität der Sinnesqualitäten die populäre Auffassung, daß die Dinge außerhalb von uns, selbst farbig oder kalt oder tönend usw. sind, auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Denkens beseitigt, so hat sie auch mit ihren Prinzipien der Erhaltung der Materie und der Energie jene eben charakterisierte populäre Anschauung von der kausalen Beziehung, der Verursachung, dem Bewirken innerhalb einer konsequenten Weltbetrachtung unmöglich gemacht. Denn nach diesen Prinzipien kann überhaupt nichts Neues, sei es nun etwas Stoffliches, sei es eine Energie, entstehen, sondern alle Veränderungen, die wir beobachten, sind lediglich Transformationen, die Verbindung vorher getrennter Teile miteinander oder die Trennung vorher verbundener Teile, der Übergang einer mechanischen Energie in eine thermische oder umgekehrt und dgl. mehr. Weder kann aus bloßen Keimen eine voll entwickelte Frucht ohne Weiteres entspringen, noch trägt ein verursachender Faktor eine unfaßbare Leistungsfähigkeit in sich, durch die es ihm gelingt, ein ihm ähnliches Neues zu produzieren, sondern nur die Formen des Zusammenhangs ändern sich in der Welt.

Unabhängig von diesen naturwissenschaftlichen Bestimmungen, deren Tragweise verschieden beurteilt worden ist und geschätzt werden kann, haben auch Philosophen diese Stütze der Annahme einer Gleichartigkeit von Ursache und Wirkung bereits zerstört, indem sie darauf hingewiesen haben, daß wir von eigentümlichen Kräften in den als Ursachen fungierenden Erscheinungen ebensowenig, wie von einem eigentlichen Mechanismus des Wirkens selbst irgendeine Anschauung oder Kenntnis zu gewinnen vermögen. Insbesondere hat HUME in einer der glänzendsten Partien seines philosophischen Hauptwerks (9) gezeigt, daß uns die Erfahrung auch nicht das Geringste über die Kraft und Wirksamkeit von Ursachen lehrt und daß daher auch die Notwendigkeit in der Verknüpfung der Glieder eines Kausalnexus nicht auf solchen Momenten beruhen kann. Nach ihm hat LOTZE wiederholt ausgeführt, daß wir für die kausalen Zusammenhänge in der materiellen Welt auch nicht den Schatten eines besseren Verständnisses besitzen, als für die psychophysischen Beziehungen.
    "Wie aber", sagt er z. B. (10), "die Elemente es anfangen, einander zu unveränderlicher Gestalt festzuhalten, oder wie sie es machen, Bewegungen zu übertragen, dieses Wesentliche des Wirkens zwischen Stoff und Stoff, bleibt seinem Hergang nach unsichtbar und die Gleichartigkeit der wirkenden Parteien trägt nichts zu seiner Begreiflichkeit bei. Sprechen wir daher von einer Wirkung zwischen der Seele und materiellen Elementen, so entbehren wir Nichts als die Anschauung der äußerlichen Szenerie, welche uns die Einflüsse von Stoff auf Stoff vertrauter machen, aber sie nicht erklären; den Stoß allerdings werden wir nie sehen, den das letzte Atom des Nerven auf die Seele oder sie auf dieses ausübt; aber auch zwischen zwei sichtbaren Kugeln ist der Stoß nicht die verständliche Ursache der Bewegungsmitteilung, sondern nur die anschauliche Form, unter welcher sie unbegriffen geschieht."
Die notwendige Folge dieser Veränderungen, welche der populäre Begriff der Kausalität in der Philosophie und in der Naturwissenschaft erfahren hat, ist eine gründliche Umgestaltung desselben überhaupt, mit der wir die moderne Erkenntnistheorie beschäftigt sehen. Während man einerseits, soweit es geht, die Begriffe der Kausalität, der Ursache und Wirkung, gänzlich aus der wissenschaftlichen Terminologie entfernen will, sucht man andererseits sie zu reinigen und auf eine tragfähigere logische Basis zu stellen. Wir glauben, daß diese letztere Bemühung den wissenschaftlichen Zwecken aus einem doppelten Grund besser entspricht, als der Radikalismus der ersten Ansicht, der namentlich von MACH (11) vertreten worden ist. Denn zunächst finden wir unter den vorhandenen zur Verfügung stehenden Begriffen nicht ohne Weiteres einen Ersatz für den der Kausalität, soweit dieser anerkannte Erfahrungstatsachen ausdrückt. Die Namen Bedingung und Folge (oder Bedingtes) bleiben zweckmäßigerweise für die elementaren Abhängigkeitsbeziehungen reserviert, in die man ein empirisch gegebenes Kausalverhältnis jederzeit zerlegen kann. Der mathematische Begriff der Funktion aber, an den MACH als Ersatz zu denken scheint, ist zu weit, als daß er die bisher als kausal bezeichneten Beziehungen eindeutig wiederzugeben vermöchte (12). Dazu kommt, daß der Ersatz der Begriffe Ursache und Wirkung nicht für die Naturwissenschaft allein berechnet oder bestimmt sein darf, da man auch in den sogenannten Geisteswissenschaften von kausalen Verhältnissen zu reden vielfach Veranlassung hat. Sodan aber würde die völlige Leugnung dessen, was in der populären Metaphysik des Kausalbegriffs auszeichnenderweise von ihm gedacht wird, einer kritischen Besonnenheit ebensowenig anstehen, wie die blinde Zustimmung zu diesem Gedanken. Mit Rücksicht auf eine mögliche Aussicht metaphysischer Interpretation aller kausalen Beziehungen erscheint es angemessen an der durch den populären Kausalbegriff angedeuteten Abgrenzung innerhalb der überhaupt vorhandenen Abhängigkeitsverhältnisse festzuhalten.

Die Form, in welcher die exakte Naturwissenschaft seit geraumer Zeit die Darstellung kausaler Beziehungen bringt, ist die der Funktion. Unter einer Funktion versteht man in der Mathematik dasjenige Verhältnis zweier oder mehrerer Größen zueinander, vermöge dessen jedem Wert oder jeder Gruppe von Werten der einen Größe je ein Wert oder eine Wertgruppe der anderen zugeordnet ist. Da alle Objekte der Naturwissenschaft sich dem Größenbegriff subsumieren lassen, so sind auch Funktionsbeziehungen zwischen ihnen durchweg möglich. Für die mathematische Funktion ist es nun völlig gleichgültig, welches Glied derselben man als unabhängig, welches als abhängig anzusehen hat. Bezeichnet man die eine Größe als die unabhängig veränderliche und entsprechend die andere als abhängig veränderliche, so ist das im Allgemeinen durchaus willkürlich. Für die Naturerscheinungen dagegen bringt die Zeit eine begrenzende Regel in diesen Zusammenhang hinein, wonach der zeitlich vorausgehende Faktor stets als der unabhängig veränderliche mit Rücksich auf den nachfolgenden angesehen werden muß. Ferner läßt sich eine Fülle von Größenbeziehungen in der Mathematik dem allgemeinen Begriff der Funktion unterordnen, insbesondere direkte ebenso gut wie indirekte. Verstehen wir unter den direkten oder gleichläufigen solche, bei denen die einander zugeordneten Größen in derselben Richtung sich verändern, während sie bei den indirekten im entgegengesetzten Sinn wachsen oder abnehmen, so erhellt sich wiederum, daß nur die ersteren für die kausalenn Zusammenhänge in Anspruch genommen werden können. Nur in einem uneigentlichen Sinn können wir sagen, daß irgendeine positive Veränderung die Ursache einer Herabsetzung, Verminderung, Abschwächung und dgl. ist. Wir werden vielmehr bei genauerer Interpretation nachweisen können, daß nur ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Wachstum dort und der Abnahme hier besteht. Endlich aber wird in der Mathematik über die Natur der in Funktionsbeziehungen stehenden Größen nichts bestimmt; wennn sie nur überhaupt in der geschilderten Weise einander zugeordnet werden können, ist auch eine Abhängigkeitsbeziehung im Sinne einer Funktion anzunehmen. In dieser Hinsicht muß für die kausale Verknüpfung gleichfalls eine beschränkende Bedingung hinzugefügt werden. Nicht alle zeitlich sukzedierenden [aufeinanderfolgenden - wp], in einer funktionellen Beziehung zueinander stehenden und dabei gleichläufig gerichteten Erscheinungen sind ohne Weiteres als kausal verbundene aufzufassen, sondern es muß noch ein Merkmal hinzugefügt werden, welches den Funktionsbegriff erst mit den bisher bezeichneten spezifischen Bestimmungen zu dem der Kausalität determiniert. Wir wollen dieses Merkmal dadurch andeuten, daß wir sagen, es müsse irgendwie die Möglichkeit einen Einfluß auszuüben, ein Angriffspunkt verwirklicht sein, wenn von zwei aufeinanderfolgenden und in gleichläufigen Funktionsbeziehungen gegebenen Erscheinungen soll behauptet werden können, daß sie im Kausalzusammenhang miteinander stehen. Die genauere Angabe der Formen, in welchen diese Verwirklichung stattfinden kann (13), muß einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben.

Es ist nicht schwer zu zeigen, daß alle hier zusammengestellten Merkmale des Kausalbegriffs, die ihn als ein logisches Derivat des Funktionsbegriffs betrachten lassen (14), nichts enthalten, was seine Anwendung auf die psychophysischen Beziehungen unmöglich machen würde. Dem allgemeinen Gesichtspunkt einer Größe sind die psychischen Vorgänge, wie jetzt kaum mehr bezweifelt wird, unterzuordnen. Weiterhin beruth die ganze experimentelle Psychologie, die heute keinen aprioristischen Einwand mehr zu fürchten braucht, auf der Voraussetzung einer funktionellen Beziehung zwischen dem Psychischen und gewissen physischen Prozessen. Auch die Annahme einer Sukzession kann zumindest nicht a limine [von Anfang an - wp] abgewiesen werden. Nicht minder wird man beiden Vorgängen die Möglichkeit nicht a priori absprechen dürfen aufeinander einen Einfluß auszuüben. Der einzige Grund, der bisher diese Möglichkeit bestreiten ließ, bestand ja in der Forderung, daß Ursache und Wirkung einander gleichartig sein müßten, und mit dieser Forderung hat die Erkenntnistheorie seit HUME, wie wir oben gesehen haben, gebrochen. Zuweilen hat man statt Gleichartigkeit nur die Vergleichbarkeit behauptet und die letztere für die psychischen und physischen Vorgänge bestritten. Wie wenig das zutrifft, erhellt sich aus der Subsumtion beider unter den Größenbegriff und dem erfolgreichen Versuch, gesetzmäßige Größenrelationen zwischen ihnen herzustellen. Wo das geschieht, kann doch von einer Unvergleichbarkeit schlechthin nicht mehr geredet werden. Jedenfalls kann hiernach aus dem wissenschaftlichen Kausalbegriff kein zwingender, ja nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsgrund hergenommen werden, der die Behauptung einer Wechselwirkung zwischen Seele und Körper ausschließen würde.

Wenn man trotzdem in der Psychologie der Gegenwart die dualistische Redeweise zu vermeiden und ein anderes, allgemeineres Prinzip für die psychophysischen Beziehungen anzwenden pflegt, so hat das seinen Grund - abgesehen von einer später zu würdigenden Schwierigkeit - im Mangel eines empirischen Nachweises für die nach der kausalen Betrachtung erforderliche zeitliche Sukzession. Sollen die physischen Vorgänge als Ursache der psychischen gedacht werden können, so müssen sie ihnen vorausgehen, sollen sie als ihre Wirkung auffaßbar sein, so müssen sie ihnen nachfolgen. Für diese mit der Anwendung des Kausalbegriffs implizit gesetzte Vorstellung einer Sukzession fehlt es nun gänzlich an einer entscheidenden Empfehlung von Seiten der Erfahrung. Wir wissen weder, daß die Empfindung, welche durch einen Lichtreiz veranlaßt wird, dem zentralen Nervenprozeß, den man als ihre unmittelbare Bedingung anzusehen hat, nachfolgt, noch daß der Entschluß zu einer bestimmten Handlung der zentralmotorischen Innervation [Nervenimpulse - wp], welche die Muskeln in Tätigkeit setzt, vorausgeht. Ja, es unterliegt einem begründeten Zweifel, ob wir jemals über das zeitliche Verhältnis dieser beiden Vorgänge zueinander aus der Beobachtung irgendetwas auszusagen imstande sein werden. So bedeutet dann auch die Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung von diesem Gesichtspunkt aus eine Transzendenz über das uns zu Gebote stehende Wissen hinaus. Sie erscheint somit als metaphysische, spekulative Spezialisierung eines Zusammenhangs, über den sich nach wissenschaftlichen Gründen nur in vorsichtigerer, allgemeinerer, diese besondere Deutung neben anderen zulassender Form urteilen läßt. Und zum gleichen Resultat gelangen wir, wenn wir, wie das im Folgenden geschehen soll, die Folgerung ziehen, die sich aus dem Satz von der Erhaltung der Energie für unsere Frage ergeben.


II. Die Bedeutung des Satzes von der Energie
für die psychophysischen Beziehungen.

Durch den Nachweis, daß die in der Natur vorhandenen Energieformen in streng regelmäßigen quantitativen Beziehungen zueinander stehen, vermöge deren es möglich ist, einem bestimmten Quantum einer Energie ein bestimmtes Quantum einer anderen äquivalent zu setzen, ist nicht nur der Gedanke einer allgemeinen Transformierbarkeit der verschiedenen Energieformen ineinander, sondern auch die Vorstellung einer konstanten Summe aller begründet worden. Es kann hiernach nirgends ein Quantum Energie verloren gehen und nirgends ein solches gewonnen werden, und alles Geschehen in der Natur besteht somit in bloßen Umwandlungen bestimmter Energieformen in andere. Man hat keine Bedenken getragen, diesen für das Gebiet der leblosen Natur sich bewährenden Satz auch auf die lebenden Substanzen auszudehnen, und damit selbst die organischen Prozesse in den Kreis des Äquivalenzgesetzes zu ziehen. Von einem vollständigen Nachweis der Allgemeingültigkeit dieses Satzes kann nun natürlich nicht die Rede sein. Ganz abgesehen davon, daß es noch nicht gelungen ist, jede Energieform in jede andere zu transformieren und somit für alle die Äquivalente zu bestimmen, fehlt es insbesondere auf dem Gebiet der Lebenserscheinungen noch sehr an einer Verifikation desselben. Wenn er sich trotzdem binnen kürzester Zeit eine unbezweifelt Anerkennung erworben hat, so beruth diese zumindest ebensosehr wie auf den empirischen Grundlagen auf gewissen aprioristischen Erwägungen, die mit dm Kausalbegriff eng zusammenhängen. (15) Schon in der antiken Philosophie galt der Grundsatz, daß aus Nichts Nichts werden und daß alles Entstehen und Vergehen nur als Mischung oder Entmischung angesehen werden kann. Das heißt aber nichts anderes, als daß weder etwas absolut Neues produziert noch etwas Vorhandenes absolut vernichtet werden kann. Dann muß aber auch die Summe aller in der Welt vorhandenen Materie und Energie konstant sein. Verhältnismäßig früh hat sich daher auch der Gedanke solcher Erhaltungsprinzipien in der Naturphilosophie eingestellt. Nicht in der Annahme, daß überhaupt etwas in der Welt als unverändert anzusehen ist, haben sich die früheren Philosophen, wie z. B. DESCARTES, geirrt, sondern nur in der Beziehung dieses Prinzips auf bestimmte Naturvorgänge, und bei der letzten für die Naturwissenschaft entscheidenden Aufstellung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft durch ROBERT MAYER spielt die aprioristische, auf eine Interpretation des Kausalbegriffs sich stützende Betrachtung eine vielleicht nicht weniger bedeutungsvolle Rolle, als der empirische Nachweis eines mechanischen Äquivalents der Wärme.

Allerdings wird diese Annahme eines teilweise aprioristischen Charakters des Satzes von der Erhaltung der Energie, also einer teilweisen Unabhängigkeit seiner Geltung von der Erfahrung vielfach bestritten. So sagt ERHARDT:
    "Daß es nicht angeht, das Gesetz als ein notwendiges Prinzip des Denkens und somit als ein gleichsam a priori feststehendes Axiom zu betrachten, dürfte heutzutage wohl so ziemlich von allen Seiten anerkannt werden. Es war nur eine nicht schwer zu erklärende Selbsttäuschung, wenn Robert Mayer glaubte, das Prinzip der Erhaltung der Kraft aus dem Satz causa aequat effectum [Ursache gleich Wirkung - wp] ableiten zu können. Denn dieser Satz vermag es offenbar Niemandem zu verwehren, z. B. beim Zusammenstoß zweier unelastischer Kugeln von gleicher Masse, die aus entgegengesetzter Richtung mit gleicher Geschwindigkeit aufeinander treffen, sich die tatsächlich erfolgende Wirkung mit dem Übergang beider Kugeln in den Zustand der Ruhe als vollständig erschöpft zu denken." (16)
Es bedarf keiner tiefgehenden Überlegung, um zu zeigen, daß das von ERHARDT gewählte Beispiel eine unserer Anschauung günstige Interpretation vom allgemeinen Kausalgesetz aus nicht nur zuläßt, sondern sogar fordert. Denn der Zustand der Ruhe tritt hier immer ein, wenn die beiden aus entgegengesetzter Richtung aufeinander treffenden elastischen Kugeln die gleiche Geschwindigkeit und Masse, also die gleiche lebendige Kraft haben. Dagegen kann im Übrigen Masse und Geschwindigkeit und somit die Größe der lebendigen Kraft beliebig veränderlich gedacht werden. Für diese veränderte Größe der lebendigen Kraft aber würde es an jeder äquivalenten Wirkung fehlen, wenn man den Zustand der Ruhe als den einzigen Effekt des Zusammentreffens beider Kugeln auffassen wollte. Man würde demnach eine Ursache ohne Wirkung haben und mit dem Kausalprinzip in einen offenkundigen Widespruch geraten. In der Tat ist es nach der oben kurz präzisierten Bestimmung des Kausalbegriffs, nach der er als ein logisches Derivat des mathematischen Funktionsbegriffs anzusehen ist, selbstverständlich, daß das Gesetz von der Erhaltung der Energie in einer gewissen Abhängigkeit vom Kausalprinzip steht. Denn denken wir uns die einzelnen Formen der Energie, sofern sie sich ineinander umwandeln, dem allgemeineren Begriff von Ursache und Wirkung untergeordnet, so müssen bestimmten Werten der einen bestimmte Werte der anderen entsprechen. Sieht man nun im Nachweis von Äquivalenten die Stütze für das Energiegesetz, so besteht das Empirische bei diesem Verfahren nur in der numerischen Bestimmung des Verhältnisses zweier Energieformen zueinander und in der Entdeckung, daß diese Äquivalenzen für Energien und nicht z. B. für Bewegungen (wie das cartesianische Erhaltungsprinzip forderte) besteht.

Das Kausalprinzip schließt eine Äquivalenz solcher Vorgänge, die wir als Ursache und Wirkung ansehen, notwendig ein. Es sagt aber nichts über die Natur dieser Vorgänge, soweit sie physikalisch-chemisch näher bestimmbar ist, aus. Das Energieprinzip seinerseits behauptet eine durchgehende Äquivalenz zwischen allen in der Welt vorkommenden Energieformen und demgemäß die Erhaltung der Gesamtsumme aller. Aber auch hier besteht im Einzelnen ein großer Spielraum. Denn erstens wird die speziellere Form der ineinander transformierbaren Energien durch das allgemeine Erhaltungsprinzip nicht determiniert. Es würde ebenso gut gelten, wenn es nur mechanische und thermische Energien gäbe, und es läßt die Frage nach der Zahl der in einem solchen Verhältnis stehenden Energien völlig offen. Zweitens setzt es nichts über die Bedingungen fest, unter denen die Transformation einer Energie in eine andere ihr äquivalente stattfindet. Ob dies von der Temperatur oder von einem chemischen Verwandtschaftsgrad, von einem Stoß oder von einer elektrischen Wechselwirkung abhängig ist, bleibt innerhalb des allgemeinen Energiesatzes völlig unbestimmt. Endlich ist es auch der empirischen Nachforschung gänzlich überlassen, das numerische Verhältnis zu ermitteln, welches die Äquivalenzbeziehung je zweier Energieformen zueinander ausdrückt. Ob 5 Maßeinheiten der einen etwa 17 oder 113 Maßeinheiten der anderen entsprechen, läßt sich durch das allgemeine Gesetz nicht im Voraus angeben.

An diesem Spielraum, der für die Anwendung des Energiesatzes übrig bleibt, werden wir nun die Frage zu prüfen haben, ob die Annahme einer Wechselwirkung psychischer und physischer Vorgänge mit diesem Satz verträglich ist oder im Widerspruch steht. Für das letztere Glied dieser Alternative entscheiden sich unbedenklich viele moderne Philosophen. Ihre Argumentation läuft im Wesentlichen darauf hinaus zu erklären, eine Einwirkung der Seele auf den Körper würde einen Gewinn, die umgekehrte Einwirkung des Körpers auf die Seele dagegen einen Verlust an physikalischer oder chemischer Energie zur Folge haben. Da nun das eine wie auch das andere mit dem Erhaltungsgesetz in Widerspruch steht, so ist eine solche Deutung der psychophysischen Beziehungen unmöglich. Wie man sieht, hat jedoch diese Beweisführung nur dann etwas Zwingendes, wenn man die psychischen Vorgänge als energiefremde Erscheinungen auffaßt oder wenn man die physikalischen und chemischen Energieformen für die einzig denkbaren hält. Für diese Voraussetzung besteht jedoch im allgemeinen Energiesatz selbst gar kein Anhaltspunkt, da er über die Natur der einzelnen Energieformen überhaupt nichts aussagt. Es würde sich also lediglich darum handeln, den Nachweis zu führen, daß der Begriff der Energie auf die psychischen Erscheinungen anwendbar ist und daß ein Äquivalenzverhältnis zwischen ihnen und gewissen physischen Vorgängen besteht, um daraus ohne Weiteres die Verträglichkeit der Annahme einer Wechselwirkung zwischen Seele und Körper mit dem Energieprinzip ableiten zu können. Mit dem zweiten hier erwähnten Nachweis ist die experimentelle Psychologie von ihren ersten Anfängen an beschäftigt gewesen, und wie sehr man vom Vorhandensein einer Äquivalenz der psychischen mit den physischen Erscheinungen überzeugt ist, lehrt allein schon die axiomatische Voraussetzung eines psychophysischen Parallelismus, die in der empirischen Psychologie der Gegenwart allgemein akzeptiert zu werden pflegt. (17) Darüber jedoch, ob man berechtigt ist, den Begriff der Energie auf die psychischen Vorgänge anzuwenden, besteht zur Zeit auch nicht der Schatten einer ernsthaften Untersuchung, und wir können daher, da wir nicht die Absicht haben, diese Lücke hier auszufüllen, in Bezug hierauf nur von einer offenen Frage reden.

Aber diese Eingliederung der psychischen Erscheinungen in den Kreis der vom Erhaltungsgesetz umschlossenen Energieformen bildet nicht die einzige Möglichkeit (18), welche die Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung rechtfertigt. Daneben hat insbesondere CARL STUMPF (19) darauf hingewiesen, daß die psychischen Vorgänge einerseits als Nebeneffekte gewisser physischer, andererseits als Nebenbedingungen derselben angesehen werden könnten, wobei im einen Fall kein Verlust, im anderen kein Gewinn physischer Energie stattfände. Ferner hat es nicht an Versuchen gefehlt, die psychophysische Wechselwirkung mit dem Energiesatz dadurch in Einklang zu bringen, daß man gewisse Änderungen der physischen Welt als durch das letztere unbestimmt bezeichnete. So macht KROMAN (20) darauf aufmerksam, daß das Erhaltungsprinzip sich nur auf die Geschwindigkeit, nicht auf die Richtung der Bewegung bezieht, und daß daher die Vorstellung eines Einflusses der Seele auf die Richtung körperlicher Bewegungen zu keiner Kollision mit dem Energiesatz führt, wenn nur die Geschwindigkeit der Bewegungen konstant bleibt. Einen ähnlichen Gedanken hat der bekannte Physiker BOLTZMANN geäußert, indem er erklärte,
    "daß mit dem Energiesatz eine Einwirkung des Psychischen auf das Physische nicht unverträglich ist, wenn man annimmt, daß diese Einwirkung normal gegen die Niveauflächen erfolgt." (21)

    Sodann haben Rehmke (22) und Wentscher (23) der Meinung Ausdruck gegeben, daß es sich beim Wirken der Seele auf den Leib nur darum handelt,

    "daß potentielle Energie des Gehirns lebendig wird. Die Veränderung, lebendige statt potentieller Energie, ist keine Vermehrung der Energie des Gehirns." (Rehmke)
Die psychischen Vorgänge haben hiernach die Bedeutung von auslösenden Prozessen, bei denen, da sich die auftretende lebendige Energie als genaues Äquivalent der aufgespeicherten potentiellen erweist, keine Bereicherung des schon vorhandenen Quantums eintritt. Doch haben sich gegen diesen an letzter Stelle mitgeteilten Versuch bereits ERHARDT (a. a. O. Seite 86f) und in einer noch klareren Begründung HERMANN SCHWARZ (24) gewandt, indem sie darauf hinwiesen, daß zu einer nicht von selbst vor sich gehenden Umwandlung potentieller Energie in lebendige allerdings irgendeine Arbeit geleistet werden muß und dadurch die Vermehrung der vorhandenen Energiesumme zweifellos mitgesetzt wird. Endlich hat SCHWARZ (a. a. O., Seite 269f) den Ausweg eingeschlagen, die Erhaltung der Energiesumme nur für den Zusammenhang physikalischer Kräfte anzuerkennen, währen außerphsyikalische Einflüsse eine Vermehrung der physikalischen Energie herbeizuführen vermöchten. Nur mit der vorhandenen physikalischen Energie ließe sich somit keine neue erzeugen, dagegen könnte der Eingriff der Seele zur Ursache für die Entstehung eines neuen Quantums physischer Energie werden.

Wie man sieht, sind alle diese Versuche, die Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung mit dem Gesetz von der Erhaltung der Energie in Einklang zu bringen, nicht gleichwertig. Man wird in Bezug auf die von STUMPF angegebene Möglichkeit offenbar die Schwierigkeit geltend machen können, daß hiernach die Ursache, bzw. die Wirkung in einer so unbestimmten Form bezeichnet wird, daß das Recht zu dieser Bezeichnung selbst zweifelhaft wird. Denn, worauf stützt sich die Behauptung, die Empfindung gehe aus einem bestimmten Nervenprozeß als notwendige Folge neben dessen physischen Wirkungen hervor? Entweder muß man annehmen, daß die Empfindung eine zufällige, unerklärliche Nebenerscheinung eines physischen Kausalzusammenhangs ist, oder dem Nervenprozeß neben den seinen physischen Wirkungen äquivalenten Eigenschaften noch irgendwelche anderen völlig unbekannten, wahre qualitates occutae, zuschreiben, durch die er befähigt würde, solche Nebenerscheinungen zu verursachen. Bei den von KROMAN und BOLTZMANN hervorgehobenen Möglichkeiten wird zunächst die einseitige Berücksichtigung eines psychischen Einflusses auf den Körper unbefriedigt gelassen und sodann die Vorstellung Befremden erwecken, daß ein psychischer Vorgang die Richtung einer vorhandenen Bewegung von sich aus soll ändern (25) oder auf die Niveauflächen senkrecht soll einwirken können. Nicht weniger wird die Konzeption von SCHWARZ so lange als eine bloße mathematische Fiktion zu gelten haben, als nicht irgendwelche positiven Gründe für ein derselben entsprechendes reales Verhalten angeführt werden. Eine solche empirische Begründung für die Annahme einer Vermehrung der vorhandenen physikalischen Energie durch psychische Einflüsse dürfte ihr einigermaßen schwer werden, wenn man an all die Beobachtungen denkt, die eine Geltung des Energiegesetzes für die Gesamtheit der psychophysischen Prozesse wahrscheinlich machen. Außerdem haftet auch ihr der KROMAN und BOLTZMANNN gegenüber angedeutete Mangel an, daß nur die eine Richtung der psychophysischen Beziehungen beachtet wird. Man wird daher, wie ich glaube, vorläufig die zuerst charakterisierte Möglichkeit als den gangbarsten Weg zur Vermeidung von Widersprüchen mit dem Energieprinzip betrachten müssen, wenn man die Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung vertreten will.

Daß sich in dieser Form ein völliger Einklang mit dem Erhaltungsgesetz erzielen läßt, wird von EBBINGHAUS (26) zugestanden. Dafür jedoch besteht nach ihm noch eine weitere Kollision für die uns hier beschäftigende Ansicht fort, nämlich mit dem "auf Erklärung und Zurechtlegung abzielenden Prinzip" der mechanischen Naturauffassung, nach dem alle materiellen "Zustände und Prozesse im Grunde nichts sind als Lageverhältnisse und Bewegungen." Diesem Prinzip wird "gleichsam der Nerv durchschnitten, wenn auch das Geistige als eine Energieform neben den anderen betrachtet werden soll." Das Gewicht dieses Einwands wird natürlich nach der Bedeutung zu beurteilen sein, die man dem Grundsatz einer mechanischen Interpretation allen Naturgeschehens beilegt. In dieser Beziehung aber wird man sicherlich, auch ohne die Bemühungen der modernen Energetik ins Feld führen, wesentlich anderer Meinung sein dürfen, als EBBINGHAUS. Während dieser behauptet, daß jener Grundsatz zu den "Fundamentalanschauungen von der Gestaltung der Außenwelt" gehört, "welche sich den mit ihrer Ermittlung Beschäftigten als die richtigsten und sachgemäßesten aufgedrängt haben", erklärt MACH (27) die mechanische Physik für "ein Schema, in dem wir die wirkliche Welt kaum wieder erkennen", für "ein chimärisches Ideal", das "in populären Vorlesungen oft als effektvolles Programm gedient", aber "im Arbeitsraum des ernsten Forschers ... kaum eine wesentliche Funktion gehabt" hat. Und als eine vorübergehende skeptische Anwandlung wird man dieses Urteil - wofür es EBBINGHAUS zu halten geneigt zu sein scheint - schon aus dem Grund nicht ansehen können, weil es sich auf die historische Erkenntnis der Leistungen der mechanischen Physik stützt. (28)

Die einzige ernsthafte Schwierigkeit also, die der Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung aus dem Erhaltungsgesetz erwächst, gründet sich auf die durch sie geforderte Anwendung des Begriffs der Energie auf die psychischen Vorgänge. Inwiefern diese statthaft ist oder nicht, darüber besteht zur Zeit keine auch nur einigermaßen befriedigende Aufklärung. Daß die tatsächlichen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen seelischen und körperlichen Erscheinungen und die Möglichkeit der Aufstellung quantitativer Relationen für dieselben noch keinen genügenden Grund zu einer solchen Erweiterung des Umfangs beim Energiebegriff abgeben, läßt sich, wenn man nicht exklusiv energetischen Anschauungen huldigt, unschwer begreifen. Somit erweist sich auch hierin die Behauptung einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele als die durch unser Wissen nicht ausreichend fundierte Spezialisierung einer allgemeineren Auffassung des Tatbestandes. Solange noch andere speziellere Deutungen desselben, wie z. B. die Identitätslehre, als Möglichkeiten zugelassen werden müssen, ist daher in der Einzelwissenschaft eine vorsichtigere Ausdrucksweise anzuwenden, die wir im Prinzip des psychophysischen Parallelismus jetzt noch genauer zu erörtern haben.


III. Das Prinzip des
psychophysischen Parallelismus.

Jede Wissenschaft hat bei der systematischen Darstellung ihres Gebietes von gewissen Voraussetzungen auszugehen, die nicht bewiesen werden, aber mehr oder weniger zweckmäßig gewählt und ausgedrückt sein können. Unter diesen Voraussetzungen sind nicht die Definitionen zu begreifen, die eine lediglich logische Bedeutung haben und in sachlicher Beziehung willkürlich sind. Wir verstehen darunter vielmehr die sogenannten Axiome, die bekanntlich in der Geometrie, überhaupt in der Mathematik, und in der Naturwissenschaft eine größere Rolle spielen. So werden das Gesetz der Trägheit oder das Gesetz von der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung in der Mechanik als Axiome an die Spitze der ganzen Darstellung gesetzt. Ohne bestreiten zu wollen, daß sie von einem allgemeineren Gesichtspunkt aus ihre Begründung zu finden vermöchten, wollen wir nur betonen, daß sie eine solche innerhalb des Gebietes, für welches sie als geltend behauptet werden, nicht erhalten können. Sie drücken nämlich einen allgemeinsten Zusammenhang aus, der für alle Einzelerscheinungen des betreffenden Gebietes in einer gewissen Richtung besteht. Sie bezeichnen die allgemeinsten Verhaltensweisen der hier aufzuführenden Gegenstände, die letzte Abstraktion unter den gesetzmäßigen Verknüpfungen, welche die Wissenschaft ermittelt hat. Infolge dieser logischen Allgemeinheit haben sie für alles Individuelle und Besondere eine Bedeutung, wirken sie daher als Voraussetzungen bei der Schilderung eines speziellen Tatbestandes mit, ohne daß doch diese Detailerscheinungen, die natürlich zur Auffindung solcher Axiome die erste Veranlassung geboten haben, als Beweis für sie verwendet werden könnten. Aber ihre Geltung ist selbstverständlich davon abhängig, wie sie sich gegenüber den besonderen Erfahrungen bewähren, und jedes Versagen in irgendeinem Einzelfall muß unausbleiblich zu einer Modifikation oder Beseitigung des Axioms führen.

Eine solche allgemeinste Voraussetzung über das Verhältnis der physischen zu den psychischen Prozessen besteht jedenfalls auch für die Psychologie, zumindest für die Psychophysik. Überall da, wo diese Wissenschaften im Einzelnen auf solche Beziehungen zu sprechen kommen, so z. B. wenn sie die Abhängigkeit der Intensität einer Empfindung von gewissen Eigenschaften des Reizes oder einer Gedächtnisstörung von pathologischen Veränderungen im Gehirn oder einer Willenshandlung von bestimmten Motiven und Überlegungen beschreiben, wird irgendeine Anschauung über die Natur derartiger Beziehungen vorausgesetzt. Daraus ergibt sich die Aufgabe, ein Axiom oder ein Prinzip so zu formulieren, daß es den in der Erfahrung gegebenen Erscheinungen des betreffenden Zusammenhangs genügt, nicht mehr und nicht weniger enthält, als sich in ihnen nachweisen läßt. Diesem Bedürfnis ist man in den letzten Jahrzehnten durch die Aufstellung des Prinzips von psychophysischen Parallelismus nachgekommen, welches besagt, daß einem jeden psychischen Vorgang ein bestimmter physischer parallel geht. Da nun zwei Linien, die einander parallel laufen, als funktional voneinander abhängig anzusehen sind, so liegt in dem Ausdruck psychophysischer Parallelismus die Behauptung, daß eine Funktionsbeziehung zwischen den psychischen und den ihnen zugeordneten physischen Prozessen obwaltet. Diese letzteren, die im Gehirn lokalisiert werden, bezeichnet man als psychophysische Prozesse (29) Der Prüfstein für die Brauchbarkeit dieses Prinzips ist die Erfahrung. Es wäre umgestoßen, wenn sich ein Bewußtseinsvorgang nachweisen ließe, dem kein psychophysischer entspräche, oder wenn in einem bestimmten Fall von keinem Parallelismus zwischen beiden geredet werden dürfte. Ob man mit Hilfe desselben irgendein psychisches Ereignis aus einem physischen oder umgekehrt zu erklären vermag, darüber sagt das Prinzip nichts aus; es behauptet nur, daß eine jede Beziehung zwischen beiden denjenigen allgemeinen Charakter an sich tragen muß, den es zum Ausdruck bring. Es könnte ja daneben die Reihe des Psychischen eine in sich geschlossene und nicht weniger die korrespondierende psychophysische Reihe eine lückenlos zusammenhängende sein. Wenn sich z. B. der metaphysische Monismus oder die Identitätslehre als richtig herausstellen sollte, so würde das Prinzip des psychophysischen Parallelismus keine Veränderung erfahren, und dennoch jede eigentliche Erklärung eines Gliedes der einen Reihe aus einem Glied der anderen unmöglich werden. Nur da, wo ein neuer sonst nicht zu erklärender Anfang innerhalb einer solchen Reihe konstatiert werden müßte, wie es z. B. das Auftreten einer durch einen äußeren Reiz veranlaßten Empfindung innerhalb der psychischen Reihe ist, würde das Bedürfnis nach einer Erklärung durch den parallel laufenden psychophysischen Prozeß entstehen. Aber in unserem Axiom selbst ist schon deshalb mit dem gleichen Recht die umgekehrte Ableitung, von der man doch allgemein abzusehen pflegt, fordern ließe.

Darin eben sehen wir die wichtigste Bedeutung dieses Axioms, daß es sich von jeder metaphysischen Interpretation der Tatsachen fernhält. Wer in der Psychologie oder der Psychophysik dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus gemäß verfährt, kann, wie wir eben zeigten, Monist, bzw. Identitätstheoretiker sein, kann aber auch nicht weniger Spiritualist, Materialist oder Dualist sein. Denn da es keine kausale, sondern nur eine funktionale Beziehung zwischen psychischen und physischen Vorgängen behauptet, so läßt sich deren Zusammenhang sowohl nach dem Schema der zwei Seiten ein und desselben Wesens, als auch in kausaler Form nach einem dualistischen, materialistischen oder spiritualistischen Rezept auffassen. Es greift somit der Metaphysik in keiner Richtung vor und bewährt sich dadurch als ein einer Erfahrungswissenschaft angepaßtes Axiom. Würde es innerhalb der genannten metaphysischen Parteien eine zustimmende oder ablehnende Haltung einnehmen, so würde es zuviel behaupten, über die Grenzen des erfahrungsmäßig Nachweisbaren hinausgehen. Insbesondere ist es ein Irrtum, wenn gewisse Psychologen (z. B. HÖFFDING) und EBBINGHAUS) den psychohysischen Parallelismus mit der Identitätslehre in Verbindung bringen, und damit zugleich die Annahme einer Wechselwirkung in einem dualistischen Sinn bekämpfen. Ein solches Verfahren verstößt gegen die erkenntnistheoretische Forderung, daß eine Einzelwissenschaft nicht mit metaphysischen Voraussetzungen belastet werden darf. Aber aus diesem von Psychologen selbst eingenommenen Verhalten erklärt sich die bei außerhalb Stehenden nicht seltene Verwechslung des Axioms vom psychophysischen Parallelismus mit der Identitätstheorie. So versteht ERHARDT unter der "Theorie" des psychophysischen Parallelismus in erster Linie eine Lehre, die die Leugnung einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele einschließt (30). Zwar erwähnt er (Seite 22) auch die Bedeutung einer durchgehenden Korrespondenz zwischen geistigen und materiellen Prozessen, aus der sich keineswegs die Unmöglichkeit von kausalen Beziehungen zwischen Leib und Seele ergibt, doch interessiert ihn diese Bedeutung des Ausdrucks weiter nicht. In der Tat wäre seine Kritik der Lehre vom psychophysischen Parallelismus wohl ungeschrieben geblieben, wenn ihn diese für die psychologische Wissenschaft allein in Betracht kommende Bedeutung interessiert hätte. Ebenso faßt WENTSCHER den psychophysischen Parallelismus "in seiner Opposition gegen all und jede Wechselwirkung" (31); aber auch er gibt (Seite 118) zu, daß "ein durchgehender Parallelismus" mit der Annahme eines kausalen Wechselverhältnisses zwischen Gehirn- und psychischen Vorgängen verträglich ist.

So wie sich die geometrischen Axiome mit jeder denkbaren metaphysischen Interpretation des Raums vertragen, so läßt sich auch das Prinzip des psychophysischen Parallelismus in jede metaphysische Anschauung von Leib und Seele hinübernehmen. Daß sich in der Psychologie diese Beziehung zwischen einem einzelwissenschaftlichen und metaphysischen Gesichtspunkt noch immer nicht mit der wünschenswerten Klarheit äußert, hängt mit der Tatsache zusammen, daß sie lange als eine philosophische Disziplin gegolten hat und sich gegenwärtig nur allmählich von der Vereinigung mit der Philosophie zu lösen beginnt. Wir können nun aber auch die Sache umkehren und mit aller Entschiedenheit erklären, daß eine jede der angeführten metaphysischen Richtungen nur insofern als berechtigt anzusehen ist, als sie mit dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus im Einklang steht. Es ist Zeit, daß auch für die Psychologie der Zustand aufhört, den die einseitige Herrschaft einer metaphysisch gerichteten Philosophie über alle Erfahrungswissenschaften zu verhängen beliebt hat, nämlich als wenn es ihr frei stünde, die Tatsachen, deren Bearbeitung einzelnen Disziplinen anvertraut ist, in anderer Weise aufzufassen, ihnen eine andere wesentlich abweichende Bedeutung zu verleihen, als es hier geschieht. Die Geschichte der Naturphilosophie SCHELLINGs bietet für das auf diesem Weg Erreichbare ein für allemal das abschreckende Beispiel. Zwar sind wir weit davon entfernt, dieser Naturphilosophie allen Unsinn aufzubürden, den ein willkürliches Herausreißen einzelner Sätze zutage zu fördern scheint (32). Aber sie trat mit dem unverhüllten Anspruch auf über die Tatsachen der Natur Anderes und Richtigeres lehren zu könen, als es der Naturwissenschaft möglich ist. Mit dem gleichen Verhalten muß der Psychologie gegenüber ebenfalls gebrochen werden. Es darf nicht von philosophischer Willkür abhängen, ob man eine von ihr ermittelte Gesetzmäßigkeit so oder anders zu bestimmen und zu begreifen habe, sondern es heißt hier einfach entweder mitforschen oder sich den Forschungsresultaten anpassen. Der psychophysische Parallelismus ist nun zweifellos ein Prinzip, das sich der empirischen Untersuchung der einzelnen einschlagenden Phänomene gegenüber bewährt hat. Es kann daher auch nicht mehr von diesem Prinzip oder der Annahme einer Wechselwirkung im Sinne eines ausschließenden Gegensatzes die Rede sein, sondern die letztere muß, wenn sie überhaupt ernst genommen werden soll, das erstere in sich aufnehmen können.

Der unzweifelhafte Vorzug des Axioms vom psychophysischen Parallelismus vor der Behauptung einer psychophysischen Wechselwirkung besteht darin, daß die Schwierigkeiten, welche der letzteren anhaften, beim ersteren fortfallen. Denn unser Axiom enthält keine Aussage über das zeitliche Verhältnis der Bewußtseinsvorgänge und der ihnen korrespondierenden psychophysischen Prozesse, es gilt unabhängig davon, ob dieses Verhältnis als das der Gleichzeitigkeit oder das der Sukzession aufgefaßt wird. Nicht minder spielt das Bedenken, welches der Anwendung des Energiebegriffs auf die psychischen Vorgänge entgegensteht, beim Parallelprinzip keine Rolle. Denn es ist offenbar, wenn man von einer lediglich funktionalen Beziehung zwischen beiden Reihen redet, eine Auseinandersetzung mit dem Satz von der Erhaltung der Energie völlig überflüssig. Selbstverständlich gilt diese Überlegenheit über den Dualismus in anderer Form auch gegenüber den anderen metaphysischen Richtungen, die zudem noch den Nachteil haben, in einen erheblicheren Konflikt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu treten, oder einen größeren Schritt in das Gebiet des Transzendenten zu wagen (33). Wir werden somit in der Psychologie, wenn sie die Fähigkeit besitzen soll, sich als eine Erfahrungswissenschaft zu gestalten, mit dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus in der erwähnten Fassung allein auszukommen haben, solange uns nicht der Fortschritt unserer Erkenntnis eine speziellere Formulierung gestattet. (34)

Damit soll jedoch nicht bestritten werden, daß diese vorsichtigere Auffassung des Verhältnisses von Körper und Seele, wie sie im Prinzip des psychophysischen Parallelismus vorliegt, keine endgültig befriedigende sein kann. So gewiß die Bewußtseinsvorgänge und die Gehirnprozesse Realitäten sind, deren Bedeutung sich nicht darin erschöpft, als Größen im Sinne der Mathematik betrachtet werden zu können, so gewiß wird auch die zwischen ihnen bestehende Beziehung nicht allein als eine logisch-mathematische anzusehen sein. Sicherlich ist es gut und notwendig, wenn wir den Widerstreit der sich hier eröffnenden Möglichkeiten miteinander aus dem Gebiet der Einzelwissenschaft hinausverlegen. Wir erfahren dadurch zugleich ökonomisch, indem wir der fortschreitenden Forschung durch die exakte Formulierung des bisher Erreichten die Handhabe geben, nur an einem Punkt die notwendig gewordene Modifikation eintreten zu lassen. Man mag es ebenfalls als eine verdienstliche Entsagung preisen, daß der Einzelforscher die weniger befriedigende, aber dem Stand derzeitiger Erkenntnis adäquatere Bestimmung der befriedigenderen, aber nicht in demselben Maße zureichend begründeten Annahme vorzieht. In diesem Sinne sagt MACH:
    "Die Naturwissenschaft tritt nicht mit dem Anspruch auf, eine fertige Weltanschauung zu sein, wohl aber mit dem Bewußtsein, an einer künftigen Weltanschauung zu arbeiten. Die höchste Philosophie des Naturforschers besteht eben darin, eine unvollendete Weltanschauung zu ertragen, und einer scheinbar abgeschlossenen, aber unzureichenden vorzuziehen." (35)
Aber hier, wo die Wissenschaft zur Zeit endet, da darf und kann die philosophische Untersuchung einsetzen, nicht mit der ohnmächtigen Forderung die von ihr gefundenen oder plausibel gemachten Einsichten dem System wissenschaftlicher Erkenntnisse eingefügt zu sehen, wohl aber in der berechtigten Überzeugung, daß eine Ergänzung des vom Einzelforscher dargestellten Weltbildes nach Maßgabe aller hierfür in Betracht kommenden Faktoren mit dem Charakter der größten Wahrscheinlichkeit ausgestattet werden muß. Und eine logische Voruntersuchung über die vorhandenen Möglichkeiten, über die von den verschiedenen Wissenschaften angebahnten oder erstrebten Zielpunkte wird auch von demjenigen als eine nicht zu unterschätzende Hilfe bei seiner Arbeit entgegengenommen werden, der im Übrigen von dem stolzen Bewußtsein erfüllt ist, eine unvollkommene Weltanschauung ertragen zu wollen. Zumindest sagt MACH an einer anderen Stelle ausdrücklich, man solle nicht undankbar vergessen,
    "daß die Keime der Gedanken, welche die Spezialforschung heute noch durchleuchten ... sich in weit entlegene Zeiten auf philosophische Quellen zurückverfolgen lassen. Es ist auch gar nicht gleichgültig, ob ein Mensch den Versuch der Orientierung in der Welt mit einer Erkenntnis der Unzulänglichkeit der Mittel aufgeschoben, aufgegeben, oder ob er denselben gar nie unternommen hat. Diese Unterlassung rächt sich ja dadurch, daß der Spezialist auf seinem engeren Gebiet in dieselben Fehler wieder verfällt, welche die Philosophie längst als solche erkannt hat." (36)
Nachtrag zu Seite 100: Auch RIEHLs Versuch, den Satz von der Kausalität als die Anwendung des logischen Prinzips vom Grunde auf die zeitliche Veränderung der Erscheinungen zu erweisen (Philosophischer Kritizismus II, 1, Seite 263f) erscheint mir mißglückt. Da solche Versuche vor Allem dazu dienen die eigentümliche Notwendigkeit zu erklären, die der Verknüpfung zweier Erscheinungen nach der Regel der Kausalität innewohnt, so sei hier kurz Folgendes bemerkt. Es ist durchaus nicht notwendig, daß jeder beliebige Vorgang ohne Weiteres als Ursache, bzw. Wirkung angesehen wird, sondern es besteht in Bezug hierauf nur jene subjektive Nötigung HUMEs, die sich aufgrund der Gewohnheit ausgebildet hat. Aber es ist notwendig einen beliebigen Vorgang die Ursache bzw. die Wirkung eines anderen zu nennen, wenn sich bei ihm die für diese Begriff festgesetzten Merkmale finden, und es ist notwendig die Ursache auf eine zugehörige Wirkung und umgekehrt zu beziehen, weil beide korrelate Begriffe sind. Diese Arten der Notwendigkeit, die Anwendung eines bestimmten Begriffs auf einen bestimmten, mit den entsprechenden Eigenschaften ausgerüsteten Tatbestand, und die Beziehung zweier korrelater Begriffe aufeinander, sind logischer und nicht psychologischer Natur. Von der realen Notwendigkeit, dem Zwang zu reden, muß der wissenschaftliche Forscher dem Metaphysiker, der das Wesen der Dinge deutet, überlassen.
LITERATUR - Oswald Külpe, Über die Beziehung zwischen körperlichen und seelischen Vorgängen, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. 7, Leipzig 1898
    Anmerkungen
    1) Külpe, Einleitung in die Philosophie, 1895, § 18. Den Standpunkt, den ich hier vertreten habe, kann ich im Folgenden ausführlicher darlegen und begründen.
    2) Dieser Name soll ein kurzer Ausdruck für die Beziehungen zwischen den psychischen und physischen Vorgängen sein.
    3) Descartes' Hauptschriften zur Grundlegung seiner Philosophie (übersetzt von Kuno Fischer, 1868, Seite 97f.
    4) Spinoza, Ethices pars. I. propos. III. und Axiom. IV, V.
    5) vgl. Arthur Kayserling, Die Idee der Kausalität in den Lehren der Okkasionalisten, 1896, Seite 14f.
    6) Humes Traktat über die menschliche Natur I (übersetzt von Köttgen und Lipps) 1895, Seite 322, 324.
    7) Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Reclam-Ausgabe, Seite 128 (§ 53). Vgl. auch "Kritik der reinen Vernunft", Reclam-Ausgabe, Seite 427.
    8) Hermann Lotze, Kleine Schriften I, 1885, Seite 144. Vgl. Grundzüge der Psychologie, Diktate aus den Vorlesungen, 1881, Seite 60f.
    9) Hume, a. a. O., Seite 210f (III. Teil, 14. Abschnitt).
    10) Lotze, Metaphysik, zweite Auflage, 1884, Seite 493
    11) Ernst Mach, Populär-wissenschaftliche Vorlesungen, zweite Auflage, 1897, Seite 276f: "Ich hoffe, daß die künftige Naturwissenschaft die Begriffe Ursache und Wirkung, die wohl nicht für mich allein einen starken Zug von Fetischismus haben, ihrer formalen Unklarheit wegen beseitigen wird." Dieser Hoffnung entspricht bereits Boltzmann, Vorlesungen über die Prinzipien der Mechanik I, 1897, der Seite 37, Anmerkung, erklärt, daß in seiner Darstellung "die Begriffe Ursache und Wirkung" "ganz vermieden" werden, und daran seinerseits die Hoffnung knüpft, daß gegen die hier gewählte Darstellung erkenntnistheoretische Einwände nicht gemacht werden können."
    12) Der bekannten Forderung Kirchhoffs, die Tatsachen vollständig zu beschreiben, würde man offenbar nicht gerecht, wenn man die Besonderheit der kausalen Beziehung durch die Wahl eines umfassenderen Begriffs in der Beschreibung nicht hervortreten lassen würde.
    13) Eine von ihnen wäre eine gewisse räumliche Konstellation, von der jedoch dahingestellt bleibt, ob sie, wie Hume es will, den unmittelbaren Kontakt einschließt.
    14) Natürlich kann er unter einem anderen Gesichtspunkt auch als ein logisches Derivat des Begriffs einer zeitlichen Sukzession aufgefaßt werden.
    15) Das ist auch die Ansicht Riehls (Der philosophische Kritizismus II, 1, Seite 258f).
    16) Franz Erhardt, Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, 1897, Seite 72.
    17) Mit Rücksicht auf diesen Zusammenhang habe ich daher in meiner "Einleitung in die Philosophie" (Seite 150) von einer besonderen Rechtfertigung der Annahme einer Äquivalenz der geistigen mit den materiellen Prozessen verzichten zu dürfen geglaubt, was von Erhardt (a. a. O., Seite 90, Anm.) freilich nicht verstanden worden ist (ich spreche an der angeführten Stelle nur von einer einfachen Annahme, nicht von einer einfachen Sache!)
    18) Sie ist bereits von Lotze (vgl. z. B. "Metaphysik", Seite 415f) vertreten worden und wird auch von Stumpf (III. Internationaler Kongreß für Psychologie, 1897, Seite 12) und von Erhardt (a. a. O., Seite 63f) zumindest als "gangbarer Weg" behandelt.
    19) a. a. O., Seite 12f.
    20) Kristian Kroman, Kurzgefaßte Logik und Psychologie (deutsch von Bendixen), 1890, Seite 119f.
    21) Alois Höfler, Psychologie, 1897, Seite 58f, Anm.
    22) Johannes Rehmke, Lehrbuch der allgemeinen Psychologie, 1893, Seite 111f
    23) Else Wentscher, Über physische und psychische Kausalität etc., 1896, Seite 33f, 37f.
    24) Hermann Schwarz, Monatsheft der Comenius-Gesellschaft, Bd. VI, Seite 267f.
    25) Ganz abgesehen davon, daß die Änderung der Richtung auch Energie erfordert, vgl. Edmund König, Die Entwicklung des Kausalproblems II, 1890, Seite 481.
    26) Ebbinghaus, Grundzüge der Psychologie, 1897, Seite 33f
    27) Mach, Populär-wissenschaftliche Vorlesungen, zweite Auflage, 1897, Seite 181.
    28) Man vergleiche dazu auch Hillebrands treffende Kritik der Schrift von Wladislaw Heinrich, Die moderne physiologische Psychologie etc. in der "Deutschen Literaturzeitung, 1896, Spalte 643f.
    29) G. E. Müller hat kürzlich (Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. X, Seite 1f) dieses Prinzip in vier Axiome zerlegt, die den Inhalt desselben deutlicher und schärfer hervortreten lassen. Wir glauben das Wesentlichste seiner Ausführungen oben mit Hilfe der Bestimmung dessen, was unter einem Parallelismus zu verstehen ist, wiedergegeben zu haben.
    30) Erhardt, a. a. O., Seite 23, 26.
    31) Wentscher, a. a. O., Seite 99, 104, 113.
    32) Zum Beispiel "Kohäsion" aktiv gedacht = Magnetismus; alle Körper sind potentialiter im Eisen enthalten; die allgemeine Tendenz des chemischen Prozesses ist alle Materie in Wasser zu verwandeln und dgl. mehr.
    33) vgl. meine "Einleitung in die Philosophie", § 16f.
    34) Dieser Anschauung habe ich bereits in dem Aufsatz "Das Ich und die Außenwelt" (Philosophische Studien, Bd. VIII, Seite 333f und 338f) und in meinem "Grundriß der Psychologie", Seite 2, Ausdruck gegeben.
    35) Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 1883, Seite 437.
    36) Mach, Populär-wissenschaftliche Vorlesungen, Seite 283f.