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[mit NS-Vergangenheit] Immanuel Kant
I. Zum Problem und allgemeinen Charakter der Methode der transzendentalen Erkenntnislehre In der Vulgärliteratur, deren Tendenz das Wort "transzendental" in verzerrter und entstellter Bedeutung auch in die weitesten Kreise getragen, wo dann die Halbbildung damit prunkt, begegnet es uns meist im Sinne des Überschwenglichen. Da reden Musikrezensenten von den "transzendentalen Akkorden" BEETHOVENs, Literaten sogar von der "transzendentalen Magie" des NOVALIS (das sind nicht, wie der philosophische Fachmann gern glauben möchte und glauben sollte, nur des Beispiels wegen erfundene, sondern in unserem Zeitalter wirklich vorgefundene Bildungsbelege), als ob, wer so redet, nicht ebenso gut von seinem eigenen transzendentalen Mißverständnis anstatt richtig von seinem kapitalen Mißverständnis des Transzendentalen sprechen könnte. Stets soll dieses hier doch die Bedeutung des Überschwenglichen, "allem Irdischen entrückten" haben, und wenn sich der, der es so versteht, vollends an die Philosophie heranmacht, so kann es für ihn nur noch den Sinn metaphysischer, über alle Erfahrung hinausliegender geheimnisvoller Dinge besitzen. So aber ist seine eigene philosophische Bedeutung glücklich auf den Kopf gestellt. Für KANT bedeutet es gerade das Gegenteil. Transzendental nennt er zunächst sein Verfahren, seine Methode, nicht irgendein geheimnisvolles Ding. Das ist das Erste. Und zweitens ist diese Methode soweit davon entfernt, ohne allen Zusammenhang mit der Erfahrung zu sein, daß sie vielmehr mit ihr im innigsten Zusammenhang steht, der überhaupt logisch bestehen kann. Das aber, das über alle Erfahrung hinaus liegt, nennt KANT nicht "transzendental", sondern gerade zum Unterschied davon "transzendent". Darunter fallen ihm alle Gegenstände der alten Metaphysik, die seiner Auffassung nach mit der Erfahrung in der Tat in keinem logischen Begründungszusammenhang mehr stehen. Der engste logische Zusammenhang aber, der überhaupt möglich ist, liegt eben in der Funktion des Begründens; und in keinem anderen Verhältnis als in eben dem des Begründens steht zur Erfahrung gerade die transzendentale Methode. Schon das bloße Wort "Erfahrung" hat in den allerersten Sätzen der "Kritik der Vernunft" beider Ausgaben eine sehr bevorzugte Stellung, in der ersten Ausgabe ist es geradezu das erste Wort des ersten Satzes der Einleitung. Da könnte doch diese Äußerlichkeit schon jedem Versuch gegenüber, die Transzendentalphilosophie außer allen Zusammenhang mit der Erfahrung zu setzen, etwas zu denken geben. Wer aber vollends sich beim Wort nicht beruhigt, sondern zum Begriff vordringt, der muß finden, daß gerade der Begriff der Erfahrung im Mittelpunkt des Problems der ganzen theoretischen Vernunftkritik steht. Und KANT selbst bezeichnet auch mit eigenen ausdrücklichen Worten die "Möglichkeit der Erfahrung" als das Problem der Vernunftkritik. Damit hat er das Erkenntnisproblem aus aller Unbestimmtheit befreit, in der es trotz der Bedeutung der Fragestellung seiner Vorgänger, bei diesen im Grunde doch noch verblieben war. Erst jetzt ist jene seine höchste Distinktheit inauguriert [eingesetzt - wp], die das kritische Verfahren vollenden sollte. Erfahrung soll begründet werden, und diese Begründung soll die "transzendentale Methode" leisten. Dazu muß sie freilich von dem, was begründet werden soll, fortschreiten zu dem, worauf es begründet werden soll. Sie muß also fortschreiten von der Erfahrung zu den Grundlagen der Erfahrung. Die Grundlagen der Erfahrung und die Erfahrung, sowie die Begründung dieser auf jenen können darum nicht zusammenfallen und müssen streng voneinander unterschieden werden, wie überhaupt der logische Grund, das zu Begründende und die Begründung nicht zusammenfallen können, sondern voneinander streng unterschieden werden müssen. In diesem Sine ist das Fortschreiten über die Erfahrung auch ein unterscheidendes Transzendieren der Erfahrung. Aber dieses unterscheidende Transzendieren bedeutet nicht ein Scheiden zu gänzlicher Zusammenhangslosigkeit, sondern gerade ein Verbindung zum Zusammenhang, insofern nämlich Ununterschiedenes zum Zusammenhang ebensowenig verbunden werden kann, wie ununterscheidbar Zusammenfallendes. Steht aber die transzendentale Methode wegen ihrer Begründungsfunktion mit der Erfahrung im innigsten Zusammenhang, so stehen es auch die Grundlagen der Erfahrung, von denen aus sie eben deren Möglichkeit begründet, mit der Erfahrung selbst, nämlich eben in dem des Grundes als solchen mit dem Begründeten. Können danach auf der einen Seite die Grundlagen der Erfahrung nicht mit der Erfahrung zusammenfallen, so können sie auf der anderen Seite auch nicht selbst auf der Erfahrung begründet werden, was sich ebenfalls ohne weiteres aus dem soeben Gesagten ergibt; denn es wäre ein offenbarer Zirkel in der Begründung, die Grundlagen von etwas, selbst auf dem, wofür sie eben Grundlagen sind, begrüngen zu wollen; oder, was dasselbe wäre, etwas zur Grundlage seiner eigenen Grundlage zu machen. Sofern die Grundlagen der Möglichkeit der Erfahrung ihren Grund nicht wieder in der Erfahrung haben können, nennt KANT sie "a priori". Die transzendentale Methode gilt ihm demnach in durchaus klarer, von ihm selbst bestimmt charakterisierter Weise als das Verfahren der Aufdeckung der der Erfahrung a priori zugrunde liegenden Prinzipien, der "Gründe a priori zur Möglichkeit der Erfahrung", wie er auch selbst sein Problem und seine Methode expressis verbis [ausdrücklich - wp] formuliert. Transzendental und a priori sind also nicht etwa ohne weiteres identisch, sondern stehen in ursprünglicher Korrelation. Nicht jede Bestimmung a priori, sondern nur die, daß eine Erkenntnisbestimmung
Diese Wendung ist nicht ohne Bedeutung. Hier wird auf der einen Seite das transzendentale Moment in der eben bezeichnenden Weise vom apriorischen unterschieden und zu ihm ins Verhältnis gesetzt; auf der anderen Seite werden beide dem empirischen in entscheidender Unterscheidung gegenübergestell. In dieser zweiten Hinsicht bleibt uns aber noch einiges zu sagen. Empirisch heißt jede Erkenntnisbegründung, "die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung", hat. So wenig eine Vermengung des transzendentalen und des empirischen Gesichtspunktes nach den vorhergehenden Darlegungen noch möglich ist, so wenig sollte auch eine solche des apriorischen und des empirischen noch möglich sein. Allein, was sein sollte, ist nicht immer. Das zeigt, meint man vielleicht, selbst schon die Erfahrung; sie zeigt auch, denkt man, daß tatsächlich jene nicht sein sollende Vermengung des "A priori" mit dem "A posteriori", wie das empirische Moment nach der vorhin angeführten Bestimmung KANTs noch heißt, doch stattfindet. Allein, um das wiklich zeigen zu können, muß sie selbst schon ein Kriterium voraussetzen, wonach wir wirklich beurteilen und entscheiden können, daß eine solche Vermengung der Gesichtspunkte nicht stattfinden sollte, daß sie ungültig ist. Und damit haben wir schon leise den eigentümlichen Unterschied und zugleich das Verhältnis des "A priori" und des "A posteriori" im kritischen Sinn angedeutet; erschöpft freilich bei weitem nicht. Denn es genügt nicht, daß man das "A priori" einfach negativ als nicht-empirisch charakterisiert. Daran hindert zunächst schon eine gewisse Unbestimmtheit, mit der diese Begriffe durch eine historische, ansich unzutreffende Unterscheidung leicht belastet werden könnten. Vor LOCKE nämlich unterschied man ebenfalls Erkenntnisse, die uns die Sinne durch einmalige oder auch wiederholte Erfahrung zuführen sollten, und solche, die uns keine Erfahrung liefern sollte. Man könnte nun meinen, das wäre dieselbe Unterscheidung, die KANT mit den Begriffen des "A posteriori" und des "A priori" bezeichnet hat. Und da nach der ersten Auffassung die empirischen Erkenntnisse aus den Sinnesausdrücken gewonnen, die anderen aber "angeboren" sein sollten, so könnte man denken, die kantische Unterscheidung von A posteriori oder empirisch auf der einen Seite und A priori auf der anderen Seite sei dieselbe wie die zwischen sinnlicher einerseits und vermeintlich angeborener Erkenntnis andererseits. Manchen haben KANT in der Tat so gedeutet. Allein, wenn das KANTs wahre Meinung wäre, dann wäre er auf einen Standpunkt vor LOCKE herabgesunken, seine Lehre wäre von LOCKE widerlegt gewesen, noch ehe die Geschichte sie uns beschieden hätte, - ein totgeborenes Kind; und wir selbst dürften über KANT zur Tagesordnung übergehen. LOCKEs Kampf gegen die vermeintlich angeborenen Erkenntnisse (theoretische, wie praktische) ist eines seiner größten Verdienste. Dies hat KANT keineswegs rückgängig machen wollen. Angeborene Erkenntnisse, die wir fertig mit auf die Welt bringen, gibt es nicht. Alle unsere Erkenntnisse entstehen uns erst aus der Erfahrung. "Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel" - so lauten die ersten Worte der "Kritik der reinen Vernunft" in der zweiten Auflage. Der "Anfang", der zeitliche Entstehungsursprung aller Erkenntnis liegt also in der Erfahrung. Angeborene Erkenntnis ist auch nach KANT ein Unding. "A priori" bedeutet darum also nicht etwa angeboren. Selbst wenn es aber angeborene Erkenntnis gäbe, so wäre sie im kantischen Sinn immer nur empirisch, wir könnten uns ihrer doch immer nur durch Erfahrung, wenngleich durch sogenannte "innere" Erfahrung, die aber doch immer selbst Erfahrung ist, bewußt werden. Solange es sich nur um die Entstehung der Erkenntnis handelt, würde es gleich viel gelten, wann sie entstanden ist, ob nach oder meinetwegen vor oder gar während der Geburt. Für die Vernunftkritik aber handelt es sich gar nicht um die Entstehung und das bloße Faktum der Erkenntnis, sondern um die Bedeutung, die die Erkenntnis allererst zur Erkenntnis macht. Die Entstehung ist eine bloß psychologische Angelegenheit, die Bedeutung erst die philosophische. Wollte man also den Unterschied von "a priori" und "empirisch" in dem Sinne von "angeborenen und "erworbenen" Erkenntnissen verstehen, so wäre die Unterscheidung nicht bloß deswegen falsch, weil es angeborene Erkenntnisse nicht gibt, sondern auch deswegen, weil die Unterscheidung selbst im Empirischen verbleiben würde und sie nur einen faktischen, nicht einen Bedeutungsunterschied beträfe. Erst mit dieser Unterscheidung des Faktischen von der Bedeutung sind wir an den Unterschied zwischen den Begriffen "a priori" und "empirisch" herangetreten. "Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung", so unterscheidet KANT selbst das Eigentümliche beider Begriffe. Auf den Unterschied des "Anhebens" und des "Entspringens" ist dabei das schärfste Augenmerk zu richten. Die sprachliche Formulierung dürfte sonst leicht mißverstanden werden, so daß sich die logischen Grenzen, die sie gerade ziehen soll, verwischen könnten. Umso strenger ist daher von vornherein der hier bestimmte logische Unterschied festzuhalten. Das "Anheben" bezeichnet bloß den zeitlich-tatsächlichen Ursprung. Als solchen bestimmt sich das, was wir KANT schon haben "empirischen Ursprung" nennen hören. Das "Entspringen" dagegen bezeichnet ganz und gar nicht etwa einen Entstehungsursprung, sondern ganz allein den eigentümlichen Rechtsursprung, den Rechtsgrund, der der Erkenntnis, wie KANT mit scharfen, klaren Worten sagt, "Gültigkeit und Wert" verleiht und die tatsächliche Erkenntnis erst zur gültigen, also Erkenntnis im eigentlichen Sinn dieses Begriffes macht. Der Rechtsgrund ermöglicht die "Beurteilung" und "Prüfung" der Erkenntnis. Diese Aufgabe des "Beurteilens" und "Prüfens" (krinein [urteilen, um Entscheidungen zu treffen - wp]) hat der kritischen Philosophie selbst ihren Namen gegeben, insofern diese den "Probierstein des Wertes oder Unwertes aller Erkenntnisse a priori abgeben soll", damit das Erkennen selbst "nach seinem Wert oder Unwert beurteilt und unter richtige Schätzung gebracht zu werden" vermag, "da Wahrheit auf allgemeinen und notwendigen Gesetzen, als ihren Kriterien, beruth", die die "Beurteilung" nach "Wert und Unwert" ermöglichen. Die Vernunftkritik ist nach ihres Schöpfers eigener Bestimmung selbst eine "Beurteilung der Vernunft". Dadurch ist zugleich aber die nach dem Rechtsgrund fragende transzendentale Methode selbst als kritische Methode charakterisiert, zum Unterschied von der psychologischen Methode, die nach Entstehungsgründen fragt und darum später, so besonders von WINDELBAND, als genetisch bezeichnet worden ist. Die "Gründe a priori zur Möglichkeit der Erfahrung" sind also keine Entstehungsgründe (causae), sondern im tiefsten und höchsten Sinn Rechtsgründe (rationes), Kriterien, nach denen wir über die Geltung aller Erkenntnis erst zu entscheiden vermögen, und die alle Erfahrung bereits logisch voraussetzen muß, um selbst gültig und möglich zu sein. Auf diese Weise vollzieht die kritische Philosophie bereits in ihrer Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung die bedeutsame Synthese jener beiden großen Gedankenströmungen, die vorher als empirisch gerichtete Philosophie einerseits und rational gerichtete Philosophie andererseits bei allen gelegentlich notwendigen Annäherungen, doch sich im tiefsten Innern nicht finden und vereinigen konnten, sondern mehr oder weniger parallel neben einander verliefen. Erst die scharfe Unterscheidung beider Fragestellungen, der "Frage über das, was Rechtens ist (quid juris), von der, die die Tatsache angeht (quid facti)", ermöglichte die Synthese im Problem der kritischen Philosophie derart, daß beiden Denkrichtungen selbst "Recht" geschehen konnte. Wird die Erfahrung so zum Problem, so kann sie nicht mehr als ein starres, fertiges Etwas, ein Ding oder Wesen angesehen werden, sondern ganz allein als eine Aufgabe, die in Angriff und Arbeit genommen, die gelöst sein will. Das allein wird sie freilich im lebendigen Prozeß der Erkenntnis, und diese ist die stetige Verknüpfung eines Mannigaltigen zur Einheit im Bewußtsein durch das Urteil. Die Grundlagen der Erfahrung sind also Grundlagen der ein Mannigfaltiges zur Einheit verknüpfenden Erkenntnisfunktion. Wieder haben wir hier auf das Strengste den bloß psychologisch-faktischen vom philosophisch-kritischen Gesichtspunkt zu unterscheiden, zumal da nun die Unterscheidung bald an den Kardinalbegriff der ganzen Vernunftkritik heranzuführen hat. Die Verknüpfung zur Einheit als solche ist ein bloßes Faktum. Die Rechtsfrage aber ist: wodurch die für sich genommene bloß faktische Verknüpfung denn Gültigkeit erlangen, wie sie den Rechtsanspruch auf Erkenntniswert erheben kann? Das aber kann sie nur, wenn sie nicht bloß etwa in meinem oder meines Nachbarn oder auch aller Menschen Bewußtsein faktisch verläuft, sondern wenn sie so beschaffe ist, daß sie außer ihrer bloßen Tatsächlichkeit noch den Forderungscharakter trägt, als gültig allgemein anerkannt zu werden, weil allein durch sie mit Notwendigkeit ein Gegenstand der Erfahrung bestimmt und so die Erfahrung selbst möglich werden kann, d. h. wenn sie, um mit KANT zu reden, "allgemeingültig und notwendig" ist. Um das zu entscheiden, bedürfen wir also Kriterien der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit. Nichts anderes aber als solche Kriterien der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit sind die "Gründe a priori zur Möglichkeit der Erfahrung". Damit hat der Charakter des "A priori" eine positive Bestimmtheit erhalten und diese gewinnt sogleich noch an Inhalt durch die Überlegung, daß sie eben die Verknüpfung eines Mannigfaltigen zur Einheit als allgemeingültig und notwendig gründen soll. Im Charakter des "A priori" muß also die weitere Bestimmung liegen, daß es, wie KANT noch sagt, die "Regel", die "Gesetzmäßigkeit" der Verknüpfung eines Mannigfaltigen zur Einheit im Bewußtsein enthält. Das ist die allgemeinste Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung, zu der zunächst die transzendentale Methode führt, daß die Erfahrung selbst gesetzmäßig ist, daß sie überhaupt einer Gesetzmäßigkeit untersteht, die, weil sie a priori ist, und die, weil sie durch die transzendentale Methode ermittelt wird, erst jetzt selbst den Namen einer transzendentalen Gesetzmäßigkeit erhalten kann. Wenn KANT sie also mit Rücksicht auf die Methode selbst transzendental nennt, so wird sie damit, um das von Anfang an bloßgestellte Mißverständnis hier noch einmal abzuwehren, nicht zu einem Bereich geheimnisvoller Wesen oder Kräfte, die da ihren Sitz im Himmel, oder um mit SCHOPENHAUER zu reden, in einem mystischen "Wolkenkuckucksheim" hätten und von da auf die Erde herabsteigen, um als "Mächte" zu wirken; ebensowenig zu bestimmten Naturgesetzen überhaupt oder zu solchen der Natur der Seele im Besonderen. Die transzendentale Gesetzmäßigkeit wird nicht außer allen Zusammenhang mit der Erfahrung gesetzt, sondern ist und bleibt in dem erwähnten engsten Zusammenhang der Begründung der Möglichkeit der Erfahrung. KANT hat einmal, um das bereits beim Erscheinen der Vernunftkritik einsetzende Mißverständnis eines Rezensenten abzuwehren, die nicht bloß gegen jenen Rezensenten, sondern auch noch gegen viele heutige KANT-Interpretationen geltenden, denkwürdigen Worte gesprochen:
Daß das Mannigfaltige zur Einheit im Bewußtsein verbunden wird, das ist selbst eine Regel, und zwar die "oberste Regel", die "Regel der Regeln", oder um einem später auszuführenden Gedanken mit seinen Unterscheidungen im Prinzip schon hier gerecht zu werden, genauer: da die Regel a priori ja nur dadurch a priori ist, daß sie auf einem Grund a priori beruth, der "Grund der Gründe", die "Gesetzmäßigkeit der Gesetzmäßigkeit", die im Begriff der "Einheit des Bewußtseins" oder der "synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption" seine Fixierung erhalten hat. Dieser Begriff ist der Kardinalpunkt der kantischen Erkenntnislehre. Aber wohl gemerkt: es ist ein Begriff. Die "Einheit des Bewußtseins", die "transzendentale Apperzeption" bedeutet nicht ein wirkliches persönliches Bewußtsein, sondern ein "Bewußtsein überhaupt" und zwar nicht bloß dieses als solches, sondern insofern es die Voraussetzung aller Erkenntnis ist, also ein rein logisches Bewußtsein; und auch diesen nicht in einer unbestimmten logischen Allgemeinheit, sondern als die Grundlage aller logischen Bestimmbarkeit, so daß alle logische Gesetzmäßigkeit eine bestimmte Form jenes einen Prinzips ist: daß die Verknüpfung im Bewußtsein eine überhaupt a priori notwendige ist. In ihm handelt es sich also gar nicht um eine bloß faktische Verknüpfung oder bloß um das Vermögen zu einer solchen, sondern in erster Linie umd das Gesetz, daß die Verknüpfung des Mannigfaltigen zur Einheit im Bewußtsein einer Gültigkeit verleihenden a priori gegründeten Regel ist. Wenn also die Erkenntnis a priori nicht von den in der Erfahrung gegebenen Dingen begründet sein kann, weil sie alsdann ja nur empirisch oder a posteriori wäre, und wenn wir darum, wie KANT sagt, "von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen", so kann das "wir selbst" nicht im Sinne des seinerseits empirischen Subjekts und das "in die Dinge legen" nicht im Sinne eines subjektiven Willküraktes verstanden werden. Das eine kann allein im Sinne des erkennenden, logischen Bewußtseins überhaupt als des obersten "Prinzips" und der Einheit und einheitlichen Gesamtheit logischer "Gesetzmäßigkeit" und das andere nur im Sinne des Erkenntnisvollzugs nach "Regeln" dieser "Gesetzmäßigkeit" verstanden werden. "Von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen", heißt also: Die Erkenntnis der Dinge nach allgemeinen und notwendigen, gegenständlichen Gesetzen der Synthesis vollziehen. Welche Grundregeln nun Gültigkeit verleihen, ist damit noch nicht ermittelt. Das ist eine Frage, die den Inhalt der kantischen Lehre, nicht allein die Methode betrifft; freilich führt diese zu deren Ermittlung. Darum ist es für KANT von vornherein selbst noch eine Frage, mit der er zugleich das Fundamentalproblem bezeichnet: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" Urteile also, die nicht bloß einen Erkenntnisgehalt zergliedern, analysieren,m erläutern - solche heißen "analytische" oder "Erläuterungsurteile" -, sondern in Wahrheit eine Verknüpfung von Erkenntnisinhalten vollziehen. Um Inhalte, um Bedeutungen, bzw. um deren Verhältnis zueinander handelt es sich also hier, damit abermals um keine psychologische Unterscheidung, wonach ja für das eine Subjekt analytisch sein könnte, was für das andere synthetisch wäre und umgekehrt, sondern wiederum um eine logische der Bedeutung und Rechtsgründung. Welches nun auch immer die Gründe und Regeln sein mögen, die die transzendentale Methode zu ermitteln haben wird, das hat sie im Begriff der synthetischen Einheit als den allgemeinsten Grund der Gründe, die allgemeinste Regel dieser Regeln bereits ermittelt, daß sie "die reinen Bedingungen einer möglichen Erfahrung und eines Gegenstandes derselben enthalten" müssen. "Rein" heißen sie, wie auch das oberste Gesetz der Synthesis überhaupt "reine Synthesis" heißt, weil sie nicht empirisch, d. h. nich auf Erfahrung begründet werden können, weil umgekehrt die Erfahrung auf ihnen begründet ist. Wohlgemerkt: wir unterscheiden dabei scharf zwischen dem Gesetz der Synthesis einerseits und der bloßen "Synthesis überhaupt" andererseits. Ich komme auf diesen Unterschied später ausführlicher zurück. Insoweit er aber aber schon für Problem und Methode der kritischen Erkenntnislehre von durchgreifender Bedeutung ist, und mit dem zentralen Fundamentalbegriff der transzendentalen Apperzeption zusammenhängt, darf dieser Unterschied von vornherein nicht außer acht gelassen werden. Wenn man gemeint hat, es sei eigentlich schon der Begriff der Synthesis als solcher überhaupt, der an der Spitze des kritischen Geschäfts steht, so ist das falsch. Denn die Synthesis als solche bedeutet noch gar keinen kritischen, sondern lediglich eine psychologischen Faktor; und von ihr als solchen hat KANT die später noch einmal heranziehende, aber auch hier schon zu beachtende Definition gegeben: sie sei
Damit ist der Unterschied, wie implizit auch die Beziehung des subjektiven und objektiven Erkenntnisfaktors deutlich geworden. Hinsichtlich der Beziehung wird aner noch eine nähere kurze Explikation notwendig, die sich in der Einzeluntersuchung geltend machen muß, und über die, damit wir im Einzelnen nicht immer wieder darauf zurückkommen und die Darstellung mit Wiederholungen belasten müssen, hier bereits Folgendes bemerkt sein soll: Als tatsächlicher Vorgang vollzieht sich auch das Bewußtsein des Apriorischen und Transzendentalen, wie jeder Bewußtseinsvorgang überhaupt in der Sphäre des Psychischen. Schon aus diesem Grund wird der Psychologie nie und nirgends durch die Transzendentalphilosophie Abbruch getan, so sehr auch der Unterschied beider Disziplinen zu wahren ist und keine die Stelle der anderen zu übernehmen hat. Also auch da, wo der Inhalt des Bewußtseins ein Inhalt a priori und transzendental ist, da ist doch der Bewußtseinsakt und -vorgang als Akt und Vorgang ein psychisches Faktum. Und wenn auch der Inhalt des Bewußtseins a priori und transzendental ist, so hört doch das psychische Bewußtsein von ihm - beides ist und bleibt streng voneinander zu unterscheiden - darum nicht auf, eben psychisch zu sein und fällt nie mit dem reinen Begriff des transzendentalen Bewußtseins zusammen, das als reiner Begriff vielmehr seine stetige Norm, Richtschnur und Aufgabe bleibt. Mag nun selbst der Bewußtseinsvorgang in der Form der Erkenntnis für ihren transzendentalen, apriorischen Inhalt in der Erfahrung keinen Rechtsgrund finden, so ist sie als Erkenntnis doch auch in diesem Sinne nie angeboren, sondern kann sich genetisch nur aus der Erfahrung entwickeln. Diese Entwicklung selbst bleibt darum auch ihrerseits psychologisch, wie der transzendentale und apriorische Inhalt eben transzendental und a priori bleibt. Da diesem als solchen aber kein Gegenstand der Erfahrung adäquat ist, so muß das Bewußtsein seine Erkenntnis, die als solche ebenfalls von ihrem apriorischen und transzendentalen Erkenntnisinhalt zu unterscheiden bleibt, wie KANT sagt, "hervorbringen". Das besagt auch die Wendung KANTs, daß die Erkenntnis a priori "im Subjekt", oder wie es noch heißt, "im Gemüt bereit liegen" muß. Wie dieses "bereit liegen" aber kein "Angeborensein" eines fertigen Erkenntnisbestandes bedeutet, sondern lediglich und ausschließlich die Möglichkeit des Erkenntnisbestandes durch aktuelle Erlangung und Erarbeitung bezeichnet, so ist der zu erarbeitende und zu erlangende Inhalt selbst, wie auch seine Erkenntnis, nicht bloß subjektiv. Denn diese hat sich, wenn sie eben Erkenntnis des Apriori sein soll, nach der objektiven Bedingung jenes Apriori, das eben gerade als objektive Regel a priori ist, zu vollziehen, so daß darum jenes "Hervorbringen" selbst zu einem "Hervorbringen" nach einer objektiven "Regel" wird. Will man nun das psychologische Interesse an den Bewußtseinsvorgängen transzendentalen Inhalts innerhalb der allgemeinen Psychologie als besondere Sphäre abgrenzen, so wäre es als transzendental-psychologische Untersuchung anzusprechen, zum Unterschied von der Untersuchung des transzendentalen Inhalts schlechthin, die darum transzendental-kritische oder schlechthin transzendentale Methode ist. Historisch haben in dieser Unterscheidung zwei Formen der KANT-Interpretation ihren Ausgangspunkt genommen: die von FRIES, SCHOPENHAUER u. a. inaugurierte transzendental-psychologische Interpretation reflektiert, wie sie selbst sagt, auf die "Organisation des Bewußtseins", oder, spezifisch anthropologisch gewendet, des "menschlichen Intellekts" im Sinne der vorhin bezeichneten Möglichkeit des Bewußtseins transzendental-apriorischer Gesetzmäßigkeit, die ihr so zu einer intellektuellen Gesetzmäßigkeit im Sinne von "Intellektualgesetzen" der menschlichen und jeder der menschlichen gleichartigen Intelligenz wird. Die transzendental-kritische Untersuchung dagegen reflektiert auf die transzendental-kritische Gesetzmäßigkeit selbst als objektiver Gesetzmäßigkeit. Es läßt sich nicht leugnen, daß beide Betrachtungsweisen in KANT ihre historisch berechtigte Anknüpfung haben. KANT selbst legt den Nachdruck der Betonung auf das transzendental-kritische Moment. Immerhin verwebt sich dieses, auch noch innerhalb der kritischen Periode, zunächst noch mit dem transzendental-psychologischen bis es in der Weiterentwicklung dieser Periode - ohne immanente Entwicklung ist auch diese nicht - die Oberhand gewinnt, so daß die transzendentale Methode in einem eminenten Sinn transzendental-kritisch ist. Dieser eigentümlichen methodologischen Konstellatioon hat eine historische Darstellung Rechnung zu tragen. Nachdem wir sie von vornherein aufgezeigt haben, können wir uns der weiteren Darstellung zuwenden, in der wir implizit diese Konstellation wirksam finden werden, auch wenn wir nicht jedesmal im Einzelnen, sondern nur bei besonderen Gelegenheiten explizit darauf hinweisen werden, insbesondere dann, wenn die Unterscheidung geeignet ist, Mißdeutungen zu verhüten. Die Grundlegung allgemeingültiger und notwendiger Gegenstandserkenntnis ist, wie wir gesehen haben, das Ziel der kritischen Philosophie. Diese Erkenntnis aber fordert eine Gesetzmäßigkeit a priori; vollziehen aber muß sie sich in synthetischen Funktionen der Anschauung und in synthetischen Funktionen des Denkens. Sollen diese Geltung haben, so müssen die einen auf einer Gesetzmäßigkeit von Regeln der Synthesis a priori der Anschauung, die andern auf einer solchen der Synthesis a priori des Denkens beruhen. Diese Dualität von Anschauung und Denken mag zunächst gewiß von allgemein psychologischem, wie insbesondere von transzendental-psychologischem, wie insbesondere von transzendental-psychologischem Interesse sein. Die eigentlich kritische Aufgabe wird daher erst aus den psychologischen Komplikationen, mit denen sie bei KANT selbst noch durchaus behaftet ist, für die klare und bestimmte Interpretation gelöst werden müssen, ohne daß aber das historische Faktum, daß transzendental-kritisches und transzendental-psychologisches Moment sich bei KANT innerlich durchdringen, verkannt und gewaltsam hinweginterpretiert werden darf. Denn wenn die kritische Frage auch nicht psychologisch entschieden werden kann, weil sie, wie wir gesehen haben, einen "Probierstein des Wertes oder Unwertes aller Erkenntnisse a priorie" sucht, so weist sie im Begriff der Erkenntnis als solcher doch in das Psychische im Sinne der "Fähigkeit" oder, wie KANT noch sagt, des "Vermögens des menschlichen Gemüts". Und so ist zumindest nach einer Seite hin der Ausgangspunkt der theoretischen Vernunftkritik insofern transzendental-psychologisch bestimmt, als KANT von der zunächst psychologisch gedachten Unterscheidung von "Sinnlichkeit und Verstand" als den "zwei Stämmen der menschlichen Erkenntnis" ausgeht, "die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen". Dabei wird die Sinnlichkeit geradezu definiert als "die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen" und ihr Verhältnis zur "Spontaneität" folgendermaßen bestimmt:
Denn erst mit der vollendeten Grundlegung der Erfahrung wird sowohl derjenige der reinen Mathematik, wie derjenige der reinen Naturwissenschaft gewonnen, die sich im Begriff der mathematischen Naturwissenschaft vereinigen können. Denn die Natur ist nichts anderes, als der "Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung" und damit "das Dasein, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist". Die Natur gilt also der kritischen Philosophie nicht von vornherein als jenes Allwesen, wie die spekulativ dogmatische Naturphilosophie etwa sie gefaßt hat; sie wird vielmehr lediglich im Sinn des Problems der Naturwissenschaft genommen; und darum leistet die kritische Philosophie selbst deren Grundlegung, durch die "die Natur selbst möglich" wird, eben da diese nichts anderes ist, als der "Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung", "die Möglichkeit der Erfahrung überhaupt ist also zugleich das allgemeine Gesetz der Natur", und da darum die transzendentale Methode mit der Gesetzmäßigkeit der Erfahrung die der "Natur selbst" aufdeckt und insofern:
Wenn KANT darum das Thema der Vernunftkritik in die Fragen kleidet: "Wie ist reine Mathematik möglich?" und: "Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?", so kann er es, weil beide Erkenntnisgebiete "synthetische Urteile a priori" zu ihrer Voraussetzung haben. Aber er kann und darf das nicht bloß etwa tun, vielmehr ist diese Formulierung der Ausdruck sachlicher Notwendigkeit, durch die das Problem der Erkenntnislehre sich in seiner ganzen Bestimmtheit, die es im Begriff einer "möglichen Erfahrung" erlangt, erst vollendet. Aber nicht bloß reine Mathematik und reine Naturwissenschaft machen die Voraussetzung synthetischer Urteile a priori. Das tut auch die Metaphysik. Darum muß sich auch auf sie die kritische Untersuchung richten in der Frage: "Wie ist Metaphysik möglich?" Sie erörter in der "Kritik der reinen Vernunft" die transzendentale Dialektik, als Lehre vom unrechtmäßigen Verstandesgebrauch. ![]() |