cr-2p-4W. WindelbandH. MaierB. ErdmannA. RiehlH. CohenDrobisch     
 
GEORG NEUDECK
Grundlegung der reinen Logik
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"Wir werden also die Gewohnheit aufgeben müssen, von unmittelbar gewissen Empfindungen und unmittelbar evidenten Wahrheiten zu reden. Die Gewißheit jener besteht nicht in ihrem psychischen Sein und die Evidenz dieser nicht im Gefühl ihrer Denknottwendigkeit. Der Sinn beider Prädikate ist vielmehr der, daß notwendig vorgestellte Empfindungszustände nicht bloß vorgestellt, und notwendig gedachte Inhalte nicht bloß gedacht sind, daß also Vorgestelltes und Gedachtes ist."

"Die Erhebung vom bloß Psychologischen zum Logischen aufzuklären, ist die vornehmste Aufgabe der Erkenntnistheorie und bildet den eigentlichen Brennpunkt alles wirklichen Philosophierens, weil von der Art, wie diese Aufgabe gelöst wird oder wie man sie sich stillschweigend gelöst denkt, einfach alles abhängt, auch der ganze Sinn, den eine Formulierung des gesetzgebenden Bewußtseins, also eine Logik als Inhalt dieses Bewußtseins darstellen soll. Diesen prinzipiellen, entscheidenden Anfang des Logischen darf die Logik nicht ununtersucht dahingestellt sein lassen, wenn sie nicht fundamentlos in der Luft schweben will."


Vorwort

Eine "Grundlegung" der Logik zu schreiben zu einer Zeit, in der fast jedes Jahr ein fertiges, umfassendes System derselben bringt, ist entweder ein sehr überflüssiges Beginnen oder verrät eine Bescheidenheit, hinter der sich starke Ansprüche verstecken. Ich hoffe, daß das letztere der Fall ist, daß die vorliegende Arbeit den Nachweis erbringt, es sei die Grundlage, auf welcher die neueren Logiken aufgebaut sind, eine durchaus morsche. Nicht freilich im Sinne derjenigen, die in übel angebrachtem Autoritätsglaben die ausgelebte aristotelische Logik über jeden Versuch des Fortschritts triumphieren zu sehen hoffen. Vielmehr mußt die alte formale Logik entweder völlig erneuert, durch einen neuen Geist belebt werden, oder sie muß mit ihrem erstorbenen Wort- und Formelkarm aus dem Gesichtskreis des wissenschaftlichen Interesses verschwinden, wenn auch noch so viele genügsame Geister ihren Leichnam mit größter Emsigkeit pflegen und hüten.

Der vielgestaltigen, überaus rührigen neueren Logik aber gilt es zu zeigen, daß manche ihrer Voraussetzungen unhaltbar, andere, von ihr nicht oder zu wenig beachtete, häufig auch falsch verwertbare Grundtatsachen des Bewußtseins zum Aufbau einer haltbaren Logik unentbehrlich sind. Zum eisernen Bestand der Logik zählt seit langen Jahrhunderten nicht wenig, was sich auf sein Recht und seinen Sinn geprüft als trüglicher Schein erwies, den nur die Gewohnheit für Wahrheit nahm.

So wird denn, wie ich hoffe, diese "Grundlegung" selbst beweisen, daß es einer solchen bei allem Reichtum an prunkvollen logischen Gebäuden des mannigfaltigsten Stils noch bedarf, daß wirklich auf dem Gebiet der Grundfragen des Bewußtseins vieles, wie mir LOTZE wenige Wochen vor seinem Tod schrieb, "noch nicht abgetan", und daß die zur Schau getrage "Klarheit" häufig von einer oberflächlichen Behandlung herrührt.

Es mangelte mir an der erforderlichen Muße, um in die Grundlegung auch noch die logische Denkform des Schlusses aufzunehmen. Wenn ich, in dieser Hinsicht unfertig, die Arbeit dennoch in die Öffentlichkeit entlasse, so geschieht es in dem sicheren Bewußtsein, daß sie auch so genug neue Gesichtspunkte und die Anregung zu tieferer Behandlung logischer Probleme enthält, um die Beachtung derjenigen Fachgenossen, denen es um nichts als die Wahrheit zu tun ist, zu verdienen.




Einleitung

Die Logik hat im letzten Jahrzehnt bei uns Deutschen viele und umfangreiche Bearbeitungen erfahren. Oft zu zwei starken Bänden anschwellend bieten sie, von verschiedenartigen Standpunkten aus dem gleichen Ziel zusteuernd, einen großen Reichtum mannigfaltiger Untersuchungen. Dabei ist ihnen allen die Voraussetzung gemeinsam, daß irgendwie ein Vorzug sogenannter Allgemeingültigkeit und Wahrheit, Notwendigkeit und Evidenz, oder wie man sonst seinen nicht eben ganz durchsichtigen Sinn auszudrücken versuchen mag, die Erzeugnisse des Denkens vor dem Inhalt des bloßen Vorstellungsverlaufs auszeichnet, und daß dieser Vorzug aus dem Bewußtsein einer logischen Gesetzmäßigkeit jener Denkinhalte stammt im Unterschied von der psychologischen Kausalität, kraft deren auch alle jene Zustände des bloßen Vorstellens entstehen.

Diese Voraussetzung ist nun freilich zunächst nur eine leere allgemeine Formel, in welche jede Logik erst bestimmte Werte einsetzt, die sie mehr oder weniger unumwunden und ausdrücklich den erkenntnistheoretischen Vorüberzeugungen entnimmt, welche wie das Ganze jeder philosophischen Weltanschauung, so auch den Gesichtspunkt wesentlich bestimmen, von dem aus eine Lösung der logischen Probleme versucht wird. Ich meine damit nicht die Unterschiede, welche sich in der Bestimmung des Inhalts jener logischen Gesetzmäßigkeit und in der Deutung seines Sinnes geltend machen; es ist vielmehr schon ein verschiedener Sinn, der unter dem gleichen Namen der Wahrheit oder Evidenz und Gewißheit an die Aufsuchung und Darstellung jenes Inhalts der Logik mit herangebracht wird, und es leuchtet wohl von selbst ein, daß diese Verschiedenheit den ganzen konstruktiven Zusammenhang jeder Darstellung charakteristisch gestalten muß. Es gibt eben abgesehen von der völlig unwissenschaftlichen empirisch "formalen" keine Logik, die ohne eine Beziehung zu dem Gegensatz wäre, den die alten weitschichtigen Bezeichnungen "rationalistische" und "empiristische" Logik meinen, d. h. keine Logik ohne eine, wenn auch nur stillschweigend vorausgesetzte, erkenntnistheoretische Grundlage, durch welche über den Sinn von Wahrheit und Gewißheit schon entschieden ist, ehe der Inhalt der Denkgesetze und Denkformen entwickelt wird, die sich zu ihnen wie die Mittel zu ihrem Zweck verhalten.

Man hat freilich geglaubt eine solche Abhängigkeit der Logik vermeiden, sie sozusagen auf eigene Füße stellen zu können, indem man ihre Aufgabe dahin fixierte, die Bedingungen festzustellen, unter denen ein allgemeingültiges und inhaltlich notwendiges Denken produziert wird, und als einzige Voraussetzung der Lösbarkeit dieser Aufgabe die Fähigkeit postulierte, so ein notwendiges Denken von einem nicht notwendigen mittels eines unmittelbaren Bewußtseins der Evidenz zu unterscheiden.

Die ganze Logik würde danach zuletzt auf dem Glauben an die Zuverlässigkeit eines innerlich irgendwie erfahrenen Gefühls subjektiver Notwendigkeit, subjektiven nicht anders Könnens, beruhen. Was meint aber dieser Glaube an seine "Zuverlässigkeit"? Im letzteren Ausdruck steckt offenbar nochmals eine Voraussetzung, die nämlich, daß die subjektive Notwendigkeit, deren wir im Gefühl der Evidenz inne werden, eben nicht bloß eine subjektive Notwendigkeit ist und, indem sie dies ist, vielleicht ohne einen Zusammenhang mit dem Seienden ist, dessen wir denkend gewiß werden möchten, daß vielmehr in der Form der subjektiven Notwendigkeit zugleich jener gewünschte Zusammenhang unseres Denkens mit dem Sein verwirklicht liegt, der uns erst von einer Wahrheit, nicht bloß von (subjektiver) Notwendigkeit unserer Denkinhalte zu reden berechtigt. Dem Satz, daß für denjenigen, der die Zuverlässigkeit des Gefühls der Evidenz nicht als letzten Ankergrund der Gewißheit anerkennt, es auch keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen gibt, müssen wir daher den anderen entgegenstellen, daß, solange wir an jene Zuverlässigkeit bloß glauben können, es für uns kein Wissen gibt, das sich subjektiv notwendiges Meinen, aber keine Erkenntnis der Wahrheit nennen darf. Wer von jener Zuverlässigkeit redet, hat tatsächlich einen unbedingten Wert im Auge, und bis zu diesem hat deshalb eine Grundlegung der Logik vorzudringen, bis zu einem wirklich Vorausbestehenden und nicht bloß Vorausgesetzten. Auch der Einwand besagt nichts, daß die Logik keine materiale Wahrheit, sondern nur eine formale Richtigkeit verbürgt; denn auch unter letzterer versteht man eben einen Inhalt von unbedingter Geltung, d. h. also auch einen Inhalt von nicht bloß subjektiver Notwendigkeit. Was man formale Wahrheit nennt, ist dies, Wahrheit nämlich, ja auch noch nicht dadurch, daß wir ihren Inhalt denkend, uns bewußt werden, nun einmal nicht anders zu denken, sondern erst dadurch, daß irgendwie ein notwendiger Zusammenhang ihres Inhalts mit dem Wesen des objektiv Wirklichen besteht. Die Aufdeckung dieses Zusammenhangs erst erhebt sogenannte formale Wahrheiten zu Wahrheiten; außerdem bleiben sie im Grunde unverstandene, bloß tatsächliche Gewohnheiten und subjektive Verfahrensweisen, als welche sie dann auch die alte formale Logik, übber die man hinauskommen will, aufgereiht hat. Man kann aber nicht darüber hinauskommen, wenn man die Gültigkeit der allgemeinen Voraussetzungen des Denkens dahingestellt lassend, die logische Untersuchung auf die Korrektheit des denkenden Fortschreitens von gegebenen Voraussetzungen aus beschränken zu dürfen glaubt. Eben das Wesen dieser "Korrektheit" wurzelt so gan und gar im Inhalt jener allgemeinen Voraussetzungen, daß ohne vorgängige ausdrückliche Darlegung und Prüfung derselben die ganze Logik nicht bloß in ein ungewisses Schwanken geraten, sondern, weil von Haus aus eines leitenden Prinzips entbehrend oder sich nicht klar bewußt, ihre wesentliche Aufgabe gänzlich verfehlen muß. Selbst was der Ausdruck "Korrektheit" meint, darf schwerlich in uns aufdämmern können, wenn das Letzte, worauf wir zurückgehen können, bloß in einer herkunftslosen Nötigung besteht; immer liegt in jenem Ausdruck eine Bezüglichkeit zur objektiven Wirklichkeit, für welche in der bloßen subjektiven Notwendigkeit ansich nicht der geringste Rechtsgrund gegeben ist.

Hat die Logik die Bedingungen des korrekten Denkens als Mittels zur Erkenntnis der Wahrheit darzutun, so ist mit dieser Bestimmung, gegen die sich schwerlich ein Einspruch erhebt, der Gegenstand, mit dessen Betrachtung die Logik sich beschäftigen soll, ganz eigentümlich bezeichnet. Man hat sich gewöhnt, das Denken gemeinhin unter die Vorstellungstätigkeit zu subsumieren und das Wesen des Denkens darin zu sehen, daß es anstelle des tatsächlichen individuellen Vorstellungsverlaufes von bloß psychologischer Notwendigkeit eine Vorstellungsverknüpfung stiftet, welche inhaltlich notwendig und darum allgemeingültig ist, in welcher also, wie man sich ausgedrückt hat, die verbundenen Elemente nicht bloß tatsächlich beisammen sind, wie im Fieberwahn des Kranken, sondern zusammengehören. Während im bunten Wechsel der Vorstellungen die Gesetzlichkeit des psychischen Mechanismus die Führung innehat, geht sie im Denken an eine Gesetzlichkeit anderer Art über, an seine solche, die nicht einfach bloß besteht und wirksam ist, wie die psychologische, sondern als dunklerer und klarerer Inhalt eines verpflichtenden Bewußtseins in jene Mannigfaltigkeit möglicher Verknüpfungen den Unterschied der Wahrheit und Unwahrheit hineinträgt. Die nächste und wichtigste Frage ist nun, was denn der Inhalt dieses gesetzgebenden Bewußtseins ist; der Versuch, seinen Ursprung selber aufzuklären, kann nicht die Vorbedingung der Lösung jener ersten Aufgabe sein, da die Richtigkeit der Ergebnisse eines solchen Versuchs ja eben selber wieder vom Inhalt jener Gesetze abhängen müßte.

Es ist die Logik von HERMANN LOTZE, unter den neueren wohl die gehaltreichste, die in solcher Weise das Unnötige, ja im Grunde das Untunliche der oben verlangten Zurückführung der Logik auf die Erkenntnistheorie behauptet. Aber mit welchem Recht? -

Was zunächst den Vorwurf des fehlerhaften Zirkels betrifft, den unsere Forderung involvieren soll, so ist zuzugeben, daß, wie das Denken des Logikers, der daran geht, den Inhalt der Denkgesetze zu formulieren, so auch ein auf die Untersuchung des Ursprungs jener Gesetze gerichtetes Denken selbst logisch verfahren, d. h. den Gesetzen gehorchen muß. In diesem Sinn träfe der Vorwurf des Zirkels, wenn darin ein solcher steckt, jede, auch die ängstlichste rein deskriptive Logik. Es ist aber logisch gedacht worden, ehe man sich - wiederum logisch denkend - auf den Inhalt des gesetzgebenden Bewußtseins besann, der das frühere Denken auch schon formte. Und als dieses Besinnen begann, fing nicht das logische Denken, wie man sonderbarerweise noch immer hie und da behaupten hört, sondern das Denken über das Logische an. Das Erzeugnis dieses letzteren ist selber Gedachtes, eine Gedankensumme, nämlich die historisch sich entwickelnde Logik, welche die dem menschlichen Denken zufolge seiner Natur immanente Gesetzlichkeit gedanklich zu formulieren sucht. Diese Gesetzlichkeit ist also selber auch ein Stück der Wirklichkeit und bleibt als solche ewig außerhalb unserer (fertigen) Gedanken, während sie der sie produzierenden Tätigkeit, dem Denken immanent ist. Wird dies gebührend auseinandergehalten, so fällt das Bedenken LOTZEs weg. Wie es nicht nötig, ja unmöglich ist, daß, um richtig denken zu können, zuvor eine Logik besteht, d. h. die auf den Inhalt der unserem Denken immanenten Gesetzlichkeit gerichtete Besinnung begrifflich fixiert ist, da in einer solchen Fixierung ja selbst die praktische Verwertung eben jenes Inhalts liegen müßte, so setzt auch eine spätere erkenntnistheoretische Besinnung auf den "Ursprung" jenes Inhalts unseres logischen Bewußtseins nur das Vorhanden- und Wirksamsein eben jener uns immanenten Gesetzlichkeit voraus. Prüfen werden wir freilich ihre Ergebnisse gleichfalls durch die Logik müssen; aber deren Inhalt ist ja nichts Fertiges, Abgeschlossene, keine Summe imperktibler Dogmen, sondern in beständiger Vervollständigung und vertiefender Umbildung begriffen; ist ja doch Sinn und Recht der einfachsten Denkhandlungen und der dabei befolgten Grundsätze aufzuhellen, d. h. also die Ausdeutung der in ihnen sich kundgebenden Gesetzlichkeit des Denkens ihr spezifisches Geschäft. Und da diese in der Natur des Denkens ihren Grund haben muß, diese seine Natur aber allgemein damit bezeichnet wird, daß es ein Mittel zur Erkenntnis der Wahrheit ist, der Sinn jener Gesetzlichkeit also bdingt ist durch den Sinn dessen, was wir Erkenntnis, was wir Wahrheit nennen, so verspricht doch wohl eine hierauf gerichtete Untersuchung eine wesentliche Förderung der logischen Arbeit.

Gewöhnlich holen auch die ausführlicheren Darstellungen der Logik einschlägige Erörterungen nach, sei es in gesonderter Zugabe wie z. B. LOTZE selbst und WUNDT, oder als gelegentliche Exkurse eingestreut. Dabei zeigt es sich aber, daß die Grundanschauungen, die sie enthalten, durchaus maßgebend waren auch für die Gesamtauffassung, die in Anordnung und Deutung des Inhalts des gesetzgebenden Bewußtseins, der Denkgesetze und Denkformen hervortritt. Dies ist eben ganz unvermeidlich; denn als Mittel sind sie durch die Natur des Zwecks bedingt. Eine klare Einsicht in die letztere wird also erst gewonnen werden müssen, wenn ein sicherer Plan den Aufriß der Logik leiten soll. Der Sinn ihrer Formen, deren verpflichtende Geltung, ihr Verhältnis zu dem, was wir mittels ihrer anstreben, zur Gewißheit und Wahrheit: dies alles würde sonst als ungelöster Knäuel unklarer Voraussetzungen jeden Schritt gerade der Wissenschaft, auf deren formellen Richterspruch alle anderen rekurrieren müssen, einer unterträglichen Unsicherheit überlassen.

Grundlegenden Untersuchungen erwächst sonach als erste Aufgabe die Feststellung der allgemeinen Natur des Denkens als Mittels der Erkenntnis. Aus dieser seiner Natur wird sich dann Inhalt und Sinn der Denkgesetze bestimmen lassen müssen, deren Auswirkung wir schließlich im Wesentlichen Bau der logischen Denkformen zu verfolgen haben werden. -


I. Vom Wesen des Denkens

In der geläufigen Bestimmung, welche das Denken als "Mittel zur Erkenntnis" anerkennt, ist implizit ungemein viel enthalten, was eine umsichtige und unverdrossene Analyse zu einer klaren Ausscheidung zu bringen hat. Zunächst erhebt sich die Frage, was denn Erkenntnis ist. Eine ANsicht, der schon unsere einleitenden Vorbemerkungen begegneten, ohne von ihr befriedigt zu werden, setzt das Erkennen mit dem inhaltlich notwendigen und dieser Notwendigkeit sich bewußten Denken unmittelbar gleich. Befriedigt hat sie uns nicht, weil sie die Übereinstimmung des notwendig Gedachten mit dem vorausgesetzten denkbaren Inhalt, dem Wirklichen oder Seienden, bloß postulierte, ohne einen wirklichen Zusammenhang aufzeigen zu können. Und doch würde offenbar erst dieser Zusammenhang unseren notwendigen Gedanken den Wert sichern, den wir meinen, wenn wir ihrn Inhalt wahr nennen. Wie es unvermeidliche Sinnestäuschungen gibt, die wir nur denkend korrigiern, ohne den sinnenfälligen Inhalt der Täuschung aufheben zu können, so könnten auch dem notwendigen Denken Irrtümer unabtrennbar ankleben ohne jede Möglichkeit, durch ein höheres Korrektiv sie als solche zu erkennen und unschädlich zu machen. Der Begriff des Erkennens wäre aber auch durch eine bloß tatsächlich bestehende Übereinstimmung unserer Denkinhalte mit den Beziehungen des Wirklichen nicht erschöpft und vollendet; ihm ist ebenso wesentlich das Bewußtsein, die Gewißheit, daß dem so ist. Wahrheit und Gewißheit zusammen also machen erst die wirkliche Erkenntnis aus.

Wenn es nun unbestreitbar wahr ist, daß uns die Möglichkeit ewig verschlossen bleibt, empfindend, vorstellend oder denkend das seinem Sein nach ewig unerreichbare Wirkliche unmittelbar mit den Inhalten unseres Empfindens, Vorstellens und Denkens zu vergleichen, wenn wir in Ewigkeit die Dinge nie werden, sondern nur über sie denken können und außer dem Denken schlechterdings kein Mittel haben, uns des Wirklichen zu vergewissern: so hat keine Ansicht, welche über das Verhältnis von Denken und Sein, sei es im Sinne der Identität beider oder eines gewissen Parallelismus oder gänzlicher Disparatheit eine Behauptung aufstellt, irgendeine Aussich je mehr zu werden als eine unbeweisbare Hypothese. Wer der Schwierigkeit durch die unbestimmte Voraussetzung auszuweichen sucht, daß das Denken immerhin irgendwie befähigt sein muß als geeignetes Werkzeug zu einer schließlichen Übereinstimmung mit den Erkenntnisobjekten am Ende seiner Bemühungen zu führen, gegen den gilt die Erinnerung, daß das Denken auf sich allein angewiesen, wie es ja ist und bleiben wird, am Ende nicht leisten können wird, wozu es nicht von Anfang an zufolge seiner wesentlichen Natur befähigt war. Außerdem besteht die andere Frage, wie, wann und wodurch wir denn je wissen, dessen gewiß werden können, daß die gewünschte Übereinstimmung erreicht ist, wenn unser einziges Mittel, das Denken, nie und nirgends unmittelbar an das Wirkliche heranreicht?

Diese und so manche andere Frage, die mit den angeregten von selber auftauchen, stecken ungelöst in jener kurzen Voraussetzung, die das Denken für ein Mittel zur Erkenntnis erklärt.

Welchen Bewußtseinsinhalt auch immer wir also für eine Wahrheit halten mögen, ob eine den gegenwärtigen Augenblick ausfüllende Empfindung, oder ein logisches Denkgesetz oder mathematisches Axiom: daß er eine Wahrheit ist im Sinne irgendeiner Übereinstimmung mit dem Wirklichen, erscheint zunächst immer nur als eine Annahme, der wir uns zwar vielleicht nicht entschlagen können, sondern fügen müssen, deren Recht aber durch tatsächliche Vollziehung einer sozusagen augenscheinlichen Vergleichung zu erhärten wir außerstande sind. Immer also wirkt dabei eine über das allein Tatsächliche und "Gegebene" unserer subjektiven Zustände übergreifende Deutung mit, welche jene an das feste Widerlager eines jenseitigen Wirklichen anzuknüpfen strebt, ohne daß es ihr doch irgendwo erreichbar würde. Dagegen liegt das zweite Moment, das auch zum Begriff des Erkennens gehört, ganz im Umfang subektiver Zuständlichkeit. Wir kennen die Gewißheit als erfahrbaren Zustand unseres Bewußtseins. Was man mit ihr bezeichnet, ist die eigentümliche subjektive Form, in welcher sich die Anerkennung der Wahrheit eines Bewußtseinsinhalts vollzieht. Wie jede Enttäuschung lehrt, liegt im bloßen Vorhandensein jenes Zustandes nicht zugleich die Garantie seiner Berechtigung, also nicht die Garantie der Wahrheit, aber immerhin wird nur in seiner Form eine Wahrheit als solche erlebt. Welche ewige Wahrheiten auch auf was auch immer für einem Weg Inhalt eines Bewußtseins werden, solange sie nicht in ihm jenen Zustand der Gewißheit erregen, werden sie für es keine Wahrheiten sein.

Wir sind also offenbar zunächst an die Untersuchung dieses subjektiven Zustandes gewiesen, der zwar wechselnd mit Wahrem und Unwahrem verknüpft, doch insofern mit dem Wesen des Wahren, d. h. mit der vorausgesetzten Übereinstimmung des Denkens und Seins in einem wesentlichen Zusammenhang zu stehen scheint, als diese Übereinstimmung uns nur in seiner Form erlebbar wird. Daß wir also überhaupt Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden, hängt von der Möglichkeit ab, den Zustand der Gewißheit zu erfahren, weil es für denjenigen auch keine Unwahrheit gäbe, dem kein Inhalt als Wahrheit erscheinen könnte.

Man pflegt nun eine unmittelbare und eine mittelbare Gewißheit zu unterscheiden und erstere in den elementaren Tatsachen des Bewußtseins, den Empfindungen, gegeben zu denken. Empiristische Erkenntnistheorien bauen darauf eine Naturgeschichte des Denkens ohne die folgenschwere Verwechslung zu bemerken, deren sie sich in ihrem Obersatz schuldig machen. "Gegeben" kann die Empfindung sein, aber keineswegs ihre "Gewißheit". Das Dasein einer Empfindung und die Gewißheit von diesem ihrem Dasein sind zwei sehr verschiedene Dinge (1). Auch wenn sie tatsächlich immer verknüpft sein sollten, so wäre deshalb jenes noch nich ansich und aus sich heraus zugleich dieses. Die Gewißheit kann allerdings kein wirklicher Zustand sein ohne Gewißheit von etwas zu sein, aber das psychische Sein eines solchen Inhalts (der Empfindung oder Vorstellung) ist ansich ewig nur es selbst und in seinem Begriff liegt durchaus nicht analytisch eingeschlossen jener zweite Bewußtseinszustand, dessen Inhalt die Anerkennung der Tatsächlichkeit des ersteren Inhalts, also der Ausdruck eines ihm zukommenden Erkenntniswertes ist. Dieser Sinn der (unmittelbaren subjektiven) Gewißheit involviert also eine Leistung, welche an den gegebenen Empfindungen erst irgendwie vollzogen werden muß. Sie besteht darin, daß eine Empfindung nicht bloß erlebt, sondern ihre Erlebung als Tatsache (im Gegensatz zu nichttatsächlichem), als Bestandteil des Wirklichen (im Gegensatz zu nichtwirklichem) bejaht und anerkannt wird. Daß es sich dabei - ohnehin nur für die erkenntnistheoretische Reflexion - bloß um subjektiv Wirkliches und Tatsächliches handelt, ist ohne Belang; sehr wichtig dagegen die Einsicht, daß der Realgrund dieser Gewißheit, die sich monoton an jeden subjektiven Zustand knüpft, nicht das bloße Dasein dieser Zustände ist. Es gibt freilich eine merkwürdige Naivität, der diese subjektive Gewißheit das Selbstverständlichste von der Welt und die Zweifelsucht derer, die in ihr etwas Dunkles vermuten, einfach lächerlich gilt (2). Wie sollte uns denn - so frägt man - irgendeiner unserer Zustände einmal nicht als wirklich, nicht als unser Zustand erscheinen? - Nun, ein drittes schiene ja auch denkbar, daß sie nämlich weder wirklich noch nichtwirklich "erschienen" d. h. daß sie bloß wären ohne jener Beurteilung unterzogen zu werden, die sie als wirklich erklärt. Und damit dieses Dritte nicht ist und geschieht, muß ein positiver Grund sein, der es ausschließt. Ein Nichtwirkliches kommt freilich im Umfang unserer subjektiven Zustände nicht vor, d. h. ein Zustand, der dies nicht wäre; aber das Wissen von diesem nicht nichtsein ist nicht identisch mit seinem bloßen Sein. Damit, daß ein Wesen Zustände erfährt und erleidet, ist nich eo ipso [schlechthin - wp] auch die Beurteilung derselben als wirklicher gesetzt. Ein Zustand, z. B. des Begehrens, besteht sachlich in der erlebbaren Form eines auf etwas charakteristisch gerichteten Bewußtseins. Seine Beurteilung als gewiß und wirklich ist nicht selber auch ein Begehren, sondern sagt vom vorgestellten Begehren aus, daß es nicht bloß vorgestellt ist. Man mag die psychischen Zustände in solche des Empfindens, Vorstellens, Fühlens und Begehrens gliedern können: jeder von ihnen kann in keiner anderen Form als in der des Vorgestelltwerdens Gegenstand jener Beurteilung werden, die durch das Wörtchen "gewiß" dies ausdrückt, daß er nicht bloß vorgestellt ist. Ihrem charakteristischen Sein nach (als bestimmte reale Form psychischen Erlebens) bleiben also auch die subjektiven Zustände außerhalb der sie als gewiß beurteilenden Vorstellungstätigkeit, um diesen weitschichtigen Ausdruck nach jetzt üblichem, aber nicht unbedenklichem Gebrauch auf jene eigentümliche Vertiefung des Bewußtseins auszudehnen. Wenn man also sagt: "Die Empfindung blau, die ich jetzt habe, ist gewiß", und damit meint, das Gewißsein haftet irgendwie unmittelbar an der Empfindung oder sei ihr immanent, so widerspricht das dem Sinn der Gewißheit. Die unmittelbare Empfindung blau mag fortdauern, während dies eintritt, daß ich ihrer gewiß bin, oder beides mag ununterscheidbar gleichzeitig erscheinen: das "gewiß" gilt jedenfalls nur von der Empfindung, die beurteilende Tätigkeit ergeht nur über sie, ohne selber auch eine Empfindung von blau zu sein. Wir haben also dreierlei zu unterscheiden:
    1) das in den mannigfaltigen Zuständen charakteristisch vorhandene Bewußtseins, wodurch sie eben diese Zustände sind;

    2) das Bewußtsein von ihnen, in welchem die Zustände nicht ihrer Realität nach, sondern als "vorgestellte" und dadurch "bewußte" sind, jenes sie alle umfassende Bewußtsein, das den Namen der inneren Erfahrung führt, und

    3) endlich das Bewußtsein der Gewißheit, des eigentlichen Wissens, das im Innewerden der vorgestellten Zustände als nicht bloß vorgestellter besteht, ein Inhalt, dessen Sinn daher erst einer weiteren Untersuchung bedarf.
Vorstellend, oder denkend, oder wissend, oder wie man es sonst nennen mag, kann man zum unmittelbaren Gegenstand immer nur Vorgestelltes haben, das seinem Sein nach außerhalb des Vorstellens bleibt, weil ja sonst das Vorstellen die Dinge selbst werden können müßte. Dies gilt auch von all dem, was wir unsere Zustände zu nennen gewohn sind. Das Wissen von meinem Empfinden, Fühlen und Begehren ist nicht Fühlen und Begehren, sondern hat diese nur als "vorgestellte" zum Inhalt, während sie als seiende, der Realität ihres psychischen Seins nach außerhalb des Vorstellens bleiben. Wer Hunger hat samt dem ihn begleitenden Schmerzgefühl und dessen gewiß ist, dem tut dieses Wissen nicht auch oder nochmal weh, d. h. der unmittelbare Inhalt des Wissens ist nicht das schmerzende Gefühl selber, sondern dessen schmerzlose Vorstellung. Eines Zustands gewiß sein, heißt nicht ihn seiend machen, sondern sein Sein, dessen man nur in der Form des Vorstellens inne werden kann, also sein vorgestelltes Sein bejahen.

Man könnte nun fragen, wie sich denn, falls dem so ist, die Gewißheit der Vorstellung eines früher erlebten Hungergefühls von der Gewißheit des jetzt empfundenen Hungers unterscheidet.

Ich denke in folgender Weise: im letzteren Fall wird ein präsentes Gefühl bejaht, d. h. ein vorgestelltes Gefühl als nicht bloß vorgestellt anerkannt, im ersteren im gleichen Sinn die Vorstellung eines Gefühls bejaht. Der Ausdruck: "Ein Gefühl ist gewiß" besagt nicht, daß es nicht bloß gefühlt ist, sondern daß es, das vorgestellte ist, d. h. nicht bloß vorgestellt wird; und ebenso besagt der Ausdruck: "die Vorstellung eines gehabten Gefühls ist gewiß" nicht, daß diese Vorstellung nicht bloß eine Vorstellung und mehr als dies ist, sondern daß sie, die vorgestellte Vorstellung ist und nicht bloß vorgestellt wird. Der Bejahung, welche das Sein eines gewissen Inhalts anerkennt, ist eben dieses Sein nur in der Form des Vorstellens zugänglich. Der Sinn der Gewißheit schließt also jedes "unmittelbare Eingehen des Seins ins Denken," auch bezüglich unserer Zustände, aus. Andererseits verlangt er doch einen Zusammenhang von Denken und Sein; denn eben im Innewerden dieses Zusammenhangs besteht die Gewißheit. Gäbe es nicht irgendwo und irgendwie diesen wirklichen und nicht bloß hypothetisch vorausgesetzten Zusammenhang und mit und in ihm einen tatsächlichen Anfang, eine ursprüngliche Verwirklichung der Gewißheitt, so wäre ein wirkliches Wissen, eine berechtigte Unterscheidung von wahr und unwahr unmöglich. Alle menschliche Denkbemühung sähe sich zuletzt auf ein bloßes Postulat, auf den Glauben an ein Gefühl der Denknotwendigkeit angewiesen, dessen Zuverlässigkeit dahingestellt bleiben müßte und dessen Entstehung selber ein unerklärliches Wunder wäre. Ein "Postulat" als erster Anfang und letzter Grund des Wissens und aller Gewißheit hebt den Begriff beider auf und macht, philosophisch betrachtet, alles Forschen nach Wahrheit zum traurigen Versuch ein * Danaidenfaß zu füllen. Man betrachte sich aber genau den Inhalt dieses Postulats! Im "Gefühl der Denknotwendigkeit" liegt ansich nichts von einem "Glauben an seine Zuverlässigkeit." Erst in dieser letzteren steckt die Bezüglichkeit des Denknotwendigen zum realen Sein, zur Wirklichkeit. Sie kommt zum bloß Denknotwendigen durch eine über es ergehende Deutung hinzu, welche ihm erst Erkenntniswert verschafft. Wer von seiner "Zuverlässigkeit" redet, meint einen Zusammenhang des Denknotwendigen mit dem Wirklichen. Gewiß und denknotwendig sind daher durchaus nicht identische Begriffe, so daß man auch nicht berechtigt ist, von einer unmittelbarer Gewißheit des Denknotwendigen zu sprechen. Das unmittelbare Gefühl, nicht anders denken zu können, würde aus sich nur dieses Zeugnis einer unverständlichen Nötigung bleiben. Indem man aber an seiner Zuverlässigkeit glaubt, unterwirft man eben dieses Gefühl einer erkenntnistheoretischen Beurteilung, deren notwendige Voraussetzung doch irgendein Standpunkt über jenem Gefühl der Notwendigkeit ist. Unhaltbar erscheint daher auch der Satz, der so mancher Logik zugrunde liegt, daß nämlich die Sicherheit der Allgemeingültigkeit unseres Denkens letztinstanzlich auf dem Bewußtsein seiner Notwendigkeit beruth. Und auch wenn die "Selbstverständlichkeit" des denknotwendigen Inhalts als Grund seiner unmittelbar empfundenen Gewißheit bezeichnet wird, so ist zu bedenken, daß in der bloßen Denknotwendigkeit nicht bloß kein Maßstab zur Unterscheidung des Verständlichen vom Nichtverständlichen, sondern überhaupt nichts liegt, was zu einer derartigen Beurteilung desselben irgendwie befähigen könnte. Denn wenn man auch das für uns Denknotwendige vom uns Denkunmöglichen unterscheidet, so ist es hier wie dort dieselbe Nötigung, in der als solcher keine Möglichkeit begründet ist, das eine als verständlich und wahr, das andere als unverständlich und unwahr auch nur subjektiv zu deuten. Daß wir dies dennoch tun, ist ja freilich unleugbar; aber ebenso klar ist, daß jenes Gefühl der Nötigung weder der Rechtsgrund eines solchen Verfahrens noch der zureichende Erklärungsgrund seiner Möglichkeit ist. Wir werden also die Gewohnheit aufgeben müssen, von unmittelbar gewissen Empfindungen und unmittelbar evidenten Wahrheiten zu reden. Die Gewißheit jener besteht nicht in ihrem psychischen Sein und die Evidenz dieser nicht im Gefühl ihrer Denknottwendigkeit. Der Sinn beider Prädikate ist vielmehr der, daß notwendig vorgestellte Empfindungszustände nicht bloß vorgestellt, und notwendig gedachte Inhalte nicht bloß gedacht sind, daß also Vorgestelltes und Gedachtes ist. Entbehrlich mag nun für die Logik eine ausdrückliche Erörterung derjenigen ihrer erkenntnistheoretischen Voraussetzungen sein, welches ins Klare zu bringen gegenwärtig die empirische Psychologie allenthalben geschäftig ist, z. B. der Entstehung der Sinneswahrnehmungen, der Gesetzlichkeit des Vorstellungsverlaufes und dgl.; aber die Voraussetzung eines Unterschiedes von Wahrheit und Unwahrheit, selber bedingt durch die Erlebung dessen, was wir Gewißheit und Evidenz nennen, betrifft nicht Tatsachen, sondern einen Sinn und birgt in sich erst die Entstehung des Logischen. Diesen Übergang oder besser diese Erhebung vom bloß Psychologischen zum Logischen aufzuklären, ist die vornehmste Aufgabe der Erkenntnistheorie und bildet den eigentlichen Brennpunkt alles wirklichen Philosophierens, weil von der Art, wie diese Aufgabe gelöst wird oder wie man sie sich stillschweigend gelöst denkt, einfach alles abhängt, auch der ganze Sinn, den eine Formulierung des gesetzgebenden Bewußtseins, also eine Logik als Inhalt dieses Bewußtseins darstellen soll. Diesen prinzipiellen, entscheidenden Anfang des Logischen darf die Logik nicht ununtersucht dahingestellt sein lassen, wenn sie nicht fundamentlos in der Luft schweben will. Allerdings wird nicht die empirische Psychologie, in welche eine umsich greifende Mode allmählich die ganze Philosophie aufgehen lassen will, jene Untersuchung führen können, die vielmehr als fundamental-philosophische der Erkenntnistheorie zufällt. Denn auch die empirische Psychologie setzt das unbewiesen voraus, dessen Recht und Berechtigung die fragliche Untersuchung erst eruieren [untersuchen - wp] soll, auch sie erklärt für gewiß und Wahrheit, also für nicht bloß vorgestellt, was ihr nicht anders denn als Vorgestelltes zugänglich ist. Die Frage aber nach diesem Recht ist die Lebensfrage für das menschliche Denken, welches unfähig das mancherlei Gedachte mit dem Seienden, davon es der Gedanke (die Vorstellung) ist unmittelbar zu vergleichen, dennoch, um Erkenntniswert zu haben, mit dem Seienden in einem aufzeigbaren Zusammenhang stehen muß, der nicht wieder bloß Vorgestelltes und Gedachtes ist, sondern das Denken aus dem bloß Hypothetischen und seiner ewigen Kreisbewegung wirklich herausführrt. Was immerrr wir auch vorstellen und denken mögen: unmittelbarer Inhalt ist immer nur Vorgestelltes und Gedachtes, dessen von uns vorausgesetztes Sein dem Vorstellen und Denken ewig jenseitig bleibt, wie ja auch jene Voraussetzung immer nur unser Gedanke (3) ist. Nur an einem Punkt im weiten Umkreis des Vorstellbaren und Denkbaren erscheint dieses gleichmäßige Verhalten unterbrochen: im Ichgedanken. Insofern erscheint dieses Vorgestellte seinem Sein nach kein jenseitiges, als es seinem Inhalt charakteristisch eigentümlich ist, die Form zu sein, in welcher das Subjekt des Bewußtseins Objekt desselben wird, so daß an diesem Punkt bei der sachlichen Identität nur der formale Unterschied besteht, ohne welchen eben Bewußtsein unmöglich ist. An diesem Punkt also, und nur an diesem, gibt es ein Vorgestelltes, das bloß ein solches zu sein braucht, um nicht bloß Vorgestelltes zu sein, das heißt: es ist die sachliche Verwirklichung von Denken und Sein, vorausgesetzt, daß das, was bestritten ist, im Ich wirklich eine sachliche Identität des Subjekts und Objekts des Bewußtseins besteht und daß dieses Subjekt ein Seiendes und nicht bloß, wie z. B. KANT in einem folgenschweren Irrtum annahm, etwas Formelles und zwar die "Einheit einer Funktion" ist.

Das Recht HERBARTs, den Satz des Widerspruchs gegen diese Gleichsetzung des Verschiedenen, welche in der Behauptung einer sachlichen Identität bei formalem Unterschied im Ich liegt, ins Feld zu führen, wird bei der folgenden Erörterung des Sinnes jenes Denkgesetzes geprüft werden (4). Der Bestreitung der realen Identität von Subjekt und Objekt im Ich aber geben wir Folgendes zu bedenken: Daß unser tatsächliches Selbstbewußtsein zumindest den Schein so einer Realität in sich enthält, muß allseitig zugegeben werden. Fraglich ist also nur, ob sie bloßer Schein ist. Wer aber von Schein redet, unterscheidet damit Wahrheit von Unwahrheit, beurteilt Vorgestelltes als bloß Vorgestelltes, also nicht im Gegensatz zu nicht Vorgestelltem, sondern zu nicht bloß Vorgestelltem. Vorbedingung der Möglichkeit einer solchen Unterscheidung, also auch der Möglichkeit von Schein zu reden, ist nun offenbar dies, daß jenes andere, ein nicht bloß Vorgestelltes nämlich, für das Bewußtsein irgendwie erfaßbar ist, weil dieses von demjenigen (nicht einfach Negativen = nicht Vorgestellten, sondern Positiven = nicht bloß Vorgestellten), dessen es gänzlich unbewußt wäre, das Vorgestellte als bloß Vorgestelltes unmöglich unterscheiden könnte. Man wende nur hier nicht wieder den vergeblichen Hinweis auf das bloß Vorgestellte und seinen Unterschied vom notwendig Vorzustellenden der unmittelbaren Anschauung ein! Denn eben im Gegensatz auch zum letzteren steht das Gewisse als nicht bloß notwendig Vorzustellendes. Dem Empirismus geläufig, der sich geräuschvoll auf der Oberfläche logischer Fragen tummelt, verwirrt jener unzeitige Hinweis nur das schwierige Problem, dem man eben wegen seiner Schwierigkeit gemeinhin aus dem Weg geht.

Die Tatsache also, daß wir überhaupt etwas als Schein, d. h. als bloß Vorgestelltes oder bloß notwendig Vorzustellendes betrachten und beurteilen können, setzt das wirkliche Innewerden eines nicht bloß Vorgestellten, d. h. die Erhebung der Gewißheit voraus. Nun gibt es, wie nachgewiesen wurde, weder eine unmittelbar gewisse Sinnesempfindung noch die unmittelbare Evidenz eines auf sich beruhenden apriorisch Gültigen. Beide sind ansich und aus sich heraus nur Vorstellungsnotwendiges und Denknotwendiges und werden auch nie das Sein dessen, wovon sie bloß die Vorstellung und der Gedanke sind. Im Ichgedanken nun, - dies ist der Inhalt des "Scheins" - ist das Sein dessen, wovon das Ichobjekt die Vorstellung ist, dasselbige mit dem des Ichsubjekts, d. h. das Ich ist die Form, in welcher das Subjekt des Denkens zum Bewußtsein gelangt. Auch an diesem Punkt wird die Vorstellung nicht das Sein dessen, wovon sie die Vorstellung ist, aber dieses Sein ist ihr im Gegensatz zu dem eines jeden anderen Vorstellbaren insofern nicht transzendent, als sie die Vorstellung vom Sein des sie Vorstellenden ist. Dies ist die Form, in der allein ursprünglich das verwirklicht werden kann, was Gewißheit heißt, der unmittelbare Zusammenhang nämlich von Vorstellen (oder Denken) und Sein. Wer einen noch unmittelbareren Zusammenhang verlangt, der verlangt, daß die Vorstellung das ist, wovon sie bloß die Vorstellung sein kann, d. h. er hebt durch die Forderung einer solchen Immanenz das Wesen des Bewußtseins auf. So einen unmöglichen noch unmittelbareren Zusammenhang würde man aber im Auge haben, wenn man skeptisch darauf hinweist, daß ja auch das Ichobjekt eben nur die Vorstellung vom Sein des Vorstellenden ist. Daraus, daß sie allerdings nicht dieses Sein selber sein oder werden kann, folgt aber nicht, daß sie auch nochmals eines Bandes bedürfte, welches ihren Zusammenhang mit dem Sein garantiert. Es ist vielmehr im Wesen des Ichgedankens, der Selbstgewißheit als des lebendigen Anfangs aller Gewißheit begründet, daß es über sie hinaus nicht noch Gewisseres gibt, welches ihr zum Beweisgrund dienen könnte, sondern daß sie nur indirekt als unumgängliche Voraussetzung dargetan werden kann, nachdem sie erlebt ist. Sie ist in der Tat, mit SIGWART (5) zu reden "vor aller Notwendigkeit" und eben darum Grund aller Denknotwendigkeit". Das Fragen und Zweifeln, Behaupten und Leugnen, Bejahen und Verneinen gäbe es nicht, als Schein schließlich könnte nicht die reale Identität des Vorgestellten und Vorstellenden im Ich erklärt werden, wenn sie nicht zuvor tatsächlich bestünde. Diese erkenntnistheoretische Bedeutung des Ich wird verkannt, wenn man z. B. wie LOTZE in ihm nur "eine allgemeine Form der Tätigkeit", den allgemeinen Charakter erblickt, den verschiedene psychische Zustände gemeinsam haben, oder wenn man mit nicht einmal ganz berechtigter Berufung auf KANT das Ich bloß für eine "Formal-Einheit" erklärt, für einen "Knotenpunkt im Naturlauf, in welchem die Welt sich auf sich selbst besinnt (!)", wie der neueste Kritizismus in seinen mannigfaltigen Schattierungen zu tun pflegt. Das Ich ist vielmehr der Anfang des Wissens, weil nur in seiner Form Denken und Sein unmittelbar zusammenhängt. Vor diesem Anfang kann, was wir Gewißheit nennen, nicht Zustand oder Inhalt eines Bewußtseins sein, sondern kann es nur die ersten zwei der oben unterschiedenen Bewußtseinsformen geben, nämlich das unmittelbare Erleben der verschiedenen psychischen Zustände und das Innewerden derselben in Form der sogenannten inneren Wahrnehmung, nicht aber ein Innewerden derselben, d. h. der vorgestellten als nicht bloß vorgestellter oder "gewisser". Dies läßt die Gewohnheit deutlich übersehen, womit allerdings wir, die längst zum Selbstbewußtsein Erwachten, unsere Empfindungen für in dem Sinne unmittelbar gewiß halten, als würde das analytisch zum Begriff ihres psychischen Seins gehören. Diesen Schein der Unmittelbarkeit erzeugt aber nur die erworbene Geläufigkeit der Unterscheidung des Meinigen und Fremden, die Raschheit, womit das Bewußtsein die Zugehörigkeit der bewußten, d. h. vorgestellten Empfindung zum Ich als dem ansich nicht bloß Vorgestellten erfaßt. Ausdruck eben dieser Zugehörigkeit ist ja die sogenannte subjektive Gewißheit, welcher in einem psychischen Leben, das nicht zum Selbstbewußtsein erwacht oder erwacht ist, nur die Innigkeit eines Gefühls entsprechen kann. Und auch die Evidenz der sogenannten apriorischen Grundsätze und einfachsten synthetischen Wahrheiten kann nicht im Sinne unmittelbarer Gewißheit "auf sich selbst beruhen". Auch ihre "Selbstverständlichkeit" ist nur der Ausdruck für ihren inneren Zusammenhang mit dem allein ansich Selbstverständlichen, mit dem Selbst oder Ich, mit dem und durch das sie gesetzt sind.

Allerdings müssen wir uns hier noch mit dem Einspruch ULRICIs auseinandersetzen, der wiederholt erklärt hat, daß die Frage, worin die Gewißheit und Evidenz besteht und worauf sie beruth, im Grunde mit dem Ichgedanken nichts zu schaffen hat. Die Gewißheit des denkenden Ich ist keine unmittelbare Selbstgewißheit, sondern beruth darauf, daß das Sein des Denkens und damit des denkenden Ich nicht geleugnet und bezweifelt werden kann, weil das Leugnen selbst ein Denken ist, darauf also, daß ich den Gedanken meiner eigenen Existenz nicht bloß habe, sondern haben muß. Aus dieser Unbezweifelbarkeit folgt erst die Gewißheit; sie besteht im Bewußtsein der Denknotwendigkeit, und alle Gewißheit entsteht mit ihm. ULRICI bestreitet der Selbstgewißheit des Ich ihre Unmittelbarkeit und glaubt sie auf eine Denknotwendigkeit als den nicht weiter begründbaren Grund und unmittelbaren Anfang zurückführen, die Denknotwendigkeit als letzten Gewißheitsgrund betrachten zu müssen. Allein einmal müssen wir demgegenüber auf einer früheren Ausführung beharren, wonach das bloß Denknotwendige weder gewiß ist, noch eine wirkliche Gewißheit begründen kann, sondern ansich ewig nur öde und unfruchtbar das Denknotwendige ist, ohne aus sich den wirklichen Zusammenhang seines Denkinhalts mit dem Sein zu gewährleisten, der ihn, den bloß gedachten, erst zum Erkenntniswert des Gewissen, das heißt des nicht bloß Denknotwendigen erhebt. Allerdings kann das Denken nicht geleugnet werden; aber diese Notwendigkeit ist kein herkunftsloser, rückwärts ins Blaue verlaufender Zwang. Denn etwas nicht leugnen können heißt nicht etwas bloß nicht nichtdenken können und umgekehrt fatalistisch denken müssen, sondern heißt etwas nicht als bloß Gedachtes denken können. Diesem nichtkönnen setzt als Grund seiner Möglichkeit ein unmittelbares Innewerden eines ansich nicht bloß Gedachten voraus, weil, um etwas nicht als bloß Gedachtes denken, oder was dasselbe ist, "nicht leugnen" zu können, dem Bewußtsein der Gesichtspunkt des Unterschieds von bloß gedacht und nicht bloß gedacht bereits aufgegangen sein muß. Dieses Aufgehen als Voraussetzung des leugnen und zweifeln könnens und nichtkönnens kann aber nicht in einer grundlosen Nötigung des letzteren bestehen. Woher käme denn jener Unterschied in diese identische Nötigung? Zur "Unbezweifelbarkeit" wird daher die Denknotwendigkeit nur dadurch, daß sie nicht bloß dies, bloße Nötigung, sondern das Band ist, welches das bloß Gedachte an ein ansich nicht bloß Denknotwendiges knüpft. Nicht die Selbstgewißheit des Ich hat also ihren Gewißheitsgrund in einer rückwärts gelegenen, ihr vorausgehenden, absolut apriorischen Denknotwendigkeit, sondern jene ist der Realgrund der Möglichkeit und des eigentlichen Sinnes aller Denknotwendigkeit und "Geltung" (6).

Und nun blicken wir zurück! Wir sind ausgegangen von der üblichen Bestimmung des Denkens als Mittel zur Erkenntnis. Da das Mittel durch die Natur des Zwecks bedingt ist, so erhob sich zunächst die Frage, was Erkenntnis sein soll. Wir sahen, daß diese den Unterschied von Wahrheit und Unwahrheit involviert, der selber wieder bedingt ist durch die Erlebung des Zustands der Gewißheit. Dessen Analyse führte auf das Ich als tatsächlichen Zusammenhang von Denken und Sein. Daß also Wahrheit und Unwahrheit unterschieden wird, dieses Unterscheiden als Vehikel der Erkenntnis, hat seinen Grund im Ich. Dieses Psychologische ist der Anfang des Logischen. Das Denken nun kann nur Mittel zur Erkenntnis sein, sofern es durch die Breite des Bewußtseinsinhalts, der in sich unterschieden eben nur Vorgestelltes wäre, die Unterscheidung des Wahren vom Unwahren durchführt. Dies kann nur in der Ausscheidung des nicht bloß Vorgestellten vom bloß Vorgestellten bestehen, die offenbar, da mit Ausnahme des Ich aller Bewußtseinsinhalt ansich nur Vorgestelltes ist, mittels Zurückführung desselben auf das Ich verwirklicht werden muß. Mit dem Namen der Denkgesetzlichkeit wollen wir vorläufig die allgemeine weiter zu untersuchende Form bezeichnen, in welcher sich jene Zurückführung vollzieht; in dieser selbst aber müssen wir das spezifische Wesen des Denkens erblicken.

Dabei befinden wir uns freilich mit der herrschenden Anschauung sowenig in Übereinstimmung, wie bei unserer Auffassung vom Wesen der Gewißheit und von der erkenntnistheoretischen Bedeutung des Selbstbewußtseins. Aber dessen sind wir auch gewiß, daß, solange letztere nicht widerlegt ist, gegen die behauptete Natur des Denkens nichts einzuwenden ist. Die gewöhnilche Ansicht betrachtet das Denken als eine Bearbeitung der Vorstellungen mit der Tendenz, ihr bloßes Zusammensein durch die Hinzufügung eines Rechtsgrundes ihrer Verknüpfung zur Zusammengehörigkeit zu erheben. Diese Rechtsgründe selbst betrachtet man aber als den Inhalt eines, sei es aus der Erfahrung geschöpften, sei es apriorischen, mit dem unmittelbaren Gefühl seiner Notwendigkeit verbundenen Bewußtseins. Aus der dargelegten Unmöglichkeit die letztere Auffassung zu teilen, wonach zu den Vorstellungen, sie nur sichtend und ordnend, die Wirksamkeit auf sich beruhender Grundsätze im Denken sozusagen nur äußerlich hinzukäme, folgt für uns vor allem auch die Notwendigkeit einer gründlichen Unterscheidung von Vorstellen und Denken.

Es gibt für uns kein Denken vor dem und ohne das Vorstellen, aber auch keinen Gedanken, der bloß Vorstellung wäre, begleitet etwa von einem sekundären Bewußtsein ihrer Gültigkeit oder solches irgendwie enthaltend. Für prinzipiell verfehlt müssen wir daher die Darstellungen des Denkens betrachten, die wie z. B. WUNDTs Logik, im Ganzen der Tendenz zu einer naturgeschichtlichen Entwicklung des Intellekts folgend, auf dem Mechanismus des Vorstellungslaufs, wie ihn die empirische Psychologie zeichnen zu können glaubt, die Denklehre aufbauen wollen. Aus dem Vorstellen lassen sie das Denken in der Weise sich entwickeln, daß es sich von jenem nur durch eigentümliche Verknüpfungsgesetze der Vorstellungen unterscheidet, kraft deren ihm die charakteristischen Merkmale der Evidenz und Allgemeingültigkeit zukommen (7). Allein jene eigentümlichen Gesetze begründen keine Evidenz, sondern höchstens vielleicht den unvermeidlichen Schein einer solchen, wenn sie weiter nichts sind als tatsächliche in der inneren und äußeren Erfahrung entdeckte Normen, denen sich das Denken fügt oder fügen zu sollen glaubt, weil es nun einmal nicht anders kann; und da es vor der Wirksamkeit jener Gesetze noch kein Denken, sondern nur ein Vorstellen von bloß psychologischer Gesetzlichkeit geben kann, so bleibt die Herkunft jener Gesetze ein ungelöstes Rätsel, das z. B. WUNDT nur recht grell beleuchtet, wenn er naiv frägt, wie denn "das Denken zum Satz der Identität gekommen sein" mag (8).

Man verlangt freilich zum Vorstellen und der Anschauung unter dem schönen, aber sachlich wenig aufklärenden Namen der "apperzeptiven Tätigkeit" noch das "verallgemeinernde Denken" hinzu, ohne dabei, wie es scheint, der schwankenden Unsicherheit einer solchen Grundlegung und des Zirkels samt der petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp], die sie begeht, bewußt zu werden. Es kann eben eine derartige Vorstellungslogik, welche ihre "Normen" und die aus ihnen fließende Denknotwendigkeit nicht durch eine Zurückführung auf eine wirkliche Gewißheit und Evidenz begründen kann, über den Dogmatismus nicht hinauskommen, der dadurch nicht vornehmer wird, weil er empiristisch ist. Die dem Denken im Unterschied vom Vorstellen charakteristische Allgemeinheit aber, die weiterhin eingehend erörtert werden soll, kann die Vorstellungslogik immer nur erschleichen, wenn sie nicht vorzieht sie überhaupt zu leugnen und mit dem ehrlichen Bekenntnis der Überzeugung, daß das Ideal des Denkens ein Denken in lauter Eigennamen und die durch die sprachliche Fixierung bedingte Allgemeinheit nur eine Quelle des Irrtums ist, eine Ansicht über das Wesen des Denkens aufstellt, welche rückhaltlos jeden Unterschied desselben vom Vorstellen schlechthin verneint und aufhebt. Ein entscheidendes Urteil darüber wird aber erst die spätere Untersuchung des Wesens des Begriffs ermöglichen.

Es sind in der Hauptsache dieselben Gründe, die uns der Auffassung HERBARTs und seiner Schule zu folgen verbieten. Diese definieren das Denken als jenes Verbinden und Trennen der Vorstellungen, das seinen Grund lediglich im Inhalt der betreffenden Vorstellungen selbst hat. Innerhalb der allgemeinen Mechanik des Vorstellens stellt das Denken so nur jenen Spezialfall dar, in welchem die Vorstellungen lediglich dem Zug ihrer eigenen Qualitäten folgen. Woher solchen Vorstellungsverknüpfungen etwas wie Evidenz und Allgemeingültigkeit erwachsen sollte, ist schlechterdings nicht abzusehen. In seinem erklärlichen Eifer gegen die leeren subjektiven Allgemeinheiten wurde HERBART zu einem subjektlosen Denken fortgetrieben ohne zu bedenken, daß nicht ein tatsächliches Geschehen, sondern nur die gewußte Tatsache eine Wahrheit heißen, ohne das Wissen aber und die von ihm in ihrem Wesen nicht untersuchte Gewißheit auch von wahr und unwahr, d. h. vom wirklichen Denken trotz aller Feinheit der psychischen Mechanik nicht die Rede sein kann. Nur die tiefe Abneigung der HERBART'schen Schule gegen eine erkenntnistheoretische Revision ihrer psychologischen, auf eine metaphysische Hypothese gebauten Grundanschauung, der auch ihre einseitige Auffassung vom Wesen des Denkens entstammt, erklärt die merkwürdige Hartnäckigkeit, womit sich so scharfe Denker gegen die Einsicht verschließen, daß das Denken, welches doch zum Wissen führen soll, von wesentlich synthetischem Charakter sein muß. Der Unterschied von Vorstellungen und Begriffen als den Elementen des eigentlichen Denkens kann daher nicht einfach bloß darin bestehen, daß ein und dasselbe dort als Erscheinung in der Seele mit einer gewissen Stärke, Dauer usw., hier nach seinem Inhalt, nach seinem "Was" ins Auge gefaßt wird. Ein "bloß durch den Inhalt des Vorgestellten geleitetes Vorstellen" hat gar keinen aufzeigbaren Rechtsgrund seinen Resultaten etwas wie Erkenntniswert zuzuschreiben, was es doch tut, wenn es jene Resultate als Gültiges von Ungültigem auszeichnend unterscheidet. Es unterläuft dabei beständig eine nicht bemerkte Verletzung des sonst so hoch gehaltenen ersten Denkgesetzes.
LITERATUR - Georg Neudecker, Grundlegen der reinen Logik - ein Betrag zur Lösung der logischen Frage, Würzburg 1882.
    Anmerkungen
    1) Eine eingehende kritische Untersuchung des Problems der Gewißheit habe ich in einer eigenen Studie "Das Grundproblem der Erkenntnistheorie", Nördlingen 1881, veröffentlicht.
    2) vgl. in oben genannter Schrift Seite 32f.
    3) Das vergessen diejenigen, welche dem "Jllusionismus" mit der wohlfeilen Wendung entrinnen zu können glauben, unsere Erkenntnis überschreite zwar niemals die Grenzen unseres Bewußtseins, aber in diesem finde sich ja auch der Gedanke, daß die Dinge nicht bloß Elemente unseres Wissens, sondern noch etwas, nämlich davon unabhängig seiend sind !
    4) vgl. übrigens Seite 50f meiner oben genannten Schrift.
    5) SIGWART, Logik I, Seite 264; ihm hätte es daher doch nahe gelegen, einen inneren Zusammenhang des Denkens mit dem Ich zu vermuten!
    6) ULRICIs ganzes wissenschaftliches Denken und Arbeiten fußt auf der hier abgelehnten Grundanschauung. Er hat sie sehr oft, zuletzt gegen LÖWEs Logig (in seiner "Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik", Band 80, zweites Heft, Seite 307) siegreich verfochten. Gegengründe der in unserem Zusammenhang entwickelten Art hatte er unseres Wissens noch nie zu beseitigen.
    7) Die gänzliche Unsicherheit und Unklarheit dieser Logiker bezüglich der entscheidenden Fragen mögen folgende Stellen aus WUNDT's Logik beweisen. Er sagt Seite 83 im Abschnitt über "die psychologischen Denkgesetze": "Die in bestimmten Verbindungen unseres Denkens enthaltenen Eigenschaften der Evidenz und Allgemeingültigkeit lassen aus(!) den psychologischen die logischen Denkgesetze hervorgehen." - Evidenz soll als "Eigenschaft" in bloß psychologischen Vorstellungsverbindungen "enthalten" sein; denn die logischen Gesetze soll ja aus den psychologishen erst in Folge jener Eigenschaften "hervorgehen"! Und doch lautet der nächste Satz bei WUNDT: "Die logischen Denkgesetze umfassen all die Regeln, welche über dasjenige was evident und allgemeingültig in unserem Denken ist, Bestimmungen enthalten." Also die logischen Gesetze, welche die in psychologischen Verbindungen als Eigenschaft enthaltene Eviden aus psychologischen Gesetzen hervorgehen läßt, bestimmen erst, was evident ist! Es heißt weiter: "Die psychologischen Denkgesetze tragen nicht im geringsten den Charakter bindender Normen an sich. ... Allgemeingültigkeit beanspruchen dagegen die logischen Denkgesetze, welche ... Normen vorstellen, mit denen wir an das wirkliche Denken herantreten. ... Dieser normative Charakter ist darin begründet, daß gewisse unter den (psychologischen) Verbindungen des Denkens Evidenz und Allgemeingültigkeit besitzen." Und ein solcher unentwirrbarer Knäuel von Widersprüchen und Zirkeln trägt sich unter lautem Beifall der Zeitgenossen als Grundlegung einer wissenschaftlichen Logik vor !!
    8) WUNDT, Logik, erster Band, Seite 505. Von welcher Art wird dann wohl das noch nicht zum Satz der Identität gekommene "Denken" sein ??