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WILHELM WUNDT
L o g i k
[5/12]
    Einleitung
Von der Entwicklung des Denkens
Die logischen Verbindungen der Vorstellungen
Die Entwicklung des Gedankenverlaufs
Die Entwicklung der logischen Normen
Von den Begriffen
Die Arten der Begriffe
Die Verhältnisse der Begriffe
Die Beziehungsformen der Begriffe
Von den Urteilen
Die Formen der Urteile
Die Relationsform des Urteils

"Wir nehmen das Denken als eine spontane innere Tätigkeit wahr und so bleibt uns nach Beseitigung der falschen Vermögensbegriffe nur übrig, dasselbe als eine unmittelbare innere Willenshandlung und demgemäß die logischen Denkgesetze als Gesetze des Willens aufzufassen."

"Wenn nun weder im Material, mit dem das Denken arbeitet, in den Vorstellungen oder Begriffen, noch in den besonderen Verbindungsformen, die es wählt, die logische Evidenz besteht, sondern wenn alles dies nur auf psychologische Tatsachen zurückführt, die entweder in Wirklichkeit wandelbar sind oder doch ohne Einbuße für das logische Denken wandelbar gedacht werden können - wie kommt dann überhaupt die logische Evidenz zustande?"

III. Die Entwicklung der logischen Normen

1. Die allgemeinen Merkmale des logischen Denkens

Die obige Schilderung der psychologischen Entwicklung des Denkens hat sich zunächst darauf beschränkt, dieses als ein Gebiet der inneren Erfahrung zu behandeln, welches von anderen nur durch die ihm eigentümlichen Verbindungsgesetze der Vorstellungen verschieden sei. Eine solche Darstellung kann aber den hervorragenden Wert, den das logische Denken für unser Bewußtsein besitzt, nicht zur Geltung bringen. Und doch ist derselbe ebenfalls eine Tatsache der inneren Erfahrung, von welcher daher die Psychologie schließlich Rechenschaft geben muß. Jener Wert findet seinen Ausdruck in  drei  Merkmalen, durch deren Verbindung sich das logische Denken vor allen anderen inneren Vorgängen auszeichnet und die wir als die Eigenschaften der  Spontaneität,  der  Evidenz  und der  Allgemeingültigkeit  bezeichnen können.


a) Die Spontaneität des Denkens

In höherem Grad als alle anderen Vorstellungsverbindungen trägt das Denken den Charakter einer  inneren Tätigkeit  an sich. Wenn bereits das natürliche Bewußtsein dasselbe als eine Handlung des Ich auffaßt und damit in Übereinstimmung die ältere Psychologie dem Verstand Spontaneität zugesteht, so liegt dem zweifellos eine bestimmte innere Wahrnehmung zugrunde, die nämlich innere Wahrnehmung, vermöge deren es uns widerstrebt das "ich denke" zu übersetzen in ein "es denkt in mir." Zwar läßt es sich nicht nachweisen, daß das logische Denken notwendig an die Vorstellung des Ich gebunden sei und noch weniger wird man mit der Vermögenstheorie neben dem Willen, den wir in uns im Handeln als eine nach außen und in der Aufmerksamkeit als ein nach innen wirkende Tätigkeit wahrnehmen, dem Verstand noch einmal einen Separatwillen beilegen wollen. Mag aber auch die besondere Form, in welcher hier die Wahrnehmung der Spontaneität des Denkens ihren Ausdruck fand, unzulässig sein, diese Wahrnehmung selbst kann nicht bestritten werden. Wir nehmen das Denken als eine spontane innere Tätigkeit wahr und so bleibt uns nach Beseitigung der falschen Vermögensbegriffe nur übrig, dasselbe als eine unmittelbare innere Willenshandlung und demgemäß die logischen Denkgesetze als Gesetze des Willens aufzufassen. Nur wenn man die innere Wirksamkeit des Willens ganz übersieht, kann man mit SCHOPENHAUER denselben das absolut Intelligenzlose nennen. Der Satz SPINOZAs aber, daß Verstand und Wille dasselbe seien, ist im entgegengesetzten Sinn wahr, in welchem sein Urheber ihn meinte. Wir treffen den Willen und die ihm verwandten inneren Zustände, wie Gefühle und Triebe, überall, wo sich Vorstellungen finden, und, soviel wir wissen,  nur  dort, wo sie sich finden. Trotzdem führt der Versuch, diese Zustände aus Vorstellungen oder aus irgendeiner Wechselwirkung der letzteren abzuleiten, zu völlig unerweisbaren Behauptungen. Die Willensregungen und die sie vorbereitenden Gefühle sind daher als integrierende Bestandteile des psychischen Geschehens aufzufassen, die erst durch unsere Abstraktion von den Vorstellungen gesondert werden. Der Grund dieser Abstraktion liegt lediglich darin, daß wir die Vorstellungen auf Objekte beziehen, die unabhängig von uns gegeben sind, während allen anderen unter sich untrennbar verbundenen Vorgängen des Bewußtseins dieses Merkmal der Objektivität nicht zukommt. Darum können nun aber auch die Beziehungen, in welche diese beiden Bestandteile unseres inneren Lebens, der objektive und der subjektive, zueinander treten, die Form von  Wechselwirkungen  annehmen. Je nach dem Charakter dieser Wechselwirkungen erscheint dann das psychische Geschehen selbst entweder als ein  passiv erlebtes  oder als ein  spontan bestimmtes.  Das erstere geschieht, wenn der Einfluß der Vorstellungen auf den Willen überwiegt: hier ist die Apperzeption der Vorstellungen eine  passive,  d. h. der Wille erscheint als bestimmt durch die von selbst auftretenden Vorstellungen und die  Assoziationen  beherrschen das Bewußtsein. Das zweite tritt ein, wenn umgekehrt der Einfluß des Willens auf die Vorstellungen vorherrscht: hier nennen wir die Apperzeption der Vorstellungen eine  aktive  und die Beziehungen derselben folgen den Gesetzen der  apperzeptiven Verbindungen.  Auch im letzteren Fall freilich fehlt nicht überhaupt der Einfluß von Vorstellungen auf den Willen. Aber die Wirkungen der unmittelbar im Bewußtsein anwesenden treten zurück gegen den Gesamteffekt, der aus der ganzen psychischen Entwicklung des Bewußtseins hervorgeht. Wiederum steht in dieser Beziehung die Apperzeption auf  einer  Stufe mit den äußeren Willenshandlungen und den sie tragenden Gemütsbewegungen. Alle diese Vorgänge sind resultierende Wirkungen aus der gegenwärtigen und allen vorangegangenen Lagen des Bewußtseins; jeder von ihnen weist auf eine unendliche Reihe psychischer Bedingungen zurück. Die aktive Apperzeption sowohl wie die Willensentschließung verbinden sich deshalb mit dem Gefühl, daß sie freie Handlungen sind und dennoch Motiven gehorchen. Dieses Gefühl entspringt aus dem unmittelbaren Bewußtsein, daß das handelnde Subjekt selbst mit der unübersehbaren Reihe seiner Bestimmungsgründe die Ursache seiner Handlungen sei. Daß die unendliche Reihe, in die diese Entwicklung ausmündet, den vollständigen Grund derselben enthalte, bleibt eine metaphysische Annahme. Da ein unendliche Reihe von uns niemals durchlaufen werden kann, so ist aber unser Denken und Handeln  praktisch frei:  es kann niemals durch die empirisch gegebenen Motive zwingend bestimmt werden. Jenes fortwährende Herüberwirken unserer geistigen Vergangenheit in die Gegenwart des Bewußtseins ist ferner nur dadurch möglich, daß alle unsere inneren Zustände miteinander zusammenhängen. Insofern kann man also sagen, daß Gefühle und Willensregungen und vor allem die elementarste Form der letzteren, die Apperzeption, Vorgänge sind, in denen das Bewußtsein, als der Ausdruck der Einheit unseres geistigen Lebens, auf die in dasselbe eintretenden Vorstellungen reagiert.


b) Die logische Evidenz

In höherem Grad, als irgendeine andere psychische Funktion trägt das Denken jenen Charakter innerer Notwendigkeit an sich, vermöge deren wir den Verbindungen desselben unmittelbare Gewißheit zuschreiben. Der Wechsel, der durch äußere Sinneseindrücke erweckten Vorstellungen erscheint uns als ein zufälliger; die Assoziation folgt zwar gewissen Regeln, doch welche unter den assoziativ begünstigten Vorstellungen wirklich apperzipiert werde, dafür gibt es ebenfalls keine innerlich zwingenden Gründe. Aber auch das logische Denken besitzt jene Evidenz keineswegs in allen seinen Bestandteilen. Das Material, mit dem es arbeitet, erscheint als ein äußerliches und darum zufälliges. Der ganze Reichtum an Vorstellungen, über den ein Bewußtsein verfügt, wird durch die Erfahrung bestimmt. Aus diesen Vorstellungen aber erwachsen die Begriffe, die in unser logisches Denken eingehen. Ebenso trägt die Art, wie sich die Begriffe entwickeln, nicht von Notwendigkeit an sich. Ist es auch in den allgemeinen Gesetzen der Apperzeption begründet, daß unter den Vorstellungen, die zur Bildung eines Begriffs zusammentreten,  eine  als die herrschende bevorzugt wird, so entscheidet doch keine allgemeingültige Regel darüber, welcher Vorstellung diese dominierende Rolle zukommen soll. Das nämliche Bedingtsein durch zufällige Erfahrungen begegnet uns endlich bei der Gliederung der Gesamtvorstellungen und den daraus entspringenden Verkettungen der Gedanken. Für die Abweichungen des menschlichen Denkens in allen diesen Beziehungen liefern die Unterschiede der Sprache ein hinreichendes Zeugnis.

Wenn nun weder im Material, mit dem das Denken arbeitet, in den Vorstellungen oder Begriffen, noch in den besonderen Verbindungsformen, die es wählt, die logische Evidenz besteht, sondern wenn alles dies nur auf psychologische Tatsachen zurückführt, die entweder in Wirklichkeit wandelbar sind oder doch ohne Einbuße für das logische Denken wandelbar gedacht werden können - wie kommt dann überhaupt die logische Evidenz zustande? Das sie nicht in den  Prozessen  des Denkens liegt, sokann sie nur auf dessen  Resultaten  beruhen. In der Tat zeigt es sich uns an jedem beliebigen Beispiel, daß diese Sicherheit der Resultate die einzige Quelle dessen ist, was wir logische Gewißheit nennen. Wenn wir das einfache Identitätsurteil  A = B  bilden, so ist es für die Evidenz dieses Urteils gleichgültig, wie wir zu den beiden Begriffen  A  und  B  gelangt sind; möglicherweise können sehr verschiedene Wegen zu den nämlichen Begriffen führen. Ebenso bleibt die Evidenz dieselbe, in welcher Weise wir die Begriffe  A  und  B  verknüpfen, vorausgesetzt nur, daß das Resultat der Verknüpfung immer das nämliche bleibt. Ob das Urteil  A = B  oder  B = A  oder, falls es sich um Größenbegriffe handelt,  A - B = 0  lautet, jede dieser Verbindungsweisen führt zum selben Ergebnis, jede ist eine andere Ausdrucksform für die Gleichheit der Begriffe  A  und  B.  Nur diese letzter aber ist der Gegenstand logischer Evidenz.

Hieraus geht zunächst hervor, daß nie den einzelnen Bestandteilen des Denkens, den Begriffen, für sich Evidenz zukommt, sondern daß die letztere immer erst aus der Verknüpfung der Begriffe hervorgehen kann. Hier sind dann aber wieder alle Verknüpfungsformen gleichwertig, welche das nämliche Ergebnis liefern und im allgemeinen sind immer mehrere Verknüpfungsformen möglich; denn selbst im einfachsten Fall, in welchem bloß  zwei  Begriff  A  und  B  miteinander verbunden werden, kann das eine Mal  A,  das anderen Mal  B  Subjekt, beziehungsweise  B  oder  A  Prädikat sein, während das Ergebnis der Verknüpfung das nämliche bleibt.

Worauf beruht aber diese Evidenz der  Ergebnisse  des Denkens? In zwei Formen tritt uns dieselbe entgegen. Einem Gedanken kann eine  unmittelbare  Gewißheit beiwohnen, eine solche, die nicht erst durch andere Denkakte vermittelt ist, sondern sofort einleuchtet, sobald der Gedanke vollzogen wird; oder die Gewißheit kann eine  mittelbare  sein, eine solche, die auf andere vorausgegangene Denkakte gegründet ist. Dort besitzt der Gedanke selbständige Wahrheit, hier hat er dieselbe nur unter der Voraussetzung der Wahrheit gewisser vermittelnder Denkakte. Im ersten Fall ist die Wahrheit eine  reale,  insofern sie ganz und gar vom Inhalt des Gedankens abhängt. Im zweiten Fall ist sie nur eine  formale:  die Verbindungsform der Denkakte verleiht dem durch sie vermittelten Gedanken an und für sich bloß eine hypothetische Wahrheit, welche sich erst dann in eine reale Wahrheit verwandelt, wenn der Inhalt jedes einzelnen vermittelnden Denkaktes als wahr befunden worden ist.

Die  unmittelbare Evidenz  unseres Denkens hat nun ihre Quelle stets in der  Anschauung.  Nicht umsonst ist daher das Wort "Evidenz" nur eine Übersetzung des Wortes "Anschaulichkeit". Freilich muß, wenn man die unmittelbare Evidenz auf die Anschauung zurückführt, der Begriff der Anschauung im weitesten Sinne genommen werden und es würde eine ungerechtfertigte Annahme sein, wenn man die unmittelbare Gewißheit der einfachsten Gedankenverbindungen auf die  äußere  Sinnesanschauung oder gar mit F. A. LANGE auf die  räumliche  Anschauung beschränken wollte. (1) Warum sollte nicht ein Ton ebenso gut als identisch einem anderen, ein Taktteil ebenso als enthalten im Takt, zu dem er gehört, unmittelbar aufgefaßt werden, wie uns eine räumliche Figur einer anderen gleich oder von ihr umschlossen erscheint? Und kehren nicht die nämlichen Beziehungen selbst für unsere inneren Erfahrungen, unsere Gefühle, Willensrichtungen und dgl. wieder? Ein Gefühl erscheint einem anderen verwandt oder entgegengesetzt oder es bildet den Bestandteil einer zusammengesetzteren Gemütsbewegung. Es ist nicht einzusehen, warum hierauf jene Beziehungen der Gleichheit, Ähnlichkeit, Unterordnung, Koordination, Abhängigkeit usw., in denen sich überall unser verknüpfendes Denken bestätigt, nicht mit gleichem Recht unmittelbar angewandt werden sollten, wie auf die Beziehungen unserer äußeren Gesichtsvorstellungen. Ist die äußere und innere Erfahrung die einzige Quelle der unmittelbaren Evidenz, warum soll dann irgendeinem Gebiet dieser Erfahrung ein anderer Vorrang zukommen, als derjenige, den es etwa durch seine vorherrschende Bedeutung für unser Bewußtsein behauptet? In der Tat setzen wir keineswegs die logischen Verknüpfungsformen immer in eine bestimmte Art von Vorstellungen, etwa in Gesichtsbilder, um, sondern, da jedes beliebige Vorstellungsgebiet zur Versinnlichung dienen kann, so sind in den meisten Fällen und namentlich da, wo es sich um einigermaßen abstrakte Begriffe handelt, unsere Gedanken überhaupt nicht an bestimmte Bilder gebunden, sondern wir lassen uns an den Wortsymbolen genügen, die beliebig bald als akustische, bald als optische Zeichen, bald als eine Verbindung beider ihren Zweck erfüllen können. Wer den Begriff  Hund  dem Begriff  Tier  unterordnet, oder wer gar solche Begriffe wie  Leben  und  Beseelung, Materie  und  Substanz  zueinander in irgendeine Relation setzt, dem sind die Worte zu Vertretern zahlloser Gedankenverbindungen geworden, die alle zum Gebrauch des Bewußtseins bereit liegen, ohne daß noch eine einzige unmittelbar angeschaut würde. Nur diesen Gedankenverbindungen selbst, nicht den Worten, durch die sie im Bewußtsein fixiert werden, kann aber in allen diesen Fällen der Charakter der Evidenz zukommen. Wie wäre das möglich, wenn sich nicht die Verknüpfungen des Denkens von Anfang an innerhalb der verschiedensten Anschauungen bewegen könnten? Nur daraus, daß sie bei diesem mannigfaltigen Wechsel ihres Vorstellungssubstrates doch immer die nämlichen bleiben, wird es begreiflich, daß das Denken schließlich auf die unmittelbare Anschauung jener Verknüpfungen ganz verzichten kann, indem es symbolischer Formen, wie der Symbole der Sprache oder sogar künstlicher Zeichen, wie der algebraischen, sich bedient.

Auch das abstrakte Denken hat aber allerdings in der Anschauung seine Quelle und was in ihm von unmittelbarer Evidenz enthalten ist, das muß daher schließlich auf ein anschauliches Verhältnis zurückgeführt werden können. Unanschauliche Begriffe, wie der der abstrakten Größe, eines Raumes von  n  Dimensionen, der Gerechtigkeit usw., können zu unmittelbar evidenten Sätzen nur inswoweit Veranlassung geben, als wir jene Begriffe auf ihre anschaulichen Urbilder, die ihre empirischen Grundlagen gewesen sind, zurückzuführen vermögen. Aus der unmittelbaren Anschauung räumlicher oder zeitlicher Größen stammen die evidenten Sätze, die wir über die Größe überhaupt aufstellen. Von den Eigenschaften eines Raumes von  n  Dimensionen können wir nur Rechenschaft geben, indem wir ihn in Teile zerlegt denken, die sich mittels des bekannten Raumes anschaulich vorstellen lassen. In ähnlicher Weise führen alle transzendenten Begriffe auf Postulate hinaus, die sich selbst zwar in der Anschauung nicht verwirklichen lassen, zu denen aber die Motive in Form anschaulicher Verhältnisse gegeben sind. Eine Ewigkeit oder Unendlichkeit können wir niemals vorstellen. Wohl aber stellen wir uns vor, daß ein gegebener Zeitverlauf oder ein gegebener Raum über jede bestimmte Grenze, die wir setzen mögen, hinausgeht und diese Vorstellung verwandeln wir in eine Forderung, die wir an den allgemeinen Begriff Zeit oder Raum heranbringen.

Wenn nun aber auch alle unmittelbare Evidenz auf der Anschauung beruth, so kann doch die Anschauung selbst nicht schon die Evidenz sein. Gerade die zuletzt angeführten Beispiele weisen auf evidente Sätze hin, zu denen wir zwar durch die Anschauung veranlaßt werden, die aber in keiner Anschauung unmittelbar verwirklicht sein können. Für den Satz, daß sich Parallellinien ins Unendliche verlängert niemals schneiden können, besitzen wir keine unmittelbare anschauliche Gewißheit; wir können nur sagen, daß wie weit wir auch in der Vorstellung solche Linien verfolgen mögen, wir niemals auf einen Punkt treffen, wo sie sich nähern. EUKLID hat daher sehr bezeichnen derartige Sätze nicht Axiome, sondern Postulate genannt. Zu einem Postulat können wir der Natur der Sache nach nur gelangen, indem wir in unserem Denken eine Mehrheit von Anschauungen verbinden und verallgemeinern. Von hier aus ist es nun leicht zu sehen, daß jede unmittelbare Evidenz eine ähnliche verknüpfende Gedankentätigkeit voraussetzt. Der Satz "das Ganze ist größer als sein Teil" führt nicht, wie der vorige, an und für sich über die Anschauung hinaus. Überall, wo in konkreter Erfahrung ein Ganzes gegeben ist, das in Teile zerfällt, findet er seine Unterlage. Gleichwohl muß auch hier das Denken zwischen den Gliedern der Vorstellung hin- und hergehen und sie messend miteinander vergleichen, damit aus der Anschauung die Evidenz entspringe. Gerade bei den einfachsten Beziehungen der Vorstellungen würde diese, wenn aus jener allein die Evidenz entstehen sollte, überhaupt nicht möglich werden. Wie könnten wir jemals urteilen, daß  A = B  ist, da doch in unserer Anschauung kaum jemals zwei Dinge völlig identisch sind? Erst das verknüpfende Denken kann von demjenigen absehen, was sich der Vergleichung nicht fügt, ja es kann unter Umständen absichtlich zwei Vorstellungen mit Rücksicht auf  eine  Eigenschaft identisch setzen, wenn sie auch in allen anderen Beziehungen abweichen. So ist überhaupt die Anschauung nur die Gelegenheitsursache der unmittelbaren Evidenz, der eigentliche Grund derselben liegt aber im verknüpfenden und vergleichenden Denken. Hierdurch wird es denn auch allein möglich, daß wir Sätzen eine Evidenz beilegen, die eine solche durchaus nicht besitzen, ja die der Anschauung widerstreiten, sei es, daß wir solche Sätze probeweise in unsere Gedankenreihen einführen oder daß wir sie aufstellen, weil es uns aus irgendeinem Grund beliebt. Unserem Denken steht es frei, jede beliebige Vorstellungsverbindung so zu behandeln, als wenn sie unmittelbar gewiß wäre. Dies wäre freilich nicht möglich, wenn uns nicht evidente Verbindungen in der Anschauung gegeben wären, nach deren Muster wir solche falsche Verknüpfungen ausführen; ebensowenig würden aber die letzteren entstehen können, wenn nicht alle unmittelbare Evidenz außer durch die Anschauung durch die frei verknüpfende Tätigkeit des Denkens bedingt wäre.

Hier hängt nun zugleich mit der unmittelbaren die  mittelbare Evidenz  zusammen. Wenn bei der ersteren das Denken Elemente verbindet, die ihm unmittelbar in der Anschauung gegeben sind, so behandelt es bei der letzteren die so entstandenen Verbindungen als Elemente, die nach den anschaulichen Zusammenhängen, welche sich zwischen ihnen darbieten, in Beziehung gesetzt werden. Der Unterschied besteht darin, daß sich dort die Evidenz auf das ursprüngliche Material des Denkens, hier aber auf den bereits verarbeiteten Stoff desselben bezieht: die Gedankentätigkeit selbst ist dagegen in beiden Fällen eine übereinstimmende. Der Satz  A = B  kann nur aufgrund unmittelbarer Anschauung, sofern diese zwei in irgendeiner Weise einander gleichende Vorstellungen  A  und  B  darbietet, evident sein. Eine Gedankenverbindung aber, die aus  A = B  und  B  = C den Satz  A = C  folgert, ist evident vermöge der in ihr enthaltenen Beziehung zwischen unabhängig vollzogenen Verbindungen der Vorstellungen. Das verknüpfende Denken geht dort von der einen Vorstellung zur anderen, hier von der einen Vorstellungsverbindung zur anderen über. Die Schlußfolgerung beruth auf einer Vergleichung von Urteilen, wie das Urteil auf einer Vergleichung von Vorstellungen. Darum ist zwar der Schluß ein vom Urteil verschiedener Denkakt, aber er setzt nicht nur das Urteil voraus, sondern es liegt in ihm auch die nämliche Tätigkeit des verknüpfenden Denkens zugrunde. Immer besteht die Wirksamkeit dieses Denkens darin, daß es die Beziehungen feststellt zwischen den ihm gegebenen Objekten, seien nun diese Objekte selbst Anschauungen oder bereits auf Anschauungen gegründete Denkakte. So ist die Anschauung schließlich die Grundlage der mittelbaren so gut wie der unmittelbaren Evidenz und die mittelbare Evidenz hat keinen Wert, wenn nicht eine unmittelbare vorausgesetzt wird, die ihr vorangeht.


c) Die Allgemeingültigkeit der Denkgesetze

In doppeltem Sinn kann von einer Allgemeingültigkeit des logischen Denkens die Rede sein. Zunächst kann man dabei jede  subjektive  Allgemeingültigkeit im Auge haben, welche darin besteht, daß die nämlichen Gesetze für alle Denkenden ihre Geltung bewahren: dies ist die gewöhnlich und geläufige Bedeutung dieses Begriffs. Man kann aber auch die Allgemeingültigkeit als eine  objektive  verstehen, als jene Eigenschaft des Denkens auf alles anwendbar zu sein, was in unser Denken eingeht. Gerade diese Bedeutung hat man am meisten bei der Allgemeingültigkeit der logischen Gesetze nicht im Auge und doch ist sie es, die in höherem Maße als die erste unsere Aufmerksamkeit verdient.

Die  subjektive Allgemeingültigkeit  des Denkens ist eine Folge seiner Evidenz. Allgemeingültig ist was für jeden Evidenz besitzt. Wir legen aber stets dem, was für uns selbst als gewiß gilt zugleich bindende Kraft bei für jeden anderen Denkenden, sobald wir voraussetzen dürfen, daß er sich unter den nämlichen Bedingungen für den Vollzug einer bestimmten Erkenntnis befinde. Die Evidenz schließt daher für uns sofort auch schon die subjektive Allgemeingültigkeit in sich. Demgemäß ist das Gebiet der letzteren von vornherein ein beschränktes. Nur jenen Gedankenverbindungen, die in unmittelbarer oder mittelbarer Weise anschauliche Gewißheit besitzen, legen wir in diesem Sinne Allgemeingültigkeit bei und stellen die Gesetze, denen jene Verbindungen folgen, als  Normen  auf, die für alles Denken ihre Geltung bewahren.

Eine ganz andere Bedeutung hat die  objektive Allgemeingültigkeit.  Sie tritt uns in der Geschichte der Wissenschaft wieder in einer doppelten Form entgegen. Die erste nimmt an, daß dem Denken neben seiner subjektiven auch eine objektive Wirklichkeit zukomme, sie verlegt also das logische Denken in die Objekte selbst. Die zweite besteht in der Forderung, daß die Gegenstände des Denkens überall ein geeigneter Stoff seien, an dem sich die vergleichenden und beziehenden Funktionen desselben betätigen können. Die erste dieser Bedeutungen beruth im Grunde auf keiner logischen, sondern auf einer metaphysischen Voraussetzung; sie ist eben deshalb eine logisch unberechtigte Annahme, die das Verhältnis des Denkens zu seinen Gegenständen von Anfang an in eine falsche Beleuchtung rückt. Aber diese Annahme ist zugleich diejenige, aus der sich die zweite, logisch allein gerechtfertigte Bedeutung der objektiven Allgemeingültigkeit überall erst entwickelt hat.

Im Sinne jener logisch falschen, weil metaphysischen Auffassung ist man noch heute nicht selten geneigt, die Gesetze des logischen Denkens vor allem als Grundformen aller möglichen  psychischen  Tätigkeiten vorauszusetzen. Empfinden, Wahrnehmen und assoziative Verbindungen der Vorstellungen werden hier auf ein logisches Urteilen, Schließen und Vergleichen zurückgeführt. Durch die ganze Geschichte der Psychologie zieht sich diese Neigung, die sich auch in der populären Auffassung unserer inneren Erfahrung spiegelt. Wenn ARISTOTELES schon die sinnliche Wahrnehmung als ein Erkennen und Urteilen bezeichnete, das zwischen den Unterschieden der Dinge entscheide, so hat er damit in der Tat wohl nur das Resultat einer naiven Reflexion in eine wissenschaftliche Form gebracht. (2) In der späteren Psychologie hat dann die Unterscheidung eines klaren und dunklen Erkennens nicht wenig jene logische Interpretation der psychischen Funktionen begünstigt. Besonders in CHRISTIAN WOLFFs psychologischen Werken tritt das deutlich hervor. Sogar Gefühle, Gemütsbewegungen, Willensakte wandeln sich bei ihm in eine Art logischen Denkens um, indem er die nachträgliche Reflexion über diese inneren Zustände für ihr eigentliches Wesen ansieht. Über das Bedenken, daß man in ihnen selbst von einer solchen Reflexion nichts bemerken kann, hilft dann die Annahme der dunklen Vorstellungen hinweg. Nicht minder schildert BERKELEY in seiner im übrigen ganz den empirischen Standpunkt einnehmenden "Theorie des Sehens" die psychischen Prozesse, die zu den Vorstellungen der Entfernung, Größe und Gestalt der Gegenstände führen, so als wenn es sich dabei um eine Gedankentätigkeit handelte, die messend, vergleichend und schließend aus den letzten Elementen der Erfahrung, den Empfindungen, ein Bild der Außenwelt konstruiere. Im selben Sinn hat SCHOPENHAUER von der "Intellektualität der Anschauung" und hat man dann in der neueren Physiologie von "unbewußten Schlüssen" gesprochen, durch welche der Vorgang der sinnlichen Wahrnehmung zustande komme. Da nun in der neueren Erfahrung selbst weder die Empfindung als ein Urteil, noch die Wahrnehmung als ein Schlußverfahren noch auch die Vorstellungsassoziation, das Fühlen und Begehren als Erkenntnisprozesse gegeben sind, so wird offenbar durch die Erklärung dieser Vorgänge aus logischen Gesichtspunkten lediglich die metaphysische Tendenz bekundet,  das logische Denken als die allgemeingültige Form des inneren Geschehens anzusehen. 

Auf die Beurteilung der  äußeren  Erfahrung hat aber diese Tendenz sowohl in der älteren Naturwissenschaft wie in der Philosophie, in der letzteren bis auf die neueste Zeit, ihre Wirkungen ausgeübt. Die Naturordnung wird hier zum Ausdruck einer Gedankentätigkeit, die stillschweigend oder ausdrücklich analog unserem eigenen logischen Denken angenommen wird. In den besonderen Gestaltungen, welche die zwei wichtigsten Begriffe der Naturordnung, die des Zwecks und der Ursache, angenommen haben, kommt diese logisch-metaphysische Tendenz deutlich zum Ausdruck. Der Zweckbegriff wandelt sich in den Händen der gewöhnlichen Teleologie in eine in den Dingen selbst gelegene Zweckvorstellung um: das Geschehen, das wir subjektiv als ein zweckmäßiges auffassen, wird so zu einem Handeln, das aus einer in den Objekten selbst liegenden Reflexion hervorgeht. Im Begriff der Ursache macht sich die nämliche metaphysische Annahme darin geltend, daß man nicht etwa bloß einen Zusammenhang zwischen dem Begriff der physischen Ursache und dem des logischen Grundes annahm, sondern beide identisch setzte, in der "causa sive ratio" [Realgrund - wp] der rationalistischen Philosophie. Ihre Vollendung fand diese Annahme einer den Objekten selbst immanenten Logik in der  causa sui  [Selbstgrund - wp] SPINOZAs und im Unternehmen des neueren Idealismus, Natur und Geist als eine Selbstentfaltung der absoluten Vernunft darzustellen.

Nun ist es klar, daß alle Annahmen, welche darauf ausgehen, das logische Denken außerhalb des Gebietes, wo es Gegenstand unmittelbarer innerer Erfahrung ist, als tatsächlich vorhanden vorauszusetzen, an und für sich die Erfahrung überschreiten. Insbesondere aber müssen solche Annahmen von dem Punkt an als unzulässig angesehen werden, wo sie die objektive Auffassung des Tatsächlichen trüben und zu Begriffsübertragungen führen, die außerhalb des subjektiven Denkens keine tatsächliche Grundlage haben und so das wirklich der Erfahrung gegebene in einen bloßen Schein verwandeln, hinter welchem jene aus dem subjektiven Denken hervorgegangenen Begriffsverkörperungen als das wahre Wesen der Dinge gesehen werden sollen. Doch wie verderblich auch die Abwege sein mögen, auf die das Denken in der Verfolgung seines logischen Triebes gerät, dieser Trieb selbst muß, daß er sich überall geltend macht, in der Natur des Denkens seine Quelle haben und insofern wird ihm auch irgendeine berechtigte Forderung zugrunde liegen.

In der Tat bringt nun die zweite der oben unterschiedenen Bedeutungen der objektiven Allgemeingültigkeit diese berechtigte Forderung zur Geltung. An die innere sowohl, wie an die äußere Erfahrung treten wir mit dem Postulat heran,  daß alles was Gegenstand unserer Erfahrung wird, in einem durchweg begreiflichen Zusammenhang sich befinde.  Dieses Postulat von der Begreiflichkeit der Erfahrung bildet einen unbestreitbaren Grundsatz unseres Erkennens, weil das letztere überhaupt erst unter seiner Voraussetzung möglich wird. Unmittelbar aber entspringt derselbe aus zwei allgemeinen Bedingungen. Erstens ist es das logische Denken, in welchem vermöge der ihm innewohnenden Evidenz das Postulat der Begreiflichkeit erfüllt ist und zweitens müssen wir alles, was uns in der Erfahrung gegeben wird, denkend verarbeiten, damit es begreiflich werde.

Das Denken ist also einerseits das Urbild eines der Forderung der Begreiflichkeit entsprechenden Zusammenhangs und andererseits das Hilfsmittel, durch welches überall erst diese Forderung erfüllt werden kann. Das Postulat der Begreiflichkeit ist selbst aus dem logischen Denken hervorgegangen und es würde nicht standhalten können, wenn die Erkenntnisobjekte nicht fortwährend die Probe bestünden, daß sie durch das logische Denken in einen begreiflichen Zusammenhang gebracht werden können. So wenig also auch jene Übertreibung des logischen Triebes, welche in die Erkenntnisobjekte eine ihnen immanente Logik verlegt, aus der wirklichen Natur des Denkens oder aus den Erfahrungen, die das Denken bearbeitet, sich rechtfertigen läßt, so unumgänglich ist die Voraussetzung, daß alles, was uns in der Erfahrung gegeben wird, sich der Bearbeitung durch das Denken fügt und durch diese Bearbeitung erst eine Verbindung gewinnt, durch die es der Forderung der Begreiflichkeit entspricht. Wenn nun das logische Denken auf alles anwendbar sein soll, was in unser Bewußtsein eingeht, so schließt das allerdings ein, daß die Objekte des Denkens ein geeigneter Stoff für dasselbe sind. Diese Voraussetzung gestattet jedoch keineswegs die Folgerung, daß den Objekten selbst das logische Denken immanent sei oder daß ein ursprünglich gegebener Parallelismus zwischen Denken und Sein existiere, der es uns erlaubte, unsere Denkformen in Begriffe des Wirklichen umzusetzen. Die Erkenntnisobjekte sind vielmehr nur insofern dem logischen Denken konform, als dieses seine Evidenz zugleich den Beziehungen verdankt, in denen uns die Gegenstände der Erfahrung gegeben sind. Diese Voraussetzung gestattet jedoch keineswegs die Folgerung, daß den Objekten selbst das logische Denken immanent sei oder daß ein ursprünglich gegebener Parallismus zwischen Denken und Sein existiere, der es uns erlaubte, unsere Denkformen in Begriffe des Wirklichen umzusetzen. Die Erkenntnisobjekte sind vielmehr nur insofern dem logischen Denken konform, als dieses seine Evidenz zugleich den Beziehungen verdankt, in denen uns die Gegenstände der Erfahrung gegeben sind. Die Denkfunktionen sind die  Hilfsmittel,  mit denen wir die realen Beziehungen der Erkenntnis-Objekte auffinden, sie sind  nicht diese Beziehungen selber. 


2. Die psychologischen und die logischen Denkgesetze

Als Gegenstand der inneren Erfahrung folgt unser Denken verwickelten Gesetzen, bei denen die Bedingungen der Gesellschaft der überkommenen Sprache, der individuellen Richtung des Bewußtseins, von größtem Einfluß sind. In den vorangegangenen Kapiteln konnten wir es daher nur versuchen, einige der allgemeinsten dieser psychologischen Gesetze des Denkens anhand der Zeugnisse der Sprache hervorzuheben. Aber die in bestimmten Verbindungen des Denkens enthaltenen Eigenschaften der Evidenz und der Allgemeingültigkeit lassen nun aus den psychologischen die  logischen  Denkgesetze hervorgehen. Sie umfassen alle die Regeln, welche über dasjenige, was evident und allgemeingültig in unserem Denken ist, Bestimmungen enthalten. Während wir also die psychologischen Denkgesetze nur durch Verallgemeinerungen gewinnen, die wir der Beobachtung des wirklichen Denkens entnehmen, stellen die logischen Denkgesetze zugleich  Normen  dar, mit denen wir an das wirkliche Denken herantreten, um es auf seine Richtigkeit zu prüfen.

Dieser normative Charakter ist aber lediglich darin begründet, daß gewisse unter den psychologischen Verbindungen des Denkens tatsächlich Evidenz und Allgemeingültigkeit besitzen. Denn nun wird es erst möglich, daß wir an das Denken überhaupt mit der Forderung herantreten, es solle den Bedingungen der Evidenz und der Allgemeingültigkeit genügen. Dasjenige Denken, bei welchem dies stattfindet, nennen wir im engeren Sinne ein  logisches  und jene Bedingungen selbst, denen genügt werden muß, um Evidenz und Allgemeingültigkeit herbeizuführen, bezeichnen wir als die  logischen Denkgesetze  oder als die  Normen des Denkens.  Wie jene fundamentalen Eigenschaften immer nur bestimmten Gedankenzusammenhängen zukommen, so lassen sich auch in unserem wirklichen Denken die logischen niemals völlig von den psychologischen Denkgesetzen sondern. Das psychologische Denken bleibt immer die umfassendere Form. Auch die Darstellung der logischen Normen läßt sich daher nicht frei machen von psychologischen Bestandteilen, die für den logischen Inhalt des Denkens mehr oder weniger zufällig sind. Die logischen Begriffe bezeichnen wir mit Worten oder anderen Symbolen, die sich irgendwei psychologisch entwickelt haben. Im Urteil weisen wir den Begriffen eine bestimmte äußere Stellung an, die psychologisch von der höchsten Wichtigkeit, logisch aber völlig gleichgültig sein kann. Nicht minder ist die Anordnung der Urteile in den Schlußfolgerungen großenteils von psychologischen Motiven abhängig.

Bei dieser unlösbaren Gebundenheit der logischen Gesetze an die psychologischen Entwicklungsformen des Denkens wird der oft begangene Fehler begreiflich, daß man beide miteinander vermengt, indem man entweder die logischen Normen durch die Aufnahme psychologischer Formen zu erweitern oder die psychologischen insgesamt auf logische Gesetze zurückzuführen sucht. Die in der ersteren Gestalt auftretende Vermengung der Gebiete mißt denjenigen Formen, in denen vorzugsweise die psychologischen Denkgesetze ihren Ausdruck finden, den  grammatischen,  einen durchgängig logischen Wert bei. Die zweite will das wirkliche Denken womöglich in seinem ganzen Umfang auf logische Regeln zurückführen. So steuert man von verschiedenen Seite her dem nämlichen Ziel zu und der Grammatiker, der die Grammatik auf die Logik gründen will, findet am Logiker, der die Logik aus der Grammatik bereichern möchte, seinen Bundesgenossen. Diese falschen Einheitsbestrebungen werden tatsächlich schon dadurch widerlegt, daß es eine  allgemeine  Grammatik als Summe einer Anzahl sprachlicher Ausdrucks- oder Verbindungsformen, die  allen  Sprachen gemeinsam ist, das liegt nicht in den grammatischen Formen, sondern lediglich in den logischen Denkgesetzen, die in unendlich mannigfaltige grammatische Formen eingehen können. Die Grammatik ruht also ganz auf dem Boden der Psychologie und zur Logik verhält sie sich ebenso, wie die psychologischen Denkgesetze zu den logischen Normen.

Indem nun aber die logischen Normen sich niemals völlig von den psychologischen Gesetzen des Denkens lostrennen lassen, kommt notwendig eine gewisse Willkür in die Darstellung der Logik, die ihre Schranke nur in der Regel findet, daß für jede logische Norm die  zweckmäßigste  psychologische Einkleidung gewählt werden muß, d. h. diejenige, die den logischen Gehalt am einfachsten und deutlichsten zur Geltung bringt. Auch versteht es sich von selbst, daß man für diese psychologische Einkleidung eine möglichste  Gleichmäßigkeit  erstreben wird, einmal angenommene Formen oder Darstellungsweisen also nicht ohne Not mit anderen vertauschen wird, auch wenn diese an sich ebenso zweckmäßig sein sollten. Mit der Logik verhält es sich in dieser Beziehung durchaus ähnlich wie mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Eine mathematische Untersuchung kann in verschiedener Form dargestellt werden; die Ausgangspunkte und der Gang des Beweises können mannigfach wechseln und dennoch immer zum nämlichen Ziel führen. Ähnlich besitzt jede andere Wissenschaft eine bestimmte Technik der Ausführung. So besteht denn auch die logische Technik darin, daß sie für die evidenten und allgemeingültigen Beziehungen des Denkens angemessene Formen der Darstellung findet.

Diese Darstellung wird zuvörderst diejenigen Normen zu betrachten haben, die für die unmittelbaren Beziehungen der Gedankenelemente nach ihrem logischen Wert als  Begriffe,  ihre Verbindungen als  Urteile.  Die Lehre von den Begriffen und Urteilen hat es daher mit dem logischen Denken in derjenigen Form zu tun, in der es auf  unmittelbarer  Evidenz beruht. Sodann werden wir uns zu jenen Gedankenverbindungen wenden, die aus gegebenen Denkakten neue erzeugen. Solche Verbindungen sind die  Schlußfolgerungen,  bei denen sich das logische Denken auf die  mittelbare  Evidenz stützt.

LITERATUR: Wilhelm Wundt, Logik [Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung], Bd. I (Erkenntnislehre), Stuttgart 1893
    Anmerkungen
    1) FRIEDRICH ALBERT LANGE, Logische Studien, Seite 9f
    2) CHRISTIAN WOLFF, De anima III, 2